Volker Mariak:
Konkurrierende Staatsziele – Religionsfreiheit vs. Tierschutz
2., überarbeitete und erweiterte Auflage

Volker Mariak

Konkurrierende Staatsziele –
Religionsfreiheit vs. Tierschutz

Anmerkungen zu rechtlichen Vorgaben des rituellen betäubungslosen Schächtens gemäß TierSchG § 4a Abs. 2 Nr. 2

2., überarbeitete und erweiterte Auflage

„Ich glaube, so lange man Tiere tötet und quält, wird man Menschen töten und quälen - solange wird es Kriege geben -, denn das Töten will geübt und gelernt sein im kleinen, innerlich wie äußerlich. So lange es noch Tiere in Käfigen gibt, solange wird es auch noch Gefängnisse geben - denn das Einsperren will geübt und gelernt sein, im kleinen, innerlich wie äußerlich.“

(Edgar Kupfer Koberwitz, 1906 – 1991, Dichter und Journalist, Häftling im KZ Dachau, Zitat aus: „Die Tierbrüder, Eine Betrachtung zum ethischen Leben“, S. 5, Höcker-Verlag, November 2010)

***

„Es wird oft gesagt, dass die Menschen schon immer Fleisch gegessen hätten, als ob dies eine Rechtfertigung wäre, dies weiterhin zu tun. Gemäß dieser Logik dürften wir nicht versuchen, Menschen daran zu hindern, andere Menschen umzubringen, da dies auch schon seit jeher getan wurde.“

(URL 001: Isaac Bashevis Singer, 1904 – 1991, Schriftsteller, Inhaber der Buber-Rosenzweig-Medaille 1981, Nobelpreisträger für Literatur 1978, Quelle: Ärztinnen und Ärzte für Tierschutz in der Medizin, Zitate)

Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort zur zweiten Auflage

2. Notwendige Begriffsklärungen – Thematische Einführung

2. 1. Im Reich der Fabel

2. 1. 1. Betäubungsloses Schächten im Judentum

2. 1. 2. Betäubungsloses Schächten im Islam

2. 2. Das Dilemma konfligierender Grundrechte

3. Einzelfälle oder Massenschlachtung?

3. 1. Die Kluft zwischen Sein und Sollen: Realität vs. Ausnahmeparagraf

3. 1. 1. Der Schlacht-Alltag in Beispielen und Zahlen

3. 1. 2. Das „religiöse Ritual“ an der automat. Schächtmaschine

3. 2. Resultierende Fragen

4. Seelennotstand der Schächter

4. 1. Die Kluft zwischen Sein und Sollen: Prüfung der Gewissensnot

4. 1. 1. Veterinärämter und untere Gerichte: Schiedsstellen religiöser Glaubwürdigkeit

4. 1. 2. Ermittlung „seelischer Bedrängnis“ - ein historischer Exkurs

4. 1. 3. Glaubwürdigkeitsprüfung der Religiosität im Praxistest

4. 1. 4. Der deutsch-islamische Sonderweg des ZMD

4. 1. 5. Schächten – ein schneller, schmerzloser Tod?

4. 1. 6. Verursacht Elektrobetäubung zusätzliche Schmerzen?

4. 1. 7. Das Konzept der seelischen Verrohung

4. 2. Resultierende Fragen

5. Kontrolle und Sachkunde

5. 1. Die Kluft zwischen Sein und Sollen: Behördlicher Sachzwang

5. 1. 1. Rechtliche Vorgabe und real mögliche Sachkundeprüfung

5. 1. 2. Die Vor-Ort-Kontrolle von Schächtbetrieben

5. 1. 3. Justiz und Tierschutz

5. 2. Resultierende Fragen

6. Die „Halal“-Fleisch-Abgabe an Angehörige der Religionsgemeinschaft

6. 1. Die Kluft zwischen Sein und Sollen: Der offene Markt

6. 1. 1. Rechtliche Vorgaben und „Halal“-Fleischhandel in praxi

6. 1. 2. Das Scheitern rechtlicher Bestimmungen im Realitätstest

6. 2. Resultierende Fragen

7. Die Position der politischen Parteien

7. 1. Verbesserung des Tierschutzes generell: Kontrolle u. personelle Stärkung der Veterinärämter

7. 2. Politische Positionen zur Ausnahmeregelung gemäß § 4a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG (Schächten)

