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AUSSERDEM BEI PANINI ERHÄLTLICH

Star Wars: Leia, Prinzessin von Alderaan

Claudia Gray – ISBN 978-3-8332-3569-6

Star Wars: Blutlinie

Claudia Gray – ISBN 978-3-8332-3354-8

Star Wars: Ahsoka

E. K. Johnston – ISBN 978-3-8332-3450-7

Star Wars BATTLEFRONT: Twilight-Kompanie

Alexander Freed – ISBN 978-3-8332-3259-6

Star Wars BATTLEFRONT II: Inferno-Kommando

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Star Wars: REPUBLIC COMMANDO Band 1 – Feindkontakt

Karen Traviss – ISBN 978-3-8332-3627-3

Star Wars: REPUBLIC COMMANDO Band 2 – Triple Zero

Karen Traviss – ISBN 978-3-8332-3628-0

Star Wars: REPUBLIC COMMANDO Band 3 – True Colors

Karen Traviss – ISBN 978-3-8332-3647-1

Star Wars: REPUBLIC COMMANDO Band 4 – Order 66

Karen Traviss – ISBN 978-3-8332-3648-8

Star Wars: THE OLD REPUBLIC – Eine unheilvolle Allianz

Sean Williams – ISBN 978-3-8332-2036-4

Star Wars: THE OLD REPUBLIC – Betrogen

Paul S. Kemp – ISBN 978-3-8332-2249-8

Star Wars: THE OLD REPUBLIC – Revan

Drew Karpyshyn – ISBN 978-3-8332-2373-0

Star Wars: THE OLD REPUBLIC – Vernichtung

Drew Karpyshyn – ISBN 978-3-8332-2608-3

Star Wars: CORUSCANT NIGHTS Band 1 – Im Zwielicht

Michael Reaves – ISBN 978-3-8332-2906-0

Star Wars: CORUSCANT NIGHTS Band 2 – Straße der Schatten

Michael Reaves – ISBN 978-3-8332-2983-1

Star Wars: CORUSCANT NIGHTS Band 3 – Schablonen der Macht

Michael Reaves – ISBN 978-3-8332-2984-8

Star Wars: Shadow Games – Im Schatten

Michael Reaves – ISBN 978-3-8332-3158-2

Nähere Infos und weitere Bände unter:

www.paninibooks.de

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Roman

von REA CARSON

Aus dem Englischen

von Timothy Stahl

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Titel der Amerikanischen Originalausgabe:
Star Wars: Most Wanted“ by Rae Carson, published by Disney,
Lucasfilm Press, an imprint of Disney Book Group, May 2018.

© & TM 2018 LUCASFILM LTD.

Design by Leigh Zieske

Cover Illustration von Florian Nicolle

Deutsche Ausgabe 2018 by Panini Verlags GmbH, Rotebühlstraße 87,

70178 Stuttgart. Alle Rechte vorbehalten.

Geschäftsführer: Hermann Paul

Head of Editorial: Jo Löffler

Head of Marketing: Holger Wiest (E-Mail: marketing@panini.de)

Presse & PR: Steffen Volkmer

Übersetzung: Timothy Stahl

Lektorat: Thomas Gießl & Andreas Kasprzak

Umschlaggestaltung: tab indivisuell, Stuttgart

Satz und E-Book: Greiner & Reichel, Köln

YDSWYA002E

ISBN 978-3-7367-9973-8

Gedruckte Ausgabe:

1. Auflage, Juli 2018, ISBN 978-3-8332-3637-2

Findet uns im Netz:

www.starwars.com

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PaniniComicsDE

Für meine Rebellengefährten
Hannah Beil und Jacob Beil

1. KAPITEL

Han war spät dran – schon wieder. Wenn er noch einmal den Torschluss versäumte, wäre der Teufel los.

Er rannte durch das Labyrinth aus alten Abwasserkanälen und überlegte, wie er sich an Lady Proximas Wachen vorbeiquatschen könnte. Eine Sirene ertönte, der Laut hallte durch den feuchten, düsteren Tunnel. Der Lärm scheuchte eine Horde von Ratten auf, die quiekend über Hans Stiefelspitze wuselten und dann in den Schatten verschwanden. Die Sirene bedeutete, dass irgendwo über ihm in einer der Fabriken in den dunklen Straßen Corellias gerade das Ende der Nachtschicht signalisiert worden war. Und ihm blieben nur noch ein paar Minuten, um ins Lager der Weißen Würmer zurückzukommen.

Zum Glück kannte Han eine Abkürzung. Oder vielleicht würde er auch Pech haben. Der schnellste Weg führte nämlich am Versteck des alten Powlo vorbei. Aber mit dem alten Knacker würde er doch fertig werden, oder? Nur weil ein paar von Hans Kameraden von den Weißen Würmern in Powlos Revier verschwunden waren, hieß das noch lange nicht, dass die Abkürzung das Risiko nicht wert war. Hans Glücksträhne würde schon nicht abreißen. Da war er sich ganz sicher.

Rechts von ihm tauchte ein Gitter auf, kaum mehr als ein dunkler Umriss in der Steinmauer. Zum tausendsten Mal wünschte sich Han, Lady Proxima würde diesen Tunnel beleuchten. Aber ihre Bande bestand zum größten Teil aus Grindalidern, einer amphibischen Spezies, deren Nachtsicht nahezu perfekt war. Und bloße Menschen rechtfertigten einen solchen Aufwand nicht.

Han ging vor dem Gitter in die Hocke, packte es mit beiden Händen und hob es aus der Verankerung. Es ließ sich ganz leicht bewegen, nur ein leises Rascheln von bröckelndem Mörtel war zu vernehmen. Geduckt schob Han sich durch die Öffnung und setzte das Gitter hinter sich wieder ein.

Jetzt musste er sich entscheiden: Wollte er schnell oder leise sein? Beides zugleich ging nicht.

