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Vorschau

Dorian Hunter Band 92: Taklamakan

Um Salamanda Setis als Schiedsrichterin zu stürzen, will Olivaro einen neuen Eidesstab anfertigen. Dorian Hunter hat sich auf diesen Plan eingelassen und weiß eventuell sogar, wo sich ein weiterer Feuerschädel finden lässt, der für die Herstellung des Stabs erforderlich ist. In seinem früheren Leben als Hugo Bassarak ist er in der Taklamakan-Wüste auf ein entsprechendes Artefakt gestoßen. Allerdings hat Hugo aus irgendeinem Grund alles getan, um die entsprechenden Erinnerungen zu blockieren. Welche Schrecken verbergen sich im fernen Osten, mit denen selbst eine frühere Inkarnation des Dämonenkillers nicht fertig werden kann?

 

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Taschenspiel

 

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Band 91

 

Taschenspiel

 

von Catherine Parker und Christian Schwarz

nach einem Exposé von Susanne Wilhelm

 

 

© Zaubermond Verlag 2018

© "Dorian Hunter – Dämonenkiller"

by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

 

 

Titelbild: Mark Freier

eBook-Erstellung: Die Autoren-Manufaktur

 

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Alle Rechte vorbehalten

 

 

Was bisher geschah:

 

Der ehemalige Reporter Dorian Hunter hat sein Leben dem Kampf gegen die Schwarze Familie der Dämonen verschrieben, seit seine Frau Lilian durch eine Begegnung mit ihnen den Verstand verlor. Seine Gegner leben als ehrbare Bürger über den gesamten Erdball verteilt. Nur vereinzelt gelingt es Dorian, ihnen die Maske herunterzureißen.

Bald kommt Hunter seiner eigentlichen Bestimmung auf die Spur: In einem früheren Leben schloss er als französischer Baron Nicolas de Conde einen Pakt mit dem Bösen, der ihm die Unsterblichkeit sicherte. Der Pakt galt, und als de Conde selbst der Ketzerei angeklagt und verbrannt wurde, wanderte seine Seele in den nächsten Körper. Im Jahr 1713 wurde er als Ferdinand Dunkel in Wien Zeuge, wie Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie, von einem Nachfolger verdrängt wurde, der sich fortan Asmodi II. nannte. Ihn kann Dorian schließlich töten.

Nach vielen Irrungen nimmt Lucinda Kranich, die Schiedsrichterin der Schwarzen Familie, die Rolle des Asmodi an. Niemand weiß, dass sie in Wirklichkeit hinter dem wiedererstandenen Fürsten steckt. Und letztendlich wird ihre Maskerade Wirklichkeit. Dass Lucinda sich einen Teil Asmodis einverleibt hat, um seine Macht zu erlangen, wird ihr zum Verhängnis. Der in ihr schlummernde Asmodi übernimmt die Kontrolle über ihren Körper und ersteht so tatsächlich wieder auf.

Den Posten des Schiedsrichters nimmt die babylonische Vampirin Salamanda Setis an, die noch ein sehr persönliches Hühnchen mit Dorian zu rupfen hat. Gleichzeitig gelingt es Dorian mithilfe seiner Tochter Irene, ganz Großbritannien von Dämonen zu befreien. Allerdings sind Salamanda und Asmodi bereits dabei, einen Gegenschlag zu planen.

 

 

Erstes Buch: Winchester House

 

Winchester House

 

von Christian Schwarz

nach einem Exposé von Susanne Wilhelm

 

 

Prolog

 

San José, Kalifornien

Solomon Keyes lenkte das alte Oldsmobile langsam über den Winchester Boulevard. Er behielt seine Zielperson, die ein Stück vor ihm fuhr, fest im Blick. Sie konnte ihm nicht mehr entkommen. Zumal sie keine Ahnung hatte, dass er sich bereits so dicht auf ihren Fersen befand.

Die Zielperson bog in den Olsen Drive ab. Am Winchester-Haus vorbei ging es in den Water Witch Way, der diesen Block begrenzte. Die Zielperson fuhr den Buick an den Straßenrand, sah sich kurz um, stieg aus und ging zu einem der schicken Bungalows, die die schmale Straße säumten. Er trug die Hausnummer 585. Im Vorbeifahren sah Keyes, dass die Zielperson die Haustür aufschloss und im Haus verschwand. Er schaute kurz auf die Uhr. Es war genau vier Uhr und drei Minuten nachmittags.

Keyes fuhr weiter, parkte seinen Wagen ein Stück die Straße hoch und ging den Weg zurück. Die erstaunten Blicke einiger Passanten, die seinem Aussehen galten, genoss er. Fast liebevoll strich er über seine Pistolen, als er an der Haustür von 585 Water Witch Way klingelte. Niemand öffnete ihm. So ging er ums Haus herum und schaute durch die Fenster, bemerkte aber niemanden. Keyes brach einen Seiteneingang auf, der unter einem Vordach lag und nicht einsehbar war. Mit gezogener Pistole ging er durchs Haus, das muffig roch und unbewohnt schien. Die Zielperson war nirgends auszumachen.

