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Robert Bukvić

DIE COWORKING-EVOLUTION

Robert Bukvić

DIE COWORKING EVOLUTION

WIE WIR ZUKÜNFTIG LEBEN UND ARBEITEN

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

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1. Auflage 2020

© 2020 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

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Redaktion: Christiane Otto, München

Umschlaggestaltung: Laura Osswald, München

Umschlagabbildung: shutterstock.com/svetabelaya

Bildnachweis Innenteil: Siehe Kapitel Bildnachweise

Satz: Ortrud Müller, Die Buchmacher – Atelier für Buchgestaltung, Köln

Druck: Florjancic Tisk d.o.o., Slowenien

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-86881-703-4

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96267-016-0

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96267-017-7

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter:

www.redline-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Inhalt

Vorwort

Teil 1: Das Konzept Coworking

1. Coworking – eine neue Arbeitsform erobert die Welt

Die (kurze) Geschichte hinter Coworking

Ein paar Zahlen: der Wirtschaftsfaktor Coworking

Coworking – das Rundum-sorglos-Paket für die Laptop-Elite

Die jungen Wilden werden erwachsen

Die Tiefe des Raumes

Coworking Spaces – wichtiger Player am Immobilienmarkt

Coworking Spaces als Antwort auf Büroflächenmangel

Die Arbeitswelt von morgen

Gemeinsam erfolgreicher: die Rolle der Community

Teamwork: die Mannschaft siegt

Teil 2: Die Auswirkungen des Coworkings

2. Arbeitszeit ist Lebenszeit – Work und Life und Balance

Leben, um zu arbeiten – oder arbeiten, um zu leben?

Mythos »Homeoffice«

Arbeitszeiten und andere Experimente

Essen – ein Leistungsfaktor

Gesundheit: Power pusht Produktivität

Entspannt auf Erfolgskurs

Teil 3: Die Zukunft des Coworkings

3. Es geht noch mehr – Weiterentwicklungen des Coworkings

Coliving: die Start-up-WG

Coworkation: Wo sich Arbeit wie Urlaub anfühlt

4. Fazit und Ausblick: Die Erfolgsstory geht gerade erst los

Innovationstreiber

Digitale Transformation

Coworking Spaces werden zu Branchenzentren

Full-Service-Anbieter

Testlabor für urbanen Lifestyle

Consulting für etablierte Unternehmen

One-Stop für Start-ups

Wirtschaftsförderung

Der ländliche Raum wird lebendiger

Schlusswort

Bildnachweise

Über den Autor

Literatur

Anmerkungen

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Vorwort

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Das Buch, das Sie in den Händen halten, soll Ihnen die Welt des Coworkings näherbringen. Ich bin ehemaliger Basketball-Profi und vermutlich werden Sie sich beim Lesen der folgenden Seiten mehr als einmal fragen, was einen Ex-Spitzensportler als Coworking-Experten qualifiziert. Diese Frage werde ich Ihnen hoffentlich im Verlauf des Buches beantwortet haben. Beide Sparten haben weit mehr gemein, als man zunächst vermuten mag.

Viele Ansätze, die Coworking in Bezug auf die Arbeit 4.0 aufzuweisen hat, finden sich auch im Profisport wieder. Betrachten wir einmal, wie ein zunehmender Teil der Menschen in einem Jahrzehnt arbeiten wird: Die lebenslange Stelle in einem Unternehmen wird vermutlich ebenso der Vergangenheit angehören wie der typische Nine-to-five-Job. Wir werden zunehmend in Projekten arbeiten, und das nicht nur an einem Ort, sondern theoretisch von überall auf der Welt, zumindest dort, wo Strom und Internet vorhanden sind. Je nach Aufgabenstellung werden Teams entsprechend der benötigten Kompetenzen und Qualifikationen neu und flexibel zusammengestellt. Das Leistungsprinzip gewinnt somit an Bedeutung. Statt Teil eines festgefügten Kollegenkreises zu sein, werden wir verstärkt zu Einzelkämpfern, die mit anderen Fachkräften konkurrieren, die über ähnliche Fähigkeiten und ein ähnliches Know-how verfügen. Nichtsdestotrotz wird auch der Aspekt des Teamworkings immer wichtiger. Aufgrund des demografischen Wandels werden die Spezialisten zum raren Gut werden und die Auftraggeber müssen neben der reinen Vergütung zusätzliche Anreize schaffen, damit sich die Arbeitnehmer überhaupt für ein Unternehmen entscheiden. Ein angenehmes und lebenswertes Umfeld für Mitarbeiter wird somit zum entscheidenden Faktor. Ein positiver Nebeneffekt ist: Wer sich wohlfühlt, ist kreativer, motivierter und leistungsfähiger – und darum geht es unterm Strich. Schließlich reden wir hier über Unternehmen, die am Ende schwarze Zahlen schreiben müssen und die darüber hinaus einen gesellschaftspolitischen Mehrwert schaffen sollten – Letzteres wird besonders von jungen Mitarbeitern zunehmend erwartet.