Sein Magen knurrte. Seine Hose war ihm zu kurz. Vielleicht wäre er nicht so hungrig, wenn er nicht immer noch wie Unkraut wachsen würde. Deshalb wollte er sich Lady Proxima beweisen. Der Posten des Unterführers war kürzlich nach dem tragischen Verschwinden des aktuellen Unterführers vakant geworden, und Han brauchte die Beförderung dringend – genau wie die zusätzliche Essensration, die damit einherging.

Er entschied sich für „schnell“.

Dieser Tunnel war zu niedrig für einen Sprint in vollem Tempo, und so zog er die Schultern hoch und trabte zügig los. Es war so dunkel, dass er Gefahr lief, seine Abzweigung zu verpassen, deshalb ließ er die Fingerspitzen im Laufen über die Wand gleiten. Der kalte Stein war mit einer glitschigen Schicht aus einer feuchten, schwammigen Substanz überzogen, die sich unter seinen Fingernägeln sammelte. Er versuchte, nicht daran zu denken.

Erleichterung überkam ihn, als seine Fingerspitzen endlich ins Leere glitten. Er wandte sich nach rechts und zog den Kopf ein, um sich nicht an dem niedrigen Überhang zu stoßen, den er zwar nicht sehen konnte, von dem er aber doch wusste, dass er da war. Ein Geruch, der ihn plötzlich traf, stoppte ihn schlagartig.

Das Versteck der Weißen Würmer mit seinen zahlreichen Zugängen lag nicht gerade im wohlriechendsten Teil Corellias. Es hieß, man könne einen Weißen Wurm wegen der verlassenen Bauten und Abwasserkanäle, die sie ihr Zuhause nannten, schon auf einen Kilometer Entfernung riechen. Han fiel das kaum noch auf. Seine Nase nahm den Geruch von Verwesung und Abfällen gar nicht mehr wahr. Nur selten roch er hier unten überhaupt irgendetwas.

Dieser Geruch jedoch war anders – scharf und bitter, dazu ein Hauch von Verbranntem. Der alte Powlo schien sich etwas, das Han sich gar nicht vorstellen wollte, zum Frühstück zu braten. Auch gut. Das verringerte die Wahrscheinlichkeit, dass Han selbst als sein Frühstück endete.

Er ging ein paar Schritte weiter, dann schimmerte ein trüber Glanz durch die Dunkelheit. Die unergründliche Schwärze der Tunnelwände erhellte sich zu einem pappigen Grau. Hier, unterhalb der ältesten Stadtteile von Coronet, bestanden die Tunnel aus Durabetonblöcken. Dunkler Schimmel machte den Mörtel fleckig und quoll an den Seiten hervor. Zum Glück hatte Han keine Skrupel, sich ein wenig schmutzig zu machen.

Nur noch ein paar Meter, dann war er an Powlos Versteck vorbei und hatte es geschafft. Die Tunneldecke wurde noch niedriger, und Han blieb nichts anderes übrig, als sein Tempo zu verlangsamen.

Der Glanz wurde heller. Licht drang aus einem breiten Spalt in der Mauer – groß genug, um einen fast erwachsenen Mann wie ihn hindurchschlüpfen zu lassen. Doch stattdessen wollte er sich lautlos daran vorbeischleichen.

Wider besseren Wissens ertappte Han sich dabei, wie er doch einen Blick durch den Spalt warf. Er kannte den alten Powlo vom Sehen aus sicherer Entfernung, aber er hatte nie mit ihm gesprochen. Und jetzt kam er gegen seine Neugier einfach nicht an.

Hinter dem Spalt öffnete sich eine kleine runde Höhle. Die Mitte nahm eine mit Betonziegeln umkränzte Feuerstelle ein. Daneben hockte der alte Powlo höchstpersönlich. Struppiges graues Haar stand ihm nach allen Richtungen vom Kopf ab, und die knotigen Knie reichten ihm praktisch bis an die Ohren, wie er so dasaß, sich etwas Dunkles an den Mund hielt und lautstark kaute. Er war dürr und langgliedrig und in zerfetzte Lumpen gekleidet. Von fern und nur vom Feuerschein beleuchtet, machte Powlo einen durchaus menschlichen Eindruck, aber Han wusste es besser. Niemand hatte irgendeine Ahnung, welcher Spezies der alte Knabe angehörte oder aus welchem Winkel der Galaxis er stammte, aber ein Mensch war er ganz bestimmt nicht.

Han schlich weiter, auf Zehenspitzen, und atmete leise und vorsichtig. Der Ballen seines linken Fußes lockerte ein wenig Kies.

Es war nur ein ganz leises Geräusch, kaum wahrnehmbar, doch Powlo fuhr herum und fletschte seine spitzen Zähne. Seine Augen glühten wie geschmolzenes Gold um seine geschlitzten Pupillen, die denen einer Giftschlange glichen.

Han erstarrte. Sein Verstand drängte ihn zu fliehen, aber sein Instinkt wies ihn an, sich nicht vom Fleck zu rühren; davonzulaufen, das begriff er, war das Schlimmste, was er tun könnte. Und Han verließ sich stets auf seinen Instinkt. Das hatte ihm schon mehr als einmal das Leben gerettet.

Sie starrten einander einige Atemzüge lang an.

„Im Zweifelsfall gilt: Frechheit siegt“, das war Hans Motto. Also sagte er: „Hallo, Kumpel.“

Das Geschöpf blickte ihn finster an. „Heiß nicht Kumpel“, sagte es. „Bin Powlo.“ Seine Stimme war kratzig und dünn.

Han blinzelte. „Stimmt. Mein Fehler. Äh, also, dein Frühstück riecht …“, wie verfaulter Fisch in saurem Bier gekocht, „… echt lecker.“

Powlos glühende Augen wurden schmal. „Werd’s nicht mit dir teilen. Kannst mich nicht zwingen.“

Han hob die Hände. „Kein Problem. Mein Frühstück wartet im Lager auf mich. Lady Proxima macht sich wahrscheinlich schon Sorgen um mich.“ Natürlich war das alles gelogen. Proxima scherte sich einen feuchten Rattendreck um ihn oder sonst jemanden, aber das brauchte er Powlo ja nicht auf die Nase zu binden. „Hab’ nur gehört, hier unten sei ein Kamerad anzutreffen. Wollte lediglich mal vorbeischauen und, äh, Hallo sagen. Und mich vorstellen. Ich bin Han.“

„Han“, wiederholte Powlo.

