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© Lotta Landbeck

Barbara Landbeck studierte Illustration und Kommunikationsdesign. Sie ist freischaffende Malerin, Illustratorin, Autorin, Konzepterin und Dozentin. Als Mitbegründerin des Tivola Verlages entwickelte sie erfolgreich Reihen wie „Oscar der Ballonfahrer“. Seit Januar 2015 unterrichtet Barbara Landbeck Klein und Groß in ihrer „Kunstschule im Elbe“. Mit ihrem Mann, ihrer Tochter und ihrer Katze lebt sie in Hamburg.

© 2017 JUMBO Neue Medien & Verlag GmbH, Hamburg

Das gleichnamige Buch (ISBN 978-3-8337-3611-7) sowie

Die deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme

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Barbara Landbeck

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Robby

aus der Räuberhöhle

Wer rettet das Paradies?

Inhalt

Robbys Geheimweg

Friseursalon Schnippschnapp

Thea ist wieder da!

Ein verdammt blödes Schild

Tante Dora spielt Schule

Viele Ideen, aber wo ist die Lösung?

Es wird ernst

Die Poepplers kommen

Ein neuer Plan muss her

Spuk im Paradies?

Aufregung im Museum

Poeppler kippt

Endlich Frieden im Paradies

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Robbys Geheimweg

Robbys Geheimweg beginnt gleich hinter seiner Räuberhöhle. Genauer gesagt, an einer alten Tanne. Robby schiebt die unteren Zweige zur Seite und schlüpft durch ein wildes Durcheinander von Tannennadeln und Blättern. Als er beinahe wieder aufrecht stehen kann, liegt ein langer, gewundener Trampelpfad vor ihm. Er sieht aus wie ein grüner Tunnel. Der Tunnel führt durch kleinere Wäldchen, Hecken und große Rhododendronbüsche und endet im Museumspark von Jottwede. Robbys RäuberOma, die wilde Hilde, hat ihm diesen Geheimweg einmal gezeigt. Zum Glück, denn seitdem kann er sich – vollkommen unsichtbar für andere – durch die kleine Stadt bewegen.

Es regnet schon seit Tagen. Die ganze Welt ist triefend nass. Aber hier unter dem dichten Blätterdach ist es fast trocken. Robby trägt Omas langen schwarzen Regenmantel, grüne Gummistiefel und einen großen braunen Hut auf seinen blonden Strubbelhaaren. Er ist auf Entdecker-Rundgang. So nennt er seine Spaziergänge durch Jottwede, auf denen er immer interessante Dinge findet.

Bald liegt rechts von Robby der öffentliche Park. Links stehen prächtige Villen in riesigen Gärten, so groß wie Fußballplätze. Obwohl man eigentlich nicht über fremde Zäune steigen darf: Robby macht es trotzdem. Denn in den abgelegenen Teilen der Grundstücke entdeckt er oft die besten Schätze. Auf einem Komposthaufen hat er einmal eine fast verwelkte Rose in einem zerbrochenen Blumentopf gefunden und sie wieder aufgepäppelt. Inzwischen rankt ein wunderbarer Rosenstrauch an den verblichenen Brettern der Räuberhöhle empor. Ein anderes Mal hat Robby einen alten Stofflöwen aus einem Stapel Holzkisten gerettet. Der arme Löwe war furchtbar schmutzig und besaß nur noch drei Beine. Robby hat ihn gründlich gewaschen und ihm ein Bein aus einem Stock, Holzspänen und buntem Stoff gebastelt. Seitdem steht der Löwe zufrieden auf vier Beinen auf Robbys Fensterbank und schaut hinaus.

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Heute scheint Robby kein Glück zu haben. Als er im Museumspark ankommt, hat er immer noch keinen Schatz entdeckt! Die schicke weiße Museumsvilla sieht im strömenden Regen etwas verlassen aus. Bei diesem Wetter sind kaum Leute unterwegs. Nur ein paar Spaziergänger werfen Stöckchen für ihre Hunde.

