Einleitung

Führungsseminare werden heute überall angeboten. Jede Firma legt Wert darauf, ihre leitenden Mitarbeiter zu schulen, damit sie effektiver zu führen verstehen. Allerdings geht es bei vielen Führungsseminaren mehr um Methoden als um die Voraussetzungen des Führens.

Wenn wir in der Regel des heiligen Benedikt nach Führungsmodellen Ausschau halten, so finden wir da einen anderen Ansatz. Es geht vor allem um die Frage, wie einer, der führen soll, beschaffen sein muss, wie er an sich arbeiten muss, um überhaupt führen zu können. Führung durch die Persönlichkeit ist für Benedikt das Wichtigste. Erst dann geht es auch um konkrete Hinweise, wie man führen soll.

In den meisten Führungsseminaren geht es um Schulung der Leitungsfähigkeit, um klare Zielsetzung, zielstrebiges Einsetzen der Mitarbeiter und Ressourcen, um schnelles Durchschauen der komplexen Zusammenhänge und um die richtige Entscheidungsfindung (vgl. Küng 349).

Benedikt beschreibt vor allem die Haltung und den Charakter dessen, der für das Wirtschaften des Klosters verantwortlich ist. Und er verliert nie das Ziel des Führens aus den Augen.

Das Ziel wird aber nicht in der Gewinnmaximierung gesehen, sondern im achtsamen Umgang mit der Schöpfung und mit den Menschen. Benedikt sieht das Ziel des Führens darin, dass im gemeinsamen Arbeiten das Haus Gottes erbaut wird, ein Haus, in dem Gottes Herrlichkeit durchscheint, ein Haus, in dem die Brüder (natürlich sind bei den Brüdern im Folgenden die Schwestern immer mit gemeint) miteinander in Frieden und in Freude zusammenleben und so Zeugnis ablegen für Gottes heilende und liebende Nähe.

Dieses Ideal erscheint auf den ersten Blick weltfremd zu sein. Aber bei näherem Hinsehen zeigt es gerade heute eine neue Aktualität. Viele Firmen haben eingesehen, dass es zu wenig ist, nur die Kosten zu senken und die Einhaltung der Arbeitszeit zu kontrollieren. Entscheidend ist, dass eine Firma über den engen Horizont der Gewinnmaximierung hinausschaut und einen Sinn in ihrem Wirtschaften erkennt.

Neben den vielen Büchern und Seminaren zum Thema Führung ist in den letzten Jahren ein anderes Thema in den Vordergrund getreten, das Thema der Wirtschaftsethik. Die Verantwortlichen in der Wirtschaft haben immer mehr eingesehen, dass es ohne ethische Grundsätze nicht möglich ist, ein Unternehmen zu führen.

Ethische Grundsätze sind etwas anderes als moralische Appelle oder moralistische Forderungen, die oft mit der Realität des Wirtschaftens nichts mehr zu tun haben. Was von der Kirche zum Thema Wirtschaftsethik gesagt wird, hat häufig diesen moralisierenden Unterton – und ist daher kaum hilfreich.

Der »Runde Tisch von Caux«, begründet von Frederik Philips und Olivier Giscard d’Estaing, erklärt die Notwendigkeit von moralischen Werten in den wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen:

Ohne sie sind stabile Geschäftsbeziehungen und eine überlebensfähige Weltgemeinschaft unmöglich.

Küng 336

Die Regel Benedikts moralisiert nicht. Sie stellt Grundsätze auf, nach denen der Abt (der Vorsteher der klösterlichen Gemeinschaft) oder der Cellerar (der wirtschaftliche Verwalter des Klosters) ihre Aufgabe erfüllen sollen. Sie zeigt Wege, wie die Führung den Menschen mit ihren Bedürfnissen und der Schöpfung mit ihren Ansprüchen gerecht werden und zugleich wirtschaftlich arbeiten und den Unterhalt vieler Menschen sichern kann.

Ich war selbst über dreißig Jahre lang Cellerar der Abtei Münsterschwarzach. Mit dem Blick des damals Verantwortlichen möchte ich nicht alle Aussagen der Regel Benedikts zum Thema Führung behandeln, sondern mich auf das Kapitel über den Cellerar beschränken. Es wird bei uns dreimal im Jahr beim Abendessen vorgelesen. Es ist für mich jedes Mal eine Gewissenserforschung, ob ich diesen Forderungen Benedikts gerecht werde.

