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Inhalt

Über das Buch

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Fairbanks News-Miner vom 25. März 1940

Über den Autor

Über das Buch

Alaska 1939: Als sich die junge Krankenschwester Josie Hals über Kopf in den charmanten Piloten Johnny verliebt, scheint ihr Glück perfekt. Doch dann stürzt der tollkühne Flieger in den eisigen Bergen ab – die Suche nach ihm scheint aussichtslos. Verzweifelt wagt sich Josie selbst mit ihrem Hundeschlitten in die arktische Nacht hinaus, immer weiter nach Norden, wo Elche, hungrige Wölfe und ein geheimnisvoller Fallensteller warten. Im Zauber des Nordlichts kämpft Josie um ihre Zukunft und ihre große Liebe. Ein romantisches Abenteuer voll Spannung und Poesie im ewigen Eis Alaskas.

1

Josie Carmack spürte die drohende Gefahr. Der eisige Novemberwind wehte von den Bergen herab und brachte eisige Kälte aus dem Norden mit. Als wäre der Wintergeist der Indianer aus den Bergen gekommen, um sie mit seinen frostigen Händen zu berühren. Aus dem Wald, der wie eine schwarze Wand unter dem abendlichen Himmel lag, schienen warnende Stimmen zu kommen. Die Hunde waren nervöser als sonst, bellten laut und zerrten unruhig an ihren Geschirren. »Easy, Randy«, rief sie dem stämmigen Leithund zu. Vielleicht ein aufkommender Sturm, dachte sie, oder ein Wolfsrudel, das sich in die Täler verirrt hatte.

Sie verdrängte die quälenden Gedanken und half den Hunden über einen Hügel hinweg. Mit kräftigen Tritten schob sie den Schlitten an. »Was ist los mit euch?«, forderte sie die Hunde heraus. »Habt ihr keine Lust mehr? Wenn wir uns nicht beeilen, macht Dad sich Sorgen! Ihr wisst doch, wie er ist!« Die Hunde beschleunigten das Tempo und hetzten durch den staubenden Schnee. »Go! Go! Zeigt, was ihr könnt, ihr müden Helden!« Josie feuerte die Huskys unermüdlich an, schrie »Gee!« und »Go! Go!«, wenn es nach rechts ging, und »Ho! Nun lauft schon!«, wenn eine Linkskurve vor ihnen lag.

Sie kannte jeden Fußbreit der breiten Forststraße, die am Ufer eines zugefrorenen Baches durch die Wildnis führte. Fast immer wenn ihr Einsatzplan im Krankenhaus es erlaubte und sie zwei freie Tage hintereinander hatte, fuhr sie mit dem Hundeschlitten zu ihrem Vater. Bob Carmack wohnte in einem Blockhaus am Ufer des Yukon, arbeitete im Sommer für ein Sägewerk, das Brennholz an die vorbeifahrenden Flussdampfer verkaufte, und ging im Winter auf Pelztierjagd. Die Fahrt dauerte fast einen ganzen Tag und war genau das richtige Training für die Hunde, wenn Josie wirklich am großen Rennen nach Livengood teilnehmen wollte.

Seit ein paar Monaten, als sie die Meldung von dem geplanten Rennen im »News-Miner« gelesen hatte, war sie geradezu von dem Gedanken besessen, einen der Pokale für die drei Erstplatzierten zu gewinnen. Das war sie ihrer Mutter schuldig, die vor ein paar Jahren bei einem Rennen tödlich verunglückt war. Elli Carmack war eine der ersten Frauen gewesen, die an einem Schlittenhunderennen teilgenommen hatten. In den dreißiger Jahren hatte es nur Sprintrennen über zwanzig, dreißig Meilen gegeben, und die Chancen ihrer Mutter, einen solchen Spurt zu gewinnen, waren nicht schlecht gewesen. Selbst die Indianer hatten ihr Team gelobt. Das Unglück war nur passiert, weil ihr Leithund sich den Magen verdorben und auf einer abschüssigen Strecke in den Leinen verfangen hatte. Sie stürzte mit ihrem Schlitten einen steilen Abhang hinab und schlug mit dem Kopf gegen einen Felsen. Sie war bereits tot, als einer der anderen Musher sie im Schnee liegen sah und den Arzt alarmierte.

Das erste Langstreckenrennen sollte im März 1940 stattfinden und von Fairbanks nach Livengood und zurück führen. Eine Strecke von hundertsiebzig Meilen durch unwegsames Gelände, über schroffe Berge und durch tiefe Schluchten. Die Veranstalter hatten mehrfach betont, dass es keine geräumte Piste geben würde. Wer dieses Rennen gewinnen wollte, musste ein ausdauerndes Team besitzen, das auch vor tiefem Schnee nicht zurückschreckte. »Na, was meint ihr?«, rief sie den Hunden zu. »Schafft ihr das? Ihr werdet mich doch nicht blamieren, oder?«

