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Die Autoren

 

Dr. Christoph M. Haas ist Akademischer Rat am Lehrstuhl für Vergleichende Regierungslehre am Seminar für Wissenschaftliche Politik der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, an der er seit 1996 lehrt. Er promovierte 2001 mit einer Dissertation zu »Haushaltsverfahren in den Einzelstaaten der USA«. Seine in Studium und Forschung erworbene Expertise konnte er durch die Erfahrung aus einem Praktikum im US-Repräsentantenhaus und mehreren fellowships im US-Senat anreichern.

 

Simon Koschut ist Gastprofessor für Internationale Beziehungen am Otto-Suhr-Institut an der Freien Universität Berlin. Zuvor war er im Rahmen eines Fritz Thyssen Stipendiums am Weatherhead Center for International Affairs an der Harvard Universität, als Akademischer Rat an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und als Juniorprofessor in Vertretung an der Freien Universität Berlin. Er hat umfangreich zur US-amerikanischen Außenpolitik publiziert, darunter das UTB-Lehrbuch »Die Außenpolitik der USA«. Simon Koschut wurde an der Universität Potsdam promoviert und habilitiert. Er studierte Politikwissenschaften und Nordamerikastudien in Berlin, Potsdam, Chapel Hill und Bonn.

 

Christian Lammert ist Professor für die politischen Systeme Nordamerikas am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin. Zu seinen Forschungsgebieten gehören die politischen Systeme in den USA und Kanada sowie die vergleichende Wohlfahrtsstaatsforschung. Jüngst hat er zusammen mit Boris Vormann im Aufbau Verlag das Buch »Die Krise der Demokratie« publiziert. Er ist regelmässiger Kommentator in den deutschen Medien zur Politik in den USA.

Christoph M. Haas/Simon Koschut/ Christian Lammert

Politik in den USA

Institutionen – Akteure – Themen

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2018

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN: 978-3-17-030689-9

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-030690-5

epub:   ISBN 978-3-17-030691-2

mobi:   ISBN 978-3-17-030692-9

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Inhaltsverzeichnis

 

 

 

  1. Vorwort
  2. Institutionen und Akteure
  3. Christoph M. Haas
  4. Politik in den USA in der Ära der Polarisierung
  5. Verfassungsrechtliche Grundlagen und Prinzipien
  6. Verfassung und Verfassungswirklichkeit
  7. Zwischen Zentral- und Gliedstaat: der Föderalismus
  8. Pluralismus
  9. Republik
  10. Gewaltenteilung und Gewaltenverschränkung
  11. Judicial Review – Höchstrichterliche Normenkontrolle
  12. Präsidentielles Regierungssystem
  13. Möglichkeiten zur Amtsenthebung des Präsidenten
  14. Weitere Merkmale des präsidentiellen Regierungssystems
  15. Wahlrecht
  16. Wahlsystem
  17. Vorwahlen: primaries und caucuses
  18. Hauptwahlen (general elections): Kongress und Präsident
  19. Präsident und Kongress: Gesetzgebung in der Ära der parteipolitischen Polarisierung
  20. Grundzüge des Gesetzgebungsprozesses
  21. Unified und divided government und seine Folgen für die Gesetzgebung
  22. Die parteipolitische Polarisierung als neue Rahmenbedingung für die Gesetzgebung
  23. Innenpolitik
  24. Christian Lammert
  25. Die Präsidentschaft Obamas und die innenpolitischen Herausforderungen in den USA
  26. Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik
  27. Sozial- und Gesundheitspolitik
  28. Gesellschaftliche Integrationsprobleme
  29. Die Einwanderungspolitik
  30. Rassismus und Gewalt
  31. Klima- und Umweltpolitik USA
  32. Innenpolitische Reformperspektiven der Trump-Administration
  33. Außenpolitik
  34. Simon Koschut
  35. Grundlagen des außenpolitischen Entscheidungsprozesses in den USA
  36. Präsident
  37. Kongress
  38. Öffentlichkeit
  39. Die internationalen Rahmenbedingungen
  40. 1 Kontinuität v. Wandel
  41. 2 Konflikt v. Konsens
  42. 3 Macht v. Moral
  43. 4 Innen v. Außen
  44. Ideen und Werte
  45. Der US-amerikanische Exzeptionalismus
  46. Interventionismus und Isolationismus
  47. Isolationismus
  48. Interventionismus
  49. Die außenpolitischen Denkschulen in den USA
  50. Macht und Interessen
  51. Harte Macht (hard power)
  52. Weiche Macht (soft power)
  53. Niedergang der amerikanischen Weltmacht?
  54. Die Zukunft amerikanischer Außenpolitik unter Trump
  55. Literatur
  56. Institutionen und Akteure
  57. Innenpolitik
  58. Außenpolitik

