Gedanken einer Frau, die sich befreien will

Ich verabschiede mich

von Verhaltensmustern, die mich lähmen,

von meinem Zwang, geliebt zu werden,

von meiner Sucht, gebraucht zu werden.

Und ab morgen trage ich ROT!


Ich trenne mich

von meiner mütterlich beschützenden Rolle,

von meiner Überverantwortung,

von Erwartungen, die mich fesseln.

Und ab morgen trage ich ROT!


Ich entscheide mich

gegen die Farblosigkeit meines Lebens,

gegen alle Anspannung und Verkrampfungen,

gegen Resignation und Energieverlust.

Und ab morgen trage ich ROT!


Ich lasse los

den Teufelskreis meines Selbstmitleids,

das Bespiegeln meiner Wunden,

den bitteren Blick auf die Vergangenheit.

Und ab morgen trage ich ROT!


Ich will in Kontakt sein

mit dem göttlichen Kern in mir,

mit der Quelle meiner Liebe,

mit meiner ureigenen Lebensfreude.

Und ab morgen trage ich ROT!


Ich werde

ohne Schuldgefühle mein Leben genießen,

die Leichtigkeit wiederentdecken,

das Leben in seiner ganzen Fülle leben.

Und ab morgen trage ich ROT!


Ich wiege mein inneres Kind,

ich nähre es mit meiner Liebe,

ich umarme mein erwachsenes Ich.

Es ist ROT!


Eine Seminarteilnehmerin

Einführung

Egal, wie Ihr Leben bisher verlaufen ist, Sie können das Alte hinter sich lassen und neu anfangen. Alle Kräfte, die Sie dafür brauchen, haben Sie bereits in sich. Dieses Buch ist für alle Frauen geschrieben, die Lust darauf haben, etwas in ihrem Leben zu verändern und frischen Wind hineinzu­bringen.

Viele Frauen spüren heute einen Aufbruch in sich. Sie wollen sich verabschieden von Lebensmustern, die ihnen keine Energie mehr geben. Sie wollen Denkmuster hinter sich lassen, mit denen sie sich immer wieder begrenzen. Sie möchten sich aus Einseitigkeiten lösen und andere Seiten aus sich hervorbringen. Sie suchen nach Lebensformen, in denen sie gleichermaßen ihre weiblichen und männlichen Kräfte entfalten können.

Die Emanzipation hat Frauen viele Freiräume geöffnet, die sie mit neuen Ausdrucksmöglichkeiten füllen konnten. Diese Entwicklung war ein wichtiger Schritt für Frauen. Dadurch können sie heute in vielerlei Bereichen zeigen, welche Begabungen in ihnen stecken. Trotzdem spüren viele Frauen, dass sie nicht im Gleichgewicht sind. Sie spüren, dass ihnen manche Seiten ihres Weiblichen verloren gegangen sind und sie die Verbindung dazu wieder finden müssen.

Ab morgen trage ich Rot steht für Aufbruch, für eine Entscheidung, etwas hinter sich zu lassen und voranzugehen. Dieser Satz drückt Entschlossenheit aus, denn er heißt nicht: Ich möchte oder ich würde gerne, er heißt: Ich trage Rot. Darin liegt ein klares Ziel: Das Ziel, mich neu zu zeigen und dadurch zu neuer Energie, zu mehr Liebe und zu größerer Lebenskraft zu finden. »Ab morgen trage ich Rot!« verspricht eine Handlung, ein Tun, aber auch einen Prozess des Werdens.

Ich entscheide mich für die Kräfte, die meinem Leben Farbe geben

Diesem Satz, »Ab morgen trage ich Rot!«, geht zunächst eine Erkenntnis voraus: Die Erkenntnis, was sich gerade in meinem Leben eben nicht rot, nicht kraftvoll, nicht liebevoll anfühlt, sondern was eher farblos, vielleicht freudlos, grau oder energielos geworden ist.

