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ROBERT FEUSTEL / NANCY GROCHOL / TOBIAS PRÜWER / FRANZISKA REIF (HG.)

WÖRTERBUCH DES BESORGTEN BÜRGERS

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Robert Feustel: Studierte Politikwissenschaft und Geschichte in Leipzig und Madrid, wurde mit einer Kulturgeschichte des Rauschs 2012 promoviert und verdient seine Brötchen an der Universität Leipzig. Seine Interessen liegen im Bereich der politischen Theorie und der Wissens- bzw. Wissenschaftsgeschichte. Veröffentlichungen u. a.: »Grenzgänge. Kulturen des Rauschs seit der Renaissance«, »Die Kunst des Verschiebens. Dekonstruktion für Einsteiger«.

Nancy Grochol: Studierte Germanistik und Allgemeine Sprachwissenschaft in Leipzig und Reykjavik. Sie arbeitete in verschiedenen Forschungsprojekten. Mittlerweile ist sie freiberufliche Lektorin (mit dem Schwerpunkt Wissenschaft) und berät Unternehmen bei deren interner und externer Kommunikation. Nebenbei schreibt sie journalistische und sprachkritische Texte.

Tobias Prüwer: Studierte Philosophie und Geschichte in Leipzig und Aberdeen. Seit 2009 Theaterredakteur beim kreuzer. Wenn er nicht über Inszenierungsstrategien schreibt, beschäftigt er sich u. a. für Der Freitag, Jungle World, Nachtkritik und Jüdische Allgemeine mit Comics und Körperpolitiken, Heavy Metal und Arthouse, Essay und Kritik. Veröffentlichungen u.a.: »Humboldt reloaded. Kritische Bildungstheorie heute«, »Fürs Leben gezeichnet: Body Modification und Körperdiskurse«.

Franziska Reif: Studierte Linguistik und Anglistik und arbeitet als Autorin, Lektorin und Übersetzerin. Ihre Themen sind u. a. Arbeit und Geld, Industrie und Natur sowie sprachliche Phänomene jeder Art. Veröffentlichungen: mit T. Prüwer: »A wie Asozial. So demontiert Hartz IV den Sozialstaat«, mit Prüwer und Tim Tepper: »Weltnest Leipzig«.

© Ventil Verlag UG (haftungsbeschränkt) & Co. KG, Mainz 2016

Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage der erweiterten Ausgabe, Februar 2018

print-ISBN 978-3-95575-088-6
e-ISBN 978-3-95575-597-3

Cover: Oliver Schmitt

Ventil Verlag

Boppstraße 25, 55118 Mainz

www.ventil-verlag.de

Inhalt

!!1!1!! • 89 • Abendland • Abschiebeverhinderungsindustrie • Afrikaner • Ahu! • Alternative • Altmedien • Altparteien • Angst • Antifa • Antifa e.V. • Araber • Asylant • Asylforderer • Asylindustrie • Asylkritik • Atheismus • Aufwachen • Aussterben • Bahnhofsklatscher • BRD GmbH • Bürger • Bürgerwehr • Christentum • christlich-jüdisch • Cui bono? • D-Mark • Danke, Merkel! • Demokratie • deutsche Frau • deutsche Sprache • Deutschland GmbH • Diktatur • direkte Demokratie • Ehre • Entvölkerung • Erika • etablierte Parteien • Euro • Europa • Extremismus • Fachkräfte • Fake News • Fakten • Familie • Faschismus • Feminismus • Fernstenliebe • Ficki-Ficki-Fachkräfte • Flüchtling I • Flüchtling II • Flüchtlingsfrage • Flüchtlingskrise • Flüchtlingslawine • Flüchtlingswelle • Freiheit • fremd • fremd im eigenen Land • Frieden • Frühsexualisierung • Gastfreundschaft • Gefährder • Gemeinschaft • Gender • Genderwahn • Gewalt • GEZ • Gnadenrecht • Grenze • großer Austausch • Grundgesetz • Gummimuschi • Gutmensch • Heimat • Hyperrassismus • Identität • Integration • Invasionsarmee • Islam • Islamisierung • Islamkritik(-er) • Klartext • kleiner Mann • Kopftuch • Koran • Krieg • Kultur • Kulturbereicherer • Kulturkreis • Kulturmarxismus • Leitkultur • Lindwurm • links • Linksfaschismus • linksversifft • Lügenpresse • Maasmännchen • Mainstream • Manipulation • Männerhorden • Männlichkeit • Marionetten • Mauer • Maulkorb • Mausrutscher • Meinungsfreiheit • Merkeldiktatur • Merkeljugend • Metapolitik • Migrationshintergrund • Minderheitenterror • Mitte • Multikulti • Muslim • Nafri • Nation • Nazi • Nazikeule • Neger • Obergrenze • passdeutsch • Patriotismus • Plünderung • Plüschpimmel • Political Correctness • Polizei • prorussisch • Rapefugees • Rasse • Rassismus • rechts • Rechtsstaat • Reconquista • Schande • Scharia • Schießbefehl • Schreikinder • Schuldkult • Schweinefleisch • schwul • Sexismus • sichere Herkunftsstaaten • Smartphone • Sorge • Souveränität • Sozialamt der Welt • Spaziergang • Staat • Staatsversagen • Statistik • Straßenkampf • Südländer/Südeuropäer • Systemling • Tabubruch • Terror • Thymos • Toleranzfaschismus • Überfremdung • Umerziehung • Umvolkung • Untergang des Abendlandes • Unterhose • USA • Verfassung • Vernichtungskrieg • Verschwulung • Verteidigung • Volk • völkisch • Volksgemeinschaft • Volkstod • Volksverdünner • Volksverräter • Wahrheit • Weihnachten • Wende • Werte • Widerstand • Willkommenskultur • Wirtschaftsflüchtling • Zigeunerschnitzel • Zionisten • Zitate