„Seltsam“, denkt Robby, „so wenig wie heute habe ich ja noch nie gefunden. Noch nicht mal eine Coladose, einen Kronkorken, eine Pfandflasche oder einen alten Kaffeebecher aus Pappe, keine stinkige Socke und keinen einzigen Schuh!“ Robby wundert sich manchmal, wie viele einzelne Socken und Schuhe er findet. „Wie kann man denn eine Socke verlieren? Oder einen Schuh?“, hatte er Oma Hilde einmal gefragt. Aber die wusste darauf auch keine Antwort. „Keine Ahnung“, hatte sie gesagt, „die einen verlieren ihre Socken, die anderen eine Wette und die nächsten ihren Verstand. So ist das eben.“

Gerade als sich Robby damit abgefunden hat, heute keine Beute zu machen, sieht er unter einem Busch etwas Weißes hervorblitzen. Eine Plastiktüte! Irgendetwas Eckiges scheint darin zu sein. Robby hebt das weiße Päckchen auf. Jemand hat es mit einem dicken Klebestreifen zugeklebt. Robby holt sein Taschenmesser aus der Hosentasche und ritzt die Plastiktüte vorsichtig auf. In der Tüte steckt ein Buch. Es ist dick und hat einen Einband aus abgegriffenem Leder. Robby zieht es heraus und blättert ein wenig darin herum. Ein muffiger Geruch steigt ihm in die Nase. Diesen Geruch kennt Robby nur von seiner Schatztruhe, die schon Uropa Robin, einem der größten Räuber aller Zeiten, gehört hat. Robby steckt das Buch zurück in die Tüte und klemmt es sich unter den Arm. Zu Hause im Trocknen wird er es sich ganz genau anschauen! Robby kehrt in seine gemütliche Räuberhöhle zurück. Er macht ein Feuerchen in dem kleinen Ofen und stellt einen Topf mit Milch obendrauf. Schon bald ist die Milch warm und genau richtig für einen schönen Kakao. Momo, der schwarze Kater, liegt auf dem Bett und zuckt im Schlaf mit den Pfoten. Robby setzt sich in seine Hängematte. Das Buch ist sehr dick und alle Seiten sind von oben bis unten mit einer winzigen Handschrift bekritzelt. „Sieht aus, als hätte da jemand braune Tinte in seinem Füller gehabt“, denkt Robby. An den Seitenrändern und zwischendurch befinden sich immer wieder merkwürdige Zeichnungen von seltsamen Geräten und komplizierten Maschinen. Robby dreht das Buch hin und her. So sehr er sich auch bemüht, er kann die Handschrift einfach nicht entziffern. Dabei ist Robby eigentlich sehr gut im Lesen. Oma Hilde hat es ihm beigebracht. „Lesen macht klug!“, sagt sie immer.

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Und das stimmt wirklich, findet Robby. Er liebt sein Lexikon über Tiere und sein Handwerker-Handbuch und natürlich Bücher mit Geschichten. Er stattet auch Maria, der netten Buchhändlerin im Wacholderweg, gerne einen Besuch ab. Manchmal hilft er ihr beim Auspacken der Bücherlieferungen und darf dann ein bisschen in den neuesten Büchern lesen. Also: Robby liest richtig gern. Und weil er nicht in die Schule geht, hat er auch viel Zeit dafür. Aber das klitzekleine Gekritzel in diesem Notizbuch?! Wer soll das denn lesen können? Vielleicht ist es eine fremde Sprache? Oder eine Geheimschrift? Er muss das Buch unbedingt seiner besten Freundin Thea zeigen! Robbys Herz macht vor Freude einen Hüpfer. Morgen kommt Thea endlich wieder nach Jottwede, um die Ferien bei ihrer Tante Dora zu verbringen. Und dann können Thea und er sich jeden Tag sehen!