Wenn ich jetzt darüber schreibe, so weiß ich auch, dass ich den eigenen Worten gegenüber zurückbleibe. Ich kenne die Versuchung, die Dinge schleifen zu lassen und Führung zu verweigern. Und ich kenne in mir auch den Drang, schnell zu entscheiden und die manchmal mühsamen Entscheidungswege zu überspringen. Trotzdem wage ich es, über die Führung nach der Regel Benedikts zu schreiben, nicht weil ich es so gut kann, sondern weil ich mich der Herausforderung stellen möchte, die für mich das Cellerarskapitel darstellt.

Die Worte Benedikts lassen mich nicht in Ruhe, mich immer wieder neu auf das manchmal beschwerliche, oft aber auch lustvolle Geschäft des Führens einzulassen. Je mehr ich mit den konkreten Aufgaben eines Cellerars beschäftigt bin, desto mehr spüre ich, wie realitätsnah Benedikts Worte sind.

Als Ergänzung zum Cellerarskapitel möchte ich auch auf das Kapitel über den Abt eines Klosters zurückgreifen, in dem ähnliche Grundsätze formuliert sind. Dabei möchte ich aber diese Sätze aus dem Cellerars- und Abtskapitel nicht nur für die Führung in klösterlichen Gemeinschaften oder in Pfarreien und kirchlichen Gruppierungen auslegen, sondern auch im Blick auf die vielen Firmen, mit denen ich zusammenarbeite.

In Gesprächen mit Firmenchefs und Bankdirektoren habe ich erfahren, dass die Gedanken der Regel nicht weltfremd sind, sondern durchaus auch uns heute anregen können, nach neuen Formen der Führung zu suchen. Bei Vorträgen haben Zuhörer mir öfter gespiegelt, dass sie diese Gedanken auch in ihrem Alltag anwenden können, obwohl sie keine Führungsposition in einem Unternehmen einnehmen.

Jeder von uns, der mit Menschen zu tun hat, ist zugleich »Führer« und »Geführter«. Eltern, die ihre Kinder erziehen, haben eine Führungsaufgabe. In jeder Gruppe gibt es Mitglieder, die führen, wobei die Rollen dabei durchaus wechseln können. Der eine führt, wenn es um finanzielle Dinge geht. Der andere übernimmt die Führung, wenn ein Fest auszurichten und ein Raum zu schmücken ist.

Wie gehen wir miteinander um, wenn wir die Führungsrolle übernehmen? Wie gehen wir in der Familie, in der Pfarrei, in der politischen Gemeinde, in den Betrieben, in der Gesellschaft miteinander um? Wie führen wir selbst, wie lassen wir uns führen, wie reagieren wir auf Menschen, die in einer Führungsposition sind?

Wir sind selbst dafür verantwortlich, wie wir uns führen lassen. Es liegt nie nur am Vorgesetzten, sondern immer auch am Untergebenen, welche Art von Führung er sich gefallen lässt. Daher ist dieses Buch nicht nur eine Anregung für Menschen, die führen, sondern auch für die, die geführt werden. Wie gehe ich mit meiner Führungsaufgabe und wie mit meinem Geführtwerden um? Wie weit kann ich durch meine Reaktion auf das Geführtwerden den Führungsstil der Verantwortlichen verändern?

Wenn wir die Führungsmodelle anschauen, die heute oft propagiert werden, so gehen sie häufig vom Modell eines mechanistischen Unternehmens aus, das fast maschinenähnlich strukturiert ist, das genaue Planungsmodelle, Organisationspläne und Kriterien für die Leistungsbewertung entwickelt. Aber solche Unternehmen sind oft seelenlos. Und die Führung beschränkt sich häufig darauf, möglichst viele Arbeitskräfte abzubauen, das Management schlanker werden zu lassen, die Fehlzeiten zu begrenzen und die Produktion ins Ausland zu verlagern, weil dort billigere Arbeitskräfte zu haben sind.

Doch dieses Führungsmodell, das davon ausgeht, »dass nur die Verschlankung der Betriebe und damit verbundene Massenentlassungen zu verbesserten Gewinnmöglichkeiten und so zu höheren Aktienkursen führen« (Küng 343), ist von Phantasielosigkeit und Seelenlosigkeit gekennzeichnet. In solchen Unternehmen macht es keinen Spaß zu arbeiten.

