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Max Weber

Wissenschaft als Beruf

Mit zeitgenössischen Resonanzen
und einem Gespräch mit Dieter Henrich

Herausgegeben und eingeleitet
von Matthias Bormuth

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Inhalt

I.Matthias Bormuth: Max Weber im Lichte Nietzsches

II.Max Weber: Wissenschaft als Beruf

III. Zeitgenössische Resonanzen Helmuth Plessner: Heidelberg 1913

Ernst Robert Curtius: Max Weber über Wissenschaft als Beruf

Karl Jaspers: Max Weber – Eine Gedenkrede

Siegfried Kracauer: Wissenschaftskrisis

Karl Löwith: Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933

Georg Lukács: Die Zerstörung der Vernunft

IV. Dieter Henrich: Max Weber – Ein Gespräch

Nachweise und Quellen

Matthias Bormuth

Max Weber im Lichte Nietzsches

»Ein jeder sieht, was er im Herzen trägt.«

Johann Wolfgang v. Goethe, Faust
Max Weber, Wissenschaftslehre

I.

Am 7. November 1917 sprach Max Weber auf Einladung des »Freistudentischen Bundes«, eines liberalen und republikanischen Zirkels, in München über »Wissenschaft als Beruf«. In der Schwabinger Buchhandlung Steinike war auch der junge Karl Löwith zugegen, der als Kriegsheimkehrer den Abend erlebte und ihn als Exilant zwei Jahrzehnte später erinnerte: »Ich sehe Max Weber noch vor mir, wie er bleich und abgehetzt mit raschen Bewegungen durch den überfüllten Saal zum Vortragspult schritt und unterwegs meinen Freund G. begrüsste. Sein von einem struppigen Bart umwachsenes Gesicht erinnerte an die düstere Glut der Bamberger Prophetengestalten. Er sprach vollkommen frei und ohne Stockung, sein Vortrag wurde mitstenographiert und ist wörtlich so, wie er gesprochen wurde, veröffentlicht worden.«

Tatsächlich ergänzte Weber den ursprünglichen Text noch erheblich, bis die Rede im Sommer 1919 als erster Band der Reihe Geistige Arbeit als Beruf erscheinen konnte. Aber der dramatische Stil von Wissenschaft als Beruf blieb weitgehend erhalten. Weber folgte seiner Neigung zur heuristischen Zuspitzung bei der drohenden Kriegsniederlage in einer zwischen links und rechts umkämpften politische Krise Deutschlands. Und zugleich korrespondiert sein hohes Pathos mit der größeren »geistigen Situation« aller Länder, in denen der Krieg nicht nur sinnlos Menschenleben vernichtet, sondern auch den naiven Glauben an die westliche Aufklärung unterhöhlt hatte. Die wenigen Stimmen, die den »Wahnglauben an den ewigen Fortschritt« schon um 1900 postuliert hatten, waren über der europäischen Katastrophe zu einem pessimistischen Chor angeschwollen, der 1917 im ersten Band von Oswald Spenglers Untergang des Abendlandes seinen Stoff fand. Weber diskutierte später mit dem Münchener Privatgelehrten sein »Sensationsbuch«, der als »sehr geistvoller und gelehrter ›Dilettant‹« jedoch keine »Ehrfurcht vor den Tatsachen« habe.

Das Münchener Gespräch mit Spengler war kein Einzelfall. Weber suchte Kontakte in den unterschiedlichsten Richtungen und wurde von den verschiedensten Gelehrten, Künstlern, Politikern, Funktionären und Schriftstellern angesprochen. Als Forscher und Mensch war der Soziologe ein Genie der Neugier, was den Reigen der weltanschaulichen Gestalten anging, die er persönlich näher kennenlernte, ohne sich die Freiheit nehmen zu lassen, Kritik zu äußern. Die Sozialisten, Marxisten, Psychoanalytiker und Rassenkundler, ebenso die Lebensreformer des Monte Verità wie die künstlerische Boheme Münchens oder die weltanschaulichen und religiösen Gruppen, die Eugen Diederichs auf der Burg Lauenstein zusammenbrachte, sie alle waren Weber als Gesprächspartner konkretes Anschauungsmaterial seiner Soziologie.

