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Innovation im Staat

Vier E-Government-Fallstudien

Universität Hamburg

Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften

Dissertation

Zur Erlangung der Würde des Doktors der

Wirtschafts- und Sozialwissenschaften

(gemäß der PromO vom 24. August.2010)

vorgelegt von

Andreas Kirstein

aus Salzgitter-Lebenstedt

Hamburg, den 1.3.2018

Vorsitzende: Professor Dr. Daniela Rastetter, Universität Hamburg
Erstgutachter: Professor Dr. Florian Schramm, Universität Hamburg
Zweitgutachter: Professor Dr. Leonhard Hajen, Universität Hamburg

Datum der Disputation: 3. November 2016

Danksagung

Diese Arbeit wurde von vielen Menschen durch die Zeit getragen.

Ich möchte mich zuerst bei meinem Erstgutachter Professor Dr. Florian Schramm bedanken. Er hat nach meiner Masterarbeit auch die Betreuung dieser Forschungsarbeit übernommen. Dabei stand sein Interesse am wissenschaftlichen Fortschritt im Vordergrund. Er hat mir die benötigte Forschungsfreiheit gegeben und mich nicht disziplinär eingeengt. Besonders möchte ich auch meinem Zweitgutachter Professor Dr. Leonhard Hajen danken. Er war genau zur richtigen Zeit bereit, Verantwortung und Arbeit unkompliziert wie sachkundig zu übernehmen.

Freundschaftlich danke ich Professor Dr. Tino Schuppan. Er hat viel versucht und nach Jahren auch gezweifelt, aber dennoch einen Weg geöffnet. Ein weiterer großer Dank geht an Professor Dr. Klaus Lenk. Er hat mir in einer tiefen Sackgasse einen Weg gezeigt und mich unbeirrt durch unebenes Terrain begleitet. Sehr persönlicher Dank geht an Eike Richter. Die inspirierenden Gespräche im Zug von und nach Berlin waren eine große Unterstützung. Du hast immer zugehört, wenn ich nicht mehr weiterwusste.

@Kirsten! Die gesamte Ehezeit hast du mit meiner Dissertation geteilt. DANKE für die Geduld in anstrengender Zeit.

Levin mein Sohn: „Papa muss nun nicht mehr jeden Abend arbeiten.“ Und an meine Eltern: „Ich habe es geschafft! Schade, dass ihr es nicht mehr erleben könnt.“

All meinen Freunden danke ich, dass sie mich trotz langer gedanklicher Abwesenheit immer unterstützt haben.

Inhaltsübersicht

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Teil A: Einleitung, Gütekriterien und Fallauswahl

Teil B: Erster Forschungsschritt: Das Innovationsobjekt

Teil C: Zweiter Forschungsschritt: Exploration

Teil D: Dritter Forschungsschritt: Interaktionsanalyse (Idee und Zugang) 92

Teil E: Vierter Forschungsschritt: Policy-Lernen (Ideendurchsetzung)

Teil F: Ergebnis

Anhang

Fallbeschreibung 1+2: KFZ-WESEN I+II

Fallbeschreibung 3: METROPOLREGION

Fallbeschreibung 4: VEMAGS

Quellenverzeichnis

Zusammenfassung

abstract

Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Teil A: Einleitung, Gütekriterien und Fallauswahl

1 Einleitung

1.1 Problembeschreibung

1.2 Überblick zum Forschungsablauf

1.3 Struktur der Arbeit

2 Forschungsqualität

2.1 Reflexion der eigenen Rolle im Forschungsprozess

2.2 Gütekriterien der Arbeit

3 Fallübersicht

3.1 Fallauswahl

3.2 Kurzdarstellung Kfz-Wesen I+II

3.3 Kurzdarstellung METROPOLREGION

3.4 Kurzdarstellung VEMAGS

Teil B: Erster Forschungsschritt: Das Innovationsobjekt

4 Einordnung: „Vernetzte“ Verwaltungsverfahren als Innovationsobjekt

4.1 „Vernetzte“ Verwaltungsverfahren

4.1.1 Akteurskonstellationen
4.1.2 Transaktionskosten - Leistungstiefe - Gewährleistungsstaat
4.1.3 Modulbildung

4.2 Innovation von vernetzten Verwaltungsverfahren

4.2.1 Innovationsverständnis
4.2.2 Innovationsphasen und -arten
4.2.3 Innovations- und Konflikthöhe
4.2.4 Barrieren in Innovationsprozessen

4.3 Zusammenfassung „Vernetzung“ und Innovationsperspektive

Teil C: Zweiter Forschungsschritt: Exploration

5 Analyse der Fallverläufe

5.1 Methodologie: Grounded Theory

5.2 Datenerhebung: Inhalt und Methode

5.2.1 Dokumentenauswertung
5.2.2 Teilnehmende Beobachtung
5.2.3 Sekundärliteratur
5.2.4 Interviews

5.3 Sensibilisierendes Konzept

5.4 Datenauswertung: Fallbeschreibung und Kodierung

5.4.1 Fallbeschreibung
5.4.2 Kodierprozess

5.5 Ergebnis der explorativen Analyse

Teil D: Dritter Forschungsschritt: Interaktionsanalyse (Idee und Zugang) 92

6 Untersuchung der Phasen Ideengenerierung und Zugang

6.1 Phase Ideengenerierung

6.1.1 Ideengenerierung in den Fällen KFZ-Wesen I+II
6.1.2 Ideengenerierung im Fall Metropolregion
6.1.3 Ideengenerierung im Fall VEMAGS
6.1.4 Fallübergreifende Zusammenfassung Phase Ideengenerierung 96
6.1.5 Analyseergebnis der Phase Ideengenerierung:

6.2 Phase Zugang

6.2.1 Analyse der Ausgangslage
6.2.2 Institutioneller Kontext
6.2.3 Akteure
6.2.4 Akteurskonstellationen und Interaktionsformen
6.2.4.1 Probleme von Verhandlungen
6.2.4.2 Verhandlungstypen
6.2.5 Interaktionsformen und institutioneller Kontext
6.2.6 Zusammenfassung

6.3 Anwendung des Akteurszentrierten-Institutionalismus

6.3.1 Maßgeblichen Akteure und deren Konstellationen
6.3.2 Fachakteure und ihr Handlungspotential
6.3.2.1 Beschreibung der Fachakteure
6.3.2.2 institutionelle Analyse der Fachakteure
6.3.3 Kommunen und ihr Handlungspotential
6.3.3.1 Beschreibung der Kommunen
6.3.3.2 Institutionelle Analyse der Kommunen
6.3.4 Unternehmen und ihr Handlungspotential
6.3.4.1 Beschreibung der Unternehmen
6.3.4.2 Institutionelle Analyse der Unternehmen
6.3.5 Modernisierungsakteure und ihr Handlungspotential
6.3.5.1 Beschreibung der Modernisierungsakteure
6.3.5.2 Institutionelle Analyse der Modernisierungsakteure
6.3.6 Interaktionen der Akteure

