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Monika Müller-Herrmann

Aufbau und Leitung eines Trauercafés

Ein Projektbericht

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© 2017 Monika Müller-Herrmann

Umschlag, Illustration: Monika Müller-Herrmann

Lektorat, Korrektorat: Jutta Schaller

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 42, 22359 Hamburg

ISBN

Paperback978-3-7439-2948-7

Hardcover978-3-7439-2949-4

e-Book978-3-7439-2950-0

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhaltsverzeichnis

1. Theoretisches Vorwort

2. Ein Beispiel für ein konkretes Projekt

2.1. Die Phase vor der Schulung

2.2. Die Phase der Schulung und Konzeptentwicklung

2.3. Der Flyer

2.4. Erste Konflikte im Team

2.5. Das Konzept des Trauercafés

2.6. Beispiel für ein Leitbild und Konzept

2.7. Eröffnung im November 2012

2.8. Öffentlichkeitsarbeit

2.9. Der Ablauf eines Nachmittags

2.10. Die Dokumentation eines Nachmittags

2.11. Die Bewirtung

2.12. Konflikte und schwierige Situationen

2.13. Die Entwicklung der Besucher: Zahlen, Spenden, Themen

2.14. Die Finanzierung eines Trauercafés

2.15. Wie viel Trauerarbeit verträgt die Hospizarbeit?

2.16. Ende des Projekts im April 2017

2.17. Fazit und Kritik

3. Literaturverzeichnis:

4. Über die Autorin

Dank und Widmung

Ich widme dieses Buch Christel Ortwein, unserer Ausbilderin, Gabriele Fleckenstein, unserer Supervisorin, meinen beiden Co-Leitungen Anke Banse und Ingrid Love, und den Ehrenamtlichen Edelhaide Edel, Wolfram Hübeler, Sigrid Veith, Veronika Wagner, Heide Ludwig-Haß, Petra Thomsen, Angelika Abert und Susanne Eichhorn.

Ich danke allen Wegbereitern und Wegbereiterinnen dieses Projekts. Ich danke allen Gästen des Trauercafés für Ihr Vertrauen.

Ich danke Jutta Schaller fürs unermüdliche Lektorieren und Korrekturlesen.

1. Theoretisches Vorwort

Den Anbietern von Trauercafés wird oft vorgeworfen, dass Trauercafés nicht ausreichend theoretisch fundiert arbeiten würden. In welchem theoretischen Kontext bewegen wir uns also, wenn wir ein Trauercafé anbieten und haupt- und eh-renamtliche Mitarbeiterinnen dafür schulen?

„Jedes Jahr sterben in Deutschland rund 830.000 Menschen und diese Zahl wird in den nächsten zwei Jahrzehnten stän-dig ansteigen. Wenn man davon ausgeht, dass bei jedem sterbenden Menschen durchschnittlich drei ihm nahestehende Personen von Trauer betroffen sind, dann erleben jedes Jahr rund 2,5 Millionen Menschen in Deutschland akute Trauer. Und da Trauerprozesse nicht nach einem Jahr „abgeschlossen“ sind, sondern unter Umständen sehr viel länger andauern und mit erheblichen Beschwernissen verbunden sein können, sind möglicherweise durchgängig 10 % der Be-völkerung von den Einflüssen und Wirkungen von Trauer betroffen.“ (Michael Wissert, Wirkungen von Trauerbegleitung im Rahmen der emotionalen und sozialen Bewältigung von tiefgehenden und komplizierten Trauerprozessen, Weingarten, 2013 http://www.projekt-trauerleben.de/Wirkungen_der_Trauerbegleitung.pdf, Seite 1)

Sigmund Freud verstand Trauer als die Reaktion auf den Verlust einer geliebten Person oder einer an ihrer Stelle gerückten Abstraktion wie Vaterland, Freiheit, ein Ideal usw. (Freud, Trauer und Melancholie, Frankfurt, Fischer 1917, 1981 428f). Freud postulierte in dieser Schrift den Trauerprozess als „Trauerarbeit“. Es sei die wesentliche Aufgabe des Trauernden, sich von der verstorbenen Person (dem Objekt) zu lösen. Die libidinöse Verbindung zum geliebten Objekt verhindere, dass sich neue libidinöse Verbindungen entwickeln können.

Dennoch notiert Freud selbst in einem Brief an seinen Freund Binswanger über den Tod seiner Tochter: „Gerade heute wäre meine verstorbene Tochter 36 Jahre alt gewor-den… man weiß, dass die akute Trauer nach einem solchen Verlust ablaufen wird, aber man wird ungetröstet bleiben, nie einen Ersatz finden. Alles, was an die Stelle rückt, und wenn es sie auch ganz ausfüllen sollte, bleibt doch etwas anderes. Und eigentlich ist es recht so. Es ist die einzige Art, die Liebe fortzusetzen, die man ja nicht aufgeben will. (Freud am 12.4.1929 in einem Brief an seinen Freund Binswanger, gefunden in: Chris Paul, Neue Wege in der Trauer- und Sterbebegleitung, Gütersloher Verlagshaus, 2001).

