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George Horace Lorimer
Briefe eines
erfolgreichen
Kaufmanns
an seinen Sohn
George Horace Lorimer
Briefe eines
erfolgreichen
Kaufmanns
an seinen Sohn
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Für Fragen und Anregungen:
info@finanzbuchverlag.de
1. Auflage 2018
© 2018 by FinanzBuch Verlag,
ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
Copyright der Originalausgabe: © George Horace Lorimer, 1902.
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Übersetzung: Almut Braun
Redaktion: Anne Horsten
Umschlaggestaltung: Laura Osswald
Umschlagabbildung: Shutterstock/Big Foot Productions, Shutterstock/h Kunal Mehta
Satz: ZeroSoft SRL, Timisoara
Druck: GGP Media GmbH, Pößneck
Printed in Germany
ISBN Print 978-3-95972-112-7
ISBN E-Book (PDF) 978-3-96092-193-6
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96092-194-3

INHALT

Vorwort
Brief 1:Mr. Pierrepont wird vollwertiges Mitglied des ersten Studienjahres
Brief 2:Mr. Pierreponts Aufgabenstellung wurde von seinem Vater inspiziert
Brief 3:Mr. Pierrepont hat vorgeschlagen einen Postgraduierten-Studiengang zu belegen
Brief 4:Mr. Pierrepont hat eine Kavaliersreise vorgeschlagen
Brief 5:Mr. Pierrepont hat seinen Vorschlag zurückgezogen
Brief 6:Mr. Pierrepont hat mit seiner Korrespondenz Verwirrung ausgelöst
Brief 7:Mr. Pierrepont ist mit den Methoden des werten Milligan einverstanden
Brief 8:Mr. Pierrepont wurde in die Rechnungsabteilung befördert
Brief 9:Mr. Pierrepont hat umfangreich in Rosen investiert
Brief 10:Mr. Pierrepont wurde zum Handelsvertreter befördert
Brief 11:Mr. Pierrepont Aufträge sind klein und seine Ausgaben groß
Brief 12:Mr. Pierrepont hat seinen Vater verstimmt
Brief 13:Mr. Pierreponts Aufträge gewinnen an Umfang
Brief 14:Mr. Pierrepont hat an der Terminbörse einen kurzen Höhenflug erlebt
Brief 15:Mr. Pierrepont wurde erneut befördert
Brief 16:Mr. Pierrepont zeigt milde Symptome einer Ansteckung
Brief 17:Mr. Pierrepont ist in einer neusten Position äußerst erfolgreich
Brief 18:Mr. Pierrepont treiben die Hausspekulanten in die Enge
Brief 19:Mr. Pierrepont hat eine junge Dame kennengelernt
Brief 20:Mr. Pierrepont erhält den Segen seines Vaters
Über die Autoren

VORWORT

Als ich das erste Mal die Briefe von Old Gorgon Graham las, war ich schier überwältigt. Die Vorstellung, dass ein Vater sich die Zeit nimmt, um seinem privilegierten Sohn im Studentenalter wohldurchdachte, lehrreiche Briefe zu schreiben, füllte ein ziemlich großes Loch in meinem Leben. Ich habe einen guten Draht zu meinem Vater, aber unsere Beziehung ist eher von der Art, dass wir Gespräche über Dinge führen – Politik, Börse oder Urlaubspläne. Wir haben nie ein Gespräch geführt allein um der menschlichen Verbindung willen, noch habe ich eine ausgeprägte Erinnerung an spezifische Ratschläge, die ich von ihm in meiner Jugend erhalten hätte.
Ich habe einmal über einen peinlichen Moment im College geschrieben, als ich jemanden in einem Hotel besuchte. »Kommen Sie ins Zimmer 927«, wurde mir gesagt. Als ich im Hotel eintraf, rief ich an und fragte: »Auf welchem Stockwerk befindet sich Zimmer 927?« Bis dahin war ich nur mit meinen Eltern gereist, und ich war nie auf die Idee gekommen, dass die Zimmernummern in einem Hotel dem jeweiligen Stockwerk entsprechen, auf dem sie sich befinden. Vielleicht hat mich mein Vater irgendwann ausdrücklich darauf hingewiesen und ich habe nicht aufgepasst, aber auf jeden Fall hat er sich nie die Zeit genommen, mir das schriftlich in einem Brief zu erklären.
