Mag. Ingo IRKA: Studium der Psychologie und Philosophie an der Universität Salzburg und seit einigen Jahren unterrich-tender Professor am BORG Linz.

Ich möchte dieses Buch meiner ganzen Familie und meinenengsten Freunden widmen.

Ingo Irka

Endlich Raucher

Mein Weg in die Sucht

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Erster neuralgischer Punkt – Der genetische Zugang

1.1 Reise zum Mittelpunkt des Menschen – die menschlichen Gene

1.1.1 Die Erbgesundheitslehre (Eugenik) und ihre Folgen

1.2 Es war einmal ein Gen – kleine Geschichte der Genetik

1.3 Vererbung von Persönlichkeitseigenschaften

1.4 Studien zur genetisch bedingten Nikotinabhängigkeit

1.4.1 Die Habenula

1.4.2 Chromosomen und Genmutationen

1.5 Studienergebnisse aus der humangenetischen Zwillingsforschung

1.5.1 Exemplifizierung der Zwillingsstudien

1.6 Persönliche Relevanz der Genetik für meine Nikotinabhängigkeit

2 Zweiter neuralgischer Punkt – Der psychosexuelle Zugang

2.1 Die Krankenhausverlegung – never change a winning team!

2.1.1 Das Geburts-Nikotinabhängigkeits-Modell

2.2 Der psychoanalytische Zugang von Sigmund Freud

2.2.1 Die orale Phase

2.2.2 Die anale Phase

2.2.3 Die phallische Phase

2.2.4 Die Latenzphase

2.2.5 Die Genitalphase

2.3 Persönliches Resümee aus dem Phasenmodell von Freud

3 Dritter neuralgischer Punkt – Der verhaltenspsychologische Zugang

3.1 Der Spallerhof – meine Heimat, mein Zuhause, mein Viertel, mein Block

3.1.1 Meine Eltern – ein kurzer Abriss

3.1.2 Ringel Ringel Reihe – der Kindergarten Hertzstraße

3.2 Die Verhaltenspsychologie von Alfred Bandura

3.2.1 Das Prinzip des Modelllernens

3.3 Das persönliche Fazit aus dem Ansatz von Bandura

4 Vierter neuralgischer Punkt – Der soziologische Zugang

4.1 Ein Taferlklassler in der Volksschule

4.2 Die missglückte Fußballerkarriere – „Oh Madonna“ statt „Oh Maradona“

4.2.1 Auswirkungen des Fußballs auf die Familiensituation

4.3 The Rookie of the year – meine Anfänge im Tennis

4.3.1 Die familiäre Situation infolge des Tennissports

4.4 School’s out for summer - das BRG Landwiedstraße

4.4.1 Vom Lamm zum Wolf

4.5 Die soziologische Perspektive – Labeling Approach

4.5.1 Das Devianzmodell von Howard Becker

5 Fünfter neuralgischer Punkt – „The point of no return“

5.1 School’s out forever – Disziplin ist (nicht) alles

5.2 Lehrjahre sind keine Herrenjahre – meine Zeit als Großhandelskaufmann

5.3 Sommer, Sonne, Rauswurf – der erste Urlaub mit Freunden

5.4 Die Heimreise aus dem (un)gelobten Land

5.5 Wem die Stunde schlägt – The point of no return

6 Schluss

Anhang

Literaturverzeichnis

Vorwort und Danksagung

