Über John Fante

John Fante, geboren 1909 als Sohn italienischer Einwanderer, zog als Mittzwanziger nach L.A. In einer Stadt, die aus Filmträumen bestand, war er mehr als fehl am Platz, und so entstand sein unnachahmlicher Stil aus innerer Zerrissenheit, Großmut und erlösenden Rachegelüsten. Er starb 1983 an den Folgen seiner Diabetes-Erkrankung. Posthum verlieh man ihm den PEN Award für sein Lebenswerk.

Alex Capus, geboren 1961 in der Normandie, lebt heute in Olten. Sein Roman »Léon und Louise« (2011) war ein Bestseller. Er übersetzte bereits sechs Romane von John Fante, auch die ebenfalls bei Blumenbar lieferbaren Bände »1933 war ein schlimmes Jahr« und »Der Weg nach Los Angeles«.

Informationen zum Buch

»Fante war mein Gott.« Charles Bukowski.

Die Bandini-Romane sind das opus magnum von John Fante, dem großen, erst kürzlich weltweit triumphal wiederentdeckten Outsider der amerikanischen Literatur. Die Romane erzählen die Geschichte von Fantes Alter Ego Arturo Bandini, einem aus bitterarmen Verhältnissen stammenden jungen Italiener. Beseelt von dem unbändigen Wunsch Romane zu schreiben und Bedeutung zu erlangen, entflieht er seiner engstirnigen Heimat Colorado, um sein Glück im Los Angeles der Dreißigerjahre zu suchen.

Nach langer Zeit sind nun sämtliche Romane der Reihe wieder lieferbar, allesamt in glänzender Übersetzung von Alex Capus.

»Ich habe angefangen zu schreiben, weil ich von John Fante so begeistert war.« Benjamin von Stuckrad-Barre.

»John Fante ist einer der ganz großen West-Coast-Autoren – italienische Leidenschaft gepaart mit californischer Coolness.« Alex Capus

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John Fante

Arturo Bandini

Die Trilogie

Warte bis zum Frühling, Bandini

Frag den Staub

Warten auf Wunder

Mit einem Vorwort von Charles Bukowski

Aus dem Amerikanischen von Alex Capus

Inhaltsübersicht

Über John Fante

Informationen zum Buch

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Vorwort

Warte bis zum Frühling, Bandini

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

Frag den Staub

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Warten auf Wunder

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Impressum

Vorwort

Ich war ein junger Mann, litt Hunger und trank und wollte Schriftsteller werden. Zum Lesen ging ich meist in die Öffentliche Bibliothek von Downtown Los Angeles. Aber die Bücher, die ich dort in die Hände bekam, hatten nicht das Geringste zu tun mit mir oder den Straßen oder den Menschen um mich her. Sie enthielten nichts als Wortspielchen, und unter den Schriftstellern galten offenbar jene als die größten, die im Grunde nichts zu sagen hatten. Deren Schreiben war eine Mischung aus Spitzfindigkeit, Handwerk und Form, und es wurde gelesen, gelehrt, verdaut und weitergereicht. Das Ganze war eine bequeme Übereinkunft, eine sorgfältig konstruierte, aalglatte Wörter-Kultur. Wenn man hingegen Leidenschaft suchte und Wagemut, musste man schon auf die Autoren des vorrevolutionären Russland zurückgreifen. Natürlich gab es auch Ausnahmen, aber die waren so rar, dass man sie rasch gelesen hatte, und dann blieb einem nur der Anblick endloser Regale, die voll waren von höchst leblosen Büchern. Die modernen Autoren – die doch auf Jahrhunderte zurückblicken konnten und alle Vorteile auf ihrer Seite hatten – waren einfach nicht besonders gut.

Ich nahm Buch um Buch vom Regal. Warum sagte keiner etwas? Wieso schrie keiner auf?

Ich versuchte es mit den anderen Räumen der Bibliothek. Die Abteilung Religion war, was mich betraf, ein einziger Sumpf. Ich stürzte mich auf die Philosophie und fand ein paar bittere Deutsche, die mir eine Weile Spaß machten. Dann war auch das vorbei. Ich versuchte es mit der höheren Mathematik, aber damit war’s wie mit der Religion: Sie perlte an mir ab. Was ich brauchte, schien es nicht zu geben.

Ich versuchte es mit Geologie und fand sie ganz unterhaltsam, auf die Dauer aber doch nicht sättigend.

Ich fand ein paar Bücher über Chirurgie, die mir gefielen. Die Wörter waren neu und die Illustrationen wunderbar. Besonders gemocht und in Erinnerung behalten habe ich die Dickdarmoperation.

Dann gab ich die Chirurgie auf und kehrte zurück zum großen Saal mit den Romanen und Kurzgeschichten. (Wenn ich genug billigen Wein hatte, ging ich nie in die Bibliothek. Eine Bibliothek war der richtige Aufenthaltsort, wenn man nichts zu essen oder zu trinken hatte und wenn die Vermieterin hinter einem her war wegen des ausstehenden Geldes. In der Bibliothek gab’s wenigstens Toiletten.) Es waren immer eine Menge anderer Penner hier, und die meisten schliefen über ihren Büchern ein.

Ich lief weiter im großen Saal herum, zog Bücher hervor, las ein paar Zeilen oder einige Seiten und stellte sie wieder zurück ins Regal.

Eines Tages aber schlug ich ein Buch auf – und da war es. Einen Moment stand ich da und las, dann trug ich das Buch zu einem Tisch wie ein Mann, der auf der städtischen Müllkippe Gold gefunden hat. Die Zeilen flossen leicht über die Seiten, und jede Zeile hatte ihre eigene Energie und ging über in eine ähnliche Zeile. Die reine Substanz jeder Zeile gab der Seite ihre Form; man hatte das Gefühl, als wäre etwas in die Seite hineingeschnitzt worden. Und da war endlich ein Mann, der keine Angst vor Gefühlen hatte, der auf großartig einfache Weise Humor und Schmerz miteinander vermischte. Der Anfang dieses Buchs war für mich ein wildes, außerordentliches Wunder.

Ich besaß eine Bibliothekskarte. Ich lieh das Buch aus und trug es auf mein Zimmer, legte mich ins Bett und las, und ich wusste lange vor der letzten Seite, dass hier ein Mann seinen ganz eigenen Schreibstil entwickelt hatte. Das Buch hieß Ask the Dust, der Autor war John Fante. Er sollte einen lebenslangen Einfluss auf mein Schreiben haben. Ich las Ask the Dust zu Ende und suchte in der Bibliothek nach anderen Büchern von Fante. Ich fand zwei: Dago Red und Wait until Spring, Bandini. Sie waren in der gleichen Art geschrieben – direkt aus dem Herzen und aus dem Bauch heraus.

