Die Stadt der künstlichen Monde

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»Warum erwürgen Sie nicht die Mumien mit ihren Perlenschnüren«, fragte man mich in der Küche, als ich zum drittenmal an dem Abend die gerösteten Brote zurückbrachte, aber leider hat man noch immer so seine kleinen Hemmungen.

Dafür begann ich zu sabotieren, Kopfschmerzen vorzuschützen, als ob ich eine vornehme Dame wäre. Ich hatte wenig Lust, bis zum Saisonende zu bleiben. Ich wollte etwas mehr von Palm Beach sehen. Es war noch eine Wienerin da, aus Mödling, mit den gleichen Absichten, und wir beschlossen jenen statistischen Prozentsatz der Kellnerinnen voll zu machen, die jedes Jahr vor Saisonende ausrücken.

Wir wollten uns Palm Beach richtig ansehen, jene Teile, die wir als »Personal« nie betreten konnten, denn Palm Beach ist nicht für arme Schlucker geschaffen. Nicht eine einzige Bank gibt es, wo man sich hinsetzen könnte. Sogar der Ozean wird eifersüchtig den Passanten verschlossen. Die Parkanlagen, die die maurischen Paläste, die spanischen Renaissanceschlösser umschließen, laufen von Wasser zu Wasser, von dem Lake Worth zu dem Ozean. Hier blühen alle exotischen Blüten Floridas, deren Namen ich noch nie gehört habe, die rotgeflammten Pagnonias, die purpurfarbenen Poincianas, die amethystenen Bouganvilias, die einen so schweren betäubenden Duft ausatmen, daß neben ihnen alle europäischen Blumen wie Küchenkraut erscheinen.

In der Geschäftsstraße von Palm Beach haben alle großen New-Yorker Modegeschäfte, Juweliere, Kunsthandlungen ihre Niederlassungen. Bei Bradley speist man unter zarten Seidenschirmen phantastische spanische Gerichte.

Der Badestrand der »guten Gesellschaft« befindet sich im Tennis- und Badeklub. Leute, die nicht im Blaubuch stehen, dürfen sich die Badenden zwar mit einer teuren Eintrittskarte ansehen, aber nur ein beglaubigter Millionär kann sich hier im Badeanzug zeigen. Die Damen sitzen in den verblüffendsten Badeanzügen und Pyjamas im Sand. Sie rauchen und lassen sich bewundern. Angeblich wird auch gebadet, aber sicher geschieht das nur selten. Das Wasser schadet den handgemalten Badeanzügen und Gesichtern.

Wenn es aber zu dunkeln beginnt, wird Palm Beach die Stadt der künstlichen Monde. Die Hotelterrassen erscheinen wie weite Wiesen, umrieselt vom blaßblauen Licht eines riesigen, über ihnen schwebenden elektrischen Mondes. Auch die Patios, die ausgedehnten Veranden der Privatpaläste, besitzen ihr eigenes Firmament. Jeder, der nicht direkt arm erscheinen will, hat seinen eigenen Mond, manchmal umglitzert von elektrischen Sternen.

In dem »Orangenhain« des Everglades Club, der in Wirklichkeit ein Palmenhain ist, wo Goldorangen elektrisch beleuchtet zwischen den Palmen blinken, tanzt man zur Jazzmusik.

Einen halben Tag lang stand uns der Mund offen. Nur einen halben Tag lang, denn in Palm Beach kostet ein halber Tag genau soviel, wie die zwei Mumien in zwei Wochen eingebracht haben. So mußten wir schon nach einem halben Tag nach dem »armen« West Palm Beach flüchten.

Die Neger beten

In West Palm Beach kann man wieder aufatmen. Hier gibt es Fünf- und Zehncent-Geschäfte, billige Lunchrooms, Kinos. In der Ferne sieht man die wirkliche Landschaft Floridas. Sümpfe, Stumpfpalmen und den charakteristischen Baum des amerikanischen Südens, die immergrüne Eiche mit dem langen, wehenden Spanischen Moos.

Hier gibt es kleine Kirchen, wo Neger noch ihre Spirituals singen. Schneeweißgekleidete Negerinnen, Kinder mit unwahrscheinlich großen Augen, zerlumpte Männer. Man bekommt am Eingang Fächer, sie knistern in allen Händen leise, während der Raum von jammerndem Gesang erfüllt wird. »Die schwere Bürde, o Herr.« Endlich bricht der Satz in allen Tonarten aus allen Mündern.

Dann kommt fragend anklagend der dramatische Gesang. »Warst du dort? Warst du dort, als man ihn kreuzigte? Bruder. Manchmal überfällt mich ein Beben. Du warst dort, als man ihn kreuzigte. Du warst dort, als man ihn kreuzigte. Du warst dort, als man ihn zu Grabe legte. Manchmal überfällt mich Beben.«

Im Stellenvermittlungsbüro

Vor allem gibt es in West Palm Beach auch Stellenvermittlungsbüros. Wir suchten eins auf, dessen Besitzer den Namen eines römischen Gottes trug. Nennen wir ihn Jupiter.

Die Gesellschaft bei ihm war nicht wenig interessant. Hier gab es, wenn man allen Angaben, die von den Stellungsuchenden gemacht wurden, Glauben schenken wollte, mehrere gewesene Millionäre. Sie behaupteten, durch unglückliche Grundstücksspekulationen in so schlechte Verhältnisse geraten zu sein, daß es ihnen sogar an Reisegeld mangelte, das gelobte Land ihrer einstigen Hoffnungen wieder zu verlassen. Sie ließen sich jetzt von Herrn Jupiter überreden, einen Posten als Geschirrwäscher in einem nicht ganz erstklassigen Hotel anzunehmen.

Eine Gesellschaft von jungen Mädchen war da, die in ihrem Auto allein aus Kalifornien nach Florida fuhren, und da ihnen das Geld ausging, jetzt Stellung suchten. Zwei Berlinerinnen waren aus Bermuda ausgerückt, wo sie Stellung als Hotelstubenmädchen angenommen hatten. Eine Schwäbin kam soeben aus Chicago an.

