Die Drei Fragezeichen
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O du finstere

erzählt von Hendrik Buchna

Kosmos

Umschlagillustration von Silvia Christoph, Berlin

Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage

der Gestaltung von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)

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© 2019, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan

Based on characters by Robert Arthur

ISBN 978-3-440-16010-7

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

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1. Auf ins Winterwunderland

»Rudolph the red-nosed reindeer had a very shiny nose!«

Aus vollem Hals schmetterten Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews sowie Justus’ Tante Mathilda und sein Onkel Titus ein Weihnachtslied nach dem anderen. Die Stimmung an diesem 22. Dezember im gemütlich warmen Mietwagen war prächtig. Das war auch kein Wunder. Nachdem in den letzten Jahren die Zeit rund um das große Fest immer sehr stressig gewesen war, hatte Tante Mathilda diesmal einen ganz besonderen Wunsch gehabt: »Ich möchte endlich mal Weihnachten wie im Bilderbuch feiern: ruhig, romantisch, verschneit – und vor allem ohne Ablenkungen durch diesen ganzen modernen Technik-Schnickschnack!«

So hatte Onkel Titus schließlich einen Kurzurlaub in einer hübschen, einsam gelegenen Bergpension nördlich von Snow Valley, einem der ältesten Wintersportgebiete Kaliforniens, gebucht. Zunächst war Justus, der seit dem Tod seiner Eltern vor vielen Jahren bei seiner Tante und seinem Onkel lebte, mit Blick auf ein »Weihnachtsfest im Nirgendwo« ziemlich skeptisch gewesen. Doch das hatte sich schlagartig geändert, als Tante Mathilda nach Rücksprache mit Peters und Bobs Eltern die beiden Jungen eingeladen hatte mitzukommen. Mit ihren Familien würden die zwei dann nach ihrer Rückkehr feiern.

»Ihre selbst gebackenen Plätzchen sind himmlisch, Mrs Jonas!«, schwärmte Peter in einer kurzen Liederpause, während er sich strahlend aus der herumgereichten Blechdose eine verlockend glänzende Cranberry-Mandel-Schnecke schnappte.

Bob, der am Steuer saß, nickte zustimmend und hob gleichzeitig spielerisch mahnend den Zeigefinger. »Aber passt bitte auf, dass Justus nicht alle Erdnuss-Honig-Taler allein verputzt.«

»Allerhöchstens drei Stück hatte ich!«, protestierte der Erste Detektiv, der sich zusammen mit seiner Tante und seinem Onkel die Rückbank teilte. »Und außerdem –«

»Herrschaften!« Energisch schüttelte Mrs Jonas den Kopf. »Wir hatten doch eine eindeutige Regel vereinbart.«

»Kein Streit im Weihnachtsmobil«, erwiderten die drei ??? schuldbewusst wie aus einem Mund.

»Und genau daran werden wir uns auch alle halten«, forderte Onkel Titus mit gespielter Strenge. Dann fügte er augenzwinkernd hinzu: »Abgesehen davon hat mir ein gewisser Back-Engel geflüstert, dass sich noch eine zweite große Keksdose an Bord befindet.«

Von diesem Hinweis bestärkt griff sich Justus mit leuchtenden Augen einen bunt verzierten Lebkuchenmann. »Ein Hoch auf die beste Tante des Planeten!«

Inzwischen hatten sie die malerische Bergwelt der Sierra Nevada erreicht. In Höhe von Running Springs setzte erster Schneefall ein und bereits wenige Minuten später breitete sich vor der Windschutzscheibe eine wahre Winteridylle aus. Mit seligem Lächeln ließ Mrs Jonas ihren Blick über die weiße Pracht schweifen, nach der sie sich so sehr gesehnt hatte.

Schmunzelnd betrachtete Justus sie aus den Augenwinkeln. Selten hatte er seine forsche Tante so ruhig und verträumt erlebt.

Nach gut zweieinhalb Stunden Fahrt erreichten sie schließlich ihr Ziel. Vor den Ankömmlingen ragte ein zweigeschossiges Holzhaus auf, dessen schneebedecktes und mit Eiszapfen behangenes Dach beschaulich in der Nachmittagssonne glänzte. Gleich nebenan erkannten sie eine kleine überdachte Eisbahn, die mit Tannenzweigen und Lichtergirlanden dekoriert war.

