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Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek 

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.


ISBN: 978-3-95894-043-7


© Copyright: Omnino-Verlag, Berlin / 2017

Coverabbildung: © Danussa / Shutterstock


Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der foto­me­chanischen und digitalen Wiedergabe und der Übersetzung, vor­be­halten.


Prolog



Liebe Leserin, lieber Leser,


denken Sie jetzt gerade drüber nach eine Eigentumswohnung zu kaufen? Machen Sie sich Gedanken über die ganzen finanziellen, rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen, die Sie dabei beachten müssten? Freuen Sie sich insgeheim schon darauf, ihr Geld nicht jeden Monat einem mehr oder weniger gierigen Vermieter in den Rachen werfen zu müssen und stattdessen in aller Ruhe auf ein günstiges Wohnen im Alter zuzusteuern, womöglich sogar noch Ihren Kindern etwas Handfestes hinterlassen zu können und das alles bei zur Zeit unschlagbar günstigen Zinsen? Malen Sie sich in schillernden Farben aus, wie frei Sie sich in Ihren eigenen vier Wänden fühlen werden, wie sehr diese Ihre eigene Wohnung Sie selbst repräsentieren wird.

Vielleicht sind Sie sogar schon dabei, sich Wohnungen anzusehen, den Renovierungsbedarf abzuschätzen, Ihre eigenen Umgestaltungswünsche zu Papier zu bringen, möglicherweise sind Sie sogar schon einen Schritt weiter, ist vielleicht schon der Kredit bewilligt, der Kaufvertrag aufgesetzt und schon einen Notartermin vereinbart.


Aber haben Sie auch über Ihre potenziellen neuen Nachbarn nachgedacht?

Menschen, mit denen Sie vor Ort täglich zusammen leben werden. Möglicherweise haben Sie Glück und treffen auf Menschen, die Sie mögen, die Sie sich selbst für ein gemeinsames Wohnen in einem Haus ausgesucht hätten. Vielleicht erleben Sie auch den neutralen Zustand, Nachbarn zu bekommen, die Sie o.k. finden, mit denen Sie nicht befreundet sein wollten, aber mit denen es sich Tür an Tür leben lässt. Möglicherweise aber erleben Sie auch etwas anderes, etwas, das Sie vorab nicht für möglich gehalten hätten.


Ich möchte Ihnen im Folgenden erzählen, was Sie in einer solchen Eigentümergemeinschaft erleben können, aber nicht erleben müssen. Die von mir geschilderten Ereignisse speisen sich aus Erlebtem und Berichtetem und sind natürlich nicht repräsentativ.


Verfolgen Sie also gemeinsam mit mir den Weg der Familie Manze/Siebel in ihre eigene Immobilie und durch die ersten drei Jahre in ihrer Eigentümergemeinschaft. 

Kurz zu den handelnden Personen: Bettina Manze ist 44 Jahre alt und von Beruf Pressereferentin. Ihr Lebensgefährte Jürgen Siebel ist 46 Jahre alt und Verwaltungsangestellter und ihre gemeinsame Tochter Laura wird demnächst 6 Jahre alt. 

Eigentumswohnung – nein danke?!



„Jürgen, wir müssen unbedingt umziehen.“ Bettina Manze kommt in die Wohnung gestürmt, ihre zweijährige Tochter Laura im Schlepptau. Ihr Lebensgefährte Jürgen Siebel sieht erstaunt von seinem Notebook auf. „Was ist denn passiert?“ „Stell dir vor, Laura und ich sind auf dem Rückweg vom Spielplatz über den Hof der Grundschule gegangen, weil wir uns die Kaninchen dort nochmals ansehen wollten.“ „Das klingt ja erstmal nicht kritisch.“ „Nein, nun lass mich doch mal ausreden. Wir haben mitbekommen, wie einer der Lehrer mit seiner Klasse über den Hof gegangen ist. Das hättest du sehen sollen. Die Hälfte der Schüler hat sich überhaupt nicht dafür interessiert, was der Lehrer gesagt hat. Die haben sich geschubst und mit Sand beworfen und der war völlig machtlos. Und das ist wirklich nicht das erste Mal, dass ich eine solche Szene dort mit erlebe. Ich möchte nicht, dass Laura in so einem Umfeld in den Kindergarten oder später in die Schule geht. Du weißt genau, dass sie eher der friedliebende Typ ist. Wie soll sie sich da durchsetzen und möchtest du, möchten wir, dass sie sich so durchsetzen muss. Und außerdem ...“ Bettina Manze hat sich so richtig in Rage geredet, „... ist diese Wohnung zu klein und sollte nur eine Übergangslösung sein, die jetzt nicht mehr trägt.“ „ Da sind wir uns ja einig, nun rege dich mal nicht auf. Lass uns heute Abend in Ruhe reden.“