Es dauerte nicht lange, dann stand Keyes vor des Rätsels Lösung. Ein Geheimgang im Keller, den die Zielperson erst vor Kurzem benutzt hatte. Keyes tauchte in das dunkle, feuchte Loch. Als er den Geheimgang wieder verließ, war es genau vier Uhr und dreiundfünfzig Minuten. Der Raum, in den er mündete, erstaunte ihn über alle Maßen.

Bin ich in einem Schloss oder so was gelandet?, dachte er und lächelte amüsiert. Auch hier drinnen würde ihm die Zielperson nicht entkommen.

 

 

1.

 

Winchester Mystery House, San José

Hillary Brancheau stand vor dem Spiegel und zog die Augenbrauen nach.

»Wie lange dauert das denn noch?«, fragte Paul Cooke, der vor der halb geöffneten Tür wartete. »Die verschwinden bereits um die nächste Ecke. Gib Gas. Maggie hat dir eine halbe Minute gegeben.«

»Ja, ja, bin schon fertig.« Hillary verstaute den Augenbrauenstift rasch in ihrer Handtasche. Sie glaubte nicht an Geister. Trotzdem war ihr die Vorstellung, in diesem unglaublichen Haus ihre Führerin zu verlieren, äußerst unangenehm. Sie hatte keine Lust, sich hier drin zu verirren. Und sei es auch nur für einen kurzen Zeitraum.

Plötzlich bewegte sich die Tür. Sie fiel so krachend ins Schloss, als habe sie jemand zugeschlagen! Die junge Frau erschrak heftig. Im ersten Moment glaubte sie an einen von Pauls berüchtigten Scherzen, die mitunter wenig sensibel ausfielen.

»Was soll der Scheiß?«, rief sie zornig.

Das Licht flackerte. Und ging ganz aus. Schlagartig stand Hillary in vollkommener Finsternis. Sie versteifte sich. Eiskalte Finger krochen über ihren Rücken. Ein leises bösartiges Kichern ließ sie zusammenzucken.

Für eine Zehntelsekunde blitzte das Licht wieder auf. Und riss eine Gestalt aus der Finsternis, die direkt hinter ihr stand! Eine abgrundtief böse, gierige, lüsterne Visage starrte sie über ihre linke Schulter an.

Hillary sah sie im Spiegel. Sie glaubte, ihr Herz müsse stehen bleiben. Die Vorstellung, dass ein Monster direkt hinter ihr in der Finsternis lauerte, brachte sie fast um den Verstand. Sie fuhr herum, schlug blind mit der Handtasche um sich und schrie sich die Seele aus dem Leib.

Erst ein kräftiger Schlag auf die Wange brachte sie wieder zu sich. Paul stand mit bleichem Gesicht vor ihr und schaute sie entsetzt an. »Was ist bloß in dich gefahren, Hill?«, fragte er. »Warum hast du so fürchterlich geschrien? Das hat ja geklungen, als ob dich einer abschlachten will …«

Hillary zitterte jetzt so stark, dass sie sich kaum auf den Beinen halten konnte. Sie begann zu schluchzen, als Paul sie in den Arm nahm. Er streichelte über ihr Haar. »Ist ja gut«, murmelte er. »Beruhige dich bitte wieder, ich bin ja bei dir. Was war bloß los?«

»Ja, das würde ich auch gerne wissen«, sagte Maggie Linn, die gerade eben das Badezimmer betrat.

 

Maggie Linn gab die Tür frei, als der junge Mann mit dem Vollbart und den schulterlangen lockigen Haaren seine Freundin aus dem Badezimmer führte. War sie seine Freundin? Wohl schon. Sehr hübsch, teuer gekleidet, teure Handtasche. Aber ganz offensichtlich ein bisschen überdreht …

Das plötzlich einsetzende hysterische Geschrei hatte auch die anderen Tourmitglieder wieder zurückgelockt. Nun standen sie dichtgedrängt im engen, dunklen Korridor und starrten sensationslüstern auf das Pärchen. Dem jungen Mann war das sichtlich peinlich. Die Frau, um die er fürsorglich den Arm gelegt hatte, schluchzte noch immer. Erst als sie die Wand aus Leuten vor sich sah, verstummte sie schlagartig. Der Mann reichte ihr ein Papiertaschentuch. Sichtlich verlegen tupfte sie ihre Tränen aus dem Gesicht.

Maggie lächelte sie beruhigend an. »Sind Sie okay, Miss …?«

»Danke, es … es geht schon wieder. Ich heiße Hillary«, erwiderte sie leise und stockend.

»Und ich bin Paul«, stellte sich der junge Mann ungefragt vor und nahm zum ersten Mal seine Sonnenbrille ab. »Ich gehe jetzt einfach mal davon aus, dass Sie Hillary nicht mit irgendwelchem Geister-Hokuspokus erschreckt haben. Oder?«, stieß er scharf hervor.

