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Peter Wippermann • Jens Krüger

werte
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2018

HERAUSGEBER Prof. Peter Wippermann (V.i.S.d.P.)

Wippermann Trendforschung

Bornstraße 3, 20146 Hamburg

Telefon: +49 (0) 40 414 68 767

p.wippermann@trendbuero.com

www.peterwippermann.com; www.trendbuero.com

Jens Krüger

Kantar Deutschland GmbH

Friedensallee 11, 22765 Hamburg

Tel.: +49 (0) 40 441 190

Fax: +49 (0) 40 441 19-130

REDAKTION Maria Angerer, Franz-Josef Kilzer

AUTOREN Maria Angerer, Joachim Bacher, Dr. Jennifer Berz, Anja Eberharter, Marilen Hennebach, Franz-Josef Kilzer, Jens Krüger, Katharina Michalski, Prof. Peter Wippermann

LEKTORAT Uta Kleimann

WISSENSCHAFTLICHE BERATUNG Prof. Dr. Norbert Bolz, Technische Universität Berlin

ART-DIREKTION Jürgen Kaffer

VERLAG Deutscher Fachverlag GmbH

Mainzer Landstraße 251, 60326 Frankfurt am Main

buchverlag@dfv-fachbuch.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urhebergesetzes ist ohne Zustimmung des Herausgebers unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme.

Alle Rechte vorbehalten.

DRUCK UND BINDUNG Schleunungdruck GmbH, Marktheidenfeld

Printed in Germany

I S B N 978-3-86641-323-8

eISBN: 978-3-86641-507-2

Inhalt

_Vorworte

_Executive Summary

_Beratungsansatz

_Natur

_Gesundheit

_Familie

_Freiheit

_Sicherheit

_Erfolg

_Gemeinschaft

_Anerkennung

_Nachhaltigkeit

_Gerechtigkeit

_Methodik

_Erläuterung der Diagramme

_Verzeichnis weiterer Quellen

_Projektpartner

_Projektteam

„Die Technik verbindet uns nur unverbindlich. Jetzt geht es um tragfähige soziale Verbindungen.

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Erinnern Sie sich noch an das Zeitalter des Peak Oil? Das ist keine zehn Jahre her. Aus Peak Oil ist längst Peak Anything geworden. Alles scheint zum knappen Gut geworden zu sein: Rohstoffe, saubere Luft, Klimaziele, Frieden und die ureigenen persönlichen Ressourcen.

Bisher haben wir uns auf die Technik verlassen, wenn es darum ging, aus (zu) wenig mehr zu machen: Mit der Dampfmaschine konnte die Produktion vervielfacht werden, das Internet bringt uns mehr von allem, und das schneller. Selbstfahrende Autos und Drohnen sind buchstäblich am Horizont zu sehen und sollen Verkehr und Transport neu definieren.

So klingt die Geschichte der Moderne und des Wachstums. Aber ist das auch das Narrativ der Zukunft?

Wenn wir auf die gegenwärtigen Herausforderungen blicken, wird klar: Technologie allein wird uns nicht an unsere Ziele bringen. Gebraucht wird die Fähigkeit, miteinander an einem Strang zu ziehen.

Die Technik verbindet uns nur unverbindlich. Jetzt geht es darum, tragfähige soziale Verbindungen herzustellen. Konnektivität bleibt im Zentrum aller Innovationen, Verbesserungen und Optimierungen. Wir müssen nur ihren Sinn erweitern. Die Möglichkeiten der technischen Konnektivität kennen wir. Jetzt gilt es, mit der gleichen Begeisterung und Konsequenz die Potenziale der kulturellen Konnektivität zu erschließen.