„Genau, so heiß ich. Und du bist Powlo? Siehst du, jetzt sind wir Freunde.“

Das Feuer knisterte, während Powlo über diese Worte nachdachte. Er biss noch einmal ab und kaute. Sein Blick wich nicht von Hans Gesicht.

Vorsichtig beäugte Han das Ding in Powlos Händen. Was es auch war, das er da festhielt, es hatte jedenfalls Beine. Viele Beine. Zumindest war es kein Teil eines menschlichen Körpers.

„Na ja, ich mach mich mal besser wieder auf den Weg“, sagte Han schließlich. „Sonst kommt Proxima mich noch suchen. War nett, dich kennenzulernen, Powlo.“ Rückwärtsgehend entfernte er sich von dem Spalt in der Mauer.

„Warte, Han.“

Han blieb stehen.

In schwermütigem Ton fragte das Geschöpf: „Besuchst du mich mal wieder?“

„Äh, klar. Natürlich.“

Powlo grinste und bleckte seine spitzen Zähne. Nein, er lächelte. „Bis bald!“, rief er.

„Und ob“, erwiderte Han. Er winkte keck, dann floh er den Gang entlang in Richtung des Lagers der Weißen Würmer. Die Wache am Eingang schien enttäuscht, als Han in letzter Minute hindurchschlüpfte, just bevor er das Tor abschließen konnte.

Han beglückwünschte sich. Es war richtig gewesen, auf sein Glück zu vertrauen.

***

Qi’ra stand in der Schlange der Essensausgabe, und als sie schließlich an die Reihe kam, tauchte sie die Schöpfkelle in den riesigen Topf und klatschte sich eine Portion des zähen Breis, der hier als Frühstück galt, in ihre Schüssel. Die Pampe war gräulich grün und mit dunklen Flocken durchsetzt, und sie schmeckte wie gepökelter Schlamm. Doch in all den Jahren, die sie nun schon zu den Weißen Würmern gehörte, war ihr noch nie schlecht davon geworden, und das hieß, es war richtig, sich zu zwingen, das Zeug zu essen. Tagaus, tagein.

Freilich, falls sie befördert wurde und die Stelle erhielt, die gerade frei geworden war, dann würde sie zur Abwechslung Fisch zum Essen bekommen. Und hin und wieder sogar mal ein Stück Obst.

Der Gedanke an die Beförderung lenkte ihren Blick hin zum Eingang. All die anderen Rudelratten, die für den Job in Erwägung gezogen wurden, hatten ihre nächtlichen Aufträge erfüllt und waren rechtzeitig zurückgekommen. Das hieß, alle bis auf eine – ein Mensch namens Han. Sie betrachtete ihn nicht als bedeutenden Konkurrenten, schon gar nicht, wenn er noch einmal zu spät kommen sollte. Lady Proxima hasste Unpünktlichkeit. Vor allem aber traute sie niemandem, der mit ihren überzogenen Anforderungen nicht Schritt halten konnte.

Qi’ra steuerte mit ihrer Schüssel einen der vielen runden Tische an, die sich über den großen Speisesaal verteilten. An jedem davon fanden sechs Menschen oder Grindalider Platz, und obgleich die Tische aus künstlichem Holz gefertigt waren, erinnerten ihre kräftigen und leicht unregelmäßigen Formen sie an riesige Seerosenblätter. Tatsächlich erinnerte Qi’ra der ganze Unterschlupf der Weißen Würmer an einen nasskalten Sumpf – dunkle Wände, feuchte Böden, überall Algen und dazu eben noch diese Tische, die wie Seerosen geformt waren.

Zwei Plätze am Tisch waren bereits besetzt: Rebolt war ein groß gewachsener, breitschultriger Menschenjunge, der die Stirn ständig in Falten legte, Tsuulo ein grünhäutiger Rodianer mit einem hängenden Fühler; sein immer heiteres Gemüt machte den Umstand, dass Qi’ra kaum ein Wort, das er sagte, verstehen konnte, beinahe wett.

„Han ist noch nicht zurück“, stellte Rebolt fest, als Qi’ra sich an den Tisch setzte.

„Stimmt“, sagte sie. „Schon wieder zu spät.“

„Gut“, meinte Rebolt und schob sich einen Löffel Brei in den Mund.

Neben ihr und Han waren Rebolt und Tsuulo die aussichtsreichsten Kandidaten für die Beförderung. Rebolt hielt wahrscheinlich Han für seinen größten Konkurrenten. Qi’ra aß einen Bissen, um ihr Lächeln zu verbergen. Er hatte ja keine Ahnung, wer ihm wirklich Konkurrenz machte.

Tsuulo zwitscherte eine Frage auf Huttisch.

„Das sind Jagdhunde, nicht einfach nur Hunde“, antwortete Rebolt ungehalten. „Und sie sind in ihrem Zwinger und werden gefüttert.“

„Diese Kekse, die du ihnen gibst, sind besser als dieses Zeug hier“, murmelte Qi’ra und ließ einen Klumpen Brei von ihrem Löffel zurück in die Schüssel fallen.

Rebolts Jagdhunde waren fast immer an seiner Seite. Es waren wilde, gewaltige Tiere, die fast genauso viel sabberten, wie sie fraßen, und Qi’ra war nicht traurig darüber, dass Rebolt heute ohne sie zum Frühstück gekommen war.

Tsuulo sagte noch etwas. Qi’ra verstand nur „Han“, doch Rebolts Kopf ruckte hoch. Qi’ra folgte seinem Blick zum Eingang hin, und tatsächlich kam Han hereingestürmt. Er war verdreckt und zerzaust, an seinen Stiefeln klebte Kanalschlamm.

Das Torschluss-Signal ertönte.

„Typisch“, grummelte Rebolt. „Gerade noch rechtzeitig.“

Qi’ra ärgerte sich genauso wie er, doch sie ließ sich nichts anmerken. Ihr Gesicht zeigte nie eine Gefühlsregung.