„Also. Wir sollten zunächst mal überlegen, ob wir ein Haus oder eine Wohnung kaufen wollen.“ Bettina Manze traut ihren Ohren nicht. „Kaufen, ich will nichts kaufen, ich will eine schöne große Wohnung in einer Gegend mieten, in der wir uns alle wohlfühlen können.“ „Aber Bettina, bedenke doch mal die Kosten. Wenn wir mieten, werfen wir dem Vermieter unser schönes Geld in den Rachen und in zwanzig oder dreißig Jahren haben wir nichts in der Hand. Und wir haben dann auch nichts, was wir Laura vererben können.“ In dreißig Jahren, vererben – Bettina Manze wird es übel bei solchen Begriffen. Sie ist ein sehr freiheitsliebender Mensch und sie hasst es, sich festzulegen. Reisen mit leichtem Gepäck ist eher ihre Sache und das gilt auch für Möbel und Wohnungen. Je weniger man hat, je kürzer irgendwelche Kündigungsfristen sind, umso besser. Und jetzt über Eigentum zu diskutieren, sich auf Jahre, nein, auf Jahrzehnte festzulegen, das geht gar nicht. „Überleg doch mal, wenn einer von uns keinen Job mehr hat oder wir beide unseren Job verlieren, wer soll denn dann irgendwelche monströsen Kredite abzahlen? Bei einer Mietswohnung kannst du immer noch ausziehen und dir etwas kleineres und billigeres suchen, aber bei Eigentum?“ „Deshalb darf die Wohnung oder das Haus auch nur so teuer sein, dass wir den Kredit mit einem Einkommen oder geringeren finanziellen Mitteln abzahlen können.“ „Und was ist, wenn wir total doofe Nachbarn bekommen, man liest ja oft genug von diesen nachbarschaftlichen Streitereien, die vor Gericht oder im Grab enden.“ „Jetzt übertreibe mal nicht, wenn du zur Miete wohnst, hast du auch Nachbarn.“ „Ja, aber da kann ich ausziehen oder die ziehen aus, und dann heißt es neues Spiel, neues Glück. Bei Eigentum bleiben die einem ein Leben lang.“ Was für ein grausamer Gedanke. Bettina verweigert sich jeder weiteren Diskussion und geht ins Bett. Aber Jürgen kann sehr hartnäckig sein, wenn er etwas wirklich will und diese Eigentumsdiskussion mit entsprechendem Ergebnis will er unbedingt.

„Bettina, lass uns doch vernünftig darüber reden. Denk doch wirklich mal an Laura. Wir könnten Laura später einen bleibenden Wert hinterlassen, auf den sie bauen kann. Wir wissen nicht, ob und welchen Job sie später findet, da ist es doch eine Sicherheit für sie, Eigentum zu bekommen.“ Laura ist Bettinas Achillesferse und das weiß ihr Lebensgefährte natürlich genau. Wenn es um Lauras Wohlergehen geht, ist sie bereit, eine Menge Abstriche an ihren Lebensvorstellungen zu machen. Sie einigen sich darauf, mal zu schauen. Also nochmals die Frage Haus oder Wohnung. „Ein Haus wäre schon toll, da hätten wir einen Stellplatz für unseren schnuckeligen Campingbus, wir hätten Platz, einen eigenen Garten.“ „Und wir müssten uns um alles selbst kümmern, um Reparaturen, um den Garten, um notwendige Renovierungen.“ „Okay stimmt, aber bei einer Eigentumswohnung hätten wir die Miteigentümer und die entsprechenden Wohnungseigentümerversammlungen, von denen Martina schon solche Horrorgeschichten erzählt hat.“ Also doch erst mal den Markt sondieren. Schnell stellt sich heraus, dass das erträumte freistehende Haus mit schönem Garten in der passenden Gegend nicht bezahlbar ist und eine Doppelhaushälfte oder ein Reihenendhaus in einer Siedlung soll es nun doch nicht sein. Also zurück zur Wohnung. Ein Altbau. Definitiv mit Südbalkon, ruhig gelegen, groß genug und – das ist das schwierigste – mit einem Stellplatz für den Campingbus. Denn Jürgen will den Bus keinesfalls auf der Straße stehen haben. Sie stellen sich auf eine längere Suche ein, doch oh Wunder, schon die sechste Wohnung, die sie besichtigen, scheint in Frage zu bekommen. Jürgen sagt schon, als er das Haus sieht, „die nehmen wir“.