6.4 Fallbezogene Analyse der Phase Zugang

6.4.1 Phase Zugang in den Fällen Kfz-Wesen I und II
6.4.2 Phase Zugang im Fall Metropolregion
6.4.3 Phase Zugang im Fall VEMAGS:

6.5 Fallübergreifendes Analyseergebnis der Phase Zugang

Teil E: Vierter Forschungsschritt: Policy-Lernen (Ideendurchsetzung)

7 Untersuchung der Phase Ideendurchsetzung

7.1 Analyse der Ausgangslage

7.2 Drei Annahmen für das Advocacy-Coalition-Framework

7.2.1 Lernzeiträume
7.2.2 Policy-Subsysteme
7.2.3 Advocacy-Coalitions
7.2.4 Analyserahmen Ideendurchsetzung (Policy-Wandel)

7.3 Anwendung des Advocacy-Coalition-Frameworks

7.3.1 Advocacy-Coalitions im Politikfeld Modernisierung
7.3.2 Ideendurchsetzung in den Fällen KFZ-Wesen I+II
7.3.2.1 Externe Machtverschiebung im Fall Kfz-Wesen I+II
7.3.2.2 Lernprozesse im Fall Kfz-Wesen I+II
7.3.3 Ideendurchsetzung im Fall Metropolregion
7.3.3.1 Externe Machtverschiebung im Fall Metropolregion
7.3.3.2 Lernprozesse im Fall Metropolregion
7.3.4 Ideendurchsetzung im Fall VEMAGS
7.3.4.1 Externe Machtverschiebung im Fall VEMAGS
7.3.4.2 Lernprozesse im Fall VEMAGS
7.3.5 Ideendurchsetzung fallübergreifende Analyse
7.3.5.1 Externe Machtverschiebung: Fallübergreifende Analyse
7.3.5.2 Lernprozesse: Fallübergreifende Analyse
7.3.6 Zusammenfassendes Ergebnis

Teil F: Ergebnis

8 Ergebnis der Arbeit

8.1 Reichweite der Ergebnisse

8.2 Handeln im Kontext von Hyperinterdependenz

8.3 Überlegungen für das Innovationsmanagement

8.3.1 Phase 1: Ideengenerierung
8.3.2 Phase 2: Zugang
8.3.3 Phase 3: Ideendurchsetzung
8.3.4 Zusammenfassende Empfehlung

8.4 Epilog

Anhang

1 Falldarstellung

Fallbeschreibung 1+2: KFZ-WESEN I+II

2 Kfz-Wesen I+II (Fall 1+2)

2.1 Überblick Fall Kfz-Wesen

2.2 Innovationsverlauf Fall Kfz-Wesen I+II

2.2.1 Ideengenerierung im Kfz-Wesen I - Jahre 2001-2003
2.2.2 Zugangsverhandlung Kfz-Wesen I - Jahre 2003-2004
2.2.3 Ideengenerierung Kfz-Wesen II - Jahre 2005-2006
2.2.4 Zugangsverhandlung – Jahre 2008–2009
2.2.5 Ideendurchsetzung – Jahre 2010 - 2012
2.2.6 Ideenrealisierung – ab dem Jahr 2013

Fallbeschreibung 3: METROPOLREGION

3 Metropolregion (Fall 3)

3.1 Überblick Fall Metropolregion

3.2 Innovationsverlauf Fall Metropolregion

3.2.1 Ideengenerierung – Jahre 1999 - 2003
3.2.2 Zugang und Ideendurchsetzung – Jahre 2003 - 2007
3.2.3 Ideenrealisierung – Jahre 2007 - 2009

Fallbeschreibung 4: VEMAGS

4 VEMAGS (Fall 4)

4.1 Überblick Fall VEMAGS

4.2 Innovationsverlauf Fall VEMAGS

4.2.1 Ideengenerierung – Jahre 1990 - 2004
4.2.2 Zugangsverhandlung – Jahr 2004
4.2.3 Ideendurchsetzung – Jahr 2005-2006
4.2.4 Ideenrealisierung – Jahr 2006-2007
4.2.5 Routinisierung – ab dem Jahr 2008

Quellenverzeichnis

Zusammenfassung

abstract

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 1 – Die vier Forschungsschritte

Abbildung 2 – Struktur der Arbeit

Abbildung 3 – Zeitliche Einordnung der Fälle

Abbildung 4 – Veränderungsneigung im Fall Kfz-Wesen I+II

Abbildung 5 – Veränderungsneigung im Fall Metropolregion

Abbildung 6 - Veränderungsneigung im Fall VEMAGS

Abbildung 7 – Kfz-Zulassung: Modularisierung und Auslagerung

Abbildung 8 – Innovationsphasen

Abbildung 9 – Zusammenhang zwischen Innovationsfähigkeit und Vernetzungsgrad

Abbildung 10 – Untersuchte Innovationsphasen

Abbildung 11 – Untersuchte Innovationsphase

Abbildung 12 – Zusätzliche Innovationsphasen

Abbildung 13 – Interaktionsorientiertes Policy-Modell

Abbildung 14 - Verhandlungsmatrix

Abbildung 15 – Prozedurale Dimension von Verhandlungen

Abbildung 16 – Strukturen für Verhandlungen

Abbildung 17 – Fragestellungen zur Interaktionsanalyse

Abbildung 18 – Akteure und Konstellationen

Abbildung 19 – Maßgebliche Akteure im Fachinnovationssystem

Abbildung 20 – Akteure und Gremien im Entscheidungssystem

Abbildung 21 – Fachentscheidungssystem Verkehr und maßgebliche Akteure

Abbildung 22 – Gemeinsame Projekte bei Deutschland-Online

Abbildung 23 – Organisation Deutschland-Online im Jahr 2003

Abbildung 24 – Organisation von Deutschland-Online im Jahr 2006

Abbildung 25 – Akteure und Konstellationen

Abbildung 26 – Auszahlungsmatrix für E-Government und Fachseite

Abbildung 27 - Umsetzung der gesamten Reform möglich?

Abbildung 28 - Umsetzung des Zugangs möglich?

