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© Lotta Landbeck

Barbara Landbeck studierte Illustration und Kommunikationsdesign. Sie ist freischaffende Malerin, Illustratorin, Autorin, Konzepterin und Dozentin. Als Mitbegründerin des Tivola Verlages entwickelte sie erfolgreich Reihen wie „Oscar der Ballonfahrer“. Seit Januar 2015 unterrichtet Barbara Landbeck Klein und Groß in ihrer „Kunstschule im Elbe“. Mit ihrem Mann, ihrer Tochter und ihrer Katze lebt sie in Hamburg.

© 2016 JUMBO Neue Medien & Verlag GmbH, Hamburg

Das gleichnamige Buch (ISBN 978-3-8337-3529-5) sowie
das Hörbuch (ISBN 978-3-8337-3554-7), gelesen von
Katja Danowski, sind im JUMBO Verlag erschienen.

Die deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme
www.jumboverlag.de

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Barbara Landbeck

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Robby

aus der

Räuberhöhle

Inhalt

Hinter der Mauer

Ein Brief ohne Adresse

Thea

Eine Nacht im Paradies

Die Suche beginnt

Finstere Pläne

Eine dackelige Überraschung und ein feiner Plan

Es kommt immer anders, als man denkt

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Hinter der Mauer

Mitten in dem kleinen, verschlafenen Städtchen Jottwede steht eine alte, hohe Mauer. Sie ist über und über mit Efeu bewachsen. Vor der Mauer ist ein Fußweg. Viele Menschen laufen da hin und her. Manche gehen zum Bäcker oder zum Friseur, andere hetzen in ihr Büro, Kinder trotten in den Kindergarten oder in die Schule. Niemand von ihnen weiß, dass auf der anderen Seite der Mauer ein kleiner Junge lebt. Und das soll auch niemand wissen, denn: Dort darf eigentlich niemand wohnen. Weil es gar kein richtiges Haus mit Strom, Klo, Küche und Wohnzimmer und so gibt. Nur blühende Sträucher, hohe Gräser, knorrige Bäume und einen fröhlich plätschernden Bach.

Alles wächst durcheinander. Vögel brüten, Mäuse huschen durch das Unterholz, Hummeln und Bienen summen um die Wette. Und mitten in diesem vergessenen Wäldchen steht, gut versteckt, eine windschiefe Räuberhöhle. Sie ist aus alten Brettern, bunten Plastikplanen und gebrauchten Dachpappen zusammengenagelt worden. Vor der Höhle an einer Lagerfeuerstelle stehen zwei Stühle. Es ist noch früh am Morgen. Ein Handtuch flattert an der Wäscheleine. Ein verbeulter, brauner Hut baumelt an einem Ast.

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In einer Regentonne dümpelt ein Schiffchen aus Holz. Vögel zwitschern. Es ist friedlich hier.

In der Räuberhöhle ist es dunkel. Es riecht ein bisschen feucht und muffig. Im schummrigen Licht ist eine Schatztruhe mit einem dicken Vorhängeschloss zu erkennen. Tassen, Teller, Pfannen, Kochtöpfe und Einmachgläser stehen in einem Regal. An einer Wand hängen Mäntel und Jacken, eine Taschenlampe und eine Petroleumlampe. Gegenüber steht ein altes Bett. In der hinteren Ecke baumelt eine Hängematte von der Decke. Sie schaukelt leicht hin und her. Hier schläft Robby. Er lächelt im Schlaf. Ein bisschen verwildert sieht er ja schon aus. Seine blonden Strubbelhaare scheint er wohl nicht sehr oft zu waschen oder zu bürsten. Er hat sich fest in seine Decke eingemummelt. Auf seinem Bauch schläft ein dicker, schwarzer Kater.

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„Krah-Krah-Krah!“, krakeelt es von draußen. Robby öffnet die Augen. Aber erst einmal nur ein kleines bisschen, denn er ist noch sehr müde. Spät ist es gestern geworden. Sogar sehr spät. Bis Mitternacht hat er mit seinem Kater Momo am Lagerfeuer gesessen, Brot geröstet und die funkelnden Sterne betrachtet. Verschlafen krault er Momo unterm Kinn.

„Morgen“, murmelt er. „Hast du gehört, Momo?

Der Wecker hat gekrächzt.“

Der Kater springt etwas unelegant und mit einem kleinen Maunzer von Robbys Bauch. Dann tippelt er nach draußen in die warme Sonne. Robby schwingt seine Beine aus der Hängematte und folgt ihm. Die Sonne blendet und er kneift die Augen zusammen. Er reckt sich und gähnt.

Es duftet würzig nach sonnigem Gras, feuchtem Moos und Zitronenmelisse.

Karla, die nachtschwarze Krähe, krächzt gut gelaunt vom Baum herunter: „Krah-Krah!“ „Morgen, Karla!“, grüßt Robby zurück.