Ein Volk, ein Reich, kein Syrer. Ein Gespräch mit Georg Seeßlen und Klaus Theweleit

Vorwort
oder: Die Logik der Eskalation

»Wir wollen keine Beteiligung am Diskurs, sondern ein Ende vom Konsens. Es geht nicht um Diskussionen, sondern um eine andere Sprache.« Glasklar artikuliert eine neurechte Kleinstgruppe, welches Feld Pegida-Spaziergänger und AfD-Wähler zusammen mit strammen Nazis und Rechtsauslegern der Volksparteien bestellen. Ein Gespräch ist nicht das Ziel jener Wutschäumenden, die von Politik und Medien zunächst als besorgte Bürger mit berechtigten Anliegen verharmlost wurden. Sie wollen aber nicht allein Interessen im Sinne eines demokratischen Grundverständnisses anmelden, sondern vorschreiben und Begriffe besetzen. Meinungshoheit statt Redefreiheit lautet der besorgte Treueschwur, auch wenn sie anderes behaupten.

Damit befinden wir uns mitten im Besorgtensprech, der Einzug in öffentliche Debatten und Parteien älteren Gründungsdatums gefunden hat. Nicht nur die Demonstranten, die sich als Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (Pegida) bezeichnen, oder die AfD machen sich beständig mit verräterischen Sprachwendungen Luft. Auch Mitglieder der Volksparteien wie Bettina Kudla, Veronika Bellmann (beide CDU), Horst Seehofer (CSU) oder Thilo Sarrazin (SPD) bedienen sich freizügig dieses Registers. Mit Umdeutungen, Erfindungen und rhetorischem Nebel entwickeln sich Denk- und Sprachmuster, in denen so manches umgekehrt und gegen den Strich gelesen wird: Da ist Deutschland Opfer, Diktatur oder GmbH, bilden geflüchtete Menschen eine Armee oder droht der Volkstod. Seit im Fahrwasser von Pegida Menschen auf die Straßen gingen, sind Verschiebungen in der Diskussionskultur zu beobachten. Parolen und Redebeiträge der Besorgten lassen den Seismografen nach rechts ausschlagen. Totgeglaubte Begriffe und Bilder erwachen zu neuem Leben, politische Semantiken laufen leer. Die Kunst der Agitation hat Konjunktur.

Es gab bereits einige Versuche, dem Besorgtenphänomen auf die Spur zu kommen, das langsam, aber ununterbrochen in den politischen Alltag einsickert. Im Osten Deutschlands spielt das Gefühl, abgehängt zu sein und nicht mithalten zu können, eine große Rolle. Die Nachwendedepression kippt in national gefärbten Unmut. Republikweit gesehen dominiert die Haltung des Angry White Man, der den alten White Trash zu neuem Leben erweckt und an der Dynamik der spätmodernen Gesellschaft scheitert. Der neoliberale Imperativ »Sei deines Glückes Schmied« zeigt hier eine seiner Schattenseiten. Seine Umkehrung (»Jeder ist seines Unglückes Schmied«) führt − gemeinsam mit einer völligen Überzeichnung von Individuum und Ego − zur verzweifelten Suche nach Gemeinschaft, in der man sich eine vermeintlich heile Welt alter Volksgemeinschaft erdichtet. Das ist so falsch wie nachvollziehbar.

Jenseits politischer Deutungsangebote geht es in diesem Buch um die Sprache der Besorgten. Die hat es in sich, nicht nur weil sie mit Eskapismus und derben Vereinfachungen glänzt. Die besorgte Sprache bedient sich auch jener Begriffe, die üblicherweise zum liberalen oder demokratischen Sprachgebrauch gehören. Parallel zur Selbsteinordnung als bürgerliche Mitte kursieren ganz selbstverständlich Worte wie Freiheit, Demokratie oder Gastfreundschaft. Der unstete Ort der Sprache liegt irgendwo zwischen Propaganda und dem Versuch, Klarheit zu stiften. Rhetorische Kniffe, um zu verschleiern und mitunter perfide zu gewichten, sind das eine Ende der Skala, Präzision das andere. Im Besorgtensprech allerdings zeigt sich ein selten gekanntes Ausmaß sprachlicher Wandlungen. Sie − unvollständig und selbst wertend − zu sammeln und zu kritisieren, ist das Ziel dieses Wörterbuchs.

In der Besorgtensprache lassen sich Systematiken erkennen. Einige fest im Gegenwartsdiskurs verankerte und unzweifelhaft positiv besetzte Begriffe werden integriert und dabei umgedeutet. Das schafft Anknüpfungspunkte und den Eindruck eines legitimen Anliegens. So reden die Besorgten unablässig von Wahrheit oder Demokratie, meinen damit allerdings ziemlich schräge Sachen. Demokratie ist dann die Tyrannei der »echten« Deutschen, um alle Formen von Minderheitenschutz bereinigt. Freiheit gilt dem biologisch gedachten Volkskörper und hat wenig mit individueller Lebensgestaltung zu tun.