Vorwort

 

 

 

 

Donald Trump hat die Konjunktur der politischen Bildung belebt. Die Nachfrage nach Einführungskursen und Fortbildungsseminaren zum politischen System der USA ist gestiegen – sie wurde und wird durch zahlreiche Angebote außeruniversitärer Bildungsträger gestillt. Aus dem akademischen Lehr- und Forschungsbetrieb kommend trugen wir selbst einen kleinen Teil zur Sättigung dieser Nachfrage bei. Gleichwohl gab es in diesen Kursen – aber auch von Studierenden der Politikwissenschaft – häufig den Wunsch nach weiterem Kenntniserwerb durch breit angelegte und einfach zu lesende Literatur zur Politik in den USA. Diesem Begehr will der vorliegende Band nachkommen. Er legt in drei Kapiteln die historischen Wurzeln und institutionellen Grundzüge des Regierungssystems der USA, die wesentlichen innenpolitischen Entwicklungen der letzten Jahre sowie die Kernaspekte der Außenpolitik dar. Beispielgebende Bezugspunkte sind dabei einerseits das erste Amtsjahr von Donald Trump und andererseits die Administrationen seiner unmittelbaren Vorgänger. Zahlreiche Abbildungen und Tabellen dienen der zusätzlichen Veranschaulichtung. Wir freuen uns mit diesem Buch der interessierten Leserschaft ein fundiertes Wissen zur Politik in den USA bereitstellen zu können und hoffen, dass es gleichsam als Appetizer den Einstieg in eine weiterführende und tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Gegenstand darstellt.

Wir bedanken uns auf diesem Wege beim Herausgebergremium des »Brennpunkt Politik« und dem Verlag W. Kohlhammer für die Aufnahme in die Reihe sowie insbesondere bei Gisela Riescher für die initiierende Anfrage an uns, die Autorenschaft für diesen Band zu übernehmen. Daniel Kuhn und Peter Kritzinger danken wir für die freundliche und sachkundige Lektorierung des Manuskriptes von Seiten des Verlages. Und der Politik in den USA danken wir, dass sie uns eine nie versiegende Quelle unserer Forschung ist.

 

Christoph M. Haas

Simon Koschut

Christian Lammert

Institutionen und Akteure

Christoph M. Haas

 

 