„Man müsste herausfinden, wo er sich herumtreibt“, meinte Rebolt. „Warum er immer oder wenigstens fast immer zu spät kommt.“

Rebolt hätte gern etwas gegen ihn in der Hand gehabt. Etwas, das Han für den Posten des Unterführers disqualifizierte. Qi’ra konnte Han zwar ebenso wenig leiden wie Rebolt, aber von ihr würde er keine Hilfe bekommen.

Sie behielt Han im Auge, als er sich eilig durch die Schlange drängelte, sich seine Schüssel mit Brei holte und damit an ihren Tisch kam. „Hey“, sagte er.

Sie saßen fast immer zusammen. Sie waren keine Freunde, aber sie gehörten zu den Ältesten in der Bande und zu den ersten Weißen Würmern, die keine Grindalider gewesen waren. Sie hatten hier lange überlebt. Und deshalb steckten sie zusammen.

Sie aßen fast schweigend. Die anderen Weißen Würmer beobachteten sie von ihren eigenen Tischen aus. Es herrschte in letzter Zeit eine angespannte Atmosphäre. Jeder im Lager wusste, dass sehr wahrscheinlich einer dieser vier den Posten des Unterführers bekommen würde. Die Grindalider hassten die Vorstellung, Befehle von einem Menschen oder einem Rodianer entgegennehmen zu müssen. Aber es war sinnvoll. Grindalider brauchten Schutzkleidung, um sich längere Zeit auf der Oberfläche Corellias aufhalten zu können. Ihre weißen Schuppenpanzer vertrugen weder zu viel trockene Luft noch Licht. Ein Mensch oder ein Rodianer hingegen konnte jederzeit und überall seinen Geschäften nachgehen, ohne dass eine teure Montur zu warten gewesen wäre; darum hatte Lady Proxima in den vergangenen Jahren so viele Menschen angeworben. Und einen von ihnen zum Unterführer zu ernennen, war für sie der richtige strategische Zug.

„Na, Han?“, begann Rebolt, und Qi’ra krümmte sich innerlich, war sie doch sicher, dass er im Begriff war, etwas Ungeschicktes und Dummes zu tun, und dass der sehr viel gewieftere Han ihn quasi bei lebendigem Leib fressen würde.

„Rebolt“, sagte Han mit vollem Mund.

„Du bist fast zu spät gekommen. Wieder mal.“

„Du nennst es fast zu spät, aber ich nenne es rechtzeitig. Ich war rechtzeitig da. Wieder mal.“

„Wo gehst du denn immerzu hin? Was ist so wichtig, dass du es riskierst, dafür den Torschluss zu versäumen?“

„Oje, kommt mir das nur so vor, oder schmeckt der Brei heute besonders komisch?“, fragte Han.

„Sehr komisch“, pflichtete Qi’ra bei. Han verstand es, andere zu überrumpeln. Rebolt versuchte, sich selbstbewusst zu geben, doch mit ein paar wenigen Sätzen würde Han das Blatt gleich wenden. Sie hatte immer geglaubt, das alles sei eine sorgsame Strategie, die Han verfolgte, aber inzwischen wusste sie es besser. Han hatte keine Strategie – alles, was er tat, entsprang instinktiven Reflexen.

Tsuulo sagte etwas, aber Qi’ra verstand nur das Wort für „verbrannt“.

„O ja“, stimmte Han zu. „Völlig verkocht.“

Die Furchen auf Rebolts Stirn wurden tiefer. „Wechsle jetzt nicht das Thema. Ich will wissen, wo du warst.“

Han kratzte mit seinem Löffel in der Schüssel herum. „Keine Hunde heute? Ist ihnen etwas zugestoßen?“

Rebolt wurde wütend. Tsuulo zwitscherte etwas.

„Ach ja, stimmt. Mein Fehler“, sagte Han. „Jagdhunde, nicht einfach nur Hunde.“

Qi’ra verstand Rebolts Drang, in Erfahrung zu bringen, wo Han hinging. Wenn er Extraaufgaben für Lady Proxima erledigte oder irgendetwas tat, das ihm einen Vorteil verschaffte, dann wollte Qi’ra das auch wissen. Aber Rebolts direkte Angriffsmethode war stets zum Scheitern verurteilt, und das begriff er einfach nicht.

„Ich werde Lady Proxima raten, dich überwachen zu lassen“, erklärte Rebolt.

„Tu das“, erwiderte Han. „Wenn du Proximas Ressourcen auf diese Weise vergeudest, läufst du Gefahr, für immer eine Rudelratte zu bleiben.“

Rebolt wollte schon auffahren, doch Qi’ra stellte ihre Schüssel lautstark ab. Die anderen drei sahen sie an.

„Jeder hat so seine Geheimnisse“, sagte sie zu Rebolt. Wenn ein direkter Angriff nicht funktionierte, dann musste man manchmal stattdessen eben von der Seite kommen. „Wie du schon festgestellt hast, weiß niemand, wo Han nach seiner Schicht hingeht.“

Han musterte sie aus zusammengekniffenen Augen; er wusste nicht so recht, worauf sie hinauswollte. Gut, dachte sie.

„Aber um ein anderes Beispiel zu nennen“, fuhr sie seelenruhig fort, „es weiß auch niemand, warum Tsuulos linker Fühler herunterhängt. Er ist eigentlich zu jung. Irgendetwas muss ihm zugestoßen sein.“

Tsuulo runzelte die Stirn.

„Ein weiteres Beispiel: Niemand weiß, wo du deine Jagdhunde herhast, Rebolt, oder wie es sich ein armer Junge, der bei den Weißen Würmern ist, leisten kann, sie zu ernähren und abzurichten.“

Hans Mund verzog sich zu einem winzigen Halblächeln.

„Darum schlage ich vor, dass du die Sache auf sich beruhen lässt“, sagte Qi’ra, „sonst könnte jemand versucht sein, dir ein paar unangenehme Fragen zu stellen.“

„Drohst du mir etwa?“, fragte Rebolt.

