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Johann Wolfgang Goethe

Frühling

Herausgegeben von Mathias Mayer
und Gisela Barth

Insel Verlag

Frühjahr in Frankfurt und Straßburg

Frankfurt, 1. Juni 1769
An Käthchen Schönkopf

Das Schreiben wird mir sauer, besonders an Sie. Wenn Sie es nicht aparte befehlen so kriegen Sie keinen Brief wieder vor dem October. Denn meine liebe Freundinn ob Sie mich gleich Ihren lieben Freund und manchmal Ihren besten Freund nennen, so ist doch um den besten Freund immer ein langweilig Ding. Kein Mensch mag eingemachte Bohnen solang man frische haben kann. Frische Hechte sind immer die besten, aber wenn man fürchtet dass sie gar verderben mögen, so salzt man sie ein, besonders wenn man sie verführen will. Es muss Ihnen doch komisch vorkommen wenn Sie an all die Liebhaber dencken, die sie mit Freundschafft eingesalzen haben, grose und kleine, krumme und grade, ich muß selbst lachen wenn ich dran dencke. Doch Sie müssen die Correspondenz mit mir nicht ganz abbrechen, für einen Pöckling binn ich doch immer noch artig genug.

Apropos dass ich's nicht vergesse, da schicke ich Ihnen was, machen Sie mit was Sie wollen, entweder für Sie auf den Kopf, oder für jemand anders um die Hände. Das Halstuch und der Fächer sind noch nicht um einen Fingerbreit weiter. Sehen Sie, ich binn aufrichtig, wenn ich was mahlen will so bleibt mir's im Halse stecken. Nur in Frühlingstagen schneiden Schäfer in die Bäume, nur in der Blumenzeit bindet man Kränze, verzeihen Sie mir, die Erinnerung ist mir zu traurig, wenn ich das für Sie thun soll was ich gethan habe ohne mehr zu seyn als ich binn.

Ich habe Ihnen immer gesagt dass mein Schicksal von dem Ihrigen abhängt. Sie werden vielleicht bald sehn wie wahr ich geredet habe, vielleicht hören Sie bald eine Nachricht die Sie nicht vermuthen. Grüßen Sie Ihre lieben Eltern, und wer zu Ihrer Familie gehört. Empfelen Sie mich dem Obereinnehmer. Ich binn so viel als möglich

Ihr ergebenster Freund G.

 

FA II.1, S. ‌168f.

Aus »Dichtung und Wahrheit«
Viertes Buch

Manchen ähnlichen Auftrag erhielt ich denn auch, um bei den Malern bestellte Bilder zu betreiben. Mein Vater hatte bei sich den Begriff festgesetzt, und wenig Menschen waren davon frei, daß ein Bild auf Holz gemalt einen großen Vorzug vor einem andern habe, das nur auf Leinwand aufgetragen sei. Gute eichene Bretter von jeder Form zu besitzen, war deswegen meines Vaters große Sorgfalt, indem er wohl wußte, daß die leichtsinnigern Künstler sich gerade in dieser wichtigen Sache auf den Tischer verließen. Die ältesten Bohlen wurden aufgesucht, der Tischer mußte mit Leimen, Hobeln und Zurichten derselben aufs genauste zu Werke gehen, und dann blieben sie Jahre lang in einem obern Zimmer verwahrt, wo sie genugsam austrocknen konnten. Ein solches köstliches Brett ward dem Maler Junker anvertraut, der einen verzierten Blumentopf mit den bedeutendsten Blumen nach der Natur in seiner künstlichen und zierlichen Weise darauf darstellen sollte. Es war gerade im Frühling, und ich versäumte nicht, ihm wöchentlich einige Mal die schönsten Blumen zu bringen die mir unter die Hand kamen; welche er denn auch sogleich einschaltete, und das Ganze nach und nach aus diesen Elementen auf das treulichste und fleißigste zusammenbildete. Gelegentlich hatte ich auch wohl einmal eine Maus gefangen, die ich ihm brachte, und die er als ein gar so zierliches Tier nachzubilden Lust hatte, auch sie wirklich aufs genauste vorstellte, wie sie am Fuße des Blumentopfes eine Kornähre benascht. Mehr dergleichen unschuldige Naturgegenstände, als Schmetterlinge und Käfer, wurden herbeigeschafft und dargestellt, so daß zuletzt, was Nachahmung und Ausführung betraf, ein höchst schätzbares Bild beisammen war.

 

FA I.14, S. ‌169f.

