Cover

Dolly Röschli – Hallo, Jenseits | Mein Dialog mit der geistigen Welt – WÖRTERSEH

 

Wörterseh wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2016 bis 2020 unterstützt und dankt herzlich dafür.

Alle Rechte vorbehalten, einschließlich derjenigen des auszugsweisen Abdrucks und der elektronischen Wiedergabe.

© Wörterseh, Lachen

Wörterseh-Bestseller als Taschenbuch
1. Auflage 2019

Die Originalausgabe erschien 2018 als Hardcover mit Schutzumschlag

Lektorat: Andrea Leuthold
Korrektorat: Brigitte Matern
Umschlaggestaltung: Thomas Jarzina
Foto Umschlag: Sylvia Michel, michelphotography.ch
Layout, Satz und herstellerische Betreuung:
Rolf Schöner, Buchherstellung
Druck und Bindung: CPI – Ebner & Spiegel

ISBN 978-3-03763-315-1 (Taschenbuch)
ISBN 978-3-03763-102-7 (Originalausgabe)
ISBN 978-3-03763-759-3 (E-Book)

www.woerterseh.ch

 

Für meine Familie
und Stephan, you raise me up …

 
»Es gibt keinen Weg hin zum Glück.
Glücklich sein ist der Weg.«

Buddha Shakyamuni

 

Inhalt

Über die Autorin

Über das Buch

Ein paar Worte zum Voraus

Sitzung mit einem Baby

Wie alles begann

Ich will sterben

Wer ist dieser Mann?

Nicht Streberin – Besserwisserin!

Erinnerungen meiner Mutter

Die alte Frau im Zug

Training mit Esther

Lehrjahre in »Hogwarts«

Erinnerungen meiner Freundin

Über den Wolken

Sprung ins kalte Wasser

Besuch von einem Pfarrer

Drei Klicks zum Glück

Erinnerungen meines Mannes

Bei »Aeschbacher«

Feedback einer Zuschauerin

Ein Klient, der nicht zuhört

Mein Leben als Medium

Stalkerin aus dem Jenseits

Burn-out? Ich doch nicht …

Erinnerungen eines Freundes

Sterben. Anfang oder Ende?

Der Übergang

Die astrale Welt

Das Licht

Wir sind nicht allein

Verstorbene

Geistführer

Engel

Störenfriede aus dem Jenseits

Religion

Wie Medialität funktioniert

Hellfühlen

Hellsehen

Hellschmecken

Hellriechen

Hellhören

Symbole

Kontakt zum Jenseits

Ablauf einer medialen Sitzung

Fragen und Antworten

Fiktives Gespräch

Übungen für den Alltag

Meditationen

Grundmeditation

Gegen Stress

Übung einfacher Stressabbau

Anti-Stress-Meditation

Bei Spukphänomenen

Übung Astronautenanzug

Für die Gesundheit

Übung positive Gedanken

Gesundheitsmeditation

Gute Beziehungen und Partnerschaften

Tipps, um eine Partnerschaft zu verbessern

Partnerschaftsmeditationen

Kontakt zum Jenseits herstellen

 

Über die Autorin

Dolly Röschli
© Sylvia Michel

Dolly Röschli, geb. 1975, ist im Emmental aufgewachsen und realisierte schon als Kind, dass sie Menschen sehen konnte, die andere nicht sahen. Im Teenager-Alter wurde ihr klar – entweder sie befasst sich mit ihrer Medialität, oder aber sie muss ihre Fähigkeit bewusst unterbinden. Nach langem Ringen entschied sie sich, anzunehmen, was ihr in die Wiege gelegt worden war, und bewarb sich am renommierten Arthur Findlay College im britischen Stansted Hall. Seit 2003 widmet sie sich ausschließlich ihrer Berufung, gibt Privatsitzungen und leitet Seminare und Workshops. Dolly Röschli wohnt mit ihrem Mann, einem Wirtschaftsfachmann, und den drei Kindern im Zürcher Oberland.
www.dollyroeschli.com

 

