Über Hans Fallada

Rudolf Ditzen alias HANS FALLADA (1893–1947), zwischen 1915 und 1925 Rendant auf Rittergütern, Hofinspektor, Buchhalter, zwischen 1928 und 1931 Adressenschreiber, Annoncensammler, Verlagsangestellter, 1920 Roman-Debüt mit »Der junge Goedeschal«. Der vielfach übersetzte Roman »Kleiner Mann – was nun?« (1932) machte Fallada weltberühmt. Sein letztes Buch, »Jeder stirbt für sich allein« (1947), avancierte rund sechzig Jahre nach Erscheinen zum internationalen Bestseller. Weitere Werke u. a.: »Bauern, Bonzen und Bomben« (1931), »Wer einmal aus dem Blechnapf frißt« (1934), »Wolf unter Wölfen« (1937), »Der eiserne Gustav« (1938).

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Es waren die eigenen Kinder, zunächst Uli, dann Mücke und Achim, die die Geschichten des Vaters nicht nur hören, sondern auch lesen wollten. Hatte Fallada bisher Geschichten über Kinder geschrieben, so erzählte und schrieb er jetzt Geschichten für Kinder. »Immer, wenn eine neue fertig ist«, berichtete er am 28. Oktober 1933 dem Freund Kagelmacher, »wird sie Uli vorgelesen, und es ist ihm sehr gut anzumerken, wie sie wirkt, was haftet, was verfehlt, was langweilt…« Wie es sich für Märchen gehört, gibt es auch in diesen Geschichten die phantastischen Dinge, sprechende Tiere, Zauberer, Tarnkappen, Pechvögel, und hinter allen Turbulenzen eine handfeste Moral.

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Hans Fallada

Geschichten aus der Murkelei

Mit Zeichnungen von Conrad Neubauer-Conny

Inhaltsübersicht

Über Hans Fallada

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Geschichte von der kleinen Geschichte

Geschichte vom Mäusecken Wackelohr

Geschichte vom Unglückshuhn

Geschichte vom verkehrten Tag

Geschichte vom getreuen Igel

Geschichte vom Nuschelpeter

Geschichte vom Brüderchen

Geschichte vom goldenen Taler

Geschichte vom unheimlichen Besuch

Geschichte von der gebesserten Ratte

Geschichte von der Murkelei

Impressum

Lieber Uli, Liebe Mücke
und lieber kleiner Achim!

Zuerst habe ich euch diese Geschichten mündlich erzählt, damit das Essen besser rutschte und nicht so langweilig war.

Aber die Geschichten wurden bei jedem Erzählen anders, und das gefiel euch nicht, da mußte ich sie aufschreiben.

Die aufgeschriebenen Geschichten konnte euch nur einer vorlesen, nämlich ich, weil kein anderer mit meiner Schrift zurecht kam. Da mußte ich euch die Geschichten auf der Maschine tippen.

Das Getippte konntet ihr, Uli und Mücke, nun schon allein lesen, aber da ging der kleine Achim leer aus. Und Getipptes in einem Schnellhefter liest sich auch nicht so gut wie ein gedrucktes Buch.

Da sagtest du, Uli: »Du läßt ja so viele Bücher von dir drucken, Papa, da kannst du auch diese Geschichten drucken lassen!« So reisten die Geschichten nach Berlin. Dort wurden sie erst andern Kindern zum Lesen gegeben und auch großen Leuten, damit wir bestimmt wußten, es waren richtige Kindergeschichten. Dann, als alle Ja gesagt hatten, wurden sie gedruckt.

Da sagtet ihr Kinder: »Aber es müssen auch Bilder dabei sein, sonst ist es kein richtiges Kinderbuch!«

Nun gingen wir suchen, und schließlich fanden wir den Conny. Der machte die Bilder, genau wie ihr sie euch dachtet.

So war alles beisammen, und das Buch wurde fertig! Und wenn ihr jetzt nicht eßt wie der dicke Onkel Willi, dann nehme ich euch auf der Stelle das Buch wieder weg!

Da habt ihr’s –!

Geschichte von der kleinen Geschichte

Es war einmal ein Kind, das war nicht artig und wollte sein Essen nicht essen. Da stellte es die Mutter zur Strafe vor die Tür und fing an, drinnen den artigen Kindern eine kleine Geschichte zu erzählen.

