Fürstenkrone – Jubiläumsbox 5 – E-Book: 25 - 30

Fürstenkrone
– Jubiläumsbox 5–

E-Book: 25 - 30

Iris von Brüggen
Melanie Rhoden
Cora von Ilmenau
Dina Kayser
Silva Werneburg

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74093-241-1

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Warte auf mich!

Wem wird Stefanies Herz gehören?

Roman von Iris von Brüggen

»Papa, liebster Papa, was für eine wunderbare Überraschung! Da hast du mir aber eine Riesenfreude gemacht! Tausend, tausend Dank, Papachen!«

Das junge Mädchen, das da wie ein Wirbelwind in den Speisesaal fegte und dem grauhaarigen, ernst und gesetzt wirkenden Hausherrn um den Hals fiel, achtete überhaupt nicht auf die teils amüsierten, teils etwas konsternierten Blicke der Tischgesellschaft, die sich zur abendlichen Tafel auf Schloß Arnstein versammelt hatte. Baron von Arnstein konnte sich der stürmischen Umarmung des anmutigen Persönchens kaum erwehren. Und je mehr er in gespieltem Unmut die Stirn runzelte, je nachdrücklicher er seine Brille mit dem feinen Goldrand zurechtrückte, desto verräterischer zuckte es um seine Mundwinkel, bis sein freudiges Lächeln nicht mehr zu übersehen war.

»Aber Melanie, Schwesterherz, hast du unsere Gäste vergessen?« Die schlanke junge Dame zur Rechten des Barons lächelte zwar nachsichtig, doch ihre großen dunkelblauen Augen unter dem üppigen blonden Haarkranz hefteten sich tadelnd auf die jüngere Schwester.

»Oh, Verzeihung!« antwortete das zierliche dunkelhaarige Mädchen mit einem Augenaufschlag, der Zerknirschung andeutete, gefolgt von einem feierlichen Hofknicks, der zwar ironisch gemeint war, aber alle Anwesenden amüsierte und bezauberte.

»Unsere Gäste habe ich doch heute bereits bei ihrer Ankunft begrüßt. Tante Angie und Onkel Ernst sind sogar heute morgen schon mit mir ausgeritten. Und unsere liebe Mamsell und unser Verwalter sitzen ja täglich mit uns zu Tisch. Sie werden mir meine Unhöflichkeit sicher verzeihen!«

Freundliche Gesichter, auf denen sich Zuneigung zu dem jungen Mädchen spiegelte, wandten sich ihr zu.

»Nun mußt du uns aber auch von der Überraschung berichten, die dich so gefreut hat«, drängte der Onkel. »Wir sind schon sehr gespannt darauf! Natürlich nur, wenn deine große Schwester Stefanie und dein Vater nichts dagegen einzuwenden haben.«

Beide nickten lächelnd, und Melanie ließ sich nicht lange bitten: »Als ich soeben auf mein Zimmer ging, um mich zum Abendessen umzukleiden, was sehe ich da wunderschön drapiert auf meinem Bett liegen? Ein Abendkleid, so herrlich, wie man es sich nur erträumen kann! Nun muß ich morgen doch nicht mein lindgrünes Tüllkleid anziehen, das ich schon zum Tanzstundenkränzchen getragen habe. Das hatte ich nämlich ernsthaft befürchtet. Gib zu, Stefanie, da hast auch du deine Hand im Spiel! Nur du weißt, wie sehr mir dieses fließende weiße Seidenkleid mit dem silberbestickten kleinen Dekolleté im Schaufenster der Boutique ›Mademoiselle‹ gefallen hat.«

»Ja, das kann ich nicht leugnen«, nickte die ältere Schwester, »schließlich sollst du ja morgen bei deinem ersten großen Ball strahlend schön sein und nicht Mauerblümchen spielen. Und mit deinem kastanienbraunen Haar und deinen braunen Augen wird das Kleid wunderbar harmonieren! Es ist auffallend elegant und doch mädchenhaft. Du mußt es dann gleich anprobieren, aber ich bin zuversichtlich, daß es paßt.«

»Daran besteht kein Zweifel, liebe Stefanie, schließlich kennt niemand meinen Geschmack und meine Kleidergröße besser als du.« Die beiden Schwestern tauschten ein Lächeln des Einvernehmens.

»Das ist freilich eine reizende Überraschung, so recht dazu geeignet, einem jungen Mädchen Freude zu bereiten. So ist es denn wahr, morgen findet wirklich Melanies erster Ball statt?« wunderte sich Tante Angie. Gräfin Angelika von Thun hatte ihre eigenen beiden Töchter schon mit knapp sechzehn Jahren in die Ballsaison eingeführt, doch ihr Bruder, Baron von Arnstein, war der Ansicht, erst mit siebzehn sei seine Melanie gerade alt genug dafür.

»Schließlich hat sie ihre Tanzstunde und das Tanzkränzchen im letzten Jahr nach Herzenslust genießen dürfen, aber die großen Bälle beginnen für sie erst mit siebzehn. Punktum.«

Da gab es keinen Widerspruch. Baron von Arnstein war zwar nicht gerade ein Despot, doch sein Wort galt. Und in mancher seiner Meinungen, die ihm wichtig erschienen, zeigte er sich unerschütterlich.

Stefanie gab den Bediensteten das Zeichen zum Auftragen der Speisen und Getränke, und man ging zu anderen Themen über. Doch immer wieder kehrten die Gespräche zu dem morgigen Ball zurück, der im Rahmen des Erntedankfestes gefeiert werden sollte.

»Wer steht denn alles auf der Einladungsliste?« erkundigte sich Graf von Thun. Irgendwelche interessanten Persönlichkeiten?«

»Nun, es ist das übliche. Die hiesige Nachbarschaft kennt ihr ja insgesamt. Da sind die Freiherren von Clausnitz mit ihren Töchtern und Schwiegersöhnen, Vettern und Basen, der junge Breunig, der gerade sein Studium in München beendet hat, die Kobers, ein weltberühmtes Künstlerpaar, beides Steinbildhauer, und all die anderen nahen und fernen Bekannten und Verwandten und Honoratioren«, antwortete der Baron.