Dass das funktioniert, zeigt zum Beispiel Leon Reiner, Gründer des Impact Hubs Berlin, der große Unternehmen mit Social Ventures vernetzt und dabei Großes bewirkt. Oder das Start-up No Isolation, das chronisch kranke Kinder mit der Hilfe von Robotern in ihr früheres soziales Umfeld einbindet. Oder das Fitnesscenter Everybody Los Angeles, das auf die Jedermensch-Zielgruppe abzielt statt ausschließlich auf gut aussehende und ehrgeizige Top-Performer.

Ich wünsche Ihnen viel Inspiration bei der Lektüre und Ideen, von denen wir vielleicht bald alle profitieren.

Prof. Peter Wippermann

„Der Rückzug ist keine Alternative. Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen.“

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Der Werte-Index wurde oft kritisch hinterfragt: „Alle zwei Jahre eine neue Ausgabe? Werte sind doch stabil!“ Heute fragt uns niemand mehr. Die vergangenen zehn Jahre haben gezeigt, wie schnell und deutlich sich Werte und ihr Bezugsrahmen veränderten.

In der ersten Ausgabe des Werte-Index (2009) dominierten die Werte Freiheit und Erfolg. Der Erfolgszug der sozialen Medien hatte begonnen, das erste iPhone hatte gerade das Licht der Welt erblickt. Unendliche Weiten und Hunderttausende neue Freunde – alles war möglich. Drei Jahre später folgte mit der Finanzkrise die Ernüchterung. Der damit verbundene Vertrauensverlust schlug sich im Werte-Index 2012 nieder.

In einer Zeit, in der sich Krisen als Normalzustand etabliert haben und ganze Staaten gerettet werden müssen, haben die Menschen erkannt, dass sie für sich selbst Verantwortung übernehmen müssen. Das zeigte sich 2014 besonders deutlich. Gesundheit löste erstmalig Freiheit als Top-Wert ab. Der Mensch optimiert sich selbst, um sich in der Leistungsgesellschaft einer sich weiter globalisierenden Welt behaupten zu können. Im Werte-Index 2016 deutete sich, unter anderem nach den Terroranschlägen von Paris, eine Zäsur an. Der Rückzug aus der großen, globalisierten Welt in eine kleinere und überschaubare Welt. Die Echokammer, die ermöglicht, sich den Krisen dieser Welt zu entziehen und sich auf seine unmittelbarere Welt zu konzentrieren. 2018 sehen wir, dass Krisen, Kriege und Klimawandel mit ihren spürbaren Folgen nicht mehr ausgeblendet werden können.

Der Rückzug ist keine Alternative. Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen. Als Individuum, als Politiker und als Unternehmen. Letztlich sind wir alle nur Teile eines größeren Ganzen, der Erde, die aktuell so gefährdet und verletzlich scheint wie nie zuvor. Nach den Chancen der Globalisierung für Konsum, Entfaltung und Inszenierung geht es darum, die Menschen und ihre wahren Bedürfnisse, Sorgen und Ängste im Blick zu haben.

Neue Technologien reichen dafür nicht mehr aus. Die Messlatte liegt jetzt höher. Auch für Unternehmen.

Jens Krüger

Executive Summary Key-Findings im Überblick.

Der Werte-Index 2018 zeigt, wie häufig und in welchen Zusammenhängen zehn grundlegende Werte in den deutschsprachigen Social Media diskutiert werden. 79 Prozent der Deutschen über 14 Jahren sind aktive Internetnutzer (D21-Digital-Index 2016). Damit sind die Ergebnisse aussagekräftig für den Wertewandel in Deutschland. Im Vergleich mit den Ergebnissen des Werte-Index 2009, 2012, 2014 und 2016 können Veränderungen identifiziert und nachverfolgt werden. Erstmals fließt Instagram als Social-Media-Quelle und damit Bildmaterial in die Analyse ein. Außerdem werden zum ersten Mal die Beiträge von Influencern gesondert analysiert. Damit werden Erkenntnisse über die Wertediskussion der Meinungsführer in den Social Media möglich.