Dieses Erkennen, was fehlt, geschieht im Heute. Es geschieht im alltäglichen Spüren, in welchen Bereichen ich meine Freude verloren habe, wo mir Lustlosigkeit oder Erschöpfung die Energie rauben, wo ich aus Enttäuschung meine Liebe zurückgenommen habe oder wo ich Lebenskraft verloren habe. Es geschieht aber auch im Wahrnehmen, wann eine Aufgabe erfüllt ist und jetzt losgelassen werden will.

Solche Zeiten kennen wir alle, sie gehören zum Leben. Wir erfahren sie, wenn wir lange Zeit Gefühle aus Angst vor Ablehnung oder Bewertung zurückhalten. Auf einmal spüren wir, wie sehr uns Lebendigkeit fehlt.

Wir geben oft all unsere Energie und Freude in eine Aufgabe und erkennen plötzlich, dass wir darin keine Zufriedenheit und Erfüllung mehr finden, sondern lustlos werden.

Wir durchleben auch in der Liebe Zeiten der Farblosigkeit. Alles geht seinen gewohnten Gang, da ist kein Esprit, keine Frische, keine Phantasie mehr.

Wir können Trennungen und Krankheiten erfahren und all unsere Kräfte zum Überwinden brauchen, so dass wir für andere Bereiche keine Lebenskraft mehr haben.

Diese Erfahrungen können wir nicht umgehen. Sie werden uns im Leben immer wieder begegnen. Aber wir sind nicht darauf festgelegt. Wir haben die Stärke in uns, etwas loszulassen, was vorbei ist. Wir sind fähig, immer wieder auf Neues zuzugehen und andere Kräfte aus uns hervorzubringen.

Wir können eine Entscheidung treffen und handeln. Allein dieses Entscheiden setzt Kräfte frei. Sie bringen uns in Bewegung, nach vorne zu schauen und etwas in unserem Leben neu zu gestalten. Jede Frau kann für sich sagen: Ich entscheide mich für die Kräfte, die meinem Leben eine neue Farbe geben. Ich will wachsen und mich entwickeln: »Ab morgen trage ich Rot!«

Warum Rot?

Rot übt seit jeher eine Anziehungskraft auf den Menschen aus: Rot steht für Herz und Leben, für Vitalität und Lebensfreude, für Liebe und Leidenschaft, für Wärme, Mut und Intensität, ist aber auch Signalfarbe für Gefahr. Rot zieht alle Blicke auf sich. Wenn eine Frau Rot trägt, dann weiß sie, was sie will. Sie nimmt ihren Platz ein, denn an Rot sieht man nicht vorbei. Sie zeigt Mut, zu ihrer Lebendigkeit zu stehen.

So steht Rot für Lebensenergie, für intensives Leben. Es regt uns an, es kann uns auch aufregen. Vor allem kann es uns darin stärken, weiblich lebendig zu sein.

Warum »ab morgen«?

Wenn dieser Satz so viel Entschlossenheit ausdrückt, warum heißt er dann nicht: »Ab heute ...«? Kann ich denn nicht gleich heute leben, was ich will? Warum erst morgen? Es wird uns doch immer wieder gesagt, wir sollten im Heute leben. Und kennen wir nicht alle die Versuchung, wichtige Dinge auch gerne zu verschieben und danach zu leben: Morgen, morgen, nur nicht heute? Ist dieses Morgen dann keine Ausrede, aktiv zu werden und etwas zu verändern?

Natürlich können wir uns auch heute verändern und uns anders geben als bisher. Aber wenn wir Verhaltensweisen hinter uns lassen wollen, nach denen wir viele Jahre gelebt haben, dann werden wir sie kaum von einer Stunde auf die andere auflösen. Dann braucht es eine Zeit, in der wir in unsere neue Haltung hineinwachsen. Es ist gerade ein weiblicher Weg, Entwicklungen ihre Zeit zu geben, bis wir uns so reif fühlen, dass unsere ganze Energie uns zum Handeln drängt.