Rauchen ist ein Laster und noch dazu ungesund, das wissen wir alle. Und wir wissen auch, dass es mittlerweile genügend spezifi-sche (Fach-)Literatur gibt, die sich dieser Thematik widmet. Über-all werden Patentrezepte bereitgestellt, wie man sich dem Laster wieder entsagen könnte. Viele gute Tipps werden verteilt. Viele gute Ratschläge werden angeboten. Viel wird gepredigt. Zu viel, wie ich meine. Insofern schlägt das hier vorliegende Buch nicht in dieselbe, inflationär verwendete Ratgeberkerbe. Der Inhalt erhebt nicht den Anspruch jemand anderen zu belehren oder vom Rau-chen abzubringen. Es ist vielmehr ein persönlicher Versuch, sich das Laster „Rauchen“ mit dem Schreiben eines Buches über das Laster „Rau-chen“ wieder abzugewöhnen. Schreiben, als mögliche Therapieform für mein Raucherproblem, sozusagen. Schreiben über die Gründe des „Warum“ und „Wieso“. Warum bin ich diesem Laster verfal-len? Seit wann befinde ich mich in diesem Zustand? Wo könnte es passiert sein? Vielleicht finden sich ja mit den Antworten auch die Gründe, es wieder aufzugeben. Dieses Buch ist letztlich also das Resultat eines Versuchs. Nicht mehr und nicht weniger. Es er-forscht meine Vergangenheit und spiegelt in autobiografischer Form die potenziellen Stationen meiner Raucherkarriere wider. Angefangen von der Geburt, bis in die Jugendzeit. Es wird dabei versucht mithilfe von wissenschaftlichen Theorien die möglichen Beweggründe meines Beginns und meines Konsums zu untermau-ern. Und wer weiß, vielleicht ist solch eine geschriebene Zeitreise, noch dazu mit der Wissenschaft im Gepäck der Schlüssel zu mei-nem fortan rauchfreien Leben. Der Countdown läuft, Tick Tack, Tick Tack…

Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen bedanken, die mir wäh-rend des Schreibens zu Seite gestanden sind und mich unterstützt haben. Ohne sie wäre vielleicht alles anders gekommen:

Ein großer Dank gebührt an erster Stelle natürlich meiner Mutter und meinem Vater. Sie beide haben mich mit allerlei Informationen vergangener Tage und verloren geglaubten Erinnerungen „ver-sorgt“. Ihnen ist es anzurechnen, dass so manches Kapitel viel de-taillierter und exakter von mir bearbeitet werden konnte, als ur-sprünglich gedacht. Mit ihren vielen Erinnerungen an mein Leben haben sie den inhaltlichen Grundstein dieses Buches ganz klar mit gesetzt.

Der Dank gilt auch allen Freunden und Bekannten von mir, die ihr Gedächtnis für meine Zwecke geschärft haben und mit ihrem Zu-tun beim Aufarbeiten meiner Kindheitserlebnisse einige relevante Beiträge geleistet haben.

Weiter, möchte ich mich bei meiner Lebensgefährtin bedanken, die mich die gesamte Schaffenszeit über unterstützt hat. Und das, un-geachtet meiner Launen und zeitweiligen Blockaden. Ihr gutes Zu-reden und ihr offenes Ohr während so manchen zermürbenden Phasen mache ich mitverantwortlich für das schlussendliche Ge-lingen dieses Buches.

Und nicht zuletzt, möchte ich mich bei meinen beiden Söhnen, Ni-klas und Tobias bedanken. Sie haben mit der gefühlt hundertfach gestellten Frage: „Papa, warum rauchst du eigentlich?“, den Stein, dieses Buch zu schreiben schlussendlich überhaupt erst ins Rollen gebracht. Ohne ihre kindliche Neugier wäre meine eigene Neugier nach dem „Warum“ wohl mit dem ersten geschriebenen Wort be-reits wieder verraucht.

