Über Ulrike Renk

Ulrike Renk, Jahrgang 1967, studierte Literatur und Medienwissenschaften und lebt mit ihrer Familie in Krefeld. Familiengeschichten haben sie schon immer fasziniert, und so verwebt sie in ihren erfolgreichen Romanen Realität mit Fiktion.

Im Aufbau Taschenbuch liegen ihre Australien-Saga und ihre Ostpreußen-Saga sowie zahlreiche historische Romane vor.

Mehr Informationen zur Autorin unter www.ulrikerenk.de

Informationen zum Buch

Der Duft von Apfelblüten.

Ostpreußen, 1926: Endlich ist der Frühling da. Bevor Frederike im Herbst die höhere Töchterschule besuchen wird, will sie das Leben auf dem Land noch einmal in vollen Zügen genießen. Mit ihrem Lieblingspferd Caramell unternimmt sie lange Ausritte oder verbringt ihre Zeit im Stall, schließlich werden dieses Jahr gleich drei Fohlen erwartet. Als ihre beste Freundin Thea zu Besuch kommt, scheint das Glück perfekt. Doch mit dem Müßiggang ist es nun vorbei, denn auf Gut Fennhusen soll ein Fest vorbereitet werden, das es so noch nie gegeben hat …

Eine zauberhafte Frühlingsgeschichte, die auf wahren Begebenheiten beruht.

Teile dieses E-Books waren bereits Bestandteil des nicht mehr verfügbaren E-Books »Muttertag auf Fennhusen«.

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Ulrike Renk

Frühling auf Gut Fennhusen

Roman

Inhaltsübersicht

Über Ulrike Renk

Informationen zum Buch

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Gut Fennhusen

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Nachwort und Danksagung

Impressum

Für Philipp,

Tim und Robin.

Ich liebe euch!

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Gut Fennhusen

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Die Familie

002

Erik und Stefanie von Fennhusen

Eriks Stiefkinder:

Frederike von Weidenfels geb. 1909

Fritz von Fennhusen geb. 1911

Gerta von Fennhusen geb. 1913

Gemeinsame Kinder:

Irmgard (Irmi) geb. 1921

Gisela (Gilusch) geb. 1922

Erik geb. 1924

Die Leute auf Fennhusen

002

Gerulis – 1. Hausdiener

Viktor – 1. Stallmeister

Hans – Kutscher

Meta Schneider – Köchin

Lore – Kochgehilfin

Leni – 1. Hausmädchen

Koslowski – Schweizer

Irina – Hausmädchen

Freunde und Verwandte

002

Julius und Heidi von Fennhusen

Familie von Larum-Stil

Familie von Hermannsdorf

Familie von Olechnewitz

Familie von Husen-Wahlheim

März 1926

001

Kapitel 1

003

In Ostpreußen kam der Frühling meist spät und wurde umso sehnlicher erwartet. Der Winter hatte schon Ende Oktober sein frostiges Band über das Land gelegt, die Bäche, Flüsse, Teiche und Seen nach und nach mit einer Eisschicht versehen, die jede Woche dicker zu werden schien. Mitte November hatte Schnee das Land überzogen – erst nur Puderzuckerschnee, dann aber fielen dicke weiße Flocken. Ein eisiger Wind trieb ihn zu meterhohen Verwehungen zusammen. Die Sonne schien oft gar nicht mehr aufzugehen. Aber es gab auch die klaren Tage, mit blauem Himmel, klirrender Kälte und der einzigartigen Wintersonne.

Wie jeden Morgen ging Erik von Fennhusen nach dem Gespräch mit dem Inspektor auf die noch kahlen Felder und prüfte den Boden. Der Frost saß tief, brach aber die Ackerkrumen auf.

»Wir können bald kalken«, sagte Erik beim Mittagessen, das wie stets nur aus einer kleinen Mahlzeit bestand, zu seiner Frau Stefanie. Frederike, die älteste Tochter aus Stefanies erster Ehe, ihre jüngeren Geschwister Fritz und Gerta sowie die Hauslehrerin Fräulein Hansen saßen mit am Tisch. Natürlich nahmen auch Tante Edeltraut, Eriks unverheiratete Schwester, und ihre beste Freundin Martha, die inzwischen dauerhaft auf dem Gut lebte, an den Mahlzeiten teil. Die drei Jüngsten aßen zusammen mit dem Kindermädchen in ihrem Zimmer. Nur nachmittags verbrachten sie ein wenig Zeit mit ihrer Mutter im Salon.

