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eISBN 978-3-939586-26-5

© 2019 Starks-Sture Verlag
Anna Starks-Sture
Sonnenstraße 12, D-80331 München

www.starks-sture-verlag.de

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Für meinen Papa und für

Tom

und

für all diejenigen, die unsere Liebe brauchen,

einschließlich uns selbst …

Wenn lieben weh tut

Ein Kommunikations-Ratgeber für Partner in der Borderline-Beziehung

Manuela Rösel

„Ich weiß, was ich will…

…was du auch immer tust verzeihn und verstehn,
was ich noch nie vorher im Leben getan,
fang ich jetzt an …“

(Udo Jürgens – „Ich weiß, was ich will“)

… das Kind ist längst erwachsen
und versteckt sich doch im Mann.
Es läuft die Treppe ständig hoch
und kommt nie oben an.

Jede Stufe ist der nächste Wunsch, der in Erfüllung geht,
oh, das Kind stellt fest, das ist nicht schön
und schmaler wird der Weg.

Manche jubeln laut, manche schreien „spring“
ach, wen kümmert schon die Balance.
Keiner sieht die feinen Angstschweißtropfen,
es bleibt die Flucht in Trance

Halt‘ mich fest!
Damit von mir mehr übrig bleibt,
als dieser kleine Rest.

Kennst Du den Seiltänzertraum,
ich stürz‘ ab, doch ich lebe noch.
Dein Netz fängt mich auf
mitten im Schoß, in deinem Schoß.

Noch höher raus
das Gleichgewicht zu halten, saugt mich aus.
Oh, geht das immer so weiter bis zum Dessert
beim eigenen Leichenschmaus.

Ich bin im falschen Film mit völlig falschem Sinn
schalt ihn ab, wo ist der Knopf.
Oh, bitte hilf mir, hilf mir, wann denn endlich
Macht es „Klick“ in meinem Kopf.

Weck mich auf!
Das Schicksal nimmt zwar seinen,
doch du nimmst meinen Lauf …

Auszug aus dem „Seiltänzertraum“ (PUR)
Mit freundlicher Genehmigung von Live Act Musik (Management PUR)

Inhaltsverzeichnis

1. Begriffsklärungen

Der Begriff Borderline

Was ist eigentlich eine Identitätsstörung?

Partner und Angehörige …

Einer trage des anderen Last …

Gemeinsame Merkmale der Partner

Irrtümer, die sich für viele Partner aus diesen Merkmalen ergeben

Nach welchen Kriterien wählen wir unseren Partner?

Angst

Schwarz-Weiß

Ambivalenz

Berührungspunkte der Angst

Notwendige Merkmale der Borderline-Partner

2. Liebe als Grundbedürfnis, das verkannte Zentrum des Geschehens

Jede Menge Definitionen

Kann man lieben lernen?

Wo fängt Liebe an?

3. Co-Abhängigkeit

Begriffsklärung

Wege aus dem co-abhängigen Verhalten

4. Kommunikation − nicht alle Theorie ist grau

Was passiert da eigentlich?

Typische Borderline-Verhaltensweisen in der abgrenzenden bzw. kritischen Kommunikation

Die Gewaltfreie Kommunikation nach M. B. Rosenberg

Wie funktioniert die Gewaltfreie Kommunikation?

Gefühle und Bedürfnisse

SET-Kommunikation

5. Von Manipulationen und Grenzen

Emotionale Erpressung

Woran kann ich Emotionale Erpressung erkennen?

Die vier Gesichter der Emotionalen Erpressung

Wozu brauchen wir Grenzen?

Wann müssen Grenzen gesetzt werden?

6. Was ich nicht wahrhaben will

Verdrängungsmechanismen

Primäre und sekundäre Gefühle

7. Doppelte Botschaften und wie wir sie vermeiden

Vom Umgang mit Double-Binds

Möglichkeiten einer verbesserten Kommunikation

8. Konkretes – Fragen und Antworten

Erleben Borderline-Persönlichkeiten die Welt anders?

Wie genau kann ich reagieren, wenn ich emotional erpresst werde?

Mein Partner will keine professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.

Ehrlichkeit, Ehrlichkeit, Ehrlichkeit (mangelnde Reflektion und inkongruentes Verhalten)

Wie gehe ich mit Selbstmitleid um?

