Georg Schweinfurth

Im Herzen von Afrika

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musaicumbooks@okpublishing.info
2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-1753-3

11. Im Lager des Verräters.

Inhaltsverzeichnis



Tags darauf, am 3. März 1870, langten wir am Wohnsitz des Niamniamhäuptlings Uando an. Mohammed machte diesem Vorwürfe wegen seines verdächtigen Benehmens, und fast wäre es zu einem Zusammenstoß gekommen. Dann aber begann ein lebhafter Handelsverkehr mit den Eingeborenen, die große Elefantenstoßzähne herbeitrugen. Uando selbst erschien in einem langärmeligen Hemd von geblümtem Kattun und tat sehr harmlos; man sah ihn sogar Arm in Arm mit Mohammeds Hauptleuten durch das Lager schlendern. Auch in meinem Zelt machte er Besuch. Von untersetzter Gestalt, riesig entwickelt an Muskelfülle und Fett, nur von wenigen Fellen umgürtet, ließ er sich auf meinem einzigen Stuhl mit einer Würde nieder, deren sich kein Europäer zu schämen gehabt hätte. Seine Gesichtszüge waren regelmäßig und in ihrer Art schön. Vor Erregung schlug ich mit der Faust auf den Tisch und warf ihm seine frühern feindseligen Kundgebungen vor; bitter beklagte ich mich über seinen Mangel an Gastfreundschaft.

Der Erfolg war über Erwarten schrecklich! Uando schickte mir einige magere Hühner und eine Anzahl großer schwarzer Töpfe. Ein abscheulicher Geruch wie von brenzligen Ölen, Schmierseife und verdorbenen Fischen drang aus den Tongefäßen zu der Nase des Neugierigen. Bei näherem Nachsehen gewahrte das Auge Fäden und Faserstränge wie von aufgelöstem Tauwerk, umflossen von einer dunkeln Brühe, dazwischen Lederabfälle und altes verknotetes Riemenzeug. So mögen unsere Vorfahren in den Wäldern der Urzeit Europas Mammutbraten und Rhinozerosfüße zubereitet haben. Die Töpfe waren erfüllt von einem angebrannten, räucherigen Ragout von Kaldaunen eines zweihundertjährigen Elefanten, sehr zähe und mit sehr starkem Wildgeruch. Dieses Ergebnis der Naturforschung wurde mir indes erst von meinen Bongoträgern mitgeteilt, denen ich das Gericht überließ und die auf diesem Gebiet die bessere Erfahrung besaßen. Selbst meine nubischen Diener, die im übrigen in den durch ihre Religion als eßbar erlaubten Dingen durchaus nicht allzu wählerisch waren, hatten diese Speise mit Entrüstung von sich gewiesen.

Als im vergangenen Jahr eine der Ghattasschen Abteilungen durch die Gebiete Uandos zog, waren sechs Nubier auf der Jagd in den benachbarten Wäldern von Niamniam umgebracht worden. Die Eingeborenen hatten ihnen als Führer in den Dickichten gedient. Nachdem die Nubier ihre ganze Munition auf Perlhühner verschossen hatten, waren die Niamniam über sie hergefallen und ihrer leicht Herr geworden, da die Fremden außer Flinten keine andern Waffen mit sich führten. Mohammed forderte nun die sechs Gewehre zurück, die zweifelsohne in Uandos Besitz übergegangen waren. Uando lieferte jetzt dem Drange folgend vier der geraubten Flinten aus, mehr konnte er angeblich nicht herbeischaffen.