Maggie blieb ruhig. »Natürlich nicht, Paul. Wir machen hier keinen Hokuspokus.«

»Tatsächlich? Dann haben sich die Gardinen im venezianischen Salon vorhin von alleine bewegt? Ich meine, obwohl nicht der kleinste Luftzug zu spüren war?«

Das Gespräch wurde langsam unangenehm. Es gab tatsächlich Vorrichtungen für kleine Geistereffekte im Haus, darunter auch drei Wind- und zwei Soundmaschinen für geisterhaftes Geflüster. Maggie hob bedauernd die Hände. »Ich habe das nicht gesehen, tut mir leid. Von uns gemachte Spezialeffekte gibt es nur bei unseren Events an Halloween oder am Freitag, dem dreizehnten. Und das sind alles Lightshows.«

»Ach, ja?«, mischte sich nun Hillary ein. Ihre Angst war wie weggeblasen, ihre Augen funkelten. »Und wie würden Sie das nennen, wenn plötzlich die Tür zufällt, das Licht ausgeht und mir im wieder aufzuckenden Licht eine Horrorgestalt über die Schulter schaut? Vielmals Entschuldigung, das ist ja auch eine Lightshow.«

Die anderen Tourmitglieder begannen erregt zu murmeln.

Was soll das Geschwätz?, dachte Maggie erbost. Welche Psychiatrie hat dir denn Freigang gewährt …? Die 43-Jährige machte den Job als Winchester Mystery House Tour Guide seit knapp 20 Jahren und hatte schon allerhand Typen erlebt. Aber derart hysterisch hatte sich noch niemand aufgeführt.

»Was denn, die Badezimmertür soll zugefallen sein?«, fragte Paul verwirrt und ließ Hillary los.

»Ja, sagte ich doch. Und dann wurde es schlagartig finster, und diese Halloween-Gestalt stand hinter mir. Wirklich super gemacht, das muss ich zugeben. Ein totenbleicher Mann mit Schnauzbart und Hut und tiefen, dunklen Ringen unter den Augen. Und aus den Augen lief Blut.« Hillary stieß ein zorniges Lachen aus. »Aber hören Sie mal, Maggie, was machen Sie beispielsweise mit Leuten, die kein so starkes Herz haben wie ich und bei der Show tot umkippen? Irgendwo verschwinden lassen?«

»Aber … die Tür stand doch die ganze Zeit offen«, erwiderte Paul bestürzt. »Die ist nicht zugefallen, ich schwör’s dir. Ich konnte jederzeit ins Badezimmer schauen. Da drin ist es garantiert keine Sekunde dunkel geworden. Du hast plötzlich laut losgeschrien, aber da war es hell …«

Da haben wir’s. Das Püppchen ist wirklich total überdreht, dachte Maggie erbost. Sie ärgerte sich über die unfreiwillige Verzögerung. Sie wollte die Tour pünktlich beenden, um nach Hause zu kommen. Heute Abend waren ihr Mann Burt und sie mit einem befreundeten Ehepaar zum Essen verabredet.

Paul schien erst jetzt zu merken, welche fatalen Folgen seine offenen Worte für Hillary haben konnten. »Aber ist ja egal«, schob er schnell hinterher und lächelte bedauernd in Richtung der anderen. »So was kann schon mal passieren, wenn man übermüdet ist, oder? Sie hat beim Schminken wahrscheinlich einfach zu intensiv an die Geistergeschichten gedacht und sich dann plötzlich in was reingesteigert. So war es doch, Hill, nicht wahr? Du sagtest doch noch heute Morgen, wie schlecht du geschlafen hast.«

Hillary setzte zu einer heftigen Erwiderung an. »J-ja, ich war schon den ganzen Tag müde«, erwiderte sie dann aber.

Ah, sie hat’s also auch kapiert, dachte Maggie. Immerhin ist sie nicht blöd. Das ist doch schon mal was. Aber einen kriegt sie trotzdem noch mit …

Maggie öffnete die Badezimmertür und knipste das Licht an. »Bitte kommen Sie noch mal mit mir ins Bad, Hillary«, sagte sie. Die junge Frau zögerte, trat dann aber mit Paul zusammen ein.

»Sehen Sie selber«, sagte Maggie, während sich drei, vier andere an der Tür drängten, um ja nichts zu verpassen. Sie knipste das Licht aus. Da es ein kleines Fenster gab, verblieb der Raum in schwachem Licht. »Es kann um diese Zeit gar nicht vollkommen finster werden, wenn das Licht ausgeht. Ich hoffe, das beruhigt Sie. Die Geister des Hauses sind im Allgemeinen friedlich. Sie haben noch nie jemanden wirklich erschreckt.«

»Also mich wundert das absolut nicht in dieser unheimlichen Umgebung«, sprang eine ältere, ziemlich beleibte Farbige Hillary bei. Sie trug schreiend bunte Kleidung und stand zuvorderst. »Ich habe meine fünf Sinne ansonsten beisammen, aber hier kann man schon mal Dinge sehen, die nicht existieren.«

»Vielleicht ist Hillary sensibler als wir anderen und hat etwas gesehen, was tatsächlich existiert«, hörte Maggie eine männliche Stimme aus dem Hintergrund. »Das kann ja sein. Ich meine etwas, was wir anderen nicht mitkriegen würden, das sie aber sieht.«

»So wie bei Shining, genau«, erwiderte eine Frauenstimme. »Das ist ja wirklich echt gruselig.«

»Wir gehen weiter«, sagte Maggie Linn bestimmt, nachdem sie wieder aus dem Badezimmer getreten war.

