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Vorwort von Moritz Grütz

In kaum einem anderen Genre sind das Zusammengehörigkeitsgefühl und der Szenegedanke so ausgeprägt wie im Metal. Man tummelt sich gemeinsam auf Festivals, pflegt einen szeneeigenen Kleidungsstil und fühlt sich der hiesigen, gesellschaftlichen Toleranz zum Trotz bei alledem immer auch ein bisschen rebellisch. Doch so ungern man es auch wahrhaben will: Metal ist hierzulande längst im Mainstream angekommen.

Angekommen ist der Metal mittlerweile auch in den entlegensten Winkeln der Welt. Noch hinter den höchsten Bergen, in den größten Wüsten und auf den kleinsten Inseln finden sich ein paar wackere Metalheads, die sich zu Bands zusammengeschlossen haben, Konzerte geben und gemeinsam Metal-Kultur leben. Doch wie fühlt sich ein Black Metaller im sonnigen Kuba und was für Risiken birgt es, in Saudi-Arabien in einer härteren Musikgruppe zu spielen? Wie denkt ein Metalhead im von Bürgerkriegen zermürbten Libanon über die Glorifizierung von Gewalt in martialischen Songtexten und was geht eigentlich in der regionalen Szene von Madagaskar? Wie steht es in all diesen Ländern ganz generell um die gesellschaftliche und politische Akzeptanz dem Metal gegenüber?

Auf den Spuren einer Subkultur habe ich mich auf die Suche nach Antworten auf diese und viele weitere Fragen rund um das Thema Metal in unserer tatsächlich bis in den letzten Winkel „metallisierten Welt“ gemacht. Eine Suche, die aus der Idee zu einem kompakten Special auf Metal1.info schließlich das werden ließ, was du gerade in den Händen hältst: eine Sammlung von eindrucksvollen Erfahrungsberichten und persönlichen Einschätzungen von Musikern aus über 30 Ländern, die (ohne jedweden Anspruch auf Vollständigkeit oder absolute Gültigkeit) ein sehr lebhaftes Bild vom Zustand der Szene in Regionen zeichnet, in denen Metal noch nicht zu Mainstream-Musik geworden ist.

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DISTRICT UNKNOWN

Afghanistan

Mit Afghanistan assoziiert man hierzulande in erster Linie Krieg, Taliban und Mohnfelder. Aber Metal? Sully Omar von District Unknown berichtet aus einem Land, in dem Livemusik generell verpönt und das Zeigen der Devil Horns strafbar ist.

Unseren Recherchen zufolge seid ihr die einzige aktive Metal-Band aus Afghanistan. Stimmt das? – und wenn ja: Macht euch das traurig oder stolz?

Soweit ich weiß, sind wir tatsächlich momentan die einzige Metal-Combo in Afghanistan. Es gibt noch eine Hardrock-Gruppe namens White Page, aber ob die noch aktiv ist, weiß ich nicht. Wir sind natürlich stolz, dass wir sozusagen der Goldstandard für afghanischen Metal sind, aber das ist gewiss nicht unser primäres Ziel. Ich bin mir zwar darüber im Klaren, dass das unsere Band einzigartig macht, aber eigentlich ist es nebensächlich. Ich würde mir wünschen, es gäbe mehr Metal-Formationen in Afghanistan!

Aber es gibt zumindest noch mehr Metalheads, mit denen ihr eure Musik teilen könnt, vielleicht sogar so etwas wie eine Metal-Szene?

Es gibt einen ausgewählten und sehr exklusiven Kreis von Metalheads in Afghanistan – die meisten von ihnen kennen wir persönlich. So etwas wie eine Metal-Szene gibt es in Afghanistan aber nicht. Für Rock-Musik gibt es eine kleine Szene mit ein paar wenigen Bands, aber die meisten agieren von außerhalb des Landes. Wir teilen unsere Musik mit unserer Fanbase – da diese Gruppe gut vernetzt ist, bekommen diese Leute unser Material zumindest schnell zu hören.

Gibt es in Afghanistan auch weibliche Metal-Fans? Woran liegt es, dass weniger Frauen Metal hören als Männer?

Wir haben hier definitiv ein paar sehr begeisterte Metal-Fans in Afghanistan – darunter auch Frauen! Vielleicht ist Metal wegen seiner manchmal aggressiven Note Gender-verzerrt. Aber das ist kein allgemeingültiges Gesetz. Das gleiche Phänomen lässt sich ja auch im Hip-Hop, Rock oder Pop beobachten. Aber wir haben unseren Anteil an weiblichen Fans und wir sind sehr dankbar für diesen Support!