Abbildung 29 - Politischer Druck und mögliches Ergebnis

Abbildung 30 – Untersuchte Innovationsphase

Abbildung 31 – Ablaufdiagramm des ACF in der Version von 1993

Abbildung 32 – „belief-system“ und Beharrung

Abbildung 33 - Ideendurchsetzung im Advocacy-Coalition-Framework

Abbildung 34 – Fall Kfz-Wesen – Veränderte „cognitiv map“ zum Projektende

Abbildung 35 – Fall Metropolregion „cognitiv map“ nach Projektende

Abbildung 36 – Fall VEMAGS – „cognitiv map“ nach Projektende

Abbildung 37 – Ursachen für die Ideendurchsetzung

Abbildung 38 – Aufwand für Reformen

Abbildung 39 - Hyperinterdependenz

Abbildung 40 – Phasenmodell für die Innovation im Staat

Abbildung 41 – Maßgebliche Akteure im Innovationszeitraum im Fall Kfz-Wesen

Abbildung 42 – Fall Kfz-Wesen – „cognitiv map“ zum Projektbeginn

Abbildung 43 - Akteure und Interessenlagen im Kfz-Wesen

Abbildung 44 – Protokollauszug der 15. Sitzung der Staatssekretärs-Runde

Abbildung 45 – Deutschland-Online Kfz-Wesen Teil I im Review-Bericht

Abbildung 46 – Projektstruktur Kfz-Wesen II in den Jahren 2006-2008

Abbildung 47 – Projektstruktur Kfz-Wesen II ab 2009

Abbildung 48 – Mitglieder der Banken-AG

Abbildung 49 – Kfz-Wesen II beim 11. E-Government Wettbewerb

Abbildung 50 – Neue Stempelplaketten und Siegel für die Online-Zulassung

Abbildung 51 – CeBIT 2013 - Übergabe Kfz-Wesen II von Hamburg an das BMVBS

Abbildung 52 –BMVI – Werbung für die internetbasierte Kfz-Zulassung

Abbildung 53 – Vorgänge bei einem Wohnortwechsel in der Metropolregion

Abbildung 54 – Maßgebliche Akteure im Fall Metropolregion

Abbildung 55 – Geographische Grenzen der Metropolregion Hamburg

Abbildung 56 – Fall Metropolregion – „cognitiv map“ zum Projektbeginn

Abbildung 57 – Projektorganisation für die Erstellung der BSL-Studie

Abbildung 58 – Empfehlung der Gutachter zum Einbezug des Kfz-Wesens

Abbildung 59 – Bevollmächtigten Modell

Abbildung 60 – Metropolregion: Gewinner des 4. eGovernment-Wettbewerbs

Abbildung 61 – Projektstruktur im Fall Metropolregion im Jahr 2003

Abbildung 62 – Projektorganisation Metropolregion ab dem Jahr 2005

Abbildung 63 - Kfz-Fachverfahrensadapter in der Metropolregion

Abbildung 64 – Empfehlung der Gutachter zum Einbezug des Kfz-Wesens

Abbildung 65 – Abschlussveranstaltung Metropolregion

Abbildung 66 – Maßgebliche Akteure im Fall VEMAGS

Abbildung 67 – VEMAGS: Beteiligte – Kommunikationswege - Verfahrensablauf

Abbildung 68 – Fall VEMAGS – „cognitiv map“ zum Projektbeginn“

Abbildung 69 – Umsetzungsorganisation von VEMAGS

Abbildung 70 – Betriebsorganisation von VEMAGS

TABELLENVERZEICHNIS

Tabelle 1 – Klassische Gütekriterien auf qualitative Arbeit bezogen

Tabelle 2 – Übersicht der möglichen Fälle – Bürgerdienste nach Aktionsplan

Tabelle 3 – Fallübergreifender Überblick wichtiger Merkmale

Tabelle 4 - Qualitative Dimensionen für den Innovationsgrad im E-Government

Tabelle 5 - Auflistung der geführten Interviews

Tabelle 6 – Heuristischer Rahmen für die Exploration

Tabelle 7 – Komplexe Akteure und deren Handlungsmöglichkeiten

Tabelle 8 – Institutioneller Kontext und Interaktionsformen

Tabelle 9 – Analyse Handlungspotential

Tabelle 10 – Institutionelle Bedingungen der ministeriellen Fachakteure

Tabelle 11 – Institutionelle Bedingungen für Kommunen

Tabelle 12 – Institutionelle Bedingungen für Unternehmen

Tabelle 13 – Institutionelle Bedingungen für E-Government-Akteure

Tabelle 14 – „belief-system“ und Veränderungsresistenz

Tabelle 15 – Analyserahmen Machtverschiebung

Tabelle 16 – Analyserahmen Lernprozesse

Tabelle 17 – Reformereignisse im Kfz-Zulassungsbereich - Jahre 2000 - 2008

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

AK Andreas Kirstein
Anm. Anmerkung
BLFA-Fz Bund-Länder-Fachausschuss Fahrzeugzulassung
BMeldDÜV Bundesmeldedatenübermittlungsverordnung
CeBIT Centrum für Büroautomation, Informationstechnologie und Telekommunikation
EG Europäische Gemeinschaft
et al. et alteri (und andere)
EU Europäische Union
f bzw. ff folgend bzw. fortfolgend
GKVS Gemeinsamen Konferenz der Verkehrs- und Straßenbauabteilungsleiter; Vorgänger der Verkehrsabteilungsleiterkonferenz (VALK)
IT Informationstechnologie
KBA Kraftfahrt-Bundesamt
Kfz Kraftfahrzeug
KOM Europäische Kommission
MRRG Melderechtsrahmengesetz
n.N. Nomen nominandum, Platzhalter für eine (noch) unbekannte Person
NRW Nord-Rhein-Westfalen
OSCI Online Services Computer Interface
PDF Portable-Document-Format
QeS Qualifizierte elektronische Signatur
StVZO Straßenverkehrszulassungsverordnung
u.a. unter anderem
vgl. vergleiche
VMK Verkehrsministerkonferenz
z.B. zum Beispiel

TEIL A:

EINLEITUNG, GÜTEKRITERIEN UND FALLAUSWAHL

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Von 2003 bis 2013 wurden von den Regierungschefs aus Bund und Ländern mehrere E-Government-Vorhaben initiiert, die alle föderalen Ebenen umfassten. Zieladressat war ein Großteil der bundesdeutschen Bevölkerung. Der finanzielle Aufwand für die Projekte betrug jeweils mehrere Millionen Euro, doch nur wenige Vorhaben waren erfolgreich. Die Ursachen für das Ergebnis sind bisher wenig erforscht.

