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Der Klarinettenchor

W. A. Mozart (1756-1791)

„Ach, wenn wir nur Clarinetti hätten!“

Friedrich K. Pfatschbacher

Der Klarinettenchor

Eine spezielle Ensembleform erobert die internationalen Konzertbühnen

© 2017 Friedrich K. Pfatschbacher

Umschlag, Illustration: Friedrich Pfatschbacher

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN  
Paperback ISBN 978-3-7439-4240-0
Hardcover ISBN 978-3-7439-4241-7
e-Book ISBN 978-3-7439-4242-4

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur ersten Auflage

Vorwort zur zweiten Auflage

Einleitung

1 Der Klarinetten-Chor

1.1 Die Entwicklung des Klarinetten-Chors

1.2 Frühe Klarinetten-Ensembles in den USA

1.3 The Balanced Clarinet Choir Movement in den USA

1.4 Der Status Quo des Klarinetten-Chors im 21. Jahrhundert

1.5 Die Klarinetten-Chor Entwicklung ab 2005

2 Zur stilistischen Entwicklung der Werke für Klarinetten-Chor

2.1 Instrumentation, Besetzungs- und Klangmöglichkeiten

3 Gattungsgeschichtliche Zusammenhänge

3.1 Der Klarinetten-Chor als Gattung?

4 Schlussbemerkung

5 Literatur

6 Werkkatalog

6.1 Werke mit Klarinetten-Chor Begleitung

6.2 Diskografie-Tipps

Vorwort zur ersten Auflage

Seit dem Abschluss meines Musikstudiums im Jahre 1990 konnte ich viel Erfahrung als Pädagoge an der Musikschule Mautern und Klarinettist in den verschiedensten Kammermusikformationen sammeln.

Eine erste Anregung zu dem Thema der vorliegenden Arbeit erhielt ich in Gesprächen mit Herrn o. Univ. Prof. emer. Dr. Wolfgang Suppan. Die intensive Beschäftigung mit meinen eigenen Klarinetten-Ensembles und die vorgeschlagene Thematik von Prof. Dr. Wolfgang Suppan führten zu dem Entschluss, über das Thema „Klarinetten-Chor“ zu schreiben.

Anfangs dachte ich, die gesamte Ensemblebildung mit Klarinetten – vom Duo bis zum Klarinetten-Chor – zu behandeln. Das überreiche Angebot an Kompositionen für Klarinetten-Duo, -Trio, -Quartett und -Quintett empfahl die Beschränkung auf den Klarinetten-Chor.

Herrn Prof. Dr. Wolfgang Suppan, der 1999 die wissenschaftliche Betreuung übernahm, bin ich besonders für die Unterstützung und Förderung dieser Schrift zu Dank verpflichtet.

Weiter sei meinem Zweitbetreuer Herrn o. Univ. Prof. Dr. Peter Revers für die kritischen Hilfestellungen gedankt.

Zu Dank bin ich auch zahlreichen amerikanischen Universitätsbibliotheken verpflichtet, die mir in viele unveröffentlichte Materialien und Untersuchungen Einblick gewährten.

Ein herzliches Dankeschön auch meiner Familie, die doch so manche Entbehrungen auf sich nehmen musste.

Vorwort zur zweiten Auflage

Es freut mich ganz besonders, eine Neuauflage meines 2005 erschienenen Buches vorlegen zu können.

Ich nutze nun die Möglichkeit, vielfältige Anregungen und Entwicklungen in den letzten 10 Jahren nachzutragen. Viele Klarinettenchöre sind seitdem weltweit gegründet worden, sei es auch nur am Bildungssektor oder zu Ausbildungszwecken. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Klarinettenchor generell immer beliebter wird und als fixer Bestandteil im Konzertleben vieler Länder im Vormarsch ist.

Ich hatte auch selbst die Möglichkeit, mit meinem eigenen Ensemble, dem Österreichischen Klarinettenchor, im In- und Ausland zu konzertieren, wo ich viele neue Arrangements und Originalliteratur kennenlernen durfte und so den überaus kolorierten Klang des Klarinettenchors noch mehr schätzen lernte und neue Impulse bekam.