Ein älterer, hochgewachsener Mann mit weißen, streng gescheitelten Haaren und kantigem, glattrasiertem Gesicht, der Stoffhosen und ein grünes Poloshirt trug, klatschte in die Hände. »Das war wirklich eine super Vorstellung«, sagte er höhnisch in Richtung Hillarys und Pauls, »geben Sie ruhig zu, dass Sie ein Teil der Show sind, um uns den ganzen Geisterquatsch ein bisschen schmackhafter zu machen.«

Blödsinn, dachte Maggie, die ihr Leben lang nicht an Geister geglaubt hatte. Und schon zweimal nicht an die des Winchester-Hauses. Das war wirklich nur der hysterische Ausbruch einer Bescheuerten gewesen.

»Nein, das stimmt nicht«, antwortete Paul denn auch energisch. »Wir sind heute zum ersten Mal überhaupt in San José. Mit den Leuten hier haben wir nicht das Geringste zu schaffen.«

Die Besucher redeten wild durcheinander, die Frau des Weißhaarigen, eine hübsche, gepflegte Mittfünfzigerin mit roten Haaren und einem bunten Hütchen, machte ihm Vorwürfe wegen seiner Worte.

»Kommen Sie jetzt bitte mit.« Maggie drängte sich energisch durch die Menge und ging weiter durch den düsteren Korridor, an dessen Ende Licht durch ein Fenster fiel. Eine extra darauf getrimmte Diele knarrte vernehmlich, eine weibliche Stimme schrie erschrocken auf. Das Lachen zweier Männerstimmen antwortete. Ein paar Witze wurden gemacht.

Wie leicht man sie doch erschrecken kann, dachte Maggie. Ein bisschen Knarren und Wispern, ein paar huschende Schatten und ein paar Vorhänge, die sich bewegen, und schon drehen sie vor Angst fast durch. Manche brauchen nicht mal das. Wie kann man bloß so naiv sein? Egal. Ich denke, dass ich heute Abend das rote Kleid anziehen werde. Oder doch das schwarze? Mal sehen …

Durch eine der Türen rechterhand betraten sie ein großes, prunkvoll eingerichtetes Schlafzimmer mit Wänden aus Kirschbaumholz und Parkettboden. Ein großer Kleiderschrank stand an der Wand. Maggie wartete, bis sich die Besucher im Halbkreis um sie aufgereiht hatten. Sie lächelte.

»Sie erinnern sich, dass ich bei Beginn der Tour versprochen habe, Ihnen alles über Sarah Winchester und ihr Mystery House zu erzählen, wenn wir den dafür am besten geeigneten Raum erreichen …«

»Ein Schlafzimmer?«, fragte die Farbige ungläubig.

»Nun, nicht ganz. Wir stehen kurz davor.« Maggie drehte sich und deutete mit ausgestreckten Armen auf den Schrank. »Bereiten Sie sich nun innerlich auf den mysteriösesten Raum vor, den das Winchester Mystery House zu bieten hat«, sagte sie in reißerischem Tonfall. »Wir betreten sogleich … Sarah Winchesters Seance-Zimmer, in dem sie fast achtunddreißig Jahre lang jede Nacht zwei Stunden lang mit den Geistern sprach! Mit speziellen Geistern allerdings, wie Sie gleich hören werden. Sie sind nämlich die eigentlichen Architekten dieses unglaublichen Hauses.«

Maggie sah Gänsehaut bei manchen Mitgliedern der 21-köpfigen Gruppe. Nur eine Frau schien schon wieder nicht richtig zuzuhören, weil sie ständig auf ihrem Smartphone herumtippte.

Dann bleib doch einfach weg, wenn’s dich nicht interessiert …

Maggie öffnete die Schranktür. Die Besucher tuschelten, als sie durch den Schrank einen weißblau ausgekleideten Raum ohne jegliche Einrichtungsgegenstände betraten. Maggie wartete, bis sie sich im Halbkreis versammelt hatten. Ein junger Mann in rotem T-Shirt und knielangen ausgefransten Jeanshosen, der einen Rucksack auf dem Rücken trug, suchte zum wiederholten Mal ihre Nähe. Sie versuchte ihn zu ignorieren. Ihre Blicke streiften stattdessen Hillary. Was immer die Frau sich eingebildet hatte, es schien noch immer in ihr zu arbeiten. Sie wirkte fahrig, starrte vor sich hin und kaute auf ihrer Unterlippe herum.

»Mrs. Sarah Winchester, die Erbauerin des Hauses, dürfte sicher jedem von Ihnen zwischenzeitlich ein Begriff sein«, begann Maggie ihren Vortrag. »Sie war die Frau des Gewehrfabrikanten William Winchester, dessen Vater Oliver das berühmte Repetiergewehr erfand, mit dem, einem geflügelten Wort zufolge, der Westen erst erobert werden konnte. Sie haben die verschiedenen Winchester-Modelle ja bereits im Museum gesehen.«

»Ja«, erwiderte der Weißhaarige. »Damit konnten die Menschen nun im Sekundentakt erschossen werden. Allein von der berühmten Winchester dreiundsiebzig wurden siebenhundertzwanzigtausend Exemplare produziert. Wenn mit jedem Gewehr nur zehn Menschen erschossen wurden, was wohl deutlich zu niedrig gegriffen ist, kann man ja mal so ungefähr die Zahl derer hochrechnen, die mit sämtlichen produzierten Winchester-Modellen erschossen wurden. Manche Schätzungen belaufen sich auf hundert Millionen! Die ganzen Indianer. Der amerikanische Bürgerkrieg. Und bekanntlich setzte ja auch die osmanische Armee im russisch-osmanischen Krieg Winchester-Gewehre ein.« Er schaute sich Beifall heischend um.

