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G-Lee (gesprochen Dschi-Li) mittlerweile

Deutschlands erfolgreichste Streamerin!

Ihr richtiger Name ist Leonie.

„Sie sieht einfach so krass gut aus“, murmelte Luca leise. „Sieh dir ihren Körper an!

Wahnsinn!“ Jona saß mit offenem Mund neben ihm und starrte wortlos auf das Seeufer.

Leonie stieg langsam aus dem blauen Wasser. Sie nahm sich Zeit für jede einzelne Stufe der Treppe, die aus dem Wasser führte. Das Wasser lief ihren durchtrainierten Körper herunter. Oben angekommen, schüttelte sie ihre nassen, blonden Haare, strich sie mit beiden Händen zurück und lächelte Luca und Jona an. „Wollt ihr nicht auch mal ins Wasser? Es ist herrlich.“

Luca fuhr sich verlegen durch die Haare. „Ich glaube, wir haben keine Zeit mehr. Wir haben in ein paar Stunden unser nächstes Spiel.“ Hilfe suchend sah er zu Jona.

„Äh, genau“, ergänzte Jona, „wir sollten uns lieber noch ein wenig vorbereiten.“ Er kratzte sich am Arm. Dann stotterte er: „Äh, unsere Gegner, sie, sie, sie sollen extrem gut sein.“ „Nerds! Das Spiel ist erst heute Abend …“ Leonie lachte und schaute in den Himmel. Ihr Blick wanderte nach links. Nach rechts. Dann hatte sie die Drohne entdeckt. „Ihr wollt doch nur, dass die Leute da draußen nicht eure Emoji-Tattoos auf euren Körpern sehen.“ Sie winkte in die Kameras, die alles aufzeichneten und sofort ins Netz streamten.

Fragend sahen sich Luca und Jona an.

„Tattoos?“

„War nur ein Scherz“, sagte Leonie lachend.

Jona grinste, zog sein T-Shirt hoch und deutete auf seinen weißen Bauch. „So ein kotzender Smiley würde sich doch da ganz gut machen, oder?“

Luca bekam sich vor Lachen kaum noch ein. „Genau, und ich lasse mir ein Engelchen-Emoji auf den Hintern tätowieren …“

Nun prustete auch Leonie lauthals vor Lachen.

Nach einer Weile holte sie tief Luft und sagte:

„Aber ihr habt schon Recht. Ich als Kapitän sollte auch an unser nächstes Match denken.“ Mit einer lässigen Bewegung streifte sie ihren Kapuzenpullover über.

Jonas Augen wurden groß. „Sind das unsere neuen Team-Klamotten? Vorne und hinten nur noch ein großes ‚G‘?“

„Ganz genau“, antworte Leonie und drehte sich so zur Drohne, dass der Pullover bestens zu sehen war. „Für unser Team: Team G.“

„Ich will auch so einen!“, riefen Luca und Jona aufgeregt im selben Moment.

„Hängen schon über euren Gaming-Stühlen für später“, strahlte Leonie.

Luca und Jona klatschten ein.

„Jetzt müssen wir aber wirklich los“, sagte Leonie und winkte der Drohne auffordernd zu. „Wir müssen ja noch durch die Stadt zurück.“ Lautlos schwebte die Drohne heran und folgte ihnen. In ihren Kameras spiegelte sich das tiefblaue Wasser des Sees. Der See war umgeben von saftig grünem Schilfgras, dahinter waren unscharf die Bäume des Waldes zu erkennen, der den See umschloss.

Leonie sah noch einmal auf. Das rote Blinken der Drohne verriet ihr, dass alles reibungslos übertragen wurde.

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G-Lee, kurz G, unter Deutschlands

Jugendlichen beliebteste Person

der Öffentlichkeit

„Es ist herrlich hier“, sagte Leonie auf dem Rückweg. Die Drohne surrte heran und schwebte nun direkt über ihnen. Hinter den drei Jugendlichen glänzte der See in der Sonne.

