Über frühreife Kinder

Inhaltsverzeichnis


Alle kleinen Kinder scheinen heutzutage die lästige und naseweise Angewohnheit zu haben, bei jeder Gelegenheit »schlaue« Äußerungen zu thun, besonders in Zeiten, da sie ganz still schweigen sollten. Nach den Witzworten dieser Art zu urteilen, welche im Durchschnitt veröffentlicht werden, müssen die Kinder der jüngsten Generation förmlich blödsinnig sein. Und ihre Eltern stehen ihnen an Dummheit sicherlich nur wenig nach, denn durch sie werden meist jene kindischen Albernheiten – die Geistesblitze, wie sie uns aus den Zeitschriften entgegenleuchten – zur allgemeinen Kenntnis gebracht.

Man argwöhnt vielleicht, daß Neid oder Groll aus mir spricht, wenn ich mich hierüber so sehr ereifere; ich muß auch wirklich gestehen, daß es mir ärgerlich ist zu hören, wie viele gescheite Kinder es heute auf der Welt giebt, weil es mich daran erinnert, wie selten ich etwas Witziges gesagt habe, solange ich noch klein war. Zwei-oder dreimal habe ich es versucht, aber es fand keinen Anklang. Meine Angehörigen erwarteten nicht, geistreiche Bemerkungen von mir zu hören, überraschte ich sie damit, so wurde ich entweder vorlaut gescholten, oder ich bekam Schläge. Mich überläuft eine Gänsehaut und das Blut erstarrt mir in den Adern, wenn ich bedenke, was wohl aus mir geworden wäre, hätte ich mich unterstanden in Gegenwart meines Vaters einige von den schlauen Äußerungen zu thun, welche man in unserer Zeit von vierjährigen Kindern erzählt. Mir einfach bei lebendigem Leibe die Haut über die Ohren zu ziehen, wäre ihm, einem solchen Sünder gegenüber als verbrecherische Milde und Verletzung seiner Pflicht erschienen. Dem strengen ernsten Mann war alles vorlaute Wesen ein Greuel; hätte er von mir solche gescheite Dinge gehört, wie sie andere Kinder sagen, es wäre mein Tod gewesen. Ja, er würde mich sicherlich umgebracht haben, falls nämlich noch Zeit dazu gewesen wäre. Aber das ist zweifelhaft, denn ich hätte natürlich aus Vorsicht zuerst eine Dosis Strychnin genommen und dann meine witzige Äußerung gethan.

Über eine Bemerkung, die ich in meiner frühsten Kindheit machte – es war nicht einmal ein Witzwort – wäre es beinahe zu einem ernstlichen Zerwürfnis zwischen meinem Vater und mir gekommen. Das trug sich nämlich so zu: Eines Tages unterhielten sich meine Eltern mit Onkel, Tante und mehreren Freunden darüber, welchen Namen man mir geben solle. Ich lag da, beschäftigt verschiedene Gummiringe zu probieren, um die besten auszuwählen, weil ich es satt hatte, mir die kommenden Zähnchen an anderer Leute Fingern durchzubeißen und nach einem Gegenstand trachtete, mit dessen Hilfe ich dies Geschäft rasch zu Ende führen und dann etwas neues beginnen könne. Man weiß ja, was für eine Quälerei es ist, sich die Zähne am Finger der Amme durchzubeißen, oder welche Mühe man hat und wie man sich den Rücken fast zerbricht, wenn man die eigene große Zehe dazu benützen will. Wer hat nicht dabei schon die Geduld verloren und seine Zähne ins Pfefferland gewünscht, noch ehe ihre ersten Spitzchen durchguckten? – Mir ist’s als wäre das alles erst gestern geschehen.

Doch, ich will nicht weiter abschweifen. Also – ich lag da und wählte mir meine Gummiringe; als dabei mein Blick zufällig die Uhr traf, fiel mir ein, daß ich in einer Stunde und fünfundzwanzig Minuten gerade zwei Wochen alt sein würde. Ach, wie wenig hatte ich noch gethan, um die Wohlthaten zu verdienen, mit denen man mich so verschwenderisch überhäufte!

Jetzt hörte ich, wie der Vater sagte: »Abraham ist ein guter Name; mein Großvater hieß Abraham.«

»Ja wohl,« erwiderte die Mutter, »mir ist Abraham für einen seiner Zunamen ganz recht.«

Ich wollte auch meine Meinung abgeben: »Abraham gefällt dem Unterzeichneten,« sagte ich.