Nicht nur uns Experten ist bewusst geworden, welche klangliche Möglichkeiten der Klarinettenchor bietet, sondern auch das Publikum schätzt mittlerweile immer mehr diese einzigartige Besetzungsform, von der heute üblichen Es-Klarinette bis zur Kontrabassklarinette.

Bei meinen internationalen Vorträgen in Europa, USA, Südamerika und Südafrika musste ich feststellen, dass das Interesse für dieses Genre zwar groß ist, es aber kaum verfügbare Literatur dafür gibt. So war es daher sehr naheliegend, mein Buch über den Klarinettenchor von 2005 auch in englischer und spanischer Sprache übersetzen zu lassen und darüber hinaus neuere Erkenntnisse und Forschungen rund um den Klarinettenchor nachzutragen.

Mögen sich viele an meiner Neuausgabe erfreuen und es so zu weiteren Gründungen von Klarinettenchören kommen.

Friedrich Pfatschbacher Kärnten, im September 2017

Einleitung

Erst im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts eroberte die Klarinette ihren festen Platz in der Reihe der Orchesterinstrumente. Noch nach ihrer Einführung wurden Klarinetten-Parts vielfach von den Oboisten übernommen. Aber schon sehr bald hatte das neue Instrument seinen Platz und Bläser gefunden, die das Klarinettenspiel zur Vollendung brachten. Schnell erkannte man die Vorzüge und klanglichen Eigenheiten der Klarinette. Auf dem Gebiet der Militärmusik wird die Oboe von der Klarinette verdrängt. So hatte das Pariser Konservatorium bei der Gründung 1795 zwölf Klarinettenlehrer verpflichtet, die zusammen 104 Schüler unterrichteten. Der Großteil der hier und an anderen Orten ausgebildeten Musikern fand in der Militärmusik ein Unterkommen. Einzelne Kapellen hatten bis zu 20 Klarinettisten. Nach einer englischen Statistik sollen zeitweise 55.000 Klarinettisten in den europäischen Heeren tätig gewesen sein.1

In dem Zeitabschnitt von 1770 bis 1830 eroberte sich die Klarinette durch die Verwendung als Solisten- und Virtuoseninstrument ihre Vormachtstellung. Ab dem Zeitraum um 1830 ist sie dann hauptsächlich im Orchester zu finden. Sie war zu einem den anderen gleichberechtigten Instrument aufgestiegen. Diese Emanzipation konnte sich erst abzeichnen, als man nach der allzu einseitigen trompetenhaften Verwendung der Klarinette die vielen Vorzüge und klanglichen Möglichkeiten ausschöpfte.

Wenn von Klarinetten-Chor-Werken gesprochen oder geschrieben wird, ist noch weithin die Meinung festzustellen, dass die Anzahl der Kompositionen gering sei. Ein solches Urteil mag verständlich erscheinen; denn einerseits lässt die umfangreiche Literatur für Klarinetten-Quartett (3 B-Klarinetten und Bass-Klarinette) und -Quintett (3 B-Klarinetten, Alt-Klarinette und Bassklarinette) den Klarinetten-Chor leicht in den Hintergrund treten, andererseits entfaltete er sich erst seit den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts in den USA, und die spezifische Literatur liegt auch dort vor.

Erst seit den 1980er Jahren ist eine Zunahme an Neukompositionen -auch in Europa - zu beobachten.

Für das Studium der Quellen verdient vor allem die Bibliothek des „International Clarinet Association Research Center“2 (ICA) in Maryland in den USA besondere Erwähnung. Diese Bibliothek war mir ein unentbehrlicher Helfer.

Eine wahre Fundgrube für Originalkompositionen und Bearbeitungen ist die von Norman Heim herausgegebene Zeitschrift „Clarinet Choir – News International.“ Diese Fachzeitschrift (von der nur sieben Ausgaben erschienen sind3) ist eine wichtige Quelle, nicht zuletzt wegen ihres zeit-genössischen Gehalts.

