3Timm Beichelt

Ersatzspielfelder

Zum Verhältnis von Fußball und Macht

Suhrkamp

7Vorwort

»Warum«, fragt Michael Eder in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 13. Februar 2018 und damit während der Winterspiele im südkoreanischen Pyeongchang, »ist Olympia in der Krise? Doping, ja. Die alten Korruptionsgeschichten, klar. Die Nähe zu den Autokraten. Die große Koalition mit den Sponsoren, die Geldmacherei, die fehlende Nachhaltigkeit […], die ausufernde Gier, die Überheblichkeit. Es ist eine lange Liste.« In der Tat. Wer aber, gerade im Vorfeld einer Weltmeisterschaft in Russland, auf den Fußball blickt, muss eine andere Frage stellen: Warum ist der Fußball nicht in der Krise? Gewiss nicht wegen der Abwesenheit von Korruption, Autokraten, Sponsoren oder Geldgier. Auch Doping und fehlende Nachhaltigkeit sind dem Fußball vielfach nachgesagt und nachgewiesen worden.

Was unterscheidet also den nach wie vor prosperierenden Fußball von den Olympischen Spielen, die sich offenbar in der Krise befinden? Die Antwort auf diese Frage findet sich nach meinem Ermessen nicht in der viel beschworenen Faszination des Fußballs als Spiel. Sportliche Ästhetik — die »Lobpreisung athletischer Schönheit« (Gumbrecht 2006) — findet sich ebenso in anderen Sportarten, und es ließe sich lange diskutieren, ob nicht der Eiskunstlauf anmutiger ist, die olympischen Snowboard-Wettbewerbe athletischer sind und das Eishockey einem authentischeren Männlichkeitsideal folgt als der Fußball.

Ich vertrete in diesem Buch dagegen eine soziologische These: In Deutschland besteht der Unterschied zwischen 8dem (professionellen Männer-)Fußball und (fast) allen anderen Sportarten darin, dass die Akteure, die sich im Feld des Fußballs bewegen, über hinreichende Macht verfügen, um die eigene Position im gesellschaftlichen Gefüge abzusichern. Diese Macht ist nicht politisch in einem engen, institutionellen Sinn. Vielmehr speist sie sich aus sozialen Quellen, ist symbolischer, diskursiver und natürlich nicht zuletzt materieller Natur. Damit ergeben sich Konsequenzen für all jene Subjekte, die nicht dem unmittelbaren Feld des Fußballs angehören. Diskurse und Symbole aus der Welt des Fußballs gewinnen auch in der weiteren Gesellschaft an Relevanz, dort umgesetzte Geschäfte berühren die Gesamtwirtschaft, und zwar in erheblichem Maße.

Selbst wenn die Machtquellen des Männerfußballs keinen politischen Charakter aufweisen, so kommen politische Akteure nicht umhin, sich mit den gesellschaftlichen Konsequenzen des Fußballs auseinanderzusetzen: Je größer seine gesellschaftliche Relevanz, desto größer ist der Bedarf an fußballbezogener Politik. Politisch legitimierte Machthaber treten dann in Beziehung zu Machthabern im Fußball, die ihre Machtansprüche mit symbolischen und materiellen Ressourcen begründen. Von diesem Herrschaftsgeflecht, das unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche betrifft und zu einem guten Teil transnational organisiert ist, handelt das vorliegende Buch. Dabei gilt mein Hauptinteresse dem deutschen Fußball, es finden sich aber auch Kapitel zum Machtgeflecht des Fußballs auf internationaler Ebene, zur politischen Funktion der französischen Nationalmannschaft und zur Verankerung des russischen Fußballs in der Politik des Landes.

Die in diesem Buch vorgenommene Fokussierung auf den Männerfußball soll nicht als Abwertung des profes9sionellen Frauenfußballs verstanden werden. Vielmehr trage ich damit der Tatsache Rechnung, dass sich die im Laufe des Buches angesprochenen Herrschaftsverflechtungen, ein wesentlicher Teil der einschlägigen Literatur sowie die öffentliche Wahrnehmung des Sports vor allem auf den Männerfußball konzentrieren. Inwieweit sich analoge Praktiken auch im Frauenfußball wiederfinden und welche Interaktionen zwischen beiden Sphären bestehen, wäre Gegenstand einer eigenen Arbeit.

Was politische und ökonomische Herrschaft angeht, so sind sich (in Demokratien) die meisten Beobachter einig, dass sie kontrolliert werden müssen. Die Einhegung politischer Machthaber geschieht durch Gegengewalten, z. ‌B. durch politische Opposition, Gerichte oder Medien. Ebenso gehört ökonomische Macht begrenzt, jedenfalls wenn man den meisten satisfaktionsfähigen Denkschulen folgt. Kartellbehörden, der Steuer- und auch der Wohlfahrtsstaat sind Instrumente, die einer Konzentration wirtschaftlicher Macht entgegenwirken oder wenigstens entgegenwirken sollen. Es herrscht zwar wenig Übereinstimmung hinsichtlich der Frage, wie gut dies gelingt. Aber dass ungebremste wirtschaftliche Macht negative Effekte auf das Gemeinwohl hat, ist spätestens seit der letzten globalen Finanzkrise kaum noch strittig.