Ich muss dazu sagen, dass Unaufmerksamkeit eine meiner persönlichen Schwächen ist, so wie es auch eine Schwäche Pierrepont Grahams war. Immerhin dachte ich bei der ersten Lektüre dieses Buches, die Briefe seien echt! Erst nachdem ich das Buch vielen hundert anderen jungen Leuten empfohlen hatte, wies jemand, der sich die Mühe gemacht hatte, etwas genauer hinzusehen als ich, darauf hin, dass das Buch Fiktion ist.
Letztlich spielt es aber keine Rolle, ob die Charaktere echt sind, sondern nur, ob die Ratschläge gut sind. Wie Graham in seinem ersten Brief schreibt: »Du wirst feststellen, dass Bildung so ungefähr das Einzige ist, das offen auf der Straße liegt, und von dem man so viel haben kann, wie man bereit ist, sich anzueignen.« Womöglich habe ich als Jugendlicher meinem Vater nicht genau zugehört und als junger Mann nur die Einführung in Grahams Briefe überflogen, aber ich habe so viele Ratschläge daraus mitgenommen wie möglich.
Ich erinnere mich, dass ich kurz nach der Lektüre von Grahams Briefen eine weitere schmerzliche Lektion lernen musste, die vermeidbar gewesen wäre, wenn ich nur die Briefe aufmerksamer gelesen hätte. Ich befand mich in einer Besprechung mit einer Talentagentur, die mich kurz zuvor zur Nachwuchsführungskraft befördert hatte. Die Partner sprachen gerade über ein wichtiges Projekt. Ich kannte eine der Personen, über die sie sprachen, und so mischte ich mich in das Gespräch ein, und zwar aus keinem anderen Grund, als die Anwesenden dies wissen zu lassen – und ihnen allen möglichen weiteren Unsinn zu erzählen, den ich im Anschluss noch vom Stapel ließ, als ich mit Nervosität bemerkte, dass mich alle anstarrten. Mein Mentor nahm mich hinterher beiseite und sagte, »Ryan, warum hast du das gemacht? Hattest du wirklich etwas zu sagen, oder wolltest du nur um Anerkennung heischen?« Er hatte vollkommen recht und ich fühlte mich hinterher wochenlang wie ein Idiot. Aus reiner Unsicherheit hatte ich die Aufmerkamkeit auf mich gelenkt – und das nicht gerade auf positive Weise.
John Grahams Brief vom 7. Juli 189_ hatte es auf den Punkt gebracht:
»Das Gespräch eines Geschäftsmannes sollte von weniger und einfacheren Regeln bestimmt sein, als jede andere Funktion des menschlichen Wesens. Sie lauten:
Habe etwas zu sagen.
Sage es.
Schweige.«
Der Zweck seiner Briefe, ob sie nun frei erfunden oder echt waren, lautete, seinem Sohn die mühselig erworbenen Lektionen zu vermitteln, die er in seiner rauhen und wechselhaften Laufbahn als Kaufmann erworben hatte. Dabei fällt mir Bismarcks Satz ein, dass Narren aus eigener Erfahrung lernen, weise Menschen es aber vorziehen, aus der Erfahrung anderer zu lernen. Die Wahrheit ist, dass die meisten jungen Menschen üblicherweise eine Mischung aus beidem benötigen.
Das gilt zumindest für mich.
Die folgenden Seiten enthalten eine breite Vielfalt an weisen Erkenntnissen, um jungen Menschen all die Kratzer und blauen Augen zu ersparen, die sie sich unweigerlich holen, wenn sie sich ihren Weg alleine bahnen und dabei Lebenserfahrung sammeln. Wenn sich diese Blessuren dennoch nicht vermeiden lassen, werden sie zumindest zu wertvollen Lektionen für die Zukunft. Im Folgenden finden Sie Ratschläge und Hinweise über den Unterschied zwischen formaler Bildung und Charakterbildung, die Bedeutung von Pünktlichkeit, den Wert des Sparens und Investierens, die Vermeidung von Dünkel und Überheblichkeit, die richtige Einstellung von Mitarbeitern und dazu, wie man selber eine Anstellung findet – und sogar, versteckt zwischen den geschäftlichen Ratschlägen, Tipps, wie man glücklich wird und einen Ehepartner findet. Das ist die Art von Ratschlägen, die einen ein Leben lang begleiten ... wenn Sie es zulassen.