Für Profisportler im Mannschaftssport ist es vollkommen normal, im Laufe ihrer Karriere für unterschiedliche Vereine rund um den Globus zu spielen. Trainiert wird nicht zu festen Zeiten, sondern in Trainingseinheiten, angepasst an die jeweilige Situation. Vor einem Spiel wird intensiver trainiert, zusätzlich hat jeder Spieler einen individuellen Trainingsplan. Die Projekte im Sport heißen Spiel, Qualifikation und Meisterschaft. Egal, ob auf dem Platz oder in der Halle – Profisport bedeutet immer auch ein Stück weit Konkurrenzkampf. Wer durch gute Leistungen überzeugt, spielt. Wer nicht in Form ist, sitzt auf der Bank. Die Teams werden vor vielen Spielen neu zusammengestellt, denn nicht jeder Gegner ist mit den gleichen Waffen zu schlagen. Man ist sowohl Einzelkämpfer, der sich auf seiner Position behaupten muss, als auch Teamplayer, der im Zusammenspiel mit seiner Mannschaft funktioniert. Junge Talente profitieren von erfahrenen Spielern genau wie umgekehrt. Die Vereine buhlen um die besten Spieler. Nicht nur mit Geld, sondern auch mit vielen anderen Annehmlichkeiten, die dafür sorgen, dass die Spieler mental und körperlich in Top-Form sind, um ihre Bestleistungen abrufen zu können.

Es ist unschwer zu erkennen: Der Profisport hat in vielen Bereichen einiges mit der Arbeitswelt von morgen gemein. Die zahlreichen Herausforderungen sind mitunter ähnlich gelagert. Und die Lösungen, die in den Vereinen konzipiert werden, um diese zu meistern, sind mit dem Coworking durchaus vergleichbar. Folglich möchte ich Sie einladen, sich gemeinsam mit mir auf das spannende Feld des Coworkings zu begeben – das ähnlich wie der Mannschaftssport über den zentralen Community-Gedanken verfügt, bei dem Teamwork ein wesentliches Merkmal ist.

Ihr

Robert Bukvić

TEIL 1: Das Konzept Coworking

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1. Coworking – eine neue Arbeitsform erobert die Welt

Arbeit ist eine tragende Säule unseres Lebens. Sie erfüllt uns mit Sinn. Wir verdienen damit unser Geld und können unseren Beitrag innerhalb der Arbeitsteilung einer Gesellschaft leisten. Entscheidend für unsere Arbeitsmotivation und Leistungsfähigkeit ist, ob der Job uns gerecht wird; mitunter auch, ob er uns »Spaß macht«. Ebenso sollte die Frage, wie wir arbeiten, wo wir arbeiten und mit wem wir zusammenarbeiten, bestenfalls im positiven Sinne beantwortet werden. Es gibt unzählige Ansätze, die sich ständig durch neue Erkenntnisse und persönliche Vorlieben ändern. In diesem Buch möchten wir auf die immer noch relativ neue Arbeitsform – die gleichzeitig auch den Arbeitsort und das Geschäftsmodell abbildet – eingehen: auf Coworking.