Wie gehe ich mit Konfliktsituationen (Unstimmigkeiten) um?

Weitere Möglichkeiten, konfliktreichem Verhalten sinnvoll zu begegnen

Verzerrte Vergangenheit, ein ständiger Konfliktherd

Wie gehe ich mit Wutausbrüchen, verbalen Angriffen und übergriffigem Verhalten um?

Wie reagiere ich auf Selbstverletzungen?

Wie gehe ich mit Suizidandrohungen um?

Wie kann ich konsequent sein, wenn ich weiß, dass ich dafür verurteilt und angegriffen werde?

Wie kann ich Kontaktabbrüche vermeiden?

Wie kann ich mich künftig vor einer Beziehung zu einer Borderline-Persönlichkeit schützen?

9. Nach der Trennung

Danach … und nun?

Warum fällt das Loslassen so unendlich schwer?

Trauern

Möglichkeiten der bewussten Trauer und Verarbeitung

Die Konsequenzen der Idealisierung

Eigene Anteile entdecken

Abschied (Rituale und hilfreiche Verarbeitungsanregungen)

Neubeginn

10. Interview mit Alexa – 42 Jahre (ehemalige Partnerin)

11. Schlusswort

Danksagungen

Hilfreiche Internet-Adressen zur Selbsthilfe

Empfehlenswerte Literatur

Vorwort

Wenn lieben weh tut, werden oft einfach die Bedürfnisse nicht erfüllt, die wir mit unserem Verständnis von Liebe in Zusammenhang bringen. Unsere Bedürfnisse nach Zärtlichkeit, Nähe, Wahrgenommen werden oder Wertschätzung, werden nicht erfüllt und wir reagieren enttäuscht, traurig, voll Angst und Frustration, es tut weh. Wenn wir uns damit nicht zufriedengeben, uns selbst und die Umstände hinterfragen, haben wir die Chance zu erkennen, dass die Verantwortung für die Erfüllung dieser Bedürfnisse allein bei uns liegt. Niemand anderes ist dafür verantwortlich, auch nicht der Partner, von dem wir erwarten, dass er ihnen zu entsprechen hat. Zumeist auch noch, ohne dass wir in der Lage sind, uns zu artikulieren und klar auszusprechen was wir brauchen. Diese Fähigkeit selbstverantwortlichen Handelns ist die Basis jeder Beziehung, im Umgang mit der Borderline-Problematik aber unabdingbar. Die Voraussetzung für die Beziehung zu einem Menschen, der an der Borderline-Symptomatik leidet, ist also in erster Linie die Fähigkeit sich selbst zu lieben, sich und andere bewusst wahrnehmen zu können und diese Fähigkeiten so einzusetzen, dass sie verbindend wirken.

Dieses Buch konzentriert sich hauptsächlich auf die Menschen, die in einer partnerschaftlichen Beziehung zu einem Betroffenen stehen und emotional stark involviert sind oder waren. Es bietet ihnen die Chance, zu hinterfragen, die Perspektive der Problematik zu ändern und auf diesem Weg Lösungsmöglichkeiten zu finden, die vorher nicht wahrgenommen wurden. Natürlich können auch Eltern, Verwandte, Kollegen oder Freunde von hier aufgezeigten Kommunikationstechniken profitieren. Mir liegt aber ganz besonders der Mensch am Herzen, der sich hilflos in einem Strudel von Gefühlen und Irritationen gefangen sieht und letztendlich mit seiner Last allein dasteht, da sich die Umwelt oft entweder desinteressiert oder ungläubig zeigt. Mitunter ist für den Partner die Situation selbst unverständlich, er übernimmt oft bereitwillig die Verantwortung für die von der Borderline-Persönlichkeit nach außen getragenen Spannungen und ist kaum noch in der Lage, sich differenziert und als eigenständige Persönlichkeit wahrzunehmen. Hilfe erhält, im günstigen Fall der Diagnose und Akzeptanz, mitunter der Betroffene, aber was ist mit dem Partner? Der Frau oder dem Mann, die dem Betroffenen zur Seite stehen wollen und sich selbst immer mehr im Chaos der Borderline-Symptomatik verlieren? Wer hilft ihnen, eigene Anteile wahrzunehmen, den Bezug zu sich selbst und der eigenen Stabilität nicht zu verlieren? Letztendlich ist auch dem Betroffenen nur dann geholfen, wenn ein stabiler Partner an seiner Seite, in der Achterbahnfahrt der Gefühle, nicht die Orientierung verliert.