Das Leben auf dem Gutshof bedürfte einer genauen Planung, damit auch alle Arbeiten bewältigt werden konnten. Aber vor allem bestimmten die Jahreszeiten und das Wetter den Tag.

»Wenn du jetzt kalkst«, sagte Fritz, der sich für alles interessierte, was mit der Bewirtschaftung zu tun hatte – und noch mehr für alles Technische –, »dann bringen wir in vier Wochen die Jauche aus.«

»Wenn es das Wetter zulässt, richtig, mein Junge«, sagte Erik zufrieden.

»Wirst du den Traktor zum Kalken nehmen?«

Erik nickte. »Die Zeiten sind vorbei, wo die Knechte und Mägde mit Körben über die Felder laufen mussten. Natürlich nehmen wir den Traktor. Hans überprüft ihn gerade.«

Fritz’ Augen leuchteten. »Darf ich zusehen? Und darf ich mitfahren?«

Erik sah Fräulein Hansen fragend an.

Sie lächelte. »Ich denke, auch das gehört zum Lehrstoff dazu«, sagte sie. »Doch ich kann es nicht vermitteln. Es ist gut, wenn der Junge diese Dinge vor Ort sieht und in der Praxis lernt.«

Fritz strahlte über das ganze Gesicht.

»Allerdings nur«, fuhr Fräulein Hansen fort, »wenn du deine Hausaufgaben darüber nicht vergisst.«

»Natürlich nicht, Fräulein Hansen«, murmelte er.

»Du meinst, der Winter neigt sich endlich dem Ende zu?«, fragte Stefanie nach.

»Nein, das noch nicht. Ich denke, wir werden noch ein paar Wochen Frost haben. Vielleicht schneit es sogar noch einmal. Aber das Frühjahr wird kommen, und dann gibt es viel zu tun.«

»Ich freue mich so auf den Frühling«, sagte Gerta versonnen. »Dann kann ich endlich wieder in die Scheune. Wie viele Katzenbabys wir wohl dieses Jahr haben werden? Minka ist trächtig und Maunzi auch.«

»Was ist mit den Hunden?«, fragte Frederike. Ihr Hektor lag in der Diele. Er war inzwischen sehr alt geworden, aber immer noch ein treuer Begleiter.

»Hexe ist trächtig«, sagte Onkel Erik, und ein gewisser Stolz lag in seiner Stimme. »Das erste Mal. Ich habe sie von Zeus decken lassen.«

»Dem Bernhardiner der von Husen-Wahlheims?«

Erik nickte. »Er ist ein ausgezeichneter Wachhund und schön kräftig. Und unsere Hexe ist ein ausgezeichneter Hofhund.«

»Das stimmt. Schneider liebt Hexe«, sagte Stefanie schmunzelnd. »Die Hündin jagt Marder und die großen Ratten. Darin ist sie sehr erfolgreich, und wir haben nicht so große Verluste beim Geflügel.«

»Auf den Wurf bin ich sehr gespannt«, sagte Erik und wischte sich mit der Serviette über den Mund. Dann schob er den Stuhl zurück und stand auf. »Ich muss jetzt mit dem Inspektor nach dem Saatgut schauen. Ich hoffe, die Mäuse haben nicht zu wild gewütet in diesem Winter.«

Bald ist er vorbei, der Winter, dachte Frederike und schaute nach draußen. Wie um ihre Gedanken zu verhöhnen, trieb der Wind nun kleine Schneeflocken über den Hof. Sie sahen so unschuldig aus, waren aber wie Eiskristalle, spitz und hart, und brannten auf der Haut. Aber auch wenn man es sich nicht vorstellen konnte, Frederike wusste, dass es das letzte Aufbäumen des Winters war, ein Aufheulen und die Drohung, dass nie wieder irgendetwas blühen oder sprießen würde – eine nutzlose Drohung, denn schon längst zeigten sich vorsichtig die ersten Knospen an Sträuchern und Bäumen. Auch einige vorwitzige Winterlinge und die zartgrünen Spitzen einiger Schneeglöckchen hatte sie bereits im Garten entdeckt. Und jeden Tag wurden es mehr.