Als das unartige Kind merkte, drinnen erzählte die Mutter, brüllte es ein wenig leiser, denn es wollte horchen und hätte gerne zugehört. Da rief die Mutter: »Willst du jetzt artig sein und gut essen, Kind, so darfst du bei meiner kleinen Geschichte zuhören.«

Doch der Bock stieß das Kind noch, und als es die Mutter rufen hörte, fing es gleich wieder an, lauter zu brüllen, so gerne es auch die kleine Geschichte gehört hätte. Da fuhr eine Maus aus ihrem Loch und fragte: »Was machst du denn für ein Geschrei, Kind? Meine jungen Mäuslein verschlucken sich ja vor Schreck beim Speckessen.«

Das Kind antwortete und sprach: »Meine Mutter hat mich vor die Tür gestellt und will mich ihre kleine Geschichte nicht hören lassen. Darum, wenn du willst, daß deine Kinder in Ruhe Speck essen, schlüpfe durch einen Mäusegang ins Eßzimmer und berichte mir, was für eine kleine Geschichte meine Geschwister hören.«

Die Maus tat, wie das Kind gesagt hatte, fuhr durch einen Mäusegang ins Eßzimmer und horchte. Die Mutter aber, die hörte, daß das Kind still geworden war, rief durch die Tür: »Willst du jetzt artig sein und essen, Kind?«

Das Kind dachte bei sich: Gleich kommt die Maus und erzählt mir die kleine Geschichte, da brauche ich auch nicht artig zu sein, und fing wieder an, lauter zu brüllen. Als das Kind eine Weile gebrüllt hatte und die Maus noch immer nicht kam, dachte es: Es ist doch sonderbar, daß die Maus so lange ausbleibt, das muß ja eine ganz herrliche Geschichte sein, daß sie das Wiederkommen ganz vergißt. Ich will einmal die Fliege schicken, daß sie nach der Maus sieht.

Das Kind rief also die Fliege an und sagte: »Liebes Fräulein Krabbelbein, ich habe die Maus ins Eßzimmer geschickt, daß sie auf die kleine Geschichte hört, die meine Mutter meinen Geschwistern erzählt. Aber die Maus kommt nicht wieder – willst du da nicht so freundlich sein und durchs Schlüsselloch kriechen und einmal nach dem Rechten sehen? Ich gebe dir auch morgen früh meinen Zucker, den ich zum Kakao bekomme.«

Die Fliege war einverstanden, kroch durchs Schlüsselloch und verschwand. Die Mutter aber, die hörte, das Kind brüllte nicht mehr, rief durch die Tür: »Willst du jetzt artig sein und essen, Kind?«

Das Kind dachte: Gleich kommen Maus und Fliege zurück und erzählen mir die kleine Geschichte, da brauche ich nicht artig zu sein! Und es schrie: »Nein, nein, ich will nicht essen!« und brüllte noch lauter.

Als es aber eine Weile gebrüllt hatte, wunderte es sich, daß weder Maus noch Fliege wiederkamen, und dachte bei sich: Was muß das doch für eine wunderbare Geschichte sein! Mäuslein vergißt ihre Kinder, Krabbelbein denkt nicht an den Zucker – nein, jetzt mache ich nur noch einen Versuch, und wenn ich dann nichts erfahre, will ich gewiß artig sein und essen, damit ich nur die kleine Geschichte höre.

Es rief also eine Ameise an, die grade auf der Diele kroch, und sagte: »Fräulein Schmachtleib, Sie sind so dünn, sicher können Sie unter der Tür durchkriechen. Tun Sie das doch und sehen Sie im Eßzimmer nach, was eigentlich Maus und Fliege machen, die ich geschickt habe, die kleine Geschichte zu hören, die meine Mutter meinen Geschwistern erzählt. Kommen Sie aber bloß schnell wieder. Ich halte es vor lauter Neugierde schon nicht mehr aus.«

Die Ameise sprach: »Den Gefallen will ich dir wohl tun«, kroch unter der Tür durch und verschwand. Die Mutter aber, die hörte, das Kind brüllte nicht mehr, rief durch die Tür: »Komm bloß schnell, Kind, sei artig und iß. Es gibt jetzt etwas ganz Feines!«

Das Kind aber dachte: Die Ameise wird mir jetzt Maus und Fliege schicken, da werde ich die kleine Geschichte schon zu hören bekommen. Und es schrie: »Ich will gar nichts essen – auch nichts Feines!«, trampelte mit den Füßen und brüllte noch lauter als vorher.