Weil die Welt früher nicht so schlecht gewesen sei, wie der Mainstream uns glauben machen will, ist es für besorgte Bürger an der Zeit, längst aufgearbeitete und für ausgrenzend erklärte Begriffe zu reanimieren oder zu rehabilitieren, etwa Zigeunerschnitzel, Neger oder völkisch. In diesem Akt der Wiedereingliederung erkennen die Besorgten die vermeintliche Stärke, sich von der »Meinungsdiktatur« nicht länger in Schach halten zu lassen.

Ein weiterer Modus ist die Begriffsaneignung als radikale Umkehrung, zum Beispiel wenn Gida-Gegendemonstranten mit »Nazis raus!« angebrüllt werden. Die Antifa sind »Antideutsche Faschisten« und wir alle leben in einer »Meinungsdiktatur«, was auf den Kundgebungen ohne Störung behauptet wird. Die selbsternannte bürgerliche Mitte nutzt negativ besetzte Begriffe, um alle zu diffamieren, die nicht mitspazieren. So bestärkt sie für sich das wohlige Gefühl, auf der Seite der Guten zu stehen.

Die vermutlich größte Kraft der besorgten Sprache ist die Pauschalisierung. »Lügenpresse«, »Asylant« oder »Muslim«: Mit der Praxis, alle über einen Kamm zu scheren, gehen gefährliche politische Wertungen einher, die im Begriff selbst zum Tragen kommen. So macht es einen erheblichen Unterschied, ob man durchaus nötige Medienkritik übt oder sämtliche Presseorgane der permanenten Lüge bezichtigt.

Das alles findet als Mimikry eines Tabubruchs statt. Wer differenziert, verschleiere nur die wirkliche Dramatik der Lage. Wer nicht von Umvolkung oder Umerziehung spricht, mache sich einer Verklärung der Tatsachen schuldig. Faktisch allerdings stecken hinter angeblichen Tabubrüchen verbale Eskalationen und Diffamierungen, die sich über das angebliche Verbot selbst zur Wahrheit erklären. Diese perfide Logik ist aus antisemitischen Kreisen bekannt, wenn es beispielsweise heißt, man dürfe ja wohl Israel kritisieren − als hätte es jemals ein entsprechendes Verbot gegeben. Beständig werden die Pappkameraden Maulkorb und Tabu aufgestellt, um sich gegen Einwände unangreifbar zu machen.

An einigen Stellen kippt die Rhetorik offen nach rechts. Wer hätte vor ein paar Jahren gedacht, dass die irre Reichsbürgeridee, die BRD sei eine GmbH, weil im Personalausweis das alte Wort Personal steht, einmal so weite Kreise ziehen würde? Es wird verharmlost und verdreht, Verrohungen zum Klartext umgedeutet. Dabei ruft die besorgte Sprache vergleichsweise unverhohlen zur Gewalt auf, weil selbst heftige Abwertungen wie Notwehr und Selbstverteidigung wirken sollen − etwa Ficki-Ficki-Fachkräfte für angeblich massenhaft vergewaltigende Flüchtlinge. Im Zuge dieser Entzivilisierung und Entmenschlichung kommen Metaphern aus der Biologie wieder in Mode. Von Verseuchung oder Parasiten ist die Rede. Pegida-Mitinitiator Lutz Bachmann nannte Geflüchtete »Gelumpe, Viehzeug, Dreckspack«.

Sprachanalyse ist keine Oberflächenpolitur, weil es nicht egal ist, wie man Dinge benennt. Sprache schafft Realität. Es ist nicht gleichgültig, ob man von Geflüchteten redet oder wie Wolfgang Schäuble (CDU) Menschen als »Flüchtlingslawine« mit einer Naturkatastrophe gleichsetzt. In der Gruppe der Geflüchteten können Individuen und damit Unterschiede mitgedacht werden. Ein Schneerutsch ist eine tödliche Gefahr ohne Einzelschicksale. Der Kampf um die Wörter ist also nicht vom Kampf um die Dinge zu trennen, weil das Wort die (Be-)Deutung erschafft. Die Besorgtensprache zeigt sich so gesehen als eine Klaviatur stilisierter Angst, die längst in Hass und Gewalt umgeschlagen ist. In diesem Klima ist die Fähigkeit zur Argumentation zu Staub zerfallen. Einwände gegen das besorgte Denkgebäude werden als glatte Lüge oder als Irrweg eines vom Mainstream geblendeten Systemlings abgetan. Selbst einfache Fakten, etwa die tatsächliche Zahl der Muslime in Ostdeutschland, gelten nichts. Darüber steht die unbestimmte Angst, die als vermeintlich authentisches Gefühl noch die waghalsigsten Behauptungen untermauert. Agitation ersetzt Argumentation. Die Redner auf den Gida-Bühnen sind kaum auf konkrete Aussagen zu fixieren, ihre Behauptungen bleiben vage. Fürs Publikum reicht es: Bei jedem verhassten Namen, jedem Reizwort, zeigen die Zuhörer ihre Unzufriedenheit mit Buhrufen. Die Agitatoren beschreiten den altbekannten Weg der Verführung, auf dem sie beinahe beliebig Urteile und Wertungen verbreiten können, gewürzt mit dem Versprechen auf ein Erstarken der eigenen Bewegung.