Für alle, die Gründergeist, Start-up-Feeling und eine lockere Community suchen, sind Coworking Spaces eine attraktive Alternative zu herkömmlichen Arbeitsorten. Das liegt maßgeblich daran, dass solche Orte den Bedürfnissen vieler moderner Wissensarbeiter in idealer Weise gerecht werden. Es sind Orte, an denen sich im Idealfall die Arbeit mit der Freude an der Tätigkeit verbindet. Hier zählt Kooperation weit mehr als Konkurrenz, Gemeinschaftssinn mehr als Unterschiede, und die Kollegialität zählt mehr als nur die reinen Formalitäten. Um Missverständnissen von Anfang an vorzubeugen: Das alles sind angenehme Attribute, die in meinen Augen zu den Stärken von Coworking Spaces gehören. Dennoch sprechen wir über eine überzeugende Geschäftsidee und nicht etwa über die Organisation einer Hippie-Kommune. Bei allen Annehmlichkeiten, für die auch wir als Anbieter des Coworkings stehen, sollte nicht vergessen werden, dass jedes Unternehmen irgendwann auch einen Gewinn erwirtschaften muss. Dabei gilt es, sich dem Wettbewerb zu stellen und anspruchsvolle Ziele zu setzen und diese hoffentlich auch zu erreichen. Nur auf diese Weise kann eine marktwirtschaftlich orientierte Firma mittel- und langfristig überleben. Dies ist ein wichtiges Paradigma für dieses Buch, selbst wenn wir es nicht überbetonen wollen. Vielmehr möchten wir uns auf das Alleinstellungsmerkmal und die Vorteile des Coworkings konzentrieren.

Zunächst aber, was ist eigentlich Coworking im Sinne des Arbeitens innerhalb von Coworking Spaces? Eine Studie der BerlinHyp vom Mai 2019 (»Coworking kompakt. Überblick und Trends«) definiert es folgendermaßen1:

Eine Untersuchung (»Coworking. Nur ein Hype oder auf dem Weg zum etablierten Bürokonzept?«) des Immobilien-Consultingunternehmens Jones Lang LaSalle Incorporated (JLL) ergänzt die uns wichtige »Orientierung an trendigem Design«.2 Dabei ist Coworking als Mischung aus Arbeitsform und Arbeitsplatz nicht etwa aus dem Nichts entstanden, sondern vielmehr ein Spiegel der Arbeitswelt unserer Zeit. Die JLLStudie von Oktober 2017 fasste die aktuellen Treiber des Phänomens Coworking folgendermaßen zusammen:

All diese Aspekte werde ich im Laufe des Buchs ausführlich beschreiben. Doch wie hat die Geschichte von Coworking und der dazugehörigen Spaces eigentlich begonnen? Weshalb passt Coworking so gut in unsere Zeit und was sind die entscheidenden Erfolgsfaktoren?

Die (kurze) Geschichte hinter Coworking

Die Entstehung von Coworking verlief – wie bei nahezu allen Geschäftsideen, die später scheinbar eingängig und logisch daherkommen – keinesfalls geradlinig. Es waren auch keineswegs Entwicklungen, die früher auf der Hand lagen oder ein offenkundig weit verbreitetes Defizit ausglichen. Schließlich war (abhängige) Arbeit von Angestellten seit der Industrialisierung und im vergangenen Jahrhundert an einen festen Arbeitsplatz gebunden. Und Selbstständige arbeiteten entweder in einem eigenen Büro oder von zu Hause aus. Die Organisation von Coworking & Co. musste sich erst herauskristallisieren, sie entstand zunächst innerhalb einer Nische und ist mit der Zeit auch deshalb so erfolgreich geworden, weil sich Arbeitsprozesse und -hierarchien in der Zwischenzeit merklich gelockert haben. Viele Konventionen und Konstellationen rund um die Arbeit haben sich in der westlichen Welt dramatisch verändert und sie werden es vermutlich auch weiterhin tun. Ein wesentlicher Aspekt ist die Flexibilität, die für die Mitarbeiter wie auch für Unternehmen immer wichtiger wird. All dies war vor rund 60 Jahren noch keineswegs abzusehen, als sich, nennen wir es einmal, die ersten »Bürolösungen« entwickelt haben, die wir heute als Vorboten oder als Wegbereiter des Coworkings bezeichnen würden. Dabei gab es den entsprechenden Begriff und das Bewusstsein, eine völlig neue Arbeitsform geschaffen zu haben, lange Zeit überhaupt nicht. Der Begriff im Zusammenhang mit den »Spaces« tauchte erstmals im Jahr 1999 auf. Eine richtige »Bewegung« und feste Geschäftskonzepte folgten hingegen erst später, und zwar in den Nuller-Jahren.4 Wie bei vielen Produkten, Dienstleistungen oder Geschäftsideen lag der Ausgangspunkt hierfür in den USA. Doch auch Deutschland trägt einen erheblichen Anteil daran, dass sich das Konzept und der Ansatz immer mehr professionalisieren konnte und weiterverbreitet hat.

