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WESTWIND


In dieser Reihe bisher erschienen


2301 Der Tod der großen Wälder

2302 Zu den Quellen Manitous


Dietmar Kuegler


Der Tod der großen Wälder


Westwind - Band 1




Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!
Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag, www.blitz-verlag.de, in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt bis zu einer Höhe von 23 %.


© 2017 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 Windeck
Redaktion: Jörg Kaegelmann
Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati
Umschlaggestaltung: Mark Freier
Satz: Harald Gehlen
Alle Rechte vorbehalten
www.BLITZ-Verlag.de
ISBN 978-3-95719-091-8



1.


Der Fluss war so alt wie die Welt, und der Greis an seinem Ufer schien nicht einen Tag jünger zu sein. Er hockte auf den morschen Planken des Bootssteges und ließ die nackten Füße ins Wasser hängen, während seine knotigen Hände aus geschmeidigen Weidenruten einen Korb flochten. Er sah das Kanu von Westen herangleiten und fuhr in seiner Arbeit fort, ohne das schmale, längliche Boot aus Rindenstücken und Leder aus den Augen zu lassen.

Der Mann im Kanu trug Hemd und Hose aus Hirschleder, das nach Indianerart gegerbt und genäht war. Auf dem Kopf hatte er eine Mütze aus Waschbärenfell. Ein dichter schwarzer Bart bedeckte die untere Hälfte seines Gesichts.

„Hallo, alter Mann.“ Er zog das Paddel ein und blinzelte in die Sonne. „Ist das hier Lewisville?“

Der Alte nickte. Seine Hände flochten die Weidengerten. Der Korb nahm Stück für Stück Gestalt an.

„Es ist still hier“, sagte der Mann im Boot. Er blickte zu den Hütten oberhalb des Stromes hinauf. Es waren flache Blockhäuser aus ungeschälten Baumstämmen mit schmalen Fensterluken ohne Glasfüllung. Die Fugen zwischen den Stämmen waren mit Lehm verschmiert, die Dächer mit Stroh oder Schindeln bedeckt.

Die Siedlung bildete kein geschlossenes Ganzes. Die Hütten waren willkürlich, in unterschiedlichem Abstand zueinander auf die Hügel, fast fünfzig Yards entlang des Flusses, gebaut worden.

„Ist es immer so still hier?“

„Sehr still“, sagte der Alte. Er nahm eine neue Weidenrute auf und flocht weiter. Seine wasserhellen Augen blickten den anderen an. „Alle sind gegangen. Schon vor einem halben Jahr. Mitten im Winter. Ein Mann war hier und hat gesagt, dass es im Westen Gold gibt. Da haben sie ihre Sachen gepackt und sind gegangen.“

„Alle?“

„Ackerman ist noch da.“ Seine Hände hörten auf, sich zu bewegen. „Ackerman sagt, er wartet. Auf dich?“

„Vielleicht.“ Der Mann im Boot richtete sich auf und kletterte auf den Steg. Er zurrte das Kanu mit einer Lederschnur an einem der schiefen Poller fest, bückte sich tief hinab und hob ein langes, schlankes Gewehr aus dem Kanu und zwei schwere Bündel mit Biberfellen.

Er schritt, von der Last ein wenig gebeugt, über den Bootssteg und stieg zu den Hügeln hinauf. Er war ein sehr kräftiger Mann. Er war nicht sehr groß, die Schultern sehr breit, die Gestalt gedrungen und massig, ohne Fettansatz. Seine Bewegungen wirkten langsam, fast schwerfällig, aber sie waren nur sparsam, überlegt und gut koordiniert. Dieser Mann wusste in allen Dingen genau, was er tat. Er ging in Richtung der Hütten. Vor einer der ersten tauchte ein struppiger Hund auf und blickte dem Fremden entgegen. Er bellte. Hinter einem der Fenster sah der Mann ein Gesicht, das gleich wieder verschwand.

Es gab keine Wege, nur Trampelpfade, die an den Hütten vorbeiführten und in einiger Entfernung in einen breiteren Wagenweg mündeten, der durch tiefe Radspuren markiert wurde. Dann begann auch schon dichtes Waldland.

Der Mann blieb vor jedem Haus stehen. An einer langgestreckten Blockhütte hing ein vom Wetter ausgeblichenes Schild. An einer Seite hatte der Wind es losgerissen.


Dining Room & Hotel

Antilopensteak, täglich frisch


Der Mann strich sich über den Bart. Er stieß die lose in den Angeln hängende Tür auf und trat ein. Der Fußboden war aus gestampftem Lehm, die Einrichtung bestand aus grob gezimmerten Bänken und Tischen. Überall lag Staub, es roch nach Schimmel.