Politik in den USA in der Ära der Polarisierung

Der Immobilienmogul Donald Trump wurde am 8. November 2016 zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt. Mit seiner Wahl verbanden viele – zumindest auf der einen Seite des politischen Spektrums in den USA selbst sowie ein großer Teil der internationalen Öffentlichkeit – die schlimmsten Befürchtungen: den Rückbau bzw. die Abschaffung der von Barack Obama eingeführten Gesundheitsreform, Kürzungen auch anderer sozialstaatlicher Leistungen, die radikale Ausweisung von Einwanderern ohne Aufenthaltsgenehmigung, den Bau einer Mauer an der Grenze zu Mexiko, Erschwerung der Einreisebedingungen in die USA, Beschneidung des freien Warenverkehrs mittels massiver protektionistischer Maßnahmen und in deren Folge entstehende Handelskriege, Einschränkungen bei internationalen sicherheitspolitischen Verpflichtungen der USA, den Rückzug aus dem internationalen Klimaschutzabkommen und vieles andere mehr, was Trump in seinen Wahlkampfreden und unzähligen Mitteilungen auf Twitter für seine Präsidentschaft angekündigt hatte. In rund einem Jahr seit seiner Amtseinführung am 20. Januar 2017 wurde das wenigste davon umgesetzt. Das liegt einerseits an der chaotisch anmutenden Regierungsorganisation und des zutage getretenen Unwillens, sich den politischen Gegebenheiten anzupassen, andererseits jedoch auch an den Grenzen, die das politische System dem Präsidenten ohnehin setzt. So schob etwa die Gerichtsbarkeit von Trump erlassenen Dekreten zum Einreiseverbot aus diversen muslimisch geprägten Staaten wiederholt einen Riegel vor, demonstrierte damit ihre Unabhängigkeit und zwang die Administration zu Modifikationen. Und obwohl Trumps Republikanische Partei in beiden Kammern des Kongresses mit Mehrheiten ausgestattet ist, scheiterten viele der vom Präsidenten unterstützten Gesetzesvorlagen, wie zum Beispiel Änderungen an der Gesundheitsreform bzw. deren komplette Auflösung, an der fehlenden Zustimmung im Repräsentantenhaus und/oder im Senat. Wenngleich der Demokrat Barack Obama in seinen ersten beiden Amtsjahren mit ebenfalls parteipolitischen Mehrheiten im Kongress wichtige legislative Vorhaben, wie etwa die Konjunkturprogramme im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise oder seine Gesundheitsreform, umsetzen konnte, war auch Obama trotz der teils euphorischen Hoffnungen, die nach seinem Wahlerfolg in seine Präsidentschaft gesetzt wurden, durch das »Systemkorsett« (Haas/Jäger 2012) in seinen Handlungsmöglichkeiten beschränkt. Nachdem die Republikaner im Jahr 2010 die Mehrheit im Repräsentantenhaus und 2014 auch die im Senat erobert hatten, klagte Obama des Öfteren über Schwierigkeiten, mit dem Kongress eine Einigung zu erzielen, und über den Unwillen der Republikaner zur Zusammenarbeit, die er auf die parteipolitische Polarisierung und eine durch sie induzierte Obstruktionspolitik zurückführte. Wie alle anderen Präsidenten vor ihnen machten Trump und Obama die Erfahrung, dass Gesetzgebung und politische Führung im Regierungssystem der USA kein leichtes Unterfangen sind. Das System ausgefeilter checks and balances war von den Gründervätern der Verfassung so gewollt, und dies durchaus im Bewusstsein, dass hierdurch Blockaden und Stillstand drohten. Die Sicherungsvorkehrungen im System stellen umgekehrt jedoch auch einen Schutz vor den politischen Vorhaben seitens Demagogen und Populisten bzw. ganz schlicht vor dem simplen Mehrheitswillen dar.

Auf den folgenden Seiten werden die verfassungsrechtlichen Grundlagen und deren wesentliche ideengeschichtlichen Wurzeln dargelegt, auf denen die Institutionen aufbauen und die Handlungsmöglichkeiten der politischen Akteure beruhen. Die Ausführungen zum Wahlsystem, zu den Wahlen 2016 und zur Entwicklung der politischen Parteien tragen zum besseren Verständnis der Funktionslogik des amerikanischen Regierungssystems bei und verschaffen einen Einblick in den Rahmen einer Politik, die unter den Bedingungen einer parteipolitischen Polarisierung stattfindet. Wenngleich ihre Ursachen weiter zurückreichen, so wird der Beginn dieser Ära der parteipolitischen Polarisierung auf die Zeit der Präsidentschaft Bill Clintons datiert. Die Homogenisierung der Parteien mit der Folge, dass sie sich mehr und mehr als monolithische Blöcke gegenüberstehen und sich Kompromissfindung immer schwieriger gestaltet, setzte sich unter den Administrationen George W. Bushs und Barack Obamas nicht nur weiter fort, sondern verschärfte sich vielmehr, so dass die Politikwissenschaftler Thomas E. Mann und Norman J. Ornstein (2013) von einer Era of Dysfunctional Governance sprechen. Damit ist gemeint, dass die am Regieren beteiligten Akteure nicht in der Art und Weise agieren bzw. »funktionieren«, wie es die von den Verfassungsvätern bewusst geschaffenen systemischen Bedingungen der checks and balances erfordern: nämlich auf der Basis von grundsätzlicher Verhandlungsbereitschaft zu tragfähigen Kompromissen zu kommen. Nichts spricht dafür, dass das bereits zu Zeiten Obamas diagnostizierte dysfunktionale Regieren unter der Präsidentschaft Donald Trumps zu Ende gehen könnte – im Gegenteil, vieles deutet darauf hin, dass er mit seinem in Teilen gezeigten erratischen und eklektischen Verhalten diese Dysfunktionalität erst recht noch verstärkt.