Ingo Irka

Einleitung

Stellen Sie sich vor, es ist Sonntag. Es ist ein eiskalter Win-termorgen. Die Uhr hat noch nicht einmal Sieben ange-zeigt und Sie liegen noch träumend in Ihrem warmen Bett. Draußen herrschen wieder Temperaturen weit unter dem Ge-frierpunkt und die Eisblumen an der Fensterscheibe lassen nicht so schnell auf Besserung hoffen. Einige vereinzelte Motoren brummen bereits durch die Morgenstille. Wahrscheinlich ein paar gute Väter, die dick eingemummt auf dem Weg zur nächsten Backstube sind. Ihre Frau ist auch bereits aufgestanden und gießt sich die erste Tas-se Kaffee ein, während sie in der Sonntagszeitung nach dem Kreuzworträtsel und dem Sudoku blättert. Hin und wieder hört man unten im Hof noch die letzten Katzen klagend Einlass in die Häuser suchen. Doch was man noch hört, an diesem kalten Mor-gen ist etwas ganz anderes:

Es ist etwas, das Sie nur allzu gut kennen. Etwas, das wie eine La-wine heranrollt. Ein Geräusch in Ihrem Kopf, das Sie am liebsten nie wieder hören würden. Und Sie merken, wie es Sie Stück für Stück aus Ihrem Schlaf reißt. Schneller und schneller. Es naht und immer lauter hämmert es in Ihren Gehirnwindungen. Bis Sie schließlich gar nicht mehr anders können, als Ihre Augen aufzu-schlagen, um sich mit einer Mischung aus Müdigkeit, Ärger und einer beträchtlichen Portion Willenlosigkeit die ersten, entschei-denden Fragen an diesem frühen Sonntagmorgen zu stellen: Sind von gestern eigentlich noch Zigaretten übrig geblieben? Habe ich am Abend nicht noch ein Päckchen gekauft? Wo habe ich meine Zigaretten hingelegt? Solcherart Fragen sind es, die Sie an dem Morgen hoch-schrecken lassen und den weiteren Weg des Tages vorgeben. Und erst mit der definitiven Beantwortung dieser Fragen wird sich her-ausstellen, ob diesem Sonntag eine gewisse Ruhe innewohnen wird oder ob auch Sie in den nächsten paar Minuten den Motor auf-brummen lassen. Sie werden dann auch dick vermummt Ihr Auto lenken. Aber nicht zum Bäcker, sondern zum Zigarettenautomat. Von diesem Umstand wird der Tagesbeginn maßgeblich abhängen. Die Parameter für einen guten Tagesbeginn sind bei Rauchern ja grundsätzlich wie folgt gesetzt: Zigaretten im Haus, guter Start in den Tag. Zigaretten noch im Automaten, der gute Start muss noch warten. Nur wenn Sie also noch schlaftrunken im dünnen Pyjama das wärmende Bett verlassen; wenn Sie bei Minustemperaturen vor dem Frühstück oder Zähneputzen in dicken Pantoffel den spiegelblanken Weg auf die Terrasse suchen; wenn Sie das Feuer-zeug bereits im Anschlag halten; wenn Sie die Zigarette anzünden, um schließlich den ersten Lungenzug des Tages zu machen, dann verspricht es im Sinne des Rauchers auch ein annehmbarer Feiertag zu werden. Alles andere wäre für Sie das, was man einen ge-brauchten Tag nennt. Den offiziellen Beginn des Tages nicht wahr-genommen und selbst verschuldet erst auf halber Wegstrecke zu-gestiegen. Nun denn, um die Anfangsfrage nochmals aufzugreifen: Können Sie sich solch ein beschriebenes Szenario vorstellen? Ein Tag, an dem Ihr persönliches Wohl und Wehe sich streng genom-men auf nur einen einzigen Faktor reduzieren lässt: Die Verfüg-barkeit von Nikotin! Falls nicht, dann haben Sie zumindest in die-ser Hinsicht bereits etwas richtig gemacht und nie mit dem Rau-chen begonnen. Wenn Sie sagen, dass es eine für Sie nicht nach-vollziehbare Situation ist, dann haben Sie eine durchweg kluge Entscheidung gefällt. Nämlich dem Nikotin bzw. Tabakkonsum von je her abzuschwören und auch niemals damit anzufangen. Zu diesem Entschluss möchte ich Ihnen an dieser Stelle gleich ganz herzlich gratulieren!