»Du vergißt, Papa, daß diesmal auch die Familie von Wolfsperg mit ihrem Sohn erscheinen wird«, warf Stefanie ein.

»Ja, richtig, liebe Stefanie, fast hätte ich es vergessen, dabei ist mir dieser Besuch doch sehr wichtig!« Und sich seinem Schwager zuwendend, fuhr der Baron von Arnstein fort: »Die zweite Baronin von Wolfs­perg, eine geborene von Amrain, hat ein prachtvolles an der Mosel gelegenes Weingut mit in die Ehe gebracht. Du weißt ja, daß Claus von Wolfsperg eher eine Künstlernatur ist und sich auf Ackerbau

und Viehzucht wenig versteht. Um ehrlich zu sein: er hatte sein Gut

erheblich heruntergewirtschaftet. Doch nun, mit den herrlichen Weinlagen an der Mosel und seinem neuen großen Weinkeller, scheint er große Erfolge erzielt zu haben und ganz in seinem Element zu sein.«

»Ganz erstaunlich«, nickte Graf von Thun, »und der Familie sehr zu wünschen. Eigentlich paßt ja alles ganz vorzüglich, da der Sohn Alexander Önologie studiert hat und seinem Vater nun tatkräftig zur Hand geht. Vieles von dem neuen Erfolg ist gewiß ihm zuzuschreiben.«

»Darauf kannst du wetten. Da er auch seinen Abschluß in Betriebswirtschaft gemacht hat, wird er mit Sicherheit die Finanzen gut im Auge behalten. Ich freue mich sehr, daß die Wolfspergs meine Einladung in diesem Jahr angenommen haben. Bisher entschuldigten sie sich immer mit Arbeitsüberlastung, was ja

zweifellos der Wahrheit entsprach, aber nun will ich mich mal ordentlich in Fachgespräche mit ihnen vertiefen. Man kann immer etwas dazulernen.

Ich stehe den neuen Edelstahltanks, in denen man den Wein neuerdings gären läßt, etwas skeptisch gegenüber, weil ich immer noch Holzfaßgärung vorziehe, aber die modernen Önologen schwören darauf. Dagegen findet das Prinzip der strengen Behangausdünnung, das die Franzosen uns so erfolgreich vormachen, in mir einen Anhänger. Dadurch werden die Trauben und somit der Wein in Geschmack und Reife viel konzentrierter. Ich freue mich riesig darauf, dem jungen Alexander einmal richtig auf den Zahn zu fühlen und mit ihm zu fachsimpeln. Ich bin nämlich gar nicht so abgeneigt, mich einiger moderner Methoden zu bedienen.«

Ernst von Thun schmunzelte: »Du erlaubst, lieber Schwager, daß ich ein gelindes Erstaunen ausdrücke. Bisher hast du doch immer auf die alten Methoden geschworen – sollte die tüchtige Stefanie hinter diesem Sinneswandel stecken?«

»Ja, ich gebe zu, sie fängt langsam an, mich mit ihren Ideen zur Weinbereitung zu überzeugen. Übrigens mußt du wissen, daß die Wolfspergs nicht nur über das Wochenende, sondern sogar einige Wochen bei uns bleiben werden, weil sie vielleicht auch ein paar Pferde aus meinem Gestüt kaufen wollen. Du weißt ja, daß Alexander ein hervorragender Reiter ist und sogar bei internationalen Turnieren mitreitet. Für mich steht natürlich das große Fachwissen von Vater und Sohn Wolfsperg in bezug auf die neuesten Methoden der Weinbereitung im Vordergrund. So werden wir alle etwas von dem Besuch haben.«

»Jetzt begreife ich natürlich, wie wichtig und interessant gerade dieser Besuch für dich ist, denn auch deine Weinberge und der Weinkeller von Arnstein sind aller Ehren wert. Du hast zwar keine Weinlagen an der Mosel, aber deine Tropfen von der Nahe sind ebenfalls köstlich. Wie ich höre, hast du damit große Erfolge erzielt. Ist dein Wettersbacher Riesling im letzten Jahr nicht sogar mit einer silbernen Ehrenmedaille prämiert worden?«

»Das ist wahr, aber natürlich können meine Weinlagen im allgemeinen nicht mit jenen der Wolfspergs konkurrieren. Mit ihnen verglichen bin ich als Weinproduzent nur ein Zwerg.«

»Aber ein starker und gesunder Zwerg, lieber Schwager!« warf Graf von Thun ein.

»Das hast du nett gesagt, das muß ich mir merken. Übrigens darf ich die Ehre mit meiner Ältesten, Stefanie, teilen. Sie hat mir in allen Phasen der Weinbergpflege und der Weinbereitung mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Wie heißt es doch so schön: wir sind ein großartiges Gespann! Du kannst dir nicht vorstellen, wie tüchtig sie mit ihren 21 Jahren schon ist und wie kompetent sie unseren großen Haushalt und die Dienerschaft regiert. Sie hält die Zügel fest in beiden Händen. Darin ist sie eine Naturbegabung – das kann man nicht lernen.«

Graf von Thun stimmte ihm begeistert zu: »Du hast ganz recht, ihre natürliche Autorität ist unübersehbar. Die Dienerschaft weiß, was zu tun ist, und folgt jedem ihrer Winke. Niemand möchte es riskieren, vor diesen strahlend blauen Augen nicht zu bestehen. Und auch die kleine Melanie, weit davon entfernt, eifersüchtig zu sein, liebt und respektiert sie voll und ganz. Das sieht man sogleich.«

Baron von Arnstein seufzte. »Seit dem Tod meiner geliebten Eleonore vor nunmehr zehn Jahren sind meine beiden Töchter mein einziger Trost und meine größte Freude. Und ich muß sagen, sie tun alles, um mich glücklich zu machen. So tüchtig sich Stefanie zeigt, so heiter und verspielt ist die kleine Melanie. Am liebsten würde sie den ganzen Tag durch Feld und Wald reiten und die ganze Nacht Walzer tanzen. Ich gebe ihr hierin viel Freiheit, denn der Ernst des Lebens kommt noch früh genug. Und nach ihrer gerade abgeschlossenen Ausbildung im Internat lernt sie sowieso bei Stefanie ganz zwanglos alles, was sie einmal brauchen wird.«