Es hat einen Grund, warum das Buch so erfolgreich – anscheinend wurden bereits im ersten Erscheinungsjahr mehr als 300.000 Exemplare verkauft – und in seiner Originalversion seit mehr als einem Jahrhundert auf dem Markt ist. Von allen Büchern, die ich in den letzten zehn Jahren auf meiner Bücherliste empfohlen habe (ryanholiday.net/reading-list), habe ich zu »Briefe eines erfolgreichen Kaufmanns an seinen Sohn« die meisten E-Mails von neuen Anhängern erhalten. Ob und wie es sich in die deutsche Kultur übertragen lässt, weiß ich nicht, aber für mich versinnbildlicht das Buch die Quintessenz des amerikanischen Traums und die Bedeutung davon, ein zielstrebiger, ehrgeiziger und hart arbeitender Geschäftsmann zu sein.
Es gibt noch weitere Bücher dieses Genres, deren Lektüre ich genossen und die ich weiterempfohlen habe: Rainer Maria Rilkes Briefe an einen jungen Dichter, Lord Chesterfields Briefe an seinen Sohn. Selbst Senecas Epistulae Morales haben einen ähnlich lehrreichen, grundlegenden Tenor. Es gibt sogar mehrere weitere Ausgaben des Briefverkehrs zwischen dem alten Graham und seinem Sohn, darunter »More Letters From A Self Made Merchant To His Son« und »Letters from a Son to His Self Made Father«.
Ob Sie sie alle lesen oder nicht, ich hoffe, Sie nehmen Ihre Bildung und Erziehung in die eigenen Hände und widmen sich der Lektüre in ihrer ganzen Breite und Vielfalt, und nicht nur der Bücher, die Sie gezwungenermaßen in der Schule lesen mussten, oder die auf den einschlägigen Bestsellerlisten stehen. Und achten Sie darauf, dass Sie ständig und unaufhörlich weiterlernen – aus Ereignissen, sowohl aus eigener als auch aus fremder Erfahrung. Denn es ist diese Bildung und Erziehung, die Ihnen keine Schule und keine Universität vermittelt, so lehrte Graham seinen Sohn, die aus Ihnen mehr als einen formal gebildeten Menschen macht – sie formt Ihren Charakter.
Ryan Holiday
Austin, Texas
März, 2018

BRIEF 1

John Graham
von den Union Stock Yards in Chicago
an
seinen Sohn Pierrepont
an der Universität von Harvard, Cambridge,
Massachusetts
Mr. Pierrepont wurde soeben von seiner Mutter als vollwertiges Mitglied des ersten Studienjahres eingeschrieben.
Chicago, 1. Oktober 189_
Lieber Pierrepont,
deine Mutter ist heute Morgen wohlbehalten zurückgekehrt und bittet mich, dir mitzuteilen, dass du darauf achten sollst, nicht zu viel zu studieren. Ich wiederum möchte dir sagen, dass du es beherzigen sollst, nicht zu wenig zu studieren. Der wahre Grund, aus dem wir dich nach Harvard geschickt haben, ist, dass du ein wenig von der Bildung mitbekommen sollst, die dort so gut und reichlich zu haben ist. Sei nicht verschämt, sondern greife beherzt zu und nimm dir immer ein ordentliches Stück Wissen, denn ich möchte, dass du den gebührenden Anteil erhältst. Du wirst feststellen, dass Bildung so ungefähr das Einzige ist, das offen auf der Straße liegt, und das Einzige ist, von dem man so viel haben kann, wie man bereit ist, sich anzueignen. Alles andere ist knapp und irgendjemand hat es bereits eifersüchtig im Besitz, sodass man nicht herankommt.