Afghanistan hat einen jahrelangen Krieg durchgemacht. Hat sich dadurch etwas für euch und andere liberal denkende Menschen zum Besseren gewendet?

Indirekt ja. Die Veränderung der politischen Landschaft hat den Boden bereitet für die fortschrittlich denkenden Teile der Gesellschaft, um Afghanistan weiterzuentwickeln und aufzubauen. Der Krieg hat aber weder unsere Musik beeinflusst noch irgendetwas wirklich zum Besseren gewendet. Er hat jedoch zumindest ermöglicht, dass unsere Musik heute besser verfügbar ist und dass die Gefahr, die von ultrakonservativen Gruppierungen ausgeht, etwas kleiner geworden ist.

Könnt ihr heute in der Öffentlichkeit zeigen, dass ihr Metal-Fans seid, beispielsweise durch den Kleidungsstil?

Wir sind keine typischen Metalheads in dem Sinne, dass wir uns auf bestimmte Art und Weise kleiden oder bestimmte Accessoires tragen, um unsere Szenezugehörigkeit kundzutun. Ich verbinde auch nicht automatisch Kleider oder Style mit Metal. Wir sind alle vielseitige Künstler und wir würden uns nicht auf schwarze Hosen, Ketten und schwarze Shirts limitieren wollen, um in das Metal-Klischee zu passen.

Wie seid ihr mit Metal in Berührung gekommen?

Jeder bei uns in der Band hat eine eigene Geschichte dazu, wie er zum Metal gekommen ist und wie ihn der Metal beeinflusst hat, bevor wir unsere Gruppe gegründet haben. Die Gründungsmitglieder von District Unknown sind zwei Brüder – da ging es mit Metallicas „S&M“-Album los und von da weiter … neue Musik von Freunden, neue Genres entdeckt und so weiter. Unser Schlagzeuger Pedram ist dann tiefer in speziellere Metal-Genres abgetaucht und hat seine Sammlung an unseren Bassisten weitergegeben, seinen Bruder Quasem, der 2004 vom Iran nach Afghanistan gekommen ist. Ich selbst bin, wie auch unser Sänger, über die Nu-Metal-Bands der Neunziger wie Tool, System Of A Down, Korn und die Deftones zu den härteren Klängen gekommen – geprägt von meiner Kindheit in den USA.

Steht ihr mit Metalheads außerhalb von Afghanistan in Kontakt?

Wir haben Kontakt und Korrespondenzen mit vielen Künstlern in und außerhalb von Afghanistan. Über das Internet sind wir mit Musikern vieler Nationalitäten aus allen möglichen Ländern in Verbindung.

Was bedeutet es, in Kabul Mitglied einer Metal-Band zu sein?

Wie du dir vorstellen kannst, ist es in Kabul schon schwierig, einen Proberaum zu finden – die Leute hier in Afghanistan reagieren nicht sonderlich gut auf laute E-Gitarren und Screams. Auch das Beschaffen der nötigen Ausrüstung mag etwas schwieriger sein als in anderen Ländern, aber wir hatten das Glück, Musiker zu kennen, die im Ausland arbeiten und deshalb Zugang zu Equipment haben. Nachdem unsere Band ansonsten im Großen und Ganzen noch in der Besetzung um das Gründer-Bruderpaar besteht, hatten wir zumindest nicht oft das Problem, neue Mitglieder finden zu müssen, auch wenn ab und zu auf einer Position gewechselt wurde.

Geht ihr damit, dass ihr in der Band spielt, ein persönliches Risiko ein? Wissen eure Familien von eurer Tätigkeit?

In Afghanistan in einer Metal-Gruppe zu spielen – oder eigentlich in jeder beliebigen Band – ist klar eine gegenkulturelle Aktivität. Deshalb gehen wir viele Risiken ein, von Todesdrohungen bis hin zu allen möglichen Sicherheitsproblemen. Zudem ist unser Risiko durch die Art Musik, die wir spielen, noch mal verstärkt. Unsere Familien wissen aber alle, dass wir in District Unknown aktiv sind. Sie sind sehr stolz auf uns und unterstützen uns. Wenn dem nicht so wäre, gäbe es diese Gruppe nicht. Einige unserer Bandmitglieder haben Verwandte, die selbst Musiker waren – die verstehen beides, die Bewegung der alternativen Musik in Afghanistan wie auch das damit einhergehende Risiko.