Er greift in das Astloch der alten Eiche, zieht seine blaue Zahnbürste hervor und taucht sie in das Wasser der Regentonne. Er drückt einen Streifen Zahnpasta auf die Borsten und beginnt sich die Zähne zu schrubben. Tägliches Zähneputzen – das hat er der wilden Hilde, seiner Räuber-Oma, versprochen. Und was er versprochen hat, muss er halten, findet er.

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Robby spuckt den Zahnpastaschaum ins hohe Gras und spült die Zahnbürste in der Regentonne aus. Dann steckt er sie zurück ins Astloch. Mit den Fingern fährt er sich ein paarmal durch seine struppigen Haare. Er pflückt seinen großen Hut vom Ast und setzt ihn auf den Kopf.

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Zum Frühstück gibt es eingelegte Tomaten aus dem Einmachglas. Und ein Stückchen Brot von gestern. Robby denkt daran, wie die wilde Hilde im letzten Jahr die Tomaten in einem riesigen Topf über dem Feuer gekocht und anschließend in viele Gläser gefüllt hat. Er vermisst seine Oma sehr. Obwohl sie ein wirklich harter Räuberbrocken ist, hat sie ein großes, gutes Herz. Sie ist kräftig und rund, und wenn man sie umarmt, ist sie überall schön knuffig und weich. Auf ihrem Kopf türmen sich kastanienbraune Haare und ihr Lachen klingt mehr nach einer scheppernden Blechdose als nach einer Dame im besten Alter. Oma Hilde hat Robby zu sich genommen, nachdem seine Eltern gestorben waren. Da war er noch ein winziges Baby. Manchmal ist er sich nicht sicher, ob er selbst wirklich auch ein echter Räuber ist.

Aber jedes Mal, wenn er das sagt, bekommt er einen Riesenärger mit Oma Hilde. Denn die ist eine waschechte, knallharte Räuberin. Schon immer gewesen. Und ihr Vater, also Robbys Uropa Robin, war auch ein Räuber, sogar ein sehr berühmter. „Da gibt es keine zwei Meinungen. Du bist ein Räuber, ob du es nun willst oder nicht! Das ist Ehrensache, wo du doch aus einer der besten Räuberfamilien überhaupt stammst!“, schimpft die wilde Hilde dann.

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Oma Hilde kennt viele Räubertricks. Die hat sie von ihrem Vater gelernt. Viele dieser Tricks möchte sie auch Robby zeigen, das hat sie ihm versprochen. So nach und nach. Die allerwichtigsten Tricks hat sie ihm schon beigebracht: Lesen, Schreiben und etwas Rechnen. „Das muss sein!“, sagte sie eines Tages. „Stell dir vor, du überfällst eine Bank. Dann musst du die Öffnungszeiten lesen können. Nicht, dass gerade Mittagspause ist oder so ein bescheuerter Feiertag. Und: Du musst das geraubte Geld zusammenzählen können. Falls du Komplizen hast, musst du die Beute auch gerecht unter euch aufteilen!“

Oh ja, für Gerechtigkeit ist die wilde Hilde immer zu haben. Manchmal ist sie sogar so gerecht, dass sie den Reichen etwas raubt, um es den Ärmeren zu geben!

Robbys erster Versuch zu räubern scheiterte kläglich. Da war er noch sehr klein. Wahrscheinlich zu klein. Ehrlich gesagt, war er noch so klein, dass er nicht einmal deutlich die Worte „Hände hoch!“ aussprechen konnte. Zum Test wollte er Johann, den Postboten und besten Freund von Oma Hilde, ausräubern. Er holte tief Luft, guckte so finster er konnte und piepste: „Henno!“ Das sollte „Hände hoch!“ heißen. Nichts passierte.

Johann lächelte nur freundlich und ratlos auf ihn herab. „Henno!“, versuchte Robby es noch einmal und fuchtelte mit einer Pistole aus Luft herum.

Aber Johann sah ihn wieder nur freundlich an, nahm ihn auf den Arm und fragte: „Was hast du bloß, kleiner Mann?“ Dann schenkte er ihm eine rote Briefmarke. Die wilde Hilde lachte herzhaft und drückte Robby tröstend an sich. Nun ja. Das ist lange her.

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Eines Tages, und das ist noch gar nicht so lange her, ist die wilde Hilde abends nicht nach Hause gekommen. Robby hatte gewartet und gewartet. Er hatte einen Elefanten, einen Tiger und sogar noch einen kleinen Löwen aus Holz geschnitzt.

Es wurde dunkel und Oma war immer noch nicht da. Beim Räubern musste etwas schiefgegangen sein, so viel war klar. Es war die erste Nacht, die Robby ganz allein im Wäldchen verbrachte. Er konnte kaum schlafen. Zum Glück hatte er Kater Momo und seine Krähe Karla bei sich. Nach zwei Tagen brachte Johann ihm eine Postkarte.

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Auf der Vorderseite war ein riesiger Turm abgebildet, dessen Spitze weit in den Himmel ragte. P-A-R-I-S hatte Robby entziffert. Paris – war das nicht eine große Stadt in einem anderen Land? Oma Hilde war wirklich immer für eine Überraschung gut. Auf der Rückseite der Postkarte stand:

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