Verena Kast beschreibt Trauer als die Emotion, durch die wir Abschied nehmen, Probleme der zerbrochenen Bezie-hung aufarbeiten und so viel als möglich von der Beziehung und den Eigenheiten des Partners integrieren können, so dass wir mit neuem Selbst- und Weltverständnis weiter zu leben vermögen. (Verena Kast: „Trauern Phasen und Chancen des psychischen Prozesses“, Kreuz Verlag Freiburg, im Vorwort in der 34. Auflage, 2012, S. 12) und weiter „Trauern darf nicht länger als Schwäche betrachtet werden, sondern es ist ein psychologischer Prozess von höchster Wichtigkeit für die Gesundheit des Menschen (ebenda, S. 21)

Verena Kast schildert Trauer als einen Prozess von vier Phasen. Die erste Phase nannte sie die Phase des Nicht-Wahrhaben-Wollens, die zweite Phase die aufbrechenden chaotischen Emotionen, die dritte Phase des Suchens, Fin-dens und sich Trennens, die vierte Phase des Neuen Selbst- und Weltbezugs. (Vorwort von Verena Kast in C.S. Lewis „Über die Trauer“, Zürich, Benzinger Verlag 1998) Auch von anderen Autoren werden Phasenmodelle beschrieben. Das Problem dieser Modelle ist wie bei den Sterbephasen von Elisabeth Kübler-Ross, dass sie zunächst normativ verstanden wurden, als ob jeder Trauernde sie in der vorgeschriebenen Reihenfolge einmal durchlaufen müsste.

Aber schon Verena Kast selbst schrieb: Die Phasen wiederholen sich, immer wieder muss man sie durchstehen. Wenn immer das Gefühl des Verlustes vorherrscht, erleben wir uns in der Phase der aufbrechenden Emotionen. Mit der Zeit – und daran erweist es sich, dass auch bei diesem psychischen Prozess das Symbol der Spirale seine Geltung hat – weiß man, dass diese Phasen der Verzweiflung auch wieder ihr Ende finden werden, dass die Phasen des relativen Wohlbefindens auch wieder eintreten werden.“ (Vorwort von Verena Kast in C.S. Lewis „Über die Trauer“, Zürich, Benzinger Verlag 1998, S. 15)

Einige Trauertheoretiker haben auch versucht, „Traueraufgaben“ zu formulieren, so zu Verena Kast Phasen hier zugeordnet die Traueraufgaben von William J. Worden.

Quelle für die Trauerphasen: Kast V. (1999). Trauern. Pha-sen und Chancen des psychischen Prozesses. Stuttgart: Kreuz. Quelle für die Traueraufgaben: Worden, W. (2011). Beratung und Therapie in Trauerfällen. Ein Hand-buch. Bern: Huber.

Tabelle 1: Gegenüberstellung Trauerphasen und Traueraufgaben

Trauerphasen

Traueraufgaben

Trauerphasen nach Verena Kast

Traueraufgaben nach William Worden

Phase des Nicht Wahrhaben Wollens

Den Verlust als Realität akzeptieren

Phase der aufbrechenden Emotionen

Den Schmerz verarbeiten

Phase des Suchens und sich Trennens

Sich an eine Welt ohne die verstorbene Person anpassen

Phase des neuen Selbst- und Weltbezugs

Eine dauerhafte Verbin-dung zu der verstorbenen Person inmitten des Aufbruchs in ein neues Leben finden

William J. Worden beschreibt in seinem Buch Beratung und Therapie in Trauerfällen (William J. Worden, Beratung und Therapie in Trauerfällen, Bern, Huber, 4. Überarbeitete Neuauflage, 2011) folgende Gefühlslagen für Trauer: Traurigkeit, Wut, Schuldgefühle und Selbstvorwürfe, Angst, Einsamkeit, Erschöpfung, Hilflosigkeit, Schock, Sehnsucht, Sehnsucht, Befreiung, Erleichterung und emotionale Taubheit. Alle diese Gefühlslagen können bei „normaler“ Trauer auftreten. Als körperliche Reaktionen beschreibt er Ausdrücke, die Trauernde oft benutzen: „Stein im Magen“, Beklemmungen in der Brust, zugeschnürte Kehle, Überempfindlichkeit gegen Lärm, das Gefühl, neben sich zu stehen, Atemlosigkeit, Kurzatmigkeit, Muskelschwäche, Energielosigkeit, Mundtrockenheit. Als typische kognitive Veränderungen und Denk-muster im Trauerprozess beschreibt er: Leugnung, Verwir-rung, ständige gedankliche Beschäftigung mit der verstorbenen Person, gefühlte Präsenz der verstorbenen Person und kurze Halluzinationen (Momente, in denen für Bruchteile von Sekunden die verstorbene Person gesehen wird.).