Ich blieb vier Tage im Dorf des Uando. Die Waldung der Nachbarschaft war von großartigster Üppigkeit. Ein beispielloser Quellenreichtum ist die Ursache, daß die Bäche das ganze Jahr über fließen. Das Land, dessen Meereshöhe nirgends weniger als 650 Meter beträgt, gleicht einem andauernd gefüllten Schwamm. Die Talsenken und Erdspalten schmücken sich mit der vollen Majestät des Tropenwaldes. Auf den Höhen dagegen bleibt die Zusammensetzung der Pflanzenwelt die gleiche wie seit dem Betreten des Bongolandes: ein offener, parkartiger, großlaubiger Buschwald, der von Steppenstrichen häufig unterbrochen wird. In den Uferwäldern dagegen bilden Bäume mit gewaltigen Stämmen lückenlose Reihen. Man gewahrt Säulengänge, die ägyptischen Tempelhallen ebenbürtig sind und die von aufeinander gelagerten Laubdecken oft dreifach überwölbt werden. Unter den Säulenhallen überall Laubengänge voll murmelnder Quellen und Wasseradern. Die durchschnittliche Höhe des obern Laubdaches beträgt 25-35 Meter. Auf dem Boden füllen Staudenmassen die Lücken in diesem großartigen Blattgewirr. Die mehrere Meter Höhe erreichenden Staudendickichte der vielen ingwerartigen aromatischen Gewächse versperren mit ihren festen Stengeln dem Wanderer oft den Ausweg oder bedrohen den Eindringling mit Versinken in dem lockern Schlamm von Humus, dem sie entsprießen. Und dazu die wunderbare Farnwelt mit riesig entwickelten Wedeln, etliche mit solchen von fünf Meter Länge. Die Stämme erschienen, wo sie nicht mit Farnen dichtbewachsen waren, in den meisten Fällen von einem dichten Geflecht des kletternden rotbeerigen Pfeffers umstrickt. Überall undurchdringliches Grün. Wo schmale Pfade eine Talwand erklimmen, bilden bloßgelegte Baumwurzeln die Stufen. Modernde Stämme, in dichte Moospelze gehüllt, hindern bei jedem Tritt das gemächliche Fortschreiten. Die Luft ist nicht mehr die der sonnenhellen Steppe, nicht die der kühlen Buschlauben, es ist die Treibhausatmosphäre unserer Palmen-und Orchideenhäuser, und bei einer Wärme von 25 bis über 30 Grad Celsius herrscht beständig dumpfe Feuchtigkeit.

Den erhabenen Naturgenuß beeinträchtigt das übermütige Treiben der Insektenwelt, vor allem das erstaunliche Gewimmel von Ameisen der kleinsten Art, die von allen Blättern und Zweigen, die man berührt, wie Regen über den Eindringling herfallen. Schmetterlinge in Menge, von prächtiger Zeichnung, bilden einen schönen Ersatz für den meist mangelnden oder versteckten Blütenschmuck.

Am 6. März verließen wir den Wohnsitz des Uando, begleitet von Führern, die der Häuptling zur Verfügung gestellt hatte. Bei keinem Weiler der Niamniam fehlten die Pfähle, an denen Jagd-oder Kriegstrophäen befestigt waren. Schädel von Antilopen, Wildschweinen, Schimpansen, aber auch Menschenschädel fanden sich bunt durcheinander an den Pfahlästen aufgespießt. Zahlreiche, unzweideutig für den Hang der Bewohner zur Menschenfresserei sprechende Zeugen traten uns im Verlauf der Wanderung vor Augen. In der Nähe der Wohnstätten, auf den Haufen von Küchenabfällen menschliche Gebeine und Bruchstücke von solchen, mit allen Merkmalen, daß sie mit Messern behandelt worden waren.

Am 7. März hatten wir in drei Stunden nicht weniger als fünf wasserreiche Uferwälder zu durchschreiten. Das Gelände blieb eben und bestand zwischen den Bächen aus völlig offenen Steppenstrichen. Längs diesen Bächen dehnten sich hart am Rand der Uferwaldung bebaute Flächen aus; die weit und breit zerstreuten Weiler verrieten große Fruchtbarkeit und eine außergewöhnlich dichte Bevölkerung. Wir befanden uns jetzt bei den A-Bangba, einem Stamm, der von den Niamniam sehr verschieden war. Diese A-Bangba sollen von jenseits der breiten Grenzwildnis stammen, die die Niamniam von den Mangbattu trennt, denen sie in Tracht und Kriegsrüstung nahestehen. Zum erstenmal gewahrt man hier eine Abweichung von der Kegelgestalt der Dächer, die dem größten Teil Zentralafrikas eigen ist; hier fanden sich die ersten Horizontaldächer von mehr europäischer Art, die teils offene von Pfosten getragene Schuppen, teils viereckige Häuser mit geschlossenen, senkrechten Wänden deckten.

