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Meiner Familie

© 2017 Karl Leitner

3. Auflage

Herausgeber: Karl Leitner

Autorin: Maria Leitner

Umschlaggestaltung, Illustration: Birgit Dober/ Karl Leitner

Lektorat, Korrektorat: Birgit Dober

Verlag: myMorawa von Morawa Lesezirkel GmbH

ISBN: 978-3-99057-958-9 (Paperback)

ISBN: 978-3-99057-959-6 (Hardcover)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Maria Leitner

„Das war halt manchmal auch ein hartes Leben“

Erinnerungen an meine Kindheit und Jugend am Bergbauernhof

Pöllau am Greim, 2009

Inhaltsverzeichnis

KINDHEITSERINNERUNGEN

Erste eigene Erinnerungen

Großmutter

Großvater

Mein Geburtshaus

Einleger

Bettler, Hausierer und Wanderhandwerker

SCHULZEIT VOR UND WÄHREND DES ZWEITEN WELTKRIEGS

Zwischen Arbeit und Schule

Sport und Spiel

Onkel Franz

Tausch der Betriebe

Handarbeitsunterricht

Mein letztes Schuljahr

Krankenpflege

DER KRIEG GEHT ZU ENDE

Letzte Kriegswochen und Kriegsende

Kriegs- und Nachkriegswirtschaft

Dankwallfahrt und Jugendtreffen

Weiterbildung

Sanierungsarbeiten am Geburtshaus

Wirtschaftliche Absicherung und Versorgung im Alter

LANDWIRTSCHAFT UND VIEHZUCHT

Versorgung der Tiere

Tierkrankheiten

Milchwirtschaft

Nutztierhaltung am Hof

Einnahmen der Bäuerinnen

Wiesenmähen

Fruchtfolgewirtschaft

Streuarbeiten und Hiefelstecken

Obsternte und Schnapsbrennen

Laubzusammenrechen

Drescharbeiten

Ölgewinnung aus Leinsamen

Flachsverarbeitung

Wäschewaschen

Waldarbeit

Brennholzrichten

Holzkohleherstellung

FREIZEIT, FEST- UND FEIERTAGE

Kindstaufen

Firmung

Hochzeiten

Sterbefälle und Begräbnisse

Österliches Weihkorbtragen

„Geschlossene Zeiten“- Advent und Weihnachten

Feiertage

Hofrechtaufmachen

Freizeitbeschäftigungen

SOMMER AUF DER ALM

Arbeitsteilung

„Ausschrein“

Almauftrieb

Unterbringung

Die Aufgaben eines Halters

Großonkel Stefan

Stiere

Der Katastrophensommer 1954

Übernahme der Almbetreuung

BETRIEBLICHER WANDEL UND EIGENE EXISTENZGRÜNDUNG

Zukunftspläne

Stallneubau

Mithilfe im Haushalt einer Cousine

Private Weichenstellungen

Einschneidende Veränderungen und Existenzgründung

Ehe und Familie

Erinnerungen an meinen Mann

NACHWORT

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Pöllau am Greim zu meiner Schulzeit

KINDHEITSERINNERUNGEN

Erste eigene Erinnerungen

Ich bin am 8. Jänner 1927 in Pöllau am Greim 39 als erstes von fünf Geschwistern zur Welt gekommen. Die Geburtsjahre meiner zwei Schwestern waren 1928 und 1938, die meiner Brüder 1929 und 1941. Meine erste Erinnerung in meinem Leben reicht zurück, als ich zwei Jahre und acht Monate alt war, als mein Bruder Michael zur Welt kam. Ich war mit Großvater im Stall. Auf einmal sagte er, „jetzt gehen wir ins Haus hinein, es ist ein kleines Popperle gekommen.“ Da lag meine Mami im Bett und neben ihr das kleine Kindlein. Woher das Kindlein kam, darüber wurde bei uns daheim gar nicht gesprochen.

Eine Hebamme wurde damals in den seltensten Fällen geholt. Die Hebamme wohnte fünf Kilometer entfernt im Dorf drunten und musste zu Fuß auf den Berg hinauf. Es gab ja keine Straße, nur einen steilen, schmalen Karrenweg und zur Abkürzung einen steilen Fußsteig. Die Straße wurde erst nach dem Krieg gebaut. So wurde zur Geburtshilfe eine geschickte Frau aus der näheren Umgebung geholt. In diesem Fall war es die Nachbarin. Da hat man mir halt gesagt, die „Wallnermutter“ hätte das Kindlein gebracht. Meine Mutter wohnte damals noch daheim bei ihren Eltern. Meine Großeltern, die ich immer sehr schätzte und liebte, waren Bauersleute. Weil ich meine Großeltern so gern hatte, konnte ich, was meine Mutter betrifft, nie eine Eifersucht meinen jüngeren Geschwistern gegenüber empfinden.