Tante Mathilda war die Begeisterung deutlich anzusehen. »Wunderschön, genau so hatte ich es mir vorgestellt! Einsam in der Natur – fünfzig Meilen bis zur nächsten Stadt. Und wisst ihr was? Die Pension ist dieses Jahr für einen großen Touristikpreis nominiert. Im nächsten Winter kosten die Zimmer wahrscheinlich das Doppelte!«

Bob hielt auf einem hufeisenförmigen Stellplatz unter einem stabilen Aluminiumdach. Vier weitere Autos und ein alter, ziemlich verschrammter Van parkten hier. Nebenan in einer offenen Blechgarage stand ein kompaktes feuerrotes Schneemobil.

Noch während des Aussteigens wurden sie von den Pensionsbesitzern, einem jungen Ehepaar namens Ferguson, herzlich begrüßt und mit dem Gepäck ins Haus geleitet. An der Rezeption wartete heißer Eierpunsch auf die Erwachsenen und warme Milch mit Honig oder Kakao mit Sahne auf die Jungen, alles frisch zubereitet von der fröhlichen Köchin Debra.

Die stämmige Texanerin – etwa Anfang dreißig, mit Stupsnase und scharlachrot gefärbtem Pferdeschwanz – rief ihnen mit schallender Stimme entgegen: »Willkommen in der Snowflake Lodge, dem schönsten Ort diesseits der Rocky Mountains!«

»Vielen Dank – was für ein großartiger Empfang!«, lobte Onkel Titus, während seine Frau das Anmeldeformular ausfüllte.

»Hier ist es wirklich toll«, stimmte Bob zu und blickte sich nach allen Seiten um. »Man kommt sich vor wie in einem Knusperhaus.«

»Ja, wir sind selber immer noch und immer wieder ganz verliebt in unser kleines Paradies im Schnee«, bekannte Mrs Ferguson. »Für kein Geld der Welt würden wir es wieder hergeben.«

Tatsächlich bezauberte die Pension durch ihr überaus gemütliches Ambiente. In der Mitte des reich dekorierten Aufenthaltsraums stand ein großer geschmückter Tannenbaum, dessen Spitze bis an die knapp vier Meter hohe Decke reichte. Ihm gegenüber verbreitete prasselndes Kaminfeuer behagliche Wärme und auf einem Beistelltisch stand eine handgeschnitzte Weihnachtskrippe. Durch ein großes, bis zum Boden reichendes Panoramafenster hatte man einen fantastischen Rundumblick auf die strahlend weiße Winterlandschaft.

»Und das Beste daran: kein Internet, kein Fernsehen, kein Handy-Empfang«, verkündete Tante Mathilda begeistert und hielt sich lauschend eine Hand ans Ohr. »Einfach nur traumhafte Stille.«

Nickend überreichte Lance Ferguson Mrs Jonas die Zimmerschlüssel. Er war ein sportlicher, braun gebrannter Mann mit Holzfällerjacke, wallender brauner Mähne und Dreitagebart. »Genau darum geht es uns: Urlaub von der Technik. Endlich mal Ruhe vor dem ganzen Gepiepe und Geklingel. Nur so kann man wirklich entspannen.«

»Aber keine Sorge«, ergänzte Gianna Ferguson, eine grazile, dunkelhäutige Frau mit flauschigem Wollpullover und hüftlangem schwarzen Haar, »für die Übermittlung von Weihnachtsgrüßen und sonstige Kontakte zur ›Außenwelt‹ stehen zwei Festnetztelefone zur Verfügung. Eines hier an der Rezeption und eines dort drüben in der kleinen Kabine vor dem Kaminzimmer.«

»Gut zu wissen«, erwiderte Justus fröhlich. »Die Planungen für unseren Bergurlaub waren so kurzfristig, dass Tante Mathilda gar nicht allen Leuten Bescheid sagen konnte. Ihr wird sicher noch die eine oder andere Freundin einfallen, die sie dringend informieren muss …«

Nachdem sie ausgetrunken hatten, machten sie sich gemeinsam auf den Weg in den ersten Stock. Zu beiden Seiten eines langen, ebenfalls weihnachtlich geschmückten Flurs lagen die Gästezimmer. Tante Mathilda und Onkel Titus würden Zimmer vier beziehen, während Justus, Peter und Bob sich Zimmer fünf teilen würden. Auch die restlichen drei Räume waren laut Auskunft der Pensionsbesitzer belegt. Von den übrigen Gästen war jedoch nur ein hagerer älterer Mann mit sandfarbenem Leinenanzug, silbergrauem Haarkranz und Nickelbrille zu sehen. Er saß am Ende des Flurs in einem lederbezogenen Ohrensessel und kritzelte hektisch in einem Schreibheft herum.