Über das Buch

Hallo, Jenseits ist die Biografie einer Frau, die ihre eigenen Ängste besiegen musste, denn schon als Kleinkind begann für sie ein Albtraum, der nicht enden wollte – sie sah Menschen, die andere nicht sehen konnten. Je älter sie wurde, desto ausgeprägter zeigte sich diese Fähigkeit, und eines Tages tauchten die Unbekannten nicht nur zu Hause vor ihren Augen auf, sondern auch beim Zugfahren, an Konzerten, im Büro oder im Restaurant. Über ihre Begabung redete sie kaum, in der Schule wurde sie trotzdem schnell zur Außenseiterin, was damit zu tun hatte, dass sie Dinge oft früher wusste als ihre Mitschülerinnen und Mitschüler. Sie selbst wünschte sich in dieser Zeit nichts mehr, als »normal« zu sein. In ihrem Buch beschreibt sie jetzt erstmals und auf vielfachen Wunsch der Menschen, die ihre Arbeit schätzen und respektieren, ihren langen Weg hin zur Akzeptanz ihrer Medialität, und zeigt auf, wie Jenseitskontakte in der Praxis funktionieren. Darüber hinaus gibt sie uns das weiter, was sie in Tausenden von Gesprächen mit Verstorbenen erfahren hat, und macht zwei Dinge klar: Erstens, wir müssen uns vor dem Jenseits nicht fürchten, und zweitens, wir sind nie allein. Erst recht nicht im Moment unseres Todes.

 

Ein paar Worte zum Voraus

Jetzt geht es bald in den Druck, mein Buch, und ich erinnere mich daran, wie groß meine Zweifel waren, ob ich es überhaupt schreiben sollte. Warum ich es getan habe, hat vor allem einen Grund: Was ich über mediale Fähigkeiten und den Umgang mit der geistigen Welt gelesen habe, ließ im Kern immer etwas offen, nämlich: Wie funktioniert dieser Kontakt eigentlich? Als ich meinen »Frust« über die zwar breit vorhandene, aber sehr unbefriedigende Literatur zur Medialität einer Freundin mitteilte, meinte sie: »Nicht klagen, liebe Dolly, machen! Schreib selber ein Buch« – und hatte damit einen Samen gesetzt. Ich besprach ihre Aufforderung mit meinem Mann, der mich ohne Zögern sofort darin bestärkte, die Idee weiterzuverfolgen. Mit der Zeit redete ich auch im Freundeskreis, mit Bekannten und mit meinen Kunden darüber und stieß auch dort nicht auf Ablehnung, sondern auf ein breites Interesse, und dann war es eines Tages klar – ich würde es versuchen.

Meine Absicht war es zuerst, einfach ein aufklärendes Sachbuch zu schreiben, ohne mich in den Vordergrund zu stellen. Je weiter ich dann aber den Inhalt gliederte und nach zahlreichen Gesprächen mit meinem Umfeld wurde immer deutlicher, dass ein reines Sachbuch meinem Anliegen nicht gerecht werden würde. Ich realisierte, dass meine Entwicklung, meine Annäherung an das Thema, meine Höhen und Tiefen für das Verständnis der Medialität und meines Umgangs mit der geistigen Welt ein wichtiger Teil sind, den ich einfließen lassen musste und vor allem auch wollte. Und so entstand dann ein autobiografisches Sachbuch.

Es widerspiegelt meine Erfahrungen seit meiner Kindheit und legt meine Sichtweise und meine ganz persönlichen Meinungen dar. Ich habe dabei keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, und schon gar nicht will ich irgendeiner Religion zu nahe treten. Ich bin christlich erzogen worden und verwende daher christliche Ausdrücke wie zum Beispiel »Gott«. Sinngemäß steht dieses Wort bei mir aber für eine »höhere Macht«, die man in jeder Religion findet. Es geht mir nicht um eine religiöse Debatte oder ein Abwägen von dogmatischen Sichtweisen. Vielmehr möchte ich aufzeigen, dass wir keine Angst haben müssen vor dem Tod und dass wir – auch wenn es oft so scheint – nie allein sind.

