P. G. Wodehouse

Jetzt oder nie!

Roman

Mit einem Nachwort von
Evelyn Waugh

Aus dem Englischen von
Thomas Schlachter

Suhrkamp

1. Kapitel

Trotz des kräftigen Kaffeedufts, der dem gertenschlanken jungen Mann mit dem butterfarbenen Haar und dem ziemlich markanten Adamsapfel beim Öffnen der Tür entgegenwehte, betrat dieser mit abgespannter Miene und stumpfem Blick das Frühstückszimmer von Claines Hall, jenem Herrenhaus im Tudorstil, das die aus Los Angeles stammende Mrs. Howard Steptoe erst kürzlich in der Grafschaft Sussex erworben hatte. Wohl schätzte er Kaffee wie selten jemand und würde auch jetzt seine zwei Tassen anstandslos hinunterkippen. Trotzdem gab es nichts daran zu deuteln, daß er sich am Vorabend mit einem bettelarmen Mädchen verlobt hatte und an diesem Morgen seinem Treuhänder in London die Kunde schonend beibringen mußte. Selbst unter günstigsten Umständen begegnete er seinem Treuhänder nur schweren Herzens. Und sah er sich, wie eben jetzt, gezwungen, jene Schnappschildkröte in Menschengestalt aufzustören und zu reizen, bedauerte er doch, daß sein verstorbener Vater die Geldgeschäfte nicht in die Hand eines halbwegs umgänglichen Geschöpfes wie Jack the Ripper gelegt hatte.

Das Frühstückszimmer war hell und freundlich, und durch die Verandatür fiel die Morgensonne. An einer Wand hing ein alter flämischer Gobelin, auf dem Bauersleute fröhlich praßten, an einer anderen ein alter flämischer Gobelin, auf dem Bauersleute dem lieben Gott die Zeit stahlen. Silberplatten, von kleinen Flammen erwärmt, lächelten von der Anrichte herüber, und neben diesen fiel das Auge des Betrachters auf einen mächtigen Schinken, der noch mit keinem Messer in Berührung gekommen war. Über dem Kamin befand sich das eindrucksvolle Porträt einer majestätischen Dame Anfang vierzig, die stolz aus dem Rahmen starrte, als sei ihr Auge in unmittelbarer Nähe auf etwas gefallen, das sie gleichzeitig erstaunte und empörte. Das Werk stammte von einem jungen Künstler namens Jocelyn Weatherby, und bei der Porträtierten handelte es sich um Mrs. Chavender, die Witwe von Mrs. Steptoes Bruder Otis.

Mrs. Steptoe selbst, eine drahtige kleine Person mit stechenden blauen Augen, saß oben am Tisch und erläuterte Sally Fairmile gerade deren Tagesaufgaben. Sally war eine arme Verwandte, und als solcher fehlte es ihr nie an Beschäftigung. Wenn Mrs. Steptoe die verwaisten Töchter entfernter Verwandter schon mit einem Dach über dem Kopf versorgte, war es ihr recht, wenn sie sich Kost und Logis verdienten.

»Guten Morgen, Lord Holbeton«, sagte sie gedankenverloren.

»Guten Morgen«, sagte auch Sally und schenkte ihm ein flüchtiges Lächeln. Sie sah ihn zum erstenmal, seit sie sich am Vorabend verlobt hatten.

»Oh, guten Morgen, guten Morgen«, erwiderte Lord Holbeton. »Guten Morgen«, fügte er der Deutlichkeit halber hinzu und ging zur Anrichte hinüber, wo er moralische Stärkung zu finden hoffte.

»Mir ist nicht ganz klar«, fuhr Mrs. Steptoe fort, als ihr Gast Platz nahm, nachdem er sich griesgrämig eine Portion Rührei auf den Teller geladen hatte, »wohin wir heute alle verfrachten sollen. Ich spreche von den Wagen. Sie sagten doch, Sie wollten nach London fahren, nicht wahr?«

Lord Holbeton zuckte zusammen.

»Jawohl«, antwortete er mit zitternder Stimme. »Muß da wen in einer bestimmten Sache aufsuchen.«

»Und Beatrice sollte nach Brighton, um die Preise zu überreichen. Bestimmt hätte sie gern den Rolls. Der Packard befindet sich gerade in Reparatur. Dann müssen Sie eben mit dem Zweisitzer vorliebnehmen. Er klappert zwar ein bißchen, aber wenigstens läuft er. Sally kann Sie hinfahren. Sie muß ohnehin in die Stadt, um für Howard einen neuen Kammerdiener aufzutreiben.«

Wiewohl er wußte, daß seine Gastgeberin das nötige Pulver in rauhen Mengen besaß und ihrem Gemahl nichts abschlug, war Lord Holbeton doch verblüfft. Er fühlte sich an jenen beinahe zügellosen Luxus erinnert, der regelmäßig zu Französischen Revolutionen oder zum Verfall und Untergang Römischer Reiche führt.

»Wie viele hat er denn?« erkundigte er sich verdutzt.

»Immer nur einen aufs Mal«, antwortete Sally. »Aber irgend- wie bringt er sie alle durch.«

»Sie tun sich schwer mit seinen Manieren«, erläuterte Mrs. Steptoe.

Lord Holbeton konnte es den braven Burschen nicht verdenken, denn auch er tat sich schwer mit Mr. Steptoes Manieren. Zu Beginn seines Aufenthalts in Claines Hall war eine Art formlose Übereinkunft getroffen worden, wonach er sich seines Gastgebers annehmen und ihm ein Quentchen höchst erstrebenswerten Schliffs verpassen sollte. Doch derart unwirsch hatte jener auf seine Fürsorge reagiert, daß Lord Holbeton schon bald von seiner missionarischen Tätigkeit abließ. Mr. Steptoe hatte nämlich, kaum versuchte man seinen Gang dorthin zu lenken, wo Geschmack und Niveau zu Hause sind, eine Art, die Augen zusammenzukneifen und aus dem Mundwinkel »Scheibenkleister!« zu knurren, daß wohl selbst ein Freiherr von Knigge verzagt wäre.