»Was sie einmal brauchen wird? Du denkst also an eine baldige Heirat der Mädchen?«

Der Baron hob die Augenbrauen: »O nein, Gott bewahre! Mögen sie mir noch recht lange erhalten bleiben! Der Gedanke, daß sie mir eines Tages ein junger Mann wegholt, ist für mich einfach unerträglich! Doch bis dahin wird noch viel Zeit vergehen – sie sind ja beide noch so jung!«

»Darin hat sich schon mancher getäuscht«, murmelte sein Schwager. »Ich spreche als Vater aus Erfahrung.«

Nach dem Essen, zu dessen Hauptgang, gespicktem Rebhuhn mit Maronenpüree, der auf dem Gut erzeugte Riesling kredenzt und hoch gelobt wurde, ließ Stefanie Kaffee, Cognac und Likör auf der Schloßterrasse servieren. So saß man in geselliger kleiner Runde noch ein Weilchen zusammen, während die Grillen im Schloßpark im Schein des Mondes ihr lautes Konzert anstimmten und der große Schäferhund Bello sich zu Füßen Stefanies ausgestreckt hatte. Der Baron war in Schweigen verfallen und hörte dem leisen Plaudern der Runde nur mit halbem Ohr zu, während er genußvoll die friedliche Stimmung atmete.

Wie harmonisch und behaglich ist das alles, dachte er bei sich, während er still um sich schaute, doch wie schön wäre es erst, wenn ich meine geliebte Eleonore an meiner Seite wüßte. Ihr Fehlen ist mir ein immerwährender Schmerz. Und wie wird es erst sein, wenn meine Töchter mich eines Tages verlassen und ihre eigene Familie gründen? Dann werde ich ganz vereinsamen.

Doch resolut schüttelte er diese bedrohlichen Zukunftsvisionen rasch ab. »Zu Bett, zu Bett, meine Lieben«, rief er mit ein wenig gespielter Lustigkeit, »morgen ist

ein anstrengender Tag, dem wir gestärkt und ausgeschlafen die Stirn bieten müssen! So wünsche ich allseits eine gute Nacht!«

Lachend und scherzend zogen sich die Mitglieder der kleinen Gesellschaft auf ihre jeweiligen Schlafzimmer zurück, und langsam, eines nach dem anderen, erloschen die Lichter in den Fenstern, und die breite Fassade des herrschaftlichen Schlosses versank in Dunkelheit.

»Endlich die verdiente Ruhe vor dem Sturm.« Stefanie, die den ganzen Tag hindurch treppauf und treppab gelaufen war und sich nicht geschont hatte, um all die organisatorischen Fragen des Festes im Griff zu behalten, hatte sich soeben wohlig seufzend in ihr Bett gekuschelt, als es an ihre Tür klopfte. Sie wußte sehr wohl, wer da Einlaß begehrte, und rief: »Komm nur herein, Melanie.«

»Darf ich noch ein bißchen mit dir plaudern?« fragte die jüngere Schwester.

»Aber natürlich, Liebes, wir sind ja heute noch gar nicht dazu gekommen. Es war einfach zuviel Trubel draußen und drinnen. Wir dürfen es nur nicht zu spät werden lassen, denn morgen müssen wir ausgeruht und hellwach sein.«

»Keine Angst, Stefanie, ich halte dich nicht allzu lange vom Schlafen ab. Du wirst morgen alle Hände voll zu tun haben. Aber ich werde dir helfen! Du kannst mich getrost mit deinen Aufträgen herumschicken! Es war so eine liebe Idee von dir und Papa, mir dieses Ballkleid zu schenken! Dafür wollte ich dir noch ganz besonders danken.«

»Das freut mich, Melanie, und um die Überraschung voll zu machen, bekommst du auch meine silbernen Schuhe dazu, die dir schon so lange ins Auge stechen und die bei mir nur im Schrank stehen.«

»Du bist die Allerbeste!« Melanie umarmte die Schwester. Dann schlüpfte sie zu ihr unter die Bettdecke und kicherte: »Wie in alten Zeiten, als du mir Märchen erzähltest, weißt du noch? Heute, vor meinem ersten großen Ball, bin ich viel zu aufgeregt für Geschichten, da zählt einzig die Realität. Apropos Realität: sag, Stefanie, hat denn Vater die Familie von der Heydt wieder nicht eingeladen? Ist das nicht schrecklich für dich, mit Andreas von der Heydt wieder nicht tanzen zu dürfen auf unserem eigenen Ball, nachdem du doch vor drei Jahren in Wien mit ihm als Debütantin beim Opernball geglänzt hast? Und ich habe ein vages Gefühl, daß ihr euch auch sonst nicht gleichgültig geblieben seid!«

»Wo denkst du hin, Schwesterchen..., es geschehen wahrlich noch Zeichen und Wunder. Höre und staune: vor ein paar Stunden erst habe ich erfahren, daß Vater die von der Heydts diesmal eingeladen hat. Es war ihm wohl ein bißchen peinlich vor uns, daß er nun endlich einlenkt, darum hat er es uns nicht gleich gesagt. Doch auf meine Frage meinte er, zehn Jahre der Feindschaft – er nannte es: auf Eis gelegte alte Freundschaft – seien genug, und nun müsse wieder Frieden einkehren zwischen unseren beiden Häusern.«

Melanie hatte in freudiger Spannung atemlos gelauscht und warf nun lebhaft ein: »Du hast ihm ja auch immer wieder gut zugeredet und ihm die Ungerechtigkeit seines Verhaltens vor Augen gestellt! Und was haben die Freiherrn von der Heydt geantwortet?«

Stefanie wiegte nachdenklich den Kopf. »Sie haben sehr gemessen reagiert. Natürlich haben sie die Einladung für diesmal nicht angenommen. Du mußt bedenken, daß sie sich durch Papas Verhalten sehr gekränkt fühlten und ihr Stolz es verlangt, daß sie ein weiteres Mal gebeten werden, bis sie die Hand zur Versöhnung reichen. Doch sie haben sehr höflich, ja, freundlich geschrieben und ihre Absage damit begründet, daß sie morgen verreisen müßten. Aber Andreas wird kommen.«

Stefanies Augen, die in der eindringlichen dunklen Farbe violetter Veilchen erstrahlten, funkelten förmlich vor Glück.