Wie handhabt ihr es mit Live-Auftritten?

Konzerte sind hier in Afghanistan ein schwieriges Thema. Das ist eine enorme Herausforderung, was die Sicherheit angeht: Jedes Konzert, sogar mit traditioneller Musik, bedarf hoher Sicherheitsstandards. Deshalb finden Konzerte von unserer Combo – abgesehen von ein paar Festivalauftritten – nur hinter verschlossenen Türen und ausschließlich für geladene Gäste statt. Die Anzahl der Fans variiert, aber sie werden immer kontrolliert und es werden aus Sicherheitsgründen nie mehr eingelassen, als der Kapazität der Location entspricht. Das Risiko einer Racheaktion müssen wir mit dem, was wir tun, in Afghanistan aber in Kauf nehmen. Mit District Unknown haben wir deshalb in den letzten sieben Jahren in Afghanistan fast nur auf solchen privaten Underground-Events gespielt und unsere Live-Präsenz insgesamt sehr niedrig gehalten, um die Gefahren, die damit einhergehen, in Afghanistan in einer Metal-Band zu spielen, möglichst gering zu halten. Wir bleiben aus Sicherheitsgründen großen Events fern, außerdem vermeiden wir unkontrollierte Berichterstattung. Dafür haben wir beispielsweise auf dem SAARC-Festival in Indien gespielt, was uns ermöglicht hat, uns einem viel größeren Publikum zu präsentieren.

Ein öffentliches Konzert würde euch also über die Maßen in Gefahr bringen?

Öffentliche Konzerte oder andere Metal-Veranstaltungen zu organisieren ist hier nahezu unmöglich – Live-Musik ist in Afghanistan ganz allgemein einfach mit einem Stigma behaftet. Da hat sich zwar schon viel getan, aber das zu ändern ist ein sehr langsam ablaufender Prozess und es gibt noch viel Luft nach oben. Der Begriff Gefahr ist untertrieben, wenn man sich die Risiken anschaut, die damit verbunden sind, bei einem beliebigen „alternativen“ Musik-Event öffentlich zu spielen.

Im Internet kann man lesen, dass ihr früher auf der Bühne Masken getragen habt, um euch vor Extremisten zu schützen.

Früher haben wir Masken aufgesetzt, um unsere Identität zu verschleiern, während wir auf der Bühne stehen. Aber diese Zeiten sind vorbei. Wir tragen die Masken jetzt schon seit fünf Jahren nicht mehr. Wie gesagt: Durch den kontrollierten Zugang zu unseren Konzerten haben wir nicht mehr das Gefühl, dass wir uns oder unsere Musik tarnen müssen. Außerdem wurden die Masken irgendwann einfach zu einer ungewollten Ablenkung von unserer Musik.

Könnt ihr euer Album frei verkaufen, beispielsweise auf Konzerten?

Als wir noch Konzerte in Afghanistan gespielt haben, war unser erstes Album noch nicht veröffentlicht. Unsere im August 2014 erschienene Platte „[Anatomy Of A 24 Hour Lifetime]“ gibt es seitdem online weltweit über viele verschiedene Händler.

Ihr habt euch dem Progressive Metal verschrieben. Welche Bands haben euch dahingehend am meisten beeinflusst?

In District Unknown gibt es eine große Bandbreite an Einflüssen – die alle aufzuzählen wäre ermüdend. Jonathan Davis von Korn, Mikael Åkerfeldt von Opeth, Steven Wilson von Porcupine Tree und Gruppen wie Anathema, Metallica und System Of A Down sind aber definitiv dabei. Für Teile der Band zählen auch Avantgarde-Künstler wie John Cage und Björk zu den musikalischen Vorbildern. Mich selbst haben vor allem der Nu- und später der Post-Metal geprägt. Wir versuchen, traditionelle Arrangementstrukturen zu vermeiden – unsere Musik kann von abstrakten, experimentellen Soundlandschaften bis hin zu harten, fetten, tiefer gestimmten und dissonanten Powerakkorden mit invertierten Rhythmen reichen.

Was ist typisch für traditionelle afghanische Musik und inwieweit hat diese Musik deiner Ansicht nach einen Einfluss auf District Unknown?