Dabei trat Weber keineswegs mit der Haltung eines abgeklärten Forschers auf, der eine exotische Menschenwelt näher in Augenschein nehmen wollte. Vielmehr teilte er die Fragen und Unruhen der weltanschaulich Bewegten. In ihren extremen und schillernden Positionen erkannte Weber die brennenden Fragen und Ideen der Zeit genau, während die wilhelminischen Philister aller Art erst gar nicht versuchten, hinter die Fassaden ihres wohlanständigen und honorigen Lebens zu blicken. Man kann sagen: In diesem Interesse an außergewöhnlichen Menschen, die für die Bürger oft wie psychiatrische Fälle wirkten und tatsächlich nicht selten vulnerable Persönlichkeiten waren, folgte Weber Nietzsche. Nicht von ungefähr war er ein früher und begieriger Leser seiner Werke, deren Wirkungen schon in der Freiburger Antrittsvorlesung 1894 an dem persönlichen und polemischen Ton spürbar wurden.

Der lange marginalisierte Philosoph steht hinter Weber, wenn er in ganz eigener Art über die Bedeutung der Wissenschaft für das Leben des Einzelnen wie der Gesellschaft unter den Bedingungen der Moderne nachdenkt, wie Wilhelm Hennis zuerst herausgearbeitet hat. Dessen Unzeitgemäße Betrachtungen hatten schon unmittelbar nach der Gründung des Kaiserreiches die wissenschaftliche, wirtschaftliche, kulturelle und nationale Selbstgefälligkeit des deutschen Bürgertums durchschaut. Mit Nietzsche treibt Weber besonders die Fragestellung um, die er in seinen Erhebungen für den Verein für Sozialpolitik folgendermaßen pointiert: »Was für Menschen prägt die moderne Großindustrie kraft der ihr immanenten Eigenart, und welches berufliche (und damit indirekt auch: außerberufliche) Schicksal bereitet sie ihnen?« Fügt man als Objekt des Interesses statt der »modernen Großindustrie« die »moderne Wissenschaft« ein, so ist darin exakt die Fragestellung formuliert, die Webers Überlegungen in Wissenschaft als Beruf bestimmt.

Den Blick auf den von Nietzsche nur angedeuteten ökonomischen Einfluss auf die Entwicklung des Menschen schärfte Weber – bereits in den frühen Jahren – an ausgedehnten Marx-Lektüren. Entsprechend soll er nach der Diskussion mit Spengler gesagt haben: »Die Welt, in der wir selber geistig existieren, ist weitgehend eine von Marx und Nietzsche geprägte Welt.«

II.

Obwohl Weber in der Münchener Rede perfekt die Rolle des deutschen Ordinarius spielt, der Habilitanden auf Lehrstühlen unterzubringen sucht, hatte er diese zuvor für lange Zeit abgelegt. Dabei gehörte der studierte Jurist nach einer sagenhaft raschen Karriere als Freiburger Professor für Volkswirtschaft schon seit 1894 zum universitären Establishment. Aber drei Jahre später trafen ihn nach dem Wechsel an die Heidelberger Universität psychische Zusammenbrüche, deren verheerende Wirkung auf sein gesamtes Leben auf Dauer nicht zu ignorieren war und schließlich 1902 zur Aufgabe des Amtes führte. Spektakulär ist die Anekdote, Max Weber habe nur mehr mit Bauklötzen gespielt. Tatsächlich war er eine hoch problematische Persönlichkeit, deren psychopathologische Züge die neuere Forschung nicht aufhört in buntesten Farben zu schildern. Die diversen Psychiater, die Weber in Praxen, Kliniken, Sanatorien und Kuranstalten über Jahre – vornehmlich im Hinblick auf Schlaf- und Gefühlsstörungen – behandelten, bieten mit ihren Diagnosen und Symptomschilderungen reichlich Material für die wilden Spekulationen, die sich an die »Höllenfahrt« Webers knüpfen.