Die Borderline-Persönlichkeit lebt in einer Welt der Instabilität. Oftmals passen sich die Partner aufgrund eigener Persönlichkeitsdefizite dieser Instabilität an und verlieren mit der Zeit immer mehr den Zugang zu ihrer eigenen Identität. Zumeist sind sie nicht in der Lage, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen, Grenzen zu setzen und somit auf ihre persönliche Gesunderhaltung und Stabilität zu achten. Sie entwickeln für sie destruktive Verdrängungsmechanismen und Strategien, um den Menschen, der ihnen nahe steht, durch das Chaos seines Lebens zu begleiten. Oder sie geben auf, weil sie sich der Situation nicht gewachsen sehen und keine umsetzbaren Hilfen erfahren, um sich danach mit Schuld- und Versagensgefühlen zu quälen. Genau hier soll dieses Buch eine konkrete Hilfe bieten. Denn nicht die selbstlose, geduldige und aufopfernde Haltung der Partner ist hilfreich, sondern deren bewusste, verständige und auch konsequente Stabilität. Das Verstehen von Hintergründen, das Erfahren eigener Anteile und das Erfassen von Zusammenhängen sind hier von größter Wichtigkeit. Ganz besonders betonen möchte ich dabei, dass nur derjenige seinen destruktiven Konfrontationen entkommen kann, der bereit ist, an SICH zu arbeiten. In meiner Praxis begegnen mir immer wieder Menschen mit dem Anliegen: „Machen Sie, dass ich es erreiche, dass mein Mann, mein Kind, meine Freundin, mein Chef… sich ändern.“ So etwas ist nicht möglich. Einzig und allein ICH kann MICH ändern und damit auch meine Art mit mir und anderen umzugehen und in der Resonanz dessen auch andere kommunikative Muster und Ergebnisse zu erhalten.

Es liegt in MEINER Selbstverantwortung, für MICH zu sorgen und einzustehen. Wer von diesem Buch eine Gebrauchsanweisung erwartet, die den Partner ändert, wird keine Hilfe erfahren können.

Ein Teil dieses Buches wird sich, da es der Verständlichkeit halber nötig ist, mit der Erläuterung der Thematik „Borderline-Syndrom“ befassen. Neben dem in die Tiefe gehenden Betrachten wichtiger, zentraler Themen werden auch kommunikative Zusammenhänge verdeutlicht. Ich werde Sie mit interessanten Kommunikationsmöglichkeiten und -techniken auf der Basis der Gewaltfreien Kommunikation nach M. B. Rosenberg bekannt machen, die es ermöglichen, scheinbar manipulierenden oder Double-Bind getragenen Konfrontationen zu begegnen und Grenzen zu setzen. Zentral aber werde ich Sie als Partner dabei begleiten, zu erfahren, welchen Anteil Sie an dieser Beziehung haben, welche Potenziale Ihnen zur Verfügung stehen, wie sie sich und ihren erkrankten Partner besser wahrnehmen und beistehen können. Sollten Sie eine derartige Beziehung hinter sich gelassen haben, werden Sie Möglichkeiten finden, diese zu verarbeiten, da die Intensität der emotionalen Bindung und das Gefühl der Hilflosigkeit und des Versagens oft posttraumatische Konsequenzen in sich tragen.