Verfassungsrechtliche Grundlagen und Prinzipien

Im Jahre 1787 fanden sich in Philadelphia 55 Delegierte aus den Einzelstaaten der USA zu einem Verfassungskonvent ein. Sie hatten die Weisung, Vorschläge zur Reform der Articles of Confederation zu erarbeiten, der damals gültigen Verfassung der durch sie geschaffenen Vereinigten Staaten von Amerika. Die Konföderationsartikel waren im Zuge der im Jahr 1776 erfolgten Unabhängigkeitserklärung vom Kontinentalkongress, der parlamentarischen Versammlung der 13 nunmehr ehemaligen Kolonien Großbritanniens, entworfen und im Jahr 1781 mit der Zustimmung Marylands als letztem der 13 Einzelstaaten abschließend ratifiziert worden. In der Praxis zeigte das mit den Articles of Confederation geschaffene Gefüge der Union jedoch Schwächen. Zwar war mit ihnen, wie der Name schon andeutet, ein Staatenbund ins Leben gerufen worden, in dessen Rahmen gemeinsame Angelegenheiten wie etwa der Handel zwischen den Einzelstaaten und die militärische Sicherung nach außen geregelt werden sollten. Jedoch wurde sein zentrales Organ nicht mit den erforderlichen Kompetenzen ausgestattet, um diese Aufgaben zufriedenstellend zu erfüllen. So hatte der Konföderationskongress etwa nicht das Recht, eigene Bundessteuern zu erheben, sondern war auf die finanziellen Zuwendungen der Einzelstaaten angewiesen. Es gab keine einheitliche Währungspolitik, die Einzelstaaten erhoben teilweise Zölle untereinander und betrieben eine eigene Außenhandelspolitik, was allesamt den Warenverkehr und die wirtschaftliche Entwicklung behinderte. Überdies gab es keine Einigkeit darüber, wie und von wem die im Unabhängigkeitskrieg angehäuften Schulden zu begleichen seien. Zudem galt das Einstimmigkeitsprinzip. Es bedurfte demnach für bindende Entscheidungen der Zustimmung aller Einzelstaaten, die allzu oft nicht vorlag. Und selbst wenn Bestimmungen erlassen wurden, bestand das Problem, dass der Bund keine Durchsetzungs- oder gar Sanktionsmöglichkeiten gegenüber den Einzelstaaten besaß.

Verfassung und Verfassungswirklichkeit

Es hatte bereits vor 1787 Versuche gegeben, die Articles of Confederation zu modifizieren, jedoch waren sie mangels Einigkeit oder fehlender Beschlussfähigkeit gescheitert. Nunmehr waren aber der Leidensdruck und die Einsicht, Veränderungen herbeizuführen, so groß geworden, dass es eine große Bereitschaft und den Willen gab, die Defizite der bestehenden Verfassung zu beseitigen. Und so bestand der Auftrag an die Versammlung in Philadelphia darin, die Articles of Confederation zu reformieren. Doch der erste Beschluss, den der Verfassungskonvent fasste, war, seinen eigentlichen Zweck schlichtweg zu ignorieren und stattdessen eine komplett neue Verfassung zu schreiben. Das nach rund 4-monatiger Beratungszeit am 17. September 1787 von den Delegierten unterzeichnete Dokument war ab 1788 nach der gemäß Artikel VII notwendigen Ratifizierung durch neun der 13 Einzelstaaten (die anderen folgten, als letzter der 13 ratifizierte Rhode Island 1790) die neue Verfassung der Vereinigten Staaten, unter deren Regelwerk mit der ersten Sitzung des neuen Kongresses ab dem 4. März 1789 das Regierungssystem im Wesentlichen bis heute operiert. Denn die Verfassung wurde in ihrer Geschichte selten geändert bzw. erweitert. Dafür gibt es mehrere Gründe. Der sicherlich wichtigste Grund ist, dass mit ihr ein institutionelles und ideelles Arrangement gefunden wurde, welches über nunmehr weit mehr als zwei Jahrhunderte den politischen Erfordernissen gerecht wurde. Die Akzeptanz oder vielleicht sogar die Verehrung der Verfassung seitens der Gesellschaft ist sehr hoch – nicht umsonst spricht man in den USA von einem starken Verfassungspatriotismus. Des Weiteren ist die Verfassung mit rund 4500 Wörtern recht kurz gehalten (im Vergleich: das deutsche Grundgesetz umfasst über 20 000 Wörter) und erlaubt einen großen Interpretationsspielraum seitens der obersten Bundesgerichte und des Obersten Gerichtshofs, dem Supreme Court. Und nicht zuletzt bedarf es für eine Verfassungsänderung der Überwindung hoher Hürden.