8. Die Position der großen christlichen Landeskirchen zur Schächtproblematik

8. 1. Einführende Überlegungen

8. 2. Die Position der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Schächtungsproblematik

8. 3. Die Position der Katholischen Kirche in Deutschland zur Schächtungsproblematik

9. Die Teilnahme von Minderjährigen an rituellen Schächtungen und der deutsche Jugendschutz

9. 1. Jugendgefährdung durch rituelle Schächtungen: Der Sachverhalt „Opferfest“

9. 2. Jugendgefährdung durch rituelle Schächtungen: Die Jugendschutzgesetzgebung (JuSchG)

9. 3. Jugendgefährdung durch rituelle Schächtungen: Die Strafgesetzgebung (StGB)

10. Schlussbemerkung sowie ein kurzer Ausflug in die Rechtsphilosophie

10. 1. Fazit: Kontrolle zwingender religiöser Verhaltensregeln

10. 2. Fazit: Prüfung unausweichlicher seelischer Bedrängnis

10. 3. Fazit: Die potenzielle Verrohung der Schächter

10. 4. Fazit: Jugendgefährdung durch rituelle Schächtung

10. 5. Fazit: Religiös begründete Massenschächtungen

10. 6. Fazit: Die Problematik der „Halal“-Fleisch-Abgabe

10. 7. Fazit: Haltung von Gesetzgeber und Judikative

10. 8. Fazit: Die aktuelle Position der politischen Parteien

10. 9. Fazit: Die Position der beiden christlichen Hauptkirchen

10. 10. Fazit: Respekt und Achtung vor Mitgeschöpfen

Anhang

11. Wahlprüfsteine zur Bundestagswahl Im September 2017

Fünf Kernfragen zur Bundestagswahl und zur Ausübung der politischen Verantwortung in den Ländern

12. Schächtungsproblematik: Petition an den Deutschen Bundestag

13. Schächtungsproblematik: Position der christlichen Großkirchen

13. 1. Drei Kernfragen zur Position der evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bezüglich der Problematik von Religionsfreiheit vs. Tierschutz

13. 2. Drei Kernfragen zur Position der katholischen Kirche in Deutschland bezüglich der Problematik von Religionsfreiheit vs. Tierschutz

14. Quellenverzeichnis

15. Tabellenverzeichnis

16. Verzeichnis der Internetverbindungen (URL) zu Texten

17. Verzeichnis der Internetverbindungen (URL) zu Video- und Fotonachweisen

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1. Vorwort zur zweiten Auflage

Die vorliegende Schrift ist nicht allein auf den wissenschaftlichen Diskurs begrenzt. Sie soll – dem ernsten, sozialkritischen Thema angemessen – einen möglichst großen Leserkreis erreichen. Mit dieser zweiten Auflage des Buches liegt nun eine Fassung vor, die überarbeitet und deutlich erweitert wurde:

Der Text bekam eine straffere, lesefreundlichere Form, der Inhalt enthält zusätzliche Stellungnahmen und Daten, die der aktuellen Entwicklung geschuldet sind. Dazu zählen zum Beispiel die vor der Bundestagswahl 2017 abgefragten Positionen der politischen Parteien zur Schächtungsproblematik (Wahlprüfsteine) und ebenfalls die Standpunkte der Vertreter unserer beiden großen christlichen Kirchengemeinschaften.

Die nachfolgenden Anmerkungen zur Ausnahmegenehmigung für das Schächten ohne Betäubung gründen sich auf Erfahrungen und logische Überlegungen eines im Tierschutz engagierten juristischen Laien. So zeigen kritische Vernunft und ethische Bedenken auch für den Nichtjuristen offensichtliche Schwachstellen auf, die durch Legislative und höchstrichterliche Rechtsprechung entstanden sind und nun eine moralgesetzlich, sozial und kulturell hochprekäre Problemsituation geschaffen haben.

Es ist beabsichtigt, einen – wenn auch nur rudimentären – Einblick in die wichtigsten Argumente der Schächtproblematik zu ermöglichen, um das Spannungsfeld Justiz – Tierschutz – Religion auch für Nichtexperten zu erschließen. Basis folgender Anmerkungen ist der umfassende und informativ wertvolle Kommentar zum TierSchG der Autoren Hirt, Maisack und Moritz (im Folgenden kurz bezeichnet mit: Hirt u. a., München, 2016), in dem vertieft das juristische Problem betäubungsloser Schächtung zur Sprache kommt.