***

Eine Woche später saß die ganze Familie abends am Esstisch. Die Post war spät gekommen, und Stefanie sah die Briefe durch.

»Julius und Heidi haben uns eingeladen«, sagte sie nachdenklich.

»Ach?«, meinte Erik. »Für wann denn? Wir haben sie so lange nicht mehr gesehen. Weihnachten das letzte Mal.«

Frederike lächelte bei dem Gedanken. Weihnachten waren sie im Schlitten zu ihren Verwandten gefahren, auf der Rückfahrt, in tiefster Nacht, hatten alle selig unter den dicken Decken und Pelzen geschlummert und es Glumse, dem Kaltblut, überlassen, den Weg nach Hause zu finden. Doch statt nach Fennhusen war Glumse zu den von Olechnewitz getrabt, er wollte zu seiner besten Freundin, der Stute Caramell. Herbert von Olechnewitz hatte sie vor kurzem Erik abgekauft, damit seine Tochter Katharina sie reiten konnte, doch beide Pferde litten fürchterlich unter der Trennung.

Natürlich hatte Erik es nach diesem Erlebnis nicht übers Herz gebracht, Caramell zurückzulassen, und hatte sie zu Frederikes großer Freude zurückgekauft. Jetzt im Frühjahr wollte er sie decken lassen und mit ihr eine neue Zucht beginnen.

»Sie wollen zu Ostern ihre Tochter Anna taufen lassen und laden uns dazu ein.«

»Ostern? Ist Julius verrückt?«, meinte Erik und brummte. »Das geht nicht.«

»Warum nicht?«, fragte Stefanie erstaunt. »Das wäre doch eine schöne Gelegenheit, deinen Cousin und seine Frau wiederzusehen.«

»Das wäre es sicherlich«, erwiderte Erik, »aber Ostern ist schon in zwei Wochen, Anfang April, und es ist die Zeit, in der unsere Stuten fohlen. Da kann ich hier nicht weg.«

»Viktor wird sich um die Pferde kümmern, Erik. Es wäre doch auch nur ein Tag.«

»Du kannst gerne fahren und herzliche Grüße von mir bestellen, aber ich bleibe hier. Wir haben zwei Problemstuten – einmal Wenke, die zum ersten Mal fohlen wird, und dann Martje, sie ist schon alt und es wird ihr letztes Fohlen sein.«

»Aber wer sagt dir denn, dass sie an eben diesem Tag fohlen werden?«

»Niemand, Steff. Aber es sagt mir auch niemand, dass sie es nicht tun.«

»Es ist eine Taufe in deiner Verwandtschaft, das wird dir doch wichtiger sein als zwei Fohlen.«

»Nein, Steff«, meinte nun Tante Edeltraut. »Ich verstehe Julius nicht – es ist die Zeit, in der die Kälber kommen, die Schweine ferkeln und die Pferde abfohlen. Da sollte ein gewissenhafter Gutsbesitzer auf seinem Hof bleiben. Das war schon immer so und wird sich auch nicht ändern. Julius sollte das wissen.«

»Ich werde mit ihm reden.« Erik stand auf, ging in die Diele und meldete ein Gespräch nach Witzleben an.

Sie konnten die Mahlzeit noch zu Ende führen, bis endlich die Leitung zum anderen Gut zustande kam.

Eine Weile sprach Erik mit seinem Cousin, dann kehrte er ins Esszimmer zurück. Leni und Gerulis, das erste Hausmädchen und der Hausdiener, hatten den Tisch schon abgeräumt und Likör und Kaffee ausgeschenkt. Fritz und Gerta waren mit Frau Hansen nach oben gegangen, nur Frederike, die das Gut ja bald verlassen würde, durfte noch bleiben.

Erik nahm sich einen Cognac und zündete sich eine Zigarre an, aber erst, nachdem er die Damen fragend angesehen hatte.

»Nun rauch schon«, sagte Tante Edeltraut, »aber erzähl uns auch, was Julius gesagt hat.«

»Nun, es scheint ein großes Missverständnis zu sein. Heidi schwört, dass sie mit Julius den Termin abgesprochen und er zugestimmt hat, Julius kann sich indes nicht mehr daran erinnern.«

Stefanie unterdrückte ein Lachen. Sie warf Edeltraut einen wissenden Blick zu, auch Erik neigte dazu, manche Dinge zu überhören.