Sie ließ ein lautes »Heya! Heya!« ertönen und verlagerte geschickt ihr Gewicht, als der Schlitten über einige Bodenwellen holperte. Eine halbe Meile weiter ging es einen steilen Hang hinauf. Sie sprang von den Kufen und half den Hunden die Steigung zu erklimmen. Der Schnee war nass und schwer und sie kamen nur langsam voran. »Vorwärts! Nur keine Müdigkeit vorschützen! Willst du wohl laufen, Randy?« Der Husky stammte aus einem Wurf des Leithundes, der das Team ihrer Mutter angeführt hatte, und trug denselben Namen. »Du hast einiges gutzumachen, Randy, vergiss das nicht!« Randy war kein geborener Leithund gewesen, hatte sich immer dagegen gewehrt, ein Geschirr zu tragen, und wütend nach den anderen Hunden geschnappt, wenn sie ihm zu nahe gekommen waren. »Randy muss erst erwachsen werden«, hatte Josie immer gesagt und Recht behalten. Seitdem sie fast jeden Tag mit dem Gespann trainierte, konnte sie sich keinen besseren Leithund vorstellen.

In einer Senke, am Ufer eines zugefrorenen Flusses, legte sie eine kurze Pause ein. Sie verankerte den Schlitten mit einem Holzpflock, der mit einer ledernen Leine an dem Gestell befestigt war, zog die Thermosflasche mit dem heißen Tee aus ihrem Proviantsack und nahm einen großen Schluck. Nervös ließ sie ihren Blick über den dunklen Waldrand am anderen Ufer wandern. Sie hatte immer noch das Gefühl, beobachtet zu werden. Selbst das Nordlicht über den Baumspitzen wirkte bedrohlich. Wie vom Wind entfacht, leuchtete das Himmelsfeuer in der Dunkelheit. Es zauberte helle Schatten auf den Schnee und ließ die aufgeworfenen Eisbrocken im Fluss wie riesige Edelsteine erstrahlen. Das ferne Heulen eines Wolfes drang von den Bergen herab.

Josie war die unheimliche Stille des hohen Nordens gewohnt. Sie war in Alaska aufgewachsen und niemals auf dem »Festland« gewesen. So nannten die Leute in Alaska die Vereinigten Staaten. Die weißen Sandstrände von Kalifornien kannte sie nur von einem Kalender, den ihre Freundin in der Küche aufgehängt hatte. »Eines Tages treffe ich einen reichen Filmstar und dann geht’s ab in die Sonne!«, tönte sie in ihrem unverwechselbaren irischen Dialekt. Sie sprach reines Irisch, obwohl sie in einem winzigen Dorf in der Nähe von Anchorage aufgewachsen war. Ihre Eltern waren gezwungen gewesen, die alte Heimat zu verlassen, und hatten sich nie damit abgefunden, in Alaska leben zu müssen. Josie schmunzelte, als sie an den raubeinigen Vater ihrer Freundin dachte, und griff instinktiv nach ihrem Revolver, als sie ein Geräusch hörte. Der 44er-Colt lag griffbereit in ihrem Vorratsbeutel, wegen der Bären und Wölfe, vor allem aber wegen der Elche, die sehr gefährlich werden konnten, wenn sie den Weg eines Hundeschlittens kreuzten.

Sie blickte sich aufmerksam um und entdeckte ein Kaninchen, das in raschen Sprüngen über den vereisten Fluss hetzte und zwischen den Bäumen am anderen Ufer verschwand. Zögernd steckte sie den Revolver zurück. Das Gefühl einer drohenden Gefahr ließ sich nicht vertreiben. Wären die Hunde nicht so unruhig gewesen, hätte sie ihre Nervosität auf den bevorstehenden Besuch bei ihrem Vater geschoben. In letzter Zeit war er noch mürrischer geworden. Er war niemals über den Tod seiner Frau hinweggekommen und empfand sein Leben wie eine Strafe. Seine Tochter beschuldigte er, ihn im Stich gelassen zu haben. Wenn er besonders schlechter Laune war, hielt er ihr vor, das Schicksal herauszufordern, indem sie an dem Rennen teilnahm. »Reicht es denn nicht, dass deine Mutter umgekommen ist?«

An diesem Fluss war es geschehen. Zwei Meilen weiter nördlich, wo steile Felsen zu beiden Ufern aufragten. Nach dem Tod ihrer Mutter hatte sie ihr Vater alle paar Tage zu der Unfallstelle mitgenommen. Er hatte ein Kreuz in den Boden gerammt und pflegte die Stelle wie ein Grab, legte während des kurzen Sommers sogar Blumen nieder. Das richtige Grab ihrer Mutter lag in Fairbanks, doch ihr Vater kam sehr selten in die Stadt und behauptete, dass die Seele ihrer Mutter noch immer an der Unfallstelle war. »Sie findet keine Ruhe, Josie, sie findet keine Ruhe!«

Sie zog den Holzpflock aus dem Schnee und scheuchte die Hunde auf. »Genug gefaulenzt, Randy! He, Chip, lass den Unsinn! Spar dir deine Kräfte für den Rest des Weges! Das gilt auch für dich, Fancy! Bullet, warte gefälligst, bis die anderen Hunde so weit sind!« Josie und ihre Tiere waren eine Familie, auch wenn Maggie und die anderen Krankenschwestern darüber lachten, dass sie jeden der zehn Hunde mit Namen ansprach und viel mit ihnen redete, um ihnen das Gefühl zu geben, zu ihr zu gehören. Doch nur wenn sie eine eingeschworene Gemeinschaft mit ihrem Team bildete, hatte sie eine Chance, auf einem vorderen Platz zu landen. »Vorwärts, Randy! Lauft endlich!«