Demgegenüber gibt es andere Modelle von Unternehmen, die auf der Chaostheorie basieren:

Sind Kontrolle und Macht die bestimmenden Charakteristika mechanistischer Unternehmen, dann sind Spaß und Spontaneität die Merkmale chaotischer Unternehmen.

Secretan 57

Der Prototyp eines solchen chaotischen Unternehmens ist Microsoft. Einer der Leiter meinte von seinen Angestellten:

Wir können sie halten, weil sie bei uns einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen, nicht weil sie Geld brauchen.

Secretan 57

Benedikt hat ein anderes Modell. Er spricht vom Haus Gottes, das ein Kloster sein soll. Er meint damit nicht nur, dass die Mönche immer wieder in die Kirche gehen sollen, um zu beten, sondern dass auch durch die Arbeit dieses Haus Gottes errichtet wird. Interessant ist, dass ein führender Unternehmensberater in den USA heute vom Unternehmen als von einem »Heiligtum« spricht.

Er versteht darunter nicht einen Ort, sondern eine Einstellung. Ein Heiligtum meint eine Gemeinschaft von Menschen, die ihre spirituellen Ressourcen mobilisieren, die relevante Fragen stellen, die einander lieben, vertrauen, respektieren und eine gemeinsame Sprache sprechen:

Ein Heiligtum ist eine heilige Stätte, ein Ort, an dem wir allen dort befindlichen Personen und Dingen Ehrfurcht erweisen, ein Ort, an dem wir ... in Anmut und Würde leben und die Seele nähren.

Secretan 340

Und ein »Heiligtum« ist ein Ort der Heiterkeit, Inspiration und Liebe, ein Ort, an dem sich jeder persönlich entfalten kann, ein Ort, an dem unsere Seele angesprochen und beflügelt wird.

Wenn Benedikt vom »Haus Gottes« spricht, dann meint er damit auch eine Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern, die einander achten, in der jeder aufblühen soll, weil jeder eine unantastbare Würde hat. Dass das nicht weltfremd ist, sondern durchaus effektive Führung meint, die auch zu guten Gewinnen führen kann, zeigen heute neue Führungsmodelle, wie sie vor allem in den USA praktiziert werden. Für mich ist es interessant, dass das schon fast 1500 Jahre alte benediktinische Führungsmodell heute durchaus wieder modern ist und auf wichtige Fragen unserer Zeit zu antworten vermag.

Die Eigenschaften des Verantwortlichen

Das Cellerarskapitel beginnt mit den Worten:

Als Cellerar des Klosters wählt man einen aus der Gemeinschaft, der erfahren ist, von reifem Charakter, nüchtern und kein Vielesser, nicht hochmütig, nicht aufgeregt und nicht grob, nicht langsam und nicht verschwenderisch, sondern gottesfürchtig. Er sei der ganzen Gemeinschaft wie ein Vater.

Regel Benedikts 31,1f

Hier werden wichtige Eigenschaften des Cellerars genannt. Bevor über die Kunst des Führens gesprochen wird, wird die Persönlichkeit des Führenden beschrieben. Die Haltung, die Benedikt vom Cellerar fordert, setzt voraus, dass er durch die Schule der Selbsterkenntnis gegangen ist, wie sie die frühen Mönche beschrieben haben.

Wer führen will, muss erst sich selbst führen können. Er soll mit seinen eigenen Gedanken und Gefühlen, mit seinen Bedürfnissen und Leidenschaften zurechtkommen. Der frühe Wüstenmönch Evagrius Ponticus hat in seinem Buch »Praktikos« beschrieben, wie ein Mönch sich erst einmal selbst zu beobachten hat, um zu erkennen, welche Emotionen ihn antreiben, welche Bedürfnisse in ihm aufsteigen und welche Leidenschaften ihn bestimmen. Und dann ist es erforderlich, dass der Mönch den Gedanken und Gefühlen auf den Grund geht: Was wollen sie ihm sagen? Welches Grundproblem meldet sich in ihnen zu Wort? Was hat ihn verletzt? Was hindert ihn am klaren Denken?

Das Ringen mit den Leidenschaften, mit den neun logismoi, wie Evagrius sie nennt, ist die eigentliche Aufgabe des Mönches. Wer eine verantwortliche Aufgabe übernehmen will, muss sich erst dieser Selbstbildung gestellt haben. Denn sonst wird er seine Führungsaufgabe ständig mit seinen nicht eingestandenen Bedürfnissen vermengen. Und seine unterdrückten Leidenschaften werden seine Emotionen bestimmen und ihn an einer klaren Führung hindern.