Die Haltung der Bevölkerung schlug in Feindseligkeit um. Bei einem der zahlreichen Weiler wurde die Karawane mit Drohungen empfangen. Pfeile kamen aus dem Hinterhalt geflogen, Sklavinnen wurden erstochen oder geraubt. Mohammed ließ dafür einen Kornspeicher niederbrennen, veranstaltete Kriegsspiele, drohte auch mit weiteren Zwangsmaßregeln. Dazwischen wurde verhandelt und wurden Schutz-und Trutzbündnisse geschlossen. Die geraubten Weiber wurden zurückgegeben. Aber später, auf dem Rückmarsch, ist es hier zu sehr ernstlichen Feindseligkeiten gekommen.

Größten Eindruck machten meine Zündhölzchen. Immer unersättlicher wurde die Neugierde, die Wunder der Schnellfeuerei zu schauen. Es war ein ganz neues Schauspiel, denn in allen Ländern, die zum Nilgebiet gehören, ebenso in den benachbarten des Uellesystems, verschaffen sich die Eingeborenen Feuer, indem sie zwei Hölzer, das eine senkrecht auf das andere gestellt, durch quirlartiges Reiben mit den Händen entzünden.

27. In die Heimat!

Inhaltsverzeichnis



Am Tage nach meiner Ankunft in Chartum konnte ich meine glücklich erfolgte Rückkehr telegraphisch melden: »Generalkonsulat Germania Alexandria angekommen 21. Juli Nachricht zu geben per Telegraph nach Berlin Akademie Braun er möge die Mutter benachrichtigen sonst nichts nötig!«

Der Generalgouverneur Djafer-Pascha empfing mich mit gewohnter Freundlichkeit und räumte mir ein leerstehendes Regierungsgebäude zur Wohnung ein. Aber die rücksichtslose Behandlung, die er meinen treuen Dienern angedeihen ließ, kränkte mich tief. Sie wurden, ohne daß man es mir gemeldet, in Eisen gelegt und unter die Galeerensträflinge gesteckt, während ich mit den drei Negern allein sitzen blieb. Sie hatten nämlich, ohne mir etwas davon zu sagen, etliche Sklaven mitgebracht, angeblich im Auftrag einiger Freunde daheim, die diese Sklaven ihren Familien zur Unterstützung in der Wirtschaft schenken wollten. Ich beschwerte mich viermal beim Pascha, ohne die Freilassung erwirken zu können; erst in der letzten Stunde gelang es mir. In Anbetracht der dreijährigen Dienste meiner Getreuen konnte ich es nicht über das Herz bringen, sie schutzlos der Willkür jener unordentlichen Regierung preiszugeben, die ich über Chartum unmittelbar nach der bald bevorstehenden Abreise des Paschas nach Ägypten hereinbrechen sah. Ich mußte die Diener bis Kairo mitnehmen, um ihnen dort Schutz und Straffreiheit zu erwirken.

Ich erklärte dem Pascha: Wenn er den Sklavenhandel unterdrücken wolle, so möge er dafür Sorge tragen, daß die jetzt gültigen Gesetze im ganzen Land in Kraft gesetzt würden und nicht bloß auf dem Fluß. Was nütze denn eine Beschlagnahme der Schiffe, während beispielsweise in einem einzigen Jahre 2700 Händler aus Kordofan nach Dar-Fertit ziehen durften und der Kommandant der ägyptischen Truppen in jenem Gebiet selbst, wie auch alle seine Offiziere, sich wie gewerbsmäßige Sklavenhändler benähmen?

Am 9. August bestieg ich von neuem eine Nilbarke, um nach Berber zu gelangen. Während ich dort Station machte, hatte ich den Verlust meines kleinen Reisegefährten aus dem Land der Zwerge zu beklagen. Schon in Chartum wurde Nsewue, der Pygmäe, von der Ruhr befallen. Nach dreiwöchentlichem Leiden starb er an völliger Entkräftung. Noch nie war mir ein Todesfall so zu Herzen gegangen, und mein eigener Zustand wurde infolge des erlittenen Kummers derart, daß ich mich kaum fähig fühlte, eine halbe Stunde ohne äußerste Ermattung auf den Beinen zu bleiben, aber die reine Wüstenluft der folgenden Strecke stärkte mich bald.