Seine eigene Krankengeschichte stellt Weber nicht nur theoretisch in den Horizont Nietzsches, der aufgrund von schweren psychosomatischen Störungen schon nach wenigen Jahren die Baseler Professur aufgab. Von der Fron des akademischen Lehrbetriebs befreit konnte dieser bei allem Leiden nun in freier Muße seine allem Fachlichen ferne Philosophie entfalten. Auch bei Weber kann man von einer lebenspraktischen Flucht in die Krankheit sprechen, die ihm nach der Entpflichtung erlaubte – befreit von disziplinären Zwängen –, als Privatgelehrter seine viele Fächer und Fragen verknüpfende Soziologie zu begründen. Allerdings betonte er in Wissenschaft als Beruf das herrschende Schicksal des Spezialistentums und die Notwendigkeit, sich entsprechende »Scheuklappen« des Fachmannes aufzusetzen; ein Rat, den seine wichtigsten Studien grandios in den Wind schossen. Denn Weber hatte empirische wie philologische Detailarbeiten – oft als Grundlage für übergreifende Forschungsthesen – durchaus betrieben, aber nie Gefallen daran gefunden, die großen, oft unlösbaren Fragen nach dem Schicksal des modernen Menschen außer Acht zu lassen. In seiner Wissenschaftslehre heißt es: »Es stünde übel auch um die empirische Wissenschaft, wenn jene höchsten Probleme, auf welche sie keine Antwort gibt, niemals aufgeworfen worden wären.« Entsprechend stellte er in der wenige Jahre nach der Pensionierung erschienenen Studie Die protestantische Ethik und der »Geist« des Kapitalismus die Frage nach den Wandlungen des menschlichen »Habitus«, der sich mit den einschneidenden Veränderungen im Wirtschaftsleben abzeichne. In der kurz vor seinem Tod 1920 ergänzten Neuausgabe des Werkes spitzte Weber die Frage nach der Zukunft einer ökonomisierten Welt zu, deren Berufsmenschen in einem »stahlharten Gehäuse« vom besinnungslosen Rationalismus bis zur Ausbeutung der »letzten Zentner fossiler Brennstoffe« getrieben würden, ohne dass abzusehen wäre, »ob am Ende dieser ungeheuren Entwicklung ganz neue Prophetien oder eine mächtige Wiedergeburt alter Gedanken und Ideale stehen werde«. Dass er – mit Nietzsches Zarathustra sprechend – den »›letzten Menschen‹ dieser Kulturentwicklung« kaum zutraute, diese Aufgabe der weltanschaulichen Selbstbesinnung zu leisten, zeigte Weber in einem fingierten wie polemischen Zitat: »›Fachmenschen ohne Geist, Genußmenschen ohne Herz: dies Nichts bildet sich ein, eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu haben.‹«

III.

Vor dem Hintergrund der wirtschaftlich zunehmend entfremdeten Kulturwelt wendet sich Wissenschaft als Beruf an jene Berufsmenschen, die im Betrieb der Wissenschaft bedroht sind, dem dynamischen Rationalismus und seinen Fortschrittsideologien zu verfallen. Die liberalen Studenten, die nicht nur – mit Schiller gesprochen – einen »Brotberuf« erlernen wollen, sondern Weber baten, über »Geistige Arbeit als Beruf« zu sprechen, sind ein ihm willkommenes Publikum voller Idealismus. Aber nicht zuletzt deshalb beginnt Weber mit dem ihm typischen Pathos der Nüchernheit über die »äußeren Bedingungen des Gelehrtenberufs« zu sprechen.

So stellt er eingangs vergleichende Beobachtungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten an, da diese bei »schärfstem Gegensatz« heuristisch am lohnendsten seien. Auch hier kann Weber aus der eigenen Anschauung schöpfen. Seine Reise zur Weltausstellung nach St. Louis hatte er im Jahr 1904 genutzt, um das amerikanische System der Universitäten und Colleges von innen kennenzulernen. Ihn faszinierte der offensichtliche Pragmatismus, der aus den Professoren »Gemüsehändler« machte, bei denen die Studenten die gewünschten Waren frei kaufen konnten. Auch gefiel ihm, dass diejenigen, die nach dem Studium Wissenschaftler werden wollten, viel rascher durch feste Lehrstellen ökonomisch abgesichert seien, während der deutsche »Privatdozent« lange private Mittel aufbringen müsse. Denn die Kolleggelder bleiben unsicher; und gänzlich ungewiss ist seiner Erfahrung nach, ob der habilitierte Akademiker in der deutschen Ordinarienuniversität, einer merkwürdigen Mischung aus höfischer Repräsentanz und zünftigem Ritual, auf einen der begehrten Lehrstühle »berufen« würde.

