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© 2015 JUMBO Neue Medien & Verlag GmbH, Hamburg

Alle Rechte vorbehalten

Text: Bettina Göschl, Klaus-Peter Wolf

Illustrationen: Franziska Harvey

Redaktion: Julia Stefanie Kress

Grafische Bearbeitung: Katrin Wahl

eISBN: 978-3-8337-3878-4

Das gleichnamige Buch (ISBN 978-3-8337-3485-4)

und Hörbuch (ISBN 978-3-8337-3502-8), gelesen von

Robert Missler, ist im JUMBO Verlag erschienen).

Die deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme

www.jumboverlag.de

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Inhalt

Familie Janssen

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

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Kühler Nordseewind aus Richtung Norddeich pfiff um die Villa von Hellershausen.

Schwarze Wolken schwebten über dem Dach und der Regen trommelte an das Fensterglas.

Emma beobachtete, wie sich die Sträucher und Bäume im Wind bogen.

Durch die Wassertropfen an der Fensterscheibe sahen die Blumen und Pflanzen draußen im Garten verschwommen aus.

Emma kuschelte sich in ihre Decke und betrachtete die flackernde Flamme der Kerze, die vor ihr auf dem gedeckten Tisch stand.

Hanna von Hellershausen griff nach der silbernen Zuckerzange. Sie legte Mick Janssen ein Kluntje in die kleine Tasse und übergoss es mit heißem Ostfriesentee. Wie schön das knisterte und knackte.

Emma und Lukas tranken lieber Kakao, aber Emma mochte das Geräusch, wenn das weiße Zuckerstück zerbrach.

Hier im Wohnzimmer von Hanna von Hellershausen fühlte sie sich wohl.

Es war warm und gemütlich. Gespannt lauschte sie dem Gespräch.

„Warum sieht unser Vater gerade jetzt so dämlich aus?“, fragte sich Lukas und stieß ihn unter dem Tisch mit dem Fuß an. Aber Mick Janssen bemerkte das gar nicht. Er hatte den Mund weit geöffnet und staunte. Krümel vom Pflaumenkuchen klebten an seiner Unterlippe.

Emma versuchte Blickkontakt mit ihrem Vater aufzunehmen. Die Janssens konnten sich gegenseitig von den Lippen ablesen. Sie hatten es in vielen Spielen geübt. Damit es klappte, musste Mick seine Tochter ansehen. Aber das tat er leider nicht.

Für Emma und Lukas war es nicht der erste Besuch bei Frau von Hellershausen hier in Lütetsburg. Bei der Lösung ihres ersten Falles war sie ihnen eine große Hilfe gewesen. Gemeinsam hatten sie eine gemeine Betrügerin entlarvt.

Seitdem kamen die Janssens gerne und oft zu der netten alten Dame.

„Wie, es spukt bei Ihnen?“, fragte Mick Janssen ungläubig. „Sie meinen, so richtig mit Geistern und Gespenstern und so?“ Frau von Hellershausen nickte und legte drei Fotos auf den Tisch.

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„Hier, sehen Sie. Das ist das Hotel ‚Zur Krabbe‘ auf Norderney. Zunächst waren wir dort oft zum Essen. Später war es das Lieblingshotel von mir und meinem inzwischen verstorbenen Mann.

Wir haben dort früher jedes Jahr ein paar Wochen verbracht. Das gemütliche Inselhotel gefiel uns so gut, dass ich es vor zwei Jahren gekauft habe. Der alte Besitzer war gestorben und das Hotel sollte abgerissen werden. Das Personal, die Kellner und Zimmermädchen, alle wären arbeitslos geworden.“

Nachdenklich nippte sie an ihrem Tee, lehnte sich in ihrem Ohrensessel zurück und sagte: „Inzwischen haben fast alle Angestellten gekündigt und Gäste hat das Hotel auch kaum noch. Ein Geist hat sie angeblich alle vertrieben.“

Lukas hauchte die Gläser seiner Brille an und putzte sie mit seinem Hemd.

Dann sah er sich die Fotos genau an. „Dieses Gespenst hier?“

Hanna von Hellershausen zuckte mit den Schultern.

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„Tja, wenn ich das wüsste. Es soll viele Geister in dem Hotel geben. Vielleicht ist es auch nur ein Gespenst, das ständig seine Gestalt verändert. Ich habe keine Ahnung. Das Foto hat mir Klara Müller geschickt, die treue Seele. Sie arbeitet schon seit dreißig Jahren im Hotel ‚Zur Krabbe‘. Sie wird auch bald kündigen, fürchte ich. Seit einem Autounfall ist sie an den Rollstuhl gefesselt. In den oberen Etagen des Hotels kann sie nicht mehr nach dem Rechten sehen und einen Fahrstuhl gibt es leider nicht.“

Mick Janssen leckte sich die Kuchenkrümel von der Unterlippe. „Hm“, sagte er. „Also offen gestanden erkenne ich da kein Gespenst.“

Lukas gab seinem Vater recht: „Ich auch nicht, Frau von Hellershausen. Das hier sieht eher aus wie Zigarettenqualm.“

Die fantasiebegabte Emma drückte ihren roten Stoffelefanten fest an sich und schaute konzentriert auf das Foto.

Sie sah das alles ganz anders.

„Zigarettenqualm?! Seht ihr nicht die Hörner und die Augen und hier den Mund?“

Mick Janssen schüttelte den Kopf.

