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Über die Autorin

Kim Phuc Phan Thi besucht überall auf der Welt Hunderte von Veranstaltungen jedes Jahr. Ihr Einsatz für Frieden und Versöhnung zwischen den Völkern wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet. So erhielt sie sechs Ehrendoktortitel für die Arbeit ihrer Stiftung The KIM Foundation International, die sich weltweit für Kinder in Kriegsgebieten einsetzt.

Sie war außerdem bei der Gründung von Restoring Heroes Foundation beteiligt. Dies ist eine Organisation, die Angehörigen des Militärs und Ersthelfern Zugang zu medizinischer Versorgung nach den neuesten medizinischen Kenntnissen verschafft, wenn sie verletzt wurden, schmerzende Narben haben, Verbrennungen erlitten haben oder Amputationen benötigen.

Kim ist mit Toan verheiratet, die beiden leben in der Nähe von Toronto und haben zwei erwachsene Söhne, Thomas und Stephen.

Inhalt

Einführung: Krieg und Frieden

Karte von Indochina mit Nord- und Südvietnam und den Nachbarländern

Vorwort: Sehnsucht nach glatter Haut

TEIL EINS: BRENNENDER KÖRPER

Kapitel 1: Krieg? Was für ein Krieg?

Kapitel 2: Befehl eines Soldaten

Kapitel 3: „Heiß! Heiß!“

Kapitel 4: Im Leichenhaus

Kapitel 5: Knapp überlebt

Kapitel 6: Der Fluch, anders zu sein

Kapitel 7: Wieder auf der Flucht

Kapitel 8: Endlich – der Krieg ist vorbei

Kapitel 9: Alles geht wieder von vorne los

Kapitel 10: Abschied – für immer?

TEIL ZWEI: AUSGEBEUTETES LEBEN

Kapitel 11: Spannende Entwicklungen

Kapitel 12: Es ist genug

Kapitel 13: Hinwendung zu meinem neuen Gott

Kapitel 14: Not in allen Bereichen

Kapitel 15: Dringend benötigte Hilfe

Kapitel 16: Geliebter Onkel Dong

Kapitel 17: Eine ungewollte Reise

Kapitel 18: Nichts, was mich hier hält

Kapitel 19: Ist das jetzt besser?

TEIL DreI: NACH FRIEDEN STREBEN

Kapitel 20: Nach der Hochzeitsreise

Kapitel 21: Wunder über Wunder

Kapitel 22: Weiter so, Gott, weiter so

Kapitel 23: Alle Ängste ablegen

Kapitel 24: Acht Pfund Vollkommenheit

Kapitel 25: Er bahnt den Weg

Kapitel 26: Zeit des Vergebens

TEIL VIER: VERSÖHNT

Kapitel 27: Wieder vereint

Kapitel 28: Rundum behütet

Kapitel 29: Bevor es besser wird, wird es schlimmer

Kapitel 30: Entblößte Narben

Kapitel 31: Endlich Frieden

Nachwort: An der Hoffnung festhalten

Dank

Bildteil

Anmerkungen

Für meine drei Familien …

Für meine Eltern und Geschwister, deren Barmherzigkeit und Fürsorge das Leiden eines kleinen Mädchens erträglicher machten.

Für meinen Mann und meine Söhne, meine Schwiegertochter und meinen Enkelsohn. Eure bedingungslose Liebe heilt mich jeden Tag ein bisschen mehr.

Für meine wunderbare Faithway-Baptist-Church-Familie. Durch eure Gebete kann ich auf meinem Lebensweg Schritt für Schritt vorangehen.

Einführung

Krieg und Frieden

Vorbemerkungen an meine Leserinnen und Leser

Seit mindestens zehn Jahren träume ich schon von diesem Buch – vielleicht sogar noch länger. Doch weil meine zwei kleinen Kinder damals noch meine volle Aufmerksamkeit beanspruchten, verdrängte ich diese Sehnsucht, meine Geschichte aufzuschreiben und mit anderen zu teilen. Mir fehlten die Ruhe und der freie Kopf für ein so großes Projekt. „Wenn die Kinder erst einmal älter sind, kümmere ich mich um meinen Traum“, sagte ich mir damals – eine Einstellung, die viele Mütter kennen dürften. Jetzt sind meine zwei Söhne groß und ich lasse meinen Traum Wirklichkeit werden.