Als ich jung war, konnte ich deine Privilegien nicht nutzen, so wie du heute meine nicht genießen kannst. Manche Männer lernen den Wert des Geldes kennen, weil sie keines haben, und beginnen, einige Dollar aus den vielen Millionen aufzuklauben, die auf der Straße liegen. Andere lernen den Wert kennen, indem sie vielleicht ein Gesamtvermögen von fünfzigtausend besitzen und das Geld ausgeben, als stünden ihnen fünfzigtausend pro Jahr zur Verfügung. Einige Männer erfahren, was Wahrheit ist, indem sie Geschäfte mit Lügnern machen und wieder andere, indem sie die Sonntagsschule besuchen. Einige Burschen lernen den Fluch des Whiskys kennen, weil sie einen Trunkenbold als Vater haben; andere, weil sie eine gute Mutter haben. Einige Männer erhalten ihre Ausbildung von anderen Männern, aus Zeitungen und öffentlichen Bibliotheken; andere beziehen sie von Professoren und aus Lehrbüchern.
Wie du lernst, die richtigen Dinge zu beherrschen, spielt keine Rolle – Hauptsache, du erfährst sie und prägst sie dir ein. Die Verpackung ist nur solange interessant, wie sie den Blick des Käufers erhascht; am Ende landet sie auf dem Aschehaufen im Ofen. Sobald das Paket seinen Weg in die Küche und in den Topf findet, kommt es nur auf die Qualität des Inhalts an.
Du kannst Schinken in Trockensalz oder in süßer Marinade pökeln, und wenn er fertig ist, kannst du ihn auf die eine oder andere Weise genießen, vorausgesetzt, der Schinken hatte eine gute Ausgangsqualität. Hatte er das nicht, ist es egal, welches Pökelverfahren du verwendest – die Schinkenverkoster werden die säuerliche Stelle nahe dem Knochen finden. Und es spielt auch keine Rolle, wie viel Zucker und Marinade du über einen Mann geschüttet hast; wenn er in seinem Kern nicht solide und von guter Qualität ist, ist er wertlos.
Das Erste, das Erziehung einem Mann vermitteln sollte, ist Charakter, und das Zweite ist Bildung. Und hier bin ich gegenüber der akademischen Ausbildung ein wenig skeptisch. Ich will hier nicht anfangen zu predigen, weil ich weiß, dass ein junger Mann mit den richtigen inneren Qualitäten höhere Anforderungen an sich selbst stellt als jeder andere, und dass er oft nur deswegen vom richtigen Pfad abkommt, weil ihm die Dinge auf falsche Weise vermittelt werden.
Ich erinnere mich an die Zeit, als ich selber noch ein Junge war – ich war ein ganz normaler Junge – und sich der alte Doc Hoover in den Kopf gesetzt hatte, ich solle zur Kirche gehen. Fünf Jahre lang schreckte er mich regelrecht davon ab, indem er mich in der Sonntagsschule stets laut und unverblümt fragte, ob ich nicht gerettet werden wolle, und nach jeder Messe lauerte er mir auf, um mit mir zu beten. Natürlich wollte ich gerettet werden, allerdings nicht derart öffentlich.
Wenn ein Junge eine gute Mutter hatte, hat er ein ausgeprägtes Gewissen entwickelt; und wenn er ein ausgeprägtes Gewissen hat, braucht er niemanden, der ihm vorsagt, was richtig und was falsch ist. Nun, da deine Mutter nicht mehr an deiner Seite ist und die Rockzipfel abgeschnitten sind, machst du jede Minute eine neue Erfahrung. Wenn du bei jedem Ausprobieren neuer Versuchungen, die auf den ersten Blick süß und verführerisch wirken, deinen Verstand und dein Gewissen einschaltest und darauf achtest, ob rund um den Knochen irgendwo ein säuerlicher Geruch aufsteigt, dann bist du auf dem richtigen Weg.
Mit ist sehr daran gelegen, dass du ein guter Akademiker wirst, aber noch mehr kommt es mir darauf an, dass du ein guter, reiner Mann bist. Wenn du bei Studienabschluss einen soliden Verstand hast, ist es mir nicht so wichtig, ob dein Latein ein wenig lückenhaft ist. Die akademische Ausbildung besteht aus zwei Teilen: dem Teil, den dir die Professoren im Klassenzimmer vermitteln, und dem Teil, den du draußen von deinen Kameraden lernst. Das ist der wirklich wichtige Abschnitt. Denn der erste Teil macht dich zwar zu einem Akademiker, aber nur der zweite macht aus dir einen Mann.