Maggie sah in eher peinlich berührte Gesichter. Vor allem die Frau des Wichtigtuers wäre am liebsten im Boden versunken. »Ah, Sir, Sie kennen sich aus«, erwiderte Maggie lächelnd. »Dürfen wir Ihren Namen erfahren?«

Er nickte. »Natürlich. Ich heiße Albert Woodfox. Geschäftsführer im Ruhestand einer großen Pharmafirma aus dem Silicon Valley. Und schon immer an Waffen und Geschichte interessiert gewesen.«

»Ich hätte Sie jetzt eher für einen Geschichtsprofessor gehalten, Sir«, erwiderte Maggie und hatte damit die Lacher auf ihrer Seite, während Woodfox sie feindselig anblickte. Unwirsch schüttelte er die Hände seiner Frau ab, die sich an seinen Oberarm geklammert hatte.

»Wahrscheinlich wird uns Mister Woodfox gleich mitteilen, dass er die Tour übernimmt«, sagte der Kerl mit dem Rucksack grinsend. Auch er bekam einige Lacher.

»Das ist dann doch noch mein Job«, wies Maggie ihn zurecht. »Dürfen wir auch Ihren Namen erfahren, Sir?«

»Warum nicht, Maggie? Ich heiße Feltus Taylor. Architekturstudent in Berkeley.«

»Wie schön für Sie, Sir.« Maggie rieb sich die Hände und versuchte nicht ständig die Handysüchtige anzustarren. »Also gut, kommen wir auf Sarah Winchester zurück. Sarah und ihr Mann William liebten sich sehr, das ist nachgewiesen. Im Jahr achtzehnhundertsechsundsechzig verlor das Ehepaar sein einziges Kind vierzig Tage nach der Geburt. Die kleine Annie starb an einer seltenen Krankheit. Sarah wurde depressiv, achtzehnhundertachtzig starb dann ihr Schwiegervater Oliver, und ein Jahr später verlor sie auch noch ihren Mann William, den mit dreiundvierzig Jahren die Tuberkulose dahinraffte. In ihrem Schmerz ging sie drei Jahre nach Europa. Was sie dort tat, ist nicht bekannt. Im Jahr achtzehnhundertvierundachtzig kehrte sie in die Vereinigten Staaten zurück und suchte das Bostoner Medium Adam Coons auf …«

»Ja. Spiritismus war damals eine weit verbreitete Modeerscheinung in den Staaten«, fiel ihr Woodfox erneut ins Wort.

»Jetzt sei doch einfach mal still, Albert«, wies ihn seine Frau öffentlich zurecht.

»Schon gut, Mrs. Woodfox«, erwiderte Maggie. »Ihr Mann hat ja recht. Adam Coons bestätigte Sarah, was sie ohnehin schon dachte, nämlich, dass irgendein Fluch auf ihrer Familie lasten müsse. Coons konnte ihr Näheres zu dem Fluch sagen. Er stammte von den wütenden Geistern all jener, die von Winchester-Waffen erschossen worden waren. Diese Geister hatten bereits Oliver, William und die kleine Annie zu sich geholt. Und nun sei auch Sarah aufs Höchste gefährdet, sagte Coons. Auf ihre Frage, wie sie sich denn schützen könne, hatte er zunächst keine Antwort, stellte aber den Kontakt zu den Geistern ihres Mannes und ihrer Tochter her. Diese wussten Rat. Ihr Mann William sagte, er werde Sarah zu einem Platz weit weg von der Ostküste führen, wo sie mit den hinterlassenen Millionen Dollar ein riesiges Haus bauen solle, in dem sie die bösen Geister nicht finden können. Und sie dürfe niemals damit aufhören. Tatsächlich verließ Sarah kurz darauf die Ostküste in Richtung Kalifornien. Hier in San José kaufte sie ein Farmhaus mit acht Räumen und einem riesigen Grundstück. Sarah heuerte zweiundzwanzig Zimmermänner an, die achtunddreißig Jahre lang, bis zu ihrem Tod neunzehnhundertzweiundzwanzig, Tag und Nacht, ohne jede Pause an dem Haus bauten …«

»Und was hat nun das Seance-Zimmer damit zu tun?«, fragte die korpulente Farbige, die sich als Dawn Bonnybrook vorstellte. »Nennen Sie mich einfach nur Dawn.«

»Gerne, Dawn. Ich deutete ja bereits an, dass die Geister die eigentlichen Architekten des Hauses waren, denn Sarah Winchester hatte keinerlei architektonische Ausbildung«, antwortete Maggie.

»Dann hätte Sarah ja Architekten einstellen können«, erwiderte Dawn.