Bettina Brentano an Goethe
24. November 1810

Laß mich Dir noch erzählen, daß Dein Großvater zum Gedächtnis Deiner Geburt einen Birnbaum in dem wohlgepflegten Garten vor dem Bockenheimer Tor gepflanzt hat, der Baum ist sehr groß geworden, von seinen Früchten, die köstlich sind, hab' ich gegessen und – Du würdest mich auslachen, wenn ich Dir alles sagen wollte. Es war ein schöner Frühling, sonnig und warm, der junge hochstämmige Birnbaum war über und über bedeckt mit Blüten, nun war's, glaub' ich, am Geburtstag der Mutter, da schafften die Kinder den grünen Sessel, auf dem sie abends, wenn sie erzählte, zu sitzen pflegte, und der darum der Märchensessel genannt wurde, in aller Stille in den Garten, putzten ihn auf mit Bändern und Blumen, und nachdem Gäste und Verwandte sich versammelt hatten, trat der Wolfgang als Schäfer gekleidet mit einer Hirtentasche, aus der eine Rolle mit goldnen Buchstaben herabhing, mit einem grünen Kranz auf dem Kopf unter den Birnbaum und hielt eine Anrede an den Sessel, als den Sitz der schönen Märchen, es war eine große Freude, den schönen bekränzten Knaben unter den blühenden Zweigen zu sehen, wie er im Feuer der Rede, welche er mit großer Zuversicht hielt, aufbrauste. Der zweite Teil dieses schönen Festes bestand in Seifenblasen, die im Sonnenschein, von Kindern, welche den Märchenstuhl umkreisten, in die heitere Luft gehaucht, von Zephir aufgenommen und schwebend hin und her geweht wurden; sooft eine Blase auf den gefeierten Stuhl sank, schrie alles: »Ein Märchen! ein Märchen!« Wenn die Blase, von der krausen Wolle des Tuches eine Weile gehalten, endlich platzte, schrien sie wieder: »Das Märchen platzt.« Die Nachbarsleute in den angrenzenden Gärten guckten über Mauer und Verzäunung und nahmen den lebhaftesten Anteil an diesem großen Jubel, so daß dies kleine Fest am Abend in der ganzen Stadt bekannt war. Die Stadt hat's vergessen, die Mutter hat's behalten und es sich später oft als eine Weissagung Deiner Zukunft ausgelegt.

 

GG I, S. ‌20

Mailied

Wie herrlich leuchtet

Mir die Natur!

Wie glänzt die Sonne!

Wie lacht die Flur!

 

Es dringen Blüten

Aus jedem Zweig,

Und tausend Stimmen

Aus dem Gesträuch,

 

Und Freud' und Wonne

Aus jeder Brust.

O Erd'! o Sonne!

O Glück! o Lust!

 

O Lieb'! o Liebe!

So golden-schön,

Wie Morgenwolken

Auf jenen Höhn!

 

Du segnest herrlich

Das frische Feld,

Im Blütendampfe

Die volle Welt.

 

O Mädchen, Mädchen,

Wie lieb' ich dich!

Wie blickt dein Auge!

Wie liebst du mich!

 

So liebt die Lerche

Gesang und Luft,

Und Morgenblumen

Den Himmelsduft,

 

Wie ich dich liebe

Mit warmen Blut,

Die du mir Jugend

Und Freud' und Mut

 

Zu neuen Liedern

Und Tänzen gibst.

Sei ewig glücklich,

Wie du mich liebst!

 

FA I.1, S. ‌287-289

Straßburg, 19. Juni 1771
An Johann Daniel Salzmann

Nun wär es wohl bald Zeit dass ich käme, ich will auch, und will auch, aber was will das Wollen gegen die Gesichter um mich herum. Der Zustand meines Herzens ist sonderbaar, und meine Gesundheit schwanckt wie gewöhnlich durch die Welt, die so schön ist als ich sie lang nicht gesehen habe. Die angenehmste Gegend, Leute die mich lieben, ein Zirckel von Freuden! Sind nicht die Träume deiner Kindheit alle erfüllt? frag ich mich manchmal, wenn sich mein Aug in diesem Horizont von Glückseeligkeiten herumweidet; Sind das nicht die Feengärten nach denen du dich sehntest? – Sie sinds, Sie sind s! Ich fühl es lieber Freund, und fühle dass mann um kein Haar glücklicher ist wenn man erlangt was man wünschte. Die Zugabe! die Zugabe! die uns das Schicksaal zu ieder Glückseeligkeit drein wiegt! Lieber Freund, es gehört viel Muth dazu, in der Welt nicht missmutig zu werden. Als Knab pflanzt ich ein Kirschbäumgen im Spielen, es wuchs und ich hatte die Freude es blühen zu sehen, ein Mayfrost verderbte die Freude mit der Blüte, und ich musste ein Jahr warten, da wurden sie schön und reif; aber die Vögel hatten den grössten Theil gefressen eh ich eine Kirsche versucht hatte, ein ander Jahr warens die Raupen, dann ein genäschiger Nachbaar, dann das Meelthau; und doch wenn ich Meister über einen Garten werde, pflanz ich doch wieder Kirschbaumle, trotz allen Unglücksfällen gibts noch so viel Obst dass man satt wird; ich weiss noch eine schöne Geschichte von einem Rosenheckgen die meinem seeligen Grossvater passirt ist, und die wohl etwas erbaulicher als die Kirschbaumshistorie, die ich nicht anfangen mag, weil es schon spät ist.