Manuela Rösel, Berlin im Oktober 2009

Einleitung

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung ist in ihrem Kern eine Störung, die sich durch einen stark unzureichenden Zugang zu eigenen Bedürfnissen und somit der eigenen Identität kennzeichnet. Extrem ausgeprägte Emotionen signalisieren dem Betroffenen Defizite, ohne dass dieser jedoch in der Lage ist, die dahinter stehenden Bedürfnisse zu identifizieren. Die Konsequenz dessen ist die Unfähigkeit, bedürfnisgerechte Strategien zu entwickeln. Daraus ergeben sich permanente intrapsychische und interpersonelle Spannungen, aus denen sich eine Spirale an Konflikten ergibt. Die Auseinandersetzung mit diesen erfordert aber die grundlegende Fähigkeit, die Verantwortung für sich selbst anzunehmen. Dazu gehören alle Facetten, die eine Persönlichkeit ausmachen, ihre Emotionalität und Bedürftigkeit, ihre Wahrnehmung und deren kognitive Verarbeitung, sowie letztendlich die daraus resultierenden Verhaltensweisen. Da eben diese Fähigkeit zur Selbstverantwortung bei einer Borderline-Persönlichkeit nicht gegeben ist (Abspaltungs-mechanismen, Neigung zur Projektion), neigen diese dazu, jegliche Verantwortung nach außen und damit zumeist unmittelbar an die engsten Bezugspersonen abzugeben. In der Konsequenz ergeben sich daraus massive zwischenmenschliche Konflikte, die wiederum in den Betroffenen die Angst vor dem Verlassenwerden auslösen. Die daraus resultierenden typischen ausagierenden, aggressiven Verhaltensweisen stoßen letztendlich jene ab, die so verzweifelt gebunden und gehalten werden sollen.

Erfährt die Borderline-Persönlichkeit Hilfe in Form einer klinischen oder ambulanten Psychotherapie, ist sie darauf angewiesen, Fortschritte, und seien diese auch noch so gering, wahrzunehmen. Die Borderline-Persönlichkeit braucht die permanente Reflektion, etwas erreicht zu haben, gut und damit lebensfähig zu sein. Da sie nicht in der Lage ist, sich in ihrer Gesamtheit wahrzunehmen, ist sie abhängig von äußerer Wertschätzung. Sie sieht sich nicht als Summe ihrer Erfolge und Erfahrungen, sondern muss sich ihrer Leistung und akzeptierten Präsenz ständig aufs neue vergewissern. Je nachdem, wie sie sich dabei wahrnimmt und bewertet, ob sie mit dem Ergebnis zufrieden ist oder nicht, wechselt ihre Stimmung und die nach außen sichtbare Verhaltensweise.

In welcher Situation erfährt sich nun der Partner oder Angehörige, der, ausgeschlossen von den therapeutischen Maßnahmen, gar nicht oder unzureichend auf die zögerlichen und oft kaum wahrnehmbaren Fortschritte reagiert? Hier benötigt er selbst eine Begleitung, die ihm Umstände begreiflich macht, das Selbstbild stärkt und eine Reflektion zulässt, die für die Borderline-Persönlichkeit unterstützend ist. In diesem Zusammenhang ist es auch dieser dann möglich, einen Fortschritt zu registrieren und sich für eine weitere Arbeit zu motivieren.

Da die Abbruchrate der Therapien sehr hoch ist, schätzungsweise bei 50 Prozent, ist es von zentraler Wichtigkeit, dass Angehörige lernen, unterstützende Stabilität zu entwickeln, um die emotionale Achterbahnfahrt in ruhigere und sicherere Bahnen zu geleiten. Die Voraussetzung dafür ist die Fähigkeit der Selbstwahrnehmung und Selbstachtung, die Möglichkeit eigene Bedürfnisse wahrzunehmen und zu realisieren und dabei die innere Stabilität und Gesunderhaltung zu sichern.

1. Begriffsklärungen

Der Begriff Borderline

…wurde Ende der Dreißigerjahre von dem amerikanischen Psychoanalytiker William Louis Stern eingeführt und charakterisierte psychische Beeinträchtigungen, die zwischen Neurose und Psychose schwanken. Die Borderline-Störung bezeichnete also ursprünglich eine bestimmte Gruppe von Störungen an der Grenzlinie (Borderline) zwischen Neurose und Psychose.

Mit der Zeit entwickelte sich allerdings die Erkenntnis, dass diese Störungen in ihrer Gesamtheit als Persönlichkeitsstörung zu sehen sind, womit der Begriff Borderline zwar seine inhaltliche Bedeutung verlor, aber trotzdem beibehalten wurde. Heute wird die Borderline-Störung als eigenständiges Krankheitsbild gesehen, welches sich unter anderem über die Instabilität von Gefühlen und Verhalten definiert.