Ich hatte die beiden andern Negerknaben dazu bestimmt, den Pygmäen als Gespielen zu begleiten. Jetzt hatte ich nur noch für ihr eigenes Schicksal zu sorgen. Den ältern, einen echten Niamniam, brachte ich in Ägypten bei einem Freunde unter, während dem andern, einem Bongo, in Deutschland eine sorgfältige Erziehung zuteil wurde.

Am 10. September 1871 konnte ich die Rückreise von Berber nach Suakin auf dem vor drei Jahren begangenen Weg fortsetzen. Meine kleine Karawane legte die Strecke in vierzehn Tagemärschen zurück und erreichte ohne Unfall das Meer. Als ich von dem Gipfel des 1043 Meter hohen Attaba auf die kurze Strecke herabschaute, die mich noch von dem endlosen Blau des Meeres trennte, da bewegten mich Gefühle, wie sie nur der Wanderer kennt, der lange im Innern schwer zugänglicher Erdteile geweilt hat.

Am 26. September schiffte ich mich in Suakin ein, um nach viertägiger bequemer Meeresfahrt in Suez an Land zu steigen.

Nach einer Abwesenheit von drei Jahren und vier Monaten betrat ich am 2. November 1871 in Messina wieder europäischen Boden.


Sonderkarte, Maßstab 1 : 9.000.000

Inhaltsverzeichnis

Georg Schweinfurth.
1. Die ersten Abenteuer mit Büffel und Bienen
2. Ein weiblicher Häuptling
3. Das Land, wo Milch und Honig fließt.
4. In zweifelhafter Gesellschaft.
5. Ein seltsames Hirtenvolk.
6. Schwarze Schmiedekünstler.
7. Ein dem Untergang geweihtes Volk.
8. In einem unglücklichen Land.
9. Mohammeds Strafpredigt.
10. Tod dem Blattfresser.
11. Im Lager des Verräters.
12. Das Volk der Niamniam, der »Vielfresser«.
13. Der rätselhafte Strom.
14. Beim König der Mangbattu.
15. Der tanzende König.
16. Ein irdisches Paradies und seine Bewohner.
17. Die ersten Zwerge.
18. Der Überfall.
19. Ein luftiger Flußübergang.
20. Der unglücklichste Tag meines Lebens.
21. Zum Fürsten der Sklavenhändler.
22. Traum und Wirklichkeit.
23. Ein lustiges Völklein.
24. Der Sklavenhandel
25. Überraschende Nachrichten aus Europa.
26. Scharfe Maßregeln gegen den Menschenhandel.
27. In die Heimat!

Georg Schweinfurth.

Inhaltsverzeichnis



Vor einem halben Jahrhundert hat Georg Schweinfurth sich seinen Ehrenplatz unter den Männern erobert, die das Antlitz des dunkeln Erdteils entschleiert und in rastloser Arbeit die vielen weißen Flecken der Karte Afrikas ausgefüllt haben. Geboren am 29. Dezember 1836 in Riga, erwarb er sich seine ebenso gründliche wie umfassende naturwissenschaftliche Bildung auf den deutschen Hochschulen Heidelberg, München und Berlin. Schon als Zwanzigjähriger bereiste er Ägypten, den östlichen Sudan und die Küstenländer des Roten Meers (1863-66). Bald darauf folgte seine größte und erfolgreichste Expedition in die Äquatorialgegenden (1868-71). Ihr Verlauf und ihre Ergebnisse sollen in den folgenden Blättern geschildert werden. Gründer der Geographischen Gesellschaft in Kairo (1876), hat er dann viele Jahre in Ägypten gelebt und auf einer langen Reihe kleinerer Reisen in den Wüsten Afrikas und Arabiens, die sich bis in die neunziger Jahre ziehen, seinen Ruf als hervorragender Forscher befestigt: Seit 1889 lebt der Nestor der deutschen Afrikaforschung in Berlin.