Ja, Fante hat gewaltigen Einfluss auf mich gehabt. Kurz nach der Lektüre seiner Bücher zog ich mit einer Frau zusammen. Sie trank noch mehr als ich, und wir hatten gewalttätige Auseinandersetzungen, und oft genug schrie ich sie an: »Nenn mich nicht Hurensohn! Ich bin Bandini, Arturo Bandini!«

Fante war mein Gott, und ich wusste, dass man Götter in Ruhe lässt. Man klopft nicht an ihre Tür. Aber es machte mir Spaß, darüber zu rätseln, wo in Angel’s Flight er genau gelebt haben mochte und ob er wohl immer noch da lebte. Fast jeden Tag ging ich dort vorbei und dachte: »Ist das das Fenster, durch das Camilla gekrochen ist? Ist das die Hoteltür? Ist das die Lobby?« Ich werde es nie wissen.

Und nun, neununddreißig Jahre später, habe ich Ask the Dust noch einmal gelesen. Es ist immer noch gut, genauso wie Fantes andere Werke. Aber dieses hier ist mir nun mal das liebste, weil ich mit ihm erstmals die Magie entdeckte. John Fante hat außer den erwähnten noch weitere Bücher geschrieben: Full of Life und The Brotherhood of the Grape. Und der Roman, an dem er zurzeit arbeitet, heißt A Dream of Bunker Hill.

Bedingt durch gewisse Umstände, bin ich dem Autor dieses Jahr endlich persönlich begegnet. Es gäbe noch viel mehr über John Fante zu erzählen; es wäre eine Geschichte von schrecklichem Glück und schrecklichem Schicksal und von seltenem, natürlichem Mut. Eines Tages wird sie erzählt werden. Aber ich habe das Gefühl, dass er nicht möchte, dass ich sie an dieser Stelle erzähle. Ich will nur sagen, dass der Mann und seine Worte einander gleichen: Sie sind stark und gut und warm.

Genug jetzt. Soll das Buch für sich sprechen.

Charles Bukowski, 6. Juni 1979

Warte bis zum Frühling, Bandini

Dieses Buch widme ich
meiner Mutter, Mary Fante,
in Liebe und Ergebenheit;
und meinem Vater, Nick Fante,
in Liebe und Bewunderung.

1. Kapitel

Er stapfte durch den tiefen Schnee, und jeder Schritt war ein Tritt gegen den verhassten Schnee. Sein Name war Svevo Bandini. Er wohnte drei Blocks weiter die Straße runter, und er fror und hatte Löcher in den Schuhen, die er mit Stücken einer Makkaronischachtel verstopft hatte. Die Makkaroni aus jener Schachtel waren noch nicht bezahlt. Daran hatte er denken müssen, als er den Karton in seine Schuhe stopfte.

Bandini hasste Schnee. Er war Maurer. Bei Schnee gefror der Mörtel zwischen den Backsteinen. Bandini war auf dem Heimweg. Er hatte den Schnee schon gehasst, als er ein kleiner Junge war und in den Abruzzen lebte. Keine Sonne, keine Arbeit. Jetzt lebte er in Amerika, in Rocklin, Colorado, und war auf dem Heimweg von der Imperial-Billardhalle. Auch in Italien gab es Berge, genau solche wie die schneebedeckten Gipfel westlich von Rocklin, die aussahen wie riesige weiße Frauenröcke. Als junger Mann hatte Bandini einmal eine ganze Woche lang Hunger gelitten in den Falten eines solchen weißen Rockes. Das war vor zwanzig Jahren gewesen, als er in einer Berghütte einen Kamin mauern sollte. Im Winter war es gefährlich dort oben, aber damals war ihm das egal gewesen, denn er war zwanzig, und er hatte ein Mädchen in Rocklin, und er brauchte Geld. Aber dann war das Hüttendach unter dem Gewicht des Schnees eingestürzt.

Nichts als Ärger hatte er mit dem Schnee. Es war ihm unbegreiflich, dass er nie nach Kalifornien gezogen, sondern im Tiefschnee von Colorado stecken geblieben war. Jetzt war es zu spät. Der schöne, weiße Schnee war wie die schöne, weiße Frau Svevo Bandinis, die so weiß und fruchtbar in einem weißen Bett lag, das in einem Haus ein paar Häuser weiter stand. 456 Walnut Street, Rocklin, Colorado.

Svevo Bandini tränten in der Kälte die Augen. Sie waren braun und sanft, die Augen einer Frau. Diese Augen hatte er seiner Mutter bei der Geburt gestohlen; sie war vom Tag der Niederkunft an kränklich geblieben, hatte immer einen kränklichen Blick gehabt und war schließlich gestorben. Svevo aber hatte die sanften, braunen Augen behalten.

Svevo Bandini wog hundertfünfzig Pfund. Sein Sohn Arturo legte ihm gern die Hand auf die runde Schulter, um die Muskeln unter der Haut zu spüren. Svevo Bandini war ein stattlicher, muskulöser Mann. Seine Frau Maria brauchte an die Kraft seiner Lenden nur zu denken, um dahinzuschmelzen wie der Schnee im Frühling.

Dio cane, Dio cane! Wieso hatte er sich an jenem Abend im Imperial zehn Dollar beim Poker abknöpfen lassen? Svevo war arm und Vater von drei Kindern, und die Makkaroni waren nicht bezahlt, genauso wenig wie das Haus, in dem die drei Kinder und die Makkaroni untergebracht waren. Dio cane.

Svevo Bandinis Frau sagte nie: Gib mir Geld, damit ich Essen für die Kinder kaufen kann. Aber sie hatte große, dunkle Augen, und mit diesen Augen konnte sie ihn durchleuchten, ihm in den Mund schauen, in die Ohren, in den Magen, in die Taschen. Diese klugen Augen wussten leider immer sofort, wenn das Imperial wieder ein gutes Geschäft gemacht hatte. Dass die Frau solche Augen haben musste! Sie sahen alles, was er war und was er zu sein hoffte. Aber seine Seele erkannten sie nie.

Das war seltsam, denn Maria Bandini betrachtete alle Lebenden und Toten als Seelen. Maria kannte sich mit Seelen aus. Die Seele war etwas Unsterbliches, darüber ließ sie nicht mit sich reden. Die Seele war unsterblich. Was immer sie war, die Seele war unsterblich.

Maria hatte einen weißen Rosenkranz. Er war so weiß, dass man ihn im Schnee für immer verlieren würde. Mit dem Rosenkranz betete sie für die Seelen von Svevo Bandini und ihren Kindern. Und weil ihr darüber hinaus keine Zeit blieb, tröstete sie sich mit der Hoffnung, dass irgendwo auf der Welt jemand – eine Nonne in einem abgeschiedenen Kloster vielleicht oder sonst wer – irgendwann ein paar Minuten Zeit fände, um für die Seele von Maria Bandini zu beten.