 

FA II.1, S. ‌230f.

Aus »Dichtung und Wahrheit«
Neuntes Buch

Im Frühjahre fühlte ich meine Gesundheit, noch mehr aber meinen jugendlichen Mut wieder hergestellt, und sehnte mich abermals aus meinem väterlichen Hause, obgleich aus ganz andern Ursachen als das erste Mal: denn es waren mir diese hübschen Zimmer und Räume, wo ich so viel gelitten hatte, unerfreulich geworden, und mit dem Vater selbst konnte sich kein angenehmes Verhältnis anknüpfen; ich konnte ihm nicht ganz verzeihen, daß er, bei den Rezidiven meiner Krankheit und bei dem langsamen Genesen, mehr Ungeduld als billig sehen lassen, ja daß er, anstatt durch Nachsicht mich zu trösten, sich oft auf eine grausame Weise über das was in keines Menschen Hand lag, geäußert, als wenn es nur vom Willen abhinge. Aber auch er ward auf mancherlei Weise durch mich verletzt und beleidigt.

 

FA I.14, S. ‌387f.

Aus »Stella« (1. Fassung), 2. Akt

MADAME SOMMER Doch gnädige Frau! Diese Reise in den Frühlingstagen, die abwechselnde Gegenstände, und diese reine segensvolle Luft die sich schon so oft für mich mit neuer Erquickung gefüllt hat, das würkte alles auf mich so gut, so freundlich, daß selbst die Erinnerung abgeschiedener Freuden, mir ein angenehmes Gefühl wurde, ich einen Widerschein der goldenen Zeiten der Jugend, und Liebe in meiner Seele aufdämmern sah.

STELLA Ja die Tage! die ersten Tage der Liebe! – Nein du bist nicht zum Himmel zurückgekehrt goldne Zeit! du umgibst noch jedes Herz, in den Momenten da sich die Blüte der Liebe erschließt.

 

FA I.4, S. ‌545

Frankfurt, 9. April 1773
An Johanna Fahlmer

Einen so hohen heiligen Morgen haben wir noch dies Jahr nicht erlebt. Wie ich ans Fenster sprang und die Vöglein hörte und den Mandelbaum blühen sah und die Hecken alle grün unter dem herrlichen Himmel, konnt ich Ihnen liebe Tante liebe Nichte, länger nicht vorenthalten, warmer Jugend gute Frühlings Empfindungen, daran Sie Sich denn erbauen werden, an dem heiligen Leben, mehr als am heiligen Grabe, hoff ich. Dass Sie gestern nicht mit mir gingen, mögen Sie sich selbst verzeihen. Gott geb uns mehr solche Tage als den heutigen und bewahr uns vor Reifenröcken, Triset, Reversino und allem Zähnklappen. Addio.

 

FA II.1, S. ‌298

Frankfurt, 17. Februar 1775
An Gottfried August Bürger

Gott seegne dich lieber Bruder mit deinem Weibe, und wenn du an ihrem Herzen wohnst, dencke mein und fühl dass ich dich liebe. Von meinen Verworrenheiten ist schweer was zu sagen, fleisig war ich eben nicht zeither. Die Frühlingslufft, die so manchmal schon da über die Gärten herweht, arbeitet wieder an meinem Herzen, und ich hoffe es löst sich aus dem Gewürge wieder was ab. Habe lieb was von mir kommt. Du bist immer bey mir, auch schweigend wie zeither. Deine Europa und Raubgraf sind sehr unter uns. Ade. Franckf. d. 17 Febr. 1775.

 

Goethe.

 

FA II.1, S. ‌432