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Robby schaut nach draußen. Dicke Tropfen laufen an der Fensterscheibe hinunter und hinterlassen Zickzack-Spuren. Momo streckt sich im Schlaf. Bei diesem Wetter hat selbst der Kater keine Lust nach draußen zu gehen. Das hohe Gras ist viel zu nass. Überall auf der Wiese sind tiefe Pfützen. Sogar das Bächlein in Robbys Paradies hat sich durch den Dauerregen in einen richtigen Bach verwandelt. Paradies – so nennt Robby das wunderschön verwilderte Grundstück, das sich mitten in dem kleinen Städtchen Jottwede befindet. Umgeben von einer hohen, uralten Mauer lebt er hier mit seiner Oma, der wilden Hilde. Die Räuberhöhle haben sie selbst gebaut, aus vielen Brettern und Fundstücken. Robbys Eltern sind gestorben, als er noch ein Baby war. Er kann sich gar nicht mehr an sie erinnern. Robby findet, dass Oma Hilde mindestens so gut ist wie eine Mutter. Sogar wie Mutter und Vater zusammen. Auch wenn sie manchmal nicht da ist. Aus beruflichen Gründen sozusagen. Die wilde Hilde ist nämlich eine Räuberin. Und Räuber müssen gelegentlich auf unbestimmte Zeit verschwinden. Aber seine Oma kommt immer wieder, das hat sie Robby versprochen!

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„Ich sorge doch nur für ein bisschen Gerechtigkeit“, sagt sie immer. „Ich nehme denen, die zu viel haben, etwas weg und gebe es denen, die zu wenig haben! Was ist denn daran bitteschön verkehrt?!“

„Na ja, immerhin kann es auch gefährlich sein“, denkt Robby jetzt. Neulich ist die wilde Hilde wieder fast erwischt worden. „Ich werde mal für ein Weilchen untertauchen, bis sich die Aufregung gelegt hat“, sagte sie ihm. „Aber du bist ja schon groß und kommst allein zurecht!“

Es stimmt, Robby kommt wirklich gut allein zurecht. Er kann den Ofen heizen, ein Lagerfeuer machen, Würstchen grillen, Tee kochen und seine Zähne putzt er auch regelmäßig. Außerdem ist er gar nicht so allein. Er hat ja Kater Momo und Karla, die Krähe, die im Baum neben der Räuberhöhle wohnt. Und Freunde in der Nachbarschaft, die ihm jederzeit helfen: Johann, den Postboten, Theas Tante Dora, Frida, die Friseurin, den dicken Bäcker Ole, Maria vom Buchladen und einige nette Marktleute. Alle stecken ihm hin und wieder etwas zu essen oder zu trinken zu und halten gerne einen kleinen Plausch mit ihm.

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Robby weiß sich zu helfen. Und er kann außerdem noch etwas sehr Wichtiges: Er kann den blöden Holzkopf austricksen. Der Holzkopf ist der Sohn des Bürgermeisters und möchte zu gerne herausfinden, wo Robby wohnt. Und wo Robbys Eltern sind. Und ob Robby in die Schule geht und auch ein vernünftiges, ordentliches Leben führt. Dauernd spioniert er ihm hinterher. Aber Robby konnte ihm bisher immer entwischen. „Wenn der Holzkopf rauskriegt, dass ich mit der wilden Hilde in einer Räuberhöhle wohne und nicht in die Schule gehe, dann ist es mit meinem schönen, freien Leben vorbei. Dann sagt er es seinem Vater, und dann kommt bestimmt jemand von irgendeinem Amt und nimmt mich meiner Oma weg“, hat Robby seiner Freundin Thea einmal erzählt. Thea würde Robby nie verraten. Auf die kann er sich total verlassen. Genau wie auf seine anderen Freunde.

Robby legt das Buch zu den anderen Fundstücken in die Schatztruhe. Dann schnappt er sich den großen schwarzen Regenmantel, schlüpft wieder in die grünen Gummistiefel und setzt seinen Räuberhut auf. Als er die Tür öffnet, schlägt ihm der vertraute Paradiesgeruch entgegen: ein Duft von wilden Blumen, Moos und feuchtem Gras.