Dort vorn wartete ein weißes Bett auf Svevo Bandini, und seine Frau hielt es ihm warm. Er trat nach dem Schnee und dachte an seine Erfindung, die er eines Tages machen würde. Einen Schneepflug. Ein Modell davon hatte er schon gebastelt, aus Zigarrenkisten. Die Idee war da. Aber dann schauderte ihn, als ob er kaltes Metall berührt hätte, bei der Erinnerung an die vielen Male, da er zu Maria ins warme Bett gekrochen war und das kleine, kalte Kreuz ihres Rosenkranzes ihn gestreift hatte wie eine kichernde, kalte Schlange, worauf er sich auf die kühlere Seite des Betts zurückzog. Svevo Bandini dachte an das Schlafzimmer und an das unbezahlte Haus und an seine blasse Ehefrau, die schon ewig auf das Wiedererwachen seiner Leidenschaft wartete. Es war unerträglich. In seiner Wut stürzte er sich in den tiefen Schnee neben dem Gehsteig und ließ seine Wut an ihm aus. Dio cane, Dio cane.

Er hatte einen Sohn namens Arturo. Arturo war vierzehn und besaß einen Schlitten. Als Svevo in den Hof seines nicht bezahlten Hauses einbog, flogen plötzlich seine Füße den Baumkronen entgegen. Er landete auf dem Rücken, und der Schlitten schoss davon und kam im Fliederbusch zum Stillstand. Dio cane! Er hatte dem Jungen doch gesagt, diesem nichtsnutzigen Hundesohn, dass er den Schlitten nicht auf dem Fußweg abstellen sollte. Der kalte Schnee an Bandinis Händen fühlte sich an wie wild gewordene Ameisen. Er rappelte sich auf, schaute bebend vor Zorn zum Himmel hoch und drohte Gott mit der Faust. Dieser Hundesohn von einem Arturo! Er zerrte den Schlitten unter dem Flieder hervor und riss mit systematischer Bosheit die Kufen ab. Erst als das Werk der Zerstörung vollbracht war, fiel ihm ein, dass der Schlitten sieben Dollar und fünfzig Cent gekostet hatte. Er klopfte sich den Schnee von den Kleidern. Der Schnee war ihm von oben in die Schuhe gedrungen, und seine Knöchel fühlten sich seltsam heiß und kribbelig an. Sieben Dollar und fünfzig Cent in Stücke gerissen. Diavolo! Lass den Jungen einen neuen Schlitten kaufen. Er wollte ja schon lange einen neuen.

Das Haus war nicht bezahlt. Dieses Haus war sein Feind. Es hatte eine Stimme, und es konnte zu ihm sprechen wie ein Papagei, ewig das Gleiche. Wann immer die Bodenbretter der Veranda unter seinen Füßen ächzten, sagte das Haus frech: Du besitzt mich nicht, Svevo Bandini, und ich werde dir nie gehören. Wenn er den Türknauf am Eingang drehte, war es dasselbe. Seit fünfzehn Jahren hänselte ihn dieses Haus mit seiner idiotischen Unabhängigkeit. An manchen Tagen hätte er es mit Dynamit in die Luft jagen mögen. Früher einmal war das Haus eine Herausforderung gewesen, wie eine Frau, die einen lockt und sich entzieht. Aber in den letzten dreizehn Jahren war er müde und schwach geworden, und das hochmütige Haus hatte die Oberhand behalten. Jetzt war es Svevo Bandini egal.

Einer seiner schlimmsten Feinde war der Bankier, dem das Haus gehörte. Beim Gedanken an ihn bekam er wütendes, selbstzerstörerisches Herzklopfen. Helmer, der Bankier. Der Abschaum der Menschheit. Immer wieder hatte er Helmer gegenübertreten und gestehen müssen, dass er seine Familie nicht ernähren konnte. Dieser Helmer mit seinem sorgfältig gescheitelten grauen Haar, den weichen Händen und den Glubschaugen, die jedes Mal glibberig feucht wie Austern wurden, wenn Svevo Bandini sagte, dass er kein Geld für die Miete hatte. Er hatte das oft sagen müssen, und jedes Mal hatte ihn Helmer mit den weichen Händen zur Weißglut getrieben. Mit so einem Mann konnte er nicht verhandeln. Er hasste Helmer. Das Genick hätte er Helmer brechen mögen, ihm das Herz herausreißen und mit beiden Füßen darauf herumtrampeln. »Dich kriege ich noch! Irgendwann erwische ich dich!«, murmelte er beim Gedanken an Helmer. Das Haus war nicht sein Eigentum. Er brauchte nur den Türknauf zu berühren, um daran erinnert zu werden.

Ihr Name war Maria, und für ihre dunklen Augen war die Nacht hell wie der Tag. Auf Zehenspitzen ging Bandini zum Stuhl in der Ecke. Das grüne Rollo am Fenster war heruntergezogen. Als er sich setzte, knackten seine Knie. Wie zwei Glocken, die für Maria läuteten. Wie dumm von einer Frau, einen Mann dermaßen zu lieben, dachte er. Es war kalt im Zimmer. Der Atem strömte ihm als weißer Dampf aus dem Mund. Er nestelte an seinen Schnürsenkeln und grunzte dazu wie ein Ringer. Immer dieser Ärger mit den Schnürsenkeln. Diavolo! Würde er es bis ans Sterbebett nicht lernen, seine Schnürsenkel ordentlich zu binden wie jeder andere Mann?

»Svevo?«

»Ja.«

»Zerreiß sie nicht, Svevo. Mach Licht, und ich binde sie dir auf. Reg dich nicht auf, und zerreiß sie nicht.«

Herrgott im Himmel! Maria, Mutter Gottes! War das nicht typisch Frau? Sich nicht aufregen? Wieso sollte er sich aufregen? Er hätte mit der Faust das Fenster einschlagen mögen. Mit den Fingernägeln fummelte er am Knoten herum. Schnürsenkel! Wozu brauchte man Schnürsenkel? Krrr. Krrr. Krrr.

»Svevo.«

»Ja.«

»Ich mache das. Schalte jetzt das Licht an.«

Die Kälte hatte seine Finger hypnotisiert, und der Knoten war widerspenstig wie Stacheldraht. Mit aller Kraft seiner Arme und Schultern machte er seinem Ärger Luft. Der Schnürsenkel zerriss mit einem kleinen Knall. Svevo Bandini fiel beinahe vom Stuhl.

»Ach, Svevo. Du hast ihn wieder zerrissen.«

»Na und«, sagte er. »Soll ich etwa mit den Schuhen ins Bett gehen?«

Er schlief nackt, denn er verachtete Unterwäsche. Nur einmal im Jahr, wenn der erste Schnee fiel, durfte Maria seine lange Unterwäsche auf dem Stuhl für ihn bereitlegen, und dann zog er sie an. Nur einmal in zwanzig Jahren Ehe hatte Svevo die lange Unterwäsche beim ersten Schnee verschmäht – und wäre beinahe an Grippe und Lungenentzündung gestorben. Schließlich hatte er sich aus dem Delirium aufgerafft, weil er die Pillen und Tropfen des Doktors nicht mehr riechen konnte, und hatte in der Speisekammer ein halbes Dutzend Knoblauchzehen hinuntergewürgt, um anschließend ins Bett zurückzukehren und den Tod auszuschwitzen. Als er wieder gesund war, schrieb Maria das der heilenden Kraft ihrer Gebete zu, während Svevos Religion der Knoblauch war. Dem hielt Maria entgegen, dass auch den Knoblauch der Herrgott geschickt habe, was wiederum Svevo für ein derart haltloses Argument hielt, dass er nicht darauf einging.