Und tatsächlich ist die Wohnung fast perfekt: ein schöner Altbau, groß genug, hell genug, ziemlich renovierungsbedürftig, aber mit einem wunderbaren Südbalkon. Und es gibt einen Stellplatz, der als Sondereigentum zu nutzen wäre, allerdings nur für Personenkraftwagen. Der Verkäufer verspricht, die Nachbarn zu befragen, ob sie mit dem Campingbus einverstanden wären und nach einigen Rückfragen, erklären sich die bisherigen Eigentümer bereit, dem Campingbus eine Chance zu geben.

Als die Dinge bereits so weit gediehen sind, fällt Bettina Manze auf, dass sie jetzt kaum noch eine Chance hat, nein zu sagen, sie haben eigentlich schon fast unterschrieben. Da ihr die Wohnung und auch die Gegend wirklich ausgesprochen gut gefallen und die potenziellen Nachbarn, die sie bisher kennen gelernt hat, auf sie sehr nett und kinderfreundlich wirken, überwindet sie ihre inneren Widerstände. Sie sagt ja zu der Eigentumswohnung und sie besiegeln den Kauf beim Notar.

Bevor Familie Manze/Siebel in ihre neue Wohnung einzieht und beginnt, dort heimisch zu werden, möchte ich die Gelegenheit nutzen und Ihnen ihre neuen Nachbarn vorstellen:


Name: Isabel Schön

Alter: 62

Familienstand: ledig

Beruf: pensionierte Lehrerin


Name: Inge Bauer-Forbs und Josef Reichelt

Alter: 68 und 67

Familienstand: ledig, 1 Kind, 1Enkel

Beruf: Diplom-Psychologin und Dozent


Name: Natalie, Emily und Wolfram Emmes

Alter: 52, 8 und 47

Familienstand: verheiratet, 1 Kind

Beruf: Hausfrau und Physiker


Name: Herr und Frau von Scheibel

Alter: 70 und 70 

Familienstand: verheiratet, 2 Kinder, 2 Enkel

Beruf: Unternehmer und Kunsthistorikerin


Name: Herr und Frau Schmalfuß

Alter: 66 und 68

Familienstand: verheiratet, 2 Kinder, 4 Enkel

Beruf: Unternehmer und Hausfrau


Name: Herr und Frau Morales

Alter: 71 und 69

Familienstand: verheiratet, 3 Kinder, 5 Enkel

Beruf: Professor und Verwaltungsangestellte


Name: Herr und Frau Schubert

Alter: 49 und 46

Familienstand: verheiratet

Beruf: Leitender Angestellter und Ver­wal­tungs­angestellte 


Name: Herr und Frau Hartmann

Alter: 70 und 70

Familienstand: verheiratet, 2 Kinder, 4 Enkel

Beruf: Verwaltungsangestellter und Hausfrau


Familie Manze/ Siebel erwartet also ein gutbürgerliches Umfeld – ruhig, zuverlässig, tolerant und weltoffen, da scheinen sie ja Glück gehabt zu haben mit der Wahl der Nachbarn, oder? 

Die ersten Spielgefährten



Die potenziellen Nachbarn sind nun tatsächlich zu Nachbarn geworden. Das erste, was Bettina erleichtert feststellt, ist eine ausgesprochene Kinderfreundlichkeit. Laura kann in der Wohnung rennen, toben und schreien, soviel sie will, niemand beschwert sich. Auch Krach im Treppenhaus ist kein Thema; die anderen Kinder sind ebenfalls laut und deutlich zu hören, anscheinend hat damit niemand ein Problem.

Eine der ersten, die sie näher kennen lernen, ist Frau von Scheibel, eine sehr intellektuelle Frau um die 70, die eine Tochter und eine Enkelin hat, die sehr regelmäßig zu Besuch kommen. Bettina hat manchmal das Gefühl, als hätten sie gar kein eigenes Zuhause. Frau von Scheibel empfängt sie sehr freundlich und offen und hat auch immer ein offenes Ohr für Laura. Da Laura sich mit ihrem Enkelkind gut versteht, kommt es zwangsläufig zu häufigeren Begegnungen. Immer steht für die Kinder etwas zu essen und zu trinken bereit, auch kleinere Naschereien fehlen nicht, Frau von Scheibel ist sich auch nicht zu schade, um mit den Kindern im Garten zu toben, fangen und verstecken zu spielen, eine perfekte Idylle.