Ägypten, das seit der Regierung Mehemed Alis (1841-48) tatsächlich, wenn auch nicht dem Namen nach, ein unabhängiger Staat war, hatte seine Herrschaft allmählich durch den Sudan nilaufwärts bis nahe an die großen Seen vorgeschoben, die sich später als die Quellbecken des geheimnissvollen Stroms erwiesen, und auch nach Westen begannen ägyptische Truppen und Beamte im Stromgebiet des Gazellenflusses, des Bahr-el-Ghasal, vorzudringen. Die Herren der spätern Provinz Bahr-el-Ghasal waren damals die Elfenbein-und Sklavenhändler von Chartum und Kordofan, fanatische Mohammedaner, die unter den verachteten heidnischen Negerstämmen der Dinka, Schilluk und andern viele Dutzende von Seriben, befestigte Niederlassungen, gründeten und von diesen aus neben Elfenbeinhandel auch schwunghaften Vieh-und Menschenraub trieben. Von dem Vernichtungskampf, den die ägyptische Regierung gegen diese Banden führte, hatte Schweinfurth nur die ersten Anfänge gesehen.

Krieg und Handel hatten natürlich auch unsere Kenntnis der obern Nilgegend erweitert, aber den Ländern westlich vom Hauptstrom des Nil, südlich von 10 Grad nördlicher Breite, waren sie wenig zugute gekommen. Vorübergehend ist der verhältnismäßig unbedeutende Bahr-el-Ghasal sogar für die wichtigste Quellader des Nil gehalten worden, und über die Wasserscheide des Nilbeckens gab es nur unsichere Vermutungen. Die eigentliche Bedeutung der Reisen Schweinfurths liegt darin, daß sie vom etwa 10. bis 3. nördlichen Breitengrad durch Gebiete gingen, die der Fuß europäischer Forscher noch kaum betreten hatte. Nur an wenigen Punkten hat sein Weg die Wege seiner Vorgänger, des Deutschen Heuglin, des Engländers Petherick, des Franzosen Poncet und der Italiener Miani und Piaggia, berührt. Er war der erste, der das westliche Quellgebiet des Nil von Norden nach Süden sowie die Länder der Wasserscheide nördlich des Äquators durchzog und jenseits den Oberlauf jenes mächtigen Stroms erreichte, der ein Dutzend Längengrade in westlicher Richtung durchströmt und sich unter dem Äquator in den Kongo und mit diesem in den Atlantischen Ozean ergießt. Er hat diesen Wasserlauf, den er unter dem Namen Uelle kennt, der aber weiter unterhalb auch die Namen Makua und Ubangi führt, damals dem System des Schari zugewiesen, der in das abflußlose Becken Zentralafrikas, den Tschadsee, mündet, und es hat weiterer Entdeckungsfahrten bedurft, bis die Zugehörigkeit des Uelle zum Kongosystem allgemein anerkannt wurde. Aber der Entdecker des Uelle ist und bleibt Schweinfurth.

Größte Verdienste hat er sich um die Völkerkunde erworben durch seine genauen Nachrichten über die fast unbekannten Negerstämme der Niamniam, der Mangbattu und der Akka, der schon im frühesten Altertum erwähnten, aber noch fast niemals von Europäern gesehenen Zwergstämme von Äquatorialafrika. Seine Rückreise vom Uelle nordwärts verlief im allgemeinen in derselben Richtung wie die Hinreise, aber zu beiden Seiten hat er viele Abstecher gemacht, deren einer ihn weit nach Westen ins damalige Dorado der Sklavenhändler führte.