»Als dieser letzte Bursche kündigte«, sagte Mrs. Steptoe, die grimmig im Kaffee rührte und eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Klapperschlange hatte, sofern man sich eine Klapperschlange beim Kaffeerühren vorstellen kann, »glaubte Howard bereits, den Feind endgültig in die Flucht geschlagen zu haben. Aber das sind nichts als fromme Wünsche. Solange in England noch ein einziger Kammerdiener übrig ist, bekommt ihn Howard. Ich habe Sally gebeten, diesmal einen von der stahlharten Sorte zu engagieren, der keinen Spaß versteht. Und wenn mir in diesem Leben sonst nichts mehr gelingen sollte, ihn bringe ich schon noch auf Vordermann!«

Während sie sprach, kam Mr. Steptoe herein, ein Koloß von einem Mann mit breitgeschlagener Nase und zwei Ohren, die den Henkeln einer alten griechischen Vase glichen. Eigentlich war er bereits früher hier gewesen, doch Mrs. Steptoe hatte ihn noch einmal hinaufgeschickt, damit er sich einen Kragen umlege. Seine mürrische Miene drückte unmißverständlich aus, daß ihn solche Behandlung nicht bloß im Genick, sondern auch im Gemüt piesackte. Mit einem finsteren und abschätzigen Blick zu Lord Holbeton, welchen er als Tranfunzel reinsten Wassers betrachtete und zudem im Verdacht hatte, seiner Gattin derlei Flöhe ins Ohr zu setzen, schritt er zur Anrichte und schaufelte sich großzügig Fisch auf den Teller.

Das einzige noch abwesende Mitglied der Gesellschaft war Mrs. Chavender, die porträtierte Dame. Sie trat kurze Zeit später ein und sah aus wie die Tragödin Sarah Siddons in einer ihrer fürstlicheren Rollen. Sie hätte ein würdiges Sujet für den Pinsel von Sir Peter Lely oder Sir Joshua Reynolds abgegeben, und in der Tat hätten sowohl Sir Joshua wie Sir Peter vermutlich ein noch treffenderes Abbild zustande gebracht, als es Joss Weatherby gelungen war – was Joss auch als erster eingeräumt hätte, war ihm doch jeder Künstlerneid fremd.

Als sie nun würdevoll ins Zimmer rauschte, fand sie beim Publikum glänzende Aufnahme.

»Guten Morgen, Beatrice«, sagte Mrs. Steptoe strahlend.

»Guten Morgen, Mrs. Chavender«, sagte Sally.

»Oh, servus, servus«, sagte Lord Holbeton.

Mr. Steptoe sagte nichts. Er hatte der neu Hinzugekommenen bloß einen Blick zugeworfen. Mehr durfte man von ihm nicht erwarten. Sein schlichtes Herz war bei den Mahlzeiten einzig und allein darauf bedacht, tüchtig reinzuhauen. Seine behaarte Hand streckte sich gerade nach der Butter, und er begann die nächste Toastscheibe zu schmieren.

Lord Holbeton war hastig aufgesprungen, was Mr. Steptoe auch in tausend Jahren nicht in den Sinn gekommen wäre, und ging, ganz Gentleman, zur Anrichte hinüber. Genau diese tadellosen Manieren im Verein mit dem zierlichen guten Aussehen und der Gewohnheit, sich nach dem Abendessen ans Klavier zu setzen und mit sanfter, bebender Tenorstimme Lieder wie Trees zum besten zu geben, waren Sally Fairmile als erstes positiv aufgefallen.

»Was darf ich Ihnen bringen, Mrs. Chavender? Eier? Fisch? Schinken?«

Ein schicksalsträchtiger Augenblick. Von der Antwort dieser Frau hing nicht nur das Los sämtlicher Anwesender ab, sondern auch jenes von J.B. Duff, Generaldirektor der Firma Duff & Trotter, Londons führendem Feinkostgeschäft; von Joss Weatherby, dem Künstler; von Chibnall, Mrs. Steptoes Butler; und schließlich auch jenes von Chibnalls Verlobter Vera Pym, dem Schankmädchen aus dem Rose & Crown im Nachbarstädtchen Loose Chippings.

Wenn sie »Eier« gesagt hätte, wäre nichts passiert. Hätte sie mit »Fisch« geantwortet, wäre diese kleine Welt nicht in ihren Grundfesten erschüttert worden.

»Schinken«, sagte Mrs. Chavender.

Lord Holbeton tranchierte den Schinken mit der geschliffenen Eleganz, die seinem ganzen Tun eignete, und nun breitete sich Stille aus, die nur von einem krachenden und an einen Waldbrand erinnernden Geräusch zerrissen wurde, als Mr. Steptoe die Zähne in seinen Toast schlug. Dieser mit den Kieferknochen eines Gorillas gesegnete Mann vermochte selbst aus Kartoffelpüree einen beträchtlichen Lärmpegel herauszulocken, doch zu wahrer Meisterschaft lief er erst auf, wenn er Toast verspeiste.

Die Konversation wurde schließlich von Mrs. Chavender wieder in Gang gebracht. Sie hatte Messer und Gabel sinken lassen und starrte mit geradezu majestätischem Ekel auf den Teller, so als inspiziere Mrs. Siddons eine Raupe in ihrem Salat. »Dieser Schinken«, sprach sie, »ist ungenießbar.«

Mrs. Steptoe blickte in jäher Besorgnis auf. Wiewohl selbst in beachtlichem Wohlstand lebend, hatten die Anwandlungen dieser noch betuchteren Schwägerin für sie größtes Gewicht, und sie erschauerte furchtsam vor ihrem finsteren Blick. Mrs. Chavender hatte dem Vernehmen nach ein schwaches Herz, und Mrs. Steptoe war ihre einzige Verwandte.