Großmutter

Meine Großmutter war eine nicht gar so große, schlanke Frau mit viel Energie und gut bei Fuß. Auf uns Kinder redete sie immer ein: „Geht’s schea schnöll, tuat’s schea schnöll, langsamer werd’s eh, wonn’s alt werd’s.“ Ja, Großmutter habe ich viel zu verdanken, viele ihrer Ratschläge habe ich befolgt und auch dringend gebraucht.

Sie hatte zwei ledige Kinder. Der Vater vom ersten, einem Buben, ist an einer Krankheit gestorben. Der Vater vom zweiten, einem Mädchen, ist im Ersten Weltkrieg gefallen. Dann lernte sie meinen Großvater kennen, da kam halt bald wieder ein Mädchen, meine Mutter, zur Welt.

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Urgroßmutter mit Kindern beim Begräbnis ihrer jüngsten Tochter Ludmilla (Milla), Anfang 20. Jhdt. hintere Reihe: Justl, Thresl, Rosl und Liesl (v.l.n.r.) vordere Reihe: Toni, Urgroßmutter und Maria (Großmutter mütterlicherseits)

Großmutter war eine Tochter von einem gut situierten Bauernhof. Sie hatte fünf Schwestern und einen Bruder. Als ihr Bruder den Hof übernahm und heiratete, musste auch meine Großmutter in den Dienst. Warum meine Großmutter damals Großvater noch nicht heiraten konnte, ist mir nicht bekannt. Wahrscheinlich hatte auch er noch nicht übernommen gehabt und es waren noch seine Geschwister am Betrieb.

Das jüngste Kind hatte die Großmutter mit im Dienst. Das Mädchen, Katharina, blieb bei ihrer Mutter zurück und der Bub Peter kam zu den Schwiegereltern ihres Bruders. Es wird meiner Großmutter sicher nicht leicht gefallen sein, die kleinen Kinder zurückzulassen.

Dem Mädchen Katharina wird’s bei ihrer Großmutter ja nicht so schlecht gegangen sein, aber auch sie musste schon sehr jung in den Dienst. Dem Buben Peter ist es, wie er dann später erzählte, ganz und gar nicht gut gegangen. Früh musste er schon Arbeiten verrichten, denen er noch gar nicht gewachsen war. Wie ich so als Kind mitbekommen habe, hatten die beiden zu ihrer Mutter und meiner Großmutter nie eine richtige Mutterbeziehung. Obwohl sie schon ab und zu auf Besuch kamen, wurde mit Vorwürfen nicht gespart. Da ist mir dann immer mehr bewusst geworden, was es heißt, wenn Kinder nicht bei den Eltern aufwachsen können.

Natürlich haben größere Bauern solche Kinder gern genommen, waren sie doch billige Arbeitskräfte. Mit dem zur Schule gehen wurde es damals nicht so genau genommen. So mussten gerade Ziehkinder oft daheim bleiben, um bei der Arbeit mitzuhelfen. Dass diese dann mit dem Lernen nicht so mitkamen, war verständlich.

Mein Onkel Peter hat sich dann frühzeitig als Schwellenhacker und Sägearbeiter selbstständig gemacht. Aufgrund seines Geburtsjahres 1896 musste er, wie auch mein Vater, in beiden Weltkriegen einrücken.

1938 kam meine jüngere Schwester Anna zur Welt. In diesem Jahr erkrankte auch meine Großmutter an einer schweren Lungenentzündung, so schwer, dass niemand mehr an eine Genesung glaubte. Es war wie ein Wunder, sie hatte sich von dieser schweren Krankheit nochmals derfangen. Großmutter war immer dagegen, einen Arzt zu holen. Wenn sie darauf angesprochen oder dazu gedrängt wurde, sagte sie immer: „Wollt ihr mich weg haben?“ Sie meinte nur: „Fest doktern und Tee trinken“. Ob bei dieser schweren Krankheit jemals ein Arzt kam, ist mir nicht bekannt, wir Kinder waren ja in der Schule. Ich kann mich nur gut erinnern, dass bei der Pflege alle zusammen halfen. Meine Mutter hatte das Glück, dass ihre Schwiegermutter, obwohl auch schon über achtzig Jahre, doch noch ziemlich fit war. So konnte sie jeden Tag kommen, die Großmutter betreuen.