Qi’ra gab sich gekränkt. „Natürlich nicht. Ich helfe dir. Und das übrigens sehr gerne.“

Rebolt blickte zwischen ihr und Han hin und her, verhielt sich dann aber untypisch klug und sagte nichts weiter.

Han lehnte sich zu ihr herüber und fragte: „Heißt das, du hast auch ein Geheimnis, Qi’ra?“

Sein Gesicht zeigte immer noch ein schiefes Grinsen. Sie hasste dieses Grinsen. Es weckte in ihr das Verlangen, ihm ins Gesicht zu schlagen.

Jeder hat Geheimnisse“, erwiderte sie ruhig. Han gegenüber kam es darauf an, sich nicht in die Defensive drängen zu lassen. „Wenn ich dir meine verraten würde, müsste ich mir neue suchen.“

Sein Blick wich nicht von ihrem Gesicht, als sie ihr Augenmerk wieder auf ihre Breischüssel richtete.

Tsuulo sagte etwas, das beide Jungs zum Kichern brachte.

„Was hat er gesagt?“, wollte Qi’ra wissen. „Tsuulo, was hast du gesagt?“

„Er hat gesagt, es sei kein Geheimnis, dass du heute ganz reizend aussiehst“, behauptete Rebolt. „Stimmt’s nicht, Han?“

Han nickte. „Und dass du das Schmuckstück des Lagers der Weißen Würmer bist. Was auch kein Geheimnis ist.“

„Und dass die corellianische Sonne ein dunkler Schatten ist im Vergleich zu deinem …“, begann Rebolt mutig. „Äh, irgendwas mächtig Strahlendes.“

Jetzt lachte Tsuulo.

„Schön, dann behaltet es eben für euch“, sagte Qi’ra und setzte eine leicht finstere Miene auf. Aber die Jungs auf ihre Kosten Witze machen zu lassen, war gut. Das wiegte die drei in Sicherheit. Verführte sie dazu, sie, Qi’ra, zu unterschätzen.

Unruhe auf der anderen Seite des Raums weckte ihrer aller Aufmerksamkeit. Die runde Luke, die ins Allerheiligste führte, schwang auf. Zwei kleine Grindalider traten hindurch und starrten bedrohlich über die fahlweißen Schnäbel ihrer Gesichter hinweg. Ihnen folgte Moloch, Lady Proximas rechte Hand unter den Würmern. Er trug noch Schutzkleidung, ein braunes Gewand, auf dem Schmutzstoffe aus den Kanälen grauweiße Bleichflecken hinterlassen hatten. Die Kleidung war mit Schichten feuchter Luft isoliert. Um seinen Hals hing ein Verdampfungsgerät, das feinen Dunst in sein runzliges weißes Gesicht und die lang geschlitzten Nasenlöcher sprühte. In einer Hand trug er einen elfenbeinfarbenen Schock-Stock – ein Stock, der gelegentlich in Qi’ras Albträumen auftauchte. Von fern sah er wunderschön aus, mit fließenden Linienmustern versehen, als wären es Blüten oder Ranken. Aus der Nähe betrachtet, wurden aus den vermeintlichen Ranken jedoch Glieder und Tentakel, die sich um die Spitze des Stocks wanden – wie vor Schmerz und Schrecken.

Moloch musste gerade erst von der Oberfläche zurückgekehrt sein. Qi’ra fragte sich, wo er gewesen sein mochte und was er für Geheimnisse haben mochte.

„Han“, bellte er.

Han zuckte zusammen, seine Schüssel landete klappernd auf dem Tisch und lenkte Molochs Augenmerk auf ihn. Der Grindalider schritt in ihre Richtung, seine Kleidung schleifte über den Boden.

„Ha!“, feixte Rebolt. „Jetzt kriegst du doch Ärger fürs Zuspätkommen.“

Qi’ra empfand beinahe Mitleid für Han. Proxima ließ nie jemanden nach seiner Schicht holen, es sei denn, es stimmte etwas nicht. Na ja, zumindest würde Han ihr nun nicht ihren Job wegschnappen.

„Und Qi’ra“, sagte Moloch, als er ihren Tisch erreichte. „Lady Proxima wünscht euch beide zu sprechen.“

Qi’ra hatte das Gefühl, das Herz rutsche ihr in die Hose, und Han warf ihr einen erschrockenen Blick zu.

Widerstrebend erhob sie sich von ihrem Platz. In ihrer Schüssel befand sich noch ein wenig Brei. Tsuulo griff danach und sah zaghaft zu ihr auf. Sie nickte ihm zu. Ihr Appetit hatte sich schlagartig verflüchtigt.

Han schob ihm auch seine Schüssel hin. „Hier, Kumpel.“ Die Schnauze des Rodianers verzog sich zu einer Grimasse, die für ihn ein breites Grinsen war.

Han stand auf. „Bringen wir es hinter uns.“

Rebolt schob seinen Stuhl nach hinten und erhob sich, als wollte er sie begleiten, aber Moloch drückte ihn wieder zurück. „Nur Han und Qi’ra“, knurrte er.

Rebolt spannte sich an, als würde er sich zur Wehr setzen wollen, aber Moloch war im gleichen Verhältnis größer als Rebolt, wie er größer war als all die anderen Jungen seiner Spezies, und auf einen Kampf, den er verlieren könnte, ließ Rebolt sich nie ein. „Was? Warum nur die beiden?“

„Das geht dich nichts an, Rudelratte.“

„Was immer die zwei für Lady Proxima tun können, ich kann es besser! Ich bin loyal, pünktlich und …“

Moloch gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf. „Deine Jagdhunde haben Hunger.“

„W-was?“

„Geh deine Jagdhunde füttern“, befahl Moloch. „Sonst füttere ich sie mit dir.“

Rebolt erstarrte, dann nickte er. Qi’ra hätte sofort mit ihm getauscht, wenn sie gekonnt hätte. Er glaubte offensichtlich, diese seltsame Zusammenkunft bei Tag müsse irgendeine Art von Privileg bedeuten. Doch Qi’ra wusste, dass es nur Ärger bedeuten konnte. Und Hans ernstem Gesichtsausdruck nach zu schließen, wusste er das auch.