»Ist etwas nicht in Ordnung mit ihm, Beatrice?«

»In Anbetracht dessen, daß ich ihn gerade als ungenießbar bezeichnet habe, darfst du ruhig glauben, daß er nicht über jeden Zweifel erhaben ist.«

»Sally, du hast ihn gekauft«, sagte Mrs. Steptoe vorwurfsvoll. Sally sah sich außerstande, diese Anschuldigung zu bestreiten. »Ich dachte, er sei bestimmt gut«, brachte sie zu ihrer Verteidigung vor. »Er stammt von Londons untadeligsten Leuten.« »Ihre Moral«, entgegnete Mrs. Chavender, »steht hier nicht zur Debatte. Vielleicht sind es, wie du behauptest, tatsächlich Londons untadeligste Leute, obwohl das nicht viel zu bedeuten hat. Mir geht es einzig darum, daß sie minderwertigen Schinken feilbieten. Und glaub mir, von Schinken verstehe ich was. Bevor ich meinen verstorbenen Gatten heiratete, war ich mit einem Schinkenkönig verlobt – obwohl man ihn in dieser Phase seiner Laufbahn wohl eher als Schinkenprinzen bezeichnet hätte –, und dieser redete von früh bis spät über nichts anderes. Ich kenne die Materie aus dem Effeff. Und jetzt gehe ich bei diesen Gaunern vorbei und beschwere mich in aller Form. Wie heißen die Hundsbeutel denn?«

»Duff & Trotter«, antwortete Sally. »Die sollen doch auf dem Gebiet der Frühstücksgastronomie die allererste Adresse sein. Ein bißchen überrascht es mich schon, daß man die Unerfahrenheit einer jungen Frau dort offenbar schamlos ausgenützt hat.«

Als jener Name fiel, schrie Lord Holbeton laut auf. Er saß mit starrem Blick da, derweil das Rührei an seinen reglosen Lippen hängenblieb.

»Duff & Trotter?« sagte er zitternd.

»Duff & Trotter?« sagte auch Mrs. Chavender. Sally hatte den Eindruck, daß in ihren schönen Augen der Überschwang des Triumphs lag. Sie wirkte wie eine römische Matrone im Circus Maximus, die zum eigenen Erstaunen auf den siegreichen Streitwagen gesetzt hat. »Mein Kind, du willst mir doch nicht sagen, daß es sich bei diesem abscheulichen Klumpen um einen von Jimmy Duffs Premium-Schinken handelt?«

»Doch, genau so heißen sie.«

Mrs. Chavender holte tief Luft.

»Zu schön, um wahr zu sein«, sagte sie. »Ich wußte nicht, daß es außer in moralischen Kindergeschichten eine ausgleichende Gerechtigkeit gibt. Jimmy Duff ist genau der, von dem ich erzählte, Mabel – der Mann, der mit Schinken handelte und über nichts anderes redete. Die tödliche Langeweile, mit der er mich strafte, spottet jeder Beschreibung. Jimmy Duff! James Buchanan Duff, meiner Seel’! Sieh mal einer an! Seit fünfzehn Jahren habe ich Jimmy nicht mehr gesehen, und wenn ich ihm erst den Kopf gewaschen habe, wird er sich wünschen, daß es auch in den nächsten dreißig zu keinem Treffen mehr kommt.«

»Wie meinst du das?«

»Ich gedenke ihm heute morgen einen Besuch abzustatten und klipp und klar zu sagen, was eine anständige Dame von seinen greulichen Schinken hält.«

»Aber du fährst doch nach Brighton?«

»Ich mache unterwegs einen kleinen Abstecher zu Jimmy.« »Würdest du ihm nicht besser schreiben?«

»Schreiben? Du scheinst nicht zu verstehen, worum es hier geht. Vor fünfzehn Jahren, als ich Jimmy Duff kennenlernte und seiner aalglatten Art auf den Leim kroch, war ich ein junges, idealistisches Mädchen und hatte nichts als romantische Schwärmereien im Kopf. Diesen romantischen Schwärmereien machte er mit seinen widerwärtigen Schinken ein für allemal den Garaus. Oft ging er mit mir im Mondschein spazieren und erklärte lang und breit, woher die Dinger ihr nußartiges Aroma hätten. Er wartete, bis die Musikkapelle Träumerei spielte, und setzte mir dann die Feinheiten des Einpökelns auseinander. Und jetzt, wo ich nach all den bitteren Jahren die Gelegenheit habe, mich an ihm schadlos zu halten, sagst du mir, ich solle schreiben. Schreiben, soweit kommt’s noch! Ich spreche in seinem Büro vor, blicke ihm in die Augen und sehe zu, wie er sich vor mir in den Staub wirft. Läute nach Chibnall.«

Der Butler trat ein. Ein agiler, athletischer junger Butler der neuen Schule. Würdevoll und doch sehnig.

»Chibnall, packen Sie mir bitte ein halbes Dutzend Scheiben dieses Schinkens in eine Pappschachtel und legen Sie sie in den Wagen. Und ich benötige den Wagen wohl schon etwas früher, wenn ich auf der Fahrt nach Brighton noch den Umweg über London machen soll.«

»Sag Purkis Bescheid, Sally«, meinte Mrs. Steptoe resigniert. Sally erhob sich artig. Erst als sie bereits den halben Weg zur Garage hinter sich hatte, wies ein blökendes Geräusch in ihrem Rücken sie darauf hin, daß ihr Verlobter ihr gefolgt war.

»Sag mal, Sally!«

»Ach, grüß dich, George«, erwiderte sie und schnellte flink wie ein aufgeschrecktes Kätzchen herum. Sie verspürte ein gewisses Unbehagen. Seit der gefühlsbetonten Szene am Vorabend hatten sich die beiden nicht mehr unter vier Augen gesprochen, und Sally erkannte nun, daß es bestimmt nicht ganz einfach wäre, den richtigen Ton zu treffen.