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Onkel Franz und Schwester Rosa, spätere Schwester Werenfrieda, Ende der Dreißiger-, Anfang der Vierzigerjahre

(Hintergrund: rechts Aufgang zur Zeughütte, links altes Stallgebäude)

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Meine Großeltern, meine Mutter, ich und meine Schwester Rosa, Binder Sepp und Wilhelm, ungefähr 1930

Mit der Heirat meiner Eltern im Jahr 1937 ist meine Mutter nämlich zum nahe gelegenen Anwesen meines Vaters gezogen, hat aber nur den Bruder Michael mitgenommen. Ich und meine Schwester Rosa sind bei den Großeltern und Onkel Franz geblieben. Davon wird aber später noch die Rede sein.

Auch Onkel Franz zeigte gutes Geschick im Betreuen eines kranken Menschen. Weil die Krankheit meiner Großmutter so schwer war, brauchte sie rund um die Uhr Pflege und Aufsicht. Einige Frauen aus der Nachbarschaft waren bereit, bei der Pflege zu helfen, sprachen sich ab und kamen abwechselnd. Von einer Überstellung in ein Krankenhaus wurde in so einem Fall gar nicht gesprochen, mir als Kind war davon jedenfalls nichts bekannt und meine Großmutter wäre auf keinen Fall dazu zu bewegen gewesen. Ich kann mich nur gut erinnern, dass ihr die Frauen immer wieder Butterpflaster auf die Brust gelegt haben und ein Tuch darüber. Echte, selbst erzeugte Butter wurde auf ein reines Papier in der Größe von ungefähr fünfundzwanzig mal fünfundzwanzig Zentimeter gestrichen und ein wenig Zucker draufgeschabt oder ein paar Tropfen Wacholderöl draufgetropft. Diese Pflaster wurden auf die Brust gelegt und von Zeit zu Zeit erneuert. Vom Zuschauen weiß ich, dass das Papier von den Pflastern ganz trocken war, als sie herunter genommen wurden. Dabei wurde gesprochen: „Wohl, wohl, es hat wieder alles aufgesaugt, wir können hoffen.“

Wenn Mutter zur Pflege von Großmutter kam, war auch unser Bruder Michael oft mit, der Großvater beim Tiere füttern half. Wenn es die Zeit erlaubte, blieb er zum Spielen. Wir drei spielten so gerne miteinander. Michael hatte große Freude an den Tieren und zeigte im Gegenzug weit weniger Interesse am Schuhe machen, dem Beruf meines Vaters.

Großmutter hielt viel auf Hausmittel und kannte auch zahlreiche. So schön langsam hatte sie sich von dieser schweren Krankheit erholt. Dass sie nicht mehr soviel arbeiten konnte, war zu verstehen.

Großmutter gebrauchte die Hausmittel auch für uns Kinder, wenn wir krank waren. Wenn wir Fieber hatten, mussten wir im Bett bleiben und bekamen einen Fieber- oder Lindenblütentee. Wir wurden gut zugedeckt und mussten eine Zeit lang schwitzen. Danach wurde die Bettwäsche gewechselt und nicht mehr soviel zugedeckt. Zum Bereiten von Fiebertee mischte sie Eibischblätter, Kardobenediktenkraut, Salbei und was weiß ich was noch alles. Allerdings war dieser Tee so grauslich, dass, wenn sie damit kam und ich ihn roch, es mir über dem Rücken hinunter gruselte. Da gab’s kein Pardon, er musste getrunken werden, sie blieb solang stehen, bis das Häferl leer war. Zum Wegschütten hätte man keine Chance gehabt. Wenn wir uns weigerten zu trinken, sagte sie nur: „Das Unangenehme muss man mit dem Unangenehmen vertreiben.“

Gegen den Durst gab’s Holunder- oder Preiselbeerwasser zu trinken, das war uns viel lieber. Hatten wir Halsweh, bekamen wir auf einem Stück Würfelzucker einige Tropfen Wacholderöl oder ab und zu einen Löffel Rothollersulze pur oder auch warme Preiselbeeren. Diese Hausmittel, gleich im Anfangsstadium eingesetzt, halfen rasch und sicher. Dazu packte man uns den Hals warm ein.

Alle diese Krankheiten wie Grippe, Masern, Schafblattern und Mumps machten wir Kinder ohne Arzt durch, Tabletten kannten wir überhaupt keine. Wenn’s gar arg wurde, ging jemand zum Arzt in seine Ordination, erklärte ihm genau den Krankheitsverlauf und dieser mischte eine Medizin, die löffelweise zum Einnehmen war. Ich glaube, bei Großmutters Lungenentzündung wird auch eine Medizin geholfen haben, denn vom Hausbesuch eines Arztes ist mir nichts in Erinnerung.

