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HANS ZIPPERT

ZIPPERT STEIGT AUF

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Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren bzw. Herausgeber und des Verlages ist ausgeschlossen.

1. Auflage

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Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT

Für Reinhold Messner, von dem ich alles gelernt habe

INHALT

Vorwort

1. Station – Feldberg

»Gipfel der Einkehr«

2. Station – Dollberg

»Kalt, kälter, keltisch«

3. Station – Erbeskopf

»Künstlerisch wertvoll«

Meine 16 größten Ängste

4. Station – Langenberg

»In der holländischen Besatzungszone«

5. Station – Friedehorster Park

»Etwas Besseres als der Tod?«

6. Station – Hasselbrack

»Im Reich der Rieseneule«

7. Station – Bungsberg

»Die Schneehölle Schleswig-Holsteins«

Nicht jeden ruft der Berg

8. Station – Helpter Berge

»Willkommen auf dem Mosquito Mountain«

9. Station – Großer Müggelberg

»Hauptstadtgipfel«

10. Station – Kutschenberg

»Eine Grenzerfahrung«

Statistik

11. Station – Brocken

»Mit Heines Pistolen auf Goethes Spuren«

12. Station – Wurmberg

»Zwergziegenstreicheln am Monsterrollerberg«

13. Station – Fichtelberg

»Im wilden Osten«

Was man nicht mitnehmen muss

14. Station – Großer Beerberg

»Rostbratwurst im Teufelsbad«

15. Station – Wasserkuppe

»Zwischenstation auf dem Weg zum Mond«

16. Station – Zugspitze

»Das ist ja wohl der Gipfel!«

Bergbilanz

Literatur

Danksagung

16 Abkürzungen für Eilige

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Ich wusste, ich kann es schaffen, als erster Mensch und Bielefelder die gefürchteten »16 Summits« zu bezwingen. Nötig waren dafür der Verzicht auf jegliches Training, disziplinloses Essen und eine möglichst oberflächliche Vorbereitung. Mir war klar, höchstens jeder dritte Handgriff muss sitzen, und wahrscheinlich sogar nicht mal der. Die Erstürmung der Gipfel erfolgte nach einem ausgeklügelten System: Ich bestieg niemals mehr als einen Berg pro Tag, und ich ging immer so lange weiter, bis ich oben war. An diesem Punkt sind viele meiner Vorgänger gescheitert. Ich begann den Gipfelmarathon in Baden-Württemberg und beendete ihn in Bayern, kletterte also vom Feldberg auf den Dollberg, und über den Erbeskopf und 12 weitere Berge gelangte ich schließlich auf die Zugspitze. Welche Erkenntnisse habe ich dabei gewonnen? Es gibt Berge, die rufen einfach nicht, und der Gipfel ist nicht immer der Höhepunkt.

1. STATION
FELDBERG

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GIPFEL DER EINKEHR

Baden-Württemberg ist ein wohlhabendes Bundesland. 67 Prozent der Einwohner wissen noch nicht einmal, wie man Armut buchstabiert. Jedes Neugeborene kommt mit einem Vermögen von 500 000 Euro zur Welt. Das ganze Land wird zweimal in der Woche durchgefegt, die Weinberge sind ordentlich gekämmt und die Mülleimer permanent geleert. Die Bevölkerung erbringt ständig Spitzenleistungen auf allen Gebieten, und da wundert es schon ein wenig, dass der höchste Berg des Landes nur 1493 Meter misst. Da hätte doch mehr drin sein müssen.

Man sollte aber bedenken, dass der Feldberg, beziehungsweise die Region, im Laufe der Erdgeschichte viermal herausgehoben und dreimal wieder abgetragen wurde. Er hat also einige Umbauten hinter sich und dabei möglicherweise an Höhe verloren.

Für ein Bundesland, das direkt von der Autoindustrie finanziert und gelenkt wird, ist der Feldberg, der auch als der »Höchste« gilt, enttäuschend schlecht erschlossen: Man muss den Wagen schon in 1260 Meter Höhe in einem Parkhaus abstellen. Der Weg zum Gipfel ist aber immerhin glatt asphaltiert, damit die elektrischen Mountainbiker bequem nach oben schnurren können. Das gestaltete sich gar nicht so einfach, denn der Feldberg ist reichlich bevölkert. Man hat von unten fast den Eindruck, er sei ausgelastet. Bis zu 1,5 Millionen Touristen werden jährlich gezählt, und ein Großteil davon scheint ausgerechnet an diesem sonnigen Montag unterwegs zu sein. Familien mit Kindern in jedem Alter, Senioren, Funsportler, Franzosen, Schweizer und Chinesen, alle wollen aufs Dach von Baden-Württemberg.