Josie trieb das Gespann aus der Senke und durch den tiefen Schnee auf die Forststraße zurück. Ihre Anfeuerungsrufe hingen wie ein Echo in der Luft. Obwohl es erst vier Uhr nachmittags war, lag düsteres Zwielicht über dem Land. Im Winter ließ sich die blasse Sonne nur für ein paar Stunden am Horizont blicken. Dafür war es während des Sommers bis spät in die Nacht taghell. Die Menschen in Alaska waren an diesen Wechsel gewöhnt. Josie, die sich nach dem Schichtplan des Krankenhauses richten musste, machte sowieso keinen Unterschied zwischen Tag und Nacht. Sie arbeitete seit einem halben Jahr im St. Joseph’s Hospital und wunderte sich manchmal selbst, wie es ihr gelang, die harte Arbeit in der Chirurgie und das Training mit den Hunden unter einen Hut zu bringen.

Auf einer abgeholzten Lichtung endete die Forststraße und Josie war gezwungen, den schmalen Fluss zu überqueren und durch den Wald zum Blockhaus ihres Vaters zu fahren. Unter den weit ausladenden Fichten war der Schnee nicht so hoch und sie kam zügig voran, obwohl sie den Himmel kaum sehen konnte und die Bäume nur schemenhaft zu erkennen waren. Die Hunde kannten den Weg und folgten dem schmalen Pfad, der unter dem Schnee verborgen lag. Sie blieb mit beiden Füßen auf den Kufen stehen und duckte sich unwillkürlich, wenn nasser Schnee von den Zweigen regnete. Das Hecheln der Hunde und die scharrenden Geräusche der Kufen auf dem harschen Schnee klangen hohl und unheilvoll.

Nach einer knappen Stunde hatte sie den Wald durchquert und der sternenübersäte Himmel kam ihr beinahe taghell vor. Sie hielt den Schlitten an. Das Nordlicht schimmerte in zarten Farben und spiegelte sich auf dem Schnee. Vor ihr führte ein abschüssiger Hang in eine weite Senke hinab, die sich bis zu den Ausläufern der Berge im Norden ausbreitete. Ein schmaler Fluss, der von einer dichten Eisschicht bedeckt war, schlängelte sich durch das Tal. Am westlichen Ufer erhob sich ein großes Blockhaus. Aus dem Schornstein quoll Rauch, nur eines der Fenster war beleuchtet. Hier hatte sie ihre Kindheit verbracht, fernab der Zivilisation, im »Busch«, wie die Leute in Alaska sagten. Sogar zur Schule war sie in dem Blockhaus gegangen. Ihre Mutter hatte sich die Bücher kommen lassen und ihr Unterricht gegeben. Elli Carmack war selbst einmal Lehrerin gewesen. Nur das College hatte Josie in der Stadt besucht. Nach dem Tod ihrer Mutter war sie noch einmal nach Hause gekommen, nur für ein paar Monate, wie ihr Vater immer wieder betonte.

Sie lenkte den Schlitten ins Tal hinab und hielt hinter dem Haus. Neben dem alten Pick-up, mit dem ihr Vater im Sommer nach Fairbanks fuhr, und den Überresten des Schlittens, der ihrer Mutter gehört hatte, stieg sie von den Kufen. Sie zog ihre Handschuhe aus, befreite die Hunde von den Leinen und band sie an die Pflöcke. In den Holzhütten, die ihr Vater gebaut hatte, war frisches Stroh aufgeschüttet. Er war auf ihren Besuch vorbereitet und doch lag in allem, was er ihr zuliebe tat, der stille Vorwurf, zu Hause habe sie es besser als »in der Fremde«. Sie tätschelte ihren Leithund und flüsterte ihm ein »Gut gemacht, Randy!« ins Ohr.

Als sie sich zum Haus wandte, sah sie ihren Vater mit dem Wasser für die Hunde durch die Hintertür kommen. »Du hättest auch ein bisschen früher kommen können«, brummte er. Er füllte die Wassertröge und berührte seine Tochter an der Schulter. »Der Elcheintopf steht seit drei Stunden auf dem Herd!«

»Hallo, Dad«, begrüßte Josie ihn. »Schneller geht es nicht, das weißt du doch. Wenn ich die Hunde zu stark antreibe, machen sie bis März schlapp.« Sie nahm den Vorratsbeutel vom Schlitten und ging zum Haus. »Ich hab dir frische Milch und Butter und ein paar Eier und etwas Gemüse mitgebracht.« Sie öffnete die Tür und ließ ihren Vater vorangehen. »Wie geht es dir, Dad?«