1959: der erste Business Incubator

Als eine Art Vorläufer des Coworking-Konzepts gilt das Batavia Industrial Center in New York, das vor rund 60 Jahren mithilfe der Familie Mancuso ins Leben gerufen wurde.

1956 schloss Massey-Ferguson, die größte Industriesparte in Batavia. Anschließend stand ein über 25.000 Quadratmeter großes mehrstöckiges Gebäude leer und die Arbeitslosenquote stieg auf über 20 Prozent. Glücklicherweise erwarb die Familie Mancuso das Gebäude. Zunächst wurde versucht, das riesige und wartungsintensive Areal an eine Firma zu vermieten, was sich jedoch als nahezu unmöglich herausstellte. Stattdessen wurde beschlossen, das Gebäude aufzuteilen und an getrennte Unternehmen zu vermieten, die sich durch gemeinsame Bürodienstleistungen, Unterstützung bei der Kapitalbeschaffung und Unternehmensberatung über Wasser halten sollten. Somit war der weltweit erste Business Incubator geboren. Im Vergleich zur Gegenwart war natürlich alles noch recht einfach – doch aus heutiger Sicht immerhin ein Anfang.

1980: Innovationszentren erobern Europa

Erst in den 80er-Jahren verbreitete sich Mancusos Inkubator-Idee auch in Europa, und zwar vorrangig in Form von Innovations- und Gründerzentren. Ziel war die Förderung vor allem technologieorientierter Start-ups. Neben günstigen Büros inklusive einer guten Infrastruktur erhielten Gründer dort oftmals Beratung, Coaching und die Möglichkeit, sich mit anderen ansässigen Unternehmen zu vernetzen. Die meisten lagen leider nicht sehr zentral und versprühten oftmals eher einen nüchternen Büro-Charme. Wen das nicht störte, der war hier gut aufgehoben.

1995: C-Base – der erste Hackerspace

17 Computerspezialisten gründeten am 12. August 1995 in Berlin die C-Base, die als direkter Vorgänger der heutigen Coworking Spaces gilt, ab 2002 mit ersten WLAN-Anschlüssen. Es waren offene Räume mit einer, im Vergleich zu heute, sehr spartanischen Ausstattung, in denen Nerds und Tüftler ihre Ideen ausheckten. Der Begriff Hackerspace machte in der Computerszene die Runde und inspirierte Nachahmer.

C-base betrachtet sich als Raumstation – ein Mythos, der in allen Belangen ausgelebt wird: im Design, der Legende, in vielen Begriffen, Analogien, Themen und nicht zuletzt den Räumen. Der Begriff Coworking SPACE hat hier jedenfalls seine volle Berechtigung. So heißt es gleich zum Auftakt in der Selbstbeschreibung: »Unter Berlin-Mitte liegen die Überreste einer 4,5 Milliarden Jahre alten Raumstation verborgen. Nach der Entdeckung 1995 gründete sich ein gemeinnütziger Verein (...) für die Erforschung dieses einzigartigen Kulturerbes aus der Zukunft. Das Rekonstruktionsteam aus den verschiedensten wissenschaftlichen und kulturellen Gebieten trifft sich regelmäßig zum Ideenaustausch und zur Projektentwicklung in der Multimodulstation Rungestraße 20.«5

Auch der Name ist nicht etwa einem Einfall entsprungen, wie es weiter heißt: »Die Raumstation ist c-förmig aufgebaut, bestehend aus 7 Ringen, der Mittelpunkt befindet sich unter dem heutigen Alexanderplatz. Das erste Fundstück (Artefakt) mit der Inschrift ›the c-base project: be future compatible‹ legte den Projektnamen fest und in Anlehnung an die Anzahl der Ringe entstand die Aufteilung in 7 Arbeitsbereiche.«6

Heute arbeitet auf 700 Quadratmetern eine 300 Mitglieder umfassende Crew in der Rekonstruktionsphase 4 (cbrp4) der Multimodulstation RS20, darunter in Laboren, in Forschungs- und Konstruktionseinheiten und einer SciFi-Bibliothek. 7