»Und das sagst du mir erst jetzt? Das ist ja einfach wunderbar! Nun weiß ich es bestimmt: morgen wird ein ganz besonderes Fest! Gute Nacht, schlafe süß, morgen sehen wir uns wieder!« Und anmutig wie eine Elfe die dunklen Locken schüttelnd, schlüpfte das zierliche Persönchen im rosa Nachthemd aus dem Zimmer. Tief und wohlig seufzend blickte Stefanie vom Bett aus in den Park des Herrenhauses, wo die Wipfel der hohen alten Bäume im Wind rauschten. Ja, auch sie fühlte es: alles war zum Besten bestellt, das Glück der Liebe lag greifbar nahe und würde nicht lange auf sich warten lassen. Die Zukunft lag verheißungsvoll vor ihr. Und im Nu war sie mit diesen Gedanken auch schon eingeschlafen.

*

Am nächsten Morgen trafen sich die Hausgäste und der Hausherr am Frühstückstisch wieder, der nach Art des Hauses üppig mit vielerlei Schüsseln gedeckt war. Da gab es Eierspeisen jeglicher Art, Früchte und Fruchtsäfte, vielfältige Arten von Brot, Schinken, Wurst und Käse, Honig, Marmelade und selbstgebackene kleine Küchlein. »Wir haben hier alle Köstlichkeiten des Orients und Okzidents vor uns«, schmunzelte der Onkel, »aber was nützt das alles, wenn die beiden Töchter des Hauses fehlen, die der Tischgesellschaft mit ihrem Zauber erst den richtigen Glanz verleihen?«

»Die beiden Elfen mußt du heute entschuldigen, lieber Schwager«, erklärte der Hausherr, »sie sind bereits um 6 Uhr aufgestanden, um sich den Festvorbereitungen zu widmen. Stefanie führt die Oberaufsicht und kennt da kein Pardon. Alles muß wie am Schnürchen klappen. Und Melanie hat in ihrem Auftrag die Lieferungen für das kalte Büfett im Garten, den Tischschmuck und mancherlei anderes zu überprüfen und zu arrangieren und ihr, als ihr kleiner Adjutant, Bericht zu erstatten.«

Angela von Thun schüttelte bewundernd den Kopf: »Da hast du dir ja in Stefanie eine tüchtige Gutsherrin herangezogen, lieber Bruder. Ihr Fleiß und ihr Sinn für Verantwortung gelten im ganzen Bezirk als sprichwörtlich. Auch Melanie wird in ein paar Jahren in diese Rolle hineingewachsen sein. Und dann kommt, ehe man sich’s versieht, ein junger Mann daher und schnappt sie dir weg.«

Baron von Arnstein schüttelte über die Worte seiner Schwester ein wenig ärgerlich den Kopf, als wollte er derlei Gedanken wie lästige Fliegen verscheuchen.

»Bitte male den Teufel nicht an die Wand, Angelika. Allmählich glaube ich, daß jeder nur eines im Sinn hat: meine Töchter zu verheirateten. Das hat doch nun wirklich noch mindestens zehn Jahre Zeit. Ich will auch noch etwas von meinen Töchtern haben.«

Der gefürchtete Landregen zum Fest war ausgeblieben, und der anbrechende frühherbstliche Septembertag zeigte sich frisch, aber sonnig und trocken, gerade recht für einen Ball mit anschließendem Feuerwerk im Park. Alles stand im Zeichen großer Betriebsamkeit, die aber dank Stefanies umsichtiger Kontrolle niemals in Hektik ausartete. Es wurden noch zahlreiche Hausgäste erwartet, die teils mit dem eigenen Wagen, teils mit der Bahn anreisten und Wert darauf legten, mit der

Kutsche abgeholt zu werden.

*

»Wir dürfen uns auf keinen Fall blamieren«, drang Kutscher Wiebold, der in seiner schmucken goldgetreßten Livree herumstolzierte, in den Stallmeister. »Die gräfliche Familie von Wolfsperg soll mit

dem Rappen-Vierergespann abgeholt werden, während die Großtante unseres Barons, die alte Baronin von Arnstein, Wert darauf legt, mit dem Einspänner und ihrem geliebten Braunen zu fahren.«

»Das weiß ich doch längst, Wiebold. Baronesse Stefanie hat das schon vor ein paar Tagen mit mir

besprochen«, erwiderte der Stallmeister etwas abweisend. Er fand, Wiebold machte sich wieder einmal

allzu wichtig und man müsse ihn

in seine Schranken verweisen: »Schließlich striegeln und putzen die Stallburschen schon seit Tagen, was das Zeug hält!«

»Na, dann ist es ja gut«, nickte ungerührt der Kutscher, »die Pferde und Kutschen sind schließlich unsere Visitenkarte! Und so einen großen Ball zum Erntedankfest für die Herrschaften und solch ein Tanzvergnügen im Garten für das ganze Dorf hat es, wie ich höre, schon seit ewigen Zeiten nicht mehr gegeben!«

Schnell besänftigt antwortete der Stallmeister nachdenklich: »Seit dem tragischen Unfall der gnädigen Frau Baronin hat es nur noch kleinere Festivitäten gegeben, die sich gesellschaftlich nicht umgehen ließen. Ihr Tod war ein schreckliches Ereignis damals vor gut zehn Jahren, gerade am Weihnachtsfest. Der Baron hat den Verlust seiner Frau bis heute nicht verwunden. Sogar die geliebte Tochter Stefanie mußte auf ihren großen Ball zur Einführung in die Gesellschaft verzichten, als sie 18 war. Statt dessen schickte sie der Herr Baron vor drei Jahren nach Wien zu Verwandten, wo sie dann als Debütantin beim Opernball ihren gesellschaftlichen Auftritt hatte.«