Seit fünfzehn Jahren waren sie nun verheiratet. Er war ein gewandter Redner und sprach oft und gern von allem Möglichen – aber noch kaum je hatte er Maria gesagt, dass er sie liebte. Maria hingegen redete wenig; aber wenn sie etwas sagte, so war es oft dieses langweilige »Ich liebe dich«.

Er ging zur Bettkante und tastete unter der Decke nach dem Rosenkranz. Dann schlüpfte er zwischen die Laken und drückte sie an sich, schlang die Arme um sie und verschränkte seine Beine mit ihren. Es war nicht Leidenschaft, nur die Kälte der Winternacht, und sie war ein kleiner Ofen von einer Frau, ihre traurige Wärme hatte ihn vom ersten Tag an gefesselt. Fünfzehn Winter lang, Nacht für Nacht neben dieser warmen Frau, die seine eiskalten Füße, Arme und Hände immer freundlich willkommen hieß; er seufzte beim Gedanken an so viel Liebe.

Und gerade eben hatte das Imperial seine letzten zehn Dollar genommen. Wenn diese Frau nur einen kleinen Fehler hätte, hinter dem er seine eigenen Schwächen verstecken könnte. Teresa DeRenzo beispielsweise. Angenommen, er hätte Teresa DeRenzo geheiratet – die war verschwenderisch und geschwätzig, ihr Atem roch nach Kloake, und in seinen Armen spielte sie gern das schwache Weibchen, obwohl sie eine starke, muskulöse Frau war – nicht auszudenken! Und dann war sie auch noch größer als er! Hätte er eine Frau wie Teresa geheiratet, wäre es ihm ein Vergnügen gewesen, im Imperial zehn Dollar beim Poker zu verlieren. Er hätte an ihren Mundgeruch gedacht und an ihr Geplapper, und dann hätte er seinem Herrgott gedankt für die wunderbare Gelegenheit, sein hart erarbeitetes Geld zu verschleudern. Bei Maria war das anders.

»Arturo hat das Küchenfenster eingeworfen«, sagte sie.

»Wie denn das?«

»Er hat Federicos Kopf hindurchgestoßen.«

»Dieser Hundesohn.«

»Es war keine Absicht. Sie haben nur gespielt.«

»Und was hast du gemacht? Nichts, nehme ich an.«

»Ich habe Federicos Kopf mit Jod behandelt. Eine kleine Schnittwunde. Nichts Schlimmes.«

»Nichts Schlimmes! Was heißt da, nichts Schlimmes! Was hast du mit Arturo gemacht?«

»Er war wütend. Wollte ins Kino.«

»Und ist gegangen, nehme ich an.«

»Die Jungs mögen halt Kino.«

»Dieser dreckige, kleine Hurensohn.«

»Svevo, wie kannst du das sagen? Er ist dein Sohn.«

»Du hast ihn verzogen. Du hast sie alle drei verzogen!«

»Er ist wie du, Svevo. Du warst auch ein schlimmer Junge.«

»Ich? Teufel noch mal! Ich habe jedenfalls nie meinem Bruder den Kopf durchs Fenster gestoßen!«

»Du hattest keinen Bruder, Svevo. Aber du hast deinen Vater die Treppe runtergestoßen und ihm den Arm gebrochen.«

»Hab ich etwas dafür gekonnt, dass mein Vater … ach, was soll’s.«

Er rutschte näher zu ihr und vergrub sein Gesicht in ihrem geflochtenen Haar. Seit der Geburt ihres dritten Sohnes August roch Marias rechtes Ohr nach Chloroform. Vor zehn Jahren war sie mit diesem Geruch aus dem Krankenhaus heimgekommen; oder bildete er sich das nur ein? Jahrelang hatte er mit ihr darüber gestritten, denn sie hatte immer abgestritten, dass ihr rechtes Ohr nach Chloroform rieche. Auch die Kinder waren als Zeugen hinzugezogen worden und hatten keinerlei Geruch wahrnehmen können. Und doch war er immer da, genau wie in jener Nacht im Kindbett vor zehn Jahren, da er sich über sie gebeugt und sie geküsst hatte, nachdem sie den Kampf auf Leben und Tod gewonnen hatte.

»Und was, wenn ich meinen Vater wirklich die Treppe hinuntergestoßen habe? Was hat das damit zu tun?«

»Hat es deiner Erziehung geschadet? Warst du von da an ein verzogener Junge?«

»Was weiß ich?«

»Du bist kein verzogener Junge.«

Was ging nur in ihrem Kopf vor? Selbstverständlich war er ein verzogener Junge! Teresa DeRenzo hatte ihm oft genug gesagt, dass er niederträchtig, selbstsüchtig und verdorben sei. Das hatte ihm immer gefallen. Und dieses andere Mädchen – wie hieß sie noch gleich – diese Carmela, Carmela Ricci, die Freundin von Rocco Saccone, hatte ihn für einen Teufel gehalten, und die musste es wissen, war ein kluges Mädchen, hatte an der Universität von Colorado studiert. Einen wunderbaren Halunken hatte sie ihn genannt, eine Gefahr für jedes junge Mädchen. Aber Maria? Ach, Maria hielt ihn für einen Engel, unschuldig wie Brot. Maria hatte keine Ahnung. War nicht an der Universität gewesen, hatte noch nicht mal die Highschool abgeschlossen.

Nicht mal die Highschool. Ihr Name war Maria Bandini. Vor der Heirat hatte sie Maria Toscana geheißen. Ihr Bruder Tony und ihre Schwester Teresa hatten beide die Highschool abgeschlossen, aber Maria? Der Fluch der Familie lag auf diesem Mädchen, das immer seinen Kopf durchsetzen musste und sich weigerte, einen Schulabschluss zu machen. Die ungebildete Toscana, die ohne Abschluss – bis kurz vors Examen gekommen nach dreieinhalb Jahren, aber eben kein Abschluss. Tony und Teresa hatten einen Abschluss, und Carmela Ricci, Roccos Freundin, hatte sogar die Universität besucht. Gott war gegen ihn. Wieso hatte er sich ausgerechnet in diese Frau verlieben müssen, die keinen Schulabschluss hatte?