Herr Jupiter machte mir nur wenig Hoffnung, eine Stellung als Kammerzofe zu bekommen. »Sind Sie Französin?« fragte er mich, »und haben Sie Referenzen von bekannten Persönlichkeiten? Wir sind in Palm Beach und nicht in New York.« Da ich weder Französin war, noch Referenzen bekannter Persönlichkeiten aufweisen konnte, ließ ich mich von Herrn Jupiter bewegen, eine Stellung als dritte Küchenhilfe anzunehmen. Herr Jupiter erklärte mir, daß dies das feinste Haus sei, das ich in meinem Leben jemals gesehen haben würde. »Diese Leute essen von goldenen Tellern, und ihre Hausschwelle hat noch nie eine Negerin betreten«, fügte er erläuternd hinzu.

Es war ein Palast, in den wirklich nicht mehr Marmor hätte hineingebaut werden können. Es gab einen bläulichschwarzen marmornen Speisesaal mit offenen Bogengängen und einen maurischen Hof mit marmornem Springbrunnen. Die Portieren waren aus schweren, brokatenen, alten Altardecken zusammengesetzt. Dieser Speisesaal wurde allerdings nur bei festlichen Gelegenheiten benutzt, und ich habe ihn nur einmal durchschritten, als ich zur Haushälterin ging, mich vorzustellen.

Die Dame des Hauses habe ich während meiner ganzen Dienstzeit überhaupt nicht zu sehen bekommen.

Wie in einem Theater die Kulissenarbeiter nur einzelne Wortfetzen des Stückes auffangen, so drangen in die Küche nur einzelne Szenen von dem, was sich im Hause abspielte. Während ich in der Küche »Quawquaw« zerschnitt, Mangofrüchte und Alligatorbirnen, die Avocados schälte oder auch nur, was noch öfter vorkam, ganz prosaische Zwiebeln, hörte ich nur von Zofen und Dienern, was sich vorn auf der Schaubühne ereignete.

In der Küche empörte man sich am meisten über die Pyjamafeste. Die Diener prusteten vor Lachen, wenn sie wieder in die Küche kamen. »Eine Schande ist es«, sagte die aus Paris frisch importierte Zofe. »Ganze Zimmer haben sie voll Kleider und laufen in Schlafanzügen herum, wenn sie Gesellschaft haben. Und dann sagen sie noch, Paris sei unmoralisch.«

Champagnerflaschen wurden entkorkt, Kognak und Rum. Der Kellermeister wachte eifersüchtig, daß Unbefugte nicht den Keller betraten. Goldene Teller gab es tatsächlich, die vom Stubenmädchen unter Aufsicht eines Detektivs gewaschen wurden. Der Koch betrat nur selten die Küche, er war ein Künstler ersten Ranges, der höchstens die Soßen rührte, den Speisen noch den letzten Schliff gab und die Dekorationen der Schüsseln bei festlichen Gelegenheiten besorgte. In seiner freien Zeit war er Amateurboxer.

Einmal durfte ich selbst einen Schauplatz solcher Feste sehen. Bei einem für das Personal veranstalteten Fest an Bord eines der größten Hausboote auf dem Lake Worth. Im Everglades Club wurde ein Maskenfest der Millionäre veranstaltet, vor dem Ball gab man große Diners, die dem Personal furchtbar zu tun gaben. Als Belohnung nun wurde ihnen, da man sie während des Maskenfestes doch nicht brauchte, ein Hausboot zur Verfügung gestellt.

Das schneeweiße Schiff war ganz bedeckt mit Perserteppichen und erleuchtet von goldfarbigen Lampions. Es gab ein großartiges Büfett, wo auch »booze«, Alkohol, nicht fehlte. Den Gästen konnte man anmerken, was sie in der Nähe der großen Herrschaften gelernt hatten. Die Damen für eine Nacht trugen abgelegte, tief ausgeschnittene Kleider und riesige falsche Perlen. Man trank, soviel man konnte, und schrie nach mehr. Es wurde sehr handgreiflich geflirtet.

Dann wurde eine Kabarettvorstellung veranstaltet, wobei ein Boxkampf zwischen zwei japanischen Dienern großen Anklang fand, aber der Gipfel war die Szene dreier Kammerzofen, die mit viel Geschick die Toilettenvorbereitungen ihrer Herrinnen zu dem Maskenball nachahmten.

Die Stimmung wurde dann gedämpft, als bekannt wurde, daß mehrere Detektive zur Beobachtung auf das Schiff kommandiert waren. So begnügte man sich mit Tanz, wobei man den altmodischen Walzer bevorzugte. In den Pausen verzogen sich dann die Pärchen »auf Deck«, man verstand darunter den dunkelgelassenen Teil der Deckpromenade.

Auf dem Lake Worth leuchteten die Hausboote, die künstlichen Monde spiegelten sich im Wasser, und hoch oben im Firmament leuchtete das Kirchenkreuz . . .

Wovon das Kreuz leuchtet

Die beglaubigte Geschichte des elektrisch beleuchteten Kreuzes, das auf dem hohen Glockenturm der (im spanischen Renaissancestil gebauten) Kirche steht, ist folgende: Die Kirchenbehörde war der Ansicht, daß diese Reklame zu Ehren Gottes, die bedeutende Auslagen verursachte, von den kapitalkräftigen Gläubigen ohne weiteres bezahlt werden würde. Denn jene Damen der Gesellschaft, die Wert auf tadellosen Ruf legen, besuchen regelmäßig die Kirche. Doch zur Enttäuschung der Kirchenbehörden gelangten die Andeutungen, die über die hohen Kosten des elektrisch beleuchteten Kreuzes gemacht wurden, nur in taube Ohren – die künstlichen Monde verschlangen ohnehin außerordentliche Summen für elektrischen Strom.

Und da die Kirchengemeinde den nötigen Betrag nicht aufbringen konnte, erlosch das Kreuz wieder.