Hatten wir Kinder Bauchweh, was gar nicht so selten vorkam, kochte oder buk uns die Großmutter ein Kräuteromelett, eine „Kräuterstraubm“, wie sie sie nannte, und einen leichten Mischkaffee dazu. Für die Kräuterstraubm zerkleinerte sie getrockneten Majoran und Krauseminzeblätter, gab ein Ei, ein paar Löffel Milch oder Wasser, ein oder zwei Löffel Mehl, eine Prise Salz dazu, rührte dies zu einem Teigerl und buk es in einer Pfanne mit ganz wenig Butter auf beiden Seiten goldgelb. Alle anderen Speisen blieben weg, bis sich die Krankheit wieder gelegt hatte. Als Suppe kochte sie eine leichte Rahmsuppe mit Kümmel und zum Durstlöschen gab’s Tee. Kräuterstraubm haben wir sehr gern gegessen. Der Kräutergeschmack sagte uns einfach zu.

Großmutters Gesundheitszustand hatte sich so weit gebessert, dass sie es sich nicht nehmen ließ, noch im selben Jahr an einer Wallfahrt teilzunehmen, welche auch heute noch jedes Jahr, wenn auch jetzt nicht mehr zur Gänze zu Fuß, um den 13.Oktober herum durchgeführt wird.

Weil dieser Wallfahrtsort, Maria Hilf am Mühlsteinboden bei St. Lambrecht, fünf Gehstunden von zuhause entfernt liegt, musste um drei Uhr Früh weggegangen werden. Am Wallfahrtsort wurde ein Gottesdienst gefeiert, hernach ausgiebig gerastet. Jeder Teilnehmer stärkte sich mit einer selbst mitgebrachten Jause. Neben der Kirche stand zu Großmutters Zeiten nur eine einfache Holzhütte, wo der Besitzer der Kirche und des Hügels, auf dem sich die Kirche befindet, wenn’s schon kaltes Wetter war, einen warmen Tee, ansonsten etwas Kaltes zum Trinken bereithielt.

Wie bei der Wallfahrt zur Kirche hin streckenweise gebetet wurde und wird, so wurde auch die Heimreise mit einem gemeinsamen Gebet von der Kirche weg begangen. Danach erneut der fünfstündige Fußmarsch, bis man spät am Abend wieder nach Hause kam. Das war eine gewaltige Leistung meiner Großmutter, nach dieser schweren Krankheit mit vierundsechzig Jahren.

Jetzt führt ein Güterweg auf dieses wunderschöne Berglein zum Kirchlein. Auch das Gebäude ist ausgebaut, damit zu solchen Anlässen reichhaltiger ausgeschenkt werden kann. Zudem ist dieser Ort ein wunderschönes Ausflugsziel mit herrlicher Fernsicht.

Ein Jahr darauf, 1939, erkrankte Großmutter wiederum. Diesmal wurde es schlimmer. Die Füße schwollen arg an, sie bekam nach und nach Herzanfälle, der ganze Kreislauf machte nimmer so richtig mit und sie kontrollierte ihre Füße selbst. „Ich habe die Wassersucht“, hat’s damals geheißen. Sie meinte dazu, wenn man mit dem Finger auf die Geschwulst drücke und es bliebe eine Grube, dann helfe nichts mehr. So war es bei der Großmutter und deshalb war sie, und das in voller geistiger Frische, auf das Schlimmste gefasst. Bewusst traf sie so manche Anordnungen, sie wünschte sich einen Priester zum Empfang der heiligen Sakramente, Beichte, Kommunion, und Krankenölung. Bis zum Schluss war Großmutter bei vollem Bewusstsein. Am 17. Juli 1939 starb unsere geliebte Großmutter mütterlicherseits.

Mit dem Tod der Großmutter hat sich viel, viel geändert. Großvater hat den Besitz seinem Sohn, meinem Onkel Franz, übergeben. Mutters Cousine Liesl zog mit den zwei Kindern weg und so blieben Großvater und Onkel mit uns zwei Schulmädchen übrig. Ich war ein bisschen über zwölf und meine Schwester Rosa knapp elf Jahre alt. Wir wurden von nun an noch mehr in die Arbeit eingebunden. Das Schweinefüttern wurde gänzlich mir übertragen. Das Melken beherrschte unser Onkel ausgezeichnet, doch auch ich musste es schön langsam erlernen. Zum Glück wohnten meine Eltern so nahe, dass Mutter fast jeden Tag kommen, Nachschau halten und Anweisungen geben konnte bei den Hausarbeiten. Allmählich lernte sie uns das Kochen, es war aber keine Dauerlösung, wir mussten ja noch zur Schule gehen. Außerdem fiel dazumal viel mehr Arbeit an, da alles händisch getätigt werden musste. Ich denke da nur wieder an das Wäschewaschen als ein Beispiel von vielen, welch enorme Zeit und Kraft das in Anspruch nahm.