»Bald ist Weihnachten, Svevo«, sagte sie. »Sprich ein Gebet. Bitte Gott um ein schönes Weihnachtsfest.«

Maria sagte ihm immerzu Dinge, die er schon wusste. Musste man ihn denn daran erinnern, dass Weihnachten nahte – in der Nacht zum neunten Dezember? Wenn ein Mann sich an einem Donnerstag zur Ruhe begibt an der Seite seiner Frau: Muss sie ihn dann darauf aufmerksam machen, dass am nächsten Tag Freitag ist? Und dann dieser Arturo – wieso war Svevo mit so einem Sohn geschlagen, der mit einem Schlitten spielte? Ah, povera America! Und da sollte er für ein frohes Fest beten?

»Ist dir warm genug, Svevo?«

Da war sie schon wieder. Dauernd wollte sie wissen, ob ihm warm genug war. Sie war nur fünf Fuß groß und so still, dass er nie wusste, ob sie wach war oder schlief. Eine Frau wie ein Gespenst, immer zufrieden in ihrer Hälfte des Ehebetts und ständig mit dem Rosenkranz zugange im Hinblick auf ein schönes Weihnachtsfest. War es da ein Wunder, dass er dieses Haus nicht bezahlen konnte, dieses Irrenhaus, das eine religiöse Fanatikerin besetzt hielt? Ein Mann braucht eine Frau, die ihn fordert, inspiriert und zu harter Arbeit antreibt. Aber Maria? Ah, povera America!

Sie schlüpfte aus dem Bett und fand im Dunkeln mit den Füßen zielsicher ihre Pantoffeln auf dem Bettvorleger. Er wusste, dass sie erst auf die Toilette gehen und dann nach den Jungen sehen würde. Das war ihr letzter Rundgang, bevor sie für den Rest der Nacht ins Bett zurückkehrte. Eine Ehefrau, die ständig aus dem Bett schlüpfte, um nach ihren drei Söhnen zu sehen. Ach, was für ein Leben! Io sono fregato!

Wie konnte ein Mann schlafen bei dem ständigen Aufruhr in diesem Haus? Wenn die Frau ständig wortlos aus dem Bett kletterte? Zum Teufel mit dem Imperial! Ein Full House mit zwei Damen und trotzdem verloren. Madonna! Und bei so viel Pech sollte er auch noch Zwiesprache mit Gott halten? Für ein schönes Weihnachtsfest beten?

Genauso leise, wie sie verschwunden war, legte sie sich wieder neben ihn.

»Federico hat sich erkältet«, sagte sie.

Auch Svevo hatte sich erkältet – die Seele. Sein Sohn Federico musste nur ein wenig jammern, und schon rieb ihm Maria die Brust mit Menthol ein und lag dann die halbe Nacht wach, um über den Gesundheitszustand ihres Sohnes zu reden. Er aber, Svevo Bandini, musste einsam leiden, und zwar keine körperlichen Schmerzen, sondern schlimmer: seelische. Welcher Schmerz in aller Welt war schlimmer als der seelische? Und stand ihm Maria jemals bei? Hatte sie ihn jemals gefragt, ob er leide in den schweren Zeiten? Hatte sie je gesagt: Svevo, mein Geliebter, wie geht’s denn heute deiner Seele? Bist du glücklich, Svevo? Hast du diesen Winter auch nur die geringste Aussicht auf Arbeit, Svevo? Dio maledetto! Und sie wünschte sich ein schönes Weihnachtsfest! Wie kannst du ein schönes Weihnachtsfest haben, wenn du ganz und gar allein bist inmitten von drei Söhnen und einer Frau? Löcher in den Schuhen, Pech im Spiel, keine Arbeit, brichst dir das Genick auf einem gottverdammten Schlitten – und du wünschst dir ein schönes Weihnachtsfest! War er etwa Millionär? Er wär’s vielleicht geworden, wenn er die richtige Frau geheiratet hätte. Wenn. Aber dazu war er nun mal zu blöde gewesen.

Ihr Name war Maria, und er fühlte, wie die Matratze unter ihm nachgab, und er lächelte, denn er wusste, dass sie näher rutschte. Svevo öffnete leicht den Mund, um sie zu empfangen, und dann berührten drei Finger einer kleinen Hand seine Lippen und entführten ihn in wärmere Gefilde. Mit spitzen Lippen blies sie ihren Atem in seine Nüstern.

»Cara sposa«, sagte er. »Meine liebe Frau.«

Sie rieb ihre feuchten Lippen an seinen Augen. Er lachte leise.

»Ich bringe dich um«, flüsterte er.

Sie lachte, dann hielt sie plötzlich inne und lauschte, ob die Jungen im Nebenzimmer noch schliefen.

»Che sarà, sarà«, sagte sie.

Ihr Name war Maria, und sie wartete geduldig auf ihn, streichelte die Mitte seiner Lenden, küsste ihn geduldig hier und da. Dann kam die große Hitze über ihn, die er so sehr liebte, und sie sank zurück in die Kissen.

»Ah, Svevo. Wunderbar!«

Er liebte sie mit sanftem Ungestüm, und er war stolz auf sich. Sie ist gar nicht so dumm, meine Maria, dachte er die ganze Zeit; sie weiß zumindest, was gut ist. Irgendwann löste sich alles in weißem Licht auf, und er stöhnte erleichtert, stöhnte glücklich wie ein Mann, der für eine kurze Weile viele Dinge hatte vergessen können. Maria lag still auf ihrer Seite des Bettes, lauschte dem Wummern ihres Herzens und fragte sich, wie viel Svevo wohl im Imperial verloren hatte. Bestimmt ziemlich viel; wahrscheinlich um die zehn Dollar. Zwar hatte Maria keinen Schulabschluss, aber sie konnte die Verzweiflung ihres Mannes an der Stärke seiner Leidenschaft ermessen.

»Svevo«, flüsterte sie.

Aber der schlief schon tief.

Bandini, der Schneehasser. Morgens um fünf schoss er aus dem Bett wie eine Rakete, schnitt Grimassen in den kalten Wintermorgen und feixte: Verfluchtes Colorado, das Hinterteil von Gottes Schöpfung, ewiges Eis und kein Platz für einen italienischen Maurer, ein Fluch lag auf seinem Leben. Er stelzte auf den Außenristen seiner Füße zum Stuhl, schnappte sich seine Hose und steckte die Beine hinein. Er dachte daran, dass er Tag für Tag zwölf Dollar verlor, Tariflohn für acht Stunden harte Arbeit – nur wegen dieses verfluchten Schnees! Er ließ das Rollo hochschnellen, dass es ratterte wie ein Maschinengewehr. Knurrend begrüßte er den bleichen, kahlen Morgen. Sporca chone. Sporcaccione ubriaco.

Maria hatte den leichten Schlaf eines Kätzchens geschlafen, bis das ratternde Rollo sie weckte.