Bob Carmack stellte den Wassereimer in den Geräteschrank und ging zum Herd. Er füllte heißen Elcheintopf in die bereitstehenden Teller und stellte sie auf den Tisch. Aus der spärlich beheizten Speisekammer holte er Bier und Limonade. »Setz dich«, forderte er seine Tochter auf. Er war ein kräftiger Mann mit breiten Schultern und einem leicht gebückten Gang, als trüge er ständig eine schwere Last auf seinen Schultern. Sein Gesicht war von zahlreichen Falten durchzogen, die ihn älter aussehen ließen, als er wirklich war, und seine Augen blickten traurig und verbittert. Er trug graue Wollhosen und einen dunklen Pullover, den seine Frau kurz vor ihrem Tod gestrickt hatte. »Iss!«, sagte er. »Ich wette, im Krankenhaus bekommst du nur Hamburger und Hot Dogs und so was! Schau nur, wie dünn du geworden bist!«

»Das Essen im Krankenhaus ist besser, als du denkst«, erwiderte sie, nachdem sie den ersten Bissen genommen hatte. Ihr Vater war kein besonders guter Koch, aber sein Elcheintopf war unübertrefflich. Er hatte sich das Rezept über den Herd gehängt. »Und zu Hause esse ich auch ordentlich. Wir wechseln uns ab.«

»Du und diese Maggie?« Er blickte sie über den Löffel hinweg an. »Manchmal frage ich mich, ob es richtig war, mit dieser … dieser Irin zusammenzuziehen. Die hat doch nur Unsinn im Kopf!«

»Maggie ist in Ordnung«, sagte sie schärfer als beabsichtigt. »Okay, manchmal schlägt sie etwas über die Stränge, aber sie ist meine beste Freundin und die beste Krankenschwester, die ich kenne!« Sie hütete sich, ihrem Vater von der wilden Geburtstagsparty vor zwei Monaten zu erzählen, als Maggie singend durchs Krankenhaus gezogen und alle Patienten ihrer Station zu Champagner eingeladen hatte. »Der Eintopf schmeckt gut, Dad.«

»Ist ein altes Rezept von deiner Mutter«, gab er dieselbe Antwort wie jedes Mal, wenn er für sie beide gekocht hatte. Seine Augen wurden feucht. »Ich wollte, sie wäre noch hier und alles wäre wie früher!« Er hielt mit dem Essen inne und blickte sie lange an. »Warum kommst du nicht zurück, Josie? Was ist an dem Leben in Fairbanks dran, dass du unbedingt dort bleiben willst? Hier hättest du doch alles, was du brauchst! Die Arbeit im Sägewerk bringt genug und im Winter könnten wir zusammen Pelztiere jagen und die Fallen ablaufen. Die Arbeit im Krankenhaus ist nichts für eine junge Frau! Mom hätte bestimmt nicht gewollt …«

»Lass Mom aus dem Spiel!«, erwiderte Josie scharf. »Mom war immer dafür, dass ich aufs College gehe und einen anständigen Beruf lerne!« Als sie den bestürzten Gesichtsausdruck ihres Vaters sah, zwang sie sich zu einem Lächeln und fuhr etwas sanfter fort: »Warum müssen wir immer streiten, Dad? Jedes Mal wenn ich dich besuche, geht es um das Gleiche! Ich liebe dich, Dad, das weißt du doch, und ich tue alles, damit es dir gut geht. Aber du kannst die Zeit nicht zurückdrehen! Ich bin erwachsen!« Sie nahm einen Schluck von ihrer Limonade. »Ich habe einen Beruf und kann mich nicht dauernd um dich kümmern! Ich bin Krankenschwester! Gerade jetzt werden Schwestern gebraucht!«

»Du meinst wegen dem Krieg?« Er schüttelte unwirsch den Kopf. »Der Krieg ist weit weg, mein Kind, und es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn wir uns da reinziehen lassen!«

»Die Soldaten in Fairbanks reden anders, Dad. Maggie war mit einem Captain befreundet und der sagte, dass ein kleiner Funke genügt um das Pulverfass zu sprengen. Er konnte ihr nicht sagen, welcher Funke das sein soll, aber es klang ziemlich ernst.«

Ihr Vater winkte ab. »Der wollte sich doch nur wichtig machen! Nein, hier draußen bekommen wir von diesem Krieg bestimmt nichts mit.« Er trug seinen leeren Teller zum Spülstein, wischte sich den Mund mit dem Geschirrtuch ab und kehrte zum Tisch zurück. Nachdem er einen großen Schluck von seinem Bier getrunken hatte, fragte er: »Wie kommst du mit den Hunden voran?«

Josie stellte zufrieden fest, dass ihr Vater einem Streit aus dem Weg gehen wollte, und antwortete: »Sie machen sich gut, Dad, besonders Randy, der ist ein richtig guter Leithund geworden.«

»Randy …«, wiederholte Bob Carmack nachdenklich. Natürlich meinte er den Leithund seiner verstorbenen Frau. »Randy war ein guter Hund. Hätte er sich damals nicht den Magen verdorben, hätte Elli das Rennen gewonnen und alles wäre ganz anders gekommen. Deine Mutter konnte mit Hunden umgehen.«

»Ich weiß, Dad. Ich weiß.«

»Sie wäre als Erste ins Ziel gegangen, ganz bestimmt.«

»Im März werde ich gewinnen, Dad. Bis nächsten März sind die Hunde in Form. Wenn ich Bullet dazu bringe, zwei oder drei Pfund abzunehmen, und Fancy die Beißerei abgewöhne, kann uns nichts passieren! Dann schlägt uns nicht mal der Indianer!«

»Yukon Charly? Der hat ein gutes Team.«

»Ich bin besser, Dad. Du wirst sehen.«

Sie wussten beide, dass schon ein Platz unter den ersten fünf ein großer Erfolg gewesen wäre, sagten aber nichts. Schweigend spülte Josie die Teller ab und stellte sie in den Schrank. Während sie abtrocknete, stopfte ihr Vater sich eine Pfeife und zündete sie an.