Denise Chong schrieb bereits ein Buch über meine Geschichte, das 1999 unter dem Titel The Girl in the Picture1 erschien. Sehr anschaulich und detailliert erklärt sie darin die Hintergründe des Vietnamkrieges, der mein Leben so massiv verändert hat, und natürlich die Umstände, unter denen das berühmte Foto von mir entstanden ist. Frau Chong hat sehr sorgfältig gearbeitet und alle Fakten präzise recherchiert. Doch hinter all diesen Fakten gibt es noch eine Geschichte, die sie nicht erzählt hat. Es ist die Geschichte hinter der Geschichte. Die Geschichte, die Gott anfing mit mir zu schreiben, lange bevor ich ihn in mein Leben eingeladen hatte. Es ist die Geschichte, wie er mich jahrzehntelang Schritt für Schritt unendlich liebevoll geführt hat, bis ich irgendwann direkt in seinen Armen landete.

Genau diese Geschichte möchte ich hier erzählen. Ich will von Gottes großer Treue erzählen in einer Zeit, in der ich vor lauter Angst wie betäubt und blind für ihn war. Ich will davon erzählen, wie er liebevoll für mich sorgte, als ich schutzlos und hungrig war. Ich will davon erzählen, wie er mir selbst dann noch nachging, als ich davon überzeugt war, für immer ein Schattendasein am Rande der Gesellschaft führen zu müssen. Vor allem aber will ich von seinem Frieden erzählen, „der all unser Verstehen übersteigt“, wie es in Philipper 4,7 steht. Von dem Frieden, der unser Herz und unseren Verstand bewahrt und uns tiefe Geborgenheit schenkt in der Gemeinschaft mit Jesus Christus. Natürlich sehnte ich mich zunächst nach Heilung für meinen Körper und nach einer neuen Hoffnung für meine Zukunft, aber am schmerzlichsten sehnte ich mich nach Frieden für meine geplagte Seele. Frieden! Wahren Frieden. Über diesen Frieden möchte ich schreiben, denn er spielt die zentrale Rolle auf meinem langen Weg der inneren Heilung.

Verzweifelt habe ich ihn gesucht und durch viele Wunder irgendwann tatsächlich gefunden. Seitdem ist dieser Frieden für mich das höchste Gut. Mein ganzes Leben und jede einzelne Situation darin möchte ich von diesem Frieden bestimmen lassen. An jedem neuen Tag möchte ich mich ganz bewusst von Gott mit ihm beschenken lassen. Er soll mein Denken, mein Fühlen, mein Handeln und mein Arbeiten bestimmen. Ich will ihn in meinem Herzen tragen, wo auch immer ich hingehe, und ich will ihn an jeden Menschen weitergeben, dem ich begegne.

Falls Sie in diesem Buch eine tiefgehende, kritische Stellungnahme über den Vietnamkrieg und seine Folgen erwarten, muss ich Sie leider enttäuschen. Natürlich gab es Zeiten in meinem Leben, in denen ich mich intensiv mit dem Thema Krieg auseinandergesetzt habe, und es gibt Stellen im Buch, die auf meine Überlegungen von jener Zeit zurückgreifen. Aber in den rund vierzig Jahren, die seit meinen persönlichen Kriegserfahrungen inzwischen vergangen sind, beschäftigte und faszinierte mich ein anderes Thema viel mehr als der Krieg: der Frieden. Inzwischen bin ich wirklich davon überzeugt, dass die intensive Auseinandersetzung mit wahrem Frieden die unterschiedlichen Menschen und Völkergruppen viel eher vereinen und versöhnt miteinander leben lassen kann als jede noch so gründliche Aufarbeitung und Analyse der Schrecken des Krieges. Wenn wir unseren Fokus auf den Frieden ausrichten und selbst zu Boten des Friedens werden, lösen sich manche Probleme von ganz alleine.