Maggie lächelte. »Nein. Denn das Haus musste in einer ganz bestimmten Art und Weise gebaut werden, damit Sarah darin vor den bösen Geistern sicher war. Dieses Wissen besaßen weltliche Architekten natürlich nicht, wohl aber die Geister ihrer Familie. Jede Nacht, pünktlich um Mitternacht, rief Sarah sie mit der Glocke im Glockenturm, den wir uns später noch ansehen werden. Sie übermittelten Sarah genaue Baupläne für den nächsten Tag, die sie für die Zimmerleute aufzeichnete. Punkt zwei Uhr verabschiedete sie die Geister dann wieder, ebenfalls per Glockenschlag. So ist schließlich dieses Hausungetüm entstanden, in dem wir uns gerade bewegen. Eigentlich ist es eher eine kleine Siedlung auf zweitausendfünfhundert Quadratmetern, auf jeden Fall ein gigantisches Labyrinth aus Zimmern, Gängen und Treppenhäusern ohne einheitlichen Bauplan. Die Gänge verbinden rund zwei Dutzend Häuser, die zudem in eine wunderbare Gartenanlage eingebettet sind. Auf der Garden Route Tour können Sie diese kennenlernen, wer das nicht ohnehin schon getan hat. Es lohnt sich absolut.«

Sie legte die Fingerspitzen gegeneinander. »Aber zurück zum Haus selber. Es gehört inzwischen zum historischen Erbe Kaliforniens und umfasst hunderteinundsechzig Zimmer, darunter zwei Ballräume, vierzig Schlaf- und dreizehn Badezimmer, wobei die Zahl dreizehn im ganzen Haus eine tragende Rolle spielt, vierzig Treppen, siebenundvierzig Feuerstellen mit neunzehn Kaminen, zweiundfünfzig Dachfenster und drei Aufzüge, die mit die ersten waren, die in einem Privathaus eingebaut wurden. Das eigentlich Faszinierende aber sind die immer wieder auftauchenden architektonischen Kuriositäten, die einem Nichtwissenden völlig absurd erscheinen müssen. Treppen mit verschieden hohen Stufen, die hinauf und hinab und um Ecken führen, das Treppenhaus, das direkt unter der Decke endet, Türen, die sich auf solide Wände öffnen oder ins Nichts führen, eine aus dem zweiten Stock direkt ins Freie, eine andere zu einer Bodenöffnung, durch die man metertief in die darunterliegende Küche fallen würde, ein Dachfenster, das direkt in den Boden eingebaut ist, und vieles mehr. Diese Konstruktionen hatten aber durchaus ihren Sinn. Nämlich den, die bösen Geister so zu verwirren, dass sie Sarah im Haus nicht finden konnten. Als weitere Schutzmaßnahme schlief sie jede Nacht in einem anderen Schlafzimmer. In einem starb sie dann eines natürlichen Todes. Die Handwerker fanden sie morgens tot im Bett.«

»Maggie, Sie sagten, das Haus habe hunderteinundsechzig Zimmer«, meldete sich nun wieder Albert Woodfox zu Wort. »Was macht Sie da so sicher?«

Sie lächelte. »Ich weiß, worauf Sie anspielen, Sir. Tatsächlich wurde vergangenes Jahr ein bisher unbekannter Raum entdeckt. Möglicherweise gibt es noch weitere davon. Nach dem großen Erdbeben neunzehnhundertsechs, das das Mystery House fast vollkommen zerstörte, baute Sarah es neu auf. Bestehende Räume wurden zugemauert, neue entstanden. Vor dem Erdbeben war das Haus noch wesentlich größer als heute. Es soll bis zu sechshundert Zimmer auf sieben Etagen gehabt haben. Nach dem Erdbeben baute Sarah dann nur noch vierstöckig. Man kann sich also vorstellen, dass hier noch so manches Geheimnis seiner Entdeckung harrt. So wurde zum Beispiel der exquisite Weinkeller, der vor dem Erdbeben existierte, bis heute nicht entdeckt. Okay. Gehen wir weiter. Dort vorne geht’s raus. Das Seance-Zimmer hat übrigens nur einen Eingang, aber gleich drei Ausgänge, durch die man nicht ins Zimmer zurückkommen kann.«

Die Gruppe stieg über ein schmales Treppenhaus in den dritten Stock hoch. An den Wänden hingen einige alte Schwarzweißfotos. Sie zeigten Sarah auf einer Kutsche und einen Teil der Zimmermänner und des Personals, die sich jeweils zum Gruppenfoto aufgestellt hatten. Maggie beeilte sich, denn sie hatten schon fast zehn Minuten verloren. Ein schriller Schrei ließ sie zusammenfahren.

Hillary stand zitternd auf dem Treppenabsatz, der sich auf halber Höhe befand. Sie starrte mit weit aufgerissenen Augen auf das Foto mit den Zimmerleuten.

»Was ist los?«, fragte Paul fast panisch und nahm ihre Hand.