»Man kann deutlich sehen, daß der Baron noch heute tief um seine Frau trauert. Wie ist es denn zu dem Unfall gekommen? Ich war damals ja noch nicht in Diensten des Barons.«

Der Stallmeister, ganz im Banne der damaligen Geschehnisse, vergaß, daß er Wiebold eigentlich auf Distanz halten wollte, und erzählte voller Bewegung:

»Die gnädige Frau ließ am 24. Dezember morgens ihre Stute satteln, die schon immer etwas schwierig und unruhig war, an diesem Tag jedoch extrem nervös wirkte. Doch die Baronin hörte nicht auf die Warnungen ihres Gatten und meiner Wenigkeit. Sie war eine ausgezeichnete Reiterin und wollte ins Dorf, um eine Bestellung abzuholen – ein Geschenk für ihren Ehemann. Mitten auf der eisglatten Dorfstraße kam ihr ein Automobil entgegen, am Steuer saß Freiherr von der Heydt. Er verlangsamte die Fahrt, doch hinter ihm tauchte ein Motorradfahrer auf und hupte. Das war natürlich der Anfang vom Ende: von der Heydt wollte der Reiterin ausweichen, aber die Stute scheute heftig und warf die Baronin ab, die schwere Kopfverletzungen erlitt. Man konnte nur noch eine Tote bergen. Seither gibt der Baron dem Freiherrn einen Großteil der Schuld am Tod seiner Frau. Er meinte, von der Heydt hätte aussteigen und die Stute beruhigen müssen oder er hätte zumindest keinen Schritt weiterfahren dürfen. Ich denke, daß ihn jeder Kontakt mit dem Freiherrn an den Tod seiner Frau erinnert. Niemand außer ihm gibt dem Freiherrn die Schuld am Tod der Gräfin, auch die Töchter nicht; die polizeiliche Untersuchung spricht ebenfalls von einem tragischen Unfall. Dennoch sind die Beziehungen eingefroren.«

»Von diesem Bruch weiß hier natürlich jedes Kind. Ich habe aber gehört, daß der ältere Sohn von der Heydt heute kommen wird. Er soll ja zugunsten seines jüngeren Bruders auf sein Erbe, das Landgut Steinroda, verzichtet haben, weil er sich lieber in Wien zum Konzertpianisten ausbilden läßt.«

Der Stallmeister kniff die Lippen zusammen: »Da bist du ja wieder mal bestens informiert, Wiebold. Ja, Andreas von der Heydt hat seinen eigenen Weg eingeschlagen – ein Kummer mehr für seine Eltern, glaube ich, wenngleich der jüngere Bruder das Gut zusammen mit dem Vater hervorragend führt.«

Der Abend des Festes brach herein, die letzten Gäste waren angekommen oder abgeholt worden und erfrischten sich in den ihnen zugewiesenen Gästezimmern. Die Tafel war gedeckt, das Büfett aufgebaut, die Servierkellner standen bereit, und die Musikkapelle war schon dabei, leise die Instrumente zu stimmen. Vorfreude und Aufregung standen auf ihrem Höhepunkt, als Wagen um Wagen, Kutsche um Kutsche auf der breiten Auffahrt durch den Park rollten und ihre Insassen in das weitläufige Schloßrondell entließen. Auf dem Absatz der großen Freitreppe, die zum Festsaal mit seinen weit geöffneten Flügeltüren hinaufführte, standen der Baron und seine Töchter zur Begrüßung der Gäste bereit. Ein buntes, harmonisches Bild bot sich ihren Augen, als die festlich gekleideten Gäste paarweise, zu dritt oder zu viert die Treppe zur Begrüßung hinaufstrebten. Ballkleider in allen Farben und Schattierungen des Regenbogens knisterten und rauschten bei jedem Schritt ihrer Trägerinnen, die am Arm von hochgewachsenen oder auch beleibten Herrn im Smoking dahinschritten. Heiteres Geplauder und Gläserklirren erfüllten die abendliche Atmosphäre.

Doch die schönsten Damen von allen waren Baronesse Stefanie und Baronesse Melanie von Arnstein, darüber herrschte allgemeine Übereinstimmung. Stefanie, die ihr langes blondes Haar gewöhnlich in üppigen Flechten um den Kopf gelegt trug – »eine wahre Krone«, wie Melanie meinte – ließ die schimmernde Haarflut an diesem Abend offen über ihre entblößten Schultern fallen. Ihr Abendkleid aus kobaltblauem feinem Samt – ein Blau, dessen Tönung die Farbe ihrer Augen wiederholte – schmiegte sich eng an ihrer Büste an, schwang jedoch in einem weiten bauschigen Rock aus, der die schmale Taille noch filigraner wirken ließ. Ihre samtige, hauchzart gebräunte Haut ließ den in Brillianten gefaßten Aquamarin an ihrem Hals – ein Erbstück ihrer Mutter – im Glanz der Kerzen erstrahlen.

»Wie schön du bist!« hatten Vater und Schwester bei ihrem Anblick wie aus einem Munde ausgerufen.