1999/2000: Das Kind bekommt einen Namen

Der Begriff Coworking wurde nicht erfunden, er ist vielmehr gewachsen. Dennoch, wenn es um die Namensfindung geht, hat vermutlich Bernard (Bernie) De Koven 1999 erstmals den Begriff »Coworking« in Umlauf gebracht – jedoch im Sinne des reinen Zusammenarbeitens, nicht in Hinblick auf das hier in dem Buch beschriebene »Raumkonzept«. Auf dieses Missverständnis wies Coworking-Erfinder Brad Neuberg in einem Blogbeitrag hin. Er betrachtete dies sogar als schwerwiegenden Fehler auf der Wikipedia-Seite. Neuberg schrieb: »Als ich den Begriff Coworking geprägt habe, habe ich das unabhängig von anderen Begriffen gemacht. Ungefähr anderthalb Jahre später, als ich nach einem Domainnamen für das Coworking-Wiki suchte, stieß ich auf coworking.com, das Bernie De Koven gehörte. Er wusste nichts über die kollaborativen Arbeitsbereiche, an denen wir beteiligt waren. Er hatte ein Institut namens Coworking Institute gegründet, das anscheinend versuchte, das Bewusstsein für kollaborative Arbeitstechniken und -technologien zu schärfen. Bernie und ich telefonierten zu dieser Zeit kurz miteinander und lachten darüber, dass wir beide Coworking gewählt hatten, um uns auf die verschiedenen Dinge zu beziehen, die wir verfolgten. Wir haben das gleiche Wort gewählt, um uns auf verschiedene Dinge zu beziehen, die wir getan haben, aber in keiner Weise waren unsere Initiativen miteinander verbunden. Bernie ist ein großartiger Kerl, der interessante Arbeit geleistet hat, aber nicht mit dem Aufstieg der Coworking-Space-Bewegung verbunden war.«8

1999: 42West24

Im New Yorker Stadtteil Manhattan eröffnete 42West24 seine Türen: ein Ort mit angenehmer Arbeitsatmosphäre und flexiblen Mitgliedschaften für Teams und Selbstständige, die einen Büroplatz suchten. Der Community-Gedanke spielte hier zwar noch keine Rolle – aber der Name war immerhin schon so modern wie der von heutigen Coworking Spaces.

2005: San Francisco und St. Oberholz

Wie viele andere Selbstständige arbeitete der Programmierer Brad Neuberg bewaffnet mit Laptop und Latte Macchiato überwiegend in Cafés, in seinem Falle im schönen San Francisco. Bereits 2003 gründete er die »Nine to Five Group«. Hierfür machte er Werbung auf Craigslist. Der Plan war eine Gruppe, die sich in Coffeeshops traf und lässig zusammenarbeitete. Der Sache war jedoch kein Erfolg beschieden und so versandete alles nach einem Monat. Zwei Jahre später kam er auf die Idee, eigene Räumlichkeiten anzumieten.9 In einem Blogpost mit dem bezeichnenden Anfangssatz »Yes I invented coworking« beschreibt der Erfinder persönlich die Geschichte: »2005 arbeitete ich bei einem Start-up namens Rojo und war mit meinem Job unzufrieden.«10 Er war einerseits selbstständig, arbeitete jedoch auch im besagten festen Job. Beides wollte er »zur selben Zeit« miteinander kombinieren: die Freiheit und Unabhängigkeit, mit der er für sich selbst arbeitete und die Struktur und Gemeinschaft bei der Arbeit für andere. »Ich beschloss, eine neue Art von Raum zu schaffen, um die Gemeinschaft und Struktur, nach der ich mich sehnte, zu befördern, und gab ihr einen neuen Namen: Coworking.«11

Zum ersten Coworking Space wurde der San Francisco Coworking Space im Spiral Muse: »Ich habe mit Elana Auerbach gesprochen, die an Spiral Muse beteiligt war, (...) und meine Coworking-Idee erwähnt und sagte, dass ich bezahlbaren Raum brauche. Elana sagte, dass ich den Spiral-Muse-Raum an zwei Tagen in der Woche für 300 US-Dollar im Monat haben könnte; mit Zusatzbeträgen, wenn ich mit den Teilnehmern mehr als 300 US-Dollar verdienen würde.«12 Dazu musste er allerdings den Raum an jedem dieser Tage aufs Neue einrichten und dann wieder zurückbauen. Und da er pleite war, musste sein Vater mehrere Monate lang auch noch die Bezahlung übernehmen. Dies war auch bitter nötig, denn Geld, gar Extraeinnahmen, kam in den ersten Wochen nicht hinein: »Ich dachte naiv, dass ich auf Craigslist posten und dann eine Flut von Leuten im Space haben würde. Tatsächlich kam im ersten Monat niemand und ich stellte montags und dienstags die Klapptische und so weiter auf, die geduldig auf Leute warteten, aber niemand kam.«13 Neuberg erkannte, dass er mehr Marketing betreiben musste und ging dahin, wo klischeehafterweise die Coworking-Zielgruppe der ersten Stunde saß: in Cafés. Er verteilte dort Faltblätter und Visitenkarten und sprach mit Leuten über die Idee. Es funktionierte: »Langsam kamen immer mehr Menschen in den Raum. Der offizielle erste Mitarbeiter war Ray Baxter, ein Athlet, Start-up-Entwickler und Vater, der in den Raum kam und der erste offizielle Mitarbeiter war.«14