2018

Wert

2016

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Natur

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Gesundheit

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Familie

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Freiheit

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Sicherheit

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Erfolg

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Gemeinschaft

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Anerkennung

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Nachhaltigkeit

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Gerechtigkeit

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An der Spitze: Natur, Gesundheit, Familie

Die ersten drei Plätze werden von den Werten Natur, Gesundheit und Familie belegt (2016: Gesundheit, Freiheit, Erfolg).

Der Wert Natur konnte den Aufwärtstrend über die vergangenen Jahre fortsetzen und steigt aktuell vom vierten auf den ersten Platz auf. Am häufigsten dabei sind Beiträge, die sich der Ursprünglichkeit der Natur widmen. Wie bereits in der Vergangenheit wird die Natur als Quelle für Seelenfrieden und Kraft beschrieben. Umweltveränderungen sowie Umwelt- und Klimaschutz gehören weiterhin zu den relevantesten Themen. Der Ernährung kommt dabei ein neuer, besonderer Stellenwert zu.

Nach jahrelanger Siegesserie rutscht der Wert Gesundheit vom ersten auf den zweiten Platz ab. Selbstdiagnose und -therapie führen weiterhin die Liste der Themenschwerpunkte an, ändern aber ihre Qualität. Die einfache Statusmeldung über die eigene Befindlichkeit löst den ausführlichen laienmedizinischen Austausch ab. Die gestiegene Relevanz von gesunder Ernährung zeigt sich nicht nur in Textbeiträgen, sondern auch auf Instagram. Aus Trendperspektive wird deutlich, dass es beim Prinzip Selbstoptimierung nicht mehr ausschließlich um „besser“ geht, sondern um „glücklicher“. Self-Coaching zielt darauf ab, zu identifizieren, was für einen selbst gut ist – nicht für andere.

Der Wert Familie steigt vom sechsten auf den dritten Rang auf. Aspekte des Familienlebens bleiben die am häufigsten diskutierten Inhalte und nehmen an Wichtigkeit sogar noch zu. Große Aufmerksamkeit kommt auch der Familie als Wert an sich zu. Die Trendperspektive zeigt, dass mit der Generation Y der Anspruch auf Perfektion in der Familie vom Mut zur Gelassenheit abgelöst wird.

Aufsteiger-Werte Natur und Familie; Verbesserung für Sicherheit.

Neben den Aufsteigern Familie und Natur verbesserte sich auch der Wert Sicherheit um zwei Platzierungen. Zum ersten Mal wird Sicherheit häufiger diskutiert als Vertrauen. Beiträge mit politischem Sicherheitskontext nehmen zu. Der Fokus liegt dabei auf der Rolle des Staates, insbesondere auch im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise. Dabei geht es sowohl um Fragen der inneren Sicherheit als auch um die Sicherheit der Flüchtenden, die es zu gewährleisten gilt.

Historisches Tief für Freiheit; Abstieg für Erfolg.

Zum ersten Mal schafft es der Wert Freiheit nicht in die Top 3, sondern fällt auf Rang vier. Individuelles Definieren und Erleben von Freiheit im Alltag stehen dabei im Mittelpunkt. Diskussionen rund um politische Freiheit verlieren an Relevanz. Aus Trendperspektive stellen sich mit der Nutzung von künstlicher Intelligenz neue Fragen der Freiheit, beispielsweise, wie viel Freiheit wir bereit sind für Convenience aufzugeben.

Der Wert Erfolg verliert drei Positionen und befindet sich jetzt auf Rang sechs. Das Zeitalter der Helden scheint vorüber. Die Generation Z setzt lieber auf harte Arbeit als auf Retter. Begleitet ist dies aber von einem großen Wunsch nach Vorhersehbarkeit. Unternehmen können mit klaren Aussagen punkten.

Influencer als Meinungsführer in der Komfortzone.

