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Tatort Wiese

Von Anke Sparmann

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Fortpflanzung: Gute Zusammenarbeit

So helfen Sie bestäubenden Insekten

Tatort Wiese

In Gärten und auf Feldern vollzieht sich ein Massensterben: Die Bestäuber verenden, Bienen, Käfer und Schmetterlinge, auf die unsere Nahrungspflanzen angewiesen sind. Als Täter unter schwerem Verdacht: Pestizide namens Neonicotinoide. Warum wurden sie überhaupt zugelassen? Warum sind sie nicht längst verboten? Ein Bericht über die Mühen, Unheil zu verhindern

Von Anke Sparmann

Es gibt einen Ort, an dem das Drama greifbar wird. Ein dämmriger Raum im Vereinsheim der Krefelder Entomologen, es riecht muffig, nach vergilbten Büchern und Bohnerwachs. Auf einem langen Holztisch stehen zwei Behälter: ein großer Bottich und eine kleine Dose.

Entomologen sind Insektenkundler. Mitglieder des Krefelder Vereins erfassen seit über 100 Jahren die heimische Insektenwelt. Ihre Funde bewahren sie hinter Glas: Käfer mit Körpern wie Juwelen, mumiengleiche Puppen von Faltern, schimmernde Prachtlibellen.

Doch was früher eine Inventur der Vielfalt war, hat sich in jüngster Gegenwart zu einer Bestandsaufnahme des Schreckens gewandelt.

Der Bottich enthält 1,4 Kilogramm tote Insektenmasse – die Ausbeute einer Falle, aufgestellt im Jahr 1989. In der kleinen Dose befindet sich der Inhalt einer Falle, errichtet am selben Ort, über denselben Zeitraum, jedoch zwei Jahrzehnte später: Sie enthält noch ganze 294,4 Gramm. Das entspricht einem Rückgang von 80 Prozent. Verschwunden sind nicht einzelne Arten, sondern massenweise Fluginsekten. Hummeln, Wespen, Schmetterlinge, Nachtfalter, Schwebfliegen, Fliegen und Mücken, Käfer, Bienen, Libellen.

„Klingt vielleicht irre“, sagt der Insektenforscher Martin Sorg, „aber sie schmieren alle ab.“ Messfehler, so scheint es, sind ausgeschlossen. Die Krefelder benutzen seit Ewigkeiten denselben Fallentyp. Auf Fotos, die den Aufbau dokumentieren, sieht man sogar denselben Mann hantieren. Nickelbrille, lange blonde Haare. Das ist Martin Sorg, unverkennbar.

Sorg engagiert sich seit Jahrzehnten bei den Krefelder Entomologen. Wer ihm ins obere Stockwerk des Vereinsheims folgt, stößt dort auf Dutzende Umzugskisten und auf weitere Bottiche und Dosen. Insgesamt 50 Standorte im Rheinland haben die Krefelder beprobt. Feuchte Wiesen, Kiesgruben, Waldsäume. Verwaist sind heute, wie Martin Sorg betont, „vor allem geschützte Gebiete, optisch top in Schuss, in denen es sonst von Insekten wimmelte“. Mit 70, 80, 90 Prozent beziffert er die Verluste an den einzelnen Standorten. Während sich der Schwund in Zahlen bilanzieren lässt, sind seine ökologischen Folgen nur ansatzweise zu fassen: Vögeln fehlt es an Nahrung, Schädlingen an Feinden, Blüten an Bestäubern.

Krefeld, die Stadt am Niederrhein, gilt in Expertenkreisen als Chiffre für den Niedergang der Insekten. Doch wo immer Forscher Langzeitdaten über das Vorkommen von Insektenarten sammeln, melden sie ebenfalls drastische Einbrüche, im In- wie im Ausland.