Als es aber eine Weile laut gebrüllt hatte, brüllte es leiser. Einmal, weil ihm der Hals weh tat, dann aber, weil es dachte: Es muß eine zu schöne Geschichte sein. Die drei, Maus, Fliege und Ameise, hören zu und vergessen mich ganz. Ich will jetzt doch artig sein und essen. Und das Kind hörte ganz auf zu brüllen.

Die Mutter aber, die das Kind dreimal umsonst gefragt hatte, war jetzt böse auf das Kind und fragte es nicht mehr. Da dachte das Kind: Meine Mutter ist böse auf mich. Ich will ein bißchen an der Tür kratzen. Dann fragt sie mich, ob ich wieder artig sein will, ich aber sage ja und darf hinein. Und das Kind kratzte an der Tür.

Die Mutter hörte es wohl, aber sie wollte das ungezogene Kind nicht mehr fragen, und so schwieg sie. Nun fing das Kind an zu rufen: »Ich will artig sein! Laß mich herein!«

Da fuhr die Maus aus dem Mäusegang und rief atemlos: »Gott, was war das für eine herrliche Geschichte! Entschuldige bloß, daß ich nicht kam, aber ich konnte nicht früher kommen, als bis ich das allerletzte Wort gehört hatte.«

Die Fliege schwirrte durch das Schlüsselloch und summte: »So eine vorzügliche Geschichte hört man wirklich nicht alle Tage. Da war es kein Wunder, daß die Kinder gegessen haben wie die Scheunendrescher – auch nicht ein Löffel voll blieb in der Schüssel!«

Und die Ameise kroch unter der Tür hervor und ächzte: »So eine großartige Geschichte und dazu noch Schokoladenpudding und Vanillensoße – so gut möchte ich es auch einmal haben!«

»Was?!« rief da das unartige Kind. »Es hat Schokoladenpudding mit Vanillensoße gegeben?! Da will ich auch was abhaben!« Und es riß die Tür auf und schrie: »Ich will auch Pudding mit Vanillensoße! Ich will ganz artig sein! Und die kleine Geschichte will ich auch hören!«

Da fingen alle Kinder mit der Mutter an zu lachen und zeigten dem unartigen Kind die Puddingschüssel – da war auch nicht ein Krümchen mehr darauf. Und sie zeigten ihm die Teller, die waren so blank und leer, als wären sie mit der Zunge abgeleckt. Die Mutter aber sagte: »Warum hast du dich nicht zur rechten Zeit besonnen, Kind? Nun ist nichts mehr da.«

Das Kind fing an zu weinen und sagte: »Wenn ich denn keinen Pudding mehr bekomme, so will ich doch die wunderbare, die herrliche, die großartige kleine Geschichte hören, die du meinen Geschwistern erzählt hast.«

Die Mutter aber antwortete: »Jetzt ist später Abend. Jetzt werden keine Geschichten mehr erzählt, jetzt wird ins Bett gegangen.«

Da mußte das unartige Kind ohne Pudding und ohne kleine Geschichte ins Bett gehen, und darüber war es sehr traurig. Hätte es sich aber zur rechten Zeit besonnen, so hätte es Pudding und kleine Geschichte bekommen, und das wäre besser für das Kind gewesen und ebenso für uns, denn dann hätten wir die kleine Geschichte auch zu hören bekommen!

Geschichte vom Mäusecken Wackelohr

In einem großen Stadthaus wohnte einmal eine Maus ganz allein, die hieß Wackelohr. Als Kind war sie einst von der Katze überfallen und dabei war ihr das Ohr so zerrissen worden, daß sie es nicht mehr spitzen, sondern nur noch damit wackeln konnte. Darum hieß sie Wackelohr. Und dieselbe alte böse Katze hatte ihr auch alle Brüder und Schwestern und die Eltern gemordet, deshalb wohnte sie so allein in dem großen Stadthaus.