Vor ihnen führte ein Waldweg durch die Bäume. „Die ganzen grünen Bäume hier im Wald, die Tiere. In der Stadt bekommt man davon ja nichts zu sehen. Aber es ist wirklich so schön hier …“

Luca und Jona nickten stumm und schauten sich die Umgebung an. Die Drohne flog ein paar Meter höher, um einen besseren Kamerawinkel zu bekommen: Tannenbäume. Vögel. Sogar ein Eichhörnchen war zu sehen. „Es wirkt so friedlich alles“, durchbrach Luca die Stille.

Leonie drehte sich zu ihm um und hatte einen verwirrten Gesichtsausdruck: „Es ist alles friedlich hier. Es wirkt nicht nur so.“

Etwas erschrocken über den harten Ton ihrer Stimme stammelte Luca: „Äh, ja, natürlich, es ist alles friedlich.“ Er blickte kurz nach oben zur Drohne, da gab ihm Leonie auch schon einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter. „Was meinst du, sollen wir heute Pizza essen gehen, wenn wir unser Match gewinnen?“

„Auf jeden Fall!“, rief Luca.

„Dann darfst du nur nicht wieder so schlecht zielen wie beim letzten Mal“, lachte Jona.

„Ich?“, antwortete Luca empört. „Ich habe alles getroffen, was nicht bei drei auf den Bäumen war.“

„Also, das Eichhörnchen da vorn auf dem Baum offensichtlich schon mal nicht“, merkte Leonie an. Jetzt konnte sich auch Luca ein Lachen nicht mehr verkneifen.

„Wenigstens kann ich ein Eichhörnchen von einer Kiste unterscheiden“, entgegnete Luca. „In unserem letzten Spiel hast du gleich 3-mal eine Kiste für einen Gegner gehalten und panisch ins Mikrofon gerufen.“ Er verstellte seine Stimme: „Da vorne ist einer. Ich hab ihn gesehen, geh du links, ich rechts“, rief er panisch.

Leonie lachte lauthals auf und wäre dabei fast über eine dicke Baumwurzel gestolpert. Gerade rechtzeitig zog sie ihr Bein hoch und sprang über die Wurzel. „Puh, das war knapp. Nicht, dass sich noch jemand verletzt und dann für das Match ausfällt …“ Sie blickte kurz zur Drohne auf und atmete tief durch.

„Seht nur, wir haben es bald geschafft. In die Stadt ist es nicht mehr weit“, zeigte Leonie auf den vor ihnen liegenden Weg, der hinunter ins Tal führte.

Sie blieben kurz stehen und blickten hinab.

„Wie riesig die Stadt ist“, sagte Luca ehrfürchtig, „man kann nicht sehen, wo sie aufhört.“

Die Drohne flog direkt über Leonie, Luca und Jona und filmte die Stadt: Häuser. Überall Häuser. Nur hier und da mal ein Fleckchen grün. Die Autos sahen so klein aus wie Ameisen.

„Sechs Millionen Menschen sollen mittlerweile hier leben“, murmelte Jona vor sich hin.

Die Drohne änderte ihre Flughöhe und streamte nun Jonas Gesicht live ins Netz. Als er es bemerkte, lächelte er in die Kamera.

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Häuser der Metropole verfallen

mehr und mehr – Straßen so kaputt,

dass kaum Autos fahren

Die Drohne surrte leise über ihnen, als sie die ersten Häuser der Stadt erreichten.

„Schaut mal, das ist eines dieser neuen Häuser, von denen ich überall gelesen habe.“ Leonie zeigte auf eines der Gebäude am Straßenrand. Zwei Frauen standen davor und unterhielten sich angeregt. „Sie sollen total modern sein und es soll trotzdem gar nicht teuer sein, darin zu wohnen.“

Luca und Jona schauten staunend auf das Haus. „Sehr schön“, sagte Jona und blieb stehen, damit die Drohne in einem guten Winkel filmen konnte.