Allenthalben werden mysteriöse Kräfte wie Ausländer oder Rot-Grün hervorgezaubert, die sich verbündet haben sollen und − über alle Differenzen hinweg − unerbittlich ein Ziel verfolgen: Die Auslöschung des wahren, biokulturellen Deutschlands. Das Volk, imaginiert als organische Einheit, werde zerstört, genauso wie Werte und Traditionen. Das Freund-Feind-Schema hat das Ruder übernommen, es klafft die schroffe und von der »realen Möglichkeit des Krieges« getriebene Unterscheidung zwischen einem bedingungslosen Wir und dessen Feind. Diese traurige Reanimation des Nazijuristen Carl Schmitt mitsamt seiner völkischen Kontur ist das Hintergrundrauschen, White Noise, aus dem White Power entspringt. Rechtes Gedankengut, verdeckt vom scheinheiligen Bild des tief besorgten Bürgers.

Gut gegen Böse. Statt des Ausgleichs verschiedener Interessen, dem Kern der Demokratie, sind Glaubenssätze angesagt, die − über Widersprüche erhaben − durchgeboxt werden. Die Nähe zwischen dieser Rhetorik und islamistischen Einlassungen ist dabei auffällig. Die Wucht besorgter Dogmen gleicht einem religiösen Eifer, nur dass die Transzendenz − das Himmelreich − nicht von Gott, sondern vom nationalen Mythos beseelt ist. In der Theorie heißt das strukturanalog. Während im religiösen Wahn einiger verwirrter Seelen das Wort Gottes jedes Mittel legitimiert, trägt eine nicht minder fantasierte nationalvölkische Illusion die besorgte Aggression. Gida-Spaziergänge sind Prozessionen zur inneren Erbauung. Und die sozialen Medien befördern dies. Sie dienen der Selbstvergewisserung, auf der Seite der Wahrheit zu flanieren, und bestärken das Gefühl der Innerlichkeit. Die eigene, besondere Sprache ist dabei wichtiges Vehikel.

Patriotisches, nationalistisches, xenophobes oder rassistisches Gedankengut und ein deutscher Opferkult sind nicht neu. Im Rahmen umgebauter, spätmoderner Kommunikationsstrukturen allerdings bekommt der Stammtisch ein anderes Gewicht. Er gewinnt mithilfe sozialer Medien Einfluss und schließt sich zu halb verschwörungstheoretischen Aussagenketten und Verweisstrukturen zusammen. Diese neuen digitalen Netzwerke produzieren einige Eigentümlichkeiten, die der Agitation genauso helfen wie selbstreferenziellen Glaubensmustern, also Verschwörungen. Die bereits im Wahrnehmungsapparat angelegte Tendenz, bevorzugt Informationen wahr und ernst zu nehmen, die ins eigene Weltbild passen − der sogenannte Bestätigungsfehler − wird bestärkt, weil sich gefilterte Subnetze bilden. Es handelt sich um beinahe isolierte Cluster, in denen nur Informationen geteilt werden, die ins Raster oder ins Ressentiment fallen. So erscheinen falsche Bilder und Vorstellungen wie die gezielte Umvolkung als seriöses Wissen. Der interaktive Charakter befeuert zudem die Gruppenpolarisierung: Was viele für wahr halten, muss stimmen. So etabliert sich ein Zerrspiegel der Realität, in dem üble Gerüchte in den Bestand objektiver Tatsachen rücken (von denen die Seite hoaxmap.org unzählige aufdeckt).

Die Skandalliebe eines heißgelaufenen Mediengeschäfts, das auf Echtzeit zusteuert, feuert die Debatte zusätzlich an. Was viel Aufmerksamkeit zu generieren verspricht, wird veröffentlicht. Der Logik der Eskalation folgend, bespielen die Agitatoren der Besorgten mit scharf gestellter Sprache und immer neuen Provokationen die Presse unaufhörlich und machen sich den Druck der Klickzahlen zu eigen. Noch die dreisteste Behauptung oder niveauloseste Beleidigung zieht weite Kreise. Gleichzeitig werden dieselben Medien als »Lügenpresse« diffamiert, was den Agitator in die Opferrolle versetzt und ihm in der Sphäre des Kontrafaktischen Spielräume eröffnet.

Ausrufe wie »Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!« werden zum nationalen Vaterunser, sowohl auf der Straße als auch in den Kommentarspalten, in denen sich noch der einsamste Pöbler in die Volksgemeinschaft integriert. Endlich Akteur, verbal und zunehmend auch praktisch. Diese selbstgebastelte Frontstellung führt in eine stilisierte Opferhaltung. Da sich in ihren Augen böse Kräfte gegen Deutschland verbünden, scheint jedes Mittel erlaubt. Wer sich in Notwehr wähnt, hat einigen Handlungsspielraum.

Dabei wird das politische Koordinatensystem außer Kraft gesetzt. Für rechts halten sich Besorgte zumeist nicht, selbst wenn sie rassistische Begriffe und Ansichten verbreiten und sich nach der alten deutschen Ordnung sehnen. Die Linken sind dafür Rechte, Linksfaschisten eben. Oder Extremisten, also das Böse gegenüber einer guten demokratischen Mitte, in der sich die Besorgten sehen. In dieser Denke formuliert Lutz Bachmann, dass »Pediga die bürgerliche Mitte« sei, um im selben Atemzug den neurechten Vordenker Götz Kubitschek als Redner anzukündigen. Die Besorgten sind also nur den Weg weitergelaufen, den ihnen die inzwischen fälschlicherweise zum Standard erhobene Extremismustheorie bereitet hat. Es gebe nur noch gute Demokraten, die sich gegen fiese Extremisten behaupten müssten, egal ob linke, rechte oder religiöse. Mit dieser rein formalistischen Abstraktion von politischen Inhalten werden etwa Faschismus und Antifaschismus als wesensgleich, weil vermeintlich undemokratisch, verhandelt. Die Besorgten springen auf diese zweiwertige Logik von gut (demokratisch) und böse (extremistisch) auf, mit dem Dreh, dass sie ihr völkisches Denken im guten Zentrum vermuten, während alle anderen als extremistisch abgestempelt werden. Dabei bedienen sie sich einer Sprache, die zwischen pseudodemokratischer Extremismusrhetorik und faschistischer Reaktion changiert.