Aber nur fast, denn relativ schnell bemerkt Bettina feine Risse in dieser Idylle. Einmal fällt ihre Enkelin Lina hin und weint bitterlich. Frau von Scheibel tröstet sie zwar kurz, macht ihr aber schnell klar, dass man und auch Kind wegen einer solchen Kleinigkeit nicht die Contenance verliert. Überhaupt sind Verhaltensmaßregeln etwas sehr wichtiges in der Weltsicht der Frau von Scheibel. Man bockt nicht, man isst ordentlich, man trinkt erst, wenn es einem jemand gestattet hat, man verhält sich stets so, dass man für jegliches Umfeld präsentabel ist. Hält man alle diese Regeln ein, darf man auch Kind sein. Und weinen ist ein absolutes No-go, es sei denn man ist halbtot. Eines Nachmittags erwähnt Frau von Scheibel beiläufig, dass sie das jüngste von sechs Geschwistern war und ihr Vater Leiter eines Internats, in das selbstverständlich auch alle eigenen Kinder gegangen sind und die sich selbstverständlich in genau demselben Maße an die Regeln zu halten hatten wie alle anderen Kinder. Das erhellt und erklärt einiges an der Weltsicht der Frau Doktor von Scheibel, einer promovierten Kunsthistorikerin. Auch ist nicht nur ihr Enkelkind diesen strengen Richtlinien unterworfen, ihre eigene Tochter hat sich ebenfalls danach zu verhalten. Eines Nachmittags kommt sie mit Kopfschmerzen, eher Migräne, sie ist leichenblass und Bettina tut sie wirklich leid. Nicht so ihrer Mutter. Sie verliert zwar ein Wort des Mitleids, hält ihr dann aber schnellstens einen Vortrag, was sie zu tun hat, um dieses Übel abzustellen. Eine funktionierende Mutter ist schließlich das Wichtigste, also entweder sofort eine oder mehrere Tabletten schlucken oder einen Arzt aufsuchen, der einen wieder herstellt. Anscheinend hat Frau von Scheibel auch einen Sohn, ihre Tochter erwähnt ihren Bruder einmal im Nebensatz. Zu sehen ist er nie, vielleicht ist dieses strenge Regime nicht so ganz sein Fall.

Die zweite im Bunde ist Frau Emmes. Mit ihr hat sie am meisten zu tun, ist sie doch ihre direkte Nachbarin auf demselben Stockwerk und hat eine Tochter, die nur ein Jahr älter ist als Laura. Zudem grenzen die Balkone der beiden Familien direkt aneinander und so bekommen sie zwangsläufig etliche Details aus dem Leben der jeweils anderen Familie mit. 