Neues Besinnen auf weibliche Werte und weiblichen Geist

Die Autorin Clarissa Pinkola-Estes hat die Farbe Rot als die Verheißung beschrieben, dass etwas in Kürze aufersteht. Auch im christlichen Glauben steht Rot für Auferstehung: Die Liebe kann alles Leblose in neues Leben verwandeln.

Die Pfingstflamme, das Symbol für den Geist, der Leben hervorbringt, ist in der christlichen Kunst ebenfalls in Rot ausgedrückt. Dieser Pfingstgeist wird auch als die weibliche Lebenskraft Gottes gesehen. Im Hebräischen heißt die­se weibliche Kraft »Ruach«, was so viel wie Wind, Atem, Bewegung oder neuer Geist bedeutet. Von diesem neuen Geist können wir uns anstecken lassen.

Er ist die Energie – in der Frau gleichermaßen wie im Mann –, die uns in Bewegung bringt und neu belebt. Er ist die Kraft in uns, die erkennt, wo unsere Lebendigkeit durch Angst blockiert ist, und die uns dazu befähigt, die Türen der Angst aufzumachen und uns mit neuem Mut zu zeigen. Er ist die Inspiration, die uns mitten in Lethargie und Freudlosigkeit auf einmal neue Begeisterung entdecken lässt und die uns Mut macht, in anderen Sprachen zu reden: nicht mehr in der Sprache der Bewertung, der Konkurrenz oder der Lieblosigkeit, sondern in einer achtsamen und mitfühlenden Sprache.

In vielen Bereichen kann uns dieser neue Geist heute beleben. Wenn wir uns davon bewegen lassen, dann können wir unsere eingefahrenen Denkmuster aufbrechen und Phantasie für Neues entwickeln. Dann können wir Weite hineinbringen, wo es im persönlichen Leben zu eng geworden ist, so dass wieder Luft zum Atmen sein kann.

Wir werden dann auch weibliche und männliche Lebenskräfte nicht voneinander trennen, sondern verbinden. Wir werden Aktivität und Ruhe als gleichwertige Seiten achten und Muttersein nicht gegen Berufstätigkeit ausspielen. Wir werden Sinnenfreudigkeit nicht gegen Pflichtgefühl stellen, sondern beidem Wert geben. Wir werden unser weibliches Empfinden nicht hinter Minderwertigkeitskomplexen verstecken, sondern als Stärke leben.

Rot ist Energie – Die eigene Vitalität und Lebenslust stärken

Wir alle wollen vital und lebendig sein, uns gesund fühlen und kreativ sein. Wir wollen eine aktive, lebensfrohe Frau sein. Wenn wir Energie haben, dann haben wir »Tatkraft«: Dann setzen wir unsere innere Motivation auch in die Tat um. So gestalten wir dann etwas durch unsere eigene Kraft oder bringen etwas in Bewegung. Die Freude darüber gibt uns wiederum Vitalität und Lebenslust, wir spüren, dass wir Kraft haben, unser Leben in die Hand zu nehmen.

Farben wirken seit jeher auf die Seele und den Körper des Menschen. So stärkt die Farbe Rot die Lebenskräfte. Sie ist Symbol für Aktivität, Energie und Freude.

Wir Frauen haben diese rote Energie. Wir versprühen Vitalität, wenn wir leben, was wir innerlich fühlen, wenn unsere Seele und unser Körper im Einklang sind.

Steine aus dem Weg räumen

Doch diese Harmonie, die aus der roten Energie stammt, ist nicht selbstverständlich. Sie kann uns verloren gehen, wenn wir uns nicht frei fühlen, das zu leben, was in uns steckt.

Von dieser Stärke, nach unserer inneren Wahrheit zu leben, fühlen wir uns häufig abgeschnitten. Wir fühlen uns dann gefangen in Rollen, die nicht unserem wirklichen Wesen entsprechen.

Das Bestreben, es allen recht zu machen, ist beispielsweise eine Rolle, in der wir Frauen uns oft wiederfinden. Wir neigen immer wieder dazu, uns aus Rücksicht auf andere in den Hintergrund zu stellen. Es kann in einem guten Maße durchaus ein Grad der Reife sein, sich zugunsten eines Schwächeren zurücknehmen zu können. Aber wenn wir nicht mehr frei sind zu wählen, wann wir die Wünsche anderer erfüllen wollen und wann wir unsere eigenen leben wollen, dann sind wir in Gefahr, uns für andere aufzugeben.