In dieser Arbeit wird der Innovationsverlauf von vier der Vorhaben nachgezeichnet und analysiert. Die Fallrekonstruktionen basieren auf rund 4.000 ausgewerteten Dokumenten, Interviews und Sekundärliteratur zu den Fällen. Zwei der untersuchten Vorhaben waren erfolgreich, zwei sind gescheitert. Ziel ist die Erforschung von Gründen und Mechanismen, die Verlauf und Ergebnis erklären helfen. Nach einer Einordnung der Vorhaben in das Innovationsmanagement im Staat wird zur Erforschung der bisher unbekannten Zusammenhänge zunächst die Grounded-Theory-Methodologie genutzt. Sich aus der Exploration ergebende Folgefragen werden mit den Policy-Konzepten des Akteurszentrierten-Institutionalismus (Scharpf 2006) und des Advocacy-Coalition-Frameworks (Sabatier 1993) angegangen. Abschließend werden die Befunde zusammengefasst und Empfehlungen für die Innovation im Staat gegeben.

1 Einleitung

1.1 Problembeschreibung

„E-Government kommt in Deutschland viel zu langsam voran“ (Fromm et al. 2015a:3), so Dr. Johannes Ludewig, Vorsitzender des Nationalen Normenkontrollrats. Vorhandene E-Government-Angebote würden zudem kaum genutzt, da sie kompliziert zu handhaben seien und kaum Mehrwert bringen. Ein Einsparpotential von rund drei Milliarden Euro pro Jahr bliebe damit ungehoben (vgl. a.a.O.: 5)1. Zur Lösung der „E-Government-Krise“ wird in dem vom Normenkontrollrat in Auftrag gegebenen Bericht unter anderem vorgeschlagen, die IT-Standardisierung zu verbessern, die Finanzierung durch Bund und Länder zu gewährleisten, politisch stärker zu unterstützen und die Anwendungen attraktiver zu gestalten (vgl. Fromm et al. 2015a:24ff). Diese Lücke zwischen dem vermuteten Potenzial und seiner tatsächlichen Ausschöpfung sowie Lösungsansätze zur Überwindung dieses Gaps werden seit über einem Jahrzehnt thematisiert (vgl. beispielhaft KGST 2006, Niemeier 2006, Winkel 2006:9ff, Grabow 2006, Bernhard/ Zink 2008). Bei der Diskussion fällt auf, dass der konkrete Umsetzungsverlauf von E-Government-Vorhaben bisher kaum thematisiert wurde. Diese offensichtliche Fehlstelle2 soll hier geschlossen werden. Es wird gezeigt, welche Mechanismen die Attraktivität von E-Government Vorhaben im Laufe eines Vorhabens (auch negativ) beeinflussen, an welcher Stelle politische Unterstützung wirken kann und wie es so gelingen kann, auch tiefgreifende Innovationen voran zu bringen.

Konkret beginnt die Arbeit mit der empirischen Beobachtung, dass Bund-Länder-Projekte - hier insbesondere aus dem Aktionsplan Deutschland-Online – oftmals hinter den Erwartungen der Initiatoren zurückbleiben.

Übergreifendes Strukturmerkmal dieser Vorhaben war deren interorganisationale und intersektorale Verbundstruktur und ihre Einfassung in mehrere Verwaltungs- und Steuerungsebenen. Einige der Vorhaben wurden auf Länderebene und einige unter dem Dach der nationalen E-Government-Strategie „Deutschland-Online“ gestartet. Sie waren jeweils auf drei Jahre Projektlaufzeit angelegt und versprachen eine hohe Reformrendite3. Eingebettet sind die betrachteten E-Government-Projekte in einen Zeitraum, in dem auf nationaler Ebene zwei Interessengruppen um die Definitionshoheit über die Staatsmodernisierung gerungen haben. Auf der einen Seite gruppierten sich die tendenziell konservativen Fachakteure mit ihren eingespielten verwaltungspolitischen Handlungssystemen. Auf der anderen Seite standen Akteure, die sich um das Leitbild E-Government zentrierten. Diese zielten darauf ab, Verwaltungsverfahren mittels Informationstechnologie effizienter und insbesondere adressatengerechter zu gestalten (vgl. Karger/ Rüß/ Scheidt 2011:186). Aus dieser Konstellation ergaben sich zwischen Fach- und Modernisierungsakteuren Spannungen auf unterschiedlichen Ebenen im föderalen Kontext. Denn die ab den 1960er Jahren in der öffentlichen Verwaltung intensiv eingesetzte Informationstechnologie (vgl. Lenk 2011a:316) hatte bis zum Jahr 2001 eher unterstützenden und weniger gestaltenden Charakter. Doch innerhalb einer kurzen Zeitspanne änderte sich die Situation. Die E-Government-Akteure bekamen politisch verankerten Auftrieb. Dazu trugen die aus England adaptierte Initiative „BundOnline-2005“ im Jahr 2000, die Konstituierung der nationalen Staatssekretärsrunde E-Government im Jahr 2001 und deren Strategieplan-Deutschland-Online im Jahr 2003 bei. Umfangreiche Ressourcen wurden für die durch Informationstechnologie getriebene Modernisierung des Staates bereitgestellt. So wurde der Finanzbedarf für die Initiative BundOnline-2005 für die Jahre 2002 bis 2005 auf 1,4 Milliarden Euro geschätzt und die zu erzielende Einsparung auf 400 Millionen Euro pro Folgejahr. (Vgl. Bundesministerium des Innern 2003a Pressemitteilung, 2004a Prospekt zu Deutschland-Online) Erstmalig wurde versucht, die Modernisierung der Verwaltung großflächig dem Leitbild E-Government unterzuordnen. In vielen Fachpublikationen forderten Wissenschaftler und Fachjournalisten eine vernetzte Verwaltung (vgl. als ein Beispiel GI/VDE 2000), in der Ablaufprozesse vor Ablaufstrukturen (vgl. Lenk 2004a:101ff) gehen und Organisations- sowie Zuständigkeitsgrenzen zu überwinden wären. Mit diesen weitgehenden Veränderungsideen haben die Regierungschefs von Bund und Ländern ab dem Jahr 2003 die Modernisierung nationaler Register- und Antragsverfahren4 druckvoll initiiert.

Doch diese Forderungen kollidierten insbesondere mit dem seit über 200 Jahren gefestigten Ressortprinzip der Verwaltung, wonach unter anderem jeder Minister seinen Geschäftsbereich eigenständig verantwortet. Die bis dahin inhaltlich weitgehend eigenständig handelnden Fachbereiche wurden so nachdrücklich mit neuen und insbesondere politisch unterstützten Reformideen konfrontiert.