Da runzelte der Vater die Stirn, aber meine Mutter machte ein ganz vergnügtes Gesicht und die Tante rief: »Hört nur den lieben kleinen Schelm!«

»Isaak ist ein guter Name,« fuhr mein Vater fort, »auch Jakob könnten wir wählen.«

»Gewiß,« stimmte die Mutter bei, »bessere Namen giebt es gar nicht. Wir wollen ihn auch Isaak und Jakob nennen.«

»Einverstanden,« sagte ich, »mit Isaak und Jakob bin ich zufrieden und verbleibe ganz der Ihrige. Bitte, gebt mir doch einmal die Klapper her; ich kann nicht den ganzen Tag an Gummiringen kauen.«

Keine Seele machte sich Notizen von meinen Äußerungen zum Zweck der Veröffentlichung. Das sah ich und that es selber, sonst wären sie gänzlich verloren gegangen. Statt daß man mich liebevoll ermuntert hätte, wie es bei andern Kindern geschieht, die sich geistig aufgeweckt zeigen, strafte mich der Vater mit einem Zornesblick, die Mutter sah ängstlich und bekümmert aus und auch die Tante schien zu meinen, ich hätte mir zu viel herausgenommen. Voll Ingrimm biß ich meinen Gummiring entzwei und zerschlug verstohlen die Klapper auf dem Kopf des Kätzchens, doch sagte ich nichts.

»Der allerbeste Name ist Samuel,« begann mein Vater von neuem.

Da wußte ich, daß ein Sturm im Anzug sei, den nichts abwenden könne. Ich legte meine Klapper hin, ließ des Onkels silberne Uhr über den Rand der Wiege fallen, desgleichen die Kleiderbürste, das hölzerne Hündchen, meinen Zinnsoldaten, das Reibeisen und sonstige Gegenstände, mit welchen ich für gewöhnlich meine Untersuchungen und Beobachtungen anstellte, oder ein angenehmes Geräusch hervorbrachte – gelegentlich zerschlug, zerbrach und zertrümmerte ich sie auch, wenn es galt, mir eine gesunde Bewegung zu machen. Dann zog ich mein Röckchen an, setzte mein Mützchen auf, nahm die kleinen Schuhe in eine Hand, das Stück Lakritze in die andere und kletterte auf den Fußboden hinunter.

»Mag daraus werden was will,« dachte ich bei mir, »ich bin bereit.«

Mit lauter, fester Stimme sagte ich nun: »Vater, das ist unmöglich – den Namen Samuel kann ich nicht tragen.«

»Wie, mein Sohn?«

»Wirklich, Vater, ich kann es nicht.«

»Warum nicht?«

»Ich habe eine unbezwingliche Abneigung dagegen.«

»Das ist unverständig, mein Sohn. Viele große und gute Männer hießen Samuel.«

»Davon ist mir kein Beispiel bekannt.«

»Was? War nicht Samuel, der Prophet, groß und gut?«

»Hm! Nicht so besonders.«

»Aber, mein Sohn! Der Herr rief ihn doch mit seiner eigenen Stimme.«

»Ja wohl, aber er mußte ihn ein paarmal rufen, bis er endlich kam.«

Damit ergriff ich die Flucht, und der strenge alte Mann lief mir nach. Um die Mittagsstunde des nächsten Tages holte er mich ein und als unsere Zusammenkunft vorüber war, hatte ich richtig den Namen Samuel erhalten, dazu eine Tracht Schläge und manche nützliche Belehrung obendrein. Nachdem mein Vater die Sache auf diese Weise ausgeglichen hatte, war sein Zorn beschwichtigt. Gut, daß ich Vernunft annahm, sonst hätte unsere Uneinigkeit leicht zu einem unheilbaren Bruch führen können.

Was würde mir aber mein Vater – nach diesem Vorfall zu urteilen – wohl angethan haben, wenn jemals eine von den schwächlichen Albernheiten aus meinem Munde gekommen wäre, welche als Äußerungen gescheiter zweijähriger Kinder jetzt im Druck erscheinen? – Ich bin überzeugt, daraus wäre ein Fall des Kindsmordes in unserer Familie entstanden.