»Svevo. Es ist noch zu früh.«

»Schlaf weiter. Dich hat keiner gefragt. Schlaf du nur weiter.«

»Wie spät ist es?«

»Für einen Mann Zeit, aufzustehen, für eine Frau Zeit, zu schlafen. Halt jetzt die Klappe.«

Sie hatte sich nie an dieses frühe Aufstehen gewöhnen können. Ihre Zeit war sieben Uhr, abgesehen von den Tagen, die sie im Krankenhaus verbracht hatte. Einmal war sie sogar bis neun im Bett geblieben und hatte Kopfschmerzen bekommen davon; aber dieser Mann da, den sie geheiratet hatte, schoss im Winter immer um fünf aus dem Bett, im Sommer um sechs Uhr. Sie wusste um die Qualen, die ihm das weiße Gefängnis des Winters bereitete; sie wusste, dass er in zwei Stunden alle Fußwege ums Haus vom Schnee befreit haben würde. Er würde die hinterste und letzte Schneeflocke unter den Wäscheleinen wegfegen und draußen auf der Straße den Gehsteig den halben Block hinunter makellos schwarz räumen, und den Schnee würde er zu hohen Haufen auftürmen und mit seiner Schaufel wütend darauf einschlagen.

Und so war es auch. Sie stand auf, schlüpfte in ihre Pantoffeln und ging in die Küche. Dort beobachtete sie durchs Fenster, wie er sich in der Gasse zu schaffen machte, die hinter dem Garten durchführte. Er war ein Hüne von einem Mann, ein zwergenhafter Hüne hinter einem sechs Fuß hohen Zaun, und man konnte von ihm nur die Schaufel sehen, mit der er in gleichförmigem Takt den Schnee zurück in den Himmel warf.

Ums Feuer im Küchenherd aber hatte er sich nicht gekümmert. Er schürte niemals den Herd an. Wer war er denn, dass er Feuer machen sollte – eine Frau? Es gab natürlich Ausnahmen. Einmal waren sie alle zusammen zum Grillen in die Berge gefahren, und niemand außer ihm hatte sich ums Grillfeuer kümmern dürfen. Aber den Küchenherd! Wer war er denn – eine Frau?

Es war ein bitterkalter Morgen. Marias Zähne klapperten, das dunkelgrüne Linoleum unter ihren Füßen fühlte sich an wie Eis, und selbst der Herd war ein Eisblock. Was war das für ein Herd! Ein ungezähmter, übellauniger Despot von einem Herd. Sie redete ihm gut zu, besänftigte ihn und schmeichelte ihm, aber dieser Schwarzbär von einem Herd lehnte sich immer wieder gegen sie auf und widersetzte sich allen Versuchen, ein Feuer in Gang zu bringen; und wenn dieser streitsüchtige Herd dann heiß war und eine wohlige Wärme verbreitete, konnte er plötzlich Amok laufen und gelb glühend damit drohen, das ganze Haus in Schutt und Asche zu legen. Nur Maria konnte mit diesem mürrischen schwarzen Eisenblock umgehen. Sachte legte sie Zweig um Zweig nach, streichelte die zarte Flamme, legte vorsichtig ein Holzscheit nach, dann noch eins und noch eins, bis der Ofen zu schnurren begann und das Eisen sich erhitzte. Der Herd dehnte sich und bullerte in der Hitze, und dann fing er wohlig an zu grunzen und zu stöhnen wie ein Idiot. Der Herd liebte nur sie allein. Wenn Arturo oder August auch nur ein Stück Kohle in seinen gefräßigen Schlund fallen ließen, geriet er außer Rand und Band und wurde so heiß, dass die Farbe an der Wand Blasen warf, er verfärbte sich bedrohlich gelb und zischte nach Maria, die dann herbeieilte und ihn zur Ruhe brachte. Mit einem Lappen in der Hand zupfte sie geschickt an diesem und jenem Hebel, schloss flink die Luftklappen und schüttelte seine Innereien durch, bis er wieder in seinen dumpfen Normalzustand zurückkehrte. Marias Hände waren nicht größer als erblühte Rosen, aber dieser schwarze Teufel war ihr Sklave, und sie hatte ihn wirklich gern. Sie hielt ihn immer sauber, dass er boshaft glänzte, und sein vernickelter Firmenschriftzug sah aus wie ein teuflisches Grinsen mit gebleckten Zähnen.

Als die Flammen höher schlugen und der Herd »Guten Morgen« grummelte, setzte sie Kaffeewasser auf und kehrte zum Fenster zurück. Svevo stand keuchend im Hühnergehege und stützte sich auf die Schaufel. Die Hühner waren glucksend aus dem Stall gekommen beim Anblick dieses Mannes, der immer das weiße Zeug vom Boden aufhob und über den Zaun warf. Vom Fenster aus beobachtete Maria, wie die Hühner vorsichtig Abstand hielten von Svevo. Maria wusste, wieso. Die Hühner gehörten ihr; ihr fraßen sie aus der Hand. Ihn hingegen hassten sie, denn er war der Mann, der gelegentlich samstagabends kam, um zu töten. So hatte alles seine Ordnung. Die Hühner waren dankbar, dass er den Schnee weggeschippt hatte und sie wieder in der Erde scharren konnten. Sie schätzten das, aber niemals hätten sie ihm so vertrauen können wie der Frau, die mit ihren kleinen Händen Maiskörner verstreute und auch mal eine Schüssel Spaghetti; sie küssten Maria mit dem Schnabel, wenn sie ihnen Spaghetti brachte. Aber Vorsicht vor diesem Mann.

Die Söhne hießen Arturo, August und Federico. Sie waren jetzt wach und blinzelten aus ihren schlaftrunkenen, dunklen Augen. Sie teilten sich alle drei ein Bett. Arturo war vierzehn und der Älteste, August war zwölf und Federico acht. Italienerjungs, die zu dritt in einem Bett rumalberten und einander kichernd obszöne Dinge erzählten. Arturo wusste eine Menge, und seine Worte strömten als weiße Dampfwolken ins kalte Zimmer. Er wusste wirklich Bescheid. Ihr wisst ja gar nicht, was ich gesehen habe. Sie hat auf der Verandatreppe gesessen. Ich war etwa so weit von ihr weg. Ich habe alles gesehen.

Federico, acht Jahre alt: »Was hast’n gesehen, Arturo?«

»Halt’s Maul, du Dussel! Wir reden nicht mit dir.«

»Ich sag’s keinem, Arturo.«

»Halt jetzt die Klappe! Du bist noch zu klein!«

»Dann sag ich’s eben.«

Darauf warfen sie ihn mit vereinten Kräften aus dem Bett. Er plumpste zu Boden und heulte, und als ihn auch noch die Eiseskälte mit zehntausend Nadeln pikste, schrie er auf und versuchte, wieder unter die Decke zu klettern. Aber die zwei Großen waren stärker als er. Also sauste er ums Bett herum ins Zimmer der Mutter, die gerade ihre Baumwollstrümpfe anzog.

»Sie haben mich rausgeworfen! Arturo war’s. Und August!«

»Petze!«, riefen die zwei nebenan.

Maria fand ihn wunderschön, ihren Federico; seine Haut war so schön. Sie nahm ihn in die Arme, rieb mit beiden Händen über seinen Rücken und kniff ihn fest in seinen hübschen, kleinen Po, um ihn aufzuwärmen.