Großvater

Mein Großvater mütterlicherseits hieß Lorenz. Ein „Hurra“ war es für uns Kinder, wenn wir mit ihm auf die Alm mitgehen durften, zum Vieh nachschauen und Salz und Kraftfutter geben. Auf der Alm in der Nähe vom Vieh niedersitzen und Brot und Speck jausnen, das war ganz was Besonderes.

Unser Hauspferd hatte fast jedes Jahr ein Fohlen. Dieses wurde mitsamt dem Jungen auch auf die Alm aufgetrieben. Schon deswegen gingen wir gern mit, denn das Fohlen war unser Tierliebling. Auch an eine Kuh kann ich mich so gut erinnern, deretwegen ich bitterlich weinte, weil sie ihres Alters wegen verkauft werden musste. Ich musste nämlich schon sehr früh beim Pflügen mit den Kühen fahren, ich ging noch gar nicht in die Schule. Diese Kuh blieb immer sofort stehen, wenn ich zu Boden fiel und wartete, bis ich wieder aufstand.

Es war der 10. August, der Lorenzitag, ein heißer Sommertag. Weil mein Großvater seinen Namenstag ein wenig feiern wollte, entschloss er sich, mit uns Kindern eine Almpartie auf unseren Hausberg, den 2474 Meter hohen Greim, zu starten. Das war für uns Kinder wieder ein Freudentag. Bei dieser Gelegenheit hielt er wieder Nachschau bei unseren Rindern und Pferden, welche auch auf dieser Alm weideten. Den Aufstieg an diesem Tag habe ich nicht mehr so in Erinnerung. Erinnern kann ich mich nur mehr ganz gut daran, dass wir beim Gipfelkreuz ankamen und uns dort zum Rast machen und jausnen niedersetzten. Da brannte die Sonne so heiß hernieder, dass wir zusammenpacken mussten und bei einem großen Stein ein wenig Schatten suchten. Das ist eine Seltenheit, wenn auf einem so hohen Berg nicht das leiseste Lüftchen weht. Das habe ich kein zweites Mal erlebt in meinem langen Leben, wo ich doch so oft auf den Gipfel gewandert bin, fast jedes Jahr einmal, so lang ich konnte. Leider kann ich jetzt nur mehr mit Sehnsucht hinaufschauen.

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Lorenz Staber, mein Großvater mütterlicherseits, als Soldat im Ersten Weltkrieg

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Großvater, meine Eltern und wir Kinder, frühe Vierzigerjahre

Sogar wenn Großvater auf der Wassermühle Getreide mahlte, blieben wir Kinder nicht zurück. Dabei durften wir sogar in der Nacht mit. Geschlafen haben wir zu viert im breiten Strohbett. Das war sehr lustig.

Bei der hauseigenen Wassermühle war ein kleines Stüberl für den Müller zum Schlafen angebaut. Dies war bei allen Wassermühlen in der ganzen Umgebung so, denn das Mahlen erstreckte sich öfters im Jahr über mehrere Tage. Das waren die so genannten Mühlstüberl, die mit einem Strohbett, einem kleinen Tischchen, einem Hockerl

zum Sitzen, einem Holzstock, auf dem man zugleich sitzen und auch Holz zerkleinern konnte, ausgestattet waren. Ein kleiner Ofen zum Einheizen durfte auch nicht fehlen.

Beim Brotgetreidemahlen musste intensiv aufgepasst werden, in der Nacht genauso wie bei Tag. Es musste immer wieder aufgeschüttet werden in den „Gossen“. Damit der Müller dazwischen ein wenig schlafen konnte, wurde eine Glocke montiert. Diese fing an zu läuten, wenn der Gossen leer wurde. Dann musste neuerlich aufgeschüttet werden, so oft, bis das Mehl von der Schale heraußen war. Beim letzten Mahlvorgang war das Mehl schon sehr dunkel und wurde je nach der zur Verfügung stehenden Menge an Getreide entweder zum Backen verwendet oder sonst an die Schweine verfüttert. Auf diese Weise wurde auf der betriebseigenen Mühle nicht nur Roggen für Brot sondern auch Weizen für Weißbrot und Mehl zum Kochen vermahlen. Dazu kamen auch noch Hafer und Gerste zu Futterzwecken, für Rinder als Kraftfutter und als Zusatz zu den Erdäpfeln bei der Schweinemast.