Ich warte auf eine Lücke und reihe mich dann in den Treck ein, der sich den Feldbergsteig emporwindet. Ich habe mich, wie Tausend andere auch, für diese Strecke entschieden, weil sie als »Premiumwanderweg« gelobt wird. Die Beschilderung ist hervorragend, aber nicht zu üppig, Hinweise stehen genau an den Stellen, wo man zu zweifeln beginnt, und informieren zuverlässig über die Ruhetage der Gasthöfe. Der Weg führt vorbei an gesperrten Bereichen – im Sommer ist das Betreten der Skipisten verboten, damit sie sich von den Strapazen des Winters erholen können.

Ein schmaler Pfad zieht steil nach oben, und nach 20 Minuten stehe ich vor dem höchstgelegenen Bismarckdenkmal des Landes, wahrscheinlich sogar der Welt. Es gibt über 70 Bismarckdenkmäler und knapp 150 Bismarcktürme in Deutschland, die man alle mal besteigen könnte, aber das gehört nicht hierher.

Das Bismarckdenkmal auf dem Seebuck ist eine recht schlichte Steinpyramide, die auf den ersten Blick wenig Ähnlichkeit mit dem »Eisernen Kanzler« hat, allerdings hatte der auch meistens einen sehr steinernen Gesichtsausdruck. Das Monument eignet sich als Kletterwand, und viele Kinder begreifen das, zum Entsetzen ihrer Erziehungsberechtigten, auch sehr schnell.

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Ein paar Hundert Meter von Bismarck entfernt erhebt sich der Feldbergturm, was für einige Verwirrung sorgen kann. Man befindet sich nämlich noch längst nicht auf dem Gipfel, sondern auf einem Vorberg, der es immerhin auf 1448 Meter bringt. Schweren Herzens verzichte ich auf die Besichtigung des einzigartigen Schwarzwälder Schinkenmuseums, denn ich will nach ganz oben. Noch zwei Kilometer muss ich auf asphaltierten Wegen Richtung Norden laufen, und dann stehe ich auf dem Gipfel, wo es jetzt, um elf Uhr, schon beängstigend voll wirkt.

Der Ausblick ist überwältigend, bei klarer Sicht könnte man den Montblanc erkennen, Eiger, Mönch und Jungfrau sowieso. Unmöglich, alles aufzuzählen, was man vom Feldberggipfel aus sehen könnte. Wahrscheinlich wäre es einfacher, sich darauf zu beschränken, was man nicht sehen kann, Bielefeld und Bochum beispielsweise. Der Gipfel befand sich ein Jahr im Besitz des Unternehmens Stuttgarter Hofbräu, das ihn auf einer Versteigerung erworben hatte und 1992 dem Schwarzwaldverein schenkte. Darauf weist eine Gedenktafel hin, und ich bekomme sofort Durst. Leider gibt es auf dem Gipfel keinen Ausschank, aber in erreichbarer Nähe ein erfreulich dichtes Netz von Gasthöfen. Ich entscheide mich für die Zastler Hütte, die tief unten im Zastler Loch liegt. Der Abstieg ist steil und spektakulär. Manchmal treffe ich mehrere Minuten keinen anderen Menschen und wähne mich bereits in einer Art Bergeinsamkeit, bis wieder fünf Wanderer um die Ecke biegen. Vor der Hütte ist jeder Tisch besetzt, an der Speisen- und Getränkeausgabe hat sich eine lange Schlange gebildet. Nach einer Viertelstunde Wartezeit bekomme ich für die Käsespätzle die »31« zugewiesen, während die Wirtin gerade unwirsch über Lautsprecher »die Nummer 14« ausruft und nebenbei einen Mann anbellt, der sich an einem Tisch mit der Aufschrift »Privat« festhält.

Ich habe mir zum Glück genug Bier bestellt und kann problemlos vierzig Minuten auf das Essen warten, denn ich sitze gemütlich in der Sonne und stelle mir mit wohligem Grausen vor, wie hier im Winter die Lawinen von den Steilhängen herunterdonnern. 2011 war die Hütte durch einen Felssturz sogar sechs Tage von der Außenwelt abgeschnitten, da genießt man die späten Spätzle gleich mit viel mehr Andacht und Wertschätzung.

Nach der vielleicht etwas zu ausgedehnten Rast geht es wieder steil nach oben, vorbei am Naturfreundehaus (Kaffee und Kuchen) und der Baldenweger Hütte (Montag Ruhetag) und dann über den wildromantischen Sägebachschlagsteig hinab zum Feldsee.

Wie nicht anders zu erwarten, ist der Feldsee ein Überbleibsel aus der letzten Eiszeit. Noch bis zum Jahr 2000 durfte man sich sogar abkühlen, aber inzwischen hat man sehr seltene Unterwasserfarne dort entdeckt, und es gilt ein generelles Badeverbot, an das sich, außer einer Stockente, auch alle halten, trotz der ungeheuren Hitze. Wahrscheinlich aber nur unter größter Willensanstrengung. Irgendwie kommt es mir so vor, als würden einige Wanderer fast hasserfüllt in die Fluten starren, wo sich irgendwo in der Tiefe die seltenen Farne ins Fäustchen lachen. Ich umrunde den See einmal und steige dann in Serpentinen Richtung Feldbergbahn nach oben, wo mich bereits die Seebuck-Hütte mit einem ausgezeichneten Hefeweizen aus der Region erwartet.