Dolly Röschli
Zürich, im August 2018

 

Sitzung mit einem Baby

Es war eine der Sitzungen, die im Gedächtnis haften bleiben. Ein junges Paar hatte sich bei mir angemeldet. Wie immer wollte ich den Grund des Besuchs im Voraus nicht wissen. Kaum hatten die beiden Platz genommen, zeigte sich mir eine ältere Frau mit einem Baby auf dem Arm. Sie war sehr aufgeregt und erzählte mir, meine Besucher seien die Eltern des Babys. Sie selbst sei dessen Großmutter und die Mutter des Ehemanns. »Das Kind ist kürzlich im Alter von vier Monaten gestorben«, sprach sie weiter. »Seither machen sich die Eltern schwere Vorwürfe. Sie denken, schuld am Tod ihres Kindes zu sein, doch«, die Stimme der Großmutter wurde nun sehr bestimmt, »die beiden trifft keine Schuld.« Die Eltern hätten nichts dagegen tun können. Die Frau erhob ihren Zeigefinger und sagte: »Der Todeszeitpunkt war längst vorbestimmt. Das Kind ist friedlich in seinem Bettchen eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht, ganz ohne Schmerzen.« Ich solle das den Eltern mitteilen.

Ich versicherte also den beiden, dass sie keine Schuld treffe, dass das Baby an einem »plötzlichen Kindstod« gestorben sei, für den die Medizin bis heute keine Erklärung hat. Es sei in der geistigen Welt gut aufgehoben, seine Großmutter sei bei ihm und viele andere Verwandte auch.

Als Leser* fragst du dich jetzt vielleicht, warum ich dir diese Begebenheit erzähle. Weshalb das Baby nicht allein erschienen ist, oder warum Kinder überhaupt sterben müssen. Das sind gute Fragen. Ich beginne mit der einfacheren, weshalb das Baby nicht allein gekommen ist. Das liegt daran, dass eine Kommunikation mit einem Baby oder einem Kleinkind schwierig ist. Ein Kind hat zu wenige Erinnerungen. Es hat noch keinen ausgeprägten Charakter, den ich beschreiben könnte. Und es kann sich noch nicht richtig mitteilen. Ein Kind, das zu Lebzeiten bereits sprechen gelernt hat, kann vielleicht erzählen, wie sein Zimmer aussah oder mit wem es gern spielte. Das sind Informationen, die für eine unmissverständliche Identifikation oft nicht ausreichen. Deshalb kommen bei kleineren Kindern, die gestorben sind, meist Verwandte mit, um eine Kommunikation zu ermöglichen.

Und nun zur zweiten Frage: Warum müssen Kinder sterben? Der Tod eines Kindes ist für mich bis heute eines der schwierigsten Themen geblieben, auch wenn ich als Medium aufgrund der vielen Schicksale, von denen ich erfahren habe, im Laufe der Zeit widerstandsfähiger geworden bin oder werden musste. Der Tod und das Sterben sind die Mysterien des Lebens. Das gesamte Wissen darüber erhalten wir erst im Jenseits.

Ich bin jedoch überzeugt davon: Der Tod kommt nie durch Zufall, er ist vorbestimmt. Vielleicht nicht auf die Woche oder den Tag genau, doch auf das Jahr. Noch bevor wir auf die Welt kommen, liegt unser Todeszeitpunkt bereits fest. Unumstößlich.

Ich bin ebenso überzeugt davon, dass das Dahinscheiden eines Kindes keine Strafe für die Eltern sein soll. Vielmehr hat jeder von uns einen Lebensplan zu erfüllen. Es kommt vor, dass Seelen, die schon viele Male wiedergeboren wurden, einen hohen Grad an Weisheit und Erfahrung erreicht haben und nur mehr wenig Zeit auf der Erde verbringen müssen.

Auf der Erde sehen wir unser Leben nur mit den Augen eines Menschen. Erst wenn wir in der geistigen Welt sind, wissen wir, welche Aufgaben wir noch zu erfüllen haben, um endgültig heimkehren zu können. Dieses Wissen ist anfangs vielleicht nur ein kleiner Trost für die Hinterbliebenen. Und doch hoffe ich, dass es zur Heilung des Verlustschmerzes beitragen kann.

Bleibt noch hinzuzufügen: Einen Monat nach der Sitzung mit den Eltern des verstorbenen Kindes erhielt ich einen Brief von ihnen. Die beiden dankten mir für meine Unterstützung. Und sie ließen mich wissen, eine Obduktion habe ergeben, dass die Ursache für das Dahinscheiden des Babys ein plötzlicher Kindstod war.


Ich werde in diesem Buch stets vom »Leser« oder vom »Partner« sprechen, nie von der Leserin oder der Partnerin, also immer nur die »männliche«, für mich neutrale Form verwenden. Ich finde es für den Lesefluss schlichtweg einfacher. Genauso erlaube ich mir, dich als Leser zu duzen. Ich hoffe, du verzeihst mir beides.