Ein Unterschied zu den 1920er- und 1930er-Jahren ist sicherlich, dass es nicht mehr (oder noch nicht wieder) um Großdeutschland geht, sondern der deutsche Opfermythos perpetuiert wird. Die Schuldumkehr begann schon in den 1980ern, als Ernst Nolte den Holocaust als Reaktion auf die »asiatische Tat« der Sowjets umdeutete. Damals fing die »Entsorgung der deutschen Vergangenheit« (Hans-Ulrich Wehler) an, verbunden mit einem anschwellenden Opfergesang. Dresden ist in diesem Reigen länger schon Vorsänger, was zumindest einen Hinweis darauf gibt, warum gerade dort die Besorgten so laut tönen. Zur Opferrolle passt auch, dass die Konservative Revolution Vorbild ist, als hätte diese nicht gerade den Weg für den Faschismus bereitet. Die brutale Eskalation des Nationalsozialismus wird verbal den anderen untergeschoben, die den deutschen Volkstod herbeisehnen würden − von der Bundesregierung bis zur Antifa. Die Besorgten selbst sehen sich als Volk und Mehrheit, auch wenn Wahlergebnisse etwas anderes nahelegen.

Abschottung und Unterordnung bestimmen dieses Wunschbild. Das »Heute gehört uns Deutschland, morgen die ganz Welt« ist einem »Die ganze Welt muss draußen bleiben, damit uns Deutschland morgen wieder gehört« gewichen. Wiederholt stand auf einem Fronttransparent bei Pegida: »Heute tolerant, morgen fremd im eigenen Land!« Der alte Größenwahn hat einer Opferapokalyptik Platz gemacht. Die Besorgten halten sich für das letzte Aufgebot einer freien, national-autochthonen Welt, in der eine Kultur noch eine Kultur ist − selbst wenn nie von kultureller Homogenität die Rede gewesen sein kann. Als verhinderte Helden halten sie der Dynamik der Zeit nicht stand und klammern sich stattdessen an das pastellfarbene Bild eines früheren deutschen Dorfs, das es dummerweise so nie gab. Ein falsches Standbild alter Tage dient als Heilsversprechen.

So rückwärtsgewandt und krude die besorgten Parolen auch sind, der Zeitpunkt ihres Auftauchens ist dennoch nicht völlig überraschend. Seit Margaret Thatchers berühmtem Ausspruch, dass es so etwas wie Gesellschaft nicht gebe, sondern nur Männer, Frauen und Familien, sind Prozesse am Werk, die soziale Strukturen austrocknen und über alles eine Logik des Ökonomischen legen. Selbst geflüchtete Menschen werden zu Humankapital, was immer noch besser ist, als sie gleich erschießen zu wollen. Die restlose Dominanz des Ökonomischen hat zudem ein unternehmerisches Selbst hervorgebracht, das vermeintlich in vollständiger Eigenverantwortung sein Schicksal bestimmt. Dies heißt allerdings auch, dass das Individuum jedes noch so strukturbedingte Scheitern sich selbst anzulasten hat. Eine Bürde, die kaum zu tragen ist. Möglicherweise ist der besorgte Irrsinn eine falsche Antwort auf die totale Überforderung im Rahmen einer ökonomisierten Kultur, die häufig mit dem Wort Neoliberalismus umschrieben wird. Die Auflösung der Gesellschaft (oder des Sozialen) in kämpferische Einzelwesen provoziert die Sehnsucht nach Gemeinschaft und öffnet damit den Raum für falsche Projektionen und hasserfüllte Ausschlüsse. Weil für die neoliberale Kultur niemand so recht zur Verantwortung gezogen werden kann, kanalisiert sich die Wut auf Schwächere. Ein alter Mechanismus, der offenbar immer noch greift.

Parallel zur umfassenden Ökonomisierung ist zudem von einer wachsenden Krise der Demokratie die Rede. Das bekannte Spiel der Repräsentation geht nicht mehr auf, die Schäfchen wollen nicht mehr wie die Hirten. Dafür gibt es reichlich Gründe, die hier keinen Platz finden. Die Besorgten sind gewissermaßen nur radikalisierter Ausdruck einer europäischen Tendenz, die mit den drei Hauptfiguren Nationalisierung, Militarisierung und Dehumanisierung auftritt. Der Umgang mit Geflüchteten zeigt die Agonie der humanistisch-europäischen Idee − und die permanente Rede von der Krise offenbart die Doppelzüngigkeit dahinter. Sie wird herbeigeredet, um den Ausnahmezustand aufrechterhalten zu können. Eine Krise herzustellen und nicht zu bewältigen, erlaubt es, immer weiter mit Verweis auf außergewöhnliche Zeiten zu operieren und noch die bitterste Zumutung zu rechtfertigen. Der faktisch rechtlose und zum Objekt degradierte Flüchtling bekommt dies am deutlichsten zu spüren. Wichtig ist es, einem Missverständnis vorzubeugen, das beim Lesen des Wörterbuchs entstehen könnte: Wer Denken und Sprache besorgter Bürger kritisiert, ist noch lange nicht dicke mit Angela Merkel oder Sigmar Gabriel. Die globalen Zumutungen des Spätkapitalismus, einer robusten deutschen Hegemonie in einer tendenziell oligarchischen EU und eines europäischen Grenzregimes dürfen angesichts der reaktionären Gefahr der Besorgten keinesfalls aus dem Blickfeld geraten. Sie sind hier nur nicht Gegenstand.