Verfassungsänderungen beziehungsweise -ergänzungen erfolgen über Zusatzartikel, die an das Ursprungsdokument angehängt werden. Es gibt gemäß Artikel V der US-Verfassung zwei mögliche Wege, sie zu verändern. Der erste besteht darin, dass der Kongress mit Zweidrittelmehrheiten in beiden Kammern eine Verfassungsergänzung vorschlägt. Die zweite, allerdings noch nie angewandte Variante besteht darin, auf Ansuchen von zwei Dritteln der gesetzgebenden Körperschaften der Einzelstaaten einen Verfassungskonvent zur Ausarbeitung von Abänderungsvorschlägen einzuberufen. In beiden Fällen muss der Änderungsvorschlag von drei Vierteln der Einzelstaaten ratifiziert werden, wobei der US-Kongress die Ratifikationsform – entweder durch die einzelstaatlichen Parlamente oder durch eigens einberufene einzelstaatliche Ratifikationskonvente – sowie den dafür vorgesehenen Zeitrahmen – in der Regel sieben Jahre – festlegt. Wenn die Ratifikation durch drei Viertel der Einzelstaaten erfolgt ist, liegt eine rechtskräftige Verfassungsergänzung, ein Amendment vor. Ein Zusatzartikel kann eine Neuerung bringen – wie etwa Amendment XIX (1920), welches das Frauenwahlrecht bundesweit verankerte –, einen bestehenden Artikel modifizieren (Amendment XII von 1804 veränderte den vorher in Artikel II, Abschnitt 1 geregelten Modus der Wahl des Präsidenten) oder einen bestehenden Artikel abschaffen. Letzteres etwa findet sich in den Amendments selbst. So führte Amendment XVIII (1919) die Prohibition ein und Amendment XXI (1933) hob dieses Amendment wieder auf. Der bestehende Textkorpus der Verfassung wird stets weitergeführt, selbst wenn eine Passage aufgrund eines hinzugefügten Artikels keine Rechtskraft mehr besitzt – anders als etwa beim deutschen Grundgesetz, denn hier werden bei Änderungen Textpassagen gestrichen bzw. ersetzt. Bei der Lektüre der US-Verfassung erschließt sich somit die ganze Geschichte ihrer Änderungen. Das bedeutet jedoch auch, dass ihre Lektüre nicht nur die sieben Ursprungsartikel umfassen darf, sondern sie in Gänze gelesen werden muss, sonst versäumte man etwa die oben erwähnte Modifikation des Wahlmodus zur Präsidentschaft.