Ab dann nahm das Geschäft – aber auch die heute weltweite Geschäftsidee – an Fahrt auf. Aus Sicht Neubergs waren dabei drei Entwicklungen entscheidend: »Die erste war, dass viele Leute in den Raum kamen, nur um zu sehen, was mit Coworking los war, aber nicht in der Lage waren, hier zu arbeiten. Ich sagte ihnen: ›Nehmt diese Idee, klaut sie und macht sie euch zu eigen.‹ Ich gab also den Leuten die Erlaubnis, die Coworking-Idee mitzunehmen und neu aufzustellen, genau wie bei den Open-Source-Wurzeln, aus denen ich stammte.«15

Zweitens tat er sich mit Social-Media-Spezialistin Tara Hunt und Hacker Chris Messina (der den Twitter-Hashtag etablierte) zusammen. Mit einem Coworking-Wiki und einer Google-Gruppenliste bauten sie eine Online-Community auf. Nach einem Jahr schloss der Coworking-Raum von Spiral Muse zwar wieder – doch einige Monate später machte Neuberg mit etwa zehn anderen Freiwilligen, darunter Hunt und Messina, die Hat Factory auf. Dieser Space, ein früherer Arbeitsund Wohnloft, war größer und konnte mehr Menschen aufnehmen. Wichtig war Neuberg und seinen Gefährten dabei vor allem auch der »Open Community«-Gedanke.16

Neuberg hat Coworking nicht nur praktisch auf Spur gebracht, sondern sich auch um die Erforschung früherer Wurzeln verdient gemacht. So recherchierte er zwei Jahre nach dem Start der Hat Factory, dass ein Neil Goldberg bereits früher versucht hatte, hochwertige, gemeinschaftliche Telearbeitsplätze für Dot-Com-Mitarbeiter bereitzustellen, die im Silicon Valley tätig waren. Dieser »Gate-3-Work-Club« war kommerziell ausgerichtet und ist mit dem Platzen der Dot-Com-Blase rasch untergegangen.17

Von den ersten Anfängen bis heute verlief die Gründung eines Berliner Pendants: Ebenfalls 2005 öffnete das St. Oberholz am Rosenthaler Platz. Als eines der ersten Cafés bot es seinen Gästen einen kostenlosen Internetanschluss – und wurde zum viel zitierten Treffpunkt der »Digitalen Bohème«, die hier ihr vermeintlich freies, selbstbestimmtes Leben jenseits der Festanstellung zelebrierte. Das Gerücht, dass Zalando im St. Oberholz seine Investoren getroffen hat, dürfte dem Betrieb auch nicht geschadet haben. Das Café im Erd- und Obergeschoss gibt es immer noch. Doch heute erstrecken sich professionelle Coworking Spaces auf rund 600 Quadratmetern über das gesamte Gebäude. Aus den informellen Anfängen ist inzwischen sogar eine »Mini-Gruppe« erwachsen: 2015 haben die Betreiber eine Dependance in der Zehdenicker Straße mit 550 Quadratmetern eröffnet, nur wenige Minuten vom etwas größeren Stammhaus entfernt.

2007: Coworking rankt bei Google und erhält Wikipedia-Eintrag

Das Wort »Coworking« wurde 2007 bei Google zum Trend-Suchbegriff. Seither ist das Suchvolumen explodiert und liegt bei mehreren Millionen Treffern, darunter Hunderttausenden Videos und Zeitungsartikeln. Im gleichen Jahr erhielt Coworking auch einen Wikipedia-Eintrag.