Diese Sorge hätte sie sich nicht zu machen brauchen. Lord Holbeton war viel zu aufgewühlt, um die Richtigkeit von Tönen beurteilen zu können. Sein Blick war verstört, der Mund stand ihm offen, und der Adamsapfel hüpfte herum wie ein Lämmlein im Lenz.

»Sag mal, Sally, das ist ja ganz grauenhaft!«

»Was denn?«

»Die Sache mit der Chavender und dem Schinken.«

»Ich fand’s ziemlich lustig.«

»Lustig? Ha!« versetzte Lord Holbeton und führte einen grimmigen Tanz auf. »Du wirst es nicht mehr so furchtbar lustig finden, wenn du erst einmal den Sachverhalt kennst.« Er hielt kurz inne, um seiner Gefühle Herr zu werden. Der Tatbestand, den er nun gleich umreißen würde, hatte ihm das Leben schon oft zur Qual gemacht. »Ich habe es gestern abend nicht erwähnt, aber mein alter Herr hat mir auf dem Sterbebett ein hübsches Sümmchen vermacht.«

Sally war perplex. Obwohl sie kein geldgieriges Mädchen war, konnte sie, die schon lange ein kärgliches Dasein als arme Verwandte der Steptoes fristete, darin nichts Betrübliches erkennen.

»Aber ist das nicht wunderbar? Ich liebe den Zaster!«

»Durchaus, doch die Sache hat einen Haken. Er überließ das Geld einem Treuhänder, weil er sich in den Kopf gesetzt hatte, daß ich nicht wisse, wie man mit einem hübschen Sümmchen umgeht …«

»Was ihn nur auf die Idee gebracht hat?«

In Wahrheit hatte sich der erste Baron diese ungünstige Meinung über seinen einst heißgeliebten Sohn gebildet, als es in Oxford zu jenem unseligen Bruch eines Eheversprechens gekommen war, doch Lord Holbeton hielt es für unpassend, gerade jetzt davon zu reden.

»Oh, ich weiß nicht. Alte Herren haben manchmal solche Mucken. Jedenfalls wird der Zaster nun für mich verwaltet. Ich bekomme keinen Fünfpfundschein zwischen die Finger, wenn ich meinem Treuhänder nicht einen guten und plausiblen Grund nennen kann. Und willst du wissen, wer dieser vermaledeite Treuhänder ist? Der alte Duff. Jener Bursche also, dem diese Frau gleich ihre Schinkenscheiben vor den Latz knallen wird.«

»Aber wie kommt es denn zu dieser Verbindung zwischen euch beiden?«

»Mein alter Herr war sein Kompagnon. Eigentlich hieß er Trotter, bevor ihm der Adelstitel zufiel. Er hielt stets große Stücke auf den alten Duff und ernannte ihn deshalb zu meinem Treuhänder. Und nun wollte ich es heute vormittag mit ihm aufnehmen und von uns beiden erzählen und wenn immer möglich auch etwas Bargeld aus ihm rausholen. Und jetzt so was!«

»Ich weiß, was du meinst«, sagte Sally nachdenklich. »Du glaubst, er wird nach Mrs. Chavenders Besuch nicht gerade schmelzen vor Freude?«

»Na, hältst du das für wahrscheinlich?«

»Eher nicht.«

»Wenn sich«, sagte Lord Holbeton, »das alte Aas bisher so hartnäckig geweigert hat, die Piepen auszuspucken, wird er dann in einem Augenblick blechen, in dem seine Seele noch blutet vom Hohn und Spott dieses fürchterlichen Frauenzimmers? Er liebt die Schinken, als wären es seine Söhne. Wie nennt man diese kleinen Pferde noch mal?«

»Ponys?«

»Nein, nein, die aus Holz.«

»Steckenpferde?«

»Genau. Die Premium-Schinken sind Duffs Steckenpferd. Darauf hat er sein Geschäft aufgebaut, und alles andere bedeutet ihm nichts. Da wird es ihm gerade einfallen, der Stimme der Vernunft zu folgen, nachdem er Mrs. Chavender gesehen hat.«

In solchen Momenten obliegt es der Frau, mit Aufmunterung und Zuspruch zur Stelle zu sein.

»Ach, du wirst ihn schon herumkriegen«, meinte Sally hoffnungsvoll.

»Meinst du?«

»Ja.«

»Ich nicht«, erwiderte Lord Holbeton. »Und ich kann dir auch sagen, warum. Weil ich einen Bogen von mindestens fünfzig Meilen um ihn machen werde.«

»Oh, George!«

»Und es hat auch keinen Zweck, ›Oh, George!‹ zu sagen«, fuhr Lord Holbeton fort. »Da kann ich ja gleich mit einem verwundeten Puma ein Plauderstündchen halten.«

»Aber er ist doch gar nicht so schrecklich.«

»Du hast ihn noch nie gesehen.«

»Ich habe sein Bild gesehen. Beim Kauf jedes Premium-Schinkens bekommt man auf der Verpackung eins dazu. Auf mich hat er wie ein alter Schmusekater gewirkt.«

Lord Holbeton kniff die Augen zusammen.

»Wie ein Schmusekater?«

»Jawohl.«

»Ein Schmusekater?« fragte Lord Holbeton, der immer noch glaubte, sich verhört zu haben. »Und was ist mit den Augenbrauen?«

»Ziemlich fesch. Die haben es mir angetan.«

Lord Holbeton beschloß, dieser fruchtlosen Diskussion ein Ende zu setzen. Beim Thema J. Buchanan Duff tat sich offenbar zwischen diesem Mädchen und ihm ein tiefer Graben auf, der sich wohl nie würde überbrücken lassen.

»Na schön, wenn du schon so denkst«, sagte er, »warum gehst dann nicht du hin und nimmst es mit ihm auf?«

»Also gut«, erwiderte Sally. »Wird erledigt.«

Lord Holbeton starrte ungläubig. Seine Frage war rein rhetorisch gemeint gewesen, und Sallys ernstliche Zustimmung verblüffte ihn. Einen Moment lang packte ihn Reue. Sally wirkte so jung und viel zu zerbrechlich, um einem Menschen die Stirn bieten zu können, der selbst an einem guten Vormittag wie ein Geschöpf aus der Apokalypse des Johannes aussah.