Bildung hat viel mit Essen gemeinsam: Ein Mann kann nicht immer genau sagen, welche Sache ihm gutgetan hat, aber meist weiß er, welche Sache ihm Bauchschmerzen verursacht hat. Nach einem opulenten Mahl aus Roastbeef, Gemüse, Fleischpastete und Wassermelone kannst du nicht genau bestimmen, welche Stoffe in die Muskeln gehen, aber du musst nicht sehr schlau sein, um zu wissen, welche Zutat dich zu einem Schmerzmittel greifen oder dich am nächsten Morgen erahnen lässt, was dich in der Nacht an einen persönlichen Teufel glauben ließ. Und so wie ein Mann nicht exakt sagen kann, ob es Latein, Algebra, Geschichte oder irgendein anderes solides Wissensgebiet sein wird, das ihn an diesem oder jenem Ort zum Erfolg verhilft, kann er sie sich alle zu Gemüte führen und darauf vertrauen, dass er sich damit nie den Magen verderben wird. Vielmehr ist es der süße Müßiggang, der geeignet ist, ihm Bauchschmerzen zu verusachen. Auf diesem Gebiet sollte er besonders wählerisch sein und besonnen handeln.
Es ist nicht der erste, sondern der zweite Teil der akademischen Ausbildung, den Kaufleute meinen, wenn sie fragen, ob sich ein Studium auszahlt. Es sind die Willies und Berties; die Schoko-Eclair- und die Tuttifrutti-Jungs; die unbekümmerten, feierlustigen Burschen; die Prahlhänse und die stolzierenden Hähne mit dem geschwollenen Kamm; die Donner-und-Doria-Burschen. Es ist der mittelgescheitelte, glimmstengelrauchende Champagner-Charlie, der nachtdurchtanzte Tagschläfer, der sie daran zweifeln lässt, ob die Investitionen in eine akademische Ausbildung ihr Geld wert sind. Und dabei übersehen sie die fleißigen, bodenständigen Jungs, die ihre Ärmel und Hosenbeine aufkrempeln und das Geschäft eines anderen Mannes mit ihrer akademischen Ausbildung auf Vordermann bringen.
Zahlt sich ein Studium aus? Rentiert es sich, Schweinefleischstreifen zu fünf Cent das Pfund in einen Trichter einzufüllen und am anderen Ende schöne, kleine »Land«würste zu zwanzig Cent das Pfund herauszuziehen? Zahlt es sich aus, ein Rind, das frei in der Prärie herumläuft und sich von Kaktusfrüchten und versteinertem Holz ernährt hat, bis es nur noch aus Stacheldraht und Schuhleder besteht, mit Mais zu füttern, bis es sich in einen soliden Brocken Porterhouse-Steak und Margarinefett verwandelt hat? Darauf kannst du wetten. Alles, das einen Burschen darin schult, zu denken, und zwar fix, zahlt sich aus – alles, das ihm beibringt, die Antwort zu finden, bevor ein anderer auf die Lösung kommt, rentiert sich.
Die Universität macht aus Männern keine Narren; sie bringt sie nur zur Geltung. Sie macht Männer nicht zu intelligenten Lebewesen; sie bringt sie nur hervor. Ein Narr wird immer ein Narr bleiben, egal ob er studiert oder nicht, wenngleich er nach dem Studium wahrscheinlich eine andere Sorte Tor sein wird. Dagegen wird aus einem guten, starken Burschen immer ein intelligenter, starker Mann, ob er von der harten Schule des Lebens gegerbt oder der piekfeinen Akademie der Gelehrten auf Hochglanz poliert wurde. Aber während der Mangel an höherer Bildung den wettergegerbten jungen Mann nicht bremsen kann, kann sie dem akademisch polierten Jungen zu einem erheblichen Erfolgsschub verhelfen.