Was die Instrumentierung angeht, sind Tabla, Rebab und Harmonium typisch für traditionelle afghanische Musik. Musikalisch finden vor allem recht untypische Taktarten wie schnelle Sieben-Achtel mit gestottertem Feeling und eine Mischung aus indisch und russisch klingenden Skalen Verwendung. Ich bin jedoch kein Experte für traditionelle afghanische Musik. Unser Sound ist zwar definitiv davon beeinflusst, aber das ist beim ersten Hören nicht gleich zu erkennen. Wir hätten zwar Lust, mehr traditionelle afghanische Elemente in unsere Musik zu integrieren, aber das hat für uns nicht oberste Priorität.

Als Afghanen habt ihr vermutlich eine andere Sicht auf Krieg als wir in Europa. Was denkst du über Bands aus dem ruhigen Westen, die über Krieg, Hass und Gewalt texten, ohne selbst die Erfahrung gemacht zu haben, was Krieg wirklich bedeutet?

Wie wohl jeder, der dahingehend auf eigene Erfahrungen zurückgreifen kann, betrachten wir die Dreistigkeit der Weltgemeinschaft, die globalen Probleme zu diagnostizieren und ohne oder mit nur lächerlich wenig Erfahrung zu werten, mit einigem Zynismus. Als Künstler erlauben wir uns aber kein Urteil darüber, was andere Musiker schreiben oder nicht schreiben sollten. Wir glauben an die Meinungsfreiheit in ihrer reinsten Form, aber Mist gehört da natürlich nicht dazu. Solange Künstler in ihren Texten nicht lügen oder unehrlich oder unredlich sind, haben wir mit den behandelten Themen kein Problem. Wenn ich aber ehrlich bin, mache ich mir nicht viele Gedanken darüber, was andere schreiben. Wir wissen ihre Kunst natürlich zu würdigen, aber wir konzentrieren uns lieber darauf, was wir selbst zustande bringen.

Siehst du Krieg als ein geeignetes Thema für Songtexte an? Schreibt ihr selbst auch über Krieg, Politik oder euer Leben in Afghanistan?

Es gab schon Metal-Texte über so gut wie alles, von Romanzen bis hin zu Tod und Dunkelheit. Es gibt keine Autorität, die zu bestimmen hat, wovon Metal-Texte handeln sollten. Wir selbst schreiben nicht über Politik, auch wenn viele Lager versuchen, unsere Songs so auszulegen, dass sie politisch motiviert sind. Dieses Thema interessiert uns aber überhaupt nicht und ich möchte es auch lieber nicht weiter diskutieren. Die Texte auf „[Anatomy Of A 24 Hour Lifetime]“ befassen sich mit einer Vielzahl an Themen und Erfahrungen und sind nicht zuletzt unter poetischen Gesichtspunkten geschrieben. Größtenteils handeln sie von alltäglichen Erfahrungen und dem Leben in Kabul als junge, fortschrittliche Leute. Sie sind außerdem vom ständigen Kampf zwischen Gut und Böse inspiriert, der, wie wir glauben, in allen Lebewesen tobt.

Aber ist „fortschrittlich“ als Gegenentwurf zu „konservativ“ nicht auch eine politische Kategorie?

Nicht wirklich. Die Musik, die wir machen, ist selbst schon das Gegenteil zu konservativem Denken. Metal-Musik passt nicht so einfach in den Mechanismus einer konservativen Ideologie – das trifft auf jedes beliebige Land zu. Trotzdem sind wir strikt dagegen, dass unsere Musik für religiöse, sozio-politische oder sonst irgendwelche Absichten instrumentalisiert wird. Es geht uns nur um die Musik. Politik ist für uns Krach – so wie unsere Musik für viele Leute nur Krach ist.

Ihr schreibt eure Texte auf Englisch. Warum nicht in eurer Sprache?

Dass wir in vielen unserer Songs Englisch als Textsprache benutzen, liegt vor allem daran, dass die meisten Metal-Songs, die wir über die Jahre kennengelernt haben, auch englische Texte hatten. Wir schreiben aber nicht ausschließlich auf Englisch – viele unserer Lyrics sind auch in Dari [Varietät des Neupersischen, Amtssprache in Afghanistan] verfasst – unsere Single „64“ beispielsweise.

Ist es in diesem Kontext ein Nachteil, dass viele Leute in Afghanistan kein Englisch sprechen?

Für die meisten Mitglieder unserer Band ist Englisch auch nicht die Muttersprache. Aber sollten Afghanen deswegen keinen Metal hören, weil dort meistens nicht in ihrer Sprache gesungen wird? Diese Diskussion reicht viel weiter als nur bis zu unserer Band – da geht es dann um die Rolle der englischen Sprache in der modernen Kultur, in der Musik und in der Ökonomie.