Von besonderer Bedeutung sind zudem die vielen Aufsätze, die vorwiegend in der Zeitschrift „The Instrumentalist“ erschienen sind.

Auch das Simeon Bellison Archiv in der „Jerusalem Rubin Academy of Music and Dance“4 verdient für das Studium der Quellen besondere Beachtung, war doch Bellison einer der Pioniere, die sich mit dem Klarinetten-Chor auseinander setzten. Darüber hinaus leitete er von 1927 bis 1938 das „Simeon Bellison Clarinet Ensemble“, das vor 1940 das ambitionierteste und wichtigste Klarinetten-Ensemble in den USA war. Bellison arrangierte und komponierte alle Werke für seinen „Chor“ selbst. Dieses „Bellison Archiv“ in Jerusalem ist dermaßen aufschlussreich, dass ich sämtliche Konzertprogramme, die sich haben finden lassen, in meiner Dissertation beigegeben habe.

Zur besseren Lesbarkeit werden in diesem Buch personenbezogene Bezeichnungen, die sich auf Frauen oder Männer gleichermaßen beziehen, generell nur in der im Deutschen üblichen männlichen Form angeführt. Dies soll jedoch keinesfalls eine Geschlechterdiskriminierung oder eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes zum Ausdruck bringen.

1Der Klarinetten-Chor

1.1Die Entwicklung des Klarinetten-Chors

Wenn hier vom Klarinetten-Chor die Rede ist, so muss man den engen Zusammenhang mit den großen Klarinettenregistern in den Militär- und Berufsorchestern in Europa sowie den College und High School Bands in den Vereinigten Staaten sehen. Kompositionen für Klarinetten-Chor sind nur in einem engen Kontext mit dem Wissen um die Geschichte und dem derzeitigen Status des Klarinetten-Chors zu verstehen.

„Als sich die im barocken Orchester vorzüglich die ,Harmonie’ aüsfullenden Bläser zu einem eigenen Ensemble zusammenschlossen, entstand in der Zeit des Übergangs vom Barock in die Wiener Klassik die ,Harmoniemusik’. Der Wiener Kaiserhof legte unter Maria Theresia den Prunk des Spanischen Hofzeremoniells ab. An die Stelle der Hofkapelle trat unter Joseph den II. die ,Kaiserliche Kammerharmonie’: Ein Bläserensemble von je 2 Oboen, Hörnern, und Fagotten, später um 2 Klarinetten erweitert, und diese Gruppe sollte in den beiden letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts zum modischen Repräsentations- und Vergnügungsensemble des mitteleuropäischen Adels werden, gekennzeichnet sowohl durch eigene wie durch Bearbeitungs-Literatur.“5

Ansätze für die Entwicklung finden sich in der klassischen Harmoniemusik der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts. Als Beispiel möchte ich an dieser Stelle Mozarts B-Dur-Serenade, KV 370a (alt 361 “gran Partitta“) anführen. Dieses Werk wurde 1781/82 (?) komponiert, geschrieben für 13 Instrumente (nicht 13 Blasinstrumente, wie immer noch häufig zu lesen ist), nämlich zwei Oboen, zwei Klarinetten, zwei Bassetthörner, zwei Fagotte, vier Hörner und ein Kontrabass (Sätze: Largo – Molto Allegro, Menuetto, Adagio, Menuetto, Romanze, Thema und Variationen, Finale). Mozarts Schaffen für Bläsermusik hat hier zweifellos seinen Höhepunkt erreicht.