Wenn eine Führungspersönlichkeit zwar die Instrumente der Organisation und Kontrolle beherrscht, aber persönlich unausgeglichen und unbeherrscht ist, kann sie in ihrem Unternehmen zwar kurzfristig Kosten einsparen, aber auf Dauer wird sie das Unternehmen mit ihrer Unreife infizieren und die Motivation der Mitarbeiter bremsen. Die nicht bewusstgemachten Bedürfnisse und Emotionen werden auf die Mitarbeiter projiziert. Es entsteht ein »Emotionsbrei«, der wie Sand das Getriebe eines Betriebes behindert. Was nicht bewusst angeschaut wird, wirkt als Schatten destruktiv auf die Umgebung.

Man braucht zum Beispiel nur die Erinnerungen von Edzard Reuter über seine Zeit bei Daimler-Benz zu lesen, um zu erkennen, wie viel Energie durch Eifersüchteleien und Rivalitätskämpfe, durch verdrängte Aggressionen und Unausgeglichenheit der Führenden verloren geht. Daher ist es richtig, dass Benedikt auf den Charakter des Leiters so großen Wert legt.

Erfahren sein

Die erste Voraussetzung für die Aufgabe der wirtschaftlichen Leitung ist, dass der Cellerar erfahren ist. Im Lateinischen heißt es sapiens, das heißt weise, einsichtsvoll.

Sapiens kommt von sapere, das schmecken, Geschmack haben, Verstand haben bedeutet. Wer die Dinge schmeckt, wie sie sind, wer über die Dinge nicht nur nachdenkt, sondern mit ihnen in Berührung kommt, wer sie mit seinen Sinnen erfasst, der wird weise. Er kennt die Dinge von innen heraus.

Weisheit ist dabei etwas anderes als Klugheit (prudentia). Weisheit hat immer mit Erfahrung zu tun. Das deutsche Wort weise kommt von wissen. Aber das meint auch kein äußeres Wissen, vielmehr hat Wissen von der Wurzel her mit Sehen und Erblicken zu tun. Weise ist der, der die Dinge sieht, wie sie sind.

Der Cellerar braucht nicht in erster Linie äußeres Wissen, sondern Weisheit. Er muss in Berührung sein mit der Wirklichkeit. Er braucht Geschmack, Gespür für das Richtige, für das, was ist. Er braucht Erfahrung mit sich selbst und mit den Menschen.

Menschliche Reife

Die zweite Voraussetzung sind die reifen Sitten oder der reife Charakter (maturis moribus). Das Wort reif kommt von der Frucht, die gereift ist und nun geerntet werden kann. Nur die reife Frucht schmeckt. Die unreife Frucht stößt bitter oder sauer auf.

Die Aufgabe des Cellerars setzt menschliche Reife voraus. Nur dann ist er für die, denen er vorstehen soll, genießbar. Er muss gereift sein durch Regen und Sonne und sich dem Leben gestellt haben. Indem er sich dem Regen und der Sonne aussetzt, der Hitze des Tages und der Dunkelheit der Nacht, wird der Keim, der in ihm steckt, langsam verwandelt.

Kriterien für die menschliche Reife sind die innere Ruhe, die Gelassenheit, das Ganzsein, das Einssein mit sich selbst. Wer mit seiner Mitte in Berührung ist, lässt sich nicht leicht verunsichern. Wer jedoch unreif ist oder unausgegoren, bei dem schleichen sich Verhaltensweisen ein, die den Menschen nicht guttun.

In den Schlagzeilen der Presse werden uns ständig Manager vor Augen geführt, die zwar viel Geld verdienen, aber unreif geblieben sind. Es ist auch heute noch eine berechtigte Erwartung der Mitarbeiter, dass sie von ihrem Chef menschliche Reife verlangen. Sonst sind sie nicht motiviert, von ihm Anweisungen entgegen­zu­­nehmen und sich von ihm herumkommandieren zu lassen.

Benedikt zählt auch einige Kennzeichen für einen reifen Menschen auf. Da ist einmal die Nüchternheit. Sobrius bedeutet nicht betrunken sein, nüchtern, der Wollust nicht ergeben, vernünftig, besonnen. Nüchtern ist der, der die Dinge sieht, wie sie sind, der sie nicht durch den Nebel seiner Betrunkenheit verfälscht. Nüchtern ist der, der den Dingen gerecht wird, der sachlich beurteilen kann, der sich nicht von Emotionen hin- und herreißen lässt. Viele sehen die Dinge nicht, wie sie sind, sondern durch die Brille ihrer verdrängten Bedürfnisse, ihrer Emotionen, ihrer Angst oder ihres Misstrauens.