Schweinfurth war in erster Linie Botaniker. Im Anschluß an eine Notiz über seine erste Reise von 1863 bemerkt er: »Der einzige Zweck, den ich unablässig verfolgte, die botanische Erforschung dieser Länder, gestaltete sich immer mehr zur Aufgabe meines Lebens.« Und dann: »Wer die harmlose Habgier des Pflanzenjägers kennt, wird begreifen, wie diese Studien, in der Zeit zwischen der ersten und der zweiten Reise, in mir nur das Verlangen nach neuer Beute wachrufen mußten; harrte doch noch der bei weitem größte Teil des Nilgebiets, die geheimnisvolle Flora seiner südlichsten Zuflüsse, der botanischen Erforschung.«

Aber wie überraschend hat sich dieser begeisterte Liebhaber der Scientia amabilis zum Entdeckungsreisenden ausgewachsen, zum vollberechtigten Vertreter der Länder-und Völkerkunde! Fast jede Seite seines Hauptwerkes »Im Herzen von Afrika«, dem die folgenden Kapitel entnommen sind und das in sechs Sprachen übersetzt wurde, verrät seine scharfe Beobachtung und anschauliche Schilderung aller möglichen Dinge, auch außerhalb des Kreises seines eigentlichen Spezialfaches. Aufs lebhafteste interessieren ihn die Sitten und Gebräuche, die Laster und guten Eigenschaften der buntscheckigen Völkermenge, die er auf dem Marsch oder bei längerem Aufenthalt kennen lernt, die Lebensgewohnheiten der verschiedenen Stämme, ihr Körperbau, ihre Bodenerzeugnisse, ihre Viehzucht, ihr Handel, ihre Wohnung, ihre Sprachen, die Anfänge des Handwerks und der Kunstfertigkeit, weiter die reiche Tierwelt vom Elefanten bis zum Insekt, die vielverschlungenen Flußnetze die Höhen-, Witterungs-und Temperaturverhältnisse, der Wechsel der meisterhaft in scharf umrissenen Zügen gezeichneten Landschaftsbilder. Dazwischen schiebt sich, ohne eine Spur von Eitelkeit vorgetragen, die Erzählung der persönlichen Erlebnisse, überwiegend realistisch, aber mit gemütlichem Humor und auch bei den widerwärtigsten Ereignissen getragen von einem unerschütterlichen Gleichmut. Dieser verließ Schweinfurth selbst dann nicht, als nahe dem Ende seiner überraschend vom Glück begünstigten Reise ein großer Teil seiner unersetzlichen Aufzeichnungen und Sammlungen vom Feuer vernichtet wurde.

Bezeichnend für sein Gefühl edler Menschlichkeit ist seine Stellung zu dem besonders früher üblichen verächtlichen Begriff »Wilden« für farbige Naturvölker. Schweinfurth hält es für unberechtigt, die schwarzhäutige Menschheit Afrikas »Wilde« zu nennen, denn sie ist im Besitz unserer sozialen Grundlagen wie Eigentum, Ehe, Arbeitsteilung, wenn diese sich auch oft nur in elementarer Gestalt zeigen. Er stimmt der von anderer Seite ausgesprochenen Anschauung bei, daß es in Afrika kaum andere »Wilde« gibt als solche, die aus Europa dorthin gelangt sind.

Die Frage liegt nahe, ob heute eine Schilderung überhaupt noch Wert und Anziehungskraft haben kann, wenn sie sich auf über fünfzig Jahre alte Beobachtungen stützt. Schweinfurth äußert sich in dem vom 1. Januar 1918 datierten Vorwort zur Jubiläumsausgabe seines Werkes »Im Herzen von Afrika« über diesen Punkt:

»Man glaube ja nicht, das die veränderten politischen Zustände in den damals neuentdeckten Ländern jetzt einen großen Teil meiner Beobachtungen jedes Interesses für die Gegenwart entkleidet hätten. Für das Bestehenbleiben vieler von mir beschriebener Zustände sprechen die Wahrnehmungen neuerer und neuester Reisender. Nach 29 Jahren fanden die Begleiter des verwegenen Marchand am Ssueh und am Gazellenfluß noch dieselben Bongo, Djur und Dinka vor, wie sie mir entgegengetreten waren; allerdings hatten sich inzwischen die europäischen Baumwollenzeuge in den Grenzländern der islamischen Welt weiter verbreitet, und die früher nackt einhergehenden Völker im Bereich des Tieflands der oberen Nilgewässer begannen sich zu umhüllen. Aber die Völker des tieferen Innern, die Niamniam und Mangbattu, bedienen sich zur Kleidung heute noch derselben selbstgewonnenen Felle und Rindenstoffe, die zu meiner Zeit üblich waren, trotz englischer, französischer oder belgischer Herrschaft, der sie jetzt unterstehen. Es fehlt bei uns nicht an Leuten, die sich der Vorstellung hingeben, alle Völker der Welt müßten jetzt der neuerungssüchtigen Schnellebigkeit unserer Zeit zum Opfer fallen; aber noch gibt es der Erdenwinkel genug, an denen die Weltgeschichte Ruhepunkte gefunden hat. An solchen sitzen noch manche Völker Afrikas, und selbst diejenigen, die in äußerlichen Dingen starkem Wandel unterlagen, haben die Eigenart ihres innern Wesens zu wahren gewußt.«