Mein größter Wunsch ist deshalb, dass auch Sie, liebe Leser, diesen Frieden finden, den ich gefunden habe. Es gäbe kein größeres Geschenk für mich, als wenn wir uns eines Tages irgendwo vielleicht einmal persönlich begegnen und Sie zu mir sagen würden: „Durch Ihre Worte habe ich selbst Frieden gefunden.“

Nun möchte ich Ihnen vorab noch etwas erklären, ehe ich Sie endlich meine Geschichte lesen lasse. Manchmal habe ich mir beim Schreiben dieses Buches gewünscht, ich könnte mich noch besser an die Ereignisse erinnern, die mittlerweile vierzig Jahre zurückliegen. Doch während ich versucht habe, all diese schrecklichen Szenen noch einmal für Sie zu rekapitulieren, kam mir folgender Gedanke: Vielleicht ist es auch Gnade, dass ich nicht mehr alles weiß und Gott über manche Dinge den heilsamen Schleier des Vergessens gelegt hat. So blieb mir nichts anderes übrig, als meine Geschichte auf jenen Erinnerungen aufzubauen, zu denen ich noch einen Zugang hatte. Es kann gut sein, dass sie sich in manchen Punkten von dem unterscheiden, was in den vielen anderen verbreiteten Versionen meiner Geschichte erzählt wurde. Diese Unstimmigkeiten tun mir leid, sind aufgrund meiner zutiefst subjektiven Wahrnehmung jedoch leider nicht vermeidbar. Dennoch sollen Sie wissen, dass ich nach bestem Wissen und Gewissen versucht habe, ein ehrliches und möglichst realistisches Bild der Ereignisse damals zu zeichnen – und dass ich hinter jedem Wort stehe, das in diesem Buch geschrieben steht.

Nord- und Südvietnam samt der entmilitarisierten Zone und den Nachbarländern China, Laos, Thailand, Kambodscha, den Städten Phnom Penh, Tây Ninh, Trang Bàng, Cu Chi und Saigon (seit 1976: Ho-Chi-Minh-Stadt) und dem Südchinesischen Meer.

Meine Lieben, wundert euch nicht über die harte Probe, die wie ein Feuersturm über euch gekommen ist. Sie kann euch nicht unerwartet treffen; denn ihr leidet ja nur etwas von dem mit, was Christus gelitten hat. Freut euch vielmehr darüber, denn wenn er in seiner Herrlichkeit erscheint, werdet ihr erst recht von Freude und Jubel erfüllt sein.

1. Petrus 4,12-13 (Gute Nachricht Bibel)

Der Vernünftige strebt nach Schmerzlosigkeit, nicht nach Genuss.

Aristoteles

Vorwort

Sehnsucht nach glatter Haut

Februar 2016

Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich mich jemals daran gewöhnen werde.

Eigentlich sollte ich mich über das andere Klima freuen. In Florida weht stets ein sanfter Wind, es herrschen das ganze Jahr über angenehm warme bis heiße Temperaturen und die Sonne scheint fast jeden Tag. Trotzdem fiel es mir wieder einmal schwer, unser Zuhause in Kanada zu verlassen. Als ich mit meinem Mann Toan in Miami das Flugzeug verlasse, fühlt es sich an, als sei ich mitten in einem heißen Backofen gelandet. Die Narben, die ich seit über vierzig Jahren an meinem Körper trage, reagieren heftig auf die warmen Temperaturen. Im winterlichen Toronto war meine Haut straff und fest, hier wird sie durch die Wärme und Luftfeuchtigkeit gedehnt – und das ist immer mit starken Schmerzen verbunden.

Aber es ist nicht nur die Wärme, die mir Sorgen bereitet, sondern auch das, was vor mir liegt.

Zahlreiche Reporter von unterschiedlichen Medien erwarten mich. Ich nehme all meinen Mut zusammen, stelle mich den vielen Mikrofonen und grüße jeden höflich, dessen Blick ich treffe. Ich lächle und möchte sie spüren lassen, was ich empfinde – trotz aller Schmerzen: Frieden. Nichts als Frieden. Im Terminal folgt eine kurze Pressekonferenz, dann werde ich zu einem wartenden Auto geführt. Es wird uns zu dem Hotel bringen, in dem wir jedes Mal unterkommen, wenn ich für meine Behandlung nach Florida fliege.