 

Ich bin Dolly, 43, geboren und aufgewachsen im Emmental. Schon als Kind konnte ich Verstorbene sehen. Ich hatte Kontakt zu Tausenden von Verstorbenen. Seit vierzehn Jahren arbeite ich als Medium in meiner Praxis im Zürcher Oberland. Ich habe dieses Buch geschrieben, um den Menschen die Angst vor dem Tod zu nehmen.

 

Wie alles begann

 

Ich will sterben

Es war an einem Aschermittwoch, 1975, als ich geboren wurde. Astrologen erklärten mir später, die Sternenkonstellation sei zu diesem Zeitpunkt »außergewöhnlich« gewesen. Alles habe darauf hingedeutet, dass ich stark übersinnlich veranlagt sei. Hätte ich das früher gewusst, wäre mir wohl einiges erspart geblieben.

Meine Eltern gaben mir den Namen Dolly. Nein, Dolly ist kein Spitzname. Ich heiße tatsächlich so. Mein Vater wählte ihn aus, in Erinnerung an seine Cousine Dolores, die ich nie kennen gelernt habe. Ich war ein normales Kind, wurde mir gesagt. Zumindest die ersten zwei Lebensjahre. Dann ereignete sich etwas, was meine Eltern so irritierte, dass sie sich fragten, ob ich vielleicht doch kein »normales« Kind war – was auch immer man unter einem normalen Kind versteht.

Es war im März 1978. Ich war drei Jahre alt und krank. Es ging mir miserabel. Ich lag auf dem Sofa in unserer Stube im Emmental, die Füße eingepackt in Essigwickel, um das Fieber zu bekämpfen, das mich seit Tagen plagte. Ich konnte kaum atmen, kaum essen, Tag für Tag ging es mir schlechter. Der Arzt hatte Pseudokrupp diagnostiziert, eine Krankheit, von der meist Kleinkinder betroffen sind und die starke Hustenanfälle und Atemnot verursacht. Meine Mutter flößte mir gerade selbst gekochte Suppe ein, als ich mich mit letzter Kraft auf dem Sofa aufrichtete und in kindlichen Worten – ich hatte erst ein paar Wochen zuvor zu sprechen begonnen – verkündete: »Mama, ich gehe jetzt heim.« Meine Mutter war verdutzt. »Aber du bist daheim, Schatzeli.« – »Nein, Mama, ich gehe jetzt richtig heim. Dorthin, wo ich herkomme.« Ich schloss die Augen, kippte auf das Sofa zurück und rührte mich nicht mehr.

Ich muss gestehen, dass ich nicht sehr viele Erinnerungen an meine Kindheit habe, an dieses frühe Alter, wie die meisten Menschen, erst recht nicht. An dieses Ereignis jedoch erinnere ich mich, als wäre es gestern gewesen. Ich hatte beschlossen, ins Jenseits zurückzukehren. Zuvor hatte ich vor meinem geistigen Auge schon öfters eine Welt aus Farben gesehen, die so unglaublich schön war, dass ich wieder dorthin zurückwollte. Die Farben waren so stark und intensiv, dass sie beinahe blendeten. In dieser Welt fühlte sich alles leicht und unbeschwert an, und ich wusste, dort wäre ich durch und durch mit Glück erfüllt. Obwohl ich noch so klein war, wusste ich, was Sterben bedeutete. Doch ich wollte mich nicht mehr so schlecht fühlen und hatte beschlossen zu sterben. Angst davor hatte ich nicht. Denn ich war überzeugt davon, nach meinem Tod in diese großartige Farbenwelt zurückzukehren. Nur musste ich mich zuvor von meiner Mutter verabschieden. Was ich eben getan hatte.

Meine Mutter indes war verwirrt. »Ist das ein Fieberwahn«, fragte sie sich, »oder hat meine Tochter gerade ernsthaft ihren Tod angekündigt?« Panik stieg in ihr hoch. Kurze Zeit später fuhr mich ein Rettungswagen mit Blaulicht ins Inselspital nach Bern. Gerade noch rechtzeitig, wie die Ärzte später mitteilten. Eine Stunde länger, und ich hätte nicht überlebt. Zu meinen Krupp-Anfällen war eine Lungentuberkulose hinzugekommen. Ich wurde sofort auf die Intensivstation und in Quarantäne gebracht. Eineinhalb Monate vergingen, bis ich das Krankenhaus wieder verlassen durfte.