Der Mann warf seine Fellbündel auf einen der Tische und schaute sich um. Aus dem Hintergrund des langgestreckten Raumes tauchte eine Gestalt auf: klein, breit, ein Bauch, der das fleckige Hemd fast sprengte, das von breiten, ausgeleierten Hosenträgern in die Schultern gepresst wurde.

„McNott.“

„Hallo, Ackerman.“

„Setz dich.“ Ackerman strich sich über sein spärliches Haar und zauberte hinter einer Latten-Theke eine Flasche und zwei Gläser hervor.

„Ich habe gute Felle mitgebracht“, sagte McNott. „An den Stromschnellen oberhalb von Sand Hills ist das Kanu umgekippt. Ich habe meine letzten Vorräte verloren, aber die Felle sind hier.“

„Du hast immer Glück“, sagte Ackerman.

„Du nicht?“

„Sieh dich doch um. Kein Aas ist mehr hier. Ich kann meinen Whisky allein saufen und meine Vorräte allein auffressen. Davon wird man dick und dämlich, und man tritt auf der Stelle. Der alte Tom ist der einzige, mit dem man noch reden kann.“

„Der Alte am Fluss?“

„Ich glaube, er war nie jung“, sagte Ackerman. „Ich brauche dich, McNott.“ Ackerman beugte sich vor. Seine kleinen Augen glitzerten. „Ich habe noch Geld, McNott, eine Menge. Ich kaufe deine Felle.“

McNott antwortete nicht.

„Ich kaufe noch viel mehr“, fuhr Ackerman fort. „Sag mir, was du von diesem Drecksnest hier hältst.“

„Die Lage ist nicht schlecht“, sagte McNott.

„Die Lage ist ausgezeichnet“, sagte Ackerman. „Der Niobrara mündet in den Missouri. Er hat bis hierhin genug Tiefgang für die Schifffahrt. Sein Bett bleibt ziemlich konstant und verändert sich nicht bei jedem Frühjahrshochwasser. Ich hab’ den alten Tom gefragt. Er weiß es. Er weiß alles. Wenn noch eine vernünftige Straße angelegt wird, wenn ein paar richtige Häuser stehen und einmal in der Woche ein Flussdampfer hier anlegen würde ...“

„Für wen?“

„Ich kriege Leute her“, sagte Ackerman. „Ich kriege alles hierher. Dieses Nest wird eine Großstadt, genau wie New Orleans oder St. Louis. Dazu brauche ich dich.“

„Ich baue keine Städte, John. Ich stelle Fallen und sammle Pelze.“

„Genau das, McNott. An wen verkaufst du normalerweise?“

„Unterschiedlich. Meistens an Händler in St. Louis.“

„Amerikanische Pelzkompanie, wie? Ab jetzt verkaufst du an mich. Du kennst die Hudson Bay Company?“

„Sicher.“

„Haben die Engländer aufgezogen. Große Sache. Sie nehmen Trapper unter Vertrag und kaufen ihnen alle Pelze ab. Sie handeln mit den Rothäuten und stapeln Felle in ihren Lagerhäusern, dass einem die Augen übergehen.“

„Ich weiß“, sagte McNott.

„Hör zu“, sagte Ackerman. „Ich werde es genauso machen. Ich brauche dich, weil du die besten Trapper kennst. Du sollst mit ihnen reden. Sie sollen nicht mehr in St. Louis verkaufen. Sie sollen alle an mich verkaufen. Nur noch an mich. Ich will keine Verträge abschließen wie die Pelzkompanie. Ich will keine prozentmäßige Beteiligung für den Weiterverkauf mit euch aushandeln. Dabei werdet ihr nur übers Ohr gehauen. Ihr verkauft an mich, ich zahle den Preis, und wie ich die Pelze weiterverkaufe, ist allein mein Risiko. Ich biete euch einen höheren Preis, als ihr ihn jetzt erzielt, und ich biete zu günstigen Bedingungen die Ausrüstung, die ihr jedes Jahr braucht, bevor ihr in die Wälder geht. Außerdem ist der Weg zu mir kürzer als der nach St. Louis.“

Er atmete ein paarmal durch, bevor er weitersprach.

„Ich baue hier ein großes Depot mit allen Handelswaren, die ihr für die Wildnis braucht, und Lagerhäuser für die Pelze. Wenn ihr es schafft, die Indianer in den Wäldern dazu zu bringen, die Felle, die sie erbeuten, auch an mich zu verkaufen und nicht mehr an die Engländer, werdet ihr beteiligt. Wir machen alle unseren Schnitt. Ein glattes und faires Geschäft.“

McNott schwieg. Er nahm einen indianischen Tabakbeutel vom Gürtel und stopfte sich eine kurze, selbstgeschnitzte Pfeife.