Frau Emmes machte stets den Eindruck, als käme sie aus einem anderen Jahrhundert. Ihre Kleidung wirkt altertümlich, in einem Film würde sie gut in die Rolle einer Sommerfrischlerin in eines der Seebäder an der Ostsee in den Anfängen des Tourismus passen. Sie ist, sobald sich auch nur ein Sonnenstrahl am Himmel zeigt, nur mit Sonnenhut anzutreffen. Lange Sommerröcke und züchtige Blusen schützen sie zuverlässig vor der Sonne. Sie erschweren ihr zwar das Fahrrad fahren, aber das lässt sie völlig unbeeindruckt. Sie legt großen Wert darauf, in einem guten bürgerlichen Umfeld zu wohnen und betont immer, wie lange sie nach der passenden Wohnung gesucht haben, um nicht irgendwo unstandesgemäß leben zu müssen. Sie hat studiert und im Anschluss mehrere Jahre in ihrem Beruf gearbeitet. Mit der Geburt ihrer Tochter hat sie ihren Beruf aufgegeben und ist ihres Mannes wegen in eine andere Stadt gezogen. Obwohl ihre Tochter inzwischen in die Kindergarten geht, ist sie nach wie vor „nur“ Hausfrau und betont ausdauernd, wie wichtig es für die Entwicklung des Kindes ist, dass die Mutter immer als Ansprechpartnerin zur Verfügung steht. Bettina hat den Eindruck, dass Frau Emmes das nicht wirklich selbst glaubt, es aber als Rechtfertigung vor sich herträgt, weil sie es aus welchen Gründen auch immer nicht schafft, sich eine neue Tätigkeit zu suchen. Dafür spricht auch, dass sie ihre intellektuelle Ader bei jeder sich bietenden Gelegenheit in den Vordergrund stellt. Sie referiert über Bücher und Zeitungsartikel – selbstverständlich aus einschlägig intellektuellen und bürgerlichen Medien. Auch ihre pädagogischen Ansichten im Allgemeinen und insbesondere zur Kindererziehung halten in die nachmittäglichen Gartenrunden Einzug. Ihre pädagogischen Überzeugungen sind tatsächlich durchdacht und fundiert, doch wenn man sie im Umgang mit ihrer Tochter beobachtet, leider nicht gelebte Realität. Ihr Verhältnis zu ihrer Tochter stellt sich eher als Unverhältnis dar. Sie nutzt jede Gelegenheit, sie loszuwerden. „Ach, sie gehen auf den Spielplatz, da können Sie doch bestimmt meine Emily mitnehmen. Ach, Sie sind doch sicherlich noch eine Weile hier im Garten, ich müsste mal eben noch einkaufen.“ Überflüssig zu erwähnen, dass sie das auch vormittags machen könnte, da Emily bis spät in den Nachmittag hinein in den Kindergarten geht. Ist sie dann einmal mit wehenden Röcken entschwunden, darf man nicht mehr allzu schnell mit ihrer Rückkehr rechnen. Nach kurzer Zeit schon ist sie dazu übergegangen, Bettina ihren Wohnungsschlüssel in die Hand zu drücken, „falls Emily mal was braucht“. Ist im Garten oder auf dem Spielplatz keiner zu entdecken, dem sie ihr Kind überhelfen kann, muss Emily mit ihrer Mutter Zuhause bleiben und auch am Wochenende muss sie sie schon im zarten Alter von drei Jahren zwischen eins und drei ihre Mittagsruhe halten lassen. Das bedeutet, wie Frau Emmes Bettina Manze stolz verkündet, dass ihre Tochter sie in diesen zwei Stunden nicht einmal ansprechen darf. Dafür reißt Emily jedes Mal, wenn Bettina und Laura Manze nur das Treppenhaus betreten, die Wohnungstür weit auf in der Hoffnung, dass hier irgendjemand kommt, der sich mit ihr unterhält oder gar mit ihr spielt.


Eine Erwähnung wert ist auch das Verhältnis zwischen Frau Emmes und Frau von Scheibel. Frau Emmes versucht in geradezu bemitleidenswerter Art und Weise, sich bei Frau von Scheibel einzuschleimen, auf hohem intellektuellem Niveau versteht sich. Bettina ist noch nie in ihrem Leben so gut über sämtliche Nachrichtenmagazine, Sachreportagen, Dossiers aus der „Zeit“ und der „FAZ“ und den neuesten Büchern auf den Bestsellerleisten informiert gewesen wie seit dem Einzug in diese geheiligten Hallen. Frau von Scheibel nimmt die eifrigen Rezensionen der Frau Emmes wohlwollend entgegen und Bettina wartet insgeheim nur auf den Tag, an dem Frau von Scheibel sagt: „Ist schon gut, Kindchen, ich habe dich ja lieb.“ Leider bleiben die Kostproben aus Frau von Scheibels Reportoire eher kurz, da meistens die Kinder kommen und irgendetwas ganz und gar nicht Intellektuelles wollen, wie zum Beispiel, dass sie mal müssen oder mussten und es schon zu spät ist. Dann sind leider die geistigen Höhenflüge schnell beendet und der profane Alltag ist wieder eingekehrt.  

Wir werden im Folgenden Zeuge der ersten Eigentümer-Versammlung der neu gegründeten Eigentümergemeinschaft. Diese findet, wie Ihre Recherchen sicherlich schon ergeben haben, mindestens einmal jährlich statt und ist das zentrale Gremium der Gemeinschaft, da dort die Eigentümer über die Verwaltung des gemeinsamen Eigentums entscheiden.




Das unerschütterliche Ringen um die Zentimeter



Einige Wochen, nachdem Familie Manze/Siebel in ihre frisch renovierte Eigentumswohnung eingezogen ist, steht auch schon die erste Eigentümerversammlung der Wohnungseigentümergemeinschaft an. Eine spannende Angelegenheit, deshalb beschließen Bettina und Jürgen gemeinsam daran teilzunehmen, Laura freut sich auf einen Verwöhnabend bei Oma und Opa.