»Und was ist jetzt mit der Taufe?«, wollte Edeltraut wissen.

»Die findet statt«, sagte Erik und zog an seiner Zigarre, »allerdings erst Pfingsten. Dann werden wir auch teilnehmen können. Heidi wird neue Einladungen verschicken. Ich war nicht der Erste, der angerufen hat …«

»Siehst du«, sagte Edeltraut und nickte Stefanie zu. »Ich wusste es doch. Anfang April kann man keinen Hof alleine lassen.«

Frederike seufzte auf. Dies war ihr letztes Frühjahr auf Fennhusen. Im Herbst würde sie nach Bad Godesberg auf eine Schule für höhere Töchter gehen und dort in Hauswirtschafts- und Gartenlehre unterrichtet werden. Sie liebte das Leben auf dem Land, das Gut war ihre Heimat, und sie fürchtete sich ein wenig vor der Zukunft. Allein, dass ihre beste Freundin Thea auch auf die Schule in Bad Godesberg ging, tröstete sie ein wenig. Andererseits war es natürlich auch ein aufregender und spannender neuer Lebensabschnitt.

Hoffentlich, dachte sie, sind die anderen Mädchen nett. Und hoffentlich wird mich das Heimweh nicht allzu sehr zerfressen. Denn dass sie Heimweh haben würde, wusste sie jetzt schon.

Sie stand auf.

»Gehst du schon zu Bett?«, fragte Stefanie überrascht.

»Ich wollte mit Hektor noch eine Runde über den Hof machen«, sagte Frederike.

»Darf ich dich begleiten?«, fragte Onkel Erik. »Ich wollte sowieso noch einmal zu den Pferden und nach den Stuten sehen.«

»Gerne.«

»Zieht euch warm an«, ermahnte Stefanie sie. »Der Wind kommt von Osten, und er hat wieder aufgefrischt.«

»Bald kommt das Frühjahr«, sagte Tante Martha. »Das spüre ich in den Knochen.«

»Wenn du etwas in den Knochen spürst, sollten wir etwas dagegen tun«, meinte Tante Edeltraut verschmitzt und schenkte ihrer Freundin Likör nach.

»Du hast immer so wunderbare Ideen«, antwortete Martha lachend und prostete Edeltraut zu.

Frederike trat in die Diele, schlüpfte in Mantel und Stiefel und band sich den Schal um den Hals. Dann pfiff sie kurz, Hektor hob den Kopf, gähnte ausgiebig und stand dann auf, streckte sich.

»Na, mein Guter«, sagte Frederike leise und kraulte den Hund hinter den Ohren. »Was soll ich bloß ohne dich machen? Ich wünschte, ich könnte dich mit nach Bad Godesberg nehmen.«

»Das wird wohl nicht gehen«, sagte Erik, der hinter ihr aufgetaucht war. Auch er hatte sich die dicken Stiefel und den warmen Pullover angezogen. »Aber wir werden uns gut um ihn kümmern, versprochen.« Auch er pfiff, und aus der anderen Ecke der Diele kamen seine Bracke und der freche Dackel geflitzt.

Pluto, die Bracke, stupste Hektor freundlich an, Frieda, der Dackel, hielt sich nicht mit solchen Dingen auf, sondern stürzte zur Tür und konnte es kaum erwarten, auf den Hof zu laufen. Obwohl Frieda die kürzesten Beine von den dreien hatte, war sie flinker als alle anderen Hunde und schon bald im Dunkeln verschwunden.

Erik nahm Frederike am Arm und schlenderte mit ihr über den knirschenden Kies, der den Hof bedeckte. In der Mitte hatte Stefanie ein rundes Blumenbeet angelegt, das jedoch im Moment eher trostlos aussah.

»Geht es dir gut?«, fragte Erik seine Stieftochter.

»Ja, warum?«

»Weil du in der letzten Zeit so schweigsam bist. Machst du dir Gedanken über das, was kommt?«

Frederike nickte still.