Mit der letzten Ergänzung von 1992 gibt es insgesamt 27 Amendments. Bei genauerer Betrachtung sind es allerdings nur 17, denn die ersten zehn Amendments umfassen die sogenannte Bill of Rights. Die Erweiterung der Verfassung um einen Katalog an Grundrechten war wiederum eine Kernbedingung dafür, dass die Einzelstaaten diese Verfassung nach dem Konvent von Philadelphia ratifizierten. Und so legte der erste Kongress zur Erfüllung dieser Bedingung bereits Ende 1789 den Einzelstaaten die Bill of Rights zur Ratifikation vor, was wiederum bis Ende 1791 geschah. Angesichts ihrer Entstehungsgeschichte lassen sich somit die ersten zehn Amendments trotz ihrer Bezeichnung als Zusatzartikel der Ursprungsverfassung zuschlagen. Während die Kritiker des Verfassungsentwurfs von Philadelphia in dieser Hinsicht Erfolg hatten, verhallte ihr Widerspruch gegen die Verfassung als Ganzes oder gegen deren Bestandteile. Von Seiten der Verfassungsgegner wurde insbesondere befürchtet, dass eine Bundesgewalt geschaffen würde, die die Kompetenzen der Einzelstaaten untergrabe und letztlich zur Usurpation sämtlicher Machtbefugnisse seitens des Bundes führe. In Sorge, dass die Kritik an der Verfassung ihre Ratifikation im Staat New York verhindern und das gesamte Verfassungsprojekt scheitern lassen würde – New York galt neben Virginia, Pennsylvania und Massachusetts als unverzichtbar für die neue Union –, schrieben Alexander Hamilton, James Madison und John Jay von Ende 1787 bis Mai 1788 unter dem Pseudonym Publius eine Serie von 85 Artikeln in New Yorker Zeitungen. Diese Federalist Papers sollten nicht nur als der erste und bis heute wichtigste Verfassungskommentar in die Geschichte eingehen, sondern auch als eines der bedeutsamsten Werke der politischen Philosophie. Aus der in ihnen vorgetragenen Argumentation für den Entwurf von Philadelphia lassen sich die der Verfassung und damit dem politischen System der USA zugrundeliegenden Prinzipien ableiten und erläutern.

Zwischen Zentral- und Gliedstaat: der Föderalismus

E pluribus unum – aus Vielen, Einer: Wer einen Eindollarschein einmal genauer betrachtet hat, kennt diese Losung. Oder sie ist geläufig, weil sie zuweilen benutzt wird, um das Einwanderungsland USA als einen Tiegel zu beschreiben, in dem viele Völker und Ethnien zu einer, der amerikanischen Gesellschaft zusammenschmelzen. Jedoch rührt die Verwendung dieses lateinischen Diktums ursprünglich aus der Beschreibung der Vereinigung von Einzelstaaten zu einer Nation her. So findet sich e pluribus unum bereits seit 1782, also schon unter der Verfassung der Articles of Confederation, auf dem Großen Siegel der USA, auf dem ein Weißkopfseeadler eine mit diesen Worten bedruckte Schriftrolle im Schnabel hält. Und es bestand kein Zweifel daran, dass auch die neue Verfassung dieses Grundprinzip nicht antasten würde. Aus dem losen Staatenbund sollte nunmehr aber ein fester Bundesstaat mit einem handlungsfähigen Regierungsapparat auf Bundesebene werden. Der Bund sollte eigene, souveräne Entscheidungsbefugnisse bekommen, die nicht von der Zustimmung der Einzelstaaten abhingen. Somit wurde einem Staatsorganisationsprinzip Geltung verschafft, wonach Kompetenzen zwischen Bund und Einzelstaaten aufgeteilt werden. Und so findet sich in Artikel I, Abschnitt 8 der US-Verfassung eine Aufzählung derjenigen Materien, die der Kongress, mithin die Bundesebene, gesetzgeberisch zu regeln berechtigt ist. Darunter fallen die Rechte Steuern, Zölle und Abgaben zu erheben, Kredite aufzunehmen, den Handel mit anderen Nationen sowie zwischen den Einzelstaaten zu regulieren, Münzen zu prägen und den Wert des Geldes zu bestimmen, die Jurisdiktion über das Gebiet auszuüben, in dem die Bundesregierung ihren Sitz hat, und zudem das Recht, all jene Gesetze zu erlassen, die notwendig und angemessen sind, um die genannten Befugnisse und alle anderen Kompetenzen, die dem Bund, einem seiner Organe oder einem seiner Amtsträger durch die Verfassung übertragen wurden, ausführen zu können.