Doch dann ging ihm auf, welcher Ärger ihm dadurch erspart bliebe. Wenn schon jemand in einem Faß die Niagarafälle hinuntergehen mußte, war es doch sehr viel angenehmer, nicht selbst der Betreffende zu sein.

»Das meinst du aber nicht im Ernst?«

»Doch.«

»Gehst du tatsächlich hin?«

»Na klar. Was ist schon dabei?«

»Mach dich auf diese Augenbrauen gefaßt.«

»Auf die freue ich mich schon.«

»Vielleicht triffst du ja noch vor Mrs. Chavender bei ihm ein.«

»Wohl kaum, wenn sie den Rolls nimmt und ich den Zweisitzer.«

»Ja, das ist wahr. Dann können wir also nur das Beste hoffen.«

»Das müssen wir.«

»Und all das«, meinte Lord Holbeton, »wäre zu vermeiden gewesen, wenn die Frau ein Rührei genommen hätte. Aber so ist das Leben nun mal.«

»So ist das Leben«, pflichtete ihm Sally bei.

2. Kapitel

Der Geschäftssitz von Duff & Trotter, jener irdischen Wohltäter, bei deren bloßer Erwähnung jeder vernunftbegabte Bürger Londons ehrfürchtig den Hut zieht, liegt auf einem umfriedeten Grundstück in der Nähe der Regent Street. Der Kunde tritt durch eine Drehtür und findet sich in einer Art Dom wieder, in dem jene Waren präsentiert werden, die die Firma berühmt gemacht haben. Hier gibt es Pasteten; da Obst; und dort drüben Suppen und Kolonialwaren; und weiter vorne Orangenmarmelade, Konfitüre, Kaviar und eingemachtes Fleisch. Dem Premium-Schinken bleibt in seiner Eigenschaft als Steckenpferd des Generaldirektors ein gesonderter Schrein vorbehalten.

Da bei Duff & Trotter die Geschäfte zumeist auf telefonischem Wege getätigt werden, erlebt man hier nirgends das Gedränge und Geschubse bescheidenerer Etablissements. Bloß eine Handvoll Herzoginnen, denen gewiß das Wasser im Mund zusammenlief, sowie ein paar Grafen, die sich die Lippen leckten, waren an diesem Vormittag um elf Uhr zugegen, als Joss Weatherby eintrat und sich durch die Delikatessenhaine schlängelte.

Joss Weatherby zeichnete die Plakate für den Premium-Schinken; er war ein ranker, heiterer und schlaksiger junger Mann, der sich in seinem Amt, das einen Menschen von weniger überschäumendem Temperament leicht hätte vergrämen können, sehr tapfer schlug. Dies war wohl darauf zurückzuführen, daß er gut aß, gut schlief und sich einer exzellenten Verdauung erfreute – was ihn von seinem Brotherrn unterschied, dem der Magendarmkanal allerlei Ungemach bereitete.

Sein Weg zu Mr. Duffs Chefbüro im zweiten Stock führte an der Obst- und Gemüseabteilung vorbei, und obwohl ihn die große Mappe unter dem Arm behinderte, konnte er sich doch mit der freien Hand im Vorbeiflitzen eine Weintraube und einen Zimtapfel schnappen. Das Einverleiben der letzten Traube fiel exakt mit seinem Eintreffen im Vorzimmerchen zusammen, in welchem sich Mr. Duffs Sekretärin, Miss Daphne Hesseltyne, aufhielt.

»Guten Morgen, Schnuckiputzi«, sagte er galant.

»Guten Abend«, versetzte die vor Schlagfertigkeit sprühende Miss Hesseltyne. »Wirklich allerhand, daß Sie erst jetzt eintrudeln! Sie hätten schon um zehn hier sein sollen.«

»Leider habe ich heute morgen verschlafen. Ein Mann führte mich gestern abend in eines dieser karitativen Kasinos. Bestimmt freut es Sie, zu hören, daß ich beim Knobeln tüchtig abgesahnt habe. Zimtapfel gefällig? Auf Kosten des Hauses. Die Obst- und Gemüseabteilung hat etwas von ihrem Überfluß abgegeben.«

»Haben Sie schon wieder Obst geklaut? Erinnern Sie sich nicht mehr, wie Mr. Duff Ihnen das letzte Mal die Leviten gelesen hat.«

»Aber diesmal habe ich mich nicht erwischen lassen. Meine Finger haben bloß schnell gezuckt.«

»Gehen Sie jetzt besser rein. Er erwartet Sie. Und ich kann Ihnen jetzt schon sagen, daß er vor Wut kocht. Er hat wieder einmal seine Verdauungsbeschwerden.«

»Das arme, elende Wrack. Manchmal habe ich den Eindruck, am besten würde er sich gleich zum alten Eisen werfen und ganz von vorn anfangen. Aber gegen mich wird sich seine Wut bestimmt nicht richten. Nicht gegen den guten alten Weatherby. Habe ich Ihnen je erzählt, wie ich ihn einst in Amerika vor dem Ertrinken rettete? Schauen Sie sich durch das Oberlicht an, wie sein Antlitz erstrahlt, wenn ich vor ihm stehe.«

Doch das Chefzimmer war leer, als Joss eintrat. Erst nachdem er beschwingt mit einem Briefbeschwerer auf den Schreibtisch geklopft und munter »Heraus mit den Toten!« gebrüllt hatte, kam Mr. Duff vom kleinen Balkon vor dem Fenster herein, wo er soeben versucht hatte, seine Dyspepsie mit Hilfe von Atemübungen zu lindern.

»Aha, J.B.«, sagte Joss fidel. »Einen schönen guten Morgen!« »Ach, da sind Sie also, was?« erwiderte Mr. Duff und zeigte sich wenig geneigt, es seinem Untergebenen an Überschwenglichkeit gleichzutun.