In diesem Wort lebt noch der Nimbus einer höheren, ursprünglich religiösen Weihe, die nun auch die Aufnahme in die elitäre Gemeinschaft der Professoren strahlend umgibt. Weber lebt einesteils noch im alten Ideal der geistesaristokratischen Universität Humboldts. Aber er kennt deren Realität zu gut, um nicht gegenüber den Studenten vor allem auf die menschliche und bürokratische Untiefen des Wissenschaftsbetriebes hinzuweisen, die sie mit allen Institutionsbildungen teilt und die den Berufsweg des Wissenschaftlers mit einem hohen persönlichen Risiko behaften. Deshalb schließt Weber diese Passage fast sarkastisch mit der Frage, die er aufstrebenden Aspiranten an der Universität immer stelle, um ihre Motivation zu prüfen: »Glauben Sie, daß Sie es aushalten, daß Jahr um Jahr Mittelmäßigkeit nach Mittelmäßigkeit über Sie hinaussteigt, ohne innerlich zu verbittern und zu verderben?«

IV.

Wer von dem idealistischen Publikum wollte nicht zu jenen gehören, die trotz aller äußeren Hürden wagen, mit der »inneren Berufung zur Wissenschaft« ernst zu machen. Deshalb dürfte es die jungen Hörer irritiert haben, dass Weber mehrfach den »Hazard«, den Zufall, auch in diesem Zusammenhang nochmals stark betonte. Der saloppe Anklang des Begriffs, dessen mehrfacher Gebrauch ihm deutlichen Signalcharakter verleiht, will erst gar nicht verbergen, dass Weber die mit ihm verknüpfte Kontingenzerfahrung sehr ernst nahm. Dies wird an seinem Verständnis des »Intellektuellen« besonders deutlich, d. h. des innerlich wirklich engagierten Wissenschaftlers. Diesen zeichne nämlich nicht bloß begrifflich-rationale Kompetenz aus, sondern ein tiefes Bedürfnis danach, »daß das Weltgefüge in seiner Gesamtheit ein irgendwie sinnvoller ›Kosmos‹ sei oder: werden könne und solle«. Die Erfahrung des Zufalls, die Weber in seiner Rede postulierte, ist gleichsam das Moment, das bei einem holistisch denkenden Intellektuellen das Verlangen nach »Erlösung von ›innerer‹ Not« auslöst.

Weber erlaubt seinen Wissenschaftlern jedoch nicht, dieser Sehnsucht nach einer alles sinnvoll ordnenden Ideenwelt nachzugeben. Seine Rede fordert geradezu, Platons Höhlengleichnis nicht idealistisch, sondern realistisch zu lesen, d. h. nicht im vertikalen Horizont ewig wirkender Ideen, die man erschaut, sondern im horizontalen Blick auf vorläufige und wandelbare Ideen, die man schöpft. Weber bricht mit der schönen Illusion, der moderne Wissenschaftler könnte noch die Rolle des platonischen Philosophen einnehmen, der berufen ist, den Menschen mit ihrem umdämmerten Blick die Augen für den höheren Glanz der Ideen zu öffnen, die er, aus der Höhle aufgestiegen, im Licht der Sonne zu erblicken privilegiert war. Nein, die »Offenbarung«, die der heutige Fachgelehrte leidenschaftlich in seinen »Einfällen« erfährt, kann dem Publikum nur mehr die Augen für »veränderliche Ideen« öffnen, die sich Forschungsinteressen und historischen Ereignissen beugen müssen und deshalb schon in der nächsten Generation überholt sein mögen. Hegel hatte in der Philosophie der Geschichte einleitend noch die höheren Ideen vor die Realität der Geschichte und das Pragma der Interessen gestellt. Weber war als Kulturhistoriker ein desillusionierter Idealist.