Schließlich wäre es vermessen, besorgte Bürger selbst als Adressaten dieses Buchs aufzufassen. Dafür ist die Macht der Agitation zu stark, ergänzt vom Umstand, dass vor allem psychologische Muster von (vorgeschobener) Angst, von Frustration und Hass das Denken und Handeln der Besorgten tragen. Wer gegen Widersprüche und den nüchternen Blick aus dem Fenster derart resistent ist, wird für sachliche Argumente kaum zugänglich sein. Mit diesem Typus eines politisch übersetzten Psychogramms werden womöglich nur Psychologen fertig. Stattdessen stehen zwei andere Ziele im Fokus: Einerseits soll das Wörterbuch Argumentationshilfen liefern, um sich nicht im Dickicht besorgter Sprache zu verfangen. Zu viele ihrer teils abgedrehten Deutungen haben bereits Eingang in den normalen Sprachgebrauch gefunden. Bestes Beispiel ist das Wort Asylkritik, das harmlos einkleidet, was beinharte Ausgrenzungspraxis ist. Oder Flüchtlingskrise, die immer wieder hergestellt wird, statt sie einfach vorzufinden. Wenn es andererseits gelingen sollte, ein paar Leute davor zu bewahren, in die Falle besorgter Angstmacherei zu laufen, wäre schon viel gewonnen.

Dass manche Einträge länger, andere kürzer sind, hat keinen tieferen Sinn. Manche Texte beziehen ihre Beispiele aus sächsischen Verhältnissen, was dem Wohnort einiger Autoren geschuldet ist. Dabei steht Sachsen vielleicht Modell, einsam ist es dennoch nicht. In unterschiedlicher Häufung und Intensität lassen sich besorgte Muster überall finden. Auf unserem Blog (sprachlos-blog.de) werden sicherlich mit der Zeit weitere Begriffe erscheinen, die hier keinen Eingang gefunden haben. Es bleibt zu befürchten, dass die Bewegung der besorgten Bürger noch lange nicht am Ende ist. Dessen ungeachtet enthält der Blick auf ihre Sprache nicht nur Politisches, schon gar nicht trockene Theorie, sondern ist gern auch von Humor getragen.

Robert Feustel

Nancy Grochol

Tobias Prüwer

Franziska Reif

www.sprachlos-blog.de

!!1!1!!

Fünf Ausrufezeichen sind »ein sicheres Zeichen dafür, daß jemand die image Unterhose auf dem Kopf trägt«, witzelt eine Figur im Terry-Pratchett-Roman Mummenschanz. Ausrufezeichen müssen dazu herhalten, die Unmöglichkeit des Schreiens im geschriebenen Wort aufzufangen. Und weil die Frustration besorgter Bürger kaum zu steigern ist angesichts der image Manipulationen und Bedrohungen, die das deutsche image Volk erleiden müsse, ertönt jeder Satz mit zornbebender Stimme. Die Zahl der Ausrufezeichen markiert die Erregungsleiter. Zwei, drei wirken ruhig und besonnen. Ab acht wird die Wut anschaulich, bei 30 droht die Halsschlagader zu platzen. Die alte Kunst der Argumentation ist einem marktschreierischen Überbietungswettkampf gewichen: Jede noch so absurde Aussage beweist ihren Wahrheitswert anhand der Häufung einer Punkt-Strich-Kombination am Satzende. Die erregte Gesellschaft hat ihr Lieblingszeichen gefunden. Im Eifer des Gefechts und in Unkenntnis der Feststelltaste schleicht sich hin und wieder eine 1 ein, was der Angelegenheit beinahe einen typographischen Charme verleiht. Das wäre eine Randnotiz, würden die Besorgten nicht auf die Reinheit der deutschen Sprache pochen, die ein Ausrufezeichen nur bei einem Satz mit Imperativ vorsieht. Also wirklich selten. Und immer nur eins. [rf]

89

1989 war das Jahr, in dem mächtig was los war im Osten. Die Leute gingen in vielen Städten auf die Straße, riefen unter anderem »Wir sind das Volk« und am Ende gab es keine DDR mehr − so die verkürzte Wahrnehmung. Die wackeren Gida-Montagsspaziergänger meinen, Parallelen zur Gegenwart zu erkennen. »Ihr habt es geschafft, dieses Unrechtsregime dahin zu schicken, wo es hingehört, auf den Müllhaufen der Geschichte«, ruft Michael Stürzenberger am Jahrestag des Mauerfalls 2015 von der Leipziger Legida-Bühne. Und legt den Zuhörern nahe, es ein gutes Vierteljahrhundert später wieder so kommen zu lassen. Ähnliches schwebt auch Redner Graziano vor, der hofft, »dass wir alle gemeinsam es doch schaffen werden, dieses Regime zum Umdenken zu bringen, genau wie damals vor der Wende 1989. Sowas kann sich von heute auf morgen ändern und ihr wisst es: Das geht ruckzuck.« Weil ein Häufchen Getreuer in Leipzig alleine nicht in der Lage ist, derart Großes zu vollbringen, fallen die Namen von Städten, in denen der Protest ebenfalls lodert: Chemnitz, Duisburg und Kassel sind zu hören, Stendal, Goslar, Gera. Es seien viele »Patrioten« regelmäßig auf der Straße, »die dieses Regime nicht mehr länger ertragen können«. Im »Regime« und den abendländischen Protesten dagegen findet am selben Tag eine weitere Rednerin nicht nur Parallelen. Eigentlich sieht sie keine Unterschiede mehr zwischen früher und heute: Leute werden von Arbeitgebern und Kollegen wegen ihrer politischen Meinung schikaniert, die Kanzlerin ist eine ehemalige IM (image Erika), Parteien und Presse sind gleichgeschaltet. »Wir sind das Volk!« und »Merkel muss weg!« sekundieren die Zuhörer und sind sich sicher, dieses Regime knickt vor ihnen ein, wie 89 der DDR-Staatsapparat. [fr]