Der Generaldirektor von Duff & Trotter war ein massiger Mann, der nach einer sportlichen Jugend etwas an Gewicht zugelegt hatte. In seiner Collegezeit war er ein ziemlich achtbarer Hammerwerfer gewesen, und es sah ganz danach aus, als wünsche er sich jetzt einen Hammer, um ihn Joss an den Kopf zu werfen. Die Brauen, welche Lord Holbeton so plastisch geschildert hatte, waren zu einem einzigen dicken Strich zusammengezogen, und darunter funkelten feindselige Augen. Sie schienen den ganzen Raum zu erleuchten, und bloß ein junger Mann mit dem Nervenkostüm eines Maulesels, wie Joss es gottlob sein eigen nannte, konnte ihnen ungerührt standhalten.

»Sie sind zu spät!« dröhnte er.

»Eigentlich nicht«, erwiderte Joss.

»Was zum Teufel meinen Sie mit ›eigentlich nicht‹?«

»Ein Mann wie ich scheint immer später dran zu sein, als er es in Wahrheit ist. Das rührt daher, daß seine Gegenwart so sehnlich herbeigewünscht wird. Die Leute verspannen sich, horchen auf seine Schritte, und jede Minute erscheint ihnen wie eine Stunde. Na, J.B., bei Ihnen soll’s mal wieder mächtig rumpeln im Gedärm. Zu dumm, wenn’s so ist.«

»Sie hätten um zehn hier sein sollen.«

»Wie ich soeben unserer halben Portion Hesseltyne anvertraute, habe ich verschlafen. Ich bin gestern abend in ein Würfelspiel hineingeraten und habe meine Widersacher sozusagen mit dem Flammenschwert hinweggefegt. Sie wären stolz auf mich gewesen.«

»Sie frönen also dem Glücksspiel, wie?«

»Nur alle Jubeljahre einmal. Ich wünschte, Sie würden nicht reden, als ob ich das fleischgewordene organisierte Verbrechen wäre. Aber kommen wir zur Sache. Ich habe meine neuen Plakatentwürfe für Ihren prima Premium-Schinken mitgebracht. Ich bin mir nicht sicher, ob sie was taugen.«

»Tun sie nicht.«

»Sie haben sie ja noch gar nicht gesehen.«

»Brauch’ ich auch nicht.«

Joss musterte ihn kühl. Er hatte seinen Chef sehr, sehr gern, neigte jedoch zur Ansicht, daß es für diesen das allerbeste wäre, wenn man ihm ab und zu einen Tritt in die Weichteile versetzte.

»Ich weiß nicht, ob Sie das wissen, J.B., aber bei einem Burschen wie Ihnen werden gleich Hunderte in Verdacht geraten, wenn man Sie einmal tot in Ihrer Bibliothek auffinden sollte, durchbohrt von einem Brieföffner im orientalischen Stil.«

Mr. Duff versteifte sich.

»Ich weiß nicht, ob Sie das wissen, junger Mann, aber jedesmal, wenn ich Sie zu Gesicht bekomme, sind Sie noch eine Idee frecher. Dabei waren Sie von Anfang an rotzfrech. Wenn das so weitergeht, feuere ich Sie.«

»Papperlapapp. Ich habe Ihnen doch das Leben gerettet.«

»Ja, und so, wie es mir heute morgen geht, würde ich Sie deswegen am liebsten verklagen. Ja, was ist?«

Die Frage richtete sich an Miss Hesseltyne, die ihren vorgelagerten Posten verlassen hatte.

»Mr. Duff, eine Dame wünscht Sie zu sprechen.«

»Von Schleiern umhüllt und einen wundersamen exotischen Duft verströmend«, sagte Joss. »Ich vermute, die gehen hier ein und aus.«

»Könnten Sie nicht mal eine Sekunde die Klappe halten?« fragte Mr. Duff.

»Doch, doch, wenn es gar nicht anders geht«, entgegnete Joss.

»Wer ist es denn?«

»Eine gewisse Mrs. Chavender.«

»Was!?«

Es machte beinahe den Anschein, als hätte Miss Hesseltyne ihren Herrn und Gebieter mit dem Schlachtbeil getroffen. Auf seinen Absätzen taumelte er rückwärts, wobei er vollkommen aus dem Leim zu gehen schien.

Joss runzelte nachdenklich die Stirn.

»Chavender? Chavender? Ich kenne eine Mrs. Chavender.

Ob es sich wohl um dieselbe handelt? Schicken Sie sie sofort hinauf.«

Mr. Duff brüllte wie ein Seelöwe.

»Unterstehen Sie sich! Was fällt Ihnen eigentlich ein, hier in meinem Büro Befehle zu erteilen? Sagen Sie ihr, ich sei nicht da.«

»Jawohl, Sir.«

Joss zeigte sich erstaunt.

»Aber warum so schamhaft, J.B.? Wenn es sich um die mir bekannte Mrs. Chavender handelt, werden Sie sie mögen. Sie ist ein wahres Goldstück. Vor zwei Jahren habe ich sie in Palm Beach porträtiert.«

Miss Hesseltyne kam zurück.

»Ich habe die Dame unten nicht mehr erreichen können, Sir. Sie ist bereits auf dem Weg hierher.«

Mr. Duff hatte begonnen, sämtliche Verhaltensformen eines in die Enge getriebenen wilden Tieres vorzuführen.

»Ich mach’ mich aus dem Staub!«

»Sie werden ihr im Flur begegnen«, sagte Joss, und Mr. Duff verharrte mit den Fingern auf der Türklinke. Noch durchschaute Joss das Ganze nicht, doch packte ihn Mitleid.