Was bedeutet für dich das Metal-Zeichen, die „Devil Horns“?

Das ist eine interessante Frage, weil wir auf dem Sound Central Festival 2013 im Backstage-Bereich fotografiert wurden. Auf diesem Foto zeigen wir alle die Devil Horns. Das hat zu extrem gefährlicher Presse geführt. Ein bekannter Journalist hat einen Artikel darüber veröffentlicht und darin behauptet, wir seien Satanisten und die Speerspitze einer satanischen Freidenker-Bewegung, welche die afghanische Jugend verderbe. In diesem Text wurden wir zudem mit einer anderen, politisch motivierten Musikgruppe aus Kabul namens Morcha verwechselt, die in den Wochen vor dem Festival ohne Sicherheitsvorkehrungen ein paar öffentliche, sehr kontroverse und gefährliche Konzerte gespielt hatte. Die Folge war, dass unsere Mitglieder für fast zwei Monate unter Hausarrest gestellt wurden und unsere Band für diese Zeit ruhen musste. Einer meiner Mitmusiker musste zudem eine Gefängnisstrafe, Repressalien durch die Religionsbehörde sowie physische Gewalt gegen Familienmitglieder durchstehen. Du kannst dir also vorstellen, dass die Devil Horns bei uns keine schönen Erinnerungen hervorrufen.

Natürlich verehren wir Mr. Dio [ehem. Sänger u. a. bei Black Sabbath; gilt als Erfinder der Devil Horns im Metal-Kontext], aber die Devil Horns haben uns in Afghanistan nichts als Probleme gebracht. Einer der Gründe, warum wir uns hier strikt von religiösen und politischen Themen fernhalten, ist, dass eine Combo wie wir schnell zum Blitzableiter für solche gefährlichen Diskussionen wird. Die Leute sehen Verbindungen, wo keine sind, sei es in unserer Musik, unseren Aussagen, unserer Bandgeschichte oder wo auch immer. Jeder – international oder Afghane – hat schon versucht, District Unknown für sein politisches Ziel zu missbrauchen, aber da spielen wir nicht mit.

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LELAHELL

Algerien

Seit Mitte der Neunziger ist Redouane Aouameur, Frontmann der 2010 gegründeten Death-Metaller Lelahell, mit verschiedenen Bands in der Metal-Szene Algeriens aktiv. Entsprechend gut weiß er über die Subkultur im flächenmäßig größten Staat des afrikanischen Kontinents Bescheid.

Was bedeutet den Algeriern Musik und was hältst du von traditioneller algerischer Musik?

In Algerien ist Musik in unserem täglichen Leben allgegenwärtig, wir können nicht ohne sie leben! Unsere traditionelle Musik unterscheidet sich je nach Region stark, da unser kulturelles Erbe von vielen Ländern beeinflusst wurde – darunter Frankreich, Spanien, Italien, der Irak, die Türkei und afrikanische Länder. Dadurch ist sie sehr reichhaltig.

Du bist schon seit den frühen Neunzigern aktiver Metal-Musiker. Wie hat sich die algerische Metal-Szene im Lauf der Jahre entwickelt?

Ich finde, dass die Bands heutzutage die aktuellen Gegebenheiten mit all ihren Vorteilen nicht richtig ausnutzen. Die Musiker sind faul geworden und veröffentlichen lieber Fotos und Demos auf Facebook. Schreibt gefälligst Alben und nehmt sie anständig auf!

Was meinst du mit „aktuellen Gegeben­heiten“? Inwiefern ist es heute einfacher geworden, in Algerien ein Album aufzunehmen und zu veröffentlichen?

Heutzutage ist es einfacher, weil sich viele Dinge geändert haben. Es gibt einige Locations mit Proberäumen, wohingegen die Bands früher immer im Haus eines der Mitglieder geprobt haben. Das Internet ist eine große Hilfe, um Zugang zu Equipment zu bekommen, Musik aufzunehmen – zumindest Demos – und Fans zu erreichen beziehungsweise Musik zu promoten. Es ist jedoch schwieriger, Veranstaltungsorte zu finden, um dort Metal-Konzerte zu spielen.

Gibt es zurzeit eine aktive, lebendige Metal-Szene in Algerien?

Leider gibt es nur hin und wieder ein paar Konzerte und ein neues Festival namens „213 Fest“.

Gibt es in der Community auch Frauen?

Wir haben hier einige Mädchen, die Metal hören – ein paar von ihnen singen sogar, aber die kann man an den Fingern beider Hände abzählen.