„Mitkommen. Los“, sagte Moloch zu Han und Qi’ra. Dann drehte er sich um und ging davon, ohne noch einen Blick zurückzuwerfen. Er erwartete einfach, dass man ihm gehorchte.

Tsuulo schenkte ihnen keine Beachtung, er schaufelte sich nur munter den zusätzlichen Brei in den Mund, aber Qi’ra konnte fühlen, wie Rebolt hinter ihnen förmlich kochte, als sie und Han Moloch zum Audienzraum folgten.

Vor der massiven Luke hielten zwei Weiße Würmer Wache. Es war eine Schottentür mit rostfleckigem Rand. Diese Tunnel und unterirdischen Räume waren alt. Gerüchten zufolge war das Lager der Bande früher eine riesige Fertigungsstätte gewesen. Einige der Räume beherbergten noch stillgelegte Maschinen – ungeschlachte stählerne Stempelpressen, ein paar Drehbänke und sogar einen großen Industrietank, der jedoch leer war bis auf den Rost, der sich darin gebildet hatte.

Ein paar der trüben Deckenlampen funktionierten noch, weil Tsuulo – das Lager-Genie – illegal das Stromnetz einer nahe gelegenen Fabrik angezapft hatte. Darüber hinaus hielten drei Sumpfpumpen das Grundwasser im Zaum. Aber nur drei. Das Lager verfügte eigentlich über fünf Sumpfpumpen, aber zwei davon schalteten die Weißen Würmer bewusst nicht ein. Die Folge davon war, dass im Audienzraum, von den jungen Leuten nur das Schlundloch genannt, metertief schleimiges Rostwasser stand.

Hinter der Luke führte ein runder Tunnel zu Lady Proximas unterirdischem Tümpel.

Qi’ra und Han gingen vor, um den Tunnel zu betreten, doch Moloch legte Han eine riesige Hand auf die Schulter und hielt ihn zurück.

„Qi’ra geht alleine rein“, sagte er. „Du erst später.“

Qi’ra und Han wechselten einen weiteren erschrockenen Blick. Moloch schob sie vorwärts, und sie trat in die feuchte Luft des Tunnels. Allein.

Selbstsicher schritt sie voran – sie wusste, je nervöser sie sich fühlte, desto selbstsicherer musste sie wirken –, bis der Tunnel am Rand des Tümpels endete. Rings um sie herum ragten die Wände des Schlundlochs auf wie die eines längst vergessenen Ventilationsschachts, der sich der Oberfläche und der frischen Luft dort entgegenstreckte. Durch ein paar schmale Fenster im oberen Teil des Schachts fiel Morgenlicht herein wie die Verheißung von etwas Besserem, doch die Fenster waren größtenteils mit schwarzer Farbe überstrichen, sodass nur ein paar vereinzelte Flecken Helligkeit den Boden erreichten.

Qi’ra konzentrierte ihre Aufmerksamkeit auf das Einzige, worauf es ankam. Lady Proxima erschien in der Mitte der Zisterne auf einem Podest, das wie eine grindalidische Burg von einem öligen Graben umgeben war. Lady Proxima trug etwas, das teils Rüstung und teils Schmuckgewand war, alles gefertigt aus Maschinenteilen, die sie in den Fabriken Corellias ergattert hatte – als wäre sie, obschon sie gezwungen war, unter der Oberfläche zu leben, fest entschlossen, die Industrie dieses Planeten zu ihrem eigenen Quell der Kraft und des Schicksals zu machen.

Qi’ra bewunderte das. Sie sah sich einem Vorbild gegenüber.

Lady Proxima blickte auf Qi’ra hinab und spannte ihre Hauptarme. Der knochenweiße Schnabel ihres Gesichts sah aus wie eine Axt, die bereit war, auf das nächstbeste Ziel niederzufahren. Als sie lächelte, schimmerte die feuchte Linie ihres Mundes wie die Schneide eines Sägemessers. Zweifellos sollte dies eine beruhigende Geste sein.

„Es ist so schön, dich zu sehen, Qi’ra, mein Schatz“, zischte Lady Proxima.

„Guten Morgen, Lady“, erwiderte Qi’ra in perfekter Haltung, obwohl ihr das Herz wie eine Trommel in der Brust schlug.

Lady Proxima ließ den Blick über ihre treuen Soldaten im Raum schweifen. Qi’ra wusste nicht, ob sie sie wegtreten oder angreifen lassen wollte.

Hinter ihr schlug die Luke zu.

***

Han gefiel die Situation ganz und gar nicht. Er starrte auf die Luke und hoffte, dass Qi’ra in Ordnung war.

Nicht dass ihm das Mädchen viel bedeutet hätte … Sie war eingebildet, schwer zu durchschauen und viel zu schlau. Sie versuchte sich in Zurückhaltung zu üben, doch Han wusste, dass Qi’ra im Rennen um den Posten des Unterführers seine schärfste Konkurrentin war. Es hätte sein Leben sehr viel leichter gemacht, wenn sie ein bisschen Pech gehabt hätte.

Aber er konnte sich einfach nicht dazu überwinden, ihr irgendein Missgeschick zu wünschen. Qi’ra mochte aufgeblasen und unergründlich sein, aber sie war immer freundlich zu ihm gewesen. Im Gegensatz zu Rebolt und Moloch. Außerdem war sie eine Augenweide. Ebenfalls im Gegensatz zu Rebolt und Moloch.

Die Zeit zog sich endlos hin. Hinter ihm war zu hören, wie Schüsseln weggeräumt und Stühle gerückt wurden, er schnappte Gesprächsfetzen von Weißen Würmern auf. Dann verebbten die Geräusche allmählich, als nach und nach alle mit dem Frühstück fertig waren und sich auf den Weg in den Schlafsaal oder die Tunnels machten, um sich ein wenig aufs Ohr zu legen, bevor der Tag auf Corellia in die Nacht überging und alle wieder an die Arbeit geschickt wurden.