Eines Tages aber erschien bei dem Seelsorger ein elegant gekleideter Fremder, erkundigte sich, welchen Betrag die Beleuchtung des elektrischen Kreuzes monatlich kosten würde, entnahm dann seiner geschwollenen Brieftasche die genannte Summe und verschwand. Wieder leuchtete das Kreuz.

Am Ende des Monats erschien der Fremde und wollte noch einmal ohne weiteres die elektrische Rechnung bezahlen.

Der Seelsorger floß vor Dankbarkeit über, wünschte aber Näheres über den Fremden zu erfahren, um ihm von der Kanzel gebührenden Dank für seine gottesfürchtige Tat zu sagen.

Der Fremde besann sich ein wenig und erwiderte dann: »Ich will die Wahrheit gern sagen, ich bin ein Bootlegger (ein Schnapsschmuggler), es wird Ihnen nicht unbekannt sein, daß wir hier ein blühendes Geschäft und jetzt die Hauptsaison haben. Das elektrisch beleuchtete Kreuz war meinen Schiffen ein ausgezeichneter Wegweiser auf dem dunklen Meer nach der schwierigen Küste. Wir würden keine weiteren Kosten scheuen, um dieses Leuchtfeuer zu behalten.«

Der Seelsorger machte erst ein finsteres Gesicht, dann aber heiterten sich seine Züge auf, und er sagte: »Wahrlich, ich glaube, nur wenige folgen so genau jenen Worten der Schrift wie Sie, mein Herr: Sei sanft wie eine Taube und schlau wie ein Fuchs.«

Und so leuchtet das Kreuz weiter in der Finsternis.

Trinidad, die Insel des Asphalts und Petroleums

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Trinidad, die Karibische Insel, wirkt mit ihren blumenprächtigen Tälern, mit den von Urwäldern durchzogenen Höhen so paradiesisch, daß man sich erst schwer vorstellen kann, daß auch hier das Petroleum Herrscher sein soll. Aber bald merkt man, daß in dieser britischen Kolonie das Paradies ganz neuzeitlich und der Urwald ein hochkapitalistischer, industrialisierter ist.

Die Mahagoni- und Zedernbäume werden von einer Edelholzverwertungs-Gesellschaft ausgebeutet. Die Kakaowälder mit den Früchten, die riesigen Erdnüssen ähneln, gehören der amerikanischen Schokoladenfabrik Hershey (in New York habe ich in seiner Fabrik einmal einige Tage lang Schokolade in Stanniol gewickelt, so klein ist die Welt). Die Kokoshaine sind Eigentum einer englischen Copra-GmbH. Die saftig strotzenden Zuckerrohrfelder, auf denen indische Kulis arbeiten, sind Besitz javanisch-holländischer, englischer und amerikanischer Aktiengesellschaften.

Hinter der Hecke der rotglühenden Hibiskussträucher tauchen Bohrtürme auf, englische und amerikanische Bohrtürme. Den Amerikanern ist es gelungen, auch auf dieser Insel wichtige Konzessionen zu erhalten. Auch hier stehen die beiden größten Petroleuminteressenten der Welt neben- und gegeneinander.

Nur der Asphalt ist noch ganz englisch, obgleich er auch Öl enthält.

Der »Asphaltsee« ist die Hauptsehenswürdigkeit Trinidads, eine Sehenswürdigkeit, an der man überhaupt zunächst nichts Sehenswertes entdeckt. Er ist ein ungeheurer Tümpel, ein seichter Sumpf, von Wasser leicht bedeckt.

Aber mitten auf dem Tümpel stehen Gestalten, bücken sich, tragen Lasten, und eine kleine Feldbahn rollt sicher über die scheinbar weiche, dunkle Masse.

»Wollen wir hingehen und sehen, wie sie den Asphalt gewinnen?«

Es ist ein merkwürdiges Gefühl, buchstäblich über einen Vulkan zu wandern, denn der Asphaltsee füllt einen Krater aus. Die Sohlen spüren das leichte Schaukeln, das Brodeln unter der dünnen Kruste.

Die Arbeiter sind in der Nähe der Feldbahn postiert. Neger, Inder, Chinesen, halb nackt, stechen mit gleichmäßigen, genau berechneten Bewegungen den Asphalt, als wäre er Torf. Die Asphaltblöcke werden zu den Waggons getragen, die, sobald sie gefüllt sind, in Lagerräume rollen, in Fässer gefüllt werden und auf einer Schwebebahn, direkt zum Transport bereit, zum Hafen gleiten.

Plötzlich kommt ein Schauer. Auf Trinidad regnet es mindestens ein dutzendmal täglich, der Regen ist jedesmal eine Flut. Schon in den ersten Augenblicken ist man vollkommen durchnäßt. Das Wasser trieft von den Arbeitern, aber sie blicken überhaupt nicht auf. Die Arbeit geht trotzdem am laufenden Band weiter, sie ist schwer und schlecht bezahlt, diese Arbeit über dem Krater, mit dem Blick auf Urwälder, Bohrtürme und Petroleumtanks. Die Arbeiter leben in Abgeschiedenheit, in armseligen Hütten, in einer Luft, die schwer ist von Pech- und Petroleumgestank.

Vor den Arbeitern stehen immer nur wenig leere Waggons.

»Sie sollen nicht das Gefühl haben, gehetzt zu werden«, sagte der Aufseher, »eine lange Reihe von leeren Wagen läßt die Arbeit, die noch vor ihnen liegt, schwerer erscheinen.«

Aber dieses liebevolle Eingehen auf die Psychologie der Arbeiter schließt die Berechnung der Möglichkeit der Arbeitsleistung nicht aus. Es ist genau festgestellt, wieviel Asphalt ein Arbeiter stechen kann, jede Armbewegung wird genau gemessen und berechnet.

Das Merkwürdige nur bei diesem Asphaltsee ist, daß hier die Natur trotz aller Kontrolle nach Gesetzen waltet, die die Wissenschaft noch immer nicht lösen konnte. Auch sie arbeitet am laufenden Band, nur konnte man nicht herausfinden, wie sie das macht.

Abends nach Sonnenuntergang beginnt die Oberfläche an den Stellen, wo gearbeitet wurde, leicht zu brodeln, und bis zum nächsten Morgen füllt sich der Boden, der noch abends Lücken aufwies, mit neuer Asphaltmasse. Wenn die Arbeiter antreten, ist der See wieder ein gleichmäßiger Tümpel, der aussieht, als hätte ihn noch nie Menschenhand berührt.

So ist der Asphalt, obgleich Sinnbild der Überkultiviertheit in den Augen der Schollenliebhaber, unveränderte und immer noch unerklärliche Natur in diesem sonst so zivilisierten Urwald.

Ein deutscher Angestellter dieser Asphalt-Gesellschaft erzählte von den »Falke«-Abenteurern, die hier auf der Insel in Port of Spain gefangengehalten wurden.

»Ja, den Engländern gefiel diese ganze Geschichte nicht. Nachdem die Besatzung freigelassen wurde, ist es einem der Offiziere gelungen, hier auf den englischen Petroleumfeldern eine Stellung zu finden. Aber als man erfuhr, daß er zu den ›Falke‹-Leuten gehörte, wurde er fristlos entlassen. Allerdings hat er später doch sein Glück gemacht, er kam nach Amerika und hat jetzt bei einer großen amerikanischen Ölgesellschaft einen einträglichen Posten.«

Im Hafen liegt der »Falke«, etwas ramponiert und umgetauft auf einen unverdächtigen Mädchennamen (inzwischen allerdings hatte er bei der Revolution in Havanna neue Abenteuer bestanden).

Ein kleiner Ausschnitt aus den Rebellionen und Revolten in Südamerika. Die Feuerfunken, die aus den Petroleumfeldern immer wieder Kriege entfachen müssen, können nur durch eine Wirtschaftsordnung im Keime erstickt werden, die solche Konkurrenzkämpfe von vornherein ausschaltet.

Helle Lichter durchzucken den dunklen tropischen Himmel. Es wetterleuchtet.

I.
Als Arbeiterin im Schatten der Wolkenkratzer

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Als Scheuerfrau im größten Hotel der Welt

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Das ging eigentlich ganz gut – dachte ich, während ich das Formular mit den vielen neugierigen Fragen der Hotelleitung ausfüllte. Wo ich schon überall angestellt war, ob ich die Absicht habe, falls ich nicht Amerikanerin sein sollte, eine zu werden. Und vor allem, wen man verständigen solle für den Fall, daß ich erkranke. Daß man gleich auf das Schlimmste gefaßt ist, klingt zwar nicht gerade ermutigend, aber sonst scheine ich es gar nicht so schlecht getroffen zu haben. Ich hätte zwar nicht verraten sollen, daß ich erst seit einigen Tagen in Amerika bin. Es wäre vielleicht doch besser gewesen, Stubenmädchen zu werden, obgleich zwanzig Zimmer und zwanzig Badezimmer in sieben Stunden zu reinigen keine Kleinigkeit ist. Ob ich das fertiggebracht hätte? Und die Beruhigung, daß ich später fünfundzwanzig Zimmer und fünfundzwanzig Badezimmer in Ordnung zu bringen hätte? Nun werde ich wenigstens leichte Arbeit haben, nur die Ordinationszimmer des Zahnarztes reinigen, die Nickelinstrumente putzen, was kann daran schon schwer sein? Viel verdiene ich gerade nicht. Täglich einen Dollar. – Aber ich habe volle Verpflegung und »Zimmer mit Bad«, sagte die freundliche alte Dame, die mich aufgenommen hat.

Auf dem Löschpapier, auf dem Formular, überhaupt wohin man nur blickt, steht zu lesen, daß man sich in dem größten Hotel der Welt befindet mit zweitausendundzweihundert Zimmern und zweitausendundzweihundert Badezimmern, und ich bin nicht wenig stolz, daß es mir gelungen ist, hier eine, wenn auch bescheidene Stellung zu finden.

Ich erscheine deshalb sehr erwartungsvoll am nächsten Morgen um acht Uhr. Es dauerte eine Weile, bis wieder alle Formalitäten erledigt sind und ich aufs Zimmer geführt werde.

Das »Zimmer mit Bad« ist ein langer, stockfinsterer Raum, in dem acht Betten stehen. Ich bekomme das Fach eines langen Blechkastens als Kleiderschrank zugewiesen. Dann gibt man mir eine Nummer, ich bin Nummer 952, eine Eßkarte, eine blauweißgestreifte Uniform und eine Karte, die ich bei Beginn und Ende meiner Arbeit abstempeln lassen muß.

Schließlich erhalte ich einen Eimer, Seife, Tücher, eine Scheuerbürste und einen kleinen Teppich (wozu dies alles?), während die freundliche alte Dame, die mir heute schon weniger freundlich erscheint, mich in einen etwas geräumigen Vorraum führt und mir erklärt, daß ich diesen aufwischen muß. (Aber wie ist es mit den Ordinationszimmern des Zahnarztes?)

Der kleine Teppich und seine Berufung

Wie wischt man eigentlich einen Fußboden auf? Ich frage jedenfalls vorsichtigerweise, wie man dies in Amerika beziehungsweise im Hotel »Pennsylvania« zu machen gewohnt ist. Aber ich merke, daß diese Frage keinen guten Eindruck hervorgerufen hat. »Also seifen Sie doch endlich die Bürste ein und fürchten Sie sich nicht so vor dem Wasser. – So, und dann mit dem nassen Tuch aufwischen. – Und knien Sie sich doch hin!«

Auch das noch. Adieu, Schuhe und Strümpfe. Muß ich aber meine Knie auch noch kaputt machen? Ich dachte, die Amerikaner sind so praktisch und machen alles mit der Maschine. Zum Glück fällt mir der kleine Teppich ein. Bisher ist er in keiner Weise in Erscheinung getreten, aber da man ihn mir gegeben hat, muß er doch irgendeine Berufung haben. Ich nehme ihn also, und während ich aufwische, knie ich mich auf ihn. (Scheint so eine Art Gebetteppich zu sein.) Wenn ich mit einem Stück fertig bin, ziehe ich mit ihm weiter. Es ist ein bißchen umständlich, aber es geht doch besser so als vorhin. Nur an dem Ausdruck der alten Dame merke ich, daß irgend etwas nicht ganz stimmt. Endlich erklärt sie mir mit einer Stimme, die zwar sanft ist, aber deren Sanftheit man anhört, daß sie nicht geringe Selbstbeherrschung gekostet hat, daß der kleine Teppich keineswegs dazu da sei, meine Knie zu schützen, sondern die Umgebung, die im gegebenen Fall aus feinen Teppichen bestehen kann, vor den Spuren des Eimers.

Ich stand beschämt auf, während ich mir gestehen mußte, daß an dem Boden nach dem Schrubben nur geringe Veränderungen zu entdecken waren.

Perspektiven und Plakate

Zum Glück wurde es bald elf, was den Beginn des Lunches bedeutet.

Im Speisesaal mußte ich meine Eßkarte, die gelocht wurde, vorweisen. Auf ihr stand zu lesen, daß es für die Nachtschicht auch während der Nacht drei Mahlzeiten gebe, daß sie unübertragbar sei und daß sie nur zu täglich drei Mahlzeiten berechtige.

Ich nahm wie die anderen vom Büfett der Reihe nach, was man mir reichte, Suppe, Fleisch, Speise, Kaffee und Milch.

Das Essen war genießbar, wenn man auch anerkennen mußte, daß dem Koch ein überaus scharfes Messer zur Verfügung stehen mußte. Ich habe noch nie ein ähnlich dünnes Stück Fleisch gesehen.

Aber schwere Arbeit trägt nicht zur Hebung des Appetits bei, und so ließen die meisten trotz der kleinen Portionen den größten Teil stehen.

Die Frau, die mit mir am selben Tisch saß, war mit dem Essen sehr zufrieden. Sie erzählte, daß sie bisher im Hotel »Plaza« gearbeitet hat.

»Oh«, sagte ich, »das ist wirklich ein entzückendes Hotel.« (Es ist wirklich eines der schönsten und vornehmsten Hotels der Welt, dicht am Zentralpark gelegen, mit allem erdenklichen Komfort und Luxus.)

Die Frau mir gegenüber sah mich mit kugelrunden Augen an, als wäre ich nicht ganz bei Verstand.

»Das sagen Sie doch nicht im Ernst. Oder Sie haben wohl da nie gearbeitet. Entzückend mag es vielleicht für die Gäste sein, aber nicht für unsereinen, der dort arbeitet. Wir bekamen ganz ungenießbares Essen und mußten fast alles, was wir verdienten, für Lebensmittel ausgeben, und Arbeit gab es nicht zu knapp.«

(Es kommt eben auf die Perspektive an, ob man ein Hotel schön finden kann oder nicht.)

Hier in unserem Speisesaal saßen die Stubenmädchen, die Reinemache- und Badefrauen, alle in verschiedenen Uniformen, man konnte ihre Beschäftigung an ihren Kleidern erkennen. Die Angestellten, die schon eine höhere Stellung einnahmen, saßen im Nebenraum, von dieser niederen Stufe getrennt.

Während es um ihr leibliches Wohl besser bestellt war als um unseres, legte die Hotelleitung größeren Wert auf Hebung unserer moralischen Kräfte.

In unserem Speisesaal befand sich ein großes Plakat, auf dem ein Orchester abgebildet war und ein eigenmächtiger Bläser, der den Dirigenten und die Zuhörerschaft zur Verzweiflung brachte. Darunter aber war zu lesen: »Ich, mir, mich, mein gibt keine Harmonie, nur wer sich dem Ganzen fügt, kann den Menschen Freude bringen.«

Wir können also die Genugtuung haben, die Menschen zu erfreuen, denn fügen tun wir uns ja, ob wir wollen oder nicht.

Die Plakate wechselten jeden zweiten, dritten Tag. Einmal war eins ausgestellt, das weniger die Interessen eines Hotelkonzerns seinen Angestellten gegenüber wahrzunehmen schien; ein Mann grub mit bloßer Hand Erde. Die Aufschrift lautete: »Scheue keine Mühe, grabe nach der Wahrheit. Was du selbst erfahren hast, nur daran glaube.« Eine gefährliche und seltsame Aufforderung in dieser Umgebung.

Während uns die Plakate versicherten, daß wir auch in niedriger Stellung nützliche Mitglieder der Gesellschaft sein können, zeigte uns eine Photographie, daß uns auch die Wege, die nach oben führen, offenstehen. Auf der Photographie waren Männer und Frauen in Overalls, d. h. in Arbeitskleidern, abgebildet. Darunter stand der vielversprechende Satz »Diese Delegation hat in Overalls verschiedene Fabriken und Bergwerke im Auftrage der Regierung inspiziert. Mehrere Mitglieder der Delegation haben ihre Karriere selbst in Overalls begonnen.«

Der Ballsaal auf dem Dach und die Marmorsäulen

Den Ballsaal lernte ich nach dem Lunch kennen. Es war ein Riesensaal, zweiundzwanzig Stockwerke hoch über New York, umgeben von Säulen, die mir sofort, bevor ich mein zukünftiges Verhältnis zu ihnen ahnte, unsympathisch waren. Sie sahen aus, als wären sie aus Papiermaché und imitiertem Marmor, sie waren aber aus Marmor und imitierten nur Papiermaché. Diese Säulen aber sollte ich reinigen. Nur die unteren Teile, beruhigte man mich, ich brauchte nicht hinaufzuklettern. »Und wenn Sie fertig sind, bekommen Sie neue Arbeit.« Darauf verließ man mich, und ich blieb allein mit den Säulen, zur Säule erstarrt. Wenn ich fertig bin! Ich versprach mir, nie fertig zu werden. Ich versuchte die Säulen abzustauben, aber es war vergeblich, ich rieb sie mit einem nassen Tuch, es half nichts. Und was ging mich überhaupt eine so blöde, überflüssige Arbeit an? Wenn die Leute zwischen reinen Säulen tanzen wollen, sollen sie sie gefälligst selbst putzen. Soll ich mich zu Tode arbeiten, damit einige gelangweilte Leute in ihnen entsprechender Umgebung irgendwie ihre Zeit totschlagen? Wäre ich zufällig Simson gewesen, so hätte jetzt leicht ein Unglück im Hotel »Pennsylvania« geschehen können.

Endlich kamen Leute, um die Marmorfliesen aufzuwischen. Sie begrüßten mich mit Hallos. Ich mußte gleich erzählen, seit wann ich in New York lebe, welcher Nationalität ich bin, wo ich früher gearbeitet habe und ob ich die Arbeit liebe. Diese Frage: »How do you like it?«, die sich immer auf den »job« bezieht, ist unter den Arbeitern genauso allgemein wie das »How do you do?« in der Gesellschaft. Wird sie von dem »boss« gestellt – »boss« heißt nicht nur der eigentliche »Arbeitgeber«, sondern jeder, der einem übergeordnet ist –, muß man sie mit einem fröhlichen »Yes, I like it« beantworten, andernfalls bedeutet es, daß man einen Bruch der Beziehungen wünsche.

Diesmal durfte ich bekennen, daß ich sie nur wenig liebe. Meine Arbeitskollegen zeigten mir dann, wie man die Säulen mit einer Bürste behandeln muß. Sie halfen mir redlich. Ich erfuhr auch, daß meine Vorgängerin acht bis zehn Tage sich für diese Arbeit nahm, nach einer anderen Version sogar zwei Wochen. »Nur immer langsam«, klärten sie mich auf, »wenn Sie in dem Tempo arbeiten, wie man es von Ihnen verlangt, können Sie sich halb zu Tode arbeiten.« Und es ist wirklich notwendig, das Tempo »nur immer langsam« dem »schnell, schnell« der Gegenseite entgegenzustellen.

Wolkenkratzer ringsherum – und der Dichter im Lehnsessel

Meine Hand schmerzte, ich war müde, am liebsten hätte ich geheult. Oder habe ich wirklich geheult?

Denn ein alter Ire, der auch oben arbeitete, kam auf mich zu und sagte mir: »Kommen Sie doch, schauen Sie.« Er wies hinunter auf New York. Die Stadt zeigte sich uns ganz: dort, wo sie festlich gepflegt war, am oberen Hudson, und dort, wo dichte Fabrikschlote den Himmel verdunkelten. Und von allen Seiten sahen Wolkenkratzer zu uns herein. »Dear old New York«, sagte der Ire, liebes, altes New York. Das konnte ich nicht gerade finden.

Ja, es ist ungeheuer, dieses gigantische Durcheinander von Warenhäusern, Fabriken, Banken, Bürohäusern, alles voll Arbeit, Menschen, Hast. Und tief unten rasen die Autos, Menschen, Hochbahnen, rasen, halten, rasen, halten, ohne Pause.

Die Wolkenkratzer sind zum Teil so nahe, daß wir in sie hineinsehen können. Überall sitzen, stehen, gehen Menschen, ein wahrer Schwarm von Menschen. Sie hantieren alle sehr geschäftig. Vielleicht packen sie Kaugummi, oder sie machen Seidenkleider, jeder täglich ein Dutzend, oder Kunstblumen oder Fransen.

Ist hier nicht Leere, das Nichts in höchster Potenz, fieberhafte Zwecklosigkeit?

Aber wie sie aufleuchten, die Wolkenkratzer, und unten welches Leben, welche Bewegung, welches Tempo! Die Leere, das Nichts können nicht groß sein. Und sicher bereitet sich auch hier die Zukunft vor.

Später kommen immer mehr Leute hinauf. Sie bewundern, in Begleitung des Hotelführers, die Aussicht.

In der Mitte des Saales sitzt sehr bequem ein junger Mann. Vielleicht würde ich es nicht bemerken, wie sehr bequem er sitzt, wenn ich nicht so müde wäre. Er sitzt in einem bequemen Lehnsessel, der jedenfalls sehr bequem aussieht. Vielleicht ist er ein Dichter, denn er hält einen Füllhalter in der Hand und schreibt in ein Büchlein. Es könnte natürlich auch sein, daß er seine Ausgaben zusammenrechnet. Aber wenn man das tut, blickt man nicht so versonnen, so gedankenvoll auf die Wolkenkratzer ringsherum. Auch schaut er sich angelegentlich immer nach uns um, die hier arbeiten. Ich weiß nicht, ich habe die feste Überzeugung: Der junge Mann im Lehnsessel ist ein Dichter, eine Hymne auf die Arbeit.

Die Zufriedene und die anderen

Das Zimmer sah jetzt aus wie ein Hospitalsaal für Schwerkranke. Die Frauen lagen da wie Tote, vollkommen unbeweglich. Es waren außer meinem nur noch vier Betten besetzt. Mein Kommen erregte nicht die geringste Aufmerksamkeit.

Das Zimmer war denkbar einfach: die Betten rein, aber wie waren sie schmal und leicht. Überdies standen sie auf Rädern, so daß man, wenn man sich umdrehte, in die Mitte des Zimmers rollte. Außer dem Blechschrank waren noch zwei Kommoden im Zimmer; die eine war mit Heiligenbildern und dem Bildnis des Papstes geziert, außerdem gab es noch zwei winzige Schaukelstühle als Belohnung für diejenigen, die schon lange hier waren. Das »Bad« existierte zufällig wirklich, man konnte jederzeit baden, und die Badezimmer waren rein und modern.

Meine Nachbarin war die Zufriedene, am Anfang war sie mir unheimlich. Sie zog sich nie aus; sie lag mit Schuhen und Kleidern in ihrem Bett. Unter der Uniform trug sie noch ein schwarzes Kleid. Ihr Gesicht war erschreckend mager und gelb, und ihre Hände schienen nur aus Adern zu bestehen. Nachts schlief sie nicht, sie saß unbeweglich und starrte ins Dunkle, oder sie stand auf und ging zum Fenster und blickte hinaus, unbeweglich, stundenlang, aber draußen war nur der dunkle Schacht und nichts zu sehen.

Als ich sie fragte, warum sie nicht schläft, war sie überrascht. Wieso? Sie schliefe doch immer ausgezeichnet. Ich fragte sie, ob sie nicht müde sei. Ein bißchen war sie schon müde, aber das wäre nicht der Rede wert. Sie hätte überhaupt immer Glück im Leben gehabt, immer wäre es ihr gut ergangen. Sie war vor einem Jahr aus Irland herübergekommen. Es gefällt ihr hier sehr gut. New York ist eine sehr schöne Stadt. Während ich dort war, ging sie nie aus. Wenn man aus unserem Zimmer blickte, sah man nur Wände. Sie war Badefrau und arbeitete im Dampfbad. Viel konnte sie von der Außenwelt auch hier nicht sehen. Ich erkundigte mich, ob sie sonst öfter ausging. Ach nein, das nicht. Was sollte sie draußen in den Straßen umherlaufen. Nein, nicht wegen der Müdigkeit, aber hier war es doch nett. Anfangs mochte sie nicht so gern hier sein, aber jetzt gefiel es ihr. Später würde es mir auch sehr gefallen, versicherte sie. Sie hatte hier eine Schwester, aber sie wohnte leider so weit. Aber sie besuche sie doch manchmal, das wäre dann immer sehr nett. Sie verdiene hier im Monat dreißig Dollar, das wäre doch schön. Mit den Trinkgeldern sei nicht viel los. Sie sei seit vier Monaten hier und habe im ganzen nicht mehr bekommen als drei Dollar. Aber sie erinnert sich genau an das Datum, wann sie ein »tip« bekommen hat, wieviel und von wem. Besonders ausführlich beschreibt sie eine Frau, die ihr fünfzig Cent gegeben hat.

»Ja, die Reichen«, sagt sie, »ich habe mein ganzes Leben lang für die Reichen gearbeitet, aber ich habe mich dabei immer gut gestanden.« Und sie sieht auf sich herab, auf ihre Magerkeit, auf ihre abgearbeiteten Hände, und lächelt zufrieden und heiter. Ist sie ironisch? Sie ist es auf ganz ahnungslose Weise. Oder ist auch diese Ahnungslosigkeit Ironie?

Das Gegenspiel der Irländerin ist die »Dame«. Sie kleidet sich immerfort um. In der Arbeitspause von einer halben Stunde wechselt sie zweimal die Kleider. Wenn sie ihre Freundin besucht, die einige Zimmer weiter wohnt, zieht sie ihr Jackenkleid an, Hut, Handschuhe und Pelzboa. Sie sagt, wenn ich nicht arbeite, bin ich keine Badefrau, sondern eine »lady«.

Zum Abendessen, um fünf, kommen die meisten in Zivil, in Seidenkleidern, und vergessen nicht das Eitelkeitstäschchen, »the vanity case«, mit Schminke und Puder. Sie gehen nicht jeden Tag aus, sie sind zu müde, und das kostet auch zuviel; wenn sie eingeladen werden von dem »fellow«, das ist was anderes. Sie gehen gern zum »dancing«, doch das kann man nicht alle Tage. »Aber«, sagt die eine, »wir sind keine Fabrikmädchen. Wir haben es nicht nötig, uns einladen zu lassen. Wir haben doch unser Essen!« Ob sie gern hier ist, frage ich die Deutsche. Sie ist schon in Amerika geboren, war noch nie in Deutschland, sagt aber, sie sei eine Deutsche. Sie kam zu mir, weil sie gehört hatte, ich sei vor kurzem aus Deutschland gekommen. Sie arbeitet schon seit sechs Jahren in diesem Hotel. Nun, meint sie, man darf vom Leben nicht zuviel erwarten. Man hat jeden zweiten Sonntag frei, aber erst, wenn man einen vollen Monat hier gearbeitet hat, und nach einem Jahr bekommt man sogar eine Woche frei, und es gibt einen Arzt frei für die Angestellten, Trinkgeld bekommt sie auch hie und da. Sie hat schon viel Schlimmeres erlebt. Aber wie gesagt, man darf vom Leben nicht zuviel erwarten.

Wir sitzen jetzt im »Salon der Dienstmädchen«, der genau, aber haarscharf genauso aussieht, wie man sich ein »drawingroom for maids« in dem »größten Hotel der Welt« vorstellt. Mit ebensolchen abgenutzten, schiefen, zerdrückten, billigen Möbeln, mit so schmutzig farblosen Wänden, mit so grauer, abgestandener Luft! Die Mädchen kauern in ihren Seidenkleidern todmüde auf den Stühlen. »Keinen Schritt mehr könnte ich weitergehen«, sagt eine, die Pantoffeln anhat. »Ich habe morgen frei«, sagte ihre Freundin. »Ach, wie ich mich freue. Ich werde den ganzen Tag einkaufen, die Schaufenster angucken.«

Zwei Neue kommen herein. Sie sind sehr gut angezogen und sehr hübsch. Sie sind eingeladen. Müde? Das wird schon beim Tanzen vergehen. Man muß doch auch etwas vom Leben haben.

Die mit den Pantoffeln schüttelt mißbilligend den Kopf: »Wenn das nur nicht schlecht endet.« Und auch die anderen, die müde auf den Stühlen kauern, schütteln die Köpfe.

Die Irländerin sitzt angezogen im Bett. Auf der Kommode stehen die Heiligenbilder und das Bildnis des Papstes und sehen mich an. Die Wecker ticken sehr laut. Links von der Kommode schläft die Besitzerin der Heiligenbilder, rechts die des Papstes.

Die Besitzerin der Heiligenbilder ist sehr gutmütig und still, aber sie schnarcht sehr laut. Wenn sie nachts erwacht, kniet sie sich hin vor ihrem Bett und betet flüsternd. Sie steht um halb sechs Uhr auf. Jeden Tag geht sie vor dem Frühstück in die Kirche.

Die Besitzerin des Papstes ist weniger gutmütig, aber auch sie schnarcht.

Die Luft ist sehr schlecht. Und es ist schwer, einzuschlafen.

Die Hotelgalerie

Ich kann mir etwas Amüsanteres vorstellen, als künstliche Blumen abzuwaschen. Aber die Hotelgalerie, wo das geschieht, ist ganz amüsant. Man kann von ihr hinunterblicken auf die Hotelhalle. Unten kommen Reisende an, Telegraphenjungen schreien Namen, Koffer werden gebracht, Boys laufen mit Zeitungen umher. Die Hotelgalerie erinnert an die Galerie eines Konzertsaales, nur ist sie viel breiter, und Teppiche und künstliche Blumen »schmücken« sie. Von hier führen die Wege zur Kunstausstellung, zur Bibliothek, zu den Schreibzimmern, zur Hotelbank und zum Zahnarzt. (Es stellte sich übrigens heraus, daß die Ordinationszimmer des Zahnarztes existierten. Nur mußte ich die Arbeit, von der mir allein etwas gesagt wurde, von acht bis neun Uhr in der Früh erledigen.)

In der Hotelgalerie ist ein ständiges Kommen und Gehen. Leider muß auch ich ständig kommen und gehen, mit einem Eimer Wasser, das abwechselnd rein oder schmutzig ist.

Die Leute sitzen ringsumher. Sie langweilen sich und rekeln sich in den Sesseln. Sie sehen zu, wie ich arbeite. Wahrscheinlich denken sie: Die strengt sich aber auch nicht sehr an. Und die Frauen: Die Perle möchte ich auch nicht zu Hause haben. Denn ich beeile mich nicht. Ich gebe mir das Tempo an: sehr langsam, und befolge es auf das gewissenhafteste. Ich hätte nicht übel Lust, wenn ich mit dem Eimer voll schmutzigem Wasser vorbeigehe, »zufällig« einige Leute abzuschütten. Es gelang mir nur einmal, und da dachte ich gar nicht daran. Oh, die Lackschuhe, und die wütenden Augen, und obendrein mußte ich auch noch lachen.

Vincent Lopez spielt Jazz

Sie sitzen im Grillroom, gesittet, gelangweilt, gut angezogen, wie es sich ziemt.

Vincent Lopez aber, berühmtester Jazzbandspieler der Welt, läßt eine quiekende, heulende Meute von exotischen Tieren in den Saal springen, wilde Afrikaner zu Kriegstrommeln tanzen, eine besoffene Bauernhochzeitsgesellschaft vorbeigrölen.

Wenn ich im Grillroom säße, würde diese Musik wahrscheinlich auch meine Magennerven wohltuend beeinflussen, denn sie essen sehr ausgiebig, die Gesitteten. Ihr Gesicht bleibt zwar gelangweilt, aber die wilden Naturinstinkte zeigen sich im Vertilgen von lebendem und totem Getier.

Wenn man aber im Vorraum dieses Grillrooms Nickel reinigt, befeuert die wilde Musik der Neger nur wenig zur Tat, wenn diese Tat Nickelputzen sein soll. Man möchte schon eher eine richtige, quiekende, heulende Meute von exotischen Tieren in den Grillroom springen lassen und sehen, ob auch dann die Gesitteten so gelangweilt blieben.

Ein ganz kleiner Dialog zwischen zwei Stubenmädchen

Szene: Ein Ordinationszimmer des Zahnarztes. Auf dem Schreibtisch stehen in einer Vase sehr zarte Teerosen.

Das eine Stubenmädchen: »Hast du die schönen Rosen gesehen, die der Doktor wieder bekommen hat?«

Das andere Stubenmädchen (es ist seit vier Jahren im Hotel »Pennsylvania«): »Hast du sie schon abgestaubt?« –

Wenn man ein Hotel, in dem man Angestellte war, für immer verläßt, so ist das umständlich wie ein Grenzübertritt.

Man wird von mehreren Damen einem wahren Kreuzverhör unterworfen. Wie? Warum? Wieso? Man bleibt doch nicht so kurze Zeit in einer »guten« Stellung.

Ich erkläre ihnen, daß ich die Dame, die mich aufgenommen hatte, mißverstanden habe.

Aber ich scheine doch etwas verdächtig zu sein. Ich muß meine Nummer, meine Eßkarte, meine Uniform, meine Arbeitskarte übergeben, dann meinen Koffer herunterholen, dann warten. Das alles nimmt fast einen ganzen Tag in Anspruch. Endlich kommt eine Dame, läßt mich den Koffer öffnen, schaut in ihn hinein. Ich schließe ihn, denke, die Sache ist erledigt. Eine andere Dame kommt aber, läßt mich den Koffer wieder öffnen, untersucht ihn. Erinnerungen an Reisen in der Nachkriegszeit erwachen. Endlich erscheint eine dritte Dame mit Bindfaden und Blei und plombiert den Koffer. Es ist Vorschrift, daß Angestellte nur mit plombierten Paketen oder Koffern das Hotel verlassen dürfen, obgleich man sich nicht recht vorstellen kann, daß jemand auf die Idee verfiele, einen Topf künstlicher Palmen in seinen Koffer einzupacken, und die Juwelen, um die es sich schon eher lohnen würde, hätte man schon längst jederzeit in der Tasche wegtragen können. Draußen sieht der Portier die Plombe an und schneidet den Bindfaden ab.

Ich stehe draußen vor der Pennsylvania-Station. Ganz so, als hätte ich eben die Grenze eines fremden Landes überschritten.

Automat unter Automaten

Inhaltsverzeichnis

Eine der größten über ganz New York verstreuten Massenabfütterungsanstalten ist das Automatenrestaurant Horn & Hardart. Hier versuchte ich, Arbeit zu erhalten.

Die Zentrale für Angestellten-Beschaffung