»Alles wird sich fügen, da bin ich mir ganz sicher.«

»Aber Bad Godesberg ist so weit weg«, sagte Frederike. »Ich würde lieber hier in der Gegend bleiben.«

»Die Schule hat einen ausgezeichneten Ruf, deshalb hat deine Mutter sie für dich ausgewählt.«

»Das weiß ich. Dennoch …«

»Du wirst uns ja besuchen kommen. Und wenn es allzu scheußlich dort sein sollte, werden wir Lösungen finden.«

Dankbar sah Frederike Erik an. Er war immer wie ein Fels in der Brandung für sie alle, und sie bewunderte ihn dafür, wie viel Zuversicht er ausstrahlte, ohne dabei viele Worte zu machen.

Sie gingen auf den Wirtschaftshof und an der Remise vorbei. Im Pferdestall brannte noch Licht. Erik schob das große Tor einen Spaltbreit auf, so dass Frederike und er hindurchschlüpfen konnten. Auf dem Hof blies der eisige Ostwind, doch hier im Stall war es warm. Es duftete nach Heu und Stroh, nach dem süßlich-herben Schweiß der Pferde, nach Hafer und dem säuerlichen Duft der schrumpeligen Äpfel, die in einer Tonne neben dem Tor lagerten.

Frederike blieb stehen, schloss die Augen und atmete tief ein. Von hinten hörte sie das Nickern von ihrem Pony und dessen Schwester, Fips und Dups. Die beiden standen zusammen in einer Box, und Frederike gab jedem einen Apfel. Onkel Erik war weitergegangen, durch den Mittelgang zur zweiten Reihe, wo die runden Abfohlboxen lagen. Fünf solcher Boxen gab es, aber nur drei waren im Moment belegt. Erik führte genau Buch darüber, wann die Stuten rossig gewesen, wann sie gedeckt worden waren.

»Warum sind nur drei Stuten hier?«, fragte Frederike. »Wir haben doch noch mehr tragende Stuten.«

Erik lächelte. »Die Tragzeit beträgt etwa elf Monate. Ich lasse die Stuten immer schon vier Wochen vor dem Termin in die Abfohlboxen bringen, damit sie sich hier wohl fühlen und auskennen. Deshalb lasse ich auch immer nur drei oder vier Stuten zur etwa gleichen Zeit decken. Von April bis August dürfen sie fohlen, manche auch noch im September, aber dann kommt der Herbst, und es wird zu kalt für die zarten Jungtiere.« Er wies zu einer Fuchsstute mit einer weißen Blesse. »Das ist Wenke. Sie ist noch jung, und es ist ihr erstes Fohlen. Da weiß man nie, was passiert.« Er öffnete die Tür zur Box, ging langsam hinein, die Hände nach vorne gestreckt, in der linken Hand hatte er einen der schrumpeligen, aber würzigen Äpfel. Die Stute nickerte, hob den Kopf, schnaubte dann und kam zu ihm. Sie senkte die Nase und schnupperte am Apfel, umschloss ihn mit ihren weichen und warmen Lippen. Vorsichtig tätschelte Erik ihren Hals. »Gutes Pferd«, murmelte er. »Du bist meine Gute. Alles ist fein.« Er ging um sie herum, strich über Kruppe und Bauch, hielt einen Moment konzentriert inne, dann lächelte er.

»Das Fohlen bewegt sich, es lebt.«

»Darf ich kommen?«, fragte Frederike.

»Nein, nicht bei Wenke, sie ist zu jung, und wir wollen sie nicht noch nervöser machen. Gleich bei Martje darfst du mit in die Box.«

Frederike nickte.

»Was machst du?«, wisperte sie.

»Auch wenn ich weiß, wann die Stute gedeckt wurde, weiß ich nicht auf den Tag genau, wann das Fohlen kommt. Wenke hat, wenn ich richtig gerechnet habe, noch zwei, drei Wochen Zeit.«

»Das heißt, sie fohlt genau zu Ostern?«

»Vermutlich. Ich habe sie vor ein paar Tagen hierherbringen lassen, ein wenig früher als die beiden anderen Stuten. Sie soll genügend Zeit haben, sich ungestört an die neue Umgebung zu gewöhnen.«

Frederike war schon häufiger in diesem Teil des Stalls gewesen, aber noch nie hatte sie sich mit dem Abfohlen beschäftigt. »Warum sind die Boxenwände abgerundet?«

»Du bist doch ein aufgewecktes junges Mädchen. Was meinst du denn?«, fragte Erik lächelnd.