Grüßend hob Peter die Hand. »Guten Tag, Sir.«

Sichtlich ungehalten blickte der Angesprochene auf. »Junger Mann, ob ich diesen Tag an seinem Ende als gut bezeichnen werde, hängt unter anderem entscheidend davon ab, ob ich von Störenfrieden wie Ihnen verschont bleibe.« Mit diesen Worten wandte er sich demonstrativ wieder seinen Aufzeichnungen zu.

»Ungehobelter Klotz«, murmelte Justus stirnrunzelnd und schob den Schlüssel ins Schloss ihrer Zimmertür. »Bei dem hat die weihnachtliche Tiefenentspannung definitiv noch nicht eingesetzt …«

Das Zimmer war freundlich in hellem Holz eingerichtet und besaß einen Balkon mit grandiosem Blick auf die verschneiten Gipfel. Nachdem sie ausgepackt hatten, widmete sich jeder zunächst seinen eigenen Vorlieben. Tante Mathilda, Onkel Titus und Justus genossen, eingehüllt in dicke Wolldecken, auf den Liegestühlen der überdachten Veranda die Aussicht. Währenddessen stöberte Bob ein wenig in der kleinen, aber liebevoll eingerichteten Pensionsbibliothek.

Da der Schneefall inzwischen nachgelassen hatte und die Sonne erst in knapp zwei Stunden untergehen würde, wollte Peter die Gelegenheit nutzen und ein wenig die Gegend erkunden. Um auch ohne Handy zumindest auf mittlere Distanz mit seinen Freunden in Kontakt bleiben zu können, steckte er eines der mitgenommenen Walkie-Talkies in seine Anoraktasche, das andere schob er Justus unter die Decke. Dann verabschiedete er sich. An der Rezeption lieh er sich ein Paar Langlaufskier aus und ließ sich von Mrs Ferguson einige Tipps für seinen Ausflug geben.

»Jingle Bells« pfeifend machte Peter sich anschließend auf den Weg. Er folgte dem Hinweis, zunächst am Waldrand entlang zu laufen. Nach etwa fünfhundert Metern sollte er links in einen Forstweg abbiegen, der in einem weiten Bogen schließlich zurück zur Pension führen würde.

Die kristallklare Luft war herrlich und nur wenige Wolken standen noch am tiefblauen Himmel. Rasch war die beschriebene Abzweigung erreicht und Peter bog in den Wald ein. Etwa eine Stunde lang pflügte der Zweite Detektiv begeistert durch den Neuschnee. Gerade fuhr er um eine Kurve, als er hinter sich eine Bewegung wahrnahm. Neugierig blickte er über die Schulter.

Was er sah, ließ ihn heftig zusammenzucken!

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2. Tief in den Wäldern

Etwa fünfzehn Meter hinter dem Zweiten Detektiv stand eine hochgewachsene Gestalt, ebenfalls auf Langlaufski – und offenbar hatte sie ihn schon seit längerer Zeit verfolgt! Als Peter nun stoppte, verharrte auch der Unbekannte vollkommen reglos. Er war komplett in Schwarz gehüllt und hatte struppige dunkle Haare. Sein Gesicht war nicht zu erkennen. Der ganze Kopf schien von einem zottigen schwarzen Schal umwickelt zu sein, zusätzlich verdeckt von einem seltsam unförmigen Hut mit zwei seitlichen Ausbeulungen.

Nach dem ersten Schreckmoment zwang sich Peter, die Situation so nüchtern und sachlich zu betrachten, wie Justus es immer tat. Vielleicht handelte es sich um einen der anderen Gäste aus der Pension, der es aus Angst vor Sonnenbrand ein bisschen mit dem Gesichtsschutz übertrieben hatte. Und weil er kontaktscheu war, hielt er eben Abstand. Da musste man doch wirklich nichts Bedrohliches hineindeuten …

Langsam wandte sich der Zweite Detektiv wieder nach vorn und setzte die Fahrt fort, erhöhte nun jedoch erheblich das Tempo. Nach ungefähr einer Minute blickte er erneut zurück. Der Fremde war ihm im gleichen Abstand gefolgt.

Hoch konzentriert verlangsamte Peter die Geschwindigkeit jetzt drastisch und rechnete jede Sekunde damit, von seinem merkwürdigen Verfolger überholt zu werden. Doch das geschah nicht. Mit einem sehr mulmigen Gefühl hielt der Zweite Detektiv nach einer weiteren Minute wieder an, sah sich um – und stieß ein leises Ächzen aus. Der Mann hatte seinen Abstand exakt beibehalten und verharrte nun ebenfalls.