Wie sieht es aber aus, wenn Sie sich nicht zu jener Personengruppe zählen? Wie sieht es aus, wenn Sie zu jenen zählen, die geradewegs etwas zutiefst Autobiographisches in dieser Vorstellung eines typi-schen Rauchermorgens festmachen? Was, wenn Sie sogar wissen, dass Irrationalität Ihren Verstand an solchen Morgen mit einem einzigen Gedankenzug Schachmatt setzt. Dann lassen sich in wei-terer Folge eigentlich nur noch zwei Optionen darlegen: Entweder Sie sind nach wie vor selbst Raucher und gehören damit zu den weltweit etwa 930 Millionen Tabakkonsumenten.1

Oder aber Sie gehören der Minderheit der ehemaligen Raucher an. Betroffene, die sich dieses Laster abgewöhnen konnten. Rauchfrei nach Rauchzwang, Entwöhnung nach Angewöhnung, Lebensquali-tät und nicht Lebensqual. Diese Menschen kennen beide Seiten der Medaille. Sie haben bereits in die Abgründe menschlichen Rauch-verhaltens geblickt und es dennoch geschafft, ihr Leben endlich wieder rauchfrei aufzustellen. Ob dies nun mit externen Hilfsmaß-nahmen geschehen ist (Verhaltenstherapie, Akupunktur usw.) oder letztlich ohne Fremdhilfe ist dabei unerheblich. Was unter dem Strich zählt ist nur die Tatsache, dass man seinem Willen, dem Rauchen abzuschwören konsequent nachgegangen ist. Die Sonnta-ge kann man nun wieder ganz suchtfrei in Angriff nehmen. Ohne den quälenden Gedanken an die unverzichtbare Morgenzigarette im Pyjama.

Welcher dieser drei Gruppierungen ich mich fortan zugehörig füh-len möchte, dürfte nach all dem bisher Gesagten wohl nicht mehr allzu schwer zu erraten sein. Ganz recht, es ist natürlich die letzte Gruppe – die ehemaligen Raucher. Alle, die nach einer mühevollen Phase der Einsicht endlich wieder den klaren Weg der Nichtrau-cher beschreiten. Ich selbst bin mittlerweile 43 Jahre alt. Jünger wird man nicht! Die ersten kleinen Wehwehchen stellen sich auch bereits ein. Ich denke, es ist an der Zeit, eine andere Richtung ein-zuschlagen. Ein Sünder, der wieder auf den Pfad der Gerechten zurückfindet und mehr Anerkennung und Respekt erfahren sollte, als jene, die zeitlebens immer gerecht waren.

Doch wie kann man dem Mammutprojekt „Rauchfrei“ den nötigen Vorschub leisten? Wie kann man wieder zurückfinden auf diesen Weg der Gerechten? Soll man sich künftig vor dem blauen Dunst durch Hypnose fernhalten? Soll man sich die Ohrläppchen löchern lassen? Mit den Heilansätzen der Akupunktur das Nikotinverlan-gen einzudämmen versuchen? Macht es Sinn, sich Tabakpflaster aufzukleben oder sich mittels Softlaser behandeln zu lassen?