„Überall in der Stadt werden solche Häuser gerade gebaut, das finde ich wirklich eine gute Sache“, sagte Leonie in eine der vielen Kameras der Drohne und lächelte ihren Zuschauern zu. „Damit niemand auf der Straße wohnen muss.“ Sie zeigte auf das Haus. „Vor allem Familien sollen in diese Wohnungen einziehen.“ Dann schaute sie zu Luca und Jona: „Sollte ich meiner Familie vielleicht auch mal vorschlagen.“ Leonie lachte.

„Aber bitte erst, nachdem meine Familie in so ein Haus eingezogen ist“, grinste Luca, „nicht, dass wir dann keinen Platz mehr bekommen.“ „Keine Sorge, bald soll es genug für alle geben“, sagte Leonie und legte ihm die Hand auf den Arm.

Langsam trotteten sie weiter. Die Drohne setzte sich ebenfalls in Bewegung und schwebte in einem kurzen Abstand vor Leonies Gesicht. Dann sprach Leonie zu ihren Zuschauern:

„Dass du das so gut bei dir zu Hause sehen kannst, liegt übrigens daran, dass wir eine ganz neue Drohne haben, durch die du mich gerade siehst.“ Sie winkte und lächelte. „Die Drohne kann in alle Richtungen filmen und streamt alles direkt ins Netz. Ihr seid also immer und bei allem live dabei.“

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G-Lee – eine der ersten Life-Streamerinnen,

die fast ihr gesamtes Leben

live ins Netz übertragen

Luca hatte zu Leonie aufgeschlossen und lief nun neben ihr her. „Wie viele Stunden am Tag wirst du eigentlich gefilmt, ‚G‘?“, fragte er, nachdem die Drohne sich auf einen kurzen Abstand genähert hatte.

Nachdenklich schaute sie in die Luft. „Wenn ich schlafe, bleibt die Drohne meist aus. So spannend ist es ja auch nicht, mir stundenlang beim Nichtstun zuzusehen.“ Sie zog ihre Stirn in Falten und blickte nun in die Kameras der Drohne. „Ansonsten ist sie eigentlich fast den ganzen Tag dabei.“

Luca lief neben ihr, unterbrach sie aber nicht. „Wenn ich auf Toilette bin oder duschen gehe, natürlich nicht.“ Sie kicherte leise. „An manchen Tagen bleibt sie auch aus, damit meine Familie auch mal etwas Ruhe hat. Aber das kündige ich immer rechtzeitig an.“ Sie schaute wieder in die Kameras. „Heute Abend nach unserem Spiel beispielsweise wird die Drohne ausbleiben.

Aber keine Sorge, solltest du etwas Wichtiges verpassen, werde ich dir das natürlich erzählen oder es noch einmal machen und mich dabei filmen lassen.“ Sie streckte ihren Zeigefinger Richtung Kameras. „Du sollst ja nichts verpassen!“

„Wow“, sagte Luca, „dann wirst du ja wirklich fast rund um die Uhr begleitet.“

„So ist es.“ Leonie sah Luca nicht an, sondern sprach zur Drohne. „Ich habe ja auch schließlich nichts vor dir zu verbergen. Außerdem teile ich gern all meine Erlebnisse mit dir.“

Jona lief neben ihnen und betrachtete die bunt bepflanzten Blumenkübel. Nebenbei warf er ab und zu auch einen Blick auf die Bildschirme, die an manchen Gebäuden hingen. „Schau mal, Leonie“, er zeigte auf einen der Bildschirme, „da läuft gerade ein Trailer von dir.“ Die Drohne flog dem Haus entgegen, an dem der Bildschirm zu sehen war, und streamte den Trailer ins Netz: „24/7 on! Mach dich bereit für diesen Run!“ Leonie trug im Trailer schon ihren neuen Pullover.

„Geiler Spruch“, entfuhr es Jona.