Influencer unterscheiden sich in ihrem Diskussionsverhalten deutlich von anderen Usern. Bei nahezu allen Werten zeigt sich die gleiche Tendenz: Beiträge von Influencern sind häufiger anzutreffen, wenn es um private und persönliche Themen oder um die Repräsentation des eigenen guten Lebens geht. In Kategorien, die tendenziell kontroverse Beiträge beinhalten oder einen politischen Bezug haben, sind Influencer hingegen unterrepräsentiert. Hier übernehmen andere User den Lead.

Zehn Fragen für werteorientierte Unternehmensstrategien.

1. Welche Werte sind uns wichtig? Keine einfach zu beantwortende Frage für jeden, der es ernst mit dem „uns“ meint. Dazu gehören Unternehmer, Eigentümer und Führungskräfte ebenso wie Mitarbeiter und Shareholder. Kurz – alle, die für das Unternehmen stehen. Die gemeinsame Definition von Werten ist ein komplexer Prozess, aber er lohnt sich. Auch weil es dabei viel voneinander zu lernen gibt.

2. Welche Veränderung bewirken unsere Werte in der Welt? Werte sind Vorstellungen einer Welt, wie sie sein soll. Aber wie sieht diese Welt dann konkret aus? Welche Werte haben ausreichend Tragweite, um Verbündete zu mobilisieren? Welche Werte sind es wert, sie gemeinsam mit Leben zu füllen? Wer gute Antworten auf diese Fragen hat, wird kein Problem damit haben, Mitstreiter unter Kunden, Mitarbeitern und Partnern zu finden.

3. Welche Werte sind unseren Kunden wichtig? Wo finden sich Gemeinsamkeiten? Zu wissen, was dem Kunden wichtig ist, ist unerlässlich. Es ist die Grundlage für die Annäherung zwischen Unternehmen und Kunden – und für Angebote, die den eigenen Werten sowie den Bedürfnissen und Erwartungen des Kunden entsprechen.

4. Welche Werte sind unseren Partnern und anderen kritischen Stakeholdern wichtig? Kein Unternehmen ist eine Insel. Tragfähige Beziehungen zu Partnern, Zulieferern, Shareholdern bis hin zur regionalen Community und zur Gesellschaft an sich sind essenziell. Auch hier gilt es zu wissen, was dem anderen wichtig ist. Wer kann, sucht seine Partner so aus, dass Werte und Ziele geteilt werden. So fällt es leichter, gemeinsam an einem Strang zu ziehen.

5. Wie erlebt der Kunde heute unsere Werte? Wie erfährt er, was unserem Unternehmen wichtig ist? Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung. Es gilt, die Customer-Journey systematisch danach zu durchleuchten, wie der Kunde die Werte des Unternehmens erlebt. Gelebte Werte bergen ein enormes Innovationspotenzial und vielfältige neue Ansätze für Produkte, Services, Kommunikation und Kultur.

6. Wie erleben unsere Mitarbeiter und Partner heute unsere Werte? Wie erfahren sie, was unserem Unternehmen wichtig ist? Jedem Wert müssen die entsprechenden Maßnahmen zugeordnet werden. Ansonsten bleibt es bei leeren Versprechen auf Papier. Entscheidend ist, dass Mitarbeiter und Partner überzeugt sind, dass ein Unternehmen es ernst meint.

7. Welche Maßnahmen eignen sich dazu, die Werte des Unternehmens effektiver zu vermitteln? Wer Werte leben will, darf und muss kreativ sein. Zuhören und sich darüber austauschen, was anderen wichtig ist und wie sie Werte leben, ist die beste Grundlage für Maßnahmen, die tatsächlich alle Beteiligten berühren.

8. Welche Rolle können Technologien dabei spielen? Es gilt, neue Technologien auf dem Radar zu behalten und zu sehen, wie sie genutzt werden können, um Werteversprechen einzulösen.