Dieser als necessary and proper, als elastic oder auch sweeping clause bezeichnete Absatz war einer der von Seiten der Verfassungsgegner am heftigsten kritisierte Teil. Man befürchtete, dass in dieser Klausel ein Einfallstor zur übermäßigen Machtusurpation durch den Bund bestünde. Publius verteidigte den Verfassungsabschnitt jedoch mit dem Hinweis, dass der Bund Gesetze erlassen können müsse, die zur Ausführung der ihm ausdrücklich übertragenen Kompetenzen dienten. Wer etwa die Kompetenz habe, Steuern zu erheben, müsse auch die für den Vollzug dieser Kompetenz notwendigen Gesetze erlassen können. An anderer Stelle argumentiert Publius, dass ohne diese Klausel eine ständige Diskussion darüber bestünde, welche impliziten Rechte die einzelnen übertragenen Kompetenzen beinhalteten. Und nicht zuletzt verweist Publius darauf, dass, selbst wenn dem so wäre und sich der Kongress übermäßige Kompetenzen aneignet, letztlich »die Abhilfe vom Volk kommen könne, das durch die Wahl zuverlässigerer Abgeordneter die Gesetze der Usurpatoren annullieren kann.« (Federalist Papers, Artikel 44). Wenn nicht durch diese Argumentation besänftigt, so wurde die zeitgenössische Kritik zu einem Großteil wiederum durch die Bill of Rights entschärft, denn in Amendment X wird festgelegt, dass die Machtbefugnisse, die weder dem Bund zugesprochen noch den Einzelstaaten durch die Verfassung dezidiert entzogen wurden, den Einzelstaaten oder dem Volk vorbehalten bleiben. Die weitere Geschichte der USA sollte jedoch zeigen, dass die Kritiker durchaus damit Recht behalten sollten, dass der Bund im Laufe der Zeit unter Rückgriff auf die necessary and proper clause immer mehr Zuständigkeiten an sich ziehen würde und das Vorgehen überdies durch den Obersten Gerichtshof in der überwiegenden Zahl der Fälle – wegweisend bereits 1819 im Urteil zu McCulloch v. Maryland – als verfassungskonform bestätigt wurde.

Pluralismus

Wenngleich nicht ausdrücklich in der Verfassung genannt, ist der Pluralismus ein weiteres Grundprinzip. Denn genau wie der Föderalismus durch die Aufteilung von Souveränität zwischen Gebietskörperschaften als vertikale Gewaltenteilung ein Prinzip zur Machtbeschränkung ist, sahen die Verfassungsväter auch im Pluralismus ein Instrument zur Begrenzung von Macht: Ein Gemeinwesen soll so organisiert sein, dass aus einer möglichst großen Vielfalt der Meinungen und Interessen gleichsam ein Zwang zu deren Ausgleich und somit ein System gegenseitiger Kontrolle entsteht.

In Artikel 10 der Federalist Papers erläutert Publius das aus seiner Sicht Grundproblem von Gesellschaften: die Bildung von factions. Unter einer faction versteht er

»eine Gruppe von Bürgern – das kann eine Mehrheit oder eine Minderheit der Gesamtheit sein – die durch den gemeinsamen Impuls einer Leidenschaft oder eines Interesses vereint und zum Handeln motiviert ist, welcher im Widerspruch zu den Rechten anderer Bürger oder dem permanenten und gemeinsamen Interesse der Gemeinschaft steht.« (Federalist Papers, Artikel 10, 54)