Da war es ihr oft einsam, und sie klagte, daß sie so gerne ein anderes Mäusecken zum Spielgefährten gehabt hätte, am liebsten einen hübschen Mäuserich. Aber von dem Klagen kam keiner, und Wackelohr blieb allein.

Als nun einmal alles im Hause schlief und die böse Katze auch, saß Wackelohr in der Speisekammer, nagte an einem Stück Speck und klagte dabei wieder jämmerlich über seine große Verlassenheit. Da hörte es eine hohe Stimme, die sprach: »Hihi! Was bist du doch für ein dummes, blindes Mäusecken! Du brauchst ja nur aus dem Fenster zu schauen und siehst den hübschesten Mäuserich von der Welt! Dabei geht es ihm auch noch wie dir: Er ist ebenso allein wie du und sehnt sich herzlich nach einem Mäusefräulein.«

Wackelohr guckte hierhin, und Wackelohr guckte dorthin, Wackelohr sah auf den Speckteller und unter den Tellerrand – aber Wackelohr erblickte niemanden. Schließlich sah es zum Fenster hinaus. Drüben war nur ein anderes großes Stadthaus mit vielen Fenstern, die in der Abendsonne glitzerten, und kein Mäuserich war zu erblicken. Da war Wackelohr ungeduldig. »Wo bist denn du, die mit mir spricht? Und wo ist denn der schöne Mäusejunge, von dem du erzählst?«

»Hihi!« rief die hohe Stimme. »Bist du aber eine blinde Maus! Schau doch einmal hoch zur Decke, ich sitze ja grade über dir!«

Das Mäusecken sah hoch und, richtig!, grade über seinem Kopf saß eine große Ameise und funkelte es mit ihren Augen an. »Und wo ist der Mäuserich?« fragte das Mäusecken die große Ameise.

»Der sitzt dir grade gegenüber in der Dachrinne und läßt den Schwanz auf die Straße hängen«, sagte die Ameise.

Wackelohr sah hinaus, und wirklich saß drüben in der Dachrinne ein schöner Mäusejunge mit einem kräftigen Schnurrbart, ließ den Schwanz über die Rinne hängen und sah die Straße auf und ab. »Warum sitzt er denn da, du Ameise?« fragte Wackelohr. »Er kann doch fallen, und dann ist er tot!«

»Nun, er langweilt sich wohl auch«, antwortete die Ameise. »So hält er ein bißchen Ausschau, ob er ein Mäusecken auf der Straße sehen kann.«

Da bat Wackelohr: »Ach, liebste Ameise, sage mir doch einen Weg, wie ich zu ihm kommen kann. Ich will dir auch all meinen Speck schenken.«

Die Ameise strich sich nachdenklich ihren kräftigen Unterkiefer mit den beiden Vorderbeinen, juckte sich mit den Hinterbeinen und sprach: »Deinen Speck will ich nicht, ich esse lieber Zucker und Honig und Marmelade. Und einen Weg zu dem Mäuserich weiß ich auch nicht für dich. Ich gehe immer durch das Schlüsselloch, und dafür bist du zu groß.«

Wackelohr aber bat und bettelte, und schließlich versprach die Ameise, sich bis zum nächsten Abend zu überlegen, wie Wackelohr zu seinem Mäuserich kommen könnte.

Am nächsten Abend traf Mäusecken die Ameise wieder in der Speisekammer und fragte sie, ob sie nun wohl einen Weg wisse. »Vielleicht weiß ich einen Weg«, sagte die kluge Ameise, »aber ehe ich dir den sage, mußt du mir einen Zuckerbonbon schenken.«

»Ach!« rief Wackelohr, »woher soll ich den denn nehmen? Der einzige Zuckerbonbon, von dem ich weiß, liegt auf dem Nachttisch der Hausfrau. Den lutscht sie immer, wenn sie morgens aufwacht, damit der Tag ihr gleich süß schmeckt.«

»Nun, so hole den doch!« sagte die Ameise kaltblütig.