Trotz guter finanzieller und politischer Unterstützung gingen nur wenige dieser Vorhaben in den operativen Betrieb oder wurden weit unterhalb der anfänglichen Projektziele als umgesetzt klassifiziert. Zu beobachten ist, dass solche gescheiterten öffentlichen Projekte in der Tendenz „leise“ eingestellt und danach vergessen werden. Gleichwohl müsste ein großes Interesse an den Mechanismen für Erfolg oder Misserfolg bestehen, weil die Vorhaben oft Millionenbeträge verbrauchen und personelle Ressourcen sowie Reformwillen der Verwaltung „aufzehren“. Das mit Ihnen verbundene Modernisierungspotential bleibt zudem ungenutzt.

Verwaltungsinterne Evaluationen zu den Projektschwierigkeiten von Deutschland-Online haben die Umsetzungsprobleme bisher nur gekennzeichnet, aber nicht ausreichend analysiert (vgl. als eine der wenigen verwaltungsinternen Analysen den Bericht des KoopA ADV 2005). In der Wissenschaft wurden die Ursachen überwiegend in einer zu knappen Ressourcenausstattung, nicht ausreichenden Dialogstrukturen zwischen Fach- und EGovernment-Seite5 (vgl. Kubicek/ Wind 2005a,b; Wind 2011:13) und einer überwiegend auf Technik fokussierten Herangehensweise (vgl. Brüggemeier 2011) gesehen. Bisher ist aber nicht hinreichend erforscht, wie die Projektverläufe zu erklären sind.

Wissenschaftlich knüpft die Arbeit zunächst bei Überlegungen an, die sich mit der Innovation im Staat befassen6. Schliesky et al. (2010) diskutieren dazu im Rahmen eines so genannten staatlichen Innovationsmanagements Ursachen des Scheiterns von Reformvorhaben in der Verwaltung. Als dazu notwendiges Forschungsprogramm formulieren sie:

Aufgabe einer „Innovationsforschung“ muss es nämlich auch (und gerade) sein, negative und Risikofaktoren staatlicher Innovation zu identifizieren, um für zukünftige Anwendungsfälle ein Innovationsmanagement [...] unter Berücksichtigung verwaltungsspezifischer Besonderheiten bereitstellen zu können. (Schliesky et al. 2010:43)

Mit der Auswahl der Deutschland-Online-Vorhaben7 konzentriert sich die Arbeit insbesondere auf Strukturierung und Gestaltung der Innovation im Staat im Kontext föderaler Interessen. Grundsätzliches Ziel ist dabei, Verlauf und Ergebnis solcher Innovationsvorhaben zu erklären und damit zum besseren Verständnis der Innovation im Staat beizutragen.

1.2 Überblick zum Forschungsablauf

Um den Verlauf der Vorhaben zu verstehen, die Ursachen für die Projektergebnisse aufzuklären und damit die skizzierte Forschungslücke zu schließen, wurden vier Forschungsschritte durchgeführt

Abbildung 1 – Die vier Forschungsschritte

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Quelle: eigene Darstellung

Im ersten Schritt werden der Modernisierungsgegenstand beschrieben und Erkenntnisse aus der öffentlichen, betrieblichen und sektoralen Innovationsforschung darauf bezogen. Daran anschließend erfolgt im zweiten Forschungsschritt die Analyse der maßgeblichen Ursachen der Innovationsverläufe. Der explorativ angelegte und in rekursiven8 Schritten durchgeführte Forschungsschritt zwei bildet aus Erkenntnissicht die Ausgangsbasis der Arbeit. Forschungsschritt drei und vier bauen darauf auf. Aufgrund der bisher sehr zurückhaltenden Forschungslage wurden Methoden der Grounded-Theory-Methodologie (vgl. Glaser/ Strauss 1984;1998;2010)9 für den Erkenntnisgewinn gewählt. Empirische Grundlage sind vier E-Government-Vorhaben, die repräsentativ für ähnliche Fälle stehen. Für die Analyse wurden die Projekte in ihrem Verlauf detailliert rekonstruiert. Dadurch konnten wichtige Einzelereignisse identifiziert sowie erst über die Zeit sichtbare Wirkungslinien nachgezeichnet werden.

Um als Leser dem Forschungsverlauf gut folgen zu können, sollen hier zwei strukturelle Herausforderungen beim Schreiben der Arbeit verdeutlicht werden. Hervorzuheben ist dazu das Spannungsverhältnis einerseits zwischen dem rekursiven und damit umfangreichen und „kurvigen“ Forschungsverlauf und andererseits der Notwendigkeit, den Forschungsbericht linear und stringent zu gestalten. Um dieses Ziel zu erreichen musste entschieden werden, welche Forschungsüberlegungen in welchem Umfang Eingang in die Arbeit finden. Diese Überlegungen beziehen sich zum einen auf die Rekonstruktion der Fälle und deren Kodierung. Denn die Erkenntnisse der explorativen Fallanalyse haben sich durch einen mehrfach durchlaufenden rekursiven Prozess ergeben. Dabei wurden unter Berücksichtigung von Literaturerkenntnissen und empirischen Studien die Fälle zunächst einzeln auf interne Kausalitätspfade und Wirkmechanismen hin untersucht und anschließend wiederholt zueinander abgeglichen (kodiert).10 Im Ergebnis wurde die nacherzählte Geschichte der Fälle mehrfach um arrangiert, wurden Bedeutungsgewichte verschoben und bestimmte Entwicklungen durch neue Details ergänzt. Zudem wurden aufgrund zunehmender Einsichten zuvor bedeutende Gegebenheiten unwichtiger und deshalb innerhalb der Erzählung nach hinten gesetzt oder entfernt. Um den Forschungsbericht nun möglichst straff zu halten, sind die Vorversionen der Fallrekonstruktion nicht dargestellt. Stattdessen werden im Teil C nur die Ergebnisse der explorativen Analyse ausgeführt und daran orientiert die Fälle im Anhang konsistent nacherzählt.

Zum anderen haben sich neben der Fallentwicklung auch die einzelnen Forschungsschritte rekursiv gestaltet. Konkret hat sich das Forschungsvorgehen im zeitlichen Verlauf vorwärts und rückwärts beeinflusst, so dass die einzelnen Forschungsschritte gegenseitige Bezüge aufweisen und sich so prozesshaft konkretisierten.

Der dritte und vierte Forschungsschritt (Teil D und E) greift jeweils jene Fragen auf, die sich aus der explorativen Analyse ergeben haben und die sich insbesondere auf die spezifischen Mechanismen der Ideendurchsetzung im föderalen Kontext beziehen. Um diese Fragen zu beantworten, kamen Instrumente der Policy-Analyse zum Einsatz. Aus-gangspunkt für die Wahl dieser Forschungsansätze ist die Einbettung der Fachverfahren in die föderale und damit auch politisch geformte Entscheidungsstruktur. Solcherart Vorhaben – zumal auf nationaler Ebene - werden nicht von einem unitaristischen Akteur unter einer einheitlichen Leitung produziert. Stattdessen erfolgen Veränderungen im föderalen Kontext organisationsübergreifend und die Veränderungshoheit ist durch das rechtlich gesetzte Ressortprinzip weitgehend festgelegt.