Oder sollte man sich vielleicht auf etwas völlig Neues, anderes ein-lassen? Auf etwas Selbsttherapeutisches. Etwas, das neben der Verwendung konventioneller Hilfsmittel die Möglichkeit auf Er-folg langfristig noch mehr steigen lässt. Etwa ein Buch zu schreiben über das Rauchen? Die Inspiration und Intention hierfür könnten lauten: Mit jedem Wort, das ich mir von der Raucherseele schreibe, wird der Körper gesünder und reiner. Und wenn schließlich ein ganzes Buch geschrieben ist, dann hat sich alles Teer und alles Ni-kotin der Lunge gewandelt in beschriebene Seiten. In schwarze Buchstaben und Wörter. Und mit dem letzten teergetunkten Wort, der endgültigen Zeile der Rauchergeschichte, hat man auch das Rauchen endgültig aufgegeben. Nie wieder eine Zigarette. Kein Tabak, der die Lippen je wieder berühren wird, denn das Buch ist beendet und es findet sich kein Platz mehr darin. Diese Vorstellung hätte doch etwas Erhabenes und Schönes. Und je mehr man über diesen Gedanken nachdenkt, desto mehr kann man sich mit ihm auch anfreunden. Nikotinpflaster am Körper, Akupunkturstäbchen im Ohr und bereitwillig am Schreibtisch sitzend und sich den gan-zen Dreck von der Seele schreibend. Es hat sogar etwas Tröstendes und Motivierendes zugleich. Vielleicht habe ich wirklich gute Chancen mich selbstfindend im Akt des Schreibens meiner Sucht sukzessive zu entsagen. Nicht das Lesen, sondern das Schreiben eines Buches über das Rauchen als therapeutische Alternative. Schreiben als Entwöhnungskur! Hört sich doch gewinnbringend an und lässt einen im ersten Moment auch positiv gestimmt aufbli-cken. Der Computer zum Schreiben ist vorhanden. Die automati-sche Fehlerkorrektur ist eingestellt. Zeit und Ort des Schreibens können frei eingeteilt werden. Die Rahmenbedingungen wären also abgesteckt. Nichts stünde momentan dem Vorhaben im Wege. Diese subversive Stimmung weicht jedoch spätestens bei detaillier-terer Betrachtung der Sachlage. Bereits vor dem ersten Tastenan-schlag sieht man sich nämlich plötzlich mit ganz anderen Proble-men konfrontiert:

Wie geht man an solch ein Buch überhaupt heran? Wie nähert man sich dem Themengebiet, welche Quellen wählt man? Jede getroffe-ne Entscheidung kann ja den Tod von Millionen anderer Möglich-keiten bedeuten. Doch vor allem: Mit welchen Inhalten befüllt man so ein persönlich motiviertes Werk? Es existieren doch bereits mannigfaltig Bücher, die sich der Problematik des Rauchens angenommen haben. Nikotinratgeber, medizinische Fachliteratur, wis-senschaftliche Arbeiten und vieles mehr. Wie also sollte mein per-sönliches Entwöhnungsbuch ausschauen? Eines ist klar, die The-matik, mit der ich mich während dem gesamten Prozess über be-schäftige muss eine andere sein, wie in den zahlreichen Ratgebern und Gesundheitsblättern. Die kenne ich zur Genüge und sie ver-fehlen bei mir das Ziel allesamt, allemal. Es muss also etwas Neues her. Etwas nicht so Profanes, als man es bis jetzt von der Alltags-lektüre über das Rauchen kennt. Und ich denke, ich habe nach ei-nigen Überlegungen auch einen ersten Zugang zu meinem Buch gefunden. Es sieht doch so aus: Wenn man alles bisher Erschienene zur Thematik des Rauchens bzw. der Nikotinabhängigkeit zusam-menfasst, dann wird einem als Leser eines sehr schnell klar: Ein einziges Schlagwort gibt das Diktum in all diesen Büchern vor, nämlich jenes des Aufhörens. Das Aufhören mit dem Rauchen ist in jedem dieser Bücher das zentrale Element. „Aufhören“, hier mit Nikotin. „Aufhören“, da mit dem Rauchen. Aufhören! Aufhören! Aufhören! Dabei werden unzählige gute und rationale Gründe angeführt, weshalb man sich als Raucher von seinem Laster tren-nen sollte. Einige dieser Bücher versprechen eine Rauchabstinenz bereits mit dem Fertiglesen der jeweiligen Lektüre. Sätze wie:„ Wenn Du mit dem Rauchen aufhörst, dann wird sich Deine Le-benserwartung signifikant erhöhen“, „Wenn Du heute das Rau-chen aufgibst, dann bist Du in zwei Tagen ein völlig anderer Mensch“ oder „Rauchen kostet Dich jeden Tag viel Geld. Geld, das Du für andere Zwecke ausgeben könntest also hör auf damit“, sind allgegenwärtig. Und ja, alle diese Appelle strotzen nur so vor Rich-tigkeit und Vernunft. Und ja, ich möchte mich auch bedanken für diese weisen Worte. Doch Hand auf das Herz: Kann man einem nikotinsüchtigen Menschen überhaupt mit rationalen Argumenten begegnen? Es gibt doch nichts Irrationaleres als „Das Rauchen“ per se. Würde es diesbezüglich etwa großartig Sinn machen, einem Alkoholiker mit einem drohenden Leberschaden daherzukommen? Kann man fette Menschen dadurch kurieren, dass man ihnen einen Spiegel vor die Augen hält? Werden Zocker dadurch geheilt, dass man sie fortan von den Casinos wegzerrt und permanent an ihre verheerende, finanzielle Situation erinnert? Im Grunde genommen ist es vergebene Liebesmühe. Das eine oder andere Erfolgserlebnis im Einzelfall ist mit dieser Art und Weise vielleicht zu verbuchen. Jedoch dürfte die Anzahl derer, die auch weiterhin ihren Laster anhängen, doch ungleich höher sein (und bleiben). Folglich ist so etwas wie ein Patentrezept, mit dem ich mich vom Rauchen ganz einfach lossagen kann wohl nichts, als ein frommer Wunschgedan-ke. An meine Gesundheit oder die Finanzen zu appellieren, rüttelt mich nicht genug auf, um das richtige Bewusstsein für das Problem zu entwickeln. Selbst wenn noch so viele vernünftige Argumente für ein endgültiges Aufhören, für ein Beenden des Lasters Rauchen in das Feld geführt werden, so triumphiert doch in vielen Fällen die weitere Abhängigkeit des Homo Irrationalissimus.