»Okay, das ist … doch ziemlich beunruhigend«, raunte Peter und tastete nach dem Walkie-Talkie. Zu versuchen, wie Justus zu denken, war ja gut und schön, aber hier und jetzt brauchte er das Original. Inzwischen musste er sich der Pension eigentlich wieder so weit genähert haben, dass es mit dem Funkkontakt klappen sollte.

Und tatsächlich meldete sich bereits nach wenigen Sekunden ein ziemlich schläfrig klingender Justus. »Hier Erster …« Ein herzhaftes Gähnen folgte. »Was gibt’s denn?«

»Halt mich bitte nicht für verrückt«, erwiderte Peter mit belegter Stimme, »aber ich bin im Wald und werde schon seit einiger Zeit von einem unheimlichen Skifahrer verfolgt. Egal was ich mache – ich kann ihn nicht abschütteln.«

Es folgte eine kurze Pause, in der sich Justus offenbar aus dem Liegestuhl erhob. Vermutlich wollte er sich außer Hörweite von Tante Mathilda und Onkel Titus begeben. »Hast du ihn angesprochen?«, fragte der Erste Detektiv dann.

Mit dieser Frage hatte Peter nicht gerechnet. Verdutzt erwiderte er: »Äh … nein.«

»Dann mach’s.«

Beklommen ließ der Zweite Detektiv das Funkgerät sinken und wandte sich erneut seinem Verfolger zu. »Hallo? … Sir

Der Vermummte zeigte keinerlei Reaktion, sondern starrte nur weiter stumm zu ihm herüber.

Zusätzlich zu den Gefühlen der Verwirrung und Einschüchterung keimte nun eine neue Empfindung in Peter auf: Wut. »Zum Henker, was wollen Sie denn von mir??«, brach es aus ihm hervor. »Lassen Sie mich gefälligst in Ruhe!«

Doch der Fremde verharrte weiterhin starr und stumm wie ein düsteres, pelzbehangenes Standbild.

»Und?«, meldete sich Justus wieder zu Wort.

»Ein totaler Reinfall«, zischte Peter entnervt. »Dieser Typ tickt entweder nicht mehr ganz richtig oder er will sich einen idiotischen Scherz mit mir erlauben. Aber jetzt ist Schluss!« Mit diesen Worten steckte sich der Zweite Detektiv das Funkgerät unter die Achsel und ging in die Hocke, um einen großen Schneeball zu formen. Doch als er sich wieder erhob, um den bizarren Ski-Stalker zu bewerfen, war die Gestalt plötzlich verschwunden. »Dreh ich jetzt völlig durch?«

»He, was ist denn da bei dir los?«, ertönte Justus’ gedämpfte Stimme.

Perplex blickte Peter sich um und nahm das Walkie-Talkie wieder an den Mund. »Irgendein Hokuspokus … Und ich will jetzt wissen, was hier gespielt wird!« Nach einem kurzen Spurt erreichte er die Stelle, an der noch vor wenigen Sekunden der schwarze Fremde gestanden hatte. Die Spuren, die er vorfand, waren eindeutig. »Der Kerl muss eine ziemliche Sportskanone sein. Jedenfalls hat er sich mit einem Höllentempo querfeldein in den Wald abgesetzt. Na warte …«

»Zweiter?«, mahnte Justus. »Mach bitte keinen Unsinn!«

Doch Peter war nicht zu halten. »Ich melde mich später wieder. Over and out.« Damit stopfte er das Walkie-Talkie zurück in die Jackentasche und nahm die Verfolgung auf.

Die wilde Jagd führte immer tiefer in den Wald hinein. Dann fing es an zu schneien. Peter hielt inne und hob einen vor ihm liegenden Gegenstand vom Boden auf. Eine kleine Metallglocke, an deren Öse mehrere grobe schwarze Haare hingen. Das Auffälligste war jedoch das außen eingestanzte Motiv, das Peter unangenehm an einen altertümlichen Teufels-Dreizack erinnerte. Im selben Moment erschallte von fern ein schrilles, sich überschlagendes Gelächter! Und plötzlich war Peter die Aufklärung der Sache egal. Er wollte raus aus diesem Wald! Am besten machte er sofort kehrt und verfolgte seine eigenen Spuren zurück. Doch genau diese wurden gerade – nur leidlich gebremst durch die Äste der Tannen – immer stärker vom fallenden Schnee zugedeckt! Hastig wirbelte Peter herum und schoss los, gefolgt von dem grässlichen Lachen. Trotz des mörderischen Tempos wurde ihm von Sekunde zu Sekunde klarer, dass er es nicht rechtzeitig schaffen würde. Die beiden parallelen Skispuren waren in dem regen Schneetreiben kaum noch zu erahnen. Und wenige Augenblicke später waren sie gänzlich verschwunden. Peter hatte sich in einem völlig unbekannten Wald verirrt. Und schlimmer noch: Er war nicht allein …

Hektisch ließ der Zweite Detektiv den Blick kreisen. Schnee und Bäume. Bäume und Schnee. Keinerlei Orientierungsmöglichkeiten, nicht die kleinsten optischen Anhaltspunkte. Nichts.