Das ist einfach der Unterschied zwischen dem rauhen Straßenkampf, in dem sich die Kontrahenten mit Fäusten und Tritten traktieren und ihre Köpfe ineinanderrammen, und der taktischen Cleverness eines trainierten Boxers, der lächelnd den richtigen Moment abwartet, um einen direkten Faustschlag auf den Solarplexus seines Gegners zu landen. Mit beiden Kampfstilen kann man gewinnen, allerdings ist der Mann, der ein wenig wissenschaftlicher kämpft, der Bessere; vorausgesetzt er achtet darauf, dass seine Muskeln immer gestählt bleiben. Wenn nicht, ist er schlecht dran, denn seine unbeholfenen Bewegungen werden seinen Gegner nur dazu reizen, ihn möglichst schnell k. o. zu schlagen.
Einige junge Männer ähneln allerdings eher putzigen Schweinchen – je mehr man sie erzieht, desto amüsantere kleine Armleuchter werden sie und desto lustiger ihre Kapriolen, wenn sie ihre Tricks vorführen. Allerdings ist der richtige Platz für diese Sorte Jungs der Zirkus, nicht die Universität.
Wo wir gerade von gebildeten Paarhufern sprechen, fällt mir automatisch das Beispiel von dem alten Whitaker und seinem Sohn Stanley ein. Vor zehn Jahren kannte ich den alten Herrn sehr gut. Er gehörte zu der Sorte Mann, denen das Geschäft den Horizont verengt statt weitet. Es bereitete ihm keine besondere Freude, aber er machte einfach weiter, weil er nichts anderes anzufangen wusse. Er erzählte mir, er habe sein ganzes Leben lang schuften müssen und wolle, dass Stan es im Leben leichter habe. Also sandte er ihn auf Privatschulen und meldete ihn in Tanzschulen und Universitäten an und schickte ihn schließlich nach Oxford, damit er – wie er es ausdrückte – ein wenig von der »Atmosphäre« mitbekäme. Ich konnte diese Atmosphäre nie richtig greifen, aber soweit ich es erkennen konnte, herrschte die Vorstellung, irgendetwas an der Luft in der Räucherkammer Oxford verleihe einem jungen Mann ein besonders exklusives Raucharoma.
Nun, zu dem Zeitpunkt, als Stan mit seiner Ausbildung fertig war, holte der Sensenmann den alten Herrn, und bei der Aufstellung des Nachlasses stellte sich heraus, dass sein Vermögen nicht ausreichte, um Stan ein wirklich sorgenfreies Leben zu ermöglichen. Ich sprach mit dem jungen Mann darüber, was er nun tun würde, aber irgendwie hatte ich nicht den Eindruck, als habe er das Zeug zu einer Laufbahn in der Industrie, geschweige als Industriekapitän. Also besorgte ich ihm eine Arbeit, die seinen Gaben entsprach. Ich brachte ihn in einer Bank unter. Doch wusste er zwar mehr über die Geschichte des Bankwesens als der Präsident und mehr über die Wirtschaftspolitik als der Aufsichtsrat, aber er war nicht in der Lage, den Unterschied zwischen einer Fünfpfundnote aus der staatlichen Druckerpresse und einer handgemachten Fälschung aus irgendeinem Keller in der Halsted Street zu erkennen.
Anschließend verschaffte ich ihm einen Job bei einer Zeitung. Zwar beherrschte er vier Sprachen und wusste bis ins Detail alles über die Arktis und die Geschichte des Tanzes von Old Adam bis Old Nick, aber er konnte einfach keinen zufriedenstellenden Artikel über den Ice Men’s Ball schreiben. Er bewies mithilfe von Trigonometrie und Geometrie, dass zwei und zwei vier ist, aber er war nicht in der Lage, Buchhaltung zu erlernen. Er war dick befreundet mit allen möglichen gefeierten Dichtern, konnte aber keine kurze, prägnante Werbebotschaft für eine Straßenbahnwerbung formulieren. Er kannte Tausende von Krankheiten, die einen Mann in weniger als einem Wimpernschlag dahinraffen, aber er konnte keine Tausend-Dollar-Tontinenversicherung verkaufen. Er wusste so viel über das Leben unserer verschiedenen Präsidenten, als sei er mit ihnen aufgewachsen, aber er konnte nicht eine einzige Enzyklopädie der Gründungsväter verkaufen, obwohl sie gegen geringe Ratenzahlungen zu haben waren; was den Kauf so einfach machte, als habe man sich die Bücher von einem Freund ausgeliehen.