Der eigentliche Grund, warum wir gern mitgingen, war jener: Großvater bekam eine Kanne Kaffee und Brot mit, zur Jause in der Nacht. Brot und Kaffee gab’s deswegen, weil, wie schon erwähnt, beim Brotgetreidemahlen nachts zum Nachschütten so oft aufgestanden werden musste. So um Mitternacht herum machte Großvater den Kaffee auf dem kleinen Eisenöferl, welches auch das Mühlstüberl erwärmte, heiß, brockte Brot ein und da durften wir in der Nacht mit ihm mitessen. Das war für uns etwas ganz Besonderes, denn Kaffee gab’s ja höchstens sonntags und auch da nicht immer. Obwohl damals ganz einfach gekocht wurde, wuchsen wir Kinder alle gesund auf und brauchten nie Hunger leiden. Das danke ich meinen Großeltern und Eltern, solange ich lebe.

Als Kind kam ich mit meinem Großvater auch manchmal beim alten Totengräber Pfeifenberger vorbei. Fast jedes Mal am Allerheiligentag waren wir dort. Er wohnte mit seiner Frau und den Kindern in einem ganz kleinen, alten, bescheidenen Holzhäuschen. Weil Großvater am Vormittag den Gottesdienst nicht ausließ und am Nachmittag um zwei Uhr die Gräbersegnung auch mitfeiern wollte, war es unmöglich, inzwischen heimzugehen und wieder hin. Er nahm ein Stück geselchtes Fleisch und Brot mit und ließ es bei der Frau vom Totengräber kochen. Diese richtete uns die Suppe in einer Schüssel, wie es damals Brauch war, mit dem Brot dazu. Auch zum Fleisch gab es Brot. So aßen wir dann gemeinsam und waren satt. Um in ein Gasthaus essen zu gehen, hätte das Geld nicht gereicht. Blieb danach noch Zeit, unternahm Großvater mit uns Kindern so manches. Er war immer bedacht, dass uns nicht langweilig wurde. Einmal, und das ist mir auch noch gut in Erinnerung, bat er den Messner, dass er uns in den Turm zu den Glocken steigen ließ. Und das war genau um zwölf Uhr. Da war Großvater mit uns ganz bei den Glocken beim Zwölfuhrläuten. An hohen Festtagen wurde damals zu Mittag mit allen Glocken geläutet. Das war ein Erlebnis für uns Kinder. Wir hatten ein wunderschönes Kirchengeläut, fünf Glocken mit herrlichem Klang. Wie erzählt wurde, hatte der Pfarrer, welcher dieses Geläut angeschafft hatte, in der ganzen Pfarre Edelmetalle gesammelt, diese in die Gießerei bringen lassen und er selber blieb daneben, damit es wohl sicher dazu geschmolzen wurde. Um diese Glocken haben viele Menschen bitterlich geweint, als sie im zweiten Weltkrieg heruntergenommen wurden zum Kriegführen. Hat den Nazis kein Glück gebracht, das Kriegführen mit den Kirchenglocken.

Der Totengräber Herr Pfeifenberger hat halt, wie viele andere auch, ein ziemlich karges Leben geführt. So wurde er des Öfteren gefragt, manchmal auch schon ein bisschen aus Bosheit: „Na wie geht es Dir?“ „Momentan nicht gar so gut, ist schon länger niemand gestorben.“ Um sein Einkommen ein wenig aufzubessern, hat er im Advent viele Familien mit Tannenreisig versorgt. Dieses brauchte man, um für die Weihnachtszeit, den Herrgottswinkel zu dekorieren, wo dann das Weihnachtskripperl aufgestellt wurde.

Mein Großvater war eine Zeit lang Mitglied beim Aufsichtsrat der Raiffeisenkasse. Weil wir mit Großvater immer gern mitgingen, wollten wir auch beim Kirchen gehen nicht zurückbleiben. Die Kassasitzungen fanden damals immer nach Kirchzeit statt. Der Sonntagsgottesdienst war zu jener Zeit für jedermann eine Selbstverständlichkeit. Als Ausnahmen galten Krankheit, Kochen, Krankenbetreuung, eine Geburt im Stall, Betreuung und Beaufsichtigung von kleinen Kindern und Babys. Sobald Kinder den Strapazen des weiten Kirchwegs gewachsen waren, gingen sie natürlich mit. Von meinem Heimathaus war es eine gute Stunde zur Kirche. Als Kinder waren wir im Zufußgehen schon so sehr trainiert, dass wir wegen einigen Stunden Fußmarsch gar nicht müde wurden.

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Meine Mutter als Glockenpatin bei der Glockenweihe, Ende der Vierzigerjahre

Termine und andere Verlautbarungen wurden damals einfach mündlich verkündet, so auch die Kassasitzung. Bei der Eingangstür vom damaligen Raiffeisenkassenraum befand sich eine größere Terrasse. Dort hinauf stellte sich ein Mann mit guter Stimme, in diesem Fall der Obmann oder der Geschäftsführer der Kassa. Sobald die Leute nach dem Gottesdienst von der Kirche kamen und den Marktplatz füllten, warteten alle gespannt, wenn sie auf der Terrasse einen Mann stehen sahen. So sagten die Leute zueinander: „Heute wird wieder was ausgeschrien“. Der Obmann rief laut: „Aufgepasst, heute ist Kassasitzung. Alle Mitglieder vom Vorstand und Aufsichtsrat mögen sich sogleich im Kassaraum einfinden.“ Solche und ähnliche Verlautbarungen funktionierten damals tadellos.