Viele Frauen haben mir erzählt, dass sie in ihrem Leben öfter Sätze gehört haben wie »Sei nicht so egoistisch!«, »Nimm dich nicht so wichtig!« oder »Die anderen sind wichtiger!«. Wenn sie diese Haltungen verinnerlicht haben, erscheint es ihnen dann wie ein Fehler, auf sich zu schauen und den eigenen Wünschen nachzugehen. Zumindest haben sie dabei immer ein schlechtes Gewissen.

Frauen sind in einer solchen Haltung von den Erfahrungen aus der Vergangenheit bestimmt. Diese Vergangenheit ist zwar vorbei, doch unser Gebundensein daran ist vielfach geblieben. Dieses Unfreisein raubt uns auf Dauer Energie und Lebensfreude. Wir fühlen uns zunehmend frus­trierter, weil wir eigene Bedürfnisse von früher her negativ bewerten. Es ist zugleich enorm anstrengend, die eigenen Wünsche immer wieder zu unterdrücken und uns damit einen Teil der eigenen Lebenslust zu versagen.

In meinen Kursen habe ich Frauen erlebt, die erkannt haben, dass sie diese Rolle der Aufopferung wählen, weil sie sich davon insgeheim auch etwas erwarten. Oft geben sie anderen so viel, weil sie sich in ihrem Tiefsten nach Anerkennung sehnen und von anderen für ihr Geben geliebt werden wollen. Aber sie bekommen diese Anerkennung selten in der Art und Weise, wie sie es sich erhoffen.

Dieser tiefe Wunsch nach Angenommen- und Geliebtwerden stammt oft aus der eigenen Lebensgeschichte und hat seine Ursache in der Kindheit, in der dieser Wunsch auch immer wieder enttäuscht wurde. Damit gilt der heutige Wunsch nach Geliebtwerden mehr dem Mädchen von damals als der Frau von heute. So ist die Suche vieler Frauen immer rückwärts gerichtet – und das kostet sie viel Energie. Frauen werden die liebende Anerkennung nie in dem Maße bekommen, wie sie es wünschen, denn unbewusst suchen sie immer wieder dort nach Liebe, wo sie nicht zu finden ist. Sie erleben erneut ihre kindliche Enttäuschung, ohne sie letztlich aufzuarbeiten. So wird immer wieder ihr alter Schmerz genährt und am Leben erhalten.

In diese Situation kommen Frauen nicht wegen ihrer persönlichen Schwäche, vielmehr ist diese ganz einfach die Antwort auf einen Mangel, der früher erlebt wurde: Es ist ihr Versuch, das vom Leben zu bekommen, was sie braucht. Dieses Verhalten muss und darf nicht bewertet werden, es ist weder gut noch schlecht. Es ist zunächst einmal, wie es ist.

Wenn eine Frau aber erkennt, dass sie mit ihrer bisherigen Art und Weise zu leben nicht zum Ziel kommt, dann ist es Zeit für einen neuen Weg. Ein neuer Weg braucht dann die klare Entscheidung, das bisherige Muster zu lassen und sich ein neues Ziel zu setzen. Dieses Ziel kann nur heißen: diejenigen Kräfte einzusetzen, die die eigene Lebendigkeit stärken. Dazu gehört auch, dass ich mich als Frau davon unabhängig mache, was andere zu meiner Lebendigkeit sagen.

Viele Frauen haben als Tochter die Anerkennung ihrer Eltern gesucht, aber nie genug Stärkung erfahren. Das bringt sie oft dazu, auch heute noch alles zu tun, um den Eltern zu gefallen. Diese Haltung überträgt sich auch auf andere Menschen und Situationen: Frauen sind dann in Gefahr, in verschiedenen Bereichen ihres Lebens über ihr Maß hinaus zu geben – sei es in der Familie, in ihrer Berufstätigkeit oder in ihrem Engagement für ein Ehrenamt.