Organisationsübergreifend bedeutet dabei, dass die Entscheidung zur Modernisierung und das Resultat überwiegend Ergebnis strategischer Interaktionen einer Vielzahl politischer Akteure ist (vgl. Wiesenthal 2002:60). Diese Akteure haben jeweils ein eigenes Verständnis von der Natur des Problems und der Realisierbarkeit bestimmter Lösungen. Zudem sind sie je mit individuellen und institutionellen Eigeninteressen sowie normativen Präferenzen und Handlungsressourcen ausgestattet (vgl. Scharpf 2006:34). Weiterhin haben die föderalen Akteure im Mehrebenensystem (vgl. Benz 2003) institutionell verankerte Vetorechte11 (vgl. Tsebelis 1995) und vertikale Ausgleichsansprüche im Rahmen der Konnexität (vgl. Henneke 2011). Diese Bedingungen ermöglichen einzelnen Beteiligten umfangreiche Handlungsspielräume – insbesondere die zur Nichtmodernisierung. Aus diesen Rahmenbedingungen entsteht eine Konstellation, in der keiner der Akteure die alleinigen und notwendigen Handlungsressourcen für die Veränderung der Fachverfahren hat. Die Ideendurchsetzung erfordert so – oft im Verhandlungswege - den Einbezug von unterschiedlichen Interessen und Ressourcen über die Grenzen von Organisationen, Verwaltungsebenen und Sektoren hinweg.

Das Ressortprinzip wiederum definiert die zuvor adressierte Verhandlungsarena als einen geschlossenen Ort, zu dem nur die Entscheidungsträger des jeweiligen Politikfeldes institutionelle Zugangsrechte haben (vgl. Schliesky/ Schulz 2010:112ff). Der Zugang zu diesem Verhandlungssystem der Fachakteure ist damit von hoher Bedeutung, um den Innovationsideen Geltung zu verschaffen. Der Zugang ist aber nicht selbstverständlich, sondern muss „erkämpft“ werden.

Für die dargestellte Ausgangssituation bieten sich zwei Konzepte der Policy-Analyse mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung an. Im Forschungsschritt drei werden zunächst die Interaktionen für den Zugang zu den Verhandlungsarenen beschrieben. Dafür eignet sich der Akteurszentrierte-Institutionalismus (vgl. Mayntz/ Scharpf 1995; Scharpf 2006). Mit diesem Ansatz ist es insbesondere möglich, punktuelle Policy-Änderungen auf Basis einer bestimmten Akteurskonstellation vereinfachend in einer Spielematrix darzustellen. Der Akteurszentrierte-Institutionalismus ist aber in Bezug auf die beobachteten zeitlich getragenen Präferenzänderungen der Akteure zu statisch (vgl. Trampusch 2011). Um Veränderungen in den Handlungspräferenzen der Akteure über die Zeit zu erklären, wird im Forschungsschritt vier das Advocacy-Coalition-Framework (Sabatier 1993; Weible et al. 2011) genutzt. Sabatier geht in seinem Ansatz von Veränderungszeiträumen von rund zehn Jahren aus, in denen ein Policy-Wandel entweder durch Lerneffekte von und zwischen so genannten Advocacy-Coalitions oder durch externe Machtverschiebung eintritt. Der Ansatz ist damit zum einen geeignet, die langen Zeiträume der Vorhaben aufzunehmen und zum anderen, Präferenzänderungen auf Lernprozesse hin zu untersuchen.

Ergebniserwartung

Das erwartete Forschungsergebnis beruht auf der qualitativen Analyse von vier Fällen. Ziel ist es, das Projektergebnis der betrachteten Fälle konsistent zu erklären und damit allgemein Prognosen über den Verlauf solcher Innovationsvorhaben zu ermöglichen. Forschungsabschließend wird das Ergebnis in die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Innovation im Staat eingeordnet. Dabei ist es im Sinne einer anwendungsorientierten Forschung akzeptiert, der Praxis normativ geprägtes Orientierungswissen und Handlungsempfehlungen zu geben (vgl. Wrona 2005:9). Die gewonnenen Erkenntnisse können so dazu dienen, das Management wichtiger Einflussfaktoren effizienter und effektiver zu gestalten.

Zur Qualitätssicherung wird die Arbeit anhand von Gütekriterien qualitativer Sozialforschung (vgl. Steinke 2010) gespiegelt.

1.3 Struktur der Arbeit

Im TEIL A der Arbeit wird das konkrete Problem dargestellt, wonach einerseits bestimmte E-Government-Projekte im Mehrebenenkontext scheitern und andererseits die Mechanismen dafür bisher nicht hinreichend erforscht sind. Es folgt die Anknüpfung an das Innovationsmanagement und die Darstellung der Forschungsfrage. Anschließend wird das Forschungsvorgehen beschrieben, gefolgt von der Reflexion der eigenen Rolle im Forschungsprozess und der Spiegelung der Arbeit an den Gütekriterien qualitativer Sozialforschung (vgl. Steinke 2010). Die Auswahl der Fälle und deren inhaltliche Kurzdarstellung schließen den Teil A ab.

Die Teile B, C, D, E sind den vier Forschungsschritten der Arbeit gewidmet. Zunächst werden dazu im Teil B (Um was geht es?) Überlegungen zum Modernisierungsgegenstand dargelegt und Bezüge zur Innovationsforschung hergestellt. Teil C (Was ist das Kernproblem?) widmet sich der explorativen Fallanalyse. Dazu werden zunächst die Grounded-Theory-Methodologie und die eingesetzten Methoden knapp dargestellt. Den Abschluss bilden die Kernergebnisse der Exploration. Im Teil D (Wie beginnt die Innovation?) werden die zwei in direkter Abhängigkeit stehenden Innovationsphasen Ideengenerierung und Zugang beschrieben. Während die Analyse der Phase Ideengenerierung direkt aus der Fallbeobachtung erfolgt, werden Erkenntnisse für die Phase Zugang über den Ansatz des Akteurszentrierten-Institutionalismus (Scharpf 2006) bezogen. Insbesondere wird dabei das Handlungspotential der beteiligten Akteure erarbeitet und anschließend spieltheoretisch analysiert. Der konkrete Bezug der Ergebnisse auf die Fälle schließt den Teil ab. Es folgt im Teil E (Wie setzt sich die Innovation durch?) die Darstellung der Innovationsphase Ideendurchsetzung. Hier steht die Analyse des Policy-Wandels Im Vordergrund. Mit Hilfe des Advocacy-Coalition-Frameworks (Sabatier 1993) werden Anhaltspunkte für Lernprozesse und externe Machtverschiebungen in den Fällen gesucht. Die Anwendung des entwickelten Analyserahmens auf die Fälle beendet diesen Teil. Abschließend dient Teil F dazu, das Gesamtergebnis darzustellen und in die Innovationsforschung einzuordnen.