Abendland

»Abendland in Christenhand«: Vor einigen Jahren ging die österreichische FPÖ mit dieser Parole in den Wahlkampf, suggerierend, das Abendland befinde sich nicht mehr in christlichen Händen. Dann wäre es aber gar nicht mehr das Abendland, weil das dem Konzept nach nur christlich sein kann. Von der problematischen Verstrickung beziehungsweise Gleichsetzung von image Demokratie und gesellschaftlicher Verfasstheit mit Religion (image christlich-jüdisch) abgesehen, dient das Abendland bis heute als Abgrenzungsmetapher.

Ursprünglich bezeichnete das Abendland − Okzident − nur jene westlichen Lande der bekannten Welt, die der untergehenden Sonne am nächsten liegen. Der Nahe Osten wurde hingegen Morgenland − Orient − genannt. Von der geografischen Ordnungsvorstellung wurde das Abendland dann zum Kampfbegriff. Es soll irgendwie die antike Philosophie mit dem Christentum verschmelzen und damit einen über die Zeiten hinweg homogenen europäischen image Kulturkreis behaupten. Mit dem Begriff setzte sich das lateinische Christentum vom orthodoxen in Byzanz auf Distanz. Dann diente es als Konzept gegen die Angriffe der Türken, wurde gezielt gegen image Muslime verwendet; auch Juden waren lange außen vor. Bei Autoren wie Oswald Spengler (image Untergang des Abendlands) gerinnt es später zur Beschreibung eines ursprünglichen Europas, das von Kapitalismus und Demokratie im Westen und Kommunismus im Osten in die Zange genommen wird. So gerierte sich auch Adolf Hitler als Verteidiger des Abendlands. In Zeiten des Kalten Kriegs wird es − dann inklusive USA − als Wertegemeinschaft gebraucht, die vorm Ostblock zu verteidigen sei.

Allmählich verblasste sein Glanz, aber nicht ganz. Noch 1997 hielt der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl in einer Rede die Fahne hoch: »Lassen wir uns nicht von jenen beirren, die meinen, über den Begriff des ›christlichen Abendlandes‹ spotten zu müssen. Die Werte und Anschauungen, die unser christliches Abendland verkörpert, sind älter als die pseudophilosophischen Denkschulen unserer Zeit und werden auch noch zu einem Zeitpunkt bestehen, diskutiert und gelebt werden, an dem so manche der modernen Weisheiten und Wahrheiten schon lange vergessen sein werden.« Pegida hat das Wort wieder populär gemacht und seither trampeln auch viele Nichtgläubige unter dem Namen »Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« als wütende Demonstranten durch Dresden & Co. [tp]

Abschiebeverhinderungsindustrie

Man muss Rainer Wendt Respekt zollen. Kaum jemand sonst hatte sich derart festgebissen im deutschen Talkshowgeschäft. Woche für Woche polterte der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPoIG) gegen die aufgeklärte Welt und redete ihren Untergang herbei. Nur die ganz harte Hand könne noch helfen. Dabei gelang es Wendt, als Gesicht der ganzen Polizei aufzutreten, obwohl seine durchaus umstrittene Gewerkschaft mit 94.000 Mitgliedern deutlich kleiner ist als die Konkurrenz, die Gewerkschaft der Polizei.

In einem seiner rhetorisch sonst nicht ungeschickten Redeanfälle prägte er einen Begriff, den Besorgte dankbar aufnahmen: »Es gibt eine regelrechte Industrie für Abschiebeverhinderung«, schwadronierte er gewohnt bitterlich. Gemeint ist die tatsächlich recht seltene Praxis, eine Abschiebung etwa am Wohnort der Betroffenen zu verhindern, indem sich Menschen der Polizei in den Weg setzen. Diese müsste sich erst durch eine Gruppe hindurchprügeln, um die Abschiebung einleiten zu können, was unverhältnismäßig wäre.

Wendts Gefühlskälte ob der häufigen Differenz zwischen Recht und Gerechtigkeit − etwa wenn gut integrierte Menschen aufgrund absurder Gesetze in ein Land abgeschoben werden sollen, das sie gar nicht kennen − verwundert nicht. Das Maß der verbalen Eskalation dagegen schon. Klassischerweise bezeichnet Industrie eine Art des Wirtschaftens mit einem hohen Grad der Automatisierung: Maschinen, Fließbänder und Serienproduktion, womöglich am besten bebildert durch die dreckigen Fabrikhallen des 19. Jahrhunderts. Es braucht schon viel üble Vorstellungskraft, den Schutz einzelner Menschen durch schlichte Anwesenheit von Aktivisten mit einem solchen Begriff in Verbindung zu bringen. Das einzige Mal, dass an anderer Stelle das Wort Industrie in Bezug auf Menschen als Objekt (und nicht als Arbeiter) zur Geltung kam, war jener des »industriellen Massenmords« an Juden und Roma in Auschwitz und anderswo. Bleibt die Hoffnung, dass sich Wendt dieser Überblendung nicht bewusst ist und vorrangig seine Gier nach Aufmerksamkeit einen solchen Fehlgriff begründet. Zweifel daran allerdings sind angebracht. [rf]