Worin siehst du den Grund für das generell geringere Interesse von Frauen an Metal?

Frauen sind vor allem Melodien wichtig – das Wichtigste am Metal sind jedoch Rhythmen, nicht Melodien. Das dürfte der Grund dafür sein, dass sich weniger Frauen als Männer für Metal begeistern können.

Wie bist du persönlich mit Metal in Kontakt gekommen?

Mein Bruder war Hardrock-Fan, er hat die Scorpions, AC/DC und Motörhead gehört. Ich war noch sehr jung, aber als Teenager habe ich mir drei Alben von diesen Gruppen geschnappt und sie mir genau angehört. Es waren „Blackout“ von den Scorpions, „Flick Of The Switch“ von AC/DC und „No Sleep ’til Hammersmith“ von Motörhead. Ich war vollkommen fasziniert und sofort süchtig.

Welche Gruppen haben dich als Musiker und Songwriter beeinflusst?

Sagen wir, die alte Schule des Death Metal, also Combos wie Death, Carcass, Morbid Angel und Cannibal Corpse.

Was fasziniert dich an Death Metal besonders?

Am Anfang, als ich begonnen habe, dieses Subgenre zu hören, waren der gutturale Gesang und die allgemeine Atmosphäre das Erste, was mich daran fasziniert hat. Später waren es dann die technischen Aspekte, wie zum Beispiel bei Cynic, Pestilence und Atheist. Mittlerweile sind es die Riffs und die Rhythmen.

Mit deiner Band Lelahell machst du selbst Death Metal. Wovon handeln eure Songtexte?

Jede Lelahell-Veröffentlichung ist konzeptuell mit dem Charakter Abderrahmane verknüpft, konzentriert sich aber jeweils auf eine andere Stufe in seiner Entwicklung. In den Texten unserer ersten EP „Al Intihar“ ist Abderrahmane seines Lebens voller Einschränkungen überdrüssig und begeht Selbstmord. Auf unserem ersten Album „Al Insane … The (Re)Birth Of Aberrahmane“ geht es um seine Wiedergeburt. Unsere nächste Platte „Alif“ setzt den Schwerpunkt auf Aberrahmanes erste Schritte in seinem neuen Leben. Wie ein Kind lernt er zu sprechen, zu gehen und erfährt mehr über die Welt, in der er sich befindet.

Welche Sprache nutzt ihr vornehmlich für eure Texte?

Wir schreiben auf Englisch, verwenden aber auch unsere Muttersprache Algerisch sowie klassisches Arabisch. Auf unserer ersten EP haben wir sogar Spanisch, auf unserem ersten Album Französisch und unlängst sogar Deutsch als Textsprache eingesetzt.

Versteht euer Zielpublikum eure Texte denn dann überhaupt?

Dank des Internets und der sozialen Medien verstehen und nutzen die Leute aus den jüngeren Generationen hier auch Englisch. Aber wie gesagt – wir singen auch in unserer Muttersprache, insofern ist das kein Problem.

Für „Alif“ habt ihr mit dem namhaften deutschen Schlagzeuger Hannes Grossmann kooperiert. Wie kam der Kontakt zustande und wie lief die Zusammenarbeit?

Ich habe ihn im Frühjahr 2015 kontaktiert und wir haben uns über eine Mitarbeit seinerseits an unserem nächsten Album unterhalten. Nachdem das geklärt war, habe ich mich dazu entschlossen, zu ihm in sein Studio zu kommen, um mit ihm eine Woche lang zusammenzuarbeiten und die Schlagzeug-Parts zu erledigen. Für mich war das eine meiner großartigsten musikalischen Erfahrungen, weil Hannes sehr professionell und äußerst talentiert ist. Er ist aktuell einer der besten modernen Extreme-Metal-Drummer der Szene!

Inwiefern siehst du auch Einflüsse ethnischer Musik in eurem Sound?

Lelahell ist hinsichtlich der Melodien und manchmal auch der Rhythmen von unserer traditionellen Musik beeinflusst. Wir wollen das aber dezent halten und nicht zu plakativ vorgehen. Wir sind schließlich eine Death- und keine Folk-Metal-Band.

Um das Album zu finanzieren, habt ihr eine Crowdfunding-Kampagne ins Leben gerufen. Wie verlief die Kampagne?

Ja, wir haben sie gestartet, um die Produktion unseres anstehenden Albums „Alif“ bezahlen zu können. Die Leute haben sehr positiv darauf reagiert und es hat uns geholfen, unsere Fangemeinde zu festigen.