Lukas nickte.

Frau von Hellershausen stöhnte.

„Ich wollte es ja zuerst auch nicht glauben, aber jetzt werde ich das Hotel wohl schließen müssen. Ohne Gäste und ohne Angestellte kann niemand ein Hotel führen.“

Mick Janssen setzte sich gerade hin und wurde geschäftlich.

„Was können wir denn in dieser Sache für Sie tun, Frau von Hellershausen?“

Die alte Dame wirkte angespannt. Das Ganze war ihr sichtlich unangenehm.

Sie sprach so leise, als hätte sie Angst, in ihrem eigenen Haus belauscht und ausgelacht zu werden.

„Die Menschen halten einen ja für verrückt. Und ich wusste einfach nicht, mit wem ich darüber sprechen sollte.

Ich bin eine alte Frau und kann mein Haus nur noch für kurze Spaziergänge oder Arztbesuche verlassen. Ich bin froh, wenn ich im Frühling die Blütenpracht in meinem Garten genießen kann. Sie sind doch Detektiv, Herr Janssen. Können Sie die Sache auf Norderney nicht mal genauer unter die Lupe nehmen?“

Mick Janssen wusste, dass sie das Geld bitter nötig hatten. Die alte Villa am Deich, die sie von seinem Onkel, dem berühmten Meisterdetektiv Theodor C. Janssen, geerbt hatten, musste dringend renoviert werden.

Noch vor Kurzem hatten sich Emma und Lukas überhaupt nicht vorstellen können, hier an der Nordsee heimisch zu werden. Aber rasch fanden sie es an der Küste immer spannender. Sie liebten es, mit ihren Fahrrädern am Deich entlangzuradeln und am Strand nach Muscheln und Treibgut Ausschau zu halten. Und es war auch aufregend, einen geheimnisvollen Großonkel zu haben, von dem sie bislang nichts gewusst hatten. Als sie das Detektivbüro des alten Janssen entdeckt hatten, war die Überraschung perfekt gewesen.

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Die Villa in der Tunnelstraße direkt am Deich war ihnen schnell ans Herz gewachsen.

Mick Janssen räusperte sich. „Ich soll mir also Ihr Hotel mal anschauen …“

Lukas strich sich die dicken roten Haare aus der Stirn. Er hatte Sorge, sein Vater würde die Sache hier gleich so richtig vergeigen. Deswegen sagte er begeistert:

„Frau von Hellershausen, die Detektei Janssen wird Sie nicht enttäuschen.

Wir sind Spezialisten für solche Fälle.

Äh … ich meine, unser Vater und seine hochqualifizierten Mitarbeiter.“

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Frau von Hellershausen wirkte erleichtert.

Sie war eine reiche Dame und hatte keine Lust, lange zu feilschen. Und den Janssens vertraute sie. Vielleicht lag das an den dicken roten Haaren oder an den abstehenden Ohren der drei. Frau von Hellershausen mochte rote Haare – und abstehende Ohren sowieso. Sie machte ein Angebot, das so gut war, dass Emma einen Augenblick lang glaubte, sich verhört zu haben.

„Ich zahle Ihnen fünfhundert Euro pro Tag“, sagte Frau von Hellershausen.

„Natürlich übernehme ich alle Spesen. Und wenn Sie die Geister vertreiben können … dann … dann …“, sie überlegte, „dann dürfen Sie sich von mir wünschen, was Sie wollen und ich verspreche Ihnen, Ihr Wunsch wird in Erfüllung gehen. Natürlich nur, wenn es in meiner Macht steht.“

Emma fand die nette alte Dame zum Knutschen.

Lukas ahnte, dass es bald Zeit war, zu gehen. Er nahm sich das letzte Stückchen Pflaumenkuchen.

Mick Janssen sah seine Kinder an, die beide „Daumen hoch“ zeigten.

Dann sagte er: „Wir nehmen den Auftrag selbstverständlich an, Frau von Hellershausen. Es ist uns eine Ehre und ein Vergnügen!“

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Voller Vorfreude fuhren die Janssens zur Villa in die Tunnelstraße zurück.

Es hatte aufgehört zu regnen und die dunklen Wolken hatten sich verzogen.

Am Himmel grasten jetzt ein paar kleine Schäfchenwolken und die Sonne blitzte dazwischen hervor. Aber es war trotzdem zu kalt, um mit offenem Verdeck zu fahren.

Der Auspuff des alten roten Jaguars knatterte und knallte. Mick Janssen hatte Angst, sie könnten mit dem Auto liegenbleiben. Deshalb pfiff er, so laut er konnte, ein Lied und versuchte, seine Kinder zum Mitsingen zu ermuntern.

Sie bogen gerade in den Rosengarten ein. Da zupfte Emma ihren Bruder Lukas am Ärmel. „Guck mal, da!

Die Frau vom Jugendamt!“

Lukas zuckte zusammen. Er hatte Susie Gerade nicht in guter Erinnerung und sie ihn vermutlich auch nicht. Denn bei ihrer letzten Begegnung hatte er sie mit seinem Lasso an den Birnbaum im Garten gefesselt.

„Das gibt Ärger“, prophezeite Lukas.

Mick Janssen beobachtete die junge Frau, die dort am Zaun stand und sich mit seinem Nachbarn, dem miesepetrigen Kunschewski, unterhielt.

Der Wind ließ ihre Haare flattern.