»Ich kann zwar Ihren Gedanken nicht ganz folgen, J.B., aber wenn Sie sich dieser äußerst charmanten Dame tatsächlich entziehen wollen, dann hüpfen Sie besser hinaus auf den Balkon. Ich schließe hinter Ihnen das Fenster.«

Der Ratschlag erschien Mr. Duff vortrefflich. Flink wie ein Wiesel schoß er hinaus. Kaum war er verschwunden, wurde energisch an die Tür gepocht, woraufhin die Besucherin in das Zimmer preschte. In ihrer rechten Hand schwang sie eine Pappschachtel, als wär’s ein Banner.

Mrs. Chavender, die mit Mr. Duff gerechnet hatte und sich statt dessen bloß einem Grünschnabel gegenübersah, schien verblüfft.

»Hallo, wo ist denn Jimmy?«

»Er mußte schnell weg.«

»Und wer sind Sie?«

»Sein bester Freund und schärfster Kritiker. Mein Name ist Weatherby. Ich fürchte, Sie erinnern sich nicht mehr an mich, Mrs. Chavender.«

Mrs. Chavender hatte eine Lorgnette gezückt.

»Donnerwetter! Sie sind doch der Bursche, der mein Porträt gemalt hat.«

»Stimmt. Haben Sie es immer noch?«

»Ich habe es Howard Steptoe geschenkt, dem Mann meiner Schwägerin. Ich wohne bei den beiden. Es hängt im Frühstückszimmer.«

»Bestimmt bekommen die Hausbewohner davon einen mordsmäßigen Kohldampf. Ein Blick darauf, und schon stürzen sie sich wie die Wölfe auf die Spiegeleier mit Speck.«

»Sie sind ja so rotzfrech wie eh und je.«

»Es ist schon seltsam, wie hartnäckig man mich als rotzfrech bezeichnet. Ich würde eher sagen, mir eigne eine leutselige Lebensart. Erst heute morgen beklagte sich Mr. Duff abermals über mein rotzfreches Wesen, das ihm den ganzen Tag zu versauern schien.«

»Arbeiten Sie denn für ihn?«

»Er würde diese Frage verneinen, obwohl ich es mit Bienenfleiß tue. Ich bin Werbegraphiker.«

»Was Sie da erzählen, hört sich an, als sei er ein alter Griesgram geworden. Ist er verheiratet?«

»Nein.«

»Aha, da liegt der Hase also im Pfeffer. Darum hat es ihm die Petersilie verhagelt. Alle Männer sollten heiraten.«

»Nie sprachen Sie ein wahreres Wort.«

»Sind Sie verheiratet?«

»Noch nicht. Ich warte weiterhin auf die Richtige. Aber wenn sie des Weges kommt, heißt es für mich: Jetzt oder nie!« Mrs. Chavender musterte ihn kritisch.

»Sie sind gar kein unansehnliches Bürschchen.«

»Und das ist ja wohl noch zurückhaltend ausgedrückt, oder?«

»Wie ist denn Jimmy heute so? Er hatte zu meiner Zeit durchaus seine Reize.«

»Ein Hauch des alten Zaubers hat sich erhalten. In schummrigem Licht vermag er auch heute noch zu blenden. Ich zeichne ihn für Sie, einverstanden?«

Die Skizze, die Joss auf das Briefpapier der Firma Duff & Trotter warf, geriet ein bißchen hastig und neigte zur Karikatur, doch Mrs. Chavender billigte sie lauthals.

»Jimmy, wie er leibt und lebt! Aber bei Ihnen wirkt er glücklicher, als er es sein wird, wenn er mich sieht.«

»Wie meinen Sie das?«

»Er wird mit Tränen in den Augen herumtanzen, das können Sie mir glauben. Werfen Sie mal einen Blick da hinein.«

Joss spähte in die Pappschachtel.

»Sieht nach Schinken aus.«

»Ja, seien wir nicht ungerecht. Oberflächlich betrachtet besteht wohl eine gewisse Ähnlichkeit. Dies ist ein Warenmuster von Jimmys Premium-Schinken. Ich bin hier, um mich darüber zu beschweren.«

Joss sah rasch zur Decke hoch. Sie war nicht heruntergekommen, doch viel hatte bestimmt nicht gefehlt.

»Beschweren wollen Sie sich? Über einen Premium-Schinken?«

»Er ist der Schandfleck eines stolzen Gewerbes und eine Zumutung für die arglose Kundschaft. Zu neunzig Prozent besteht er aus schwabbeligem Fett. Und der Rest ist unverkennbar aus rosarotem Gummi.«

»Sie haben doch nicht etwa vor, das J.B. zu sagen? Sie brechen ihm das Herz.«

»Das will ich ja.«

»Gott sei Dank ist er nicht hier.«

»Wie lange wird er denn fortbleiben?«

»Vielleicht jahrelang, vielleicht eine Ewigkeit.«

»Und ich kann nicht warten, Sakrament! Ich muß unbedingt nach Brighton, um in einem Mädcheninternat die Preise zu überreichen. Sie werden meine Vertretung übernehmen müssen. Rufen Sie mich an und teilen Sie mir mit, wie er es aufgenommen hat. Die Rufnummer ist Loose Chippings 803. Und wenn Sie lieber schreiben möchten, lautet die Anschrift Claines Hall, Loose Chippings, Sussex. Und jetzt mache ich mich wohl besser auf den Weg. War schön, Sie mal wiederzusehen. Hören Sie, was sage ich denn vor einer Schar von Schülerinnen?«

»›Servus, Mädchen‹ oder so ähnlich?«

»Das wäre durchaus in Ordnung, wenn meine Ansprache nicht eine Dreiviertelstunde dauern und die Kleinen dazu ermuntern sollte, brave Ehefrauen und Mütter zu werden. Na ja, auf der Fahrt wird mir schon noch was einfallen.«

Nachdem Joss sie zum Fahrstuhl geleitet hatte, stellte er fest, daß Mr. Duff aus seinem Versteck gekommen war. Er saß wieder an seinem Schreibtisch und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Puh«, sagte er. »Das war knapp! Gießen Sie mir einen Sherry ein.«

»Einen Sherry?«

»Dort drüben im Schrank steht eine Flasche.« »Sie verstecken also Sherry im Schrank, was?« bemerkte der hellhörig gewordene Joss. »Ein heimlicher Trinker, was? Sagen Sie mir eins, J.B., warum wollten Sie Mrs. Chavender nicht empfangen?«

Ein glasiger, gehetzter Ausdruck trat in Mr. Duffs Augen.