Was also tun? Was kann man machen, um den unvernünftigen Geist zur Vernunft zu bringen? Kann ich mich selbst überlisten? Geht das überhaupt? Ein Buch über das Aufhören des Rauchens zu schreiben macht aus eben dargelegtem Grund wenig Sinn. Edle Ratschläge, wie: „Wenn ich mir das Rauchen aufhöre, dann werde ich mich wie neugeboren fühlen“, greifen nicht bei mir. Ebenso wenig reagiere ich aber auch auf Untergangsszenarien, die bei Fortdauer des Rauchens gepredigt werden. Düstere Prognosen, wie: „Wenn Du das Rauchen nicht aufgibst, dann hast Du in spätestens zwei Jahren Lungenkrebs“, führen bei mir sogar eher zu Reaktanz. Frei nach dem Motto: Und jetzt erst recht! Man kann es persönliche Irrationalität am Höhepunkt nennen.

Dies alles zugestanden wäre es in meinem Fall also vielleicht rat-samer, das Pferd von hinten aufzuzäumen und die Fragestellung einfach diametral zu formulieren. Sie würde nun nicht mehr lau-ten, wie man denn mit dem Rauchen aufhören könnte. Die bessere Frage hieße nun: Warum habe ich überhaupt angefangen zu rau-chen? Aus welchen persönlichen Motiven bin ich der Nikotinab-hängigkeit verfallen? Nicht die unzähligen Gründe, weshalb man das Rauchen aufhören sollte, sondern vielmehr die Ursachenfin-dung des Rauchens als OFF-Schalter des Lasters. Es ist eine Art umgekehrte Psychologie zu Zwecken der angestrebten Selbstüber-listung. Eine Herangehensweise, ähnlich der paradoxen Intention, wie der Wiener Psychiater Viktor FRANKL sie entwickelt hat.2