Ich muss sagen, ich hätte nicht erwartet, dass ich meinen ersten Gipfel unter so großer Beteiligung der Bevölkerung besteigen würde. Bis auf ein paar sehr enge Stellen mit Gedränge hat es mich nicht gestört. Die Landschaft ist so außergewöhnlich schön, die Ausblicke sind so unvergleichlich, da wäre es nicht nur unrealistisch, sondern auch undemokratisch, wenn man das alles ganz allein genießen wollte.

FELDBERG

1.493 m

Start: Parkhaus an der Feldbergbahn-Talstation

Gipfeleinkehr: Nicht möglich, aber unterhalb des Gipfels warten viele gut ausgeschilderte Hütten auf den Besucher.

Streckenverlauf: Immer der Beschilderung »Feldbergsteig« folgen. Es sind zahlreiche Abkürzungen oder Verlängerungen möglich. Von Hinterzarten über den Emil-Thoma-Weg oder vom Notschreipass über den Stübenwasen mit einem »alpinen Steig« als besonderen Nervenkitzel.

Strecke: ca. 13 km

Dauer: 4,5 h

Höhendifferenz: 590 m

2. STATION
DOLLBERG

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KALT, KÄLTER, KELTISCH

Das Saarland ist eines der vielen Problembundesländer der Bundesrepublik Deutschland, die, abgesehen von Hessen, Bayern und Baden-Württemberg, eigentlich nur aus Problemprovinzen besteht. Dem Saarland kommt dabei die äußerst undankbare Aufgabe zu, als Vergleichsmaßstab für Katastrophen aller Art herhalten zu müssen. Versinkt irgendwo ein Tanker, bildet sich stets ein Ölteppich von der Größe des Saarlandes, und wenn eine Waldfläche in Flammen steht, dann hat sie selbstverständlich auch die Umrisse des Saarlandes. Immerhin wurde hier Erich Honecker geboren, der letzte unumschränkte Herrscher der DDR, die aber mehr als vierzigmal so groß wie das Saarland war.

Doch selbst dieser von Gott vergessene Landstrich verfügt über eine höchste Erhebung, den 695,4 Meter hohen Dollberg, der tatsächlich so gerade eben noch im Saarland liegt. Von seinem Gipfel sind es nur ein paar Schritte bis nach Rheinland-Pfalz, dessen höchster Berg, der Erbeskopf, sich auf majestätische 816 Meter emporschraubt. Man könnte also fast auf den Gedanken kommen, Rheinland-Pfalz hätte den Saarländern großmütig den Dollberg überlassen, damit die überhaupt einen höchsten Berg haben, was natürlich nur eine bösartige Unterstellung ist, denn wenn es den Dollberg nicht gäbe, wäre es eben der Schimmelkopf geworden, der nur 60 Zentimeter niedriger ist.

Der Weg zum Basislager in Nonnweiler führt durch den Hunsrück, eine extrem verlassene Gegend, in der Straßen ohne Vorwarnung einspurig werden und man irgendwann das Gefühl hat, die Menschen leben hier noch vom Köhlerhandwerk, falls es überhaupt Menschen gibt, denn man sieht keine. Manchmal tauchen Siedlungen auf, die Namen wie Abentheuer oder Langweiler tragen. Eine alte Frau sitzt rauchend auf den Eingangsstufen ihres Hauses, von dem sich die Eternitverkleidung ablöst, der einzige Bäcker in Neuhütten/Züsch bietet »zehn Kracher« zum Sonderpreis an. Hier sieht es stellenweise so aus, wie es in der ehemaligen DDR schon lange nicht mehr aussieht. Vieles in dieser Gegend wirkt eher unerklärlich, weshalb es gut ist, dass wenigstens der Parkplatz am Kloppbruchweiher in der Nähe der fjordartigen Talsperre von Nonnweiler mit zahlreichen Informationstafeln bestückt ist.

Es wimmelt von Parcours für Nordic Walking, was die bevorzugte Fortbewegungsart der Einheimischen zu sein scheint, aber den Dollberg hat man nirgendwo eingezeichnet, auch auf den Wegweisern wird er nicht erwähnt.

Mit einem leicht beklommenen Gefühl beginne ich den Aufstieg in die Richtung, in der aller Wahrscheinlichkeit nach der Dollberg liegt. Ich passiere ein eingezäuntes Areal, den Keltenpark, in dem im Sommer das Leben der Treverer, der früheren Bewohner dieser Region, gegen Bezahlung nachgestellt wird.

De bello Gallico