So erweist sich das Bild des Wissenschaftlers als Verkünder letzter Wahrheiten und Ideen bei nüchternem Blick unter dem berühmt gewordenen Begriff als Stück Vergangenheit, die aber dann wieder belebt wird, wenn in Krisenzeiten mit dem öffentlichen Interesse an Orientierung auch das persönliche Geltungsbedürfnis mancher Wissenschaftler steigt. Deshalb polemisiert Weber auch gegen die »Kathederprophetien«, die von Kollegen nicht selten vertreten würden. Dafür steht seine Rede vom »Impressario seiner selbst«, der im Namen der Wissenschaft »Erlebnisse« bietet, anstatt wirklich als »Persönlichkeit« zu erscheinen, die »rein der Sache« dient. Emphatisch heißt es: »Daß Wissenschaft heute ein fachlich betriebener ›Beruf‹ ist im Dienst der Selbstbesinnung und der Erkenntnis tatsächlicher Zusammenhänge, und nicht eine Heilsgüter und Offenbarungen spendende Gnadengabe von Sehern, Propheten oder ein Bestandteil des Nachdenkens von Weisen und Philosophen über den Sinn der Welt –, das freilich ist eine unentrinnbare Gegebenheit unserer historischen Situation.«

Ob Weber selbst rein sachlich spricht oder ob er nicht auch in seinen Schriften – gerade wenn er sich über die dunklen Zukunftsaussichten äußert – Kathederprophetien vertritt, ist zu fragen; gerade weil er in vielen dieser Fälle – so am Ende der Protestantischen Ethik – mit der rhetorischen Bemerkung sich zurücknimmt: »Doch wir geraten damit auf das Gebiet der Wert- und Glaubensurteile, mit welchen diese rein historische Darstellung nicht belastet werden soll.« Durch die asketische Maske des reinen Sachsinnes, die Weber als Wissenschaftler meist trägt, tönt gleichwohl die Leidenschaft für das Wechselspiel der ihn treibenden Ideen und Interessen hindurch. In den zeitgleichen Überlegungen zur »Objektivität« der Sozial- und Wirklichkeitswissenschaften gesteht Weber anschaulich die Problematik leitender Werturteile zu, der keine historisch orientierte Darstellung entraten könne. Denn, so schreibt er im unausgesprochenen Rekurs auf Goethes Faust: »Ein jeder sieht, was er im Herzen trägt.« Anders jedoch als der Dichter, der sich in Dichtung und Wahrheit die literarische Freiheit einer großartigen Konfession nahm, ist der Wissenschaftler angehalten, seine »›Sprache des Lebens‹« möglichst logisch und begrifflich zu klären: »Gültige Urteile setzen überall die logische Bearbeitung des Anschaulichen, das heißt die Verwendung von Begriffen voraus, und es ist zwar möglich und oft ästhetisch reizvoll diese in petto zu behalten, aber es gefährdet stets die Sicherheit der Orientierung des Lesers, oft die des Schriftstellers selbst, über Inhalt und Tragweite seiner Urteile.«

Folgt man seinen eigenen Worten, darf man dem Soziologen nicht glauben, wenn er an vielen anderen Stellen von der klaren Trennbarkeit von Tatsachen und Werturteilen spricht. Sie gilt nur heuristisch als regulative Idee eines nie restlos erfüllbaren Anspruches kritischer Luzidität gegenüber den eigenen Denkmotiven; es sei denn, man beschränkte sich, wie Nietzsche es ironisch beschrieb, auf ungefährliche Fragen rein philologisch-logischer Begriffsklärung. Damit würde man allerdings darauf verzichten, Wissenschaft mit Fragen der Lebensführung in Beziehung zu setzen. Jaspers hat die unaufhebbare Schwierigkeit in Webers Postulat der Wertfreiheit gesehen, und Hannah Arendt einmal geschrieben: »In seiner Sprache schien das Problem einfacher als es ist. Aber in der Wirklichkeit hat er es in der Tiefe erfahren, wo die Unlösbarkeit selber immer stärker antreibt, durch die Spannung in sich der Lösung auf dem Wege ins Unendliche näher zu kommen.« Bis heute ist der »Werturteilsstreit«, den Weber initiierte und der Karl Popper und Theodor W. Adorno über seinen angeblichen »Positivismus« streiten ließ, nicht gelöst. Worin liegt sein weltanschaulicher Ursprung?

V.