Kaufen Metal-Fans in Algerien CDs oder laden sie Musik hauptsächlich aus dem Internet herunter?

Sagen wir mal neunzig Prozent ziehen die Musik aus dem Internet und die anderen kaufen Underground-Zeug oder machen Tauschgeschäfte. Man kann sich eigentlich nicht darüber beschweren, weil die Leute schließlich keinen Zugang zu CDs haben. In unserem Raum gibt es dafür einfach keinen Vertrieb.

Bekommt ihr dann überhaupt Unterstützung aus der Szene, finanziell oder generell?

In der Anfangszeit wurden wir von unserer Regierung unterstützt, sie hat Konzerte organisiert und uns dabei unterstützt, unsere Musik zu verbreiten. Eigentlich haben wir aber keinen Support, nur einige wenige Leute, die bei unseren Shows Merchandise und CDs kaufen.

Was bedeutet es, ein Metalhead in Algerien zu sein? Welche Auswirkungen hat es auf dein tägliches Leben und wie reagieren „normale“ Leute auf dich?

Ich denke, ein Metalhead zu sein ist überall gleich. Die „normalen“ Leute werden immer über dich urteilen, weil du schwarze Shirts trägst oder Musik hörst, die sie als „Krach“ bezeichnen. Sie stecken dich in Schubladen und nennen dich „Teufelsanbeter“, „gewalt­tätig“, „respektlos“ und „kriminell“.

Was hält deine Familie davon, dass du in einer Metal-Band spielst?

Von Beginn an habe ich immer Unterstützung von meiner Familie bekommen. Ich finde, für einen Musiker ist es das Wichtigste, von der Verwandtschaft unterstützt zu werden!

Wird es in der Öffentlichkeit akzeptiert, seine Liebe zum Metal offen zu zeigen, zum Beispiel über den Kleidungsstil?

Bei uns läuft es nicht so streng, wie du dir vielleicht vorstellst. Wir können Metal-Shirts und lange Haare tragen, wenn wir dabei nicht zu provokant auftreten.

Was wäre „zu provokant“? Wo sind die Grenzen der Akzeptanz?

Wenn du Probleme vermeiden willst, solltest du beispielsweise keine Shirts mit sexuellen, antireligiösen oder satanistischen Motiven anziehen. Mädchen sollten keine freizügigen Kleider tragen, die ihre Kurven erkennen lassen.

Wie passt der Metal-Lifestyle zur algerischen Lebensweise und wo liegen die größten Unterschiede?

Der Metal-Lifestyle unterscheidet sich von den anderen, nennen wir es „modernen Lebensweisen“, weil Metalheads immer ihre ganz eigene Meinung zur Gesellschaft, zu Regierungen und diesem lächerlichen Zeug haben: Wir interessieren uns nicht für euren Scheiß!

Welche Auswirkungen auf Metalheads hat die Tatsache, dass Algerien ein muslimisches Land ist?

Wir spielen diese Musik seit einem Vierteljahrhundert, und wenn sie keine politischen oder antireligiösen Botschaften enthält, schert sich niemand [von den Autoritäten] um dich.

Ihr hattet bereits die Gelegenheit, mit Lelahell ein paar Konzerte in Europa zu spielen. Welche Erfahrungen hast du während dieser Reisen gemacht?

Wir waren sogar schon auf drei Europa-Touren und haben in acht europäischen Ländern ge­spielt. Für die Band haben sich diese Shows als sehr nützlich erwiesen. Zum einen auf musikalischer Ebene, weil wir durch sie unser Können an den Instrumenten und unsere Bühnenpräsenz verbessern konnten, zum anderen auf menschlicher Ebene, weil wir viele Leute aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen getroffen haben.

Welche Unterschiede zwischen den algerischen und den europäischen Metal-Fans sind dir aufgefallen?

Das algerische Publikum dreht bei Live-Shows total durch und geht voll mit. Europäische Metal-Fans sind die meiste Zeit über ziemlich distanziert und wählerisch. Wir verstehen das, weil in Europa so gut wie täglich Metal-Konzerte stattfinden. In Algerien sind es bloß ein oder zwei Shows pro Monat.

Was war deine beeindruckendste Metal-­Erfahrung?

Auf Tour zu gehen ist die beste Erfahrung für jeden Metal-Musiker.