Nach dem ICD 10 (Internationale Statistische Klassifikation der Krankheiten, WHO) ist die Borderline-Störung eine Unterform der so genannten „emotional instabilen Persönlichkeitsstörungen“. Die Betroffenen neigen dazu, Impulse ohne Berücksichtigung von Konsequenzen auszuagieren und leiden unter häufigen Stimmungs-schwankungen. Ihre Fähigkeit, vorauszuplanen ist gering, und Ausbrüche intensiven Ärgers können zu explosivem, manchmal gewalttätigem Verhalten führen. Zudem sind das Selbstbild und die Zielvorstellungen unklar und gestört. Die Neigung zu intensiven, aber unbeständigen zwischenmenschlichen Beziehungen kann zu wiederholten emotionalen Krisen mit Suiziddrohungen/-versuchen oder selbstschädigenden Handlungen führen.

Eine Borderline-Störung liegt mit großer Wahrscheinlichkeit vor, wenn ein Mensch unter mindestens fünf der folgenden neun Symptome leidet (Diagnostisches und Statistisches Manual psychischer Störungen – DSM-IV):

1.Symptom: Selbstschädigende Verhaltensweisen

Die Borderline-Persönlichkeit neigt zu Impulsivität bei potenziell selbstschädigendem Verhalten. Typisch sind z. B. Alkohol- und Drogenmissbrauch, sexuelle Promiskuität, Spielsucht, Kleptomanie und Essstörungen. Diese Impulsivität steht in engem Zusammenhang mit anderen Symptomen. Sie kann z. B. aus den Frustrationen einer gestörten Beziehung entstehen, Ausdruck von Stimmungsschwankungen oder Zornausbrüchen sein oder der Versuch, die Gefühle von Einsamkeit und Trennungsangst zu betäuben.

2.Symptom: Starke Stimmungsschwankungen

Die Grundstimmungen der Borderline-Persönlichkeit sind häufig überaktiv oder pessimistisch. Von dieser Grundstimmung lassen sich jedoch auffällige Stimmungsschwankungen in Richtung Depression, Reizbarkeit oder Angst beobachten. In nur zwei Minuten von „himmelhochjauchzend“ bis „zu Tode betrübt“ – treffender lassen sich die Stimmungsschwankungen von Borderline-Patienten kaum charakterisieren. Dabei sind die Betroffenen sich aufgrund ihrer gestörten Persönlichkeit der raschen Stimmungswechsel zwischen Euphorie und Depression kaum bewusst. Sie reagieren oft unmittelbar auf plötzliche Impulse und können Wut schlecht kontrollieren. Die Stimmungsschwankungen sind in der Regel von kurzer Dauer und halten meist nur ein paar Stunden oder ein paar Tage an.

3.Symptom: Unbeständige und unangemessen intensive zwischenmenschliche Beziehungen

Menschen mit der Borderline-Störung führen meist unbeständige und unangemessen intensive Beziehungen zu anderen Menschen. Diese zeichnen sich durch extreme Verschiebungen der Einschätzung des Beziehungspartners, die zwischen Idealisierung und Abwertung schwankt, und ständige Versuche, den Beziehungspartner zu manipulieren, aus.

Die Intensität der Beziehungen ergibt sich aus der Intoleranz der Borderline-Persönlichkeit gegenüber Trennungen, ihre Unbeständigkeit aus fehlender „Objektkonstanz“. Fehlende „Objektkonstanz“ bedeutet, die Fähigkeit, andere als komplexe Menschen wahrzunehmen, die sich in Ihrer Gesamtheit dennoch widerspruchsfrei verhalten können. Die Borderline-Persönlichkeit entwickelt eine Abhängigkeit zum Partner und idealisiert ihn, solange dieser ihre Bedürfnisse befriedigt. Erfährt sie Zurückweisung oder Enttäuschung, verfällt sie jedoch ins andere Extrem und wertet den Partner ab, ohne sich jedoch von ihm trennen zu können. Dann eskaliert das manipulierende Verhalten des Betroffenen, er zeigt sich schwach und hilflos, neigt z. B. zu Hypochondrie, Masochismus, Selbstverletzungen und Suiziddrohungen bzw. Suizidversuchen.