Herrn Blokes »Eingesandt«

Inhaltsverzeichnis


Unser verehrter Freund, Herr John William Bloke aus Virgina City, trat gestern abend spät in unser Bureau ein, wo ich als zweiter Redakteur thätig war. Sein Gesicht war schmerzentstellt. Mit dem Ausdruck herzzerreißenden Jammers, unter schweren Seufzern legte er das nachfolgende »Eingesandt« auf das Pult und wandte sich mit abgemessenem Schritt dem Ausgang zu. An der Thür hielt er inne, schien mit Gewalt seine Gefühle zu bemeistern, nickte dann nach seinem Manuskript hin und hauchte, in Thränen ausbrechend, mit zitternder Stimme die Worte:

»Einer meiner Freunde! ach, entsetzlich!«

Sein Kummer rührte mich so sehr, daß ich ganz vergaß, ihn zurückzurufen, um ihm Trost zuzusprechen, bis er fort und es zu spät war. Das Blatt befand sich schon in der Presse, aber da ich wußte, daß unser Freund der Veröffentlichung seiner Mitteilung große Wichtigkeit beilegte und hoffte, es würde seinem kummervollen Herzen einen traurigen Genuß bereiten, dasselbe im Druck vor Augen zu haben, ließ ich sofort die Maschine anhalten und den Artikel in unsere Spalten einfügen.

» Entsetzlicher Unglücksfall.

Gestern Abend 6 Uhr, als Herr William Schuyler, ein alter, ehrenhafter Bürger aus South Park seine Wohnung verließ, um sich in die untere Stadt zu begeben, wie es seit Jahren seine Gewohnheit ist, von der er nur im Frühling 1850 für kurze Zeit eine Ausnahme machte, als er genötigt war, wegen einer Verletzung das Bett zu hüten, die er sich bei dem Versuch zugezogen, ein durchgegangenes Pferd aufzuhalten indem er kopfloser Weise mit heftigen Geberden hinter ihm drein schrie, ein Verfahren, welches das Tier, selbst einen Augenblick früher, unfehlbar erschreckt statt aufgehalten haben würde, und das, obgleich für ihn unheilvoll genug, doch noch entsetzlicher gemacht wurde durch den Umstand, daß seine Schwiegermutter zur Stelle war und Augenzeugin des traurigen Ereignisses sein mußte, während sie doch möglicherweise, wenn auch nicht mit Sicherheit anzunehmen, ebenso gut anderswo Umschau nach Unglücksfällen hätte halten können, was übrigens gar nicht in ihrer Natur lag, vielmehr gerade im Gegenteil, wie ihre eigene Mutter gesagt haben soll – Gott hab’ sie selig, sie starb vor ungefähr drei Jahren im sechsundachtzigsten Jahr in der gewissen Hoffnung einer seligen Auferstehung, denn sie war eine christliche Frau, sozusagen ohne Falsch und ohne Vermögen, was dem großen Brand anno 1849 zuzuschreiben ist, der ihr sämtliche Habe einäscherte. Aber so geht es im Leben! Diese schauervolle Begebenheit möge uns allen zur Warnung dienen und uns anspornen, so gut zu leben, daß wir, wenn es einst ans Sterben geht, wissen, was wir zu thun haben. Die Hand aufs Herz! Wir wollen von heute an aufrichtig und ernst danach streben, die verhängnisvolle Flasche zu meiden.

Morgenausgabe der California.«

Der Chefredakteur ist hier gewesen und hat einen wahren Höllenlärm vollführt. Er raufte sich das Haar, stieß die Möbel in alle Ecken und schimpfte auf mich, als wäre ich ein Taschendieb. Er sagte, jedesmal, wenn mir auch nur auf eine halbe Stunde die Redaktion des Blattes überlassen bliebe, ließe ich mich vom ersten besten Wickelkind oder Tollhäusler überlisten. Er besteht darauf, daß Herrn Blokes unseliger Artikel der tollste Mischmasch ohne Sinn und Verstand ist, aus dem der Leser nicht das geringste erfährt. Es sei ein Unsinn gewesen, deswegen den Satz zu ändern.

Das hat man davon, wenn man gutherzig ist. Wäre ich auch so ungefällig und teilnahmlos wie gewisse Leute, ich hätte Herrn Bloke einfach gesagt, zu so später Stunde würden keine Mitteilungen mehr angenommen. Aber nein! Sein thränenreicher Schmerz rührte mein weiches Gemüt und mit Freuden ergriff ich die Gelegenheit, seinen Kummer ein wenig zu lindern. Schnell einige Eingangszeilen zu dem Artikel geschrieben und fort damit in die Druckerei ohne weiter zu untersuchen! Und was ernte ich für meine Gutthat? Nichts als Scheltworte und allerliebste Ehrentitel.