»Den kann ich doch nicht holen«, rief das Mäusecken traurig. »In dem Schlafzimmer schläft ja auch die alte böse Katze, die meine Eltern und Brüder und Schwestern geholt hat. Wenn die mich hört, mordet sie mich bestimmt.«

»Das mußt du wissen, wie du es machst«, sagte die Ameise ungerührt. »Bekomme ich den Bonbon nicht, erfährst du den Weg nicht zu deinem Mäuserich.«

Da half Wackelohr kein Bitten und kein Weinen und kein Flehen, ohne den Bonbon wollte die Ameise ihm nichts sagen. Also ging Mäusecken auf seinen leisesten Pfoten aus der Speisekammer in die Küche, und aus der Küche in das Eßzimmer, und aus dem Eßzimmer in das Arbeitszimmer, und aus dem Arbeitszimmer auf den Flur. Auf dem Flur aber machte es seine Pfoten womöglich noch leiser und wutschte, sachte, sachte, still in das Schlafzimmer.

Im Schlafzimmer war es für Menschenaugen ganz dunkel, weil die Vorhänge zugezogen waren. Aber Mäuse haben Augen, die besonders gut im Dunkeln sehen können. Und so sah Wackelohr denn, daß – o Schreck! – seine Feindin, die Katze, nicht schlief. Sondern sie lag auf einem schönen Kissen grade vor dem Bett, an dem das Mäusecken vorbei mußte, wenn es zum Nachttisch mit dem Bonbon wollte, dehnte und streckte sich und leckte das Maul, als wäre sie noch hungrig.

Wie Mäusecken das sah, konnte es nicht anders: Es mußte vor Schreck quieken. Sprach die Katze: »Hier ist wohl eine Maus im Zimmer? Ich dachte, ich hätte alle Mäuse in diesem Hause längst totgemacht. Nun, wenn noch eine Maus da ist, werde ich sie gleich haben.« Und sie streckte sich, um aufzustehen.

In seiner Angst bat das Mäusecken den Stuhl, unter dem es saß: »Ach, lieber Stuhl, knarre ein wenig. Dann denkt die Katze, es war nur Stuhlknarren und kein Mäusequieken.« Und der Stuhl tat dem Mäusecken den Gefallen und knarrte ein wenig. Die Katze aber legte sich wieder hin und sprach: »Ach so, es hat bloß ein Stuhl geknarrt. Ich dachte schon, es wäre eine Maus. Aber wenn es bloß ein Stuhl ist, kann ich ruhig schlafen.« Und damit streckte sich die Katze aus und schlief ein.

Was sollte Wackelohr tun? Direkt an der bösen Feindin vorbei zum Nachttisch zu gehen, dazu fehlte ihr der Mut. Sie fürchtete, sie würde vor Angst mit ihren Nägeln auf dem Fußboden klappern und dadurch die Katze aufwecken. Den Bonbon aber mußte sie kriegen, sonst erfuhr sie den Weg zum Mäuserich nicht. Da beschloß Wackelohr, über das Bett zu laufen und vom Kopfkissen auf den Nachttisch zu klettern. Das war wohl nicht so gefährlich, denn in dem Bett schlief die Hausfrau, und Menschen sind für Mäuse lange nicht so schlimm wie die Katzen, weil sie nicht so schnell wie die Katzen sind und weil sie auch viel fester als Katzen schlafen.

Wackelohr machte sich also auf den Weg. Zuerst kletterte es am Bettbein hoch, wobei es sich mit seinen Krallen sehr festhalten mußte. Dann sprang es ins Bett. Da hatte es nun auf Decke und Kissen eine weiche Straße, wo die Krallen nicht klappern konnten. Es lief eilig voran, weil es aber so eilig lief, paßte es nicht auf, und so kitzelte es mit seinem langen Schwanz die Hausfrau grade unter der Nase.

Die mußte niesen, wachte auf, meinte, es sei die Katze gewesen, die schon manchmal ins Bett gesprungen war, und rief: »Gehst du weg, alte Katze!«

Davon erwachte die Katze, glaubte, sie sei gerufen, und sprang mit einem Satz ins Bett. Darüber wurde die Hausfrau erst recht ärgerlich, schlug nach der Katze und rief: »Mach, daß du fortkommst, Störenfried!«

Die Katze verstand nicht, warum sie erst gerufen wurde und nun wieder nicht kommen sollte und nun gar geschlagen wurde, und miaute zornig. Davon wachte der Hausherr im Bett daneben auf und rief: »Ist die ungezogene Katze schon wieder im Bett? Na warte, Olsch!« Und er machte Licht, ergriff einen Stiefel und fing an, nach der Katze zu schlagen, die jämmerlich schrie.