Die ideenhistorische Achse, um die sich die Gedanken von Wissenschaft als Beruf drehen, ist das von Weber apostrophierte »Schicksal unserer Zeit«, die »Rationalisierung und Intellektualisierung, vor allem: Entzauberung der Welt«. Der Begriff ist ein Synonym für die Moderne bei Weber, deren Genealogie – vereinfacht gesprochen – nicht in der selbstsicheren Abkehr von der religiösen Tradition besteht. Dies gilt, auch wenn Weber selbst immer wieder die Distanz zur vergangenen Autorität kirchlicher Dogmatik betont, die in der rationalen Entzauberung ihrer Ideen und Geschichten unumkehrbar geworden sei. In Wissenschaft als Beruf ist die ideenhistorische Rückbindung an die Religionsgeschichte schon an den häufigen Verwendungen theologischer, biblischer und religionsgeschichtlicher Begrifflichkeiten und Bilder zu erkennen, die dem Aufgeklärten als seltsame Relikte einer überkommenen Zeit erscheinen können. Aber Weber gewinnt ihrer modernen Merkwürdigkeit eine aktuelle Bedeutung ab und zeigt, auf welch unheimliche Weise die religiöse Irrationalität in wissenschaftlichen Gestalten verwandelt fortlebt, d. h. eine Säkularisierung erfahren hat. Das Vehikel ist gerade die »intellektuelle Redlichkeit«, ein weiterer großer Begriff in Wissenschaft als Beruf, dessen religiöse Herkunft für ihn ein zentrales Element seiner Soziologie ist. Auch an dieser Stelle ist er gelehriger Schüler Nietzsches, der plastisch und provokativ in der Fröhlichen Wissenschaft im Horizont des »guten Europäers« schreibt: »Man sieht, was eigentlich über den christlichen Gott gesiegt hat: die christliche Moralität selbst, der immer strenger genommene Begriff der Wahrhaftigkeit.«

Wie hat man sich die Dynamik der »intellektuellen Redlichkeit« vorzustellen, die sich nach Webers nietzscheanischer Auslegung der Säkularisierungsthese dem christlichen Erbe verdankt und zur »Entzauberung der Welt« mit ihren irrationalen Zügen führt? Zum Verständnis hilft, wenn man sich kurz das Erkenntnisinteresse vergegenwärtigt, das Weber in der Protestantischen Ethik im Wechselspiel von reformatorischem Berufsethos und ökonomischem Habitus entfaltet hatte. Damals hatte er geschlossen: Das wirtschaftliche Verhalten war – am stärksten im Calvinismus – eine Möglichkeit, sich im Beruf der verborgenen Vorsehung Gottes als würdig zu erweisen, d. h. mit dem erfolgreichen Geschäft den Segen Gottes erfahrbar zu machen. Aber der ökonomische Gewinn, der eine Folge der religiösen Gewissenhaftigkeit war, dominierte mit der Zeit das rational perfektionierte Handeln, so dass es im ausgeprägten Kapitalismus, abgeschnitten von seiner Wurzel, ein irrationales Eigenleben bis in die menschlichen Missstände der Moderne entwickelte.

In ideendynamischer Perspektive sah Weber auf die paradoxe Bedeutung der apostrophierten Redlichkeit der Protestanten im Feld der Wissenschaften. Führte sie ursprünglich dazu, sich im beruflichen Handeln durch Einsichten in Gottes Welt seiner würdig zu erweisen, so entfernten die neuen Erkenntnisse über die Natur und Geschichte die redlichen Forscher nur noch mehr von der Idee einer göttlichen Ordnung. Wenig war in der Moderne von dem Enthusiasmus übrig geblieben, den Weber für Johann Swammerdamm und seine Bibel der Natur aus dem Jahr 1752 verdichtet: »ich bringe Ihnen hier den Nachweis der Vorsehung Gottes in der Anatomie einer Laus.« Vielmehr vertiefte die intellektuelle Redlichkeit die Einsicht in die letzte Sinnlosigkeit und Irrationalität der Wirklichkeit, die die religiöse Tradition im Terminus der »Verborgenheit Gottes«, des »Deus absconditus« gefasst hatte. In säkularer Wendung bedeutete dieser Satz, dass die »rosigen Aussichten der Aufklärung«, wie Weber einmal ironisch sagte, endgültig verblasst seien. Man treibe Wissenschaft vor dem endlosen, ziellosen Horizont des Fortschritts.

Wissenschaft als Beruf