Bei dieser Spielart ist der Betroffene aufgefordert, sich in paradoxer Weise genau das herbeizuwünschen, wovor er eigentlich Angst hat. Diesem Wünschen eines an sich unliebsamen Zustandes liegt die Vorstellung zugrunde, auf diesem Weg ein Durchbrechen der bestehenden, sich selbst bestätigenden Teufelskreise zu erreichen. Wenn Sie etwa das Problem haben, als Manager oder Pädagoge bei Vorträgen leicht ins Schwitzen zu kommen, dann bringt es laut Frankl nichts, sich vor dem Schwitzen zu fürchten. Es bringt auch nichts, dagegen anzukämpfen und es mit aller Anstrengung ver-meiden zu wollen. Geistige Aufforderungen, wie „Ich darf heute keinesfalls vor dem Auditorium schwitzen“ oder „Ich denke heute nicht an mein schweißgetränktes Hemd“, funktionieren in der Re-gel nicht, um das unerwünschte Verhalten zu vermeiden. Ganz im Gegenteil. Es kann sogar passieren, dass die unliebsame Situation gerade durch diese suboptimale Strategie des Vermeidens erst ver-stärkt hervorgerufen wird. Der Betroffene wird erst recht so richtig zu Transpirieren beginnen. Je mehr er versucht der Schweißabson-derung durch eine gedankliche Ermahnung entgegenzuwirken, desto schlimmer wird es. In dieser Hinsicht verhält es sich in etwa, wie mit einem grün gefleckten Dinosaurier. Versuchen Sie auf kei-nen Fall an ihn zu denken. Erwischt! Sie haben an ihn gedacht. Ein Ding der Unmöglichkeit also. Je mehr man versucht nicht an ihn zu denken, desto großartiger scheitert man an diesem Vorhaben. Erst mit der Einsicht, sich selbst einen Widerspruch suggerieren zu müssen (dass man nämlich nur noch an den grün gefleckten Dino-saurier und an nichts anderes denken dürfe) könnte die Lösung des Problems darstellen. „Ich werde Euch allen heute bei meinem Vortrag einmal so richtig etwas „vorschwitzen“. So lange, bis es mir von den Achselhöhlen heruntertropft und mein Hemd von Schweißrändern gezeichnet ist!“ Das wäre demnach der richtige Weg.3

Ich selbst habe diesen Weg sogar bereits experimentell beschritten. Als der Sohn eines Bekannten von mir im Alter von sieben Jahren nach Monaten der Ermahnung und des guten Zuredens seiner Frau sich immer noch in die Hose gemacht hatte, war diese bereits am Resignieren. Nichts schien zu helfen. Weder tadelnde Worte noch rationale Aufklärung. Die Hose war beinahe täglich aufs Neue angepinkelt. Nicht ein bisschen, sondern richtig durchnässt. Dies war natürlich für alle äußerst unangenehm, vor allem wenn irgendwo in Gesellschaft der Sohn wieder unverhofft mit angepiss-ter Hose da stand. Vielmehr litt der Kleine aber selbst wohl am meisten unter diesen Situationen. Er urinierte sich ja nicht mit Ab-sicht an oder empfand in diesem Alter noch ein Wohlgefühl dabei mit der versifften Hose herumlaufen zu müssen. Es muss einen innerlich fast zerreißen zu erkennen, dass man keine Kontrolle über den eigenen Körper und die resultierenden Ereignisse hat. Was also tun, um dem nun ein Ende zu bereiten? Klare Sache, eine paradoxe Intervention musste her. Ich schlug meinem Bekannten also vor, ab jetzt den umgekehrten Weg zu gehen. Anstatt seinem

Eben diese Strategie könnte sich doch nun auch in meinem eigenen Raucherfall bezahlt machen. Ich darf also nicht mit dem Rauchen aufhören, sondern muss mich den Ursachen widmen, weshalb ich angefangen habe. So in etwa könnte die Annäherung an mein Nichtraucherleben beginnen. Mit diesem Zugang über das ver-kehrte Pferd entfernt man sich zusehends vom Hauptproblem. Man widmet sich vielmehr den Ursprüngen und lässt das Hier und Jetzt außen vor. Das Heil wird in der Entfernung gesucht, in einer nötigen Distanz zum Problem. Und genau damit könnte man der Lösung so nahe sein, wie nie zuvor.