»Irgendwas ist da draußen«, sagte Josie, als sie das Handtuch an den Haken hängte. Sie ging zum Fenster und kratzte einige Eisblumen von der Scheibe. »Sieht ziemlich düster aus heute.«

»Wird ein Sturm sein«, erwiderte ihr Vater. Er zog nachdenklich an seiner Pfeife. »Wir hatten lange keinen Sturm mehr.«

2

In dieser Nacht schlief Josie sehr unruhig. Sie übernachtete in dem Zimmer, das sie bereits als kleines Mädchen bewohnt hatte, und schreckte zweimal aus einem bösen Traum. Sie war allein mit dem Hundeschlitten unterwegs und stürzte wie vor ein paar Jahren ihre Mutter einen Abhang hinunter und landete mit dem Gesicht nach unten im eisigen Wasser eines Flusses. Während sie verzweifelt versuchte sich aus ihrer bedrohlichen Lage zu befreien, hörte sie die anklagende Stimme ihres Vaters, der immer wieder rief: »Warum tust du mir das an, mein Kind? Warum lässt du mich im Stich?«

Sie erwachte schweißgebadet und starrte auf die hellen Flecken, die das Nordlicht in ihr Zimmer warf. Neben dem Regal mit den Romanen, die ihre Mutter und sie immer wieder gelesen hatten, hing ein gerahmtes Foto, das ihre Eltern und sie während eines Ausflugs nach Fairbanks zeigte. Zehn Jahre musste das her sein. Sie hatten den dreißigsten Geburtstag ihrer Mutter in einem Steakhaus gefeiert, und sie erinnerte sich noch genau daran, zum Nachtisch das größte Eis ihres Lebens gegessen zu haben. Auf dem Foto waren ihre Eltern zu sehen, wie sie sich mit roter Limonade zuprosteten. Während der Prohibition war Alkohol streng verboten gewesen, obwohl es genug Männer gab, die ihren Schnaps selbst brannten und unter der Hand verkauften.

Sie schlüpfte in ihre Hausschuhe und trat ans Fenster. Ihr Zimmer war nicht beheizt und die Hitze von dem großen Ofen in der Wohnküche drang nur schwach unter der Tür hindurch. Sie kratzte etwas Eis von der Fensterscheibe und blickte in die Nacht hinaus. Das Nordlicht hing in bunten Schleiern am Himmel, wie ein Regenbogen, der im Wasser zerfloss, und überzog den Schnee mit zitternden Mustern. Das Eis des Flusses glänzte kalt. Die Zweige der nahen Fichten schwankten im böigen Wind und vor der Eingangstür ihres Blockhauses hingen Eiskristalle in der Luft. Kein Laut war zu hören, nicht einmal das Rauschen des Windes, und doch hatte sie das Gefühl, von einer unsichtbaren Stimme gewarnt zu werden. Menschen, die so lange in der Wildnis lebten wie sie, spürten instinktiv, wenn eine Gefahr nahte, so wie ein Trapper das Auftauchen eines Wolfes oder Bären erahnte, bevor er aus dem Busch brach und angriff.

Josie schalt sich eine Närrin und kehrte ins Bett zurück. Was sollte ihr im Schutz des Blockhauses schon passieren? Wahrscheinlich machte sie sich zu viele Gedanken um ihren Vater. Er würde sich nie ändern. Der Verlust seiner Frau hatte tiefe Wunden zurückgelassen, die niemals verheilen würden. Anders als Josie schaffte er es nicht, sich auf ein neues Leben einzustellen. Er klebte an dem Haus und den Erinnerungen, die ihn wie ein Schutzwall umgaben. Und er war seiner Tochter böse, weil sie diese Mauer durchbrochen hatte und ein eigenes Leben führte. Sie konnte nichts anderes tun als ihn auch weiterhin wie eine Tochter zu lieben, ohne ihr eigenes Ich dabei aufzugeben.

Sie schlief ein und wachte erst vom Gebell der Hunde auf. Noch vor dem Frühstück brachte sie ihnen Wasser und etwas zu fressen. Während des Trainings bekamen sie besonders gutes Futter, meist Trockenlachs und Haferbrei und manchmal auch etwas Milch. Sie gab einen großen Teil ihrer Ersparnisse für das Futter aus und konnte von Glück sagen, dass der Koch im Krankenhaus sie regelmäßig mit Fischresten versorgte und einige Ärzte in der Chirurgie zusammengelegt und ihr eine ganze Kiste mit Haferbrei gekauft hatten. Unmittelbar vor und auch während des Rennens brauchten die Hunde weniger, bekamen nur einmal am Tag zu fressen, meistens abends.