9. Wie messen wir unseren Erfolg? Gelebte Werte sind nichts anderes als Ziele. Auch hier gilt es, den Erfolg messbar zu gestalten. Wer quantitative Methoden mit tragfähigen qualitativen Ansätzen kombiniert, erhält ein vielschichtiges Bild der Wirkung seines Unternehmens. Und wertvollen Input zur Weiterentwicklung.

10. Wie viel sind uns unsere Werte wert? Jedem muss klar sein: Werte kosten etwas. Werte umzusetzen kostet Energie, Zeit und Geld. Jede Umsetzung birgt Chancen und Risiken. Aber: Werte, die einem nichts wert sind, sind in der Regel auch nichts wert.

Werte-Index-Ranking.

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Werteübergreifende Veränderungen und Ausblick.

Der Werte-Index 2016 beobachtete das Phänomen der Echokammern: digitale Räume, in denen das Sich-gegenseitig-Bestärken üblich ist und in denen Algorithmen nur sichtbar machen, was gefällt. Man hat dort zwar viel über die anderen zu sagen, spricht aber nie mit ihnen. Zwei Jahre später haben wir eine ereignisreiche Zeit hinter uns: viele neue Mitbewohner und -bürger aus anderen wirtschaftlich schwachen oder kriegsgebeutelten Ländern; verhinderte und nicht verhinderte Terroranschläge an unterschiedlichsten Orten Deutschlands; den größten Skandal der deutschen Automobilindustrie; den Brexit und einen Präsidenten der USA, den die meisten nie für möglich gehalten hätten. Es hilft nichts: Diese Ereignisse erreichen auch die hinterste Echokammer. Und sie bestimmen maßgeblich die Bedingungen, unter denen jeder Einzelne von uns seine eigene kleine Welt einrichten kann.

Rückzug als Exit-Strategie

Die Sehnsucht nach dem Rückzug ist verständlich: Die Welt erscheint uns dieser Tage als ungemütlicher Ort, sobald wir die Datenluken nach draußen öffnen. Was ebenso klar ist: Der Rückzug ist kein Ausweg. Wir entkommen der Konfrontation mit den anderen und dem Unbekannten nicht. Im Zeitalter der Globalisierung gibt es eine Notwendigkeit, miteinander zu leben und auszukommen. Herausforderungen wie der Klimawandel werden nur in Kooperation zu bewältigen sein. Auch die Frage danach, welche Rolle wir der künstlichen Intelligenz, Robotern und Technologien wie der Gesichtserkennung in unserer Gesellschaft einräumen wollen, rüttelt grundsätzlich an den Fundamenten unserer Existenz: Was ist uns wichtig? Wie viel Mensch ist notwendig, damit es menschlich bleibt? Und welche Chancen für den Mensch birgt die Effizienz der Maschinen?

Traditionelle Werte, neu gelebt.

Ein Blick auf das Werte-Index-Ranking reicht, um zu sehen, dass der Rückzug weiter als Exit-Strategie wichtig bleibt. Die Werte Natur, Familie und Sicherheit werden relevanter. Diese Werte sind nur vordergründig konservativ. Denn die Familie nach dem traditionellen Modell funktioniert für viele einfach nicht mehr. Das zeigt die Realität von mannigfaltigen Familienformen und -leben, von denen auch Autorin Saralisa Volm im Interview spricht (siehe Seite 52f.). Was dafür bleibt, ist die Erfahrung der eigenen Familie als Hafen von Vertrauen und Geborgenheit, der von den Usern gerade im Alltag als Bereicherung beschrieben wird. Die Natur wird zur zentralen Resonanzquelle, zum Ort, wo man sich selbst und seine Verbindung zur Welt spürt. Diese Rolle spiegelt sich auch in der Diskussion, aber vor allem in den Bildbeiträgen in den Social Media wider. Aber in einer Zukunft, in der die Mehrheit der Menschen in Städten lebt, gilt es, diesen Bezug auch im urbanen Alltag erfahrbar zu machen und dort neue Formen der Natur zu entwickeln, wie dies Natur-Architekt Gerhard Hauber propagiert (siehe Seite 28f.). Und Sicherheit, die gibt es schlichtweg nicht. Das zeigten uns die letzten Jahre mehr als deutlich. Mehr denn je gilt es, Chancen und Risiken abzuwägen – wie das beispielsweise Kuratorin Amelie Klein in Bezug auf unseren Umgang mit künstlicher Intelligenz und Robotik tut (siehe Seite 76f.).