„Wie geht es Ihnen heute, Kim?“, haben die Journalisten gefragt. „Werden diese Behandlungen Ihre Verletzungen komplett heilen können?“, war eine weitere Frage. Während der etwa zwanzigminütigen Fahrt zu unserer Unterkunft denke ich über diese Fragen nach. Wie geht es mir? Wenn ich das wüsste. Und bringt das hier überhaupt etwas? Ehrlich gesagt bin ich mir gar nicht so sicher. Ich darf nicht über das Resultat nachdenken, solange nicht alle sieben Behandlungen abgeschlossen sind, ermahne ich mich selbst. Dabei kann ich den Gedanken nicht unterdrücken, dass ich von dem, was bis jetzt erreicht wurde, enttäuscht bin. „Wir machen einfach weiter!“, habe ich den Reportern am Flughafen zugerufen und kämpferisch meine Faust in die Luft gereckt. „Ich vertraue darauf, dass meine Haut wieder ganz weich werden wird!“

Am nächsten Morgen werden Toan und ich zur Klinik von Dr. Jill Waibel gebracht, der Dermatologin, die meine Narben behandelt. Auch hier lauern schon die Journalisten. Sie können es kaum erwarten, Neues zu erfahren: Kann ich den bisherigen Erfolg der Behandlungen genau beschreiben? Was verspreche ich mir von der heutigen Behandlung? Wie lange werde ich dieses Mal unter Narkose sein? Wie schmerzhaft wird Dr. Jills Vorgehen sein?

Ich zwinge mich zu einem Lächeln, während ich auf die letzte Frage antworte: „Selbst die stärksten Medikamente können nur rund dreißig Prozent des Schmerzes unterdrücken. Die restlichen siebzig Prozent muss ich aushalten. Sie müssen sich das so vorstellen, als würde man mich auf einen Grill legen und so lange erhitzen, bis ich fast tot bin.“

Das ist die grausame Wahrheit. Denn das Ziel dieser Behandlung ist es, meine Brandnarben zum Heilen anzuregen, indem die gesamte vernarbte Hautfläche erneut durch die feinen Laserstrahlen verbrannt wird. Während dieser langwierigen Prozedur werden meiner vernarbten Haut Tausende mikroskopisch kleine Wunden zugefügt. Man hofft, so die Durchblutung dieser Hautflächen wieder anzuregen und die Selbstheilungskräfte zu reaktivieren.

„Es geht nicht anders, Kim“, hatte Dr. Jill bei unserem ersten Gespräch vor fast einem Jahr erklärt. „Das wird wehtun, aber der Schmerz hat einen Sinn.“

In den letzten acht Monaten war ich fünf Mal in Miami. Heute versuche ich, dem fröhlichen Plaudern der Journalisten im Foyer des Krankenhauses keine Beachtung zu schenken. Sie unterhalten sich über existenziell wichtige Dinge wie die neusten Rohkosttrends und die leckersten Sandwiches, die sie zuletzt gegessen haben.

Ich will mich darauf konzentrieren, warum ich heute hier bin: Kim, sage ich mir, dieser Tag heute wird dich deiner Heilung einen ganzen Schritt näher bringen. Der Schmerz hat einen Sinn. Er bewirkt etwas Gutes. Ich gehe ins Vorbereitungszimmer und schlüpfe in das OP-Hemd, das mir die Krankenschwester gegeben hat. Dann lege ich mich auf die kalte, graue Liege. Ich atme tief ein und versuche, gegen das ängstliche Zittern anzukämpfen, das mich immer in diesen Augenblicken kurz vor der Behandlung überkommt. Auch wenn ich gerade anders fühle, entscheide ich mich, den Worten von Dr. Jill Glauben zu schenken: Der Schmerz hat einen Sinn.

TEIL EINS:
BRENNENDER KÖRPER