Dieses Ereignis war mein erster bewusster Kontakt zum Jenseits, und es war mir nicht vorherbestimmt, damals zu sterben. Auch wenn es mein Wunsch war. Heute gehe ich davon aus, dass jeder Mensch eine Bestimmung auf dieser Welt hat, eine Aufgabe, ein Ziel, um als Seele zu reifen und zu lernen. Wie viel Zeit uns dafür zur Verfügung steht, wie lange wir leben und wann wir sterben, das steht in einem größeren Plan, den wir alle nicht kennen. Ich hatte meine Aufgabe noch nicht erfüllt. Es sollte viele Jahre dauern, bis ich meine Bestimmung erkannte und bereit war, die Fähigkeiten, die ich mit auf den Weg bekommen hatte, anzunehmen. Die Farben von damals sehe ich heute nur noch, wenn ich mich in Extremsituationen befinde, in einem Schockzustand, oder wenn ich tief in Trance bin. Manchmal vermisse ich diese großartige Farbenwelt, zu der ich früher so leicht Zugang hatte.

 

Wer ist dieser Mann?

Zwei Jahre nach diesem Erlebnis wurde es für meine Eltern zur Gewissheit, dass ich tatsächlich in mancherlei Hinsicht kein »normales« Kind war. Wir wohnten in Wyssachen im Emmental. Viele Generationen schon lebte die Familie meiner Mutter in dieser Gegend. Rund 1200 Einwohner zählte das Dorf zu jener Zeit, vorwiegend Bauern, fromm und arbeitsam, aber auch neidisch und ablehnend jedem gegenüber, der nicht ähnlich gestrickt war wie sie oder anders dachte. Zentrum meines Lebens damals, ich war gerade fünf Jahre alt geworden, war mein Großvater. Er war nicht nur ein findiger Unternehmer – er war selbständiger Wagner, stellte Spinnräder und Webstühle her, hatte eine eigene Sägerei und eine Tankstelle –, er war auch ein Mann mit einem großen Herzen, der immer da war, wenn ich ihn brauchte, und mir zuhörte. Häufig kamen auch Dorfbewohner zu ihm in die Werkstatt und baten ihn um Rat. Er konnte stundenlang zuhören, saß dann wortlos auf seiner Holzbank und gab dem Besucher schließlich eine Empfehlung ab, die dieser annehmen konnte oder nicht. Ich denke, dass auch er übersinnliche Fähigkeiten hatte, worüber in unserer Familie jedoch nie gesprochen wurde. Meine Mutter erbte die Veranlagung von ihm, was sie lange unterdrückte, und gab sie wiederum an mich weiter.

Mein Großvater hatte im Laufe seines Lebens zwei Häuser allein geplant, auf- und ausgebaut. Drei Generationen lebten dort miteinander. Meine Großeltern in einem stattlichen Haus, meine Eltern sowie mein drei Jahre jüngerer Bruder Remo und ich im Haus nebenan in den oberen zwei Stockwerken. Im unteren war die Sägerei untergebracht. So konnte ich, wann immer ich wollte, bei meinem Großvater sein. Vormittags besuchte ich den Kindergarten, nachmittags aber war ich bei ihm in der Werkstatt. Er hatte immer Zeit für mich. Ruhig, sanft und gütig beantwortete er bereitwillig meine vielen Fragen über das Leben. Oft schien es, als kenne er sie bereits im Voraus, und selbst als ich ihm von den Geistwesen erzählte, die mich besuchen kamen, zeigte er sich keineswegs überrascht oder besorgt. Aber er äußerte sich nie konkret.

Obwohl mein Bruder und ich im Emmental geboren sind, empfanden wir uns – wie mein Vater, der aus Winterthur stammt – als »Fremdkörper« im Dorf. Wir schienen zu »weltoffen« zu sein und zu »anders«. Mein Vater arbeitete als Auslandsmonteur und verdiente damit gutes Geld. Während seiner Einsätze gönnte er sich wenig, sparte lieber jeden Franken, den er verdiente, um seiner Familie ein schönes Leben zu ermöglichen. Zweimal im Jahr machten wir Urlaub: Im Winter ging es in die Skiferien nach Davos, im Sommer mit dem Flugzeug irgendwohin in den Süden. Solche Reisen waren zu jener Zeit bei uns im Dorf eine Seltenheit und weckten den Neid vieler. Die Bauern mussten auf den Feldern arbeiten und kannten keine Ferien. Dass wir meinen Vater wegen seiner Arbeit meist nur einmal im Monat für ein Wochenende sahen, blendeten sie aus. Ich vermisste meinen Vater während meiner Kindheit oft.