Doch nun wollen wir den Forscher über seine an Abenteuern aller Art wahrlich nicht arme Reise hören.

1. Die ersten Abenteuer mit Büffel und Bienen

Inhaltsverzeichnis



Am 18. August 1868 verließ ich Suez. Die Berliner Akademie der Wissenschaften hatte mir auf fünf Jahre die verfügbaren Mittel der Humboldt-Stiftung bewilligt und mir die Möglichkeit einer reichen Ausrüstung verschafft. Ein ägyptischer Dampfer brachte mich nach Dschidda, eine gemietete Barke nach Suakin an der Westküste des Roten Meers. Am 10. September begann der Kamelritt über das Küstengebirge. Er führte in 27 Tagen nach Berber am Nil.

Von da ging es in einer Barke nilaufwärts nach dem eigentlichen Ausgangspunkt der Reise, nach Chartum an der Vereinigung des Weißen und Blauen Nil, dem Sitz der Zentralverwaltung des ägyptischen Sudan. Am 1. November traf ich dort ein. Die Stadt sollte später durch den Untergang Gordon Paschas und als Mittelpunkt des siegreichen Mahdistenaufstands eine traurige Weltberühmtheit erlangen. Von dreizehnjähriger Barbarenherrschaft wurde sie erst 1898 durch den englisch – ägypischen Feldzug Lord Kitcheners befreit. Gestützt auf Erfahrungen und Erkundigungen, die ich bei meinem frühern Aufenthalt in Chartum gesammelt hatte, hatte ich den Plan zur wissenschaftlichen Bereisung der westlichen Quellgebiete des Nil entworfen.

Bald hatte ich erkannt, daß die ägyptische Regierung in den heidnischen Negerländern keinerlei Einfluß und Macht auszuüben vermochte, obgleich Chartumer Kaufleute dort die ausgedehntesten Besitzungen gegründet hatten, und daß ohne engen Anschluß an diese Kaufleute die Zwecke eines wissenschaftlichen Reisenden nicht gefördert werden konnten. Mein Entschluß stand daher fest, mich von den Chartumer Kaufleuten ganz ins Schlepptau nehmen zu lassen. Daß übrigens die Elfenbeinhändler aus freien Stücken sich nie dazu entschließen würden, meinem Ansinnen zu entsprechen, darüber durfte ich mich keiner Täuschungen hingeben. Ich kannte aber ihre abhängige Lage als Untertanen des Vizekönigs von Ägypten. Waren sie auch in den Negerländern unumschränkte Machthaber, so blieben sie doch auf Gnade und Ungnade den Maßnahmen einer absoluten Regierung ergeben, weil sie mit ihrem Kapital an die Hauptstadt des ägyptischen Sudan gebunden waren, und so bot sich mir ein Hebel, ihren Widerstand zu brechen.