Bei all dem Geschrei und Gespringe und Geschlage und Miauen hatte Wackelohr längst den Bonbon ins Maul genommen, war vom Nachttisch gesprungen und durch die offene Tür hinausgewutscht. Da saß es, hörte den Lärm und freute sich, daß seine böse Feindin Schläge bekam.

017

Bei all dem Geschrei und Gespringe und Geschlage und Miauen hatte Wackelohr längst den Bonbon ins Maul genommen, war vom Nachttisch gesprungen und durch die offene Tür hinausgewutscht.

»Siehst du wohl«, sagte die Ameise, als Wackelohr mit dem Bonbon im Maule ankam, »man muß sich nur nicht so anstellen, es war gar nicht so schlimm. – Du hast doch nicht etwa ein Stückchen abgebissen?« Und sie sah den Bonbon mißtrauisch an. Aber der war in Ordnung; obwohl Wackelohr ihn im Maule getragen hatte, hatte es nicht einmal mit der Zungenspitze daran gerührt. Nun wollte es aber auch zum Lohn für all seine Mühe den Weg zum schönen Mäuserich wissen.

»Der ist ganz einfach«, sprach die Ameise. »Du weißt doch, oben auf dem Dachboden hält der Hausherr sich Tauben, die den ganzen Tag frei ein- und ausfliegen, soviel sie nur wollen. Bitte eine der Tauben, dich auf ihrem Rücken mitzunehmen – das sind freundliche Vögel, sie werden es schon tun.«

Dies schien dem Mäusecken ein guter Rat, und gleich schlüpfte es die Treppe hinauf in den Taubenschlag. Auch die Ameise ging eilends heim, denn sie wollte rasch all ihre Schwestern zusammenrufen, damit jede noch vor Morgen ein Stücklein Bonbon heimtrug.

»Ruckediguck – Guckediruck«, schwatzten die Tauben noch in ihrem Schlag, obwohl es schon ganz dunkel war. Sie besprachen sich, wohin sie am nächsten Morgen fliegen wollten, um Futter zu suchen. Im Garten am See waren Erbsen gelegt, aber es war die Frage, ob man sie bekam, denn dort trieb ein großer, gelber Kater sein Unwesen, der gar zu gerne Täubchen aß. »Guckediruck«, sagten die Tauben, »mit den Katzen wird es schlimmer und schlimmer – daß die Menschen solch wilde Tiere überhaupt dulden! Ruckediguck!«

»Das sage ich auch«, sprach die Maus höflich unter der Tür. »Mich hätte heute abend auch beinahe die Hauskatze erwischt, hätte nicht ein Stuhl freundlich für mich geknarrt. Das angstvolle Leben in diesem Hause ist mir ganz leid – will nicht eine so freundlich sein, mich morgen früh auf ihrem Rücken zum Hausdach drüben zu tragen?«

»Ruckediguck!« riefen die Tauben erschrocken. »Ein Dieb ist im Schlag. Sicher will er unsere Eier austrinken.«

Aber das Mäusecken redete ihnen gut zu, daß es keine böse Absicht auf die Eier habe, sondern nur darum bitte, auf einem Taubenrücken zur andern Straßenseite getragen zu werden. »Ruckediguck«, sagten die Tauben da. »Wenn es so ist und du unsern Eiern nichts tust, so wollen wir dir gefällig sein. Aber jetzt ist die Schlagtür schon zu – komm morgen mit dem frühesten wieder. Ruckediguck!«

Da bedankte sich das Mäusecken Wackelohr höflich und ging in seinem Loch unter dem Küchenschrank schlafen. Es träumte aber die ganze Nacht von dem schönen Mäuserich. –

Unterdessen hatte die Katze Keile bekommen und war vor die Schlafzimmertür gesetzt, zur Strafe, weil sie der Hausfrau ins Bett gesprungen war. Da saß sie nun und ärgerte sich gewaltig, und alle Glieder taten ihr weh. »Ich bin der Hausfrau doch nicht mit meinem Schwanz ins Gesicht gefahren, wie sie gescholten hat«, sagte die Katze immer wieder zu sich. »Wer kann das bloß gewesen sein?« Da fiel ihr ein, wie sie erst eine Maus piepen gehört, dann aber gemeint hatte, es habe nur ein Stuhl geknarrt. Vielleicht war es doch eine Maus, die mir diesen Streich gespielt hat, dachte sie. Ich will doch einmal im ganzen Hause nachsehen, ob ich eine Spur von ihr finde.