Für Benedikt ist der, der den Dingen gerecht wird, ein reifer und spiritueller Mensch. Spiritualität ist nicht eine Flucht vor der Wirklichkeit, sondern gerade die Kunst, den Dingen gerecht zu werden, sie so zu sehen, wie Gott sie geschaffen hat. Wir meinen, das sei einfach. Aber wir erleben die Dinge so, wie wir sie sehen.

Und oft genug sehen wir die Dinge nicht richtig, wir machen uns vielmehr Illusionen von der Wirklichkeit. Wir leben in der Illusion, alles für uns ausnützen zu können. Wir leben in der Einbildung, die größten und wichtigsten Menschen zu sein. Dann hat alles nur uns zu dienen.

Wer so betrunken von seinen Illusionen durch die Welt geht, wird nicht wirklich führen können. Er wird vielmehr die, für die er Verantwortung übernommen hat, ins Verderben stürzen. Bei vielen Konkursen wird deutlich, dass die Verantwortlichen irgendwelchen Illusionen aufgesessen sind, dass sie nicht nüchtern die Realität eingeschätzt haben.

Edzard Reuter hat in seinen Erinnerungen immer wieder beschrieben, wie stark ein so großer Konzern wie Daimler-Benz von den Reibungsverlusten beeinträchtigt werden kann, die durch die Eifersüchteleien der Vorstandskollegen entstehen. Da hat jeder seine eigenen Vorlieben und kämpft dafür. Er gibt vor, dass er für die Sache kämpfe. In Wirklichkeit aber geht es um die eigene Macht, um die persönliche Eitelkeit und um die Anerkennung nach außen.

Wenn ein Vorsitzender nicht von reifem Charakter ist und sich nicht nüchtern für die Sache einsetzt, dann verwendet er seine Energie nur darauf, »das Entstehen von gegen ihn gerichteten Koalitionen im Keim zu ersticken, dafür aber Unverträglichkeiten zwischen Kollegen zu fördern« (Reuter 153).

So aber kann keine Führung gelingen. Die Energie dient nicht der Sache, sondern der eigenen Macht. Dann kann kein Team entstehen, sondern nur »eine gemischte Raubtiergruppe ohne Dompteur«, wie ein Bankier den Vorstand bei Daimler-Benz bezeichnete. In so einer Firma gehen die meisten Energien dadurch verloren, dass jeder nur um seine Macht und seinen Einfluss kämpft. Dafür sind dann alle Mittel recht. Man gibt die nötigen Informationen nicht weiter. Man lässt die anderen im Dunkeln und kocht nur an der »eigenen Suppe« weiter. Wenn es den Leitenden nicht um sachliche Auseinandersetzung, sondern um persönliche Eitelkeiten geht (vgl. 179), dann geschieht das auf Kosten der Firma, ja sogar der Gesellschaft. Dann geraten Tausende von Arbeitsplätzen in Gefahr, und um die Firma herum entsteht ein Gerangel um die ersten Plätze, aber kein Klima, das die Gesellschaft in positivem Sinne prägen könnte.

Der Tübinger Philosoph Otfried Höffe hat in seinen Buch »Moral als Preis der Moderne« Bausteine für ein ökologisches Weltethos erarbeitet, die den beiden Haltungen der Weisheit und Nüchternheit (Besonnenheit) bei Benedikt entsprechen. Für ihn sind die beiden wichtigsten ökologischen Tugenden die Gelassenheit und die Besonnenheit. Die Gelassenheit fordert Höffe »gegen die selbstüberschätzende Hybris der Wissenschaft« und die Besonnenheit »gegen die Maßlosigkeit von Technik und ökonomischer Rationalität« (Küng 330).

Die Nüchternheit, die Benedikt vom Cellerar verlangt, sieht die Dinge, wie sie sind, und setzt ihnen das Maß, das ihnen entspricht. Wirtschaften gerät heute leicht in den Sog der Maßlosigkeit. Man möchte immer weiter wachsen, immer mehr verdienen. Nur der weise und nüchterne Führer wird dieser Versuchung zur Maßlosigkeit widerstehen können und sich mit dem Maß begnügen, das für ihn und seine Firma angemessen ist.