So, und nun blieb meinem Großvater nichts anderes übrig, als dass er mich zur Sitzung mitnahm. Zuerst setzte er mich auf seinen Schoß, dann brachte ein Mann auch für mich einen eigenen Sessel, die anderen Herren rückten ein wenig zusammen, so dass ich neben Großvater sitzen konnte. Ich weiß es nicht genau, aber ich muss wohl erst ein paar Jahre alt gewesen sein, weil ich mich überhaupt an nichts erinnern kann, was gesprochen und geredet wurde, nur daran, dass ich wohl ein ganz komisches Gefühl gehabt habe, als einziges Kind, noch dazu als weibliches, zwischen so vielen Herren zu sitzen.

Zu den Kirchtagen ging mein Großvater mütterlicherseits, so lange er konnte, ganz gerne und nahm auch uns Kinder, besonders mich, mit. Er hatte auch immer ein Sackerl Zuckerl für uns in seiner Truhe und wenn wir so halbwegs brav waren, bekamen wir davon, allerdings in bescheidener Menge. Zu den Kirchtagen gab es zusätzliche außergewöhnliche Sachen wie Schokolade, Lebzelten und, was man jetzt nirgends mehr sieht, Bockshörner (Johannisbrot), welche wir gar nicht so ungern aßen. Von denen gab es haufenweise auf den Standln. In den Geschäften bekam man damals auch Bockshornmehl zu kaufen, welches statt Mohn mit Rosinen und Weinbeeren zum Füllen von Weißbrot verwendet wurde. Es war eine Südfrucht. Man hörte aber seit dem Krieg und auch nachher nie wieder was davon. Bei den Herbstkirchtagen gab es auch damals schon die so genannten „Kästenbrater“, das waren Kastanienbrater. Da hatte ich auch einmal ein unangenehmes Erlebnis. Mein Großvater war sehr gesprächig und gesellig. Bei den Kirchtagen wurden zugleich auch die Viehmärkte abgehalten oder umgekehrt zu den Viehmärkten die vielen Standln. Doppelt hat es immer viele Menschen angezogen. Mein Großvater traf einen Cousin von ihm und unterhielt sich mit ihm längere Zeit. Wahrscheinlich hat Großvaters Cousin erkannt, dass mir langweilig wurde. Der alte Peryvater, ein gutmütiger Mensch, wollte mir etwas zukommen lassen. Er kaufte mir ein Sackerl gebratener Kastanien. Mir war schrecklich zumute, ich mochte als Kind Kastanien auf keinen Fall. Ich getraute mich aber nicht, etwas zu sagen, so ging ich mit dem Sackerl in den Händen und schaute mit Wehmut auf die Standl, wo die Sachen waren, welche mir zusagten: Schokolade, Zuckerstangerl, Schokostangerl, Schokobusserl. Kokosstangerl und Busserl hatte ich leidenschaftlich gern und was man fast auf jedem Stand sah, war ein riesiger Stock „Türkischer Honig“, so nannten sie ihn. Türkischer Honig wurde uns eigentlich nie gekauft, da er für nicht gesund gehalten wurde, eher bekamen wir echten Honig, wenn auch nur Fladenhonig, welchen wir samt dem Wachs aufs Butterbrot gestrichen bekamen. Das Wachs störte uns überhaupt nicht und hat uns auch gesundheitlich nicht geschadet. Wir aßen ihn einfach gern. Wie sich Großvater und sein Cousin wieder voneinander entfernten, jeder wieder seiner Wege ging, und Großvater sich wieder mehr mit mir befasste, brach ich in Tränen aus. Großvater verstand mich und damit ich mich beruhigte, kaufte er mir etwas anderes. Weil Großvater drauf aus war, uns Kinder alles ausprobieren und kosten zu lassen, kaufte er uns auf einem Kirchtag Met zum Kosten, allerdings nur eine ganz kleine Menge. Der hat uns sehr gut geschmeckt, er war nur ein bissl stark, hatten wir festgestellt. Des guten Geschmacks wegen hätten wir aber mehr vertragen. Um welches Produkt es sich beim Met handelte, davon hatten wir damals keine Ahnung.