Sie deutete auf das Foto. Maggie konnte die Gänsehaut auf ihren Armen sehen. »Da … der Mann in der Mitte mit dem … dicken Schnauzbart neben dem Jungen. Das ist der, der … im Bad plötzlich hinter mir stand … Ich erkenne ihn genau.«

Maggie spürte, wie sich ihre Nackenhärchen aufstellten. »Die Zimmerleute sind alle längst tot. Vielleicht spuken ihre Geister ja tatsächlich noch im Haus.«

»Hören Sie auf, einen solchen Schwachsinn zu reden, Maggie«, fuhr Paul sie an. »Sehen Sie nicht, wie verängstigt sie ist?«

»Warum haben Sie sie dann überhaupt in dieses Haus geschleppt?«, warf Albert Woodfox streitlustig ein. »Vielleicht wäre Disneyland in Anaheim die bessere Alternative gewesen.«

»Das geht Sie ja wohl überhaupt nichts an«, schoss Hillary zurück, die sich wieder gefangen hatte. »Ich habe keine Angst. Ich liebe Geistergeschichten.«

Woodfox grinste sie nur hämisch an. Sie gingen durch das Korridor-Gewirr des dritten Stockwerks. In den langen, engen Gängen, die aus Holz und groben Bodendielen erbaut waren und teilweise sehr düster wirkten, konnten maximal zwei Leute nebeneinander gehen. Immer wieder gab es Türen, die von den Korridoren abgingen.

»Seien Sie alle froh, dass jetzt noch Tag ist«, sagte Maggie und senkte wie unwillkürlich die Stimme. »Manche meiner Kollegen meiden diesen Teil der Tour nach Einbruch der Dunkelheit. Schon zahlreiche Besucher haben speziell in diesem Teil des Hauses gehört, wie eine körperlose Stimme plötzlich ihren Namen flüsterte. Manche berichteten auch von Schritten in den Fluren, obwohl dort niemand war.«

Einige Besucher gruselten sich sichtlich. Entgegen ihrer Ankündigung sah Hillary sich ängstlich um.

»Wie ist denn das eigentlich, Maggie?«, fragte nun Feltus Taylor. »Wenn schon die Besucher in Kontakt mit den Geistern kommen, dann müsste das auf euch vom Personal doch erst recht zutreffen. Haben Sie auch schon mal eine Begegnung gehabt?«

»Aber natürlich.«

Jugendstilvilla, London

Nach einer ausgiebigen Dusche saß ich nun am Küchenfenster, hatte die Beine auf den Tisch gelegt und rauchte. Zwischendurch nahm ich einen Schluck aus der großen Tasse mit heißem Kaffee, den ich mir selbst zubereitet hatte. Seit Wochen fühlte ich mich zum ersten Mal wieder richtig entspannt. Ich beobachtete die Vögel im Garten, die auf den zahlreichen Dämonenbannern herumhüpften.

Die Dämonenbanner brauchen wir ja jetzt wohl nicht mehr, dachte ich, und ein Gefühl tiefer Befriedigung machte sich in mir breit. Aber sie sehen gut aus. Deswegen werde ich sie so belassen. Vielleicht auch als Erinnerung an den ersten wirklichen Meilenstein im Kampf gegen das schwarze Gezücht …

Ja, wir hatten es wirklich hinbekommen, Großbritannien komplett von Dämonen und anderen Schwarzblütigen zu säubern. Und dieser Zustand würde dauerhaft anhalten, denn auch die Barriere aus Dämonenbannern rund um die Insel war nun komplett. Undurchdringlich. Selbst Wesen wie dieser verfluchte Henker würden nun kein Mauseloch mehr finden, um hindurchzuschlüpfen.

Ich drückte den Stummel im Aschenbecher aus und zündete mir eine neue Players an. Genüsslich blies ich die Rauchkringel an die Decke und schaute ihnen zu. Ich konnte es noch immer nicht richtig fassen. Über 500 Jahre und rund 20 Leben hatte es gedauert, bis ich meinen ersten wirklichen Erfolg im Kampf gegen die Schwarze Familie verbuchen konnte.

Davor, das waren doch alles nur Nadelstiche. Bestenfalls. Da ein toter Dämon, dort ein toter Dämon, nichts also, was der Schwarzen Familie wirklich Sorgen gemacht hätte …

Nicht mal die Vernichtung Asmodis war ein wirklich wichtiger Sieg gewesen. Und selbst als Nachfolger von Hermes Trismegistos hatte ich keine entscheidenden Erfolge erzielen können – obwohl mir unglaubliche Machtmittel zur Verfügung gestanden hatten, unter anderem der Ys-Spiegel. Erst Irenes unheimliche Uhrenmagie hatte den Durchbruch, zumindest für einen phänomenalen Etappenerfolg, gebracht.

Die Schwarze Familie ist zum ersten Mal wirklich angeschlagen …

Dass wir sie auf absehbare Zeit nicht komplett vernichten konnten, war mehr als das berüchtigte Haar in der Suppe, aber darüber wollte ich mir im Moment keine Gedanken machen.

Wir werden andere Wege finden. Man muss Erfolg auch mal genießen können …

Jeff Parker kam mir in den Sinn. Mein guter alter Freund hatte behauptet, dass dieser Erfolg streng genommen ja gar nicht auf das Konto des Dämonenkiller-Teams ginge und wir im Endeffekt nur Nutznießer einer anderen Macht seien.

»Tatsächlich?«, hatte ich grinsend erwidert, »Täusche dich da mal nicht. Schließlich habe ich Irene damals in die Welt gesetzt. Okay?« Dass sie, bei der ersten und einzigen Liebesnacht mit ihrer Mutter, ungewollt entstanden war, fiel für mich argumentativ nicht ins Gewicht. Und es war ja auch egal. Nur der Erfolg zählte.