Schließlich fand ich die scheinbar passende Tätigkeit für ihn. Ich stellte mir vor, jeder Mann, der ein so reichhaltiges Wissen besäße, sollte in der Lage sein, es zu seinem Vorteil anzuwenden, und so verschaffte ich ihm einen Job als Lehrer. Aber es schien, als habe er so viel über die besten Lehrmethoden gelernt, dass er dem Schuldirektor gleich zu Anfang auf den Kopf zu sagte, was er alles falsch mache, und so verscherzte er sich schon früh die Sympathien. Außerdem wusste er so viel über tote Sprachen, zu deren Vermittlung er eingestellt worden war, dass er darüber vergaß, dass er es mit lebenden Jungen zu tun hatte. Und da es ihm nicht gelang, ihnen sein ganzes Wissen in der regulären Unterrichtszeit zu vermitteln, überzog er ständig seine Stunden, sodass er es sich auch mit seinen Schülern verscherzte. Am Ende verlor er auch diese Arbeit. Das Letzte, was ich von ihm hörte, war, dass er Artikel über das Thema »Warum junge Männer scheitern« schrieb und damit sogar Erfolg hatte, denn Scheitern war das eine Gebiet, auf dem er wirklich ausgiebige praktische Erfahrung besaß.
Ich erwähne Stan nur nebenbei als Beispiel für den Umstand, dass ein umfangreiches Wissen alleine nicht ausreicht, und es manchmal besser ist, weniger Kenntnisse zu besitzen, aber zu wissen, wie man sie richtig einsetzt.
Dein dir zugetaner Vater,
JOHN GRAHAM

BRIEF 2

John Graham
von den Union Stock Yards in Chicago
an
seinen Sohn Pierrepont
an der Universität von Harvard
Mr. Pierreponts Ausgabenaufstellung wurde soeben von seinem Vater inspiziert und von diesem zum Anlass für einige deutliche Worte genommen.
Chicago, 4. Mai 189_
Lieber Pierrepont,
soeben hat mir der Kassierer deine monatliche Ausgabenaufstellung überreicht, und dabei bekommt jeder, der sie überprüfen soll, unweigerlich einen krummen Rücken. Als ich dir sagte, ich wünsche, dass du eine liberale Erziehung erhältst, meinte ich nicht, dass ich Cambridge kaufen wolle. Selbstverständlich werden mich die Rechnungen nicht ruinieren, aber sie werden dich bankrottgehen lassen, wenn du nicht lernst, sehr, sehr sorgfältig auf dein Geld zu achten.
Mir ist aufgefallen, dass deine Ausgaben in den letzten zwei Jahren jeden Monat stetig angewachsen sind, aber ich habe keine Anzeichen dafür entdecken können, dass du dir die Ehre gegeben hättest, deine steigenden Betriebskosten zu rechtfertigen. Und das ist schlechte Geschäftsführung – ungefähr so, als füttere man ein untaugliches Rind mit so viel Mais, wie sein Eigengewicht beträgt, ohne dass das Tier auch nur ein Pfund zulegen würde.
Ich habe bisher dazu geschwiegen, weil ich ein gerüttelt Maß Vertrauen in deinen angeborenen gesunden Menschenverstand habe, dass du dich nicht selber auf eine Weise zum Narren machen würdest, wie einige dieser jungen Männer, die sich ihr Geld nicht selber erarbeiten müssen. Aber nur, weil ich bisher nichts gesagt habe, heißt das nicht, dass du dir in den Kopf setzen solltest, dein alter Herr sei reich und daher könne er es verkraften. Denn das wird nicht der Fall sein, nachdem du die Universität verlassen haben wirst. Je früher du deine Ausgaben deinen Verdienstmöglichkeiten anpasst, desto besser werden Einnahmen und Ausgaben miteinander auskommen.
Der einzig sichere Weg zu schnellem Reichtum ist, diesen zu erben. Du wirst nicht über diesen Weg zu Wohlstand gelangen – zumindest nicht, bis du deine Fähigkeit unter Beweis gestellt hast, eine Position von einiger Bedeutung in der Firma zu halten. Selbstredend gibt es nur einen Platz, von dem aus sich ein Mann in eine solche Position bei Graham & Co. hocharbeiten kann, wobei es keine Rolle spielt, ob er der Sohn des alten Herrn oder des Kellerverwalters ist – und dieser Platz ist ganz unten. Die niedrigste Stelle im Büro dieses Unternehmens ist ein Schreibtisch in der Postbearbeitung mit einer Vergütung von acht Dollar an jedem Samstagabend.