Nachdem sie gefrühstückt hatte, verabschiedete Josie sich von ihrem Vater. Er vermied es, sie bei der Umarmung anzusehen, und brummte: »Bleib nächstes Mal ein bisschen länger! Man sieht dich ja überhaupt nicht mehr!« Ohne darauf zu antworten griff sie nach ihrem dunkelblauen Anorak. Sie stülpte eine Wollmütze über ihre blonden Naturlocken, die beinahe bis auf die Schultern reichten, und schmierte etwas Fett auf ihre Lippen und ihre leicht hervorstehenden Wangen. Ihre Augen leuchteten hellblau, »wie der Himmel an einem sonnigen Tag«, hatte einer ihrer Verehrer einmal geschwärmt. »Mach’s gut, Dad!«, sagte sie.

Nachdem sie die Kapuze übergezogen hatte, ging sie nach draußen und schirrte die Hunde an. Die Huskys bellten erwartungsvoll, als sie ihnen die Geschirre anlegte. Sie konnten es gar nicht erwarten, wieder durch den Schnee zu rennen. Das Laufen lag ihnen im Blut. Es gab nichts Schöneres für sie, als bei klirrender Kälte um die Wette zu laufen, und nichts konnte sie dazu bewegen, die eisige Natur mit einem gemütlichen Plätzchen am Kamin zu tauschen.

»Vorwärts! Go! Go!«, rief Josie. Sie hob grüßend eine Hand und lenkte den Schlitten in den düsteren Morgen. Voller Energie stürmten ihre Hunde den Hang zum Waldrand hinauf. Es hatte während der Nacht kaum geschneit und ihre Spuren vom vergangenen Abend waren noch deutlich zu sehen. Das Blockhaus mit dem erleuchteten Küchenfenster blieb hinter ihr zurück. »Vorwärts, Randy! So ist es gut!« Die Hunde stürmten über den gefrorenen Schnee, schienen begierig darauf zu sein, den unruhigen Schein des Nordlichts hinter sich zu lassen und im Dunkel des Waldes unterzutauchen. Sie brauchte kaum zu schieben, konnte selbst auf der Steigung auf den Kufen stehen bleiben.

Jenseits des Waldes, entlang des zugefrorenen Flusses, an dem ihre Mutter verunglückt war, kehrte ihre Unruhe zurück. Die schroffen Felsen am Ufer ragten wie bedrohliche Schatten in das Halbdunkel, und ihre Hunde zögerten einen Augenblick, bevor sie den Fluss überquerten, als hätten sie Angst, die andere Seite zu erreichen. Sie blickte sich aufmerksam um, suchte nach einem Elch oder einem wilden Tier und feuerte die Hunde an, als sie nichts entdeckte: »Weiter, Randy! Lauft schneller! Da ist nichts!«

Gegen Mittag kroch etwas Helligkeit über den Horizont und ließ das Land in blassen Farben erstrahlen. Im trüben Schein des Tages wirkten die Felsen noch schroffer und der Wald noch abweisender. Die Kälte lag wie ein unsichtbarer Schleier über dem Schnee und schien die Erde erdrücken zu wollen. Sie rastete im Schutz einiger Bäume, erhitzte etwas Milch für die Hunde über einem Gaskocher, trank heißen Tee und aß von den Keksen aus ihrem Vorratsbeutel. Ein Blick auf die Taschenuhr, die sie von ihrem Großvater geerbt hatte, zeigte ihr, dass ihre Hunde gut in Form waren. Bis zum März, wenn das Rennen startete, würden sie ihre Bestform erreicht haben.

Sie verstaute die Thermosflasche und munterte die Hunde auf: »Schluss mit der Faulenzerei, Randy! Es geht weiter! Auf die Beine, Chip! He, Bullet, du nimmst Fancy den ganzen Platz weg! Rück ein bisschen zur Seite!« Sie ordnete das Gespann, zog den Anker aus dem Schnee und sprang auf die Kufen. »Go, Randy! Wollt ihr wohl laufen, ihr faulen Biester? Vorwärts, Bullet! Jetzt wollen wir doch mal sehen, was ihr könnt!«

Sie trieb das Gespann auf die Forststraße und spürte den eisigen Fahrtwind im Gesicht. Die Kufen des Schlittens scharrten durch den Schnee. Bei den nächsten Trainingsfahrten würde sie mehr Gewicht auf den Schlitten packen, um es den Hunden etwas schwerer zu machen. Sie glich den Schlingerkurs durch einige Bewegungen aus und ging leicht in die Knie, als der Schlitten über eine Bodenwelle sprang. Jetzt waren die Hunde in ihrem Element. Auf diesem Abschnitt des Weges konnten sie zeigen, dass sie auch im Sprint nicht zu schlagen waren. »Heya! Heya! Schneller, Randy, schneller!« Erst nach zwei oder drei Meilen ließ Josie die Hunde etwas langsamer gehen und steuerte den Schlitten über die Böschung in den Tiefschnee hinein.