Schon bald war Han allein im Speisesaal, abgesehen von Moloch und den beiden Weißen Würmern, die stumm den Zugang zum Schlundloch bewachten.

Ein Rattenfängerdroide flitzte an seinen Stiefelspitzen vorbei. Der kleine Panzer war früher einmal ein Reinigungsdroide gewesen, aber Tsuulo hatte ihn so umgebaut, dass er nun Ungeziefer fing. Inzwischen verfügte das Lager über eine kleine Flotte von Rattenfängerdroiden, und man konnte sich darauf verlassen, dass sie täglich eine erkleckliche Anzahl von Ratten und Vervikks zur Strecke brachten, die die Weißen Würmer nutzten, um ihren Frühstücksbrei mit dringend benötigten Proteinen anzureichern.

Han seufzte. Er brauchte diesen Unterführerposten wirklich, und sei es nur, damit er etwas anderes zu essen bekam als Rattenbrei.

„Na?“, sprach Han die Wachen an, nur um die Stille zu brechen. Seine Stimme kam ihm in dem leeren, widerhallenden Speisesaal selbst viel zu laut vor. „Lange Nacht gehabt?“

Moloch gab einen schnalzenden Laut von sich, der eine Drohung sein mochte oder möglicherweise auch nur bedeutete, dass ihm etwas zwischen den Zähnen steckte; darüber hinaus erfolgte keine Reaktion. Auch die anderen beiden Würmer sagten nichts und starrten nur geradeaus, als wäre er gar nicht da.

„Irgendeine Idee, was Lady Proxima von Qi’ra und mir will?“, versuchte Han es noch einmal.

Einer der Würmer blickte verächtlich auf ihn herab, erwiderte jedoch nichts.

Han probierte es noch ein letztes Mal, weil Reden einfach besser war als diese schreckliche Warterei. „Hey, ein paar von uns spielen im Schlafsaal abends vor der Schicht immer Sabacc. Lust, mal vorbeizuschauen?“

Immer noch nichts.

„Ich lern’s gerade erst. Wisst ihr, wie man Sabacc spielt?“

Ebenso gut hätte er mit einer Wand reden können. Oder auch mit drei Wänden. Er hob die Schultern. Einen Versuch war es wert gewesen.

Die Tür schwang auf, und ein Schwall feuchtwarmer Luft brachte ihn fast zum Niesen. Qi’ra kam herausgestürmt, ihr Blick so undurchschaubar wie immer, ihre Schultern aber waren angespannt und ihr Mund verkniffen. Sie war eine zierliche Brünette, fast einen Kopf kleiner als Han, dennoch vermochte ihre Präsenz irgendwie einen ganzen Raum zu erfüllen. Und das bereitete ihm aus irgendeinem Grund Unbehagen.

„Qi’ra? Alles in Ordnung?“

Sie beachtete ihn nicht, eilte vorüber, ohne nach links oder rechts zu schauen, und hielt Kurs auf den Tunnel, der ins Kanalnetz führte.

„Fand’s auch nett, mit dir zu reden!“, rief er ihr nach.

„Rein mit dir, Rudelratte“, sagte Moloch und stieß Han mit dem unteren Ende seines schrecklichen Schock-Stocks an.

Han hob die Hände. „Ja, ja, ich geh ja schon.“ Er trat in den Tunnel, hinter ihm schlug die Tür zu.

Lady Proxima stand auf ihrem Sockel inmitten des Schlundlochs, Wasser schwappte gegen die Ränder des Tümpels. Sie trug nichts als Ketten und Metallplatten, was Han recht unpraktisch erschien. Ihr musste sehr kalt sein, und all das Eisen musste in dieser feuchten Luft doch rosten und ihre Haut aufschürfen. Für ihn wäre das jedenfalls nichts gewesen. Er hätte lieber Stiefel gehabt, in denen seine Füße trocken blieben, und eine dicke Jacke, die ihn warm hielt. Aber jedem das Seine. Er wollte sich da kein Urteil anmaßen.

Das Wasser kräuselte sich, unter der Oberfläche bewegte sich etwas, und Han wurde daran erinnert, dass sich in dem trüben Tümpel unterhalb der riesigen Grindalidin ihre jüngste Brut verbarg. Er hatte keine Ahnung, wie viele sie auf einmal gebar – vielleicht waren es Hunderte von winzigen Würmern, die da um Futter und Platz rangelten. Er war nur froh, dass sie im Moment einigermaßen Ruhe gaben und er sie nicht sehen konnte.

Der Rest des Raums war leer. Nicht einmal Proximas oberste Lieutenants waren anwesend. Das bereitete Han ein Kribbeln im Nacken, denn normalerweise war das Schlundloch immer voller Würmer. Einige schliefen sogar hier. Aus irgendeinem Grund hatte Proxima sie jedoch alle weggeschickt.

„Han, mein lieber Junge“, begann sie. „Ich habe einen besonderen Auftrag für dich.“

„Natürlich, Lady“, sagte er rasch. „Was immer Ihr braucht.“ Aber ihm wurde bange ums Herz. Worum es sich bei dem Auftrag auch handelte, sie wollte nicht, dass jemand davon wusste. Das hieß, dass der Job gefährlich war und sie ihn für entbehrlich hielt. Für sie war er nichts weiter als eine menschliche Rudelratte. So viel also zum Thema Beförderung.

Ganz zu schweigen von dem verlorenen Schlaf. Proxima hielt ihn Nacht für Nacht auf Trab und scheuchte ihn kreuz und quer durch Coronet, um Zahlungen einzutreiben, Informationen zu sammeln oder kleine Lieferungen abzuholen. Danach hatte er sich natürlich um ein paar eigene Geschäfte zu kümmern, was fast immer dazu führte, dass er sich sputen musste, um vor Torschluss ins Lager zurückzukommen. Manchmal schaffte er es kaum, beim Frühstück nicht einzuschlafen. Erleichtert fiel er jeden Morgen in seine feuchte und versiffte Koje.

Aber heute würde er keinen Schlaf bekommen.