Also entfliehe ich der Gegenwart und dem Druck, etwas aufgeben zu müssen. Stattdessen widme ich mich der unbelasteten Zeit in der alles angefangen hat. Mit anderen Worten: Ich reise in meine Vergangenheit zurück. Und zwar bis hin zu den Tagen, an denen sich die Weichen für mein späteres Leben gestellt haben. Ich werde versuchen, die Ursachen für den Wandel hin zum Raucher zu er-kunden und mir das „Warum“ vor Augen führen. Ich wiederhole: Nicht die Beendigung des Rauchens ist in den Fokus zu rücken, sondern schlicht die persönlichen Gründe, überhaupt damit be-gonnen zu haben. Was könnten meine Motive gewesen sein? Hat die Sucht bereits von Geburt an in mir geschlummert und nur da-rauf gewartet auszubrechen? Waren es gute Gründe? Waren sie es wert mit dem Rauchen zu beginnen? Oder waren sie es mit Sicher-heit nicht? Gute Fragen also auf die gegenwärtige Antwort.

Ich darf Sie also an dieser Stelle nun herzlich einladen, mit mir die-se Reise in meine Vergangenheit zu wagen. Hin zu den neuralgi-schen Punkten meines Raucherlebens. Was uns dort genau erwar-tet, kann ich Ihnen noch nicht ganz genau sagen. Doch wer weiß, vielleicht kann so manche Ursache Aufschluss darüber geben, wa-rum ich diesem Laster verfallen bin – und neben mir noch eine knappe Milliarde anderer Menschen auch.

1Wiederholungstäter dürfen der Einfachheit halber auch zu eben jener, zweiten Kategorie gezählt werden.

2Viktor Emil FRANKL (26. März 1905 in Wien, Österreich-Ungarn - 2. Septem-ber 1997 ebenda) war ein österreichischer Neurologe und Psychiater. Er begrün-dete die Logotherapie und Existenzanalyse, die vielfach auch als die „Dritte Wie-ner Schule der Psychotherapie“ bezeichnet wird. (Vgl. Viktor Frankl: … trotzdem Ja zum Leben sagen. Drei Vorträge. Deuticke, Wien 1946).

3Ähnliche Phänomene kann man auch im normalen Alltagsleben beobachten. Wenn es Ihnen beispielsweise in der Nacht nicht gelingt endlich einzuschlafen, dann haben Sie wahrscheinlich die falsche Strategie gewählt. Ihr Fehler ist, sich wahrscheinlich kontinuierlich vorzusagen, dass Sie jetzt endlich einschlafenmüssten. Und wenn Sie als Schüler vor lauter Nervosität vor einer Prüfung mit Durchfall und Übelkeit zu kämpfen hätten, dann würden Sie sich eintrichtern, dass sie diese Mal keine dieser Symptome haben dürften. Alles für die Katz! Die Erfolgschancen tendieren bei solchen Versuchen meist gegen den Nullpunkt. Sie werden nach wie vor das Polster nervös malträtieren oder als Schüler mit fahlem Gesicht die Kloschüssel oder ein Gebüsch aufsuchen. „Denken Sie paradox!“, würde hingegen Frankl Ihnen zurufen. „Sagen Sie sich vor, dass Sie jetzt in Ihrem Bett auf gar keinen Fall einschlafen dürften und mit aller Gewalt munter bleiben müssten. Oder freuen Sie sich mit all ihrer Kraft auf den nächsten Dünnschiss oder das fröhliche Erbrechen am Prüfungstag. Sehnen Sie diese Ereignisse in freudiger Erwartung sogar herbei. Sie werden sehen, Sie werden scheitern.“ Das alles würde Ihnen der Wiener Psychiater raten und ich kann Ihnen sagen, dass seine Herangehensweise wirklich Wunder bewirken kann.