Die Sonne stand inzwischen so tief, dass sie im Westen nur noch als schwaches rotviolettes Leuchten zwischen den Ästen hindurchschimmerte. Nicht mehr lange, dann würde tiefschwarze Finsternis über den Wald hereinbrechen. Und eine Kälte, gegen die die bisherigen Temperaturen das reinste Vergnügen gewesen sein würden. An den gruseligen Skifahrer wollte er gar nicht denken. Vielleicht lauerte der immer noch irgendwo hinter dem dichten Vorhang aus Schneeflocken.

»Was für ein Wahnsinn …«, hauchte Peter. In seinem Kopf drehte sich alles. »Ich … muss hier raus. Aber wie …?« Siedend heiß fiel ihm das Funkgerät in seiner Tasche ein. Er musste es während der Verfolgungsjagd ungewollt ausgeschaltet haben. Mit klammen Fingern riss Peter das Gerät hervor und betätigte die Sprechtaste. »Erster?! Erster, bitte kommen!«

Für einen grässlichen Augenblick befürchtete der Zweite Detektiv, dass der Funkkontakt im dichten Wald abgebrochen war, doch dann erlöste ihn Justus’ verärgerte Stimme.

»Ach! Lässt sich der Herr doch noch dazu herab, sich nach einem halben Stündchen Funkstille mal wieder zu melden.«

»Keine Sprüche jetzt, Justus – mir geht es verdammt dreckig! Ich stecke mitten im Wald, habe mich hoffnungslos verirrt, gleich ist es dunkel und der Verrückte steckt hier noch irgendwo!«

Justus klang ernst, aber ruhig. »Okay – keine Panik. Ich lasse mir etwas einfallen. Wald … Waldwaldwaldwald … Sonnenuntergang … anhaltender Niederschlag bei mäßigem Wind aus Nordost …«

Während Peter dem Gemurmel seines Freundes lauschte, stapfte er nervös im Kreis herum, um sich warm zu halten. Inzwischen kroch die Eiseskälte von allen Seiten heran, biss sich an seinen Füßen fest und kletterte mit spitzen Krallen seine Beine hoch. Um ihn herum wurden die Schatten immer länger und dunkler. Und einer von ihnen war vermutlich lebendig.

Dann endlich schien Justus bei seinen Überlegungen zu einem Ergebnis gekommen zu sein. Doch was er ausrief, konnte der Zweite Detektiv kaum glauben.

»Das ist es! Bald ist doch Silvester!«

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3. Licht im Dunkel

Drei Sekunden lang schwieg Peter einfach nur. Dann nickte er ruckhaft. »Jaaa, in ein paar Tagen ist Silvester – und in vier Monaten ist Ostern!! Was soll denn der Quatsch??«

»Kein Quatsch, hör einfach zu und tu, was ich sage«, forderte Justus eindringlich. »Such dir, solange du noch etwas sehen kannst, einen Platz mit halbwegs gutem Blick zum Himmel. Eine kleine Lichtung oder Ähnliches.«

»O-okay …« Der Zweite Detektiv hatte nicht den geringsten Schimmer, was sein Freund vorhatte. Aber er erinnerte sich an eine Stelle etwa fünfzig Meter hinter sich, an der zwei umgestürzte Bäume ein recht großes Loch in das Tannendach des Waldes gerissen hatten. Dorthin machte er sich auf den Weg.

»Ich hole jetzt Bob und versuche, ein paar Sachen aufzutreiben«, erklärte Justus. »Sobald wir am Waldrand angekommen sind, melde ich mich wieder.«

Verunsichert hielt Peter inne. »Aber … bis dahin wird es doch längst dunkel sein.«

»Das ist auch gut so«, erwiderte der Erste Detektiv mit geheimnisvollem Tonfall. »Je dunkler, desto besser …«

Fünfzehn lange Minuten später wartete Peter immer noch auf die erlösende Rückmeldung. Mittlerweile war die Sonne komplett untergegangen, aber der annähernd volle Mond spendete zumindest ein wenig Licht. Die Eiseskälte war allerdings eine echte Tortur. Immer wieder schlang der Zweite Detektiv die Arme um den Körper, hüpfte auf und ab oder rieb die be