Überrascht und doch entschlossen stemmten sich die Huskys gegen das unerwartete Hindernis. »Gee! Nach rechts!«, rief Josie und forderte die Hunde bewusst heraus. Auch beim Rennen nach Livengood waren die Pfade nicht gewalzt und die Musher waren gezwungen, ihre Gespanne querfeldein durch den Busch zu treiben. Josie sprang von den Kufen, die Hände fest um die Haltegriffe geklammert, und half ihrem Team durch den aufwirbelnden Schnee und die fliegenden Eiskristalle. »Wir machen einen kleinen Umweg!«, rief sie den Hunden zu. »Höchste Zeit, dass wir uns an den Busch gewöhnen! Streng dich an, Randy!«

Doch ungefähr zwei Meilen von der Forststraße entfernt kam ihre Fahrt zu einem abrupten Ende. Das Unheil, das schon am vergangenen Abend zu spüren gewesen war, nahm seinen Lauf. Unerträglicher Lärm erfüllte plötzlich die Luft – das Brummen eines Motors, so laut und durchdringend, als würde direkt neben ihr ein Flugzeug starten. Sie drehte sich erschrocken um und sah einen dunklen Schatten über den Schnee huschen. Aus dem Zwielicht im Osten rauschte ein Buschflugzeug heran, eine Bellanca mit roten Tragflächen. Die Maschine war so nahe und so tief, dass Josie in panischer Angst aufschrie und durch den Luftdruck wie von der unsichtbaren Faust eines Riesen vom Schlitten geschleudert wurde. Die Skier der Bellanca streiften beinahe ihr Gesicht. Sie fiel in den Schnee und riss schützend beide Hände über den Kopf, tauchte sekundenlang in ein Meer aus schäumendem Schnee und Eiskristallen, als die Maschine über sie hinwegbrauste und stotternd und röhrend im Halbdunkel verschwand.

Zu spät erholte sie sich von ihrem Schrecken. Sie hörte noch, wie ihre Hunde bellend und winselnd vor dem Flugzeug scheuten, doch als sie aufsprang und nach den Leinen greifen wollte, waren die Huskys mit dem Schlitten bereits durchgegangen. In ihrer Panik stürmten sie durch den tiefen Schnee davon und nichts konnte sie mehr aufhalten, nicht einmal das verzweifelte »Whoaa! Whoaa! Bleibt stehen, verdammt!« ihrer Musherin. Sie verschwanden über den nächsten Hügel und ihr Gebell wurde immer leiser und verstummte dann ganz.

Josie sank in den Schnee zurück und stöhnte entkräftet. Als erfahrene Schlittenführerin wusste sie, dass man ein durchgehendes Hundegespann selten einholte. »Wenn du dein Team verlierst, bist du erledigt!«, lautete ein altes Musher-Sprichwort. Sie konnte froh sein, wenn sie die Hunde bald wieder sah. Seufzend richtete sie sich auf. Sie klopfte den Schnee von ihren Kleidern und erschrak erneut, als das ferne Brummen der Maschine abbrach und von einem lauten Krachen und Splittern abgelöst wurde. Im nächsten Augenblick schoss eine Stichflamme hinter den Hügeln empor und ein greller Feuerblitz durchbrach das Zwielicht. Feuerzungen bohrten sich in den Himmel, wie bei dem Feuerwerk, das jeden Unabhängigkeitstag in Fairbanks gezündet wurde und das man noch weit draußen im Busch sah.

Für einige Sekunden war Josie wie gelähmt. Sie stand reglos im tiefen Schnee und starrte unentwegt auf den Feuerblitz, der langsam in sich zusammenfiel und zu einem flackernden Lichtfleck verkümmerte. »Die Maschine!«, rief sie entsetzt. »Sie ist abgestürzt!« Sie vergaß ihre eigenen Sorgen und stapfte in die Richtung des Feuers, zuerst langsam, dann immer schneller und über dem steilen Hang auf allen vieren. Als sie keuchend den Hügelkamm erreichte, blickte sie entgeistert auf das brennende Flugzeug. Das Wrack lag in einer Schneewehe, das Heck wie eine tauchende Ente nach oben gereckt. Das Feuer fraß sich in die Maschine hinein. Schwarzer Rauch quoll aus der Pilotenkanzel und verteilte sich im böigen Wind. Eine Tragfläche war abgebrochen und lag einige Meter weiter im Schnee. Von dem Piloten war nichts zu sehen. »Mein Gott!«, keuchte Josie.

Sie stolperte den Hang hinab und näherte sich dem Wrack. Obwohl sie mit dem Wind lief, machte ihr der Qualm das Atmen schwer. Sie ging näher an das Wrack heran, einen Arm schützend über die Augen gehalten, und spähte in die Maschine hinein. Soweit sie erkennen konnte, gab es keine Passagiere. Gleich hinter dem Pilotensitz begann der Frachtraum. Durch den Rauch waren einige Kisten und ein Postsack zu sehen. Die Sitze waren leer. Josie ging um die Bellanca herum, schüttelte ungläubig den Kopf und entfernte sich ein paar Schritte, bis die Hitze und der Rauch kaum noch zu spüren waren. Sie hustete erleichtert und wischte sich den Ruß aus den Augen.