4.Symptom: Unangemessene Zornausbrüche

Borderline-Persönlichkeiten neigen zu häufigen Zornausbrüchen, die in ihrer Intensität oft nicht oder kaum kontrolliert werden können und zeitweilig auch zu körperlicher Gewalt führen. Diese Zornausbrüche stehen in ihrer Intensität in keinem Verhältnis zu den auslösenden Ereignissen und basieren vielmehr auf einer massiven Angst vor Enttäuschung und dem Verlassenwerden.

5.Symptom: Selbstverletzungen, Suizidversuche

Borderline-Persönlichkeiten suchen Entlastung von einem extremen inneren Druck. Weil sie diese Entlastung im Alltag nicht finden, zerschneiden sie sich die Arme, drücken Zigaretten auf ihrem Körper aus, verweigern die Nahrungsaufnahme oder essen bis zum Brechanfall und schlucken Alkohol und Tabletten bis zur Besinnungslosigkeit.

Wiederkehrende Suiziddrohungen/-versuche sowie Selbstverletzungen zählen ebenfalls zu den typischen Borderline-Symptomen. Sie finden ihren Ausdruck z. B. in selbstbeigebrachten Schnitt- und Stichverletzungen an Gliedmaßen, Rumpf und Genitalien oder durch Exzesse mit Drogen, Alkohol und Nahrungsmitteln. Meist beginnt die Selbstverletzung als impulsive Selbstbestrafung, entwickelt sich aber nach und nach zu einem einstudierten und ritualisierten Verhalten. Suiziddrohungen/-versuche und Selbstverletzungen sind unterschiedlich motiviert und können z. B. wie folgt interpretiert werden:

imageVersuch, erlittenen psychischen Schmerz mitzuteilen

imageHilferuf

imageSelbstbestrafung

imageBestrafung nahestehender Menschen

imageAblenkung von anderen Leidensformen

imageAbbau von Angst, Zorn oder Traurigkeit (als Entspannungstechnik).

6.Symptom: Fehlen eines klaren Ich-Identitätsgefühls

Borderline-Persönlichkeiten leiden unter einer andauernden Identitätsstörung, die sich z. B. auf die Bereiche Selbstbild, sexuelle Orientierung, Berufswahl, langfristige Ziele, Wertesystem und Art der gewünschten Partner/Freunde erstrecken kann. Sie fühlen sich z. B. in ihrer Rolle als Mann oder Frau nicht wohl, meinen, nicht liebenswert und einfach nur nutzlos zu sein.

Den Betroffenen fehlt deshalb ein konstantes Identitätsgefühl, sie akzeptieren ihre Eigenschaften wie Intelligenz und Attraktivität nicht als konstantes Gut, sondern als Eigenschaften, die immer wieder neu verdient und im Vergleich mit anderen beurteilt werden müssen. Das Selbstwertgefühl und die Fähigkeit zur Selbstachtung basieren bei der Borderline-Persönlichkeit deshalb nicht auf in der Vergangenheit erbrachten Leistungen, sondern auf aktuellen (Miss-)Erfolgserlebnissen und Feedback durch Dritte. Daraus resultieren oft übermäßiges Engagement und ein unrealistisches Streben nach Perfektion (mit entsprechenden Misserfolgserlebnissen), aber auch der häufige Wunsch nach Veränderung im Berufs- und Privatleben.

7.Symptom: Chronische Langeweile und Leere

Borderline-Persönlichkeiten leiden oft unter chronischen Gefühlen von Leere und Langeweile. Diese Emotionen werden sehr intensiv, oft verbunden mit körperlichen Empfindungen (z. B. Druck im Kopf, Spannungen in der Brust) erlebt. Die Suche nach Erleichterung von diesen belastenden Emotionen endet für die Betroffenen oft in impulsiven und selbstschädigenden Handlungen oder in enttäuschenden Beziehungen.