Ich sah eine Bewegung in den Augenwinkeln und schaute wieder in den Garten. Don Chapman öffnete das Tor. Vollbeladen mit vier Einkaufstüten kam er auf das Haus zu.

Wie ein altes Ehepaar, dem die bessere Hälfte fehlt, dachte ich grinsend. Das Alraunenmädchen Dula kam mir in den Sinn, Dons große Liebe. Die Beziehung war schon lange zerbrochen, aber die beiden lebten wenigstens noch. Andere Mitstreiter im Kampf gegen das Böse hatten ein ungleich höheres Opfer bringen müssen, indem sie ihr Leben gaben. Unga, Marvin Cohen, Trevor Sullivan, Martha Pickford, Abi Flindt, Ira Marginter, Tirso, der Zyklop. Meine frühere Frau Lilian gehörte ebenfalls dazu, auch wenn sie nie aktiv gekämpft hatte.

Wie oft hatte mich der Gedanke, der Tod meiner Freunde könnte am Ende völlig sinnlos sein, fast verzweifeln lassen. Nun glaubte ich das nicht mehr.

Eine Tür schlug, dann klangen Geräusche im Flur auf. Lächelnd betrat Don die Küche und stellte die Tüten ab. Selbst wenn er nur zum Einkaufen ging, sah er aus wie aus dem Ei gepellt. Schneeweißes gepflegtes Haar, glattrasiert, Leinenhose, Kaschmir-Pullover.

»Hallo Dorian. Bevor man dich sieht, riecht man dich schon. Musst du unbedingt in der Küche rauchen? Und wenn schon, könntest du unter die Dunstabzugshaube gehen oder das Fenster öffnen. Oder noch besser beides gleichzeitig.«

Ich erhob mich grinsend. »Netter Versuch, Don. Aber wie immer völlig sinnlos.«

»Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dich vielleicht doch mal auf dem falschen Fuß zu erwischen.«

»Keine Chance.«

Wir umarmten uns und klopften uns dabei zweimal auf die Schultern.

»Ich hab heute Morgen schon gesehen, dass du wieder da bist, Dorian. Aber ich hab dich schlafen lassen. Wann bist du gekommen?«

»Halb drei Uhr, mitten in der Nacht«, antwortete ich und gähnte ausgiebig. Dann setzte ich mich wieder.

Don, der in den letzten Wochen die Stellung in der Jugendstilvilla gehalten hatte, machte sich ebenfalls einen Kaffee. »Was gibt’s Neues, Dorian? Wo sind die anderen abgeblieben?«

»Coco und Morales überprüfen einen Hinweis Phillips auf einige verbliebene Dämonen in Schottland und haben ihn gleich mitgenommen, der Rest hilft der Magischen Bruderschaft, den Dämonenbanner-Ring um die Insel wirklich wasserdicht zu machen …«

»Dämonendicht, meinst du wohl.«

Wir grinsten beide. »Ja, genau. Dämonendicht. Die magische Barriere ist so gut wie fertig, es geht nur noch um Kleinigkeiten. Da habe ich mich einfach mal in den Heimaturlaub verabschiedet, weil ich völlig fertig bin und dringend ein paar Tage Entspannung brauche. Der Rest kommt demnächst nach.«

Don nickte. »Ein Ring aus Dämonenbannern rund um Großbritannien, Wahnsinn. Das Projekt ist so gewaltig, dass ich es kaum begreifen kann. Ist schon klar, wer sich zukünftig darum kümmert? Ich meine, ohne ständige Wartung wird es wohl kaum gehen.«

»Richtig. Das übernimmt die Magische Bruderschaft. Ebenso die Bewachung der kritischen Stellen. Hermann Falk hat es mir versprochen.«

»Sehr schön. Eine Sorge weniger.« Don setzte sich mit der dampfenden Kaffeetasse zu mir an den Tisch. »Und jetzt heben wir unsere Tassen darauf, dass die Dämonen nicht so schnell eine Möglichkeit finden, den magischen Riegel zu knacken. Ich befürchte nämlich, dass die dämonenfreie Zone Großbritannien nicht von Dauer sein wird.«

Ich fühlte Ärger in mir hochsteigen. »Warum so pessimistisch, Don? Du musst das Gute doch nicht gleich wieder zerreden.«

Er hob erschrocken die Hände. »Nichts liegt mir ferner, Dorian. Allerdings hat Asmodi gezeigt, dass er selbst mit einer so großen Gefahr wie Irene fertig wird. Sehr schade, dass sie die Werkstatt vorerst nicht mehr nutzen kann.«

»Das stimmt so nicht ganz«, antwortete ich, immer noch ein wenig verstimmt. »Sie kann die Werkstatt weiterhin nutzen, um neue Lebensuhren herzustellen. Sie kann sie nur nicht mehr verlassen, bis sie einen neuen Schlüssel geschaffen hat. Und das wird sie, glaub mir. Wenn es so weit ist, werden wir den nächsten Teil der Welt dämonenfrei machen. Und den übernächsten. Und dann einen weiteren. Ich bin sicher, dass ich die komplette Ausrottung des schwarzblütigen Krebsgeschwürs noch erleben werde.«

Don nippte an seiner Tasse, die er mit beiden Händen umfasste. »Ich würde mich freuen, wenn es so käme, Dorian.«