Und Stefanie hatte aus freudigem Herzen erwidert: »Und du nicht minder, liebste Melanie. In deinem weißen, silbrig schimmernden Kleid, mit deinen großen dunk­len Augen und der romantisch aufgesteckten dunklen Lockenfrisur mit den Korkenzieherlocken vor den Ohren siehst du aus wie eine der lichten Elfen, die im Mondschein über die Wiesen tanzen! Und du, Papachen, machst eine ungemein elegante und bestechende Figur in Smoking und Kummerbund!«

»Nun, dann können wir uns ja ins Gewühl stürzen«, sagte der Baron zufrieden, der sehr wohl wußte, daß er sich trotz seiner 50 Jahre und seines grauen Haares, seine blitzenden blauen Augen und eine schlanke drahtige Figur erhalten hatte. So stöhnte er nur in komischer Verzweiflung: »Wenn wir bloß schon die Begrüßung hinter uns hätten und uns zu Tisch setzen könnten!«

Und Melanie warf ein: »Nein, viel besser noch: wenn nur schon der Ball beginnen würde!«

*

Schließlich hatte auch die Phase der Begrüßungszeremonien ihr Ende gefunden. Als einer der Letzten eilte Andreas von der Heydt die Freitreppe empor. Stefanie hatte seine schlanke hohe Gestalt und seinen rötlich-blonden Haarschopf schon von weitem erspäht und sah ihn herankommen. Sie war aufgeregt. Ihr Herz begann laut und dumpf zu pochen; ein Pochen, das Worte, Geplauder, Begrüßungen, Menschen wie in einem Traum verschwimmen ließ und in den Hintergrund schob: nur Andreas war da, der sich zum Kuß über ihre Hand beugte und ihr dann ernst und ein wenig traurig in die Augen blickte.

»Endlich sehen wir uns wieder – wie lange ist es schon her?« fragte er eindringlich mit sonorer Stimme.

»Ich, ich... weiß nicht. Einige Jahre jedenfalls, ich habe sie nicht gezählt.«

»Ich schon, Stefanie, ich habe sie gezählt. Wollen wir später darüber sprechen? Versprichst du mir die ersten drei Tänze, nachdem du den Ball mit deinem Vater eröffnet hast?«

Stefanie errötete und nickte. Andreas drückte noch einmal ihre Hand und wandte sich dann dem Baron und Melanie zur Begrüßung zu. Stefanie blickte aus den Augenwinkeln verstohlen zum Vater: er schüttelte Andreas die Hand und hieß ihn sehr freundlich willkommen – wie schön! Mit einem Seufzer der Erleichterung wandte sie sich den letzten Nachzüglern zu.

*

Das Festessen war vorüber, die Sterne funkelten schon am Himmel, die Musiker stimmten den ersten Walzer nach dem Eröffnungstanz an. Stefanie schritt schön und aufrecht in ihrem blauschimmernden Ballkleid durch die Flucht der Säle, um zu überprüfen, ob die Dienerschaft ihren Pflichten genügte und die Gäste zu ihrem Recht kamen.

Da fühlte sie eine Hand auf ihrer Schulter: »Pflichtvergessene Stefanie, du hattest mir doch die ersten Tänze versprochen!«

»Mein Versprechen halte ich auch. Aber es schadet nicht, wenn du dich ein wenig bemühen mußt, mich zu finden!«

»Wenn diese Strenge nur nicht zur Regel wird!« lächelte der junge Mann gutmütig.

Stefanie schüttelte ein wenig unmutig ihre Haarflut, doch dann legte sie anmutig die Hand auf den Arm ihres Tänzers und glitt mit ihm zu den Klängen der »Donauwellen« durch den Saal.

»Du bist immer noch ein blendender Tänzer«, sagte sie nach einer kleinen Pause.

»Und du eine wunderbare Tänzerin«, antwortete Andreas und setzte hinzu: »Weißt du noch, wie schön es war, als wir beide in Wien für den Opernball probten, und wie unvergeßlich der Ball für uns wurde? Damals haben wir über Gott und die Welt geredet, haben nächtelang getanzt und geschwatzt und uns Hals über Kopf verliebt.«

Die Antwort Stefanies klang traurig und vorwurfsvoll: »Das weiß ich sehr wohl und ich habe nichts davon vergessen, aber nachdem ich drei Jahre lang nichts mehr von dir aus Wien gehört habe und ich hier unabkömmlich war, weil ich für Papa die Wirtschaft führen mußte, hatte ich die Hoffnung aufgegeben, dich je wiederzusehen.«

Brüsk hielt Andreas mitten im Tanz inne und sah Stefanie forschend in die Augen: »Was sagst du da? Ich kann nicht glauben, was ich da höre! Du weißt also gar nicht, Liebste, daß mein Vater kurz nach deinem Wien-Aufenthalt, als du wieder nach Arnstein zurückgekehrt warst, schriftlich für mich um deine Hand angehalten hat? Dieser Antrag sollte angesichts des Zerwürfnisses unserer Familien gewissermaßen vorfühlen, ob ich als Schwiegersohn genehm wäre.«

Stefanie stand wie vom Donner gerührt; blaß und sprachlos starrte sie Andreas an, dessen erregter Redestrom sich weiter Bahn brach:

»Doch dein Vater lehnte rundweg und kühl ab: Du seiest nicht volljährig, noch viel zu jung und hättest an einer so frühen Ehe kein Interesse und was dergleichen Gründe noch mehr sind. Und da er ja den Verkehr zu unserem Hause abgebrochen hatte, herrschte von da an noch tieferes Schweigen zwischen uns. Ich dachte, daß auch du hinter diesem Nein standest, und wollte mich nicht aufdrängen.«

Noch immer stand Stefanie wie erstarrt mitten auf der Tanzfläche. Dann, wie in einem jähen Erwachen, ergriff sie resolut seine Hand:

»Komm schnell weg von hier«, flüsterte sie, »wir wollen draußen ungestört sprechen.«

Zielsicher führte sie ihn in eine kleine Laube abseits des Herrenhauses. Umsichtig hatte sie im Vorübergehen ein Windlicht von der Terrasse mitgenommen, das sie nun in der Laube entzündete. Ein kleiner heller Lichtkreis breitete sich im Dunkel aus, so daß die beiden Liebenden einander zumindest in Umrissen oder aus nächster Nähe zu erkennen vermochten.

»Hier können wir in Ruhe reden, ohne gehört zu werden... Ich muß dir gestehen, daß ich nichts von deinem Antrag wußte und entsetzt

bin über das Verhalten meines Vaters, der mich völlig im Ungewissen ließ.«

»Es ist unverzeihlich, so mit seiner Tochter umzugehen«, warf Andreas empört ein.