Nun will ich aber doch den Artikel einmal selbst lesen und sehen, ob all der Spektakel gegründet ist. Sollte es der Fall sein, dann wehe dem Verfasser! –

– – – – –

Ich habe es gelesen und muß in der That gestehen, daß es zuerst etwas konfus erscheint. Aber ich probiere es noch einmal.

– – – – –

Ich habe es zum zweitenmal durchgegangen – es scheint verwirrter denn je. –

– – – – –

Ich habe es nun fünfmal durchgelesen, aber ich will verdammt sein, wenn ich auch nur eine Silbe davon verstehe. Es verträgt keine nähere Untersuchung. Man kann keine Klarheit hineinbringen. Sagt es etwa, was aus William Schuyler geworden ist? Nur gerade unser Interesse wird geweckt – dann läßt man ihn fallen. Wer ist denn dieser William Schuyler überhaupt? In welchem Teil von South Park lebt er eigentlich? Er verließ seine Wohnung um sechs Uhr – ist er aber auch in der unteren Stadt angekommen und ist ihm irgend etwas zugestoßen? Ist er es vielleicht, der mit dem »entsetzlichen Unglücksfall« etwas zu thun hat? Wenn man den Wust von Einzelheiten in dem Artikel bedenkt, sollte man doch auch wirklich etwas mehr daraus erfahren können. Aber man erfährt nichts, es macht alles nur noch dunkler. War Herrn Schuylers Beinbruch vor fünfzehn Jahren der »entsetzliche Unglücksfall«, welcher Herrn Bloke in unaussprechlichen Jammer versenkte und ihn veranlasste zur Nachtzeit hier anzurücken und den Betrieb zu stören, damit die Welt doch ja sogleich von dem interessanten Umstand in Kenntnis gesetzt würde? Oder bezieht sich der »entsetzliche Unglücksfall« vielleicht auf die Mutter von Schuylers Schwiegermutter und ihr verlorenes Vermögen? Oder sollte ihr vor drei Jahren eingetretener Tod gemeint sein? (obgleich sich keine Andeutung findet, daß derselbe durch einen Unglücksfall herbeigeführt wurde.) Um es kurz zu fassen: Worin bestand der »entsetzliche Unglücksfall«? Warum schrie der Eselskopf von Schuyler unter heftigen Geberden hinter dem durchgebrannten Pferde her, wenn er es aufhalten wollte? Und wie zum Henker konnte er von einem Pferde umgeworfen werden, das schon an ihm vorbei war? Was sollen wir uns »zur Warnung dienen lassen« und wie sollen wir uns aus diesem Schriftstück voll Unbegreiflichkeiten eine Lehre ziehen? Was kann vor allem die »verhängnisvolle Flasche« damit zu thun haben? Es ist gar nicht gesagt, daß Schuyler ein Trunkenbold gewesen, oder daß seine Frau oder seine Schwiegermutter oder das Pferd sich dem Trunk ergeben hätte – wozu also die Erwähnung der »verhängnisvollen Flasche«? – Mir scheint fast, daß, wenn nur Herr Bloke selbst die »verhängnisvolle Flasche« gemieden hätte, so würde er gar nicht in solche Aufregung über diesen widersinnigen, eingebildeten Unglücksfall geraten sein. Ich habe dieses alberne »Eingesandt« mit seinen scheinbaren Wahrscheinlichkeiten wieder und wieder gelesen, bis es mir ganz wirr im Kopfe war und doch habe ich nichts herausgebracht. Es muß allerdings ein Unglücksfall irgend welcher Art stattgefunden haben, aber es ist unmöglich festzustellen, wen er betroffen hat oder was geschehen ist. So schwer es mir wird, es scheint mir Pflicht, zu verlangen, daß wenn Herrn Blokes Freunde wieder etwas mit Unglücksfällen zu thun haben, er seinem Bericht jedenfalls einige aufklärende Notizen beifüge, damit man aus dem Unfall einigermaßen klug werden kann und erfährt, wer der Betroffene ist. Lieber würde ich schon seine sämtlichen Freunde auf dem Totenbette sehen, als noch einmal bis an den Rand des Wahnsinns gebracht zu werden, in dem Bestreben, ein ähnliches Machwerk wie das obige zu entziffern.

IV.
An Arthur Augustus

Inhaltsverzeichnis