Damit ging sie auf sachten Sammetpfoten los und ließ ihre großen, grünen Augen leuchten wie Laternen, daß sie trotz der dunklen Nacht alles sehen konnte. Sie sah um jede Ecke und roch unter jeden Schrank, und als sie unter den Küchenschrank roch, sprach sie: »Ich finde, hier riecht es mäusisch. Ach, wie gut riecht das doch! Komm heraus, kleine Maus, wir wollen zusammen tanzen!« Aber die Maus hörte die böse Katze nicht, Wackelohr schlief fest in seinem Loch und träumte vom Mäuserich.

So ging die Katze betrübt weiter, als nichts auf ihre falschen Lockreden kam, und gelangte in die Speisekammer. In der Speisekammer aber war ein großes Getriebe und Gelaufe von vielen tausend Ameisen, die jede ihr Stück von dem roten Bonbon abbeißen wollte. Da machte die Katze ihre Stimme grob und schalt: »Was ist denn das hier für ein Gelaufe und Geschmatze mitten in der ruhigen Nacht, wo doch alles schlafen soll! Gleich macht ihr Räuber, daß ihr fortkommt!«

Die Ameisen aber hatten keine Angst vor der Katze, denn die Katzen fressen keine Ameisen, weil die Ameisen sauer schmecken, und die Katzen lieben das Süße. Das wissen die Ameisen. »Hihi!« riefen sie darum. »Hihi! Du alte, große Katze! Du läufst ja auch mitten in der Nacht herum, statt zu schlafen, da dürfen wir es auch wohl tun!«

»Bei mir ist das eine andere Sache«, sprach die Katze streng. »Ich bin vom Hausherrn als Nachtwächter bestellt, daß sich keine Diebe einschleichen. Was ist denn das für ein roter Bonbon, in den ich euch da beißen sehe? Mir scheint, der ist gestohlen.«

»Hihi!« rief die kluge Ameise. »Der Bonbon gehört mir, den habe ich für einen guten Rat bekommen.«

»Der Bonbon gehört auf den Nachttisch der Hausfrau«, sprach die Katze noch strenger. »Gleich sagst du mir, wer ihn dir gegeben hat, sonst nehme ich ihn dir weg. Wenn du mir aber die Wahrheit sagst, sollst du ihn behalten dürfen.«

Da wurde es der klugen Ameise um den schönen Bonbon angst, und sie verriet das Mäusecken und erzählte alles, was sie wußte. Die Katze aber wurde ganz aufgeregt, denn sie verstand nun, daß es das Mäusecken war, dem sie die Prügel zu verdanken hatte, und sie war sehr eifrig, die Ameise auszufragen. »Weißt du denn gar nicht, Ameise«, fragte sie schließlich, »wo das Mäusecken sein Loch hat?«

»Nein, das weiß ich nicht«, antwortete die Ameise. »Aber wir Ameisen können überallhin kommen, und nichts bleibt uns verborgen, außer was in der Luft schwebt oder im Wasser schwimmt. Ich will alle meine Schwestern ausschicken, so werden wir das Loch schon finden.«

Das geschah. Alle Ameisen wurden ausgeschickt, und schon nach einer kurzen Weile kam eine zurück und meldete, daß die Maus unter dem Küchenschrank in einem Loch liege und schlafe. »Das dachte ich mir«, sprach die Katze. »Da roch es vorhin schon so mäusisch.« Sie begaben sich also zum Küchenschrank, aber sosehr sich die Katze auch mühte, streckte und dünn machte: Der Spalt zwischen Schrank und Boden war zu eng, sie konnte nicht darunterkommen.

»Was machen wir nun?« fragte die Katze ärgerlich. »Kriegen muß ich die Maus, und sollte ich einen ganzen Topf meiner süßen Schleckermilch dafür geben!«