Laut Publius gibt es zwei Methoden, die Auswirkungen von factions abzustellen. Die erste wäre, ihre Ursachen zu beseitigen. Dies könnte entweder durch die Zerstörung der Freiheit geschehen, was jedoch Unsinn sei, denn man vernichte Luft nicht, nur weil sie auch dem Feuer zerstörerische Kraft verleihe. Oder man versähe alle Bürger mit den gleichen Meinungen, Leidenschaften und Interessen, was aber nicht möglich sei. Denn solange menschliche Vernunft fehlbar und der Mensch frei sei, sie zu benutzen, gebe es unterschiedliche Meinungen. Da demnach die Methode der Ursachenbeseitigung von factions, nicht in Frage komme, müsse zur zweiten Methode gegriffen werden, die darin bestehe, die Konsequenzen von factions zu beherrschen. Dazu müsse entweder die Entstehung gleicher Leidenschaften bzw. Interessen innerhalb der Mehrheit zum selben Zeitpunkt verhindert werden oder man erschwerte der Mehrheit durch ihre schiere Anzahl und durch die geographischen Umstände die Koordination. Nun sei es zwar kaum möglich, die zeitgleiche Entstehung gemeinsamer Interessen zu verhindern, allerdings sei das ein Grund, direkte Demokratie, also den bloßen Mehrheitsentscheid, abzulehnen. Publius spricht sich somit für die Delegation von Herrschaft, mithin für eine repräsentative Demokratie, aus und sieht für ein Gemeinwesen ein großes Territorium mit einer großen Anzahl von Bürgern als vorteilhaft an. Denn durch die Übertragung von Herrschaftsaufgaben an Repräsentanten würden Interessen gefiltert und eine große Zahl von Bürgern resultiere in zahlreichen konkurrierenden Leidenschaften und Interessen, die sich wiederum gegenseitig kontrollierten. Das gleiche gelte für die Ausweitung eines Gemeinwesens auf ein großes Territorium, zumal allein schon verschiedene geographische und klimatische Gegebenheiten unterschiedliche Interessen bedeuteten.

Republik

Eine Demokratie, verstanden als direkte Demokratie, lehnt Publius ab. Sein präferiertes und mit dem Verfassungsentwurf vorgelegtes Modell ist eine Republik, unter der Publius eine repräsentative Demokratie versteht, in der sämtliche, an die Staatsorgane übertragene Macht vom Volke direkt oder indirekt abgeleitet wird. Publius benutzt hierfür den Begriff des popular government. Was hierunter zu verstehen ist, brachte Abraham Lincoln ein dreiviertel Jahrhundert später inmitten des Bürgerkriegs in seiner Gettysburg Address anschaulich auf den Punkt, wenn er von den USA als einer Nation mit einem »government of the people, by the people, for the people« spricht. Republik bedeutete für die Gründungsväter auch die Abwesenheit von monarchischen und aristokratischen Elementen, was in Artikel I, Abschnitt 9 der US-Verfassung unterstrichen wird, wo es heißt, dass »Adelstitel […] durch die Vereinigten Staaten nicht verliehen werden [dürfen].«

Letzteres teilten selbstverständlich auch die Verfassungsgegner, die Anti-Federalists, die so bezeichnet wurden, weil sie sich selbst in zahlreichen Zeitungsartikeln kritisch gegenüber den Federalists äußerten. Bezogen auf eine Republik allerdings verwiesen sie auf Montesquieu, den hochgeschätzten Theoretiker der Gewaltenteilung, dessen Werk neben dem von John Locke sowie denen der schottischen Philosophen der Aufklärung (wie etwa David Hume) eines der zentralen Referenzen war, auf die sich sowohl Federalists als auch Anti-Federalists beriefen. Montesquieu stand Republiken zwar grundsätzlich positiv gegenüber, sah sie jedoch im Rahmen eines großen Nationalstaates als zum Scheitern verurteilt bzw. als nicht realisierbar an. Die Anti-Federalists befürchteten, dass die unter der neuen Verfassung vorgesehene große Republik sich über kurz oder lang in eine Monarchie verwandeln würde. Dahingehend warnte etwa unter dem Pseudonym Cato – siehe detailliert Storing 1981, Vol. 2.6.12–20 – vermutlich der damalige Gouverneur New Yorks, George Clinton. Clinton zog seine Bedenken gegen die Verfassung mit der Hinzufügung der Bill of Rights jedoch später zurück und war unter den Präsidenten Thomas Jefferson und James Madison sogar Vizepräsident.

Die Federalists argumentieren wie oben beschrieben genau gegenteilig, denn in einer Republik auf großem Territorium entfalte das pluralistische Prinzip der gegenseitigen Interessenskontrolle sein volles Potenzial. Zudem weist PubliusPublius