„Die Idee ist gut, John“, sagte er nach einer Weile. „Ich glaube, dass ich ein paar Trapper an dich vermitteln kann. Aber wir sind Einzelgänger. Das muss draußen in den Wäldern so sein. Wir brauchen keinen Boss über uns.“

„Freie Partnerschaft“, sagte Ackerman. „Keine Verträge. Ich vertraue auf euer Wort und ihr auf meins. Ihr garantiert mir die Felle, ich garantiere euch die Abnahme zu einem höheren Preis, als er in St. Louis geboten wird. Wer gehen will, kann gehen. Und wenn ich auf den Pelzen sitzen bleibe, ist die Sache in einem Jahr ohnehin vorbei, dann bin ich pleite. Aber ihr habt nichts verloren.“

„Das hört sich gut an, John.“

Ackerman blickte McNott in die Augen. Er sagte: „Wir kennen uns seit Jahren. Ich bin einer von euch. Keiner von denen, die euch bloß ausnehmen wollen, weil sie meinen, dass ihr dort oben in den Wäldern nicht wisst, wie es auf der Welt zugeht. Ich bin kein Mann, der in den Wäldern leben könnte, aber ich bin auch keiner von den feinen Schurken, die euch um den Lohn eurer Arbeit betrügen. Ich hab schon immer mit Mountain Men Handel getrieben, und, habe ich euch schon einmal betrogen?“

„Nein, John.“ McNott sog an seiner Pfeife. „Ich bin kein Geschäftsmann. Ich bin Jäger. Bei uns herrschen andere Gesetze. Ich hab mein Leben lang Pelze erjagt und sie verkauft. Ich will einen guten Preis und für mein Geld eine anständige Ausrüstung.“

„Das sollst du alles kriegen“, sagte Ackerman. „Und die anderen auch. Mehr als das. Ihr müsst daran denken, dass ihr eines Tages keine Pelze mehr bekommen könnt. Für die Zeit sollt ihr genug zurücklegen können. Solange in St. Louis die amerikanische Pelzkompanie die Preise diktiert, seid ihr immer die Dummen.“

„Anfangs war die Pelzkompanie in Ordnung“, sagte McNott. „Erst als sie das Geschäft im Griff hatte, wurde es schlimm. Du könntest eines Tages die gleichen Ideen haben, wenn du erst mal alles in der Hand hast.“

„Du kennst mich, McNott. Ich bin Händler, ich will Geld verdienen, aber ich will, dass alle zufrieden sind. Nur so werden die besten Geschäfte gemacht.“

„Gut, John.“ McNott merkte, dass seine Pfeife ausgegangen war. Er zündete sie wieder an, während Ackerman sein Glas leerte und Whisky nachschenkte.

„Ich bin dabei“, sagte McNott.

„Dann werden die anderen auch dabei sein. Wir müssen mindestens ein Dutzend erstklassiger Trapper für den Anfang haben. Dann fängt es an, sich zu lohnen. Es werden automatisch mehr, wenn die Sache läuft.“

„Ich fahre morgen“, sagte McNott. „Vorher will ich was essen, und dann will ich schlafen. Ich habe zwei Tage nicht geschlafen und genauso lange nichts gegessen.“

„Du kriegst alles“, sagte Ackerman. Er sprang eilig auf, beugte sich über den Tisch und grinste. Als er seine Rechte ausstreckte, ergriff McNott die Hand und drückte sie.

„Antilopensteak?“, fragte McNott. „Täglich frisch?“

Er deutete mit dem Daumen über seine Schulter zur Tür, wo das Schild hing. Ackerman grinste zurück.

„Blödsinn. Ich habe noch keine Antilope gesehen, seit ich hier bin“, sagte Ackerman. „Eine Truthahnkeule kannst du haben. Gestern geschossen.“

„Bring den ganzen Truthahn“, sagte McNott. Er lehnte sich zurück und griff nach seinem Glas. Er nippte daran. Der Whisky war scharf. Er brannte in McNotts Kehle. Er strömte wie Feuer in seinen Magen. Eine wohlige Hitze erfüllte den Trapper. Trägheit nahm von seinem Körper Besitz. Je länger er darüber nachdachte, umso besser gefiel ihm Ackermans Vorschlag. Er kannte Ackerman schon seit Jahren. Er war einer der vielen kleinen Händler, die am Missouri auf und ab zogen und Geschäfte mit Trappern abschlossen, die aber auch mit den Indianern Handel trieben. Ackerman war besonders geschickt. Dass er nicht immer einer der vielen kleinen Trader bleiben würde, war McNott schon früher klar gewesen. Und Ackerman hatte nie betrogen.