Doch wie verhält es sich mit diskursiver und symbolischer Macht? Gilt auch für sie, dass ihre Träger kontrolliert und zurückgedrängt gehören? Eindeutige Haltungen gibt es hier nur punktuell. In Demokratien, so die Position der liberalen Demokratietheorie, habe generell das Primat der freien Rede zu gelten. Die kritische Diskurstheorie wendet dagegen ein, ein Übermaß an »Äquivalenzen«, d. ‌h. gleichgerichteten Interessen und Forde10rungen, könne zu hegemonialen Zuständen führen, in dem sich einzelne »Essenzialitäten« (Standpunkte) durchsetzen und zu einer Hegemonialkonstellation führen, die sodann die politische und soziale Gleichheit gefährden (Laclau/Mouffe 1985).

Auch wenn es vielleicht zu weit greift, dem Diskurs des Fußballs eine hegemoniale Rolle zuzuschreiben, so sind seine antiegalitären Tendenzen deutlich zu erkennen. In kaum einem anderen gesellschaftlichen Bereich geht es so häufig wie hier darum, die gegnerische Mannschaft zu besiegen — gewinnen kann eben nur einer. Kritiker einzelner Praktiken des Fußballs werden ausgegrenzt und als systemische Störenfriede hingestellt. Doping, das die Gleichheit der sportlichen Voraussetzungen kategorisch infrage stellt, wird systematisch totgeschwiegen. Und Weltmeisterschaften werden an Orte mit dem größten wirtschaftlichen Potenzial und nicht an Orte mit der größtmöglichen politischen Gleichheit vergeben. Das Potenzial für eine umfassende Kritik des Fußballs existiert zweifellos.

In dieses Bild passt eine weitere Eigenschaft des Fußballs, die sich auch auf das vorliegende Buch ausgewirkt hat. Die (sozialen, diskursiven, materiellen) Machthaber im Feld des Fußballs schotten sich in einem Maße von außenstehenden Beobachtern ab, das ich zu Beginn meiner Arbeit nicht für möglich gehalten hätte. Auf fast alle meine Rechercheanfragen an Vereine oder Verbände erhielt ich die Antwort, wissenschaftliche Anliegen könne man aus Kapazitätsgründen leider nicht berücksichtigen — auf die restlichen erhielt ich gar keine Reaktion. Deshalb stütze ich mich im Verlauf des Buches häufig auf Quellen, die normalerweise vor der innerwissenschaftlichen Qualitätskontrolle nicht bestehen. Renommierte deutsche Me11dien wie Der Spiegel, Frankfurter Allgemeine oder Süddeutsche Zeitung waren noch das geringere Problem, da hier redaktionsinterne Mechanismen zur Qualitätssicherung unterstellt werden können; Gleiches gilt für die herangezogenen Internetauftritte von ARD (tagesschau.de) und ZDF (zdf.de/sport). Weniger eindeutig ist dies bei privat betriebenen Internetseiten, noch problematischer bei internationalen Foren, die kein Impressum besitzen. Wikipedia — das wegen der Vielzahl der Einträge für mich unverzichtbar war — habe ich immer in mehreren Sprachversionen genutzt und die konkreten Stellen im Text sowie in einer eigenen Bibliografie markiert. Obwohl ich mich um größtmögliche Sorgfalt bemüht habe, kann ich an vielen Stellen letztlich nur hoffen, dass ich nicht auf unzutreffende oder veraltete Informationen zurückgegriffen habe.

Bei den Recherchen, und nicht nur hier, waren eine Reihe von Personen behilflich, denen ich an dieser Stelle herzlich danken möchte. Manuel Normann hat mit großer Umsicht eine Vielzahl an editorischen Aufgaben übernommen. Piotr Franz hat Recherchen insbesondere zum russischen Fußball unternommen und ist in manchem Geschäftsbericht auf empirische Daten gestoßen, die einen Verzicht auf unsicherere Quellen möglich machten. Martin Schewe war mir bei der Bewertung der wirtschaftlichen Aktivitäten des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) behilflich. Matthias Rebentisch hat mich über die Kompetenzgrenzen von Polizei und Staatsanwaltschaft in (privat betriebenen) Fußballstadien aufgeklärt. Obgleich mir alle Genannten meine Fragen erschöpfend beantwortet haben, werden sich inhaltliche Fehler und Ungenauigkeiten eingeschlichen haben. Für diese bin allein ich verantwort12lich. Danken möchte ich auch Heinrich Geiselberger und besonders Christian Heilbronn, die mich beim Suhrkamp Verlag exzellent betreut haben.

Frankfurt (Oder), im Februar 2018