Wo war der Pilot? Sie ging weiter und sah eine reglose Gestalt im Schnee liegen. Ein Mann in Wollhosen und gefütterter Lederjacke, das erkannte sie sogar in dem langsam schwindenden Zwielicht. Sie lief zu dem bewusstlosen Mann und drehte ihn vorsichtig auf die Seite. Als Krankenschwester wusste sie, wie man mit einem Verletzten umging. Sie tastete den Mann mit beiden Händen ab und stellte erleichtert fest, dass er kaum verletzt war. Außer einer Schramme an der rechten Schläfe schien er nichts abbekommen zu haben. Anscheinend war er beim Aufprall der Maschine aus dem Cockpit und in eine Schneewehe geschleudert worden, da war auch die Gefahr, dass er innere Verletzungen davongetragen hatte, nur sehr gering. »Glück gehabt, Mister!«, flüsterte sie.

Sie griff nach der gefütterten Lederkappe, die der Pilot beim Sturz verloren hatte, und zog sie ihm über das widerspenstige Haar. Er war jung, höchstens zwei oder drei Jahre älter als sie, und sah sehr männlich aus. Seine Gesichtszüge waren kantig, das Kinn stark und entschlossen, die Lippen etwas schmal. Sie hätte gern gewusst, welche Farbe seine Augen hatten. Vorsichtig wischte sie ihm den Ruß vom Gesicht.

Sie zog ihre Handschuhe an und blickte sich unschlüssig um. Ihr Schlitten war weg und das Wrack ausgebrannt. Sie besaß weder Proviant noch warme Decken. Auch ihre Waffe war mit dem Schlitten verschwunden. Sie hatten nur das, was sie am Körper trugen, und waren ungefähr vierzig Meilen von Fairbanks entfernt. Sie erinnerte sich an einige Trapperhütten, doch die lagen abseits der Forststraße und sie hätten durch den tiefen Schnee laufen müssen, um eines der Blockhäuser zu erreichen. Nach ihr würde man erst am nächsten Morgen suchen. Maggie war es gewohnt, dass sie spät von ihrem Vater zurückkehrte, und alarmierte die Polizei bestimmt erst, wenn sie vom Nachtdienst zurückkehrte und ihre Freundin immer noch nicht zu Hause war. Sie blickte zum Himmel. Die Chance, dass man ein Flugzeug losschickte, um nach dem vermissten Piloten zu suchen, war wesentlich größer. Ein anderer Pilot würde keine Schwierigkeiten haben, das Wrack in der Senke zu entdecken.

Aber bis dahin konnten Stunden vergehen und der bewusstlose Pilot brauchte dringend ein warmes Lager, wenn er in der eisigen Kälte nicht erfrieren sollte. Noch schützten ihn die Hitzeschleier, die von der brennenden Maschine herüberwehten, gegen die niedrigen Temperaturen. Sie handelte schnell und vernünftig, wie sie es als Krankenschwester gewohnt war. Den besten Schutz bot der nahe Wald. Mit dem Schlitten hätte sie die kurze Entfernung zu den Fichten in wenigen Minuten geschafft, aber so war sie auf ihre eigene Kraft angewiesen und brauchte über eine Stunde, um den Verletzten zum Waldrand zu bringen. Sie zog ihn wie einen Toten durch den Schnee und geriet dabei gefährlich ins Schwitzen. Unter den Bäumen bereitete sie ein Lager aus Fichtenzweigen, legte ihn darauf und deckte ihn mit Zweigen zu. Erst dann nahm sie sich die Zeit, um kurz zu verschnaufen.

Zumindest war sie so klug gewesen, eine Schachtel mit Streichhölzern in ihre Hosentasche zu stecken. Eine Vorsichtsmaßnahme, die jeder Mensch, der sich oft in der Wildnis aufhielt, beachtete. Sie entfachte ein kleines Feuer, sah noch einmal nach dem Piloten und nickte zufrieden. Erschöpft setzte sie sich auf einige Fichtenzweige und wärmte ihre Hände über den Flammen. Nur widerwillig räumte sie sich selbst gegenüber ein, dass sie keine Schuld an dem Verlust ihres Schlittens trug. Selbst ein Indianer, der die meiste Zeit seines Lebens in Schnee und Eis verbracht hatte, wäre in einer solchen Situation von den Kufen geschleudert worden. »Warum kommst du nicht zurück, Randy?«, rief sie, obwohl ihr klar war, dass die Hunde niemals umkehren würden. Wenn sie Glück hatte, liefen sie noch in dieser Nacht zu ihrem Blockhaus zurück.

Die Wärme des kleinen Feuers gab ihr neue Kraft und weckte ihre Lebensgeister. Sie stand auf und trat ins Freie, blickte zu dem Wrack hinüber, das wie ein totes Monster im Schnee lag. Sie würde ein großes Feuer in der Senke oder auf der nahen Forststraße anzünden müssen, wenn ein Suchflugzeug sie finden sollte. Sobald der Pilot aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht war, würde sie sich an die Arbeit machen. Sie ging zurück und sah, dass der junge Mann sich stöhnend regte. Sie beugte sich zu ihm hinab und lächelte, als er die Augen öffnete. Seine Augen waren braun.