Andere nehmen dieses Engagement und diesen Einsatz gerne von ihnen an. Frauen bereichern damit jede Gemeinschaft. Aber sie selbst werden sich irgendwann leer fühlen und bei der geringsten Enttäuschung verletzt sein.

Doch gerade diese Enttäuschungen können uns dazu bringen, eigenständig zu werden und unsere Erwartungen an andere loszulassen. Eine Enttäuschung macht uns fähig, uns auf unsere eigenen Kräfte zu besinnen und in unserer Entwicklung weiterzugehen. So können wir auch erkennen, dass wir nicht mehr das Mädchen von damals sind, das auf die Anerkennung anderer angewiesen war, sondern dass wir heute die Frau sind, die alles in sich hat, was sie braucht. Dann werden wir nicht weiter bereit sein, den Verlust unserer Vitalität und Lebensfreude in Kauf zu nehmen. Wir werden vielmehr Lust haben, jetzt stärker aus der eigenen Kraft zu leben.

Als erwachsene Frau sind wir fähig, uns selbst anzuerkennen und selbstbewusst zu sehen, wer wir sind und was wir leisten. Dann sind wir nicht mehr auf unsere Vergangenheit fixiert, sondern wir können wahrnehmen, in welchen Bereichen wir heute Zustimmung und Gesehenwerden erfahren. Wir können uns daran freuen und es genießen, aber wir sind nicht mehr davon abhängig. Das Lösen aus der Vergangenheit bringt uns neue Energie und erzeugt Lust, unser Leben bewusster in die Hand zu nehmen.

Eine Frau berichtete mir, dass sie als Kind geglaubt habe, weniger geliebt zu sein, wenn sie Gefühle wie Wut oder überschäumende Lebensfreude zeige. Oft sei ihr schon als Mädchen vermittelt worden, dass diese Gefühle nicht richtig seien oder dass sie selbst nicht richtig sei. Dies führte letztlich dazu, dass sie diese Gefühle verleugnet und ihre Wut und ihre intensive Freude in sich vergraben hat. Als Frau ging sie dann sehr streng mit ihrer Lebendigkeit um. Sie bewertete ihre Gefühle nach dem Maßstab von richtig und falsch oder nach stark und schwach. Oft kämpfte sie gegen sich selbst und fühlte sich zwischen der Sehnsucht ihrer Wünsche und der Strenge des Sich-selbst-Verbietens blockiert.

Dieses Blockiertsein, wenn es um den Ausdruck ihrer natürlichen Gefühle geht, spüren viele Frauen. Sie sind unsicher, ob sie sich so zeigen dürfen, wie sie in ihrem Innersten sind, weil sie befürchten, dann weniger gemocht zu werden. Wenn sie aber anderen Menschen begegnen, die spontan und offen ihre Gefühle ausdrücken, wird ihnen oft schmerzhaft bewusst, dass sie durch ihre Zurückhaltung viel an Vitalität verloren haben. Doch in solchen ­Situationen kann auch ihre Sehnsucht wieder geweckt werden, ursprünglich und aus sich selbst heraus lebendig zu sein. Und wenn sie sich dann klarmachen, dass sie nicht mehr den Regeln der Eltern – oder anderer – verpflichtet sind, sondern sich selbst, kann diese Sehnsucht der Impuls sein zu sagen: »Ab morgen trage ich Rot!«

Der Weg, der uns in unserem Leben voranbringt, gelingt nicht dadurch, dass wir andere verurteilen oder ihnen Schuld zuweisen. Er wird vielmehr möglich, wenn wir aufmerksam werden und spüren, in welcher Situation und wodurch die eigene Kraft gebremst und nicht gelebt wird.

Wir können uns selbst fragen: Fühlt sich das jetzt rot und kraftvoll für mich an oder grau und energielos? Was muss ich verändern, wenn ich hier mehr Farbe und Energie bekommen will? Auf das, was wir fühlen, müssen wir mit einer Handlung antworten. Nur so bekommen wir Energie.