Gott sei Dank hatte ich meine Mutter. Sie war Hausfrau und kümmerte sich liebevoll um mich und meinen Bruder Remo. Zu ihrem Leidwesen jedoch fing ich irgendwann an, seltsame Dinge zu erzählen. Genauer gesagt, sprach ich von einem fremden Mann. Den sah ich seit einiger Zeit regelmäßig, wenn ich allein in meinem Zimmer war. Er tauchte aus dem Nichts auf, sah mir zu, manchmal spielte er mit mir. Ich hatte keine Angst vor ihm, auch wenn ich nicht wusste, wer er war. Das Einzige, was mich irritierte, war: Wenn ich ihn meiner Mutter gegenüber erwähnte, konnte sie ihn nicht sehen. Auch wenn er direkt vor ihr stand.

Zu Beginn schenkte meine Mutter dem Thema keine große Beachtung – bis ich immer häufiger von dem Mann erzählte. Irgendwann hakte sie nach: »Wie heißt er denn, Dolly?« Ich war froh, dass sich meine Mutter nun doch für meinen »Spielkameraden« interessierte, und antwortete: »Weiß ich nicht. Er hat mir nur erzählt, dass er regelmäßig mit drei anderen Männern Karten spielt und sie alle den gleichen Vornamen haben wie er.« Meine Mutter schien wie vom Schlag getroffen. Was ich eben erzählt hatte, konnte ich gar nicht wissen. Sie hatte mir nie vom »Köbeli-Klub« meines Urgroßvaters Jakob erzählt, der 1960 gestorben war, fünfzehn Jahre vor meiner Geburt. Die drei Spieler, die mit meinem Urgroßvater gejasst hatten, hießen lustigerweise ebenfalls Jakob.

Irgendwann gewöhnte sich meine Mutter aber an die Anwesenheit von Urgroßvater Jakob, von dem ich immer wieder Neues zu berichten hatte. Sie trichterte mir jedoch ein, dass ich niemandem davon erzählen dürfe, da es die Leute nicht verstehen würden. Wie recht sie damit hatte, sollte ich spätestens erfahren, als ich zur Schule ging; davon gleich im nächsten Kapitel. Außer meiner Gewissheit, dass es die Welt der Farben gab, waren die Besuche meines verstorbenen Urgroßvaters die ersten Jenseitskontakte, an die ich mich bewusst erinnere. Es war schön, wenn er da war. Und völlig normal für mich. Es schien, als passe Urgroßvater Jakob auf mich auf – auch als ich älter wurde. Fuhr ich mit dem Fahrrad zu schnell, erschien er mir. Dann wusste ich, dass ich langsamer fahren sollte. Knallte ich wütend den Klavierdeckel zu, da mir die Brahms-Partitur erneut nicht gelang (ich hasste Brahms), empfahl er mir, eine Pause einzulegen, worauf ich mich beim Joggen abreagierte. Auch bei Prüfungen in der Schule stand er mir bei. Er half mir, Blockaden zu lösen und Gelerntes abzurufen. Nicht vorhandenes Wissen hingegen wollte er zu meinem Bedauern nicht herbeizaubern. Eine gute Note wäre so ja erschlichen, gab er mir zu verstehen.

Als ich etwa zwanzig Jahre alt war, hörte Urgroßvater Jakob auf, mir zu erscheinen. Auf ihn folgte mein Großvater mütterlicherseits, der mich nun regelmäßig besuchte. Die Verstorbenen begleiten einen so lange, wie sie mit ihren Eigenschaften, die sie zu Lebzeiten hatten, hilfreich sein können. Sie werden abgelöst von einem anderen Geistwesen – oft einem Familienmitglied –, das mit seinen Fähigkeiten besser Unterstützung geben kann. Beginnt man etwa eine Ausbildung zum Buchhalter, kann ein Verstorbener helfen, der zu Lebzeiten einen ähnlichen Job gemacht hat.