Die Forschungsarbeit intensiv begleitend erfolgt im Anhang die Fallbeschreibung. Die vier Fälle werden dazu jeweils über einen Zeitraum von rund zehn Jahren detailliert nacherzählt. Die Falldarstellungen sind einerseits Grundlage für die Ergebnisse der explorativen Analyse in Teil C. Andererseits hat sich die Struktur der Fälle erst aus dem explorativen Teil entwickelt. Dieses vermeintliche Paradoxon ist dem sich über die Zeit rekursiv entfaltenden Forschungsprozess geschuldet.

Abbildung 2 – Struktur der Arbeit

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Quelle. Eigene Darstellung

2 Forschungsqualität

2.1 Reflexion der eigenen Rolle im Forschungsprozess

Der Autor dieser Arbeit war Projektleiter der Vorhaben Metropolregion und Kfz-Wesen II. Beim Projekt Kfz-Wesen I war er Mitglied der Projektarbeitsgruppe. Dieser enge Kontakt ermöglichte einen Zugang zu relevanten Diskussionen auf politischer und fachlicher Ebene und gab einen intensiven Einblick in die Mechanismen föderaler Projektarbeit. Diese Nähe zum Untersuchungsgegenstand und die persönliche Beteiligung bergen aber das Risiko, Daten, Verläufe und Ursachen selektiv und verzerrt wahrzunehmen. Zudem kann die Nähe zum Forschungsobjekt den Blick auf größere Zusammenhänge verstellen. In der Grounded-Theory-Methodologie wird eine solche Verstrickung thematisiert und Hinweise gegeben, wie sich daraus ein epistemologischer Vorteil entwickeln kann. Insbesondere die interaktive Charakteristik der Forschungssituation wird dabei als potentiell ergiebiges Erkenntnisfenster gesehen. Methodisch sollte sich die Forschungsarbeit dabei als Pendelbewegung zwischen der Annäherung an den Forschungsgenstand und einer anschließenden Distanzierung darstellen, die gleichzeitig mit einer Reflexion nach methodischen Prinzipien verbunden ist. (Vgl. Breuer 2010:140) Konkret hat der Autor über Jahre im Gespräch mit Praktikern und Wissenschaftlern die Gründe für Erfolg und Scheitern der Projekte reflektiert. Dazu wurden unterschiedliche Forschungsrichtungen in die Analyse einbezogen und daraus abgeleitete Hypothesen anhand des gesammelten Wissens auf Relevanz geprüft. Dadurch wurden immer wieder neue Perspektiven eingenommen und die eigene Person im Forschungsprozess phasenweise dezentriert. Aus dieser Pendelbewegung zwischen wissenschaftlicher Analyse und konkreter Arbeit im Feld hat sich in den Jahren ein loses Netz von wahrscheinlichen Aussagen in Bezug auf die beobachteten Fälle ergeben. Diese Erkenntnisse wurden jeweils in der Art eines unstrukturierten Forschungstagebuchs festgehalten. Insgesamt – so die rückblickende Feststellung - standen die gesammelten Aussagen aber lange vereinzelt und ergaben kein konsistentes und umfassendes Bild. Es war aus Forschungssicht deshalb erforderlich, noch einen Schritt weiter vom Forschungsgegenstand zurückzutreten. Dazu wurden die Fälle in mehrmonatiger Arbeit anhand von Dokumenten und Interviews detailliert rekonstruiert. Erst durch diese zunächst einmal distanzierte und vor allem intensive Nacherzählung konnten am Ende gemeinsame Strukturen und Fehlstellen in den Handlungsverläufen der Fälle wahrgenommen werden. Dieses Substrat der Fälle und damit die Grundlage der sich anschließenden Forschungsschritte wurden im wissenschaftlichen Gespräch sowie mit Praktikern reflektiert. Die Fallbeschreibungen wurden zudem kenntnisreichen Personen zur Prüfung der inhaltlichen Richtigkeit vorgelegt. Das gewählte Vorgehen war somit geeignet, den reflexiven Umgang mit dem Datenmaterial zu erhöhen. Der eigene „Blinde Fleck“ kann aber nie ganz überwunden werden. Dem Leser dieser Arbeit werden die Fälle deshalb in immer noch detaillierter Form zur Verfügung gestellt. Anhand dessen kann er prüfen, inwieweit die getroffenen Aussagen mit den Fällen korrespondieren und jeder Sachkundige der Vorhaben kann für sich feststellen, wie subjektiv und selektiv die Nacherzählungen im Verhältnis zu seinen eigenen Beobachtungen sind.

2.2 Gütekriterien der Arbeit

Qualitative Forschung muss bestimmte Gütekriterien einhalten, um dem Vorwurf von Beliebigkeit und fehlender Glaubwürdigkeit entgegenzutreten. Die Frage ist, unter welchen Bedingungen qualitative Forschung Geltung erlangen kann. (Vgl. Flick 2010a:488) Die „klassischen“ Gütekriterien der messenden Wissenschaft sind interne Validität (Gültigkeit der Messung), externe Validität (Verallgemeinerung der Messung), Reliabilität (Zuverlässigkeit und Genauigkeit der Messung) und Objektivität der Messung. Einige Autoren schlagen vor, diese Kriterien auf die qualitative Forschung zu übertragen und dabei inhaltlich neu zu unterlegen.

Tabelle 1 – Klassische Gütekriterien auf qualitative Arbeit bezogen

Kriterium Aussage Anwendung in der qualitativen Forschung
Reliabilität Zuverlässigkeit, Grad der Genauigkeit einer Messung. Verlässlichkeit, Auditierbarkeit / Prozedurale Reliabilität durch Explikation; Offenlegung der Interpretationsleistung, Nachvollziehbarkeit.
Interne Validität Gültigkeit von Variablen (ihrer Messung) im Modell. Glaubwürdigkeit, Authenzität / Alltagsnähe und empirische Verankerung: Nutzung von in-vivo Kategorien, Falsifizierungslogik: Suche nach Gegenevidenzen, Computereinsatz.
Externe Validität Verallgemeinerung Übertragbarkeit, Passung / Kontextbezug wird aufgegeben durch theoretisches Sampling (maximale Kontrastierung) und Typenbildung.
Objektivität Forscherunabhängigkeit Bestätigbarkeit / Darstellung Forschungsverlauf

Quellen: Wrona (2005:44), Miles und Huber (1994:278 zitiert bei Flick 2010a:506)

Für diesen Brückenschlag von quantitativen zu qualitativen Gütekriterien wurden die in der Tabelle dargestellten Zuordnungen entwickelt (vgl. dazu beispielsweise Wrona 2005:39ff). Die unterstrichenen Indikatoren stammen von Miles und Huber (vgl. 1994:278 zitiert bei Flick 2010a:506), die der gleichen Aufgabe nachgingen.