8.Symptom: Verzweifelte Bemühungen, die reale oder eingebildete Angst vor dem Verlassenwerden zu vermeiden

Wenn Borderline-Persönlichkeiten allein sind, verlieren sie aufgrund ihrer gestörten Ich-Identität häufig das Gefühl für die Realität ihrer Existenz. Erschwerend kommt hinzu, dass sie oft auch vorübergehendes Alleinsein als dauerhafte Isolation wahrnehmen. Borderline-Persönlichkeiten erleben deshalb immer wieder starke Angst vor dem Verlassenwerden durch nahestehende Personen. Diese Angst motiviert die Betroffenen, zu verzweifelten Bemühungen, dieses Verlassenwerden zu vermeiden. Dabei greifen sie auch zu extremen Mitteln (z. B. Selbstverletzung, Suizidversuche), um den nahestehenden Menschen unter Druck zu setzen, und führen auch schädliche Beziehungen (z. B. mit Gewalt-/Missbrauchserlebnissen) bis zur völligen Selbstaufgabe fort. Werden Borderline-Persönlichkeiten trotz dieser Bemühungen verlassen, durchleben sie meist intensive emotionale Krisen, in deren Verlauf die hier beschriebenen Symptome oft sogar noch verstärkt auftreten.

9.Symptom: Stressabhängige paranoide Phantasien oder schwere dissoziative Symptome

In schwierigen, unerträglichen Situationen gelangen Borderline-Persönlichkeiten in „dissoziative“, hypnoseähnliche Zustände. Borderline-Persönlichkeiten leiden gelegentlich auch unter psychotischen Episoden. Möglich sind beispielsweise pseudo-halluzinatorische Erlebnisse, Störungen in der Körperwahrnehmung und auf den Konfliktbereich beschränkte Denk- und Wahrnehmungsstörungen. Diese treten meist als Folge emotionaler Erregung auf und gehen, auch ohne Behandlung, in der Regel nach wenigen Stunden oder Tagen vorüber. Die Borderline-Persönlichkeiten erleben diese Episoden als ich-dyston (ich-fremd).

Bitte bedenken Sie, dass nicht jede Borderline-Persönlichkeit unter allen Symptomen leidet und diese bei jedem Betroffenen andere Aus-prägungen annehmen können!

Was ist eigentlich eine Identitätsstörung?

Was genau verbirgt sich hinter dem Begriff Identität? Dies lässt sich durch eine einfache Frage am ehesten definieren:

Wer bin ich?

Identität wird als Gefühl von Gleichheit und Beständigkeit erfahren. Der Begriff dient der Bezeichnung eines Gleichgewichts, einer Einheit zwischen dem Bild, das der Mensch von sich selbst hat und den sozialen Anforderungen und der Anerkennung im sozialen Umfeld. Die Ausbildung der Identität ist eine der wichtigsten Aufgaben im Prozess der menschlichen Entwicklung (Individuation). Danach muss der Mensch in der Beziehung mit anderen (Interaktion) lernen, einen Ausgleich zwischen seinen eigenen Bedürfnissen und Interessen und denen seiner Bezugspersonen herzustellen. In einem lebenslangen Prozess wird dabei Identität entwickelt, gefestigt und verändert.

Der Begriff Identität besagt, dass ein Mensch zu einer geschlossenen Einheit heranwächst. Erst der innere Gleichklang ermöglicht ihm ein wirkungsvolles Auseinandersetzen mit seiner sozialen Umwelt. Inmitten des Wechsels der eigenen Entwicklung und den Veränderungen der Umwelt dieselbe Person zu bleiben, macht Identität aus.

Durch sie definiert sich eine Person als einmalig und unverwechselbar und zwar in zweierlei Hinsicht: durch sich selbst und durch die soziale Umgebung. Was mich als Individuum wirklich ausmacht, hinterfrage ich also mit:

imageWer bin ich? (die Person, für die ICH mich selbst halte) und

imagewer bin ich für andere (die Person, für die ANDERE mich halten)?

Da Identitätsfindung ein lebenslanger Prozess ist, stellt sich jeder Mensch immer wieder diese Fragen und konfrontiert sich mit dem, was ihn ausmacht und mit dem, wie andere ihn daraufhin reflektieren. Die dabei entstehenden inneren Konflikte erzeugen immer wieder Spannungen, die im Fall, dass sie nicht wahrgenommen und gelöst werden, leicht auf andere projiziert werden. So kann es zu intrapersonellen (inneren) und als Erweiterung, zu interpersonellen (zwischenmenschlichen) Konflikten kommen.