„Ich möchte, dass du für mich zur Gießerei gehst“, sagte sie.

„Klar. Kein Problem.“ Er war schon oft in der Gießerei gewesen. Er hatte dort sogar einen Freund.

„Nimm die Tunnel und geh durch den Keller. Die Zugangsluke wird nicht abgeschlossen sein.“

„Die Zugangsluke. Alles klar.“

Sie beugte sich auf ihrem Podest nach vorn und gab einen scharfen Klicklaut von sich. Diesen Laut machten Grindalider, wenn sie hungrig waren. „Han, mein Junge, es darf dich niemand sehen, weder auf dem Weg hinein noch hinaus. Unter gar keinen Umständen. Hast du das verstanden?“

Er blinzelte. „Sicher. Das schaff ich schon.“ Die Gießerei beschäftigte Tausende von Corellianern, die auf den gewaltigen Fertigungsstraßen Raumschiff-Bauteile für das Imperium und andere Abnehmer herstellten. Selbst im Keller mochte es von Leuten wimmeln. Er schluckte hart. „Kein Problem. Soll ich dort etwas abholen? Oder gibt es eine Nachricht, die ich …“

Sie zischte, schnitt ihm das Wort ab und sagte dann: „Keine Fragen, Junge. Nicht in diesem Fall.“

Han presste die Lippen zusammen und wartete ab.

„Im Keller“, fuhr sie fort, „wirst du auf einen Kontaktmann treffen. Er wird dich fragen, was du gemacht hast. Du wirst ihm sagen, dass du Sprühflieger warst – der einfachste Job in der ganzen Galaxis. Wiederhole es.“

„Ich war Sprühflieger, der einfachste Job in der ganzen Galaxis.“

„Guter Junge. Wenn du nicht genau diese Worte sagst … nun, du würdest mir sehr fehlen.“

„Ich … verstehe.“ Es war so, wie er befürchtet hatte. Sie schickte ihn mit diesem Auftrag los, weil sie ihn für entbehrlich hielt.

„Nachdem du den Codesatz gesagt hast“, sagte Lady Proxima, „wirst du weitere Anweisungen erhalten, die du genau befolgst. Verstanden?“

„Ja, verehrte Lady.“ Ein dünner Schweißfilm sammelte sich entlang seines Haaransatzes.

„Ich schicke dich, weil ich jemanden brauche, auf dessen Diskretion ich vertrauen kann. Du darfst niemandem etwas von diesem Auftrag verraten, und du musst ständig auf der Hut sein. Es könnte … Komplikationen geben.“

Er öffnete den Mund, um zu fragen, was das für Komplikationen seien, klappte ihn aber wieder zu, als ihm einfiel, dass er ja keine Fragen stellen sollte.

„Du weißt, wie viel mir alle meine Kinder bedeuten“, sagte Lady Proxima. „Und es schmerzt mich, meinen liebsten Menschenjungen auf eine derart gefährliche Mission zu schicken. Aber wenn alles gut geht und du genau tust, was man dir sagt, und zu mir zurückkehrst …“ Sie hielt kurz inne und ließ ihn einen Moment lang zappeln. „Dann bin ich bereit, dich zum Unterführer der Weißen Würmer zu ernennen.“

Er hätte beinahe laut gekeucht, weil er sein Glück nicht fassen konnte. Mit einem Mal war der gefährlichste Auftrag, den er je bekommen hatte, zur größten Chance seines Lebens geworden. Er konnte das schaffen. Er musste es schaffen. Der Schlaf konnte warten.

„Enttäusche mich nicht, mein Schatz“, sagte Lady Proxima und bedachte ihn mit ihrer besten Entsprechung des liebevollen Blickes einer Mutter. Han wusste sehr wohl, dass er diesem Blick nicht trauen konnte. Wann immer sie ihn so ansah, kam er sich vor wie eine saftige Spinne, die sich ein Echsenaffe zur Beute erkoren hatte.

Er entgegnete: „Habe ich Euch schon jemals enttäuscht, verehrte Lady?“

Sie lächelte abermals, und ihre Augenwinkel legten sich in feine Fältchen. Lady Proxima gab zwar vor, über jedermanns Meinung erhaben zu sein, insbesondere der ihrer Weißen Würmer, aber sie ließ sich gerne schmeicheln. Dann winkte sie mit einer fahlen vielgliedrigen Hand ab und sagte: „Und jetzt geh mir aus den Augen. Ich brauche Ruhe.“

„Ja, Lady.“

Die Luke öffnete sich für ihn, und er verschwand rückwärtsgehend und sich verneigend aus dem Schlundloch.

Als die Luke sich wieder schloss, lehnte er sich dagegen und atmete tief durch. Er hasste es, sich zu verneigen. Er hasste es, Lady Proxima nach dem Mund zu reden. Er hasste es, so ein Schleimer zu sein. Sicher, es war eine kalkulierte Entscheidung, sie war wichtig für sein Überleben als corellianische Rudelratte. Aber es war falsch. Völlig wider seine Natur.

Wenn er diesen Posten als Unterführer bekam, dann würde er endlich über etwas Autorität verfügen. Ein wenig Freiheit. Ganz zu schweigen von besserem Essen und mehr Schlaf. Vielleicht sprang auch ein neues Paar Stiefel heraus. Und er konnte diesem Blödmann Rebolt endlich sagen …

„Bewegung, Han“, sagte Moloch. Er hob seinen Schock-Stock und wies ihm den Weg. Nur eine Geste, nicht als Drohung gemeint. „Auf dich wartet Arbeit.“

Han trabte los in Richtung genau jenes Tunnels, den erst vor ein paar Minuten auch Qi’ra betreten hatte. Was hatte Proxima wohl zu ihr gesagt? Qi’ra verlor fast nie die Fassung. Ihrem Gesichtsausdruck von vorhin nach zu schließen, musste es also etwas Furchtbares gewesen sein. Han hoffte, dass das Mädchen in Ordnung war.

Geduckt verschwand er im Tunnel und machte sich auf den Weg zur Gießerei.