»Damit … damit die Stuten ihre Kinder nicht aus Versehen in eine Ecke drängen können?«

»Ganz genau. Deshalb haben wir ja auch halbhohe Banden in den Ferkelkisten. Wenn die Sauen sich umdrehen, könnten sie schon mal ein Ferkelchen erdrücken mit ihrem Gewicht. Durch die Banden haben die Ferkel eine Möglichkeit auszuweichen.«

»Darüber habe ich nie nachgedacht«, sagte Frederike verblüfft. »Werfen die Ferkel jetzt auch?«

Onkel Erik schüttelte den Kopf. »Erst Ende Mai, Anfang Juni. Vorher ist es einfach zu kalt.«

»Aber woher weißt du, wann sie werfen?«

Er drehte sich zu ihr um, musterte sie. »Du weißt doch über die Entstehung des Lebens Bescheid? Ich meine … du bist hier groß geworden, hier auf dem Hof … ich muss dir nichts von Bienchen und Blümchen erzählen, oder?«

Frederike hustete und senkte den Kopf. »Nein, das musst du nicht«, sagte sie lachend. »Ich weiß im Prinzip, wie es funktioniert.«

»Gut«, sagte Erik erleichtert. »Man sagt, dass Schweine drei Monate, drei Wochen und drei Tage tragen. Die Regel stimmt nicht immer ganz, aber zum größten Teil. Wir haben keine große Schweinezucht, nur sieben Sauen und zwei Eber – der eine ist allerdings so alt, dass er kaum noch taugt, er wird in die Wurst gehen.«

»Ich denke, Eber kann man nicht verwerten? Deshalb werden doch auch Wildschweineber vergraben und nicht in die Küche gebracht.«

»Das sind zweierlei Dinge, Freddy«, versuchte Erik zu erklären. »Ein Wildschwein wird geschossen, und wenn man es an den Hinterläufen oder im hinteren Bereich erwischt, dann können auch gewisse Drüsen getroffen werden, die das Fleisch verderben. Es stinkt und schmeckt scheußlich. Wenn man aber einen Eber schlachtet und einen guten Schlachter und eine noch bessere Köchin hat, kann man das Tier so aufbrechen, dass die Drüsen ganz bleiben und der schlechte Geschmack nicht ins Fleisch dringt. Unser Willi ist aber so alt, dass er wohl kaum noch zur Wurst taugt. Ich werde Köchin Schneider dazu befragen. Sie weiß das am besten.«

»Und wie ist das jetzt mit den Schweinen?«

»Ach so – ja, Schweine könnten drei Mal im Jahr ferkeln, wenn man sie ließe. Sauen kommen schnell wieder in die Rausche – das ist das Gleiche wie die Rossigkeit beim Pferd und die Läufigkeit beim Hund.«

Frederike nickte.

»Aber wir wollen keine drei Würfe von der Sau im Jahr. Ferkel brauchen Wärme, um zu gedeihen, und Platz. Außerdem laugt das die Sau aus. Also lasse ich einen Teil der Sauen im Winter decken und habe dann im Juni oder Juli einen Wurf und die anderen im Frühjahr, so dass wir im August oder September einen zweiten Wurf auf dem Hof haben – und um die Tiere zu schonen, wirft die Sau, die im Juni geworfen hat, im Jahr darauf erst im September. So haben wir immer genügend Ferkel, aber kriegen sie auch gut durch das Jahr.«

»Und so läuft das auch mit den Stuten?«

»Nicht ganz. Stuten und gute Zuchthündinnen sollten nur drei oder vier Mal in ihrem Leben werfen, nicht häufiger. Es gibt Züchter, denen ist das egal, aber das macht so eine Stute kaputt, und ich meine immer, dass die Fohlen nicht besser werden, wenn eins auf das andere folgt. Wir wollen gesunde und schöne, kräftige Tiere haben, keine Massenware.« Noch einmal ging er um die junge Stute herum, strich über die Hinterhand, die Schweifrübe. »Sie braucht noch ein wenig«, sagte er.