Leonie kicherte verlegen. „Na ja, wie grad eben gesagt, so ganz 24/7 ist es ja nicht. Aber fast.“

Sie betrachtete sich selbst im Bildschirm. Die Drohne flog weit nach oben, bis Leonie nur noch als kleiner Punkt vor dem Bildschirm zu erkennen war.

Nach einer Weile rieb sich Jona nachdenklich am Kinn: „Irgendwie finde ich das echt cool.“ „Was meinst du?“, fragte Leonie und sah ihn auffordernd an.

„Na, das Life-Streaming. Also, dass du dein ganzes Leben mit anderen Menschen teilst. Sie immer dabei sind. Das macht ja nicht jeder …“ „Du kannst auch Life-Streamer werden, so viele gibt es ja davon noch nicht.“ Leonie sah ihn schelmisch an. „Dann könntest du mir Konkurrenz machen.“ Sie lachte.

„Dann wird es nur schwierig, wenn wir mal gemeinsam streamen wollen“, sagte er mit ernster Miene.

„Warum das denn?“, fragte Leonie verwundert. „Es gibt doch jetzt schon immer häufiger Partner-Streams, Gruppen-Streams, Charity-Streams und so weiter, bei denen echt viele Streamer auf einmal auftauchen.“

Jona sagte zwei Sekunden nichts, dann prustete er: „Weil es sonst garantiert einen Drohnenunfall geben würde, wenn die beiden versuchen würden, uns gleichzeitig zu übertragen.“ Leonie lachte lauthals. „Ach, deswegen …“ Dann wurde sie wieder ernst, sprach aber nicht zu Jona, sondern zu ihrer Drohne, die mittlerweile wieder herangeschwebt war: „Es stimmt, so viele von diesen Drohnen mit Rundum-Kameras gibt es noch nicht. Wäre ja spannend, zu beobachten, was passiert, wenn gleich zwei übertragen sollen.“ Sie zwinkerte in die Kameras. „Vielleicht werden sie ja Freunde.“

Jona lachte. „Ich werde mal darüber nachdenken, ob ich selbst Life-Streamer werde, aber ich glaube, vorerst wird das nichts.“

Jona schlenderte mit Leonie und Luca weiter und dachte nach. Er wurde erst aus seinen Gedanken gerissen, als ein silberglänzendes Auto neben ihnen hielt. „Hey ‚G‘, ich habe dich sofort erkannt!“, sagte ein junges Mädchen auf dem Beifahrersitz. Sie hatte braune Locken, die bei jeder ihrer Bewegungen leicht wippten. „Kannst du mir ein Autogramm geben?“

„Ja klar, gern! Wie heißt du?“ Leonie holte routiniert einen Filzstift aus ihrer Hosentasche. „Amelie“, sagte das Mädchen. Sie drehte sich zu dem Mann, der am Steuer saß. „Wie praktisch, Papa, als hätte ich es geahnt!“ Dann sah sie Leonie wieder aufgeregt an. „Ich habe nämlich zufällig ein weißes T-Shirt dabei aus deiner Kollektion. Da passt deine Unterschrift ja perfekt drauf!“ Sie hielt es aus dem Wagen.

„Yeah!“ Leonie nahm das T-Shirt, betrachtete es kurz und lächelte. Dann schrieb sie auf die Vorderseite „Für Amelie“ und darunter ein großes „G“ mit dem Zusatz „Streamer for life“. Sie hielt es in Richtung Drohne, die ganz nah ans Auto geflogen war.

„Wow, meine Freundinnen werden vor Neid platzen, wenn ich ihnen das zeige.“ Das Mädchen starrte auf das T-Shirt. „Danke!“

Leonie reichte es ihr in den Wagen. „Überhaupt kein Problem. Und grüß deine Freundinnen mal lieb von mir, vielleicht sehen sie dich ja auch gerade.“

Das Mädchen sah auf, blickte freudig zur Drohne und winkte. „Bis nachher, Mädels!“ Langsam setzte sich der Wagen wieder in Bewegung. Leonie winkte noch eine Weile hinterher, dann setzten die drei ihren Weg fort.