Als typische Verhaltensweisen, über die Trauernde klagen, beschreibt Worden Schlafstörungen, Appetitstörungen, Zerstreutheit, sozialer Rückzug, Träume von der verstorbenen Person, Vermeidungsverhalten, Suchen und Rufen, Seufzen, Rastlosigkeit und Hyperaktivität, Weinen, Aufsuchen von Orten oder bei sich Tragen von Gegenständen, die an die verstorbene Person erinnern, Überhöhung von Objekten aus dem Besitz der verstorbenen Person.

Worden beschreibt außerdem, dass es sogenannte Media-toren der Trauer gibt, die den Verlauf und die Intensität der Trauer beeinflussen:

Als ersten Mediator benennt er, welche Person verstorben ist. Es macht einen Unterschied für den Trauerprozess, ob um den Ehe- oder Lebenspartner getrauert wird, um Geschwister, um Eltern oder Schwiegereltern, um Freunde, um erwachsene oder um minderjährige Kinder. Daher trennen vie-le Anbieter von Trauergruppen auch die Gruppe auf je nach Verwandtschaftsverhältnis.

Als zweiten Mediator der Trauer benennt er, welche Art der Bindung an die verstorbene Person bestand. Hier bezieht sich Worden auf die Bindungstheorien um Bowlby. Handelte es sich um eine starke Bindung, ist von starker Trauerreakti-on auszugehen. War es eine sichere Bindung oder eine ambivalente Bindung? Bei einer ambivalenten Bindung ist von schwieriger Loslösung im Trauerprozess auszugehen. Gab es Konflikte in der Beziehung, die nicht mehr vor dem Tod geklärt werden konnten, ist der Trauerprozess oft erschwert und häufig von Schuldgefühlen geprägt.

Als dritten Mediator für den Trauerprozess benennt Wor-den die Umstände, wie die Person starb: Ob sie in räumlicher Nähe starb, vielleicht im eigenen Haus oder weit entfernt in einem anderen Land. War es ein erwarteter oder plötzlicher Tod. Es gibt Studien, die darauf hinweisen, dass ein plötzlicher, unerwarteter Tod gerade für junge Angehörige deutlich belastender ist als ein durch Krankheit oder Alter erwartbarer Tod. Die Anpassung an den Trauerfall ist leichter, wenn die Angehörigen Zeit hatten, sich darauf vorzubereiten z.B. durch eine längere Pflegesituation. Gewaltsame und trauma-tische Umstände haben große Auswirkungen auf den Tod, Unfälle, Mord, Suizid erschweren den Auseinandersetzungsprozess mit der Trauersituation. Ebenso kann eine Häufung von mehreren Todesfällen in kurzer Zeit den Trauerprozess erschweren. Worden spricht hier von einer „Trauer-Überlastung“. Ungeklärte Todesfälle, wenn der Tote vermisst und nicht wieder aufgefunden wird, wenn es keine Be-erdigung gibt wie z.B. im Rahmen von Naturkatastrophen und Kriegen, erschweren ebenfalls den Trauerprozess. Von sogenannten stigmatisierten Todesfällen spricht Worden im Zusammenhang mit sozial tabuisierten Todesursachen wie z.B. AIDS und Suizid.

Als vierter Moderator wird die frühere Erfahrung der Trauernden mit Trauerprozessen benannt. Depressionen in der Vorgeschichte oder der frühe Verlust eines Elternteils in der Kindheit erschweren Trauerprozesse ebenfalls. Genauso kann es sein, dass der Trauernde Ressourcen hat, ein Wissen darum, was ihm in seinem Leben in früheren Trauerprozes-sen geholfen hat, mit der Situation fertig zu werden.

Als fünften Moderator des Trauerprozesses benennt Wor-den dann Persönlichkeitsvariablen wie Alter und Geschlecht, Bewältigungsstile, die schon früher im Leben eingeübt wur-den, und eben den Bindungsstil, wieder bezugnehmend auf Bowlbys Bindungsmodell der sicheren, unsicheren, ängstlich ambivalenten und ängstlich rückversichernden Bindung. Außerdem werden Denkstile erwähnt, Ich-Stärke, Grundannahmen über die Welt und Wertvorstellungen.

Als sechster Mediator werden soziale Variablen benannt wie die Zufriedenheit mit der gefundenen Unterstützung, die Übernahme verschiedener sozialer Rollen und religiöse und kulturelle Normen.

Ein modernes Trauermodell, das ganz ohne Phasen und auch ohne Aufgaben auskommt, ist das duale Prozessmodell der Trauerbewältigung von Stroebe und Schut. Es unterscheidet zwischen verlustorientierten und wiederherstellungsorientierten Verhaltensweisen und Denkmustern. Es wird als normaler Bestandteil der Trauerbewältigung angesehen, dass die trauernde Person in ihrer Alltagserfahrung immer wieder zwischen beiden Prozessen hin und her-springt, sozusagen oszilliert.