»Woran siehst du das?«

»Ich mache das schon so lange«, sagte er lächelnd, »das ist ein Automatismus. Aber es ist so – wenn die Geburt bevorsteht, dann weicht die Muskulatur auf. Dann sieht es so aus, als würde die Hinterhand einfallen und der Schweifansatz sich senken.« Er bückte sich, griff zum Euter des Tieres. »Und jetzt fasse ich kurz das Euter an, damit sie sich daran gewöhnt. Noch tritt keine Vormilch aus – ein weiteres Zeichen, dass es noch dauert.«

»Woran soll sie sich gewöhnen?«

»Daran, dass jemand sie dort berührt … auch Pferde können kitzelig sein, wie Menschen … und das Fohlen hat große, weiche Lippen …« Er kam aus der Box und verschloss die Tür sorgfältig. Dann ging er ein Abteil weiter.

»Hier steht unsere Martje. Es ist ihr viertes Fohlen. Sie ist schon über zwanzig, wie alt sie genau ist, weiß ich nicht. Dieses Fohlen sollte es nicht geben.«

»Weil?«

»Sie hat uns schon drei wunderbare Fohlen geschenkt und sollte nun den verdienten Ruhestand antreten und nur noch ein wenig auf dem Gut arbeiten. Aber dann wurde sie rossig, und einer der Hengste hat es über den Zaun geschafft und sie beglückt. In diesem Jahr werde ich besser aufpassen, da kommen die Hengste hinten auf den zweiten Wirtschaftshof, wo ich die Zucht aufbauen will.«

»Aber mit zwanzig ist sie doch nicht zu alt.«

»Nein, das ist sie nicht. Dennoch möchte ich ein Auge auf sie haben.« Wieder näherte er sich vorsichtig dem Tier in der Box. Diesmal durfte Frederike ihn begleiten. Auch sie hatte einen Apfel in der Hand.

Neugierig schnupperte die Stute an Frederike, nahm dann sanft den Apfel mit ihren großen, weichen und haarigen Lippen, zermahlte ihn zwischen ihren Zähnen. Die Stute war warm und duftete nach Heu, Stroh und Pferd, ein Duft, den Frederike liebte. Sie klopfte den Hals des Tieres, strich über die Kruppe.

»Leg deine flache Hand hier hin«, sagte Erik und nahm Frederikes Hand, führte sie zum prallen Bauch des Tieres. »Spürst du das?«

Zuerst fühlte Frederike nur eine sachte Bewegung, das konnte der Darm sein, auch bei Dups fühlte es sich beim Striegeln manchmal so an. Doch dann bemerkte sie eine deutlichere Bewegung, fast so, als würde jemand von innen gegen ihre Hand klopfen. Erschrocken fuhr sie zurück.

»Das ist das Fohlen«, erklärte Erik. »Es sind seine Hufe.«

»Sie haben schon im Mutterleib Hufe?«

»Natürlich. Wenn sie zur Welt kommen, sind sie perfekt, sie müssen nur noch wachsen und lernen, wie man Gras, Heu und Hafer frisst. Zuerst bekommen sie natürlich die Stutenmilch.« Wieder fasste er zum Euter. »Noch tritt keine Vormilch aus, es wird also noch dauern. Und auch hier, schau, das Gewebe ist noch fest.«

Erstaunt strich Frederike über die Hinterhand. Was man nicht alles ertasten konnte!

»Darf ich dabei sein, wenn die Fohlen kommen?«, fragte sie. »Ich möchte so unbedingt dabei sein.«

»Die meisten Fohlen kommen nachts.«

»Das ist egal, dann weck mich!«

»Gut, wenn es passt, darfst du dabei sein.«

»Danke.«

In der dritten Box lief eine Stute unruhig umher. Wieder ging Erik alleine hinein, bald schon beruhigte sich die Stute. »Bei ihr dauert es nicht mehr lange.«

»Heute Nacht?«

»Nein, das glaube ich nicht. Aber in den nächsten Tagen. Sie ist eine erfahrene Mutter, es ist ihr drittes Fohlen. Um sie mache ich mir keine Gedanken.«

Schließlich schloss er die Boxentür sorgfältig, löschte das Licht. Nur eine kleine Lampe ließ er brennen. Als sie in die vordere Stallgasse kamen, stand dort Viktor, der erste Stallmeister.