In unmittelbarem Zusammenhang mit der französischen Revolution entstand aus einer Verknüpfung von militärischen Feldmusiken mit Harmonie- und Türkischer Musik das konzertante Blasorchester. Es war gekennzeichnet durch variable, chorische Besetzung der Holz- und Blechblasregister plus einer Perkussionsgruppe.6

„Die Besetzung des von Bernard Sarrette geleiteten Blasorchesters der Garde Nationale sollte zum Modell des künftigen militärischen und zivilen Blasorchestertyps werden. Mit den Mitgliedern seines Orchesters begründete Sarrette 1792 eine Musikschule, die im folgenden Jahr als Institut National de Musique benannt und 1795 zum ‘Conservatoire’ erhoben wurde. Damit war zugleich der neue Typ der ‘demokratischen’ Musikschule sowie – mit den Unterrichtswerken der Lehrer, die für die Zukunft bestimmende Didaktik des Unterrichtens anhand von so genannten Vokal- und Instrumental-‘Schulen’ (auch ‘zum Selbststudium geeignet’) geschaffen worden.“7

„The close relationship which the leading composers and artists had established with the politicians made possible at this time the re-organization of the Institute into a more disciplined and permanent institution under the name known today; the Conservatory of Music.“8

In Deutschland setzte der königlich preußische Gardemusikdirektor, Wilhelm Wieprecht, wichtige Impulse im Bereich der Militärmusik. Wieprecht und der österreichische Armee-Kapellmeister Andreas Leonhard regten den Bau von Ventilblasinstrumenten des Tenor-/Bariton- und Bassbereiches (Tuba und Helikon) in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts an.9 In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts organisierte Wieprecht auch das erste Orchestertreffen. Als 1867 ein großer Militärmusikwettstreit in Paris stattfand, nahmen Orchester aus Frankreich (zwei Orchester), Österreich, Preußen, Belgien, Spanien, Russland, Holland, Baden und Bayern teil. In allen Orchestern war das Holzblasregister dominierend. Wieprechts Orchester zählte damals 85 Mitglieder. Von den 43 Holzbläsern waren die Hälfte Klarinettisten mit folgender Besetzung: 1 As-Klarinette, 4 Es- oder F-Klarinetten, 16 B-Klarinetten (8 erste und 8 zweite).10

Tabelle 1: Besetzungsliste der Miltiärkapellen

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Das Fehlen der Alt- und Bassklarinetten ist hier auffallend.

In einem englischen Orchester finden wir im ausgehenden 19. Jahrhundert schon eine sehr frühe Verwendung von tieferen Klarinetten als die B-Klarinette. Ein Absolvent der „Royal Military School of Music“ at Kneller Hall, Sir Daniel Godfrey, besetzte von seinen 57 Orchestermusikern, 20 mit Klarinetten. Das Klarinettenregister bestand aus 4 Es-Klarinetten, 14 B-Klarinetten, 1 Es-Alt-Klarinette und 1 Bassklarinette.11

Von einer Standard-Orchesterbesetzung im 19. Jahrhundert zu sprechen, lässt die Quellenlage aber nicht zu:

„Band instrumentation in the nineteenth century was in a state of flux. The size of the bands depended on many variable factors, including official regulations, the depth of the officers` or noblemen’s purses, availability of musicians, current fashion, and governmental funding. Bandmaster, especially in the amateur groups, had great freedom and were expected to make arrangements for their own instrumentation.”12

Dass man auch in den frühen 1920er Jahren noch nicht von einer Standardbesetzung sprechen kann, zeigt uns die Besetzungsliste der „Kneller Hall Band” unter John Arthur Coghill Sommerville (1872–1955):13 Auch hier sind keine tiefen Klarinetten besetzt:

Tabelle 2: Besetzungsliste der Kneller Hall Band

Flutes and Piccolos 10
Oboes 6
E-Flat Clarinets 7
Solo B-flat Clarinets 13
Ripieno Clarinets 7
2nd B-Flat Clarinets 12
3rd B-Flat Clarinets 10
E-flat Alto Saxophones 4
B-Flat Tenor Saxophones 4
1st Bassoons 7
2nd Bassoons 5
1st Horns 6
2nd Horns 6
3rd Horns 5
4th Horns 4
1st B-Flat Cornets 14
2nd B-Flat Cornets 10
1st Trombones 7
2nd Trombones 6
Bass Trombones 1
Euphoniums 12
Basses 12
Tympani 2
Total 165

In dieser Besetzung wurde auch 1922 die „Second Suite“ von Gustave Holst aufgeführt:

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