Die kritische Würdigung der Bestimmungen zur Ausnahmegenehmigung gemäß TierSchG § 4a Abs. 2 Nr. 2 zeigt wiederholt die Praxisferne gesetzlicher Vorgaben zur betäubungslosen Schächtung. Tatsächlich bestehen nur sehr eingeschränkt Handlungssituationen, die es der Exekutive erlauben, das Gedankengut des Gesetzgebers bzw. der höchstrichterlichen Rechtsprechung adäquat umzusetzen.

Nachstehend werden dazu Beispiele des Alltags genannt sowie Hauptfragen, die sich logisch daraus ergeben. Für die aufgezeigten Fragen gilt: Sie besitzen zum Teil provozierenden Charakter und sollen den weiteren Diskurs um den fraglichen Paragrafen beleben sowie die Schwächen der aktuellen rechtlichen Vorgaben verdeutlichen.

Überlegungsbeginn ist die in TierSchG § 4a Abs. 2 Nr. 2 genannte Ausnahmeregelung zum Schlachten ohne Betäubung (Schächten), wobei in § 4a recht unscharf „Schächten“ grundsätzlich mit dem Schlachten ohne Betäubung gleichgesetzt wird, obwohl der Schächtbegriff eindeutig weiter zu fassen ist: Auch das rituelle Schlachten durch Kehlschnitte mit vorheriger Betäubung, etwa durch Elektrokurzzeitbetäubung (EKZB), ist als eine Form des Schächtens zu werten. So wird zum Beispiel im bereits erwähnten Kommentar zum Tierschutzgesetz (Hirt u. a., München, 2016, S. 248) logisch und juristisch korrekt ausgeführt:

„Das Schächten ist somit ein Gesamtritual, das aus einer Vielzahl von Handlungen und Regelungen besteht, von denen die Betäubungslosigkeit nur ein einzelnes Teilelement bildet. Die diesbezügliche Kontroverse betrifft also nicht das Schächten insgesamt, sondern nur die Unbetäubtheit der Tiere als ein einzelnes wesentliches Element davon.”

Und weiter heißt es dort:

„Das Gesamtritual des Schächtens kann sowohl am betäubten als auch am unbetäubten Tier entsprechend den Überlieferungen vollzogen werden; eine Betäubungspflicht ist also nicht gleichbedeutend mit einem Verbot des religiösen Schlachtens, sondern betrifft nur ein Teilelement davon (mit anderen Worten: Es geht nicht um ein Verbot des Schächtens insgesamt, sondern nur des unbetäubten Schächtens).“

(Hirt u. a., München, 2016, a. a. O., S. 252)

Diese logisch stringente Definition gilt natürlich auch für die vorliegende Arbeit. Ein Wort zum Abschluss:

In fachlichen Publikationen wird – wissenschaftlich präzise – zwischen dem Schächten nach mosaischem Ritus und islamischer Halal-Schlachtung unterschieden. Tatsächlich differieren beide Formen in wesentlichen Punkten. So ist etwa der Verzehr von Kamel-Fleisch gemäß dem mosaischen Ritus verboten, und die rituelle Schlachtung muss zwingend von dafür qualifizierten Personen (Schochet) ausgeführt werden. Im Islam sind die Weisungen deutlich weniger streng: Zum Beispiel ist es allen mündigen Muslimen mit angemessener Fachkenntnis der Schnittführung erlaubt, die Halal-Schlachtung durchzuführen. (Fikuart, Karl: „Wer ‚schächtet’ schächtet?“, in: Deutsches Tierärzteblatt, 11 / 2007, S. 1387)

Die vorliegenden Schrift beinhaltet diese fachliche Abgrenzung nicht: Sowohl für islamische Halal-Schlachtungen als auch für die mosaische rituelle Tiertötung wird der Begriff „Schächten“ verwendet. Dies ist hier sinnvoll, da selbst der deutsche Gesetzgeber im TierSchG § 4a Abs. 2 Nr. 2 das Schlachten ohne Betäubung unterschiedslos als „Schächten“ bezeichnet und dieser Begriff ebenfalls im allgemeinen Sprachgebrauch Halal-Schlachtung und mosaische rituelle Tiertötung abdeckt. Fachexternen LeserInnen bleibt somit eine eventuell verwirrende sprachliche Zweigleisigkeit erspart.