Vom Need zur Business- und zur Social Opportunity.

Es geht also darum, diese Werte neu aufzuladen. Das heißt, sie im Leben auszuprobieren und weiterzuentwickeln. Dass sich das offensichtlich lohnt, belegen die glücklichen Familien-Selfies. Das spürt man, wenn man die erste Ernte aus dem Gemeinschaftsgarten einfährt. Das zeigt sich auch bei der Gesundheit, wo es nicht mehr nur um Selbstoptimierung im Sinne eines höher, schneller, weiter geht – sondern vor allem darum, dorthin zu kommen, wo es einem selbst gut geht. Dieses Bedürfnis des Ankommens scheint relevanter denn je. Wie man daraus nicht nur eine Business-Opportunity, sondern eine soziale Innovation macht, zeigt das wunderschöne Beispiel von Everybody Los Angeles (siehe Seite 112f.). Der Name ist Programm. Das Fitnesscenter bietet einen Ort für jeden Körper, in dem die Anerkennung und das Willkommen regieren statt Spiegel und Waage. So entsteht ein Bezugspunkt für Mitglieder, aber auch für die lokale Community.

Von der Chance der Konfrontation.

Die Konfrontation mit dem anderen zwingt uns zum Bekenntnis: zum Eingestehen und Definieren, was uns wichtig ist – damit wir es gegenüber den anderen, der Zukunft oder der künstlichen Intelligenz verteidigen können. Das beginnt bei den Diskussionen auf Facebook, in denen User ihren Standpunkt gegenüber islamischen Kleidungsvorschriften in Worte fassen. Das geht weiter, wenn Familien dabei sind, sich neu zu finden und zu erfinden, weil das traditionelle Modell des Vater-Mutter-Kind-und-lebenslänglich für viele auf mehreren Ebenen nicht mehr funktioniert. Und geht bis zur Grundsatzentscheidung, wie weit künstliche Intelligenz dem Menschen voraus sein darf. Auszumachen, wie wir leben wollen – das ist keine Möglichkeit mehr. Es ist eine Notwendigkeit. Insofern können Migration, Globalisierung, Digitalisierung und alle anderen gesellschaftlichen Herausforderungen nur als Chance begriffen werden – um zu definieren, was uns wichtig ist.

„Auszumachen, wie wir leben wollen – das ist keine Möglichkeit. Es ist eine Notwendigkeit.“

Beratungsansatz Die Zukunft des eigenen Unternehmens gestalten.

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Joachim Bacher

Gemeinsam mit der vorliegenden Ausgabe des Werte-Index 2018 hat Kantar TNS in Zusammenarbeit mit Prof. Peter Wippermann und dem Trendbüro ein Schema entwickelt, um die Implikationen aus dem gesellschaftlichen Wertewandel für Unternehmen abzuleiten. Der Werte-Index-Canvas soll ein Bindeglied zwischen den gesellschaftlichen Insights aus dem Werte-Index und der alltäglichen Arbeit im Unternehmen darstellen. Im Fokus steht die Ableitung von Implikationen und Handlungsfeldern für Unternehmen, die sich durch den aktuellen gesellschaftlichen Wertewandel ergeben.