Zu viel Pflicht – zu wenig Lebendigkeit

Den Verlust unserer Vitalität spüren wir immer in Zeiten, in denen wir zu einseitig leben. Das Organisieren des Familienalltags oder die Anforderungen im Beruf – oder die Vereinbarkeit von beidem – können so viel Einsatz kosten, dass wir für andere Bereiche keine Energie mehr haben. Dann fehlt uns die Vielseitigkeit und irgendwann leidet die Zufriedenheit.

Wenn solche Zeiten einseitiger Belastung zu lange andauern, dann bleiben viele Bereiche unserer weiblichen Lebendigkeit ungelebt. Unsere unbeschwerte und spielerische Seite, die uns unsere Vitalität schenkt, hat dann keinen Platz mehr.

Eine Mutter von vier Kindern erzählte, dass sie sich durchaus vornehmen würde, diese Seite in sich zu achten. Aber dann sei im Alltag so viel anderes wichtiger. Am Ende eines Tages müsse sie immer resigniert erkennen, dass doch wieder keine Zeit gewesen sei, ihrer eigenen Lebendigkeit nachzugehen. Sie spüre, dass sich ihr Alltag zunehmend grau anfühle und dass sich all ihre rote Energie im Funktionieren verbrauche.

Ähnliche Erfahrungen kennen wir alle. Jede Frau kann sich fragen: Warum ist mein Alltag grau? Was würde mir jetzt Farbe geben? Worauf hätte ich Lust zu leben?

Wenn uns eigene Zeit wichtig ist, dann liegt es an uns, sie auch wichtig zu machen. Und dann haben wir auch Ideen, wie wir diese Zeit gestalten wollen. Wenn der Tagesablauf es zulässt, können wir uns auch gleich die ersten Minuten am Tag gönnen – anstatt sie uns für den Abend aufzuheben und dann meist nichts mehr übrig ist. Die eigene Zeit ist uns dann etwas wert, wenn wir uns selbst etwas wert sind.

Manche Frauen spüren gar nicht mehr, was ihnen wichtig ist. Sie sehen aber neidvoll auf andere Frauen, die sich scheinbar ein »leichteres« Leben machen als sie. Solche Neidgefühle können Frauen in ihrer Stimmung dann »hinunterziehen« und innerlich bitter machen. Freude und Energie gehen verloren. Wenn sie ihre Gefühle aber als Anreiz nutzen, das selbst zu leben, was sie beneiden, dann bekommt der Neid eine andere Bedeutung.

Vielleicht spüren sie nun, dass sie sich weniger von Perfektion bestimmen lassen sollten. Vielleicht entdecken sie ihre Freude, auch noch ganz anders sein zu können, als sie es bisher gezeigt haben. Tanzen, Musik, Malen oder ein anderes Hobby schenken ihnen nun Lebensfreude, die auch in ihre anderen Aufgaben hineinfließen kann. Ihre eigene Freude steckt auch die Menschen in ihrem Umfeld an. Und wo Freude ist, da ist auch Energie.

Das Funktionieren-Müssen in der Arbeitswelt bestimmt heute viele Frauen. Diese Welt ist oft von männlichen Kriterien geprägt. Frauen versuchen, sich in diese Gegebenheiten einzufügen, aber die Anpassung verlangt eben ihren Preis.

Gerade in männlich-hierarchischen Strukturen verlieren Frauen oft Energie und sie geben es nach und nach auf, dagegen anzukämpfen. Wenn sie aber weiterkämpfen, fühlen sie sich dabei meist als Einzelkämpferinnen, weil sie zu wenig Solidarität durch andere Frauen erfahren.

Manchmal spüren Frauen erst nach Jahren, wie sehr sie ihre männliche Seite überbetont haben und ihre weiblichen Seiten zu wenig leben konnten. Sie erkennen an ihrer Müdigkeit oder ihrem Ausgelaugtsein, dass ihre Kräfte nicht im Gleichgewicht sind.