Ich kann dir den Erfolg nicht auf dem Silbertablett servieren. Das täte dir nicht gut, und es wäre nicht förderlich für die Firma. Hier ist viel Platz an der Spitze, aber es gibt keinen Aufzug dorthin. Wenn man, wie du es tust, mit einer guten Ausbildung beginnt, sollte man in der Lage sein, schneller aufzusteigen als die jungen Männer, die keine gute Bildung genossen haben. Es wird allerdings eine erste Zeit geben, in der du die Briefmarken nicht so schnell anlecken kannst wie die anderen Postburschen. Allerdings ist der Mann, der keine Briefmarken geklebt hat, nicht befähigt, Briefe zu schreiben. Das ist natürlich die Zeit, in der das Wissen, ob ein Hauptgericht vor dem Dessert serviert wird und wie man ein Automobil bedient, von keinem echten Nutzen für dich sein wird.
Ich erwähne das nur, weil ich befürchte, dass deine Vorstellungen über die Ausgangsbasis, von der aus du in dieser Firma starten wirst, im Osten ein wenig gewuchert sind. Zum Einstieg kann ich dir verhelfen, aber danach musst du dir deinen Weg selber bahnen. Es hängt alles von dir ab. Würde man jemandem zum Berufseinstieg ein Talent überreichen, das in eine Serviette eingewickelt ist, würde er das Talent gegen einen Goldbarren eintauschen und die Serviette verlieren. Und dann gibt es andere, die nur mit einer Serviette beginnen und damit ein kleines Geschäft für Kurzwaren aufbauen und anschließend andere dazu überreden, ihr Talent einzubringen.
Ich bin stolz genug zu glauben, dass du die richtigen Eigenschaften in dir trägst, aber ich möchte sehen, wie sie sich entfalten. Du wirst nie einen guten Kaufmann aus dir machen, indem du die richtige Reihenfolge des Vorgehens auf den Kopf stellst, die der Allmächtige in seiner Weisheit verfügt hat – zuerst zu lernen, wie man sein Geld ausgibt, bevor man lernt, Gewinne zu machen.
Für den Verschwender ist der Zahltag immer einen Monat entfernt und er schafft es nie, aus einem Dollar mehr als sechzig Cent herauszuholen. Ein guter Geschäftsmann macht aus einem Dollar dagegen einhundertsechs Cent, und den Dollar wird er nie ganz ausgeben. Derjenige, der viel spart und seine Kosten niedrig hält, wird einmal eine Firmenbeteiligung erwerben. Und sofern deine Ausgabenaufstellungen nicht lügen, wird dir das nicht gelingen. Im Allgemeinen schwindeln sie nicht, auch wenn Baron Münchhausen der erste Handlungsreisende war und man den Rechnungen meiner Vertreter heute noch seinen Einfluss anmerkt.
Ich weiß, dass viele junge Männer, sobald sie von der Leine gelassen sind, glauben, der leichtsinnige Umgang mit Geld mache sie zu famosen Burschen, und ein sparsames Ausgabenverhalten sei Geiz. Das ist eines dieser hintertückischen Dinge der Universitätsausbildung und die eine Sache, die neun von zehn Geschäftsleuten zögern lässt, ihre Söhne auf die Universität zu schicken. Auf der anderen Seite ist dies auch der Ort, an dem ein junger Mann die Chance hat zu beweisen, dass er kein Leichtgewicht ist.
Ich weiß, dass viele Leute behaupten, ich sei ein alter Geizkragen; ich würde aus jedem Schwein, das durch meine Fleischfabrik geht, mehr Speck herausholen, als der Herr ihm an Bruttogewicht verliehen hat. Dass ich die Natur so weit verbessert hätte, dass ich aus einem Tier, das mit zwei Schenkeln auf die Welt gekommen ist, vier heraushole. Aber du hast lange genug mit mir gelebt, um zu wissen, dass ich meist zur rechten Zeit die Hand auf der Tasche halte.