»Ham Se jeschaut nach de Pferde, Jnädigster?«

»Hab ich. Minnchen braucht nicht mehr lange, aber Wenke und Martje schon.«

»Weeß ich. Werd Se rufen, wenn is soweet.«

»Danke, Viktor. Ich verlass mich auf dich. Gute Nacht.«

Dann traten sie in die kalte Nachtluft. Es war immer noch eisig, aber der Wind hatte sich gelegt. Frederike hob den Kopf.

»Es riecht anders«, sagte sie versonnen.

»Ja, der Wind kommt nun von Westen, er wird milder, auch wenn man das noch nicht spürt. Doch der Winter hat bereits verloren. Es wird noch zwei, drei Wochen dauern, aber dann kommt der Frühling.«

»Meistens hast du recht mit dem, was du sagst«, bekannte Frederike und drückte den Arm ihres Stiefvaters. »Ich glaube dir auch diesmal.«

»Du solltest zu Bett gehen, mein Kind.«

»Und du?«

»Ich schau noch nach den Sauen und im Schafstall nach dem Rechten. Dann gehe ich auch zu Bett.« Er küsste sie auf die Stirn. »Gute Nacht, Freddy.«

»Gute Nacht, Onkel Erik.«

Frederike pfiff nach Hektor, der sich im Gebüsch herumtrieb, ging mit ihm bis zum Teich hinter dem Haus und dann durch den Hintereingang wieder zurück in die Diele. In der Küche wurde noch gearbeitet. Eins der Küchenmädchen spülte die Reste des Geschirrs, Köchin Schneider überprüfte den Brotteig. Aber auch die Leute sollten irgendwann Feierabend haben, deshalb schlich sich Frederike an der Küche vorbei nach oben.

Kapitel 2

003

Tatsächlich wurde es in der nächsten Woche wärmer. Das Eis auf den Flüssen brach langsam auf. Trotzdem blieb der Schnee auf den Wiesen noch liegen. Es würde noch dauern, bis das Eis wirklich schmolz, aber die bissige Kälte im Wind war dahin.

Das Osterfest stand bevor, und nun wurde es Zeit für den Frühjahrsputz.

»Vor Ostern müssen wir damit durch sein«, sagte Stefanie und warf einen nervösen Blick auf den Kalender. »Das heißt, wir haben noch knapp zwei Wochen.«

Sie hatte sich generalstabsmäßig mit den beiden Tanten, der Mamsell, Leni, dem ersten Hausmädchen, und Gerulis, dem Hausdiener, am Esstisch versammelt. Zum ersten Mal nahm auch Frederike teil.

»Du musst dich auf die Führung eines großen Haushalts vorbereiten«, sagte Stefanie zu ihrer Tochter.

»Was soll ich tun?«, fragte Frederike etwas hilflos.

»Zu allererst solltest du zuhören«, meinte Stefanie lächelnd.

Die Köchin Schneider hatte süße Brötchen gebacken, frisches Sauerteigbrot mit Butter und dicken Scheiben Speck wurde aufgetischt, dazu Kannen mit Kaffee. Auch sie nahm am Tisch Platz.

Alle hatten ein Notizbuch dabei und zückten die Stifte, nachdem die erste Portion gegessen und getrunken worden war.

»Noch liegt Schnee«, sagte Stefanie. »Deshalb können wir die großen Teppiche nach draußen bringen und im Schnee ausklopfen – das schont die Wollfasern.«

Tante Edeltraut nickte heftig. »Das ist die beste Form, die Teppiche zu reinigen, so haben wir das schon immer gehalten. Im Schnee verfilzt die Wolle nicht, und die Farben frischen auf.«

»Danke, Edel«, sagte Stefanie. So sehr sie ihre Schwägerin schätzte, manchmal hatte sie immer noch Probleme damit, sich als Gutsbesitzerin durchzusetzen. Edeltraut hatte die weitaus größere Erfahrung, aber Stefanie hatte nun das Sagen.

Die Mamsell machte sich eine Notiz. »Für die nächsten Tage ist trockenes Wetter angesagt. Ich habe auch noch mal unsere alte Köchin Jolanda gefragt, die in einem Gesindehaus wohnt. Sie spürt es in den Knochen, wenn Feuchtigkeit hochzieht, und im Moment fühlt sie nichts.« Die Mamsell räusperte sich. »Ich weiß, das klingt ein wenig wie Hokuspokus, aber bisher habe ich mich auf Jolandas Aussagen immer verlassen können.«