Weiters gab es damals auch Standln mit verschiedenen Kleinartikeln, welche dringend gebraucht wurden, wie zum Beispiel Kämme, Haarnadeln, Haarspangerl, Zwirn zum Hand- und Maschinennähen, Nähnadeln, Maschinennadeln, Schuhbandln, Einziehgummi, breiten Strumpfbandgummi. Wir kannten bis nach dem Krieg keinen Strumpfgürtel und es gab auch keine Strumpfhosen, nur längere bis zum Knie reichende Unterhosen. Die Strümpfe mussten wir entweder unter dem Knie oder knapp ober dem Knie mit breitem Gummi festhalten.

Auch gab es Köperbandl, eigene Bandl für „Gattihosen“ (lange Männerunterhosen). Zur damaligen Zeit gab es keine Trikothosen, weder für Frauen, noch für Männer. Frauenunterhosen waren aus einfachem Baumwollstoff und für den Winter aus Flanell, für Männerunterhosen gab es einen gewissen Gradlstoff, wie er hieß, für den Sommer einen einfachen und für den Winter Barchentgradl. Statt Gummi wurde bei den Herrenunterhosen ein Bandl eingezogen, welches auf die gewünschte Weite vorne zusammengebunden wurde.

Dazu gab’s einfache Spielsachen für Kinder: Schwarzpeter-Karten, Mundharmonikas, verschiedene Pfeiferl und so manches andere, unter Umständen auch kleine Pferdchen und Püppchen. So einen Spielzeugkram, wie zur jetzigen Zeit, hat es zu dieser Zeit überhaupt nicht gegeben.

Wenn ich jetzt meine Enkerl betrachte, wenn sie trotz des vielen Fernsehens und der Unmenge an schönem Spielzeug jammern, „was sollen wir tun, was sollen wir spielen?“, da denke ich wieder gern an unsere Kinderzeit zurück. Langeweile kannte ich in meinem ganzen Leben nie. Auch wenn wir nicht so viele Schulaufgaben hatten, wie die Kinder heute, so gab’s doch genügend Beschäftigung. Zum Spielen hatte uns Großvater ein paar hölzerne Pferde mit dazugehörigen Wägelchen zugeschnitzt und schon ging es los mit dem Einführen von Futter und Heu oder dem Hin- und Herführen von Erde und Sand.

Irgendwo an der Stallmauer, womöglich ein wenig unter Dach, legten wir mit zusammengesetzten Spreißeln oder Stecken einen Stall. Darin hielten wir unsere Spieltiere. Große Fichtenzapfen waren Kühe und Ochsen, kleinere Kälber. Eine gekaufte Puppe hatten wir nie, dazu hat das Geld nicht gereicht. Doch weil ich und meine Schwester Rosa leidenschaftlich gerne Handarbeiten getätigt haben, hatten wir uns selbst auf die bescheidenste Art ein paar Püppchen zusammengebastelt. Wir suchten ein paar Rasenschöpfe mit ganz feinen Wurzeln, diese wuschen wir sauber aus. Das waren die Haare, die sich frisieren ließen und die wir auch zu Zöpfchen flechten konnten, so wie es damals Mode war. Das Gras umwickelten wir mit einem kräftigten Faden zu einem Rumpf und steckten ein paar passende Ästchen hinein, das waren die Füße. Für die Hände machten wir Stoffröllchen, die wir an den Rumpf nähten und schon ging es ans Schneidern. Wir nähten Kleidchen, Schürzchen, Bluserl, Hemdchen und Mäntelchen. Stoffrestchen gab’s damals genug, da ja Schneider, Näherin und Schuhmacher ins Haus auf die Stör kamen.

Auf die Stör kam auch der Weber, der das Hausleinen für Bett und Tischwäsche und auch für Handtücher webte. Aus dem feineren, selbst gesponnenen und handgewebten Hausleinen wurden zur damaligen Zeit einzeln sogar Hemden genäht. Weiters wurde damals auch Schafwolle händisch gesponnen zu Loden gewebt und gewalkt. Daraus nähte der Schneider, auch meistens auf Hausstör, Hosen und Joppen für Männer. Das war eine gesunde, Wasser abstoßende Kleidung zum Fuhrwerken im Winter, bei Wind, Schnee und Kälte.

Ein Vergnügen war für uns im Winter das Schlittenfahren. Gerade die klirrende Kälte war das idealste Wetter für das Schlittenfuhrwerken. Gerührt und mit Wehmut denke ich zurück an die Zeit, wo man von allen Seiten her die wunderschönen Geläute von den Pferdeschlittenfuhrwerken hörte. Jedes Pferdefuhrwerk musste mit irgendeiner Glocke versehen sein. Das hatte den Sinn, das rechtzeitige Ausweichen zu ermöglichen. Die Wege waren teilweise sehr eng und die Pferde