»Schlaf noch ein bisschen in Mammas Bett«, sagte sie.

Er schlüpfte schnell hinein. Sie packte ihn fest in die Decken ein und schüttelte ihn vergnügt. Er war glücklich, dass er Mammas Bettseite erwischt hatte, denn ihr Kopfkissen war warm und duftete süß; Papas Kissen roch streng und sauer.

»Ich weiß noch was«, sagte Arturo. »Aber ich sag’s nicht.«

August war zwölf und hatte noch keine Ahnung; natürlich hatte er mehr Ahnung als dieser Knilch von einem Federico, aber nicht halb so viel wie sein großer Bruder Arturo, der schon eine ganze Menge wusste über Frauen und so.

»Was gibst du mir, wenn ich’s dir erzähle?«

»Mein Milchgeld.«

»Milchgeld! Was zum Teufel soll ich mit deinem Milchgeld mitten im Winter?«

»Ich geb’s dir nächsten Sommer.«

»Quatsch. Was krieg ich jetzt?«

»Alles, was ich habe.«

»Klingt gut. Was hast du?«

»Gar nichts.«

»Okay. Dann erzähl ich auch nichts.«

»Du weißt ja eh nichts.«

»Wenn du es sagst …«

»Erzähl’s mir umsonst.«

»Bin doch nicht blöd.«

»Du lügst. Lügner.«

»Nenn mich nicht Lügner.«

»Wenn du’s mir nicht erzählst, bist du ein Lügner. Lügner!«

Arturo war vierzehn. Er war die Miniaturausgabe seines Vaters, nur ohne Schnurrbart. Über sein Gesicht schwärmten Sommersprossen wie Ameisen über einen Kuchen, und auf seiner gekräuselten Oberlippe zeigte sich sanfte Grausamkeit. Er war der Älteste, und er hielt sich für einen ziemlich harten Burschen, und keine von diesen Rotznasen durfte ihn ungestraft einen Lügner nennen. Fünf Sekunden später wand sich August unter Schmerzen. Arturo war unter die Bettdecke verschwunden und hatte seinen Bruder an den Zehen gepackt.

»Hier kommt die Zehenschraube!«

»Au! Lass los!«

»Wer ist hier ein Lügner?«

»Niemand!«

Ihre Mutter hieß Maria, aber sie nannten sie Mamma, und jetzt stand sie neben ihrem Bett und hatte wieder einmal keine Ahnung, wie sie ihrer Pflicht als Mutter nachkommen sollte. Augusts Mutter zu sein war leicht; sie war vernarrt in sein blondes Haar, beugte sich dauernd zu ihm hinunter, grub sich in sein blondes Haar und überhäufte ihn mit Küssen. Er war ein guter Junge, obwohl sie viel Sorgen mit ihm gehabt hatte. Schwache Nieren, hatte Doktor Hewson gesagt, aber das war jetzt vorbei, die Matratze war morgens nicht mehr feucht. August würde nun zu einem stattlichen jungen Mann heranwachsen und nicht mehr ins Bett machen. Endlose Nächte hatte Maria im Dunkeln kniend neben dem schlafenden Jungen verbracht, und die Perlen des Rosenkranzes hatten zwischen ihren Fingern geklickt, während sie betete: Bitte, lieber Gott, lass ihn nicht ins Bett machen. Hundert Nächte lang, zweihundert Nächte lang. Für den Arzt waren es schwache Nieren, für sie war es Gottes Wille; für Svevo war es nur verfluchte Achtlosigkeit, und er hatte August im Hühnerhof einquartieren wollen, blondes Haar hin oder her. Jeder hatte gute Ratschläge gehabt. Der Arzt verschrieb weiter Tabletten. Svevo wollte den Jungen mit dem Riemen kurieren, was Maria immer hatte verhindern können. Und ihre eigene Mutter, Donna Toscana, hatte darauf bestanden, dass August seinen eigenen Urin trinken müsse. Aber da sie Maria hieß wie die Mutter des Erlösers, hielt sie persönlich Zwiesprache mit jener anderen Maria, und zwar über viele Meilen ihres Rosenkranzes hinweg. Und hatte August etwa nicht damit aufgehört? War er jetzt nicht trocken und warm, wenn ihre Hand am frühen Morgen unter seine Decke schlüpfte? Weshalb? Maria wusste es. Nach Bandinis Meinung war es höchste Zeit gewesen. Der Doktor schrieb den Erfolg seinen Tabletten zu, und Donna Toscana meinte, dass es schon längst vorüber gewesen wäre, wenn man auf sie gehört hätte. Auch August staunte und war glücklich, dass er morgens trocken und sauber aufwachte und diese Nächte der Vergangenheit angehörten, da er vom Klicken des Rosenkranzes aufwachte und seine Mutter neben ihm kniete und unablässig »Heilige Maria, Mutter Gottes, Heilige Maria, Mutter Gottes« flüsterte, ihm diese Worte geradezu einträufelte, so dass ihn schreckliche Schwermut befiel zwischen diesen zwei Marias und der dringende Wunsch, es diesen beiden recht zu machen. Er würde von nun an ganz einfach nicht mehr ins Bett machen.

Augusts Mutter zu sein war einfach. Sie konnte mit seinem blonden Haar spielen, wann immer sie wollte, denn er bewunderte und verehrte sie. Sie hatte so viel für ihn getan. Sie hatte ihn großgezogen. Sie hatte einen richtigen Jungen aus ihm gemacht, und Arturo konnte ihn nicht länger wegen seiner schwachen Nieren aufziehen. Sie und die andere Maria hatten ihn von einem Weichling in einen ganzen Kerl verwandelt; daran erinnerte er sich jede Nacht, wenn sie auf leisen Sohlen ans Bett kam und ihm das Haar streichelte. Maria gewöhnte sich nie an das Wunder seines blonden Haars. Gott allein wusste, woher er das hatte, und sie war unbändig stolz darauf.

Sie machte Frühstück für drei Jungen und einen Mann. Der Älteste hieß Arturo, aber er hasste diesen Namen und wollte lieber John genannt werden. Sein Familienname war Bandini, aber er wollte Jones heißen. Seine Mutter und sein Vater waren Italiener, aber er wollte Amerikaner sein. Sein Vater war Maurer, aber er wollte Werfer bei den Chicago Cubs werden. Sie lebten in Rocklin, Colorado, einer Stadt mit zehntausend Einwohnern, aber er wollte dreißig Meilen weiter in Denver leben. Er wollte keine Sommersprossen haben. Er ging in eine katholische Schule, aber er wollte in eine staatliche gehen. Er war verliebt in ein Mädchen namens Rosa, aber sie konnte ihn nicht ausstehen. Er diente als Ministrant in der Kirche, aber er war ein Teufel und hasste Ministranten. Er wollte ein braver Junge sein, befürchtete aber, dass ihn seine Freunde dann einen braven Jungen nennen würden. Er hatte seinen Vater gern, aber er wuchs heran und lebte in der Furcht vor dem Tag, an dem er seinen Vater überflügeln würde. Er verehrte seinen Vater, aber seine Mutter hielt er für weichlich und dumm.