Dass der Wertewandel eine Relevanz für Unternehmen hat, ist unbestritten. Etablierte Geschäftsmodelle können durch veränderte Konsumentenbedürfnisse infrage gestellt werden. Die Automobilindustrie reagiert darauf z. B. mit Angeboten für Carsharing (zahlt ein auf die Werte Gemeinschaft und Einfachheit) und E-Mobilität (zahlt ein auf den Wert Nachhaltigkeit). Der Lebensmittelhandel investiert in den Onlinehandel (zahlt ein auf den Wert Einfachheit). Google und Amazon investieren in digitale Lösungen für das Smarthome (zielt ebenso auf den Wert Einfachheit ab). Diese neuen Angebote zeigen die Notwendigkeit auf, bestehende Erfolgsmodelle zu hinterfragen und sich aktiv mit dem Wandel unserer Gesellschaft auseinanderzusetzen.

Dabei kann der Wertewandel für die verschiedensten Unternehmensbereiche eine Rolle spielen. Ob für die Strategie, die Produkt- und Service-Entwicklung, die Kommunikation (Marketing/PR), als Arbeitgeber oder auch als Corporate Citizen, um einige zentrale Bereiche zu nennen. Aber auch in der Customer-Journey spiegelt sich der gesellschaftliche Wandel wider, sodass sich Unternehmen viele Fragen stellen müssen. Unterstützt mein Handeln (im Kontext des Wertewandels) das Interesse an meinen Produkten, den Abverkauf, die Loyalität und auch die Weiterempfehlung? Werde ich durch meine aktuelle Haltung gegenüber gesellschaftlichen Veränderungen als ausreichend relevant und innovativ erachtet?

Habe ich die richtigen Angebote? Wie passt meine aktuelle Markenpositionierung zu den Pionieren des jeweiligen Wertewandels? Bleibe ich weiterhin ein attraktiver Arbeitgeber (für aktuelle und zukünftige Mitarbeiter)?

Der Werte-Index-Canvas greift diese Fragestellungen auf und führt Unternehmen zielgerichtet durch einen Prozess der Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Trendthemen. Kantar TNS bietet hierfür Workshops an, in denen für ausgewählte Werte des Werte-Index konkrete Implikationen gemeinsam mit den Unternehmen erarbeitet werden (Co-Creation).

Den Wertewandel verstehen

Ausgangspunkt der Diskussion ist immer der gesellschaftliche Wandel, der mit der jeweiligen Unternehmensperspektive abgeglichen und mittels des Werte-Canvas dokumentiert wird. Nehmen Sie sich die Zeit und reflektieren Sie, was Sie an Wertewandel beobachten. Hierzu können Sie Beispiele aus diesem Buch oder andere Erkenntnisse aus der Forschung verwenden. Andererseits geht es auch darum, eigene Beobachtungen hinzuzuziehen. Beim Wert Gesundheit stellen wir z. B. eine zunehmende Digitalisierung fest. Es gibt immer mehr Wearables, die den Trend der Selbstoptimierung unterstützen.

Dem Wandel liegt in der Regel ein sich veränderndes Bedürfnis einer Gruppe von Pionieren zugrunde. Diese Gruppe (z. B. die Millennials) zeichnet sich durch eine veränderte Einstellung aus, aus der ein neues Bedürfnis entsteht. Zum Beispiel geht es beim Wert Nachhaltigkeit um eine ganzheitliche Veränderung des Konsumverhaltens. Das Bedürfnis, immer wieder neue Produkte zu kaufen, sinkt; dafür steigt das Bedürfnis, einmal Gekauftes wieder reparieren und aufmöbeln zu lassen. Schauen Sie sich gezielt Angebote an, die bereits auf dieses Bedürfnis einzahlen. Zum Beispiel den Schuh KI ecobe (siehe auch Kapitel Nachhaltigkeit in diesem Buch), der sich modular ersetzen lässt, wenn etwa die Sohle verschlissen ist. Dieses Beispiel könnte auf Selbstbau-Möbel oder andere Kategorien übertragen werden.