Afrikaner

Afrikaner, tönte Björn Höcke von der AfD, hätten eine andere Reproduktionsstrategie als Europäer. In den nördlichen Breiten zeuge man weniger Kinder, um »die Kapazität des Lebensraums optimal ausnutzen« zu können (K-Strategie). Soll heißen, für Europäer gebe es keinen Grund, auch territorial zu expandieren, da alle genug Platz hätten. »Afrikanern« hingegen attestierte er, sie würden auf Kinderreichtum setzen, um die Bevölkerung möglichst stark anwachsen zu lassen (r-Strategie). Da all die Menschen aber Raum bräuchten, kämen viele aus Afrika nach Europa. Solange man sie hier aber aufnehme, würden sie nie lernen, nach der europäischen Strategie zu vögeln.

Höcke bedient sich in astrein rassistischer Manier bei der Biologie, wo es für die Tierwelt heißt, dass Säugetiere weniger Nachwuchs bekommen, um den sich die Eltern intensiv kümmern (K-Strategie). Bakterien, Läuse und Fliegen vermehren sich nach der r-Strategie: Eine hohe Reproduktionsrate sichert nicht das Überleben des Einzelnen, aber der Art.

Als Bakterien oder Läuse gelten »die Afrikaner«. In diesem falschen Sammelbegriff für sehr viele, sehr unterschiedliche Menschen eines ganzen Kontinents und in der widerlichen Überblendung von Menschen und Insekten drückt sich die bodenlos rassistische Abwertung des schwarzen Anderen aus. Wie zerrüttet muss das Selbstwertgefühl sein, wenn es solcher Argumentationen braucht, um sich überlegen und gut zu fühlen? [ng]

Ahu!

Die sinnentleerteste Besorgtenparole verbreiten die Hooligans gegen Salafisten (HoGeSa). Unter dem Schirmbegriff können sich Einzelpersonen oder Gruppen zu Aktionen (Demos, Straßenschlachten) ohne festen Organisationskern sammeln. Das dumpfe, im Endlosband wiederholte »Ahu! Ahu! Ahu!« ist der begleitende Kampfschrei, etwa als eine HoGeSa-Demo 2014 in Köln eskalierte. Der Schlachtruf tauchte wohl das erste Mal bei Fans des FC Hansa Rostock auf und machte dann die ganze Hoolrunde. Er entstammt der Comic-Verfilmung 300, die sehr frei die Schlacht bei den Thermopylen wiedergibt: An diesem Engpass haben Spartaner 480 v. u. Z. einer persischen Übermacht getrotzt. Muskelgestählte Männerkörper, inszeniert als Phalanx gegen die image Fremden, »Ahu!« dient als Ausweis ihres Intellekts. Das muss Fans der dritten Halbzeit gefallen.

Popkultur statt Politik: Auch die Identitären (image Identität) griffen zur Sparta-Inspiration, die Abkürzung via 300 ist wahrscheinlich. Ihr gelbes Signet Λ auf schwarzem Grund greift das Lambda-Zeichen auf, das die spartanischen Fußsoldaten auf ihren Schilden trugen. Als martialisches Symbol nutzt auch Tatjana Festerling, die ihre Hoolsympathie nie verhehlte, den Ruf. Angesichts des Merkel-Besuchs am 3. Oktober 2016 in Dresden geiferte sie: »Hier wirst du dein Blaues Wunder erleben! Deine Speichellecker, Hofschranzen und Schoßhündchen im Bundestag und bei der deutschen Presse mögen einen Nichtangriffspakt mit dir geschlossen haben − WIR NICHT! Im Gegenteil (…) stehen die Zeichen auf Attacke. Also, GröKaZ, trau’ dich − AHU!« [tp]

Alternative

Wenn etwas nicht so klappt, wie gewünscht, muss ein Plan B her. So ähnlich werden die Überlegungen gelaufen sein, als die AfD sich ihren Namen überlegte, der anzeigen soll, dass es hier um nichts Geringeres geht als um eine Alternative für das ganze Land. Angela Merkel betätigte sich als Thatcher-Double, erklärte Entscheidungen und Vorgehensweisen kurzerhand für »alternativlos« und alle machten mit oder schienen von der allgemeinen Agonie, die wie Mehltau über dem Land lag, so gelähmt, dass sie höchstens kopfschüttelnd Widerspruch leisteten. Es fehlten harte Kämpfe um Positionen und Visionen jenseits von Koalitionsfrieden und Schwarzer Null. Mit Begriffen wie Postpolitik oder Postdemokratie hatten solche Diskussionen um den Wechsel vom Politischen zur reinen Verwaltung der Welt auch in der Politikwissenschaft einige Wellen geschlagen. Es ist allerdings fraglich, ob die Vorstellung einer autochthonen Nation auf ihrer Scholle im frühen 21. Jahrhundert wirklich eine Alternative ist. Der Begriff Alternative steht im Rahmen der AfD eher für den wirklichkeitsfernen Versuch, die glücklicherweise überwundene Enge deutschen Biedermeiers wiederzubeleben (image Genderwahn).

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