Warum war seine Mutter so anders als andere Mütter? Denn das war sie, er beobachtete das Tag für Tag. Jack Hawleys Mutter zum Beispiel war aufregend; sie hatte eine Art, ihm Kekse zu reichen, dass sein Herz höher schlug. Jim Tolands Mutter hatte hübsche Beine. Cal Mollas Mutter trug immer dünne Baumwollkleider. Er geriet in Ekstase, wenn sie den Küchenboden wischte und er hinter ihr stand und gierigen Blicks die Bewegungen ihrer Hüften verfolgte. Er war vierzehn Jahre alt, und die Erkenntnis, dass seine Mutter ihn nicht erregte, weckte in ihm einen heimlichen Hass auf sie. Er beobachtete seine Mutter aus den Augenwinkeln. Er liebte sie, aber er hasste sie.

Warum ließ seine Mutter sich von Bandini so herumkommandieren? Wieso hatte sie Angst vor ihm? Wenn sie miteinander ins Bett gingen, lag Arturo schweißgebadet und hasserfüllt wach und fragte sich, warum seine Mutter Bandini das machen ließ. Warum lächelte sie im Dunkeln, wenn sie aus dem Badezimmer kam und nach den Jungen sah? Er konnte ihr Lächeln nicht sehen, aber er wusste, dass es da war – dass seine Mutter in die Dunkelheit verliebt war und dass ihr Gesicht von innen heraus glühte. In solchen Augenblicken hasste er sie beide, vor allem aber die Mutter. Angespuckt hätte er sie am liebsten, und nachdem sie ins Bett zurückgekehrt war, blieb sein Gesicht noch lange starr vor Hass.

Das Frühstück war fertig. Er konnte seinen Vater hören, der Kaffee verlangte. Warum musste der die ganze Zeit brüllen? Konnte er zur Abwechslung nicht mal leise reden? Wegen des väterlichen Gebrülls wusste die ganze Nachbarschaft über alles Bescheid, was in diesem Haus vor sich ging. Von den Moreys nebenan hingegen hörte man keinen Mucks, niemals; das waren ruhige, respektable Amerikaner. Arturos Vater aber reichte es nicht, Italiener zu sein; er musste auch noch ein lauter Italiener sein.

»Arturo«, rief seine Mutter. »Frühstück.«

Als ob er nicht wüsste, dass es Frühstück gab! Als ob nicht ganz Colorado darüber unterrichtet war, dass Familie Bandini um diese Zeit das Frühstück einzunehmen pflegte!

Arturo hasste Wasser und Seife und sah nicht ein, weshalb man jeden Morgen das Gesicht waschen sollte. Er hasste das Badezimmer, weil keine Badewanne drin war. Er hasste auch Zahnbürsten und die Zahnpasta, die seine Mutter immer kaufte. Er hasste den Familienkamm, der immer voller Mörtel aus dem Haar des Vaters war, und er hasste sein eigenes Haar, weil es so widerspenstig war. Vor allem aber hasste er sein Gesicht, weil es mit Sommersprossen übersät war. Das Einzige, was er im Badezimmer mochte, war die lockere Bodendiele in der Ecke. Dort versteckte er seine Schundheftchen, Scarlet Crime und Terror Tales.

»Arturo! Deine Eier werden kalt!«

Eier. Gott, wie er Eier hasste.

Natürlich waren sie schon kalt; aber noch kälter war der Blick, mit dem ihn sein Vater empfing. Plötzlich fiel ihm alles wieder ein; er warf der Mutter einen Blick zu und sah, dass sie ihn verpetzt hatte. Oh Gott! Seine eigene Mutter hatte ihn verraten! Bandini deutete mit dem Kinn zum Fenster hin, in dem eine von acht Scheiben mit einem Geschirrtuch verhängt war.

»Du hast also den Kopf deines Bruders durchs Fenster gestoßen?«

Das war zu viel für Federico. Er sah alles wieder vor sich: den wütenden Arturo, der ihn durchs Fenster schubst, und das splitternde Glas. Er fing an zu weinen. Gestern Abend hatte er nicht weinen müssen, aber jetzt stieg die Erinnerung in ihm hoch an das Blut, das aus seinem Haar getropft war, und an seine Mutter, die die Wunde ausgewaschen und ihm Mut zugesprochen hatte. Schrecklich war das gewesen. Wieso hatte er eigentlich nicht gestern Abend schon geweint? Er wusste es nicht mehr, aber jetzt weinte er und rieb sich mit der Faust die Tränen aus den Augen.

»Halt die Klappe!«, sagte Bandini.

»Soll doch mal einer dir den Kopf durchs Fenster stoßen«, schluchzte Federico. »Dann sehen wir ja, ob du nicht auch weinst!«

Arturo verabscheute ihn. Wieso musste er einen kleinen Bruder haben? Warum hatte der vor dem Fenster gestanden? Was waren diese Spaghettifresser nur für Menschen? Schau dir zum Beispiel den Vater an. Schau, wie er mit der Gabel die Eier zermanscht, um seine Wut zu demonstrieren. Sieh dir nur das Eigelb auf seinem Kinn an. Selbstverständlich brauchte er als Itaker einen Schnurrbart, das konnte man verstehen; aber musste er sich die Eier in die Ohren schmieren? Fand er den Mund nicht? Oh Gott, diese Italiener!

Federico gab jetzt wieder Ruhe; sein Martyrium von gestern Abend interessierte ihn nicht mehr, denn er hatte eine Brotkrume in seiner Milch entdeckt, die aussah wie ein Motorboot im Meer; brrrr, machte das Motorboot, brrrr. Was wäre, wenn das Meer aus Milch bestünde – gäb’s dann am Nordpol Eiscreme? Brrrr, brrrr. Plötzlich fiel ihm der gestrige Abend wieder ein. Seine Augen wurden feucht, und er schluchzte. Aber dann sank die Brotkrume. Brrrr, brrrr. Geh nicht unter, Motorboot! Nicht untergehen! Bandini beobachtete ihn.

»Herrgott noch mal!« sagte er. »Trink deine Milch, und hör auf rumzukaspern!«

Es war für Maria immer ein Schlag ins Gesicht, wenn jemand den Namen des Herrn im Mund führte. Vor der Hochzeit war ihr nicht aufgefallen, dass Bandini fluchte, und später hatte sie sich nie daran gewöhnen können. Bandini fluchte auf alles. Seine ersten englischen Worte waren »God damn it« gewesen. Er war sehr stolz auf seine Flüche. Wenn er in Wut geriet, verschaffte er sich immer zweisprachig Erleichterung.

»Also«, sagte er. »Weshalb hast du den Kopf deines Bruders durchs Fenster gestoßen?«