Ab 2008: Eine Branche reift – und Coworking wird zum Hype

Neben der verstärkten Google- und Wikipedia-Präsenz zeigte Coworking weitere Erscheinungsformen einer reifer werdenden Branche: Es fanden (zunächst informelle) Konferenzen statt, in Brüssel 2010 schließlich die erste offizielle Coworking-Konferenz. 2009 erschien das erste Buch: How coworking is making the office obsolete. In den nächsten Jahren entstanden im Jahrestakt regelmäßig 1.000 neue Coworking Spaces weltweit. Einige davon möchte ich in den nächsten Abschnitten vorstellen.

Ein paar Zahlen: der Wirtschaftsfaktor Coworking

Mehr Mitglieder, mehr Fläche, mehr Kundenbindung, mehr Standorte – laut der jüngsten »Coworking Survey 2019« vom Mai 2019 entwickelt sich der Coworking-Markt auch weiterhin prächtig. Doch schauen wir uns die weltweiten Kernaussagen und Ergebnisse der Umfrage etwas genauer an18, wobei zu beachten ist, dass für Coworking Spaces hier andere Definitionen/Eingrenzungen gegolten haben dürften als in anderen Erhebungen, die den gesamten Markt für »Flexible Workspace« betrachten. Auf den Inhalt der Definition kommen wir noch später zurück:

Grundlage für die Expansionspläne sind die optimistischen Zukunftserwartungen der Betreiber: Fast alle Betreiber von Coworking Spaces gehen von steigenden Mitgliederzahlen und Einnahmen wie auch von einer verbesserten Wirtschaftlichkeit aus. Ebenso positiv sind die Einschätzungen der Mitglieder: 66 Prozent sind mit ihrem Space derart zufrieden, dass sie überhaupt nicht daran denken, ihre »Arbeitsheimat« zu verlassen. Neben der Länge der Mitgliedschaft ist auch die Loyalität der Coworker zu ihrem Anbieter im Vergleich zum Vorjahr deutlich gestiegen. Dennoch steht die Mitgliedergewinnung ganz oben auf der Liste der Dienstleister. Als problematisch bewerten viele Dienstleister hingegen die Preise auf dem Immobilienmarkt und den zunehmenden Wettbewerb zwischen den verschiedenen Coworking Spaces.

Die Branche ist noch relativ jung und erfindet sich permanent neu. Nachfolgend einige Trends, auf die ich im Laufe des Buches kurz eingehen möchte:

Coworking – das Rundum-sorglos-Paket für die Laptop-Elite

Coworking Spaces bieten weitaus mehr als nur unterschiedliche Arbeitsräume in coolem Ambiente mit ausgefallenem Design. Coworking Spaces sind auch ein Experimentierfeld, Testlabor für neue Ideen, Kontaktbörse und darüber hinaus eine Art Spielwiese, auf der sich Arbeit und Freizeit zunehmend miteinander vermischen. Es sind Orte, an denen aus Kreativität, Zusammenarbeit und Kooperation echte Innovationen und schließlich auch erfolgreiche Kooperationen entstehen können.

Das Hamburger Coworking Space »places« wirbt beispielsweise mit dem Claim »Your place to work, inspire, talk, think, relax, create, meet and love what you do«19. Auch wenn es sich hier natürlich um Werbung handelt, trifft der Claim dennoch das Lebensgefühl vieler. Coworking Spaces sind Netzwerke, die nach gänzlich anderen Regeln funktionieren, als dies zum Beispiel in traditionellen Unternehmen der Fall ist. Und genau das macht sie zur Blaupause für die Arbeitswelt 4.0, mit einer komplett anderen und wegweisenden Arbeitsatmosphäre, die vor allem auf die Bedürfnisse der Generation Y zugeschnitten ist, sich aber auch zunehmend für neue spannende Zielgruppen öffnet.

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Bildlich gesprochen sind Coworking Spaces wie ein Regal im Supermarkt, aus dem sich jeder genau das herausnehmen kann, was er gerade benötigt: Von der Tageskarte für 20 Euro über den Freedesk für 100 Euro pro Monat bis zum Teamoffice für mehrere 1.000 Euro ist alles möglich. Im Mietpreis inbegriffen sind neben modern eingerichteten Arbeitsräumen die gesamte technische Infrastruktur und je nach Anbieter weitere Extras wie das Frühstück, Vorträge, Events mit Freibier und sogar Sportangebote.