Eine konstante Identität bedeutet auch, die Fähigkeit zu besitzen, völlig unabhängig von dem Urteil und den Bewertungen anderer zu agieren. Das Vertrauen auf eigene Instinkte und die Fähigkeit selbstverantwortlich und unabhängig zu handeln, macht frei von der Resonanz durch andere. Die Borderline-Persönlichkeit sieht sich aufgrund Ihrer fehlenden Identität jedoch als abhängig vom Feedback ihrer Mitmenschen. Je nach deren Spiegelung erfährt sie sich selbst als wertvoll oder wertlos und idealisiert oder entwertet infolgedessen die Feedback-Geber. Diese als Schwarz-Weiß-Denken bezeichnete Verhaltensweise betrifft insbesondere eben jene Menschen, welche die Borderline-Persönlichkeit begleiten.

Partner und Angehörige …

Die Gruppe der Angehörigen unterteilt sich in diejenigen, die diese Beziehung frei gewählt haben (Partner) und in diejenigen, die durch verwandtschaftliche Bindung in einer Beziehung zu dem Betroffenen stehen (Eltern, Kinder, Geschwister…).

Die Rolle des Partners ist von der des Angehörigen, der in einem verwandtschaftlichen Bezug zu dem Betroffenen steht, zu unterscheiden. Die Beziehung wurde durch den Partner frei gewählt, wohingegen Angehörige wie Eltern, Geschwister oder Kinder, im Gegensatz zum Partner, nicht oder nur eingeschränkt ausweichen oder die Beziehung beenden können. Diese Differenzierung ist notwendig, da jeder dieser Personenbereiche, trotz einer gewissen Grundproblematik, mit unterschiedlichen Problemen konfrontiert ist.

Partner von Borderline-Persönlichkeiten haben die Beziehung frei gewählt. Dies heißt nicht, dass sie auf Grund dieser Wahl „Schuld“ tragen an dem für sie destruktiven Beziehungsverlauf. Allerdings haben sie sehr wohl die Möglichkeit, ihrer Selbstverantwortung eher gerecht zu werden. Beziehungen die aus dem Hintergrund einer erwachsenen Persönlichkeit eingegangen werden, beinhalten weit mehr Potenzial für das Zurückweisen aufgezwungener Verantwortung durch den anderen. Hier findet sich zum einen eine Ressource, zum anderen aber auch ein oftmals belastender, isolierender Hintergrund. Die innerhalb der Beziehung entstehende emotionale Belastung wird oft von der Umwelt ungenügend reflektiert. Auf der Suche nach Hilfe, in Form von Empathie und verständiger Unterstützung, erfahren Partner oft eher Verständnis-losigkeit, Zurückweisung oder Desinteresse. „Dann trenn dich doch“ oder „selbst schuld, wenn du dir das bieten lässt“, hinterlassen allenfalls Isolation und Hilflosigkeit. Mangelnde Selbstwahrnehmung, fehlende Resonanz der Umwelt und der verantwortungszuweisende Einfluss der Borderline-Persönlichkeit verstärken diese Gefühle noch und forcieren eine zerstörerische Entwicklung der Beziehung, sowie der beteiligten Individuen.

„Es gibt Tage, da fühle ich mich völlig isoliert. Es gibt immer wieder Phasen, da ist Katrin kaum wiederzuerkennen. Sie provoziert Streit und lässt kein gutes Haar an mir. Die Drohungen, die sie mir dabei an den Kopf wirft, und die Schimpfwörter machen sie zu einer völlig Fremden. Ich habe nicht mal eine Ahnung, was dann in ihr vorgeht. Diese Ausraster sind manchmal kaum auszuhalten, und es scheint auch immer schlimmer zu werden, wenn ich mich dann zurückziehe oder in einen anderen Raum gehe.

Mit ihr zu reden hat aber auch keinen Sinn, sie lässt sich einfach nicht beruhigen. Sie kommt dann auch oft hinterher und schlägt mit dem Kopf gegen die Wand, wenn ich versuche, ihr auszuweichen. Es würde mir ja schon helfen, wenn ich mich mal jemandem anvertrauen könnte. Aber keiner glaubt mir, dass diese attraktive, redegewandte Frau sich so benehmen kann. Entweder heißt es: ‚Na wer weiß, was du wieder gemacht hast‘ oder ‚Schieß die Frau doch in den Wind, wenn sie nervt‘. Also so oder so, die Schuld bleibt an mir hängen, das fühlt sich einfach furchtbar an…“ (Frank, 32, Partner in zweijähriger Beziehung zu einer Borderlinerin).

Eltern