»Du hast ja recht, Andreas, er hat mir damit sehr viel Kummer bereitet, und dir sicherlich auch. Doch bei näherem Nachdenken kann ich wohl ein gewisses Verständnis für sein Verhalten aufbringen. In den letzten Jahren habe ich nämlich bemerkt, daß er zwar tief um meine Mutter trauert, aber auch langsam, ganz langsam, einzusehen beginnt, daß er in seinem großen Schmerz deinem Vater Unrecht getan hat. Er ringt schon seit einigen Jahren darum, einen Ausweg aus diesem Konflikt zu finden, das habe ich ganz deutlich erkannt. Und mitten in diesem inneren Kampf kam dein Heiratsantrag – damit hat er einfach noch nicht richtig umgehen können, zumal es ihm besonders schwer fällt, einmal Gesagtes wieder zurückzunehmen. In diesen Dingen ist er wirklich recht unflexibel, um nicht zu sagen hilflos.«

Andreas nickte: »So ähnlich sehen meine Eltern und ich sein Verhalten auch, nachdem wir zu unserem Erstaunen nach so vielen Jahren eine Einladung zu diesem Ball erhalten haben. Meine Eltern, mein Bruder und ich sind nur allzu gern bereit, die ausgestreckte Hand auch zu ergreifen.«

»Und die meine wohl dazu?« warf Stefanie lächelnd ein.

Andreas zog sie mit einem glücklichen Seufzer an sich: »Wie schön, daß du mich bereits wieder necken und so warm lachen kannst wie damals in Wien! Jetzt entkommst du mir aber nicht mehr!«

»Weißt du, Andreas«, antwortete Stefanie nachdenklich nach einer kleinen Pause, während sie seine Hand in ihren beiden schlanken, aber festen Händen hielt, »wir dürfen Papa nicht allzu gram sein wegen seines Verhaltens. Ich war zwar soeben furchtbar zornig, als ich von dir hören mußte, daß er es nicht einmal für nötig gehalten hat, mir deinen Antrag mitzuteilen. Aber wir kennen ja die Umstände und wollen ihm verzeihen –, zumal ich dir eines ganz ehrlich gestehen muß: mit meinen achtzehn Jahren wäre ich damals zu einer Ehe wirklich noch nicht bereit gewesen, auch zu einer Ehe mit dir nicht. Du hättest auf jeden Fall ein paar Jahre auf mich warten müssen.«

»Heißt das, du bist jetzt bereit, mich zu heiraten?«

Andreas blickte im Schein des Windlichts tief in Stefanies dunkelblaue Augen: »Violette Veilchen auf dem Grund eines Gletschersees – so sind deine Augen. Von diesen schönen Augen, deinem goldenen Haar, deinem geschwungenen Mund, deiner biegsamen Gestalt habe ich hundertmal geträumt. Und nach deinem feinen und fröhlichen Lachen, deinem stillen Ernst habe ich mich hundertmal gesehnt und bin fast an der Frage verzweifelt, ob ich dich je für mich gewinnen kann.«

Stefanie legte den Finger Schweigen gebietend auf seine schmal geschnittenen Lippen in dem markanten Gesicht unter dem rotblonden Haarschopf, während sie übermütig vor Glück in seine stahlgrauen Augen blickte.

»Küß mich doch einfach«, flüsterte sie, »denn auch ich habe mich so sehr und so lange nach dir gesehnt. Ich habe immer nur auf dich gewartet, so scheint es mir... Ich liebe dich.«

Beide versanken in einer leidenschaftlichen Umarmung. Endlich, nachdem die Liebenden sich satt geküßt hatten, nahm Andreas die schlanken Finger Stefanies in seine beiden Hände und sagte ernst: »Wir lieben uns und haben uns soeben verlobt, liebste Stefanie. Ich denke, wir sollten unsere Verlobung vielleicht gleich heute abend öffentlich verkünden.«

»O nein, nein, Liebster, das wäre für meinenVater eine allzu plötzliche Überrumpelung. Ich werde ihn behutsam darauf vorbereiten, und du wirst sehen, es wird alles gut werden. Denn eines ist sicher: er ist dir wohlgesinnt. Und den Bruch mit deinem Vater will er ja, wie wir wissen, aus freien Stücken kitten. Doch ich kenne ihn nur allzu gut: für einen Sinneswandel braucht er Zeit, viel Zeit, zumal er ja nun seine Verschleierungstaktik aus der Zeit vor drei Jahren zugeben muß. Du kannst mir wirklich vertrauen, ich werde unsere Sache gut führen. Am besten wird es sein, du verhältst dich still und wartest, bis ich dir ein Zeichen gebe.«

»Da ich dir nun einmal nichts abschlagen kann, bin ich einverstanden, wenngleich mir eine sofortige öffentliche Verlobung weit lieber wäre. Doch sei’s drum, betrachten wir uns also zunächst als heimlich verlobt. Du weißt ja, was das Volkslied sagt: kein Feuer, keine Kohle kann brennen so heiß…«

»Als heimliche Liebe, von der niemand nichts weiß«, fuhr Stefanie fort und küßte noch einmal den geliebten Mann, nach dem sie sich so sehr gesehnt hatte.

Andreas flüsterte ihr ins Ohr: »Laß mich nicht allzu lange warten mit der Mitteilung an deinen Vater und seiner Zustimmung! Weißt du auch, daß du da viel von mir verlangst? Ich möchte, daß wir so bald wie möglich heiraten!«

»Ja, ich weiß es, Liebster, und ich denke ebenso, gebe aber zu bedenken, daß auch du in den nächsten Monaten alle Hände voll zu tun haben wirst, um deine Prüfungen als Konzertpianist abzulegen. Bis dahin schlage ich vor: Funkstille. Ich werde mich dann – nachdem ich meinen Vater für uns gewonnen habe – sofort an dich wenden, allerdings nur unter einer Bedingung…«

»Schon gewährt.«

»... daß du nämlich die nächsten Tänze auch mir schenkst!«

Und lachend und plaudernd und sich an den Händen haltend liefen die beiden zurück in den Ballsaal.