»Wir waren einmal verlobt.«

»Ach!« sagte Joss, dem nun alles klar war. Er wußte, daß sein Chef zu jenen eingefleischten Junggesellen gehörte, die der Klang jeder Hochzeitsglocke erschauern läßt. Ihm war bewußt, daß eingefleischte Junggesellen oft vor einer Begegnung mit ihren alten Schwärmen zurückschrecken.

»Ich mag es nicht, daß sie mich hier im Büro aufsucht«, sagte Mr. Duff und schöpfte neue Kraft aus seinem Sherry. »Es ist unheimlich. Was wollte sie denn? Ich habe da draußen kein Wort verstehen können.«

Joss beschloß, Milde walten zu lassen. Es war wirklich nicht nötig, mit Kanonen auf diesen molligen Spatz zu schießen, indem man ihm reinen Wein einschenkte.

»Sie wollte sich einfach mal bei Ihnen melden.«

»Wir haben uns seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen.«

»Ach, Sie sind eben wie ein Kaugummi. Der Geschmack bleibt.«

»Sie sieht noch genau wie damals aus.«

»Sie haben sie gesehen?«

»Ja, ich habe hineingelinst. Hat sich überhaupt nicht verändert. Dieselben Augen. Dieselben gekräuselten Lippen. Na ja, lassen wir das«, meinte Mr. Duff und rief sich in die Gegenwart zurück. Er setzte nun den typischen Büroausdruck auf. »Zeigen Sie mal Ihre Entwürfe.«

Joss öffnete die Mappe und kippte den Inhalt auf den Schreibtisch. Es handelte sich um ein halbes Dutzend Entwürfe, und auf jedem war ein glotzäugiges und über das ganze Gesicht grinsendes Mädchen zu sehen. Er breitete sie vor seinem Chef aus.

»Sie erinnern mich an einen orientalischen Herrscher im Kreise seines Harems«, bemerkte er gutgelaunt. »Der Sultan nimmt die Damen in Augenschein.«

Mr. Duff besah sich die Zeichnungen argwöhnisch.

»Gräßlich«, sagte er.

»Großartiger Strich«, entgegnete Joss. »Wer ist nur dieser Weatherby? Der Mann ist gut!«

Mr. Duff blieb gereizt.

»Diese verdammten Mädchen. Ich kann sie nicht mehr sehen.«

»In diesem Punkt«, antwortete Joss, der auf der Schreibtischkante Platz genommen hatte, sich aber auf einen Wink seines Chefs hin eilends erhob, »kann ich Ihnen aus tiefster Seele beipflichten, J.B. Und dabei liegt es nur daran, daß mir die Mandarine in der Graphikabteilung ständig Knüppel zwischen die Beine werfen. Sie lassen es nicht zu, daß ich mich entfalte. Ich weiß nicht, ob Sie je einem stolzen Adler zugesehen haben, wie er die Flügel spreizt und sich in die Lüfte schwingen will, um plötzlich feststellen zu müssen, daß einer seiner Läufe an einen Pfosten gefesselt ist. Genau so steht es mit mir. ›Mädchen!‹ sagen die Mandarine. ›Wir wollen Mädchen mit großen Augen und reichlich Gebiß, denen der Premium-Schinken aus sämtlichen Poren trieft‹, und ich muß das dann ausführen. Mir persönlich hat es noch nie eingeleuchtet, weshalb die intelligente Kundschaft in irgendeiner Weise beeindruckt sein sollte, nur weil ein Mädchen mit Kulleraugen und Überbiß das Zeug mag. Aber so ist es eben.«

Während dieser Tirade hatte sich auf Mr. Duffs Gesicht ein Ausdruck beinahe religiöser Erweckung abgezeichnet, der Joss nicht unvertraut war. Zusammen mit dem ominösen Wackeln der Augenbrauen und dem Anschwellen der ganzen Person sagte er ihm, daß sein Gegenüber wieder einmal von einem Gedankenblitz gestreift worden war. Mr. Duff, so stellte er fest, war nun der Napoleon der Geschäftswelt, jener Mann mit den kühnen Ideen, der gern Nägel mit Köpfen machte.

»Heda!«

»Ja, J.B.?«

»Mir ist eine Idee gekommen.«

»Ich hab’ mir schon gedacht, daß bei Ihnen was am Gären ist.«

»Diese Mädchen. Die Kundschaft kann sie nicht mehr sehen. Man verlangt mal was anderes.«

»Das sage ich den Mandarinen auch immer.«

»Etwas ganz Neues.«

»Genau.«

»Wissen Sie, was ich jetzt tue?«

»Sie jagen die ganze Bande zum Teufel und machen mich zum Leiter der Graphikabteilung.«

»Sie können von Glück reden, wenn Sie Ihren jetzigen Po- sten behalten.«

»Oh, deswegen sollten wir uns nicht den Kopf zerbrechen.« »Ach nein? Passen Se auf. Ich mache jetzt folgendes. Ist mir schlagartig in den Sinn gekommen. Statt eines schwachköpfigen Backfisches, der ›Hurra! Ein Premium-Schinken!‹ ruft, werde ich den Leuten Beatrice Chavender vorsetzen, die mit gekräuselten Lippen sagt: ›Räumt das Dreckzeug weg. Ich will meinen Premium!‹«

Sosehr es ihm widerstrebte, seinen Chef in irgendeiner Form anzufeuern und dadurch noch gänzlich größenwahnsinnig zu stimmen, konnte Joss nicht umhin, sich anerkennend zu äußern.

»Das ist eine Idee«, pflichtete er bei.

»’ne Erleuchtung ist’s!« verbesserte Mr. Duff.