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SILENCE LIES FEAR

ASERBAIDSCHAN

In der von der Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen erstellten internationalen Rangliste der Meinungsfreiheit belegt Aserbaidschan Platz 162 von 180. Auch um den Metal steht es in dem zwischen Kaspischem Meer und Kaukasus gelegenen Land nicht allzu gut, wie Jakhangir Zeynalov von Silence Lies Fear zu berichten weiß.

Wie viele aktive Metal-Bands gibt es in Aserbaidschan?

Tatsächlich gibt es bei uns nur sehr wenige aktive Bands. Darüber hinaus ist unsere lokale Szene nicht als solche vereint.

Gibt es dann bei euch überhaupt so etwas wie eine Metal-Szene?

Metal hat es dieser Tage generell sehr schwer in unserem Land: Es gibt nur sehr wenige aktive Combos, und für die gibt es kaum Unterstützung. Die größte Fanschar, die du zu einem Konzert locken kannst, umfasst vielleicht 100 Leute. Mehr nicht …

Gibt es trotzdem internationale Künstler, die auf Tour in Aserbaidschan haltmachen?

So traurig es ist, aber die Leute hier hören fast keinen Metal – deshalb werden internationale Acts gar nicht erst eingeladen, hier zu spielen.

Und wie steht es um Underground-Shows? Gibt es solche Konzerte und werden sie von offizieller Seite her genehmigt?

Ja, vielleicht alle fünf oder sechs Monate haben wir hier derartige Konzertveranstaltungen – auch ganz legal, ja.

Und wie stattet sich der Metaller in Aserbaidschan aus? Gibt es bei euch Läden für CDs oder Merchandise oder kauft ihr alles über das Internet?

Das läuft alles über Onlineshops – Läden, in denen man Metal-CDs oder -Shirts kaufen kann, gibt es hier leider keine.

Was bedeutet es, in Aserbaidschan in einer Metal-Band zu spielen? Welche Probleme stellen sich einem in den Weg?

Hier eine Metal-Gruppe zu betreiben bedeutet vor allem, dass du Metal wirklich lieben musst. Das größte Problem, mit dem wir ständig kämpfen, ist die Bandbesetzung. Bis heute haben wir kein komplettes Line-up, wir sind immer noch nur zu dritt in der Band. Was die Auftrittsmöglichkeiten angeht, gibt es keine große Szene, vor der man auftreten könnte. Aber immerhin haben ein paar Metal-Fans von hier schon unser T-Shirt gekauft, um uns zu unterstützen.

Wie steht es um Proberäume und Aufnahme­studios?

Proberäume kann man mieten, da hatten wir immer unseren eigenen. Studios hingegen, die Metal aufnehmen können, gibt es keine. Deshalb müssen wir alle unsere Aufnahmen selbst in die Hand nehmen.

Und Equipment?

Wir haben hier ein paar Musikgeschäfte, aber dort gibt es nur wirklich schlechtes Zeug. Deshalb kaufen wir auch da alles online.

Ihr selbst spielt modernen Melodic Death Metal. Welches Metal-Genre ist in Aserbaidschan am populärsten?

Ich würde sagen, Thrash oder vielleicht Death.

Wie reagieren die „normalen“ Leute in Aserbaidschan auf dich als Metalhead?

Zuerst denken sie immer, du musst ein Junkie oder Alkoholiker sein. Aber wenn sie mit dir reden, merken sie, dass wir auch ganz wunderbare Menschen sind. Mein Schlagzeuger und ich sind beispielsweise Straight Edge.

In der internationalen Rangliste der Meinungsfreiheit belegte Aserbaidschan 2015 Platz 162 von 180. Was bedeutet das für euch, inwiefern hat das Auswirkungen auf euch, euer Leben, eure Sicht auf die Welt?

Politik interessiert uns nicht, insofern kann ich dir dazu leider nichts sagen.

Gibt es Zensur in Bezug auf Musik?

Nein, es steht uns frei, alle möglichen Arten von Musik mit welchen Texten auch immer zu hören und zu downloaden. Diesbezüglich gibt es keine Einschränkungen.

Und für euch als Band: Gibt es da Auflagen oder Themen, die ihr besser nicht behandeln solltet? Wie steht es um System- oder Religionskritik?

Wie gesagt interessieren wir uns nicht für Politik oder Religion, insofern kann ich dir dazu nichts sagen.

Dein Ratschlag an alle Metalheads da draußen?

Hört Metal, bleibt true und bleibt metal! Trainiert mehr und versucht, ein gesundes Leben zu führen. Liebt und respektiert eure Familien und Freunde!