Der Brückenschlag ist aber weder trivial noch frei von Vorannahmen. Denn die klassischen Gütekriterien stoßen bei Forschungen in der sozialen Welt an Grenzen. So verlieren die aus dem deduktiven Paradigma entwickelten Kategorien ihren festen Boden, sobald Ergebnisse sozial konstruiert werden. In dieser konstruierenden Perspektive erlangen Dokumente, sprachliche Aussagen, Forschungsbeobachtungen erst durch ihren Kontext Bedeutung und werden in diesem vom Forscher interpretiert. Die Ergebnisse können dann nicht mehr von einem festen Punkt aus beurteilt werden, sondern sind in Relation zum Forscher und zum Forschungsprozess zu sehen. Die Verwendung der klassischen Bezeichnungen könnte Erwartungen öffnen, die dann nicht gehalten werden (vgl. Steinke 2010:322).

Um die qualitative Forschung trotzdem verteidigungsfähig zu gestalten, wurden seit den 1980er Jahren darauf bezogene Forschungskriterien entwickelt, gleichwohl gibt es bis heute kein einheitliches Bild (vgl. Flick 2010a:499-506). So stellen Strauss und Corbin (1990:16 zitiert in Flick 2010a:502) bezogen auf die Grounded-Theory-Methodologie vier Ansatzpunkte zur Beurteilung der Güte qualitativer Arbeit auf. Sie erwarten eine kritische Auseinandersetzung mit der Glaubwürdigkeit der Daten, der Plausibilität und dem Wert der Theorie, der Angemessenheit des Forschungsprozesses und bei der Prüfung der empirischen Grundlage. Flick (vgl. 2010a:511f) schlägt pragmatisch vor, die Güte qualitativer Forschung auf der Ebene der Forschungsplanung anzusiedeln. Dazu gehören für ihn ein angemessenes Forschungsdesign und dazu passende Forschungsmethoden bis hin zum Qualitätsmanagement.

Steinke (vgl. 2010:324) wiederum orientiert die qualitative Forschung an sieben Kriterien. Ihr Vorschlag nimmt viele der zuvor dargestellten Diskussionsbeiträge auf und dient für diese Arbeit deshalb als Grundlage. Für die Anpassung an die spezifische Forschungsarbeit gibt Steinke den Hinweis, dass die

Kriterien und Prüfverfahren [.] für die Anwendung untersuchungsspezifisch - d. h. je nach Fragestellung, Gegenstand und verwendeter Methode- konkretisiert, modifiziert und gegebenenfalls durch weitere Kriterien ergänzt werden sollten. (Steinke 2010:324)

Die folgenden sieben Kategorien sind Ines Steinke (vgl. 2010:323-330) entnommen und werden jeweils auf das konkrete Vorgehen in dieser Arbeit bezogen:

1. Intersubjektive Nachvollziehbarkeit

Indikatoren: Darstellung Vorverständnis, Dokumentation Erhebungsmethoden und Kontext, Darstellung Auswertungsmethoden, Dokumentation der Informationsquellen, Anwendung kodifizierender Verfahren.

Forschungsbezug: Die verwendeten Informationsquellen und die Erhebungsund Auswertemethoden sind ausführlich dargestellt. Mit der langen Falldarstellung erhält der Leser zudem die Möglichkeit, in einem begrenzten aber angemessenen Umfang zu eigenen Feststellungen zu gelangen und die Ergebnisse nachzuvollziehen. Im Rahmen der Grounded-Theory-Methodologie wird zudem das angesprochene kodifizierende Verfahren eingesetzt.

2. Indikation des Forschungsprozesses

Indikatoren: Inwieweit ist die Methodenwahl dem Forschungsgegenstand angemessen? Können Ergebnisse auf einem anderen Weg besser erzielt werden? Hatten die Interviewten ausreichend Freiräume für ihre Geschichte oder wurden sie methodisch eingeengt? Erlaubt die Methode Irritationen des Vorwissens? War der Forscher ausreichend lange im Feld anwesend, um die Informationen einordnen zu können?

Forschungsbezug: Aufgrund der geringen Fallanzahl bot sich von vornherein eine qualitative Untersuchung an. Ein weiteres Argument ist die bisherige Unaufgeklärtheit der Fallverläufe. Um die zunächst unbekannten Zusammenhänge zu entdecken, waren die Interviews offen für weite Erzählräume. Die Leitfragen wurden genutzt, um den Fokus auf dem Thema zu halten und den Gesprächsverlauf zu strukturieren. Zudem bestand ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Forscher und Interviewten, so dass Tatsachen eher unverfälscht erzählt wurden. Interviewsituation und Fragen sind für einen transparenten Forschungsablauf offen gelegt. Das Risiko einer deduktiv angeleiteten Vorfestlegung wird durch die Anwendung der Grounded-Theory-Methodologie reduziert. Weiterhin drängt die Methodologie durch die rekursive Pendelbewegung zwischen Vorwissen und Forschungsgegenstand zu einer permanenten Infragestellung des eigenen Wissens. Ergänzend konnte Kontextwissen zu den Fällen ausreichend gesammelt werden, weil der Autor rund sieben Jahre im Forschungsfeld verbracht hat.

3. Empirische Verankerung

Indikatoren: Inwieweit ist die Theoriebildung in den Daten verankert und ermöglicht neues Wissen zu entdecken? Wurden kodifizierende Methoden genutzt? Fand eine kommunikative Validierung statt, indem die Ergebnisse mit den Betroffenen diskutiert wurden? Wurden Hypothesen aus dem Material abgeleitet und an diesen falsifiziert oder verifiziert?

Forschungsbezug: Der Erkenntnisgewinn bezieht sich intensiv auf die Fälle und ist erst aus diesen entstanden. Gleichwohl wurden erklärende Konzepte mitgeführt, so dass nicht jeder Gedanke neu ist, sondern eher die Art der konsistenten Zusammenfassung. Mit der Grounded-Theory-Methodologie wurde ein kodifizierendes Verfahren eingesetzt, um strukturiert Neues zu generieren. Die Ergebnisse wurden mit Wissenschaftlern sowie Kennern der Fälle diskutiert und als treffend eingestuft.

4. Limitation