*

Eine frühe zarte Morgenröte zeigte sich schon am Horizont, als die letzten müden Ballbesucher Schloß Arnstein verließen. Stefanie hatte noch letzte Anweisungen für das Personal für den nächsten Tag gegeben, bevor auch sie sich zur Ruhe begab. Von der Schwester hatte sie während der gesamten Ballnacht nur hier und da einen Blick erhascht, während sie selbst selig und selbstvergessen zu den einschmeichelnden Klängen der Musik mit Andreas dahinschwebte. Und der Vater hatte sich nach einigen Tänzen zu einer Partie Whist mit seinen Freunden in der Bibliothek niedergelassen. Am Tag nach dem Ball wurde das Frühstück auf den Mittag verlegt. Doch schon um 10 Uhr klopfte Melanie an Stefanies Tür. »Bist du schon wach, Stefanie? Darf ich schon stören?«

»Aber natürlich, Schwesterchen, komm nur herein!«

Und wie gewohnt kuschelte sich die jüngere Schwester an die ältere, um munter draufloszuplaudern.

»Stefanie, mein erster Ball war ja so herrlich! Das schöne Kleid hat mir viel Glück gebracht! Ich habe bei keinem einzigen Tanz Mauerblümchen gespielt und viele Komplimente bekommen.«

Stefanie lächelte: »Das weiß ich wohl, kleiner Irrwisch. Ich sah dich von einem Arm in den anderen fliegen und wie eine Feder übers Parkett gleiten und wirbeln. Als ich mich überzeugt hatte, daß du dich gut amüsierst, war ich beruhigt und habe nicht weiter auf dich geachtet. Man könnte auch sagen: ich habe dich deinem Schicksal überlassen.

»Da sprichst du ein großes Wort gelassen aus, liebe Stephanie – vielleicht habe ich mein Schicksal gestern schon getroffen, und du hast es gar nicht bemerkt, denn du konntest ja deine Augen kaum mehr von Andreas wenden! Fast jeden Tanz hast du mit ihm getanzt, außer den paar Pflichttänzen, die du unbedingt absolvieren mußtest. Ich wußte es ja: du bist in ihn verliebt!«

Stefanie seufzte verträumt. »Ja, das ist wahr. Bald erzähle ich dir alles darüber. Ich will nur erst mit Papa sprechen. Du mußt aber absolutes Stillschweigen wahren!«

»So ernst ist es also. Die Folgen, die das alles mit sich bringen wird, machen mir schon ein wenig Angst. Dein Geheimnis ist jedenfalls gut bei mir aufgehoben. Doch jetzt will ich dir auch ein Geheimnis von mir anvertrauen: ich habe mich ebenfalls unsterblich verliebt!«

Stefanie lächelte. »Wie du bereits zart angedeutet hast. Aber das ist in deinem Alter und bei deinem ersten Ball auch ganz richtig so – nur solltest du in einem Ballflirt nicht gleich die große Liebe sehen. Wer ist denn der Glückliche?«

»Alexander von Wolfsperg – er ist einfach unvergleichlich!«

»Ja, das kann ich mir vorstellen. Er sieht sehr exotisch aus mit seinen tiefschwarzen Haaren und der Adlernase – fast wie ein orientalischer Prinz aus tausendundeiner Nacht.«

»Sein Aussehen spielt dabei aber nicht die Hauptrolle, das darfst du mir glauben! Er sieht zwar hinreißend aus, aber dabei ist er so reizend, so klug und so faszinierend! Er hat mir viel vom Gut seiner Eltern an der Mosel erzählt, das er jetzt fast ganz selbständig führt. Er kann sich so herrlich begeistern und alles so gut erklären..., und in mich hat er sich auch gleich verliebt, hat er mir gesagt.«

»Nur gut, daß die Wolfspergs einige Wochen bei uns zu Gast sein werden, da könnt ihr euch besser kennenlernen. Doch ich warne dich: je näher man sich kommt, desto klarer sieht man auch die Fehler des anderen. In diesem Falle darf man nicht allzu enttäuscht sein – das gehört zum Leben. Und auch eine Jugendliebe muß nicht unbedingt für das ganze Leben halten.«

Melanies Augen blitzten: »Ach, Stefanie, wie langweilig, nun höre ich die weise, lebenserfahrene ältere Schwester aus dir sprechen, die mich vor Enttäuschungen bewahren will. Laß mich doch einfach glücklich sein, zumal du es doch auch bist!«

Stefanie schlug mit gespieltem Entsetzen die Hände zusammen: »Da bin ich wieder mal die Spielverderberin, nicht wahr? Das ist an diesem Tag wirklich unverzeihlich, und ich will dich zur Versöhnung gleich mit einer guten Nachricht trösten: wie ich höre, ist Alexander ein ausgezeichneter Reiter, der sogar an großen Turnieren teilnimmt. Da wird er begeistert sein, mit Dir ausreiten zu können. Ich denke, ihr habt schöne Herbsttage vor euch.«

»Ach, ich bin ja heut so glücklich – so glücklich wie noch nie!« jauchzte Melanie und bewarf ihre Schwester übermütig mit Kissen, um ihrer überschäumenden Gefühle Herr zu werden. Eine lustige Kissenschlacht begann, die erst endete, als beide erschöpft nebeneinander aufs Bett fielen und nach Luft rangen.

»Auch ich war viele Jahre nicht so übermütig und fröhlich«, sagte Stefanie, »doch jetzt fühle ich: der Weg zum Glück steht mir offen!«

*

Einige Monate waren ins Land gegangen, und Stefanie hatte es noch nicht übers Herz gebracht, mit ihrem Vater über ihre heimliche Verlobung mit Andreas von der Heydt zu sprechen.

»Jetzt befindet sich gerade die Weinbereitung in ihrer wichtigsten Phase, das Getreide muß geliefert und abgerechnet werden und vieles andere mehr. Ich warte mit meinen Enthüllungen, bis es ruhiger wird, etwa im Dezember«, nahm sie sich vor.