Auf Grund dieser Erwägungen konnte ich, aufs nachdrücklichste unterstützt von dem allmächtigen Generalgouverneur Djafer-Pascha, einen sehr günstigen Vertrag mit dem Elfenbeinhändler Ghattas, einem koptischen Christen, abschließen. Unter den Chartumer Großkaufleuten war Ghattas der einzige Nichtmohammedaner; die andern wollte man nicht der Möglichkeit preisgeben, vom »Franken« – damit meinte man mich – als Räuber und Sklavenjäger verlästert zu werden. Darum war die Wahl Djafers auf den unglücklichen Ghattas gefallen. Als der Reichste von allen mußte dieser mit seinem Vermögen haften für alles Unheil, das mir im Innern widerfahren konnte. Dieselben Verpflichtungen zum Schutz legte der Generalgouverneur auch jedem der andern Chartumer Großhändler auf, die Besitzungen im Gebiet des Bahr-el-Ghasal hatten. Noch nie hatte die ägyptische Regierung mittelbar so viel für einen wissenschaftlichen Reisenden getan wie für mich.

Den Neujahrstag 1869 verbrachte ich noch in Chartum, erst am 5. Januar segelte ich auf einer mit 23 Bootsleuten und Söldnern bemannten Barke des Ghattas nilaufwärts nach Süden. Meine eigene Begleitung bestand aus sechs Nubiern, die alle bereits bei Europäern gedient hatten und mir nie Anlaß zu ernstlichen Klagen gegeben haben, zwei Sklavinnen, die das Mehl für die ganze Schiffsmannschaft zu mahlen hatten, und aus einer Respektsperson, in Gestalt meines großen europäischen Schäferhundes Arslan, der überall, wohin er kam, ängstliches Erstaunen wachrief.

Die vom Wind begünstigte Bergfahrt der Segelbarke führte meist durch einförmige Landschaft. Die flachen Ufer sind bewohnt und bebaut, zahlreiche Nilpferde und ungeheure Vogelschwärme beleben den majestätischen Strom, in dem weiter aufwärts Hunderte von Inseln liegen, die von Schilluknegern bewohnt werden.

Der 14. Januar brachte den ersten Unglückstag, den ich selbst heraufbeschworen hatte. In der Frühe war zu uns eine andere Barke gestoßen, die Leute wollten zusammen sich vergnügen und haltmachen. Wir waren aber an einer für mich sehr langweiligen Stelle, und so zwang ich sie weiterzufahren, um an einer unbewohnten kleinen Insel ans Land steigen zu können. Der Ausflug, den ich in Begleitung von zweien meiner Leute antrat, sollte verhängnisvoll werden, wenigstens für einen der beiden. Mohammed Amin, so hieß dieser, wurde an meiner Seite von einem wilden Büffel überrannt, dem ich nicht das geringste Leid zuzufügen beabsichtigte, dem aber der Unglückliche im hohen Gras gar zu nahe gekommen war. Der Büffel hielt jedenfalls sein Mittagsschläfchen und geriet durch die Störung in die äußerste Wut. Aufspringen und den Störenfried in die Lüfte wirbeln, war für ihn das Werk eines Augenblicks. Da lag er nun da, mein treuer Begleiter, über und über blutend, vor ihm mit hocherhobenem Schweif der Büffel, grunzend, in drohender Haltung, bereit, sein Opfer zu zerstampfen. Zum Glück war seine Aufmerksamkeit durch die beiden andern Männer gefesselt, die wir sprachlos vor Entsetzen dastanden. Ich hatte kein Gewehr in der Hand, mein schöner Hinterlader hing vorläufig noch am linken Horn des Büffels, Mohammed hatte ihn getragen. Mein anderer Begleiter, Soliman, der die Kugelbüchse trug, hatte gleich angelegt, aber der Hahn knackte vergebens. Mal auf mal versagte das Gewehr. Die Zeit erlaubte mir nicht, Soliman zuzurufen: »Die Sicherung ist noch vor«; es galt den Augenblick. Da griff er nach einem kleinen Handbeil, das ganz aus einem Stück Eisen bestand, und schleuderte es unverzagt dem Büffel an den Kopf auf eine Entfernung von kaum zwanzig Schritt; so wurde die Beute dem Feinde entrissen. Mit einem wilden Satz warf sich der Büffel seitwärts ins Röhricht, unter gewaltigem Rauschen der Halme dahinsausend mit der Wucht eines entgleisenden Dampfrosses, brüllend und den Boden erschütternd. Nach rechts und nach links sah man ihn unter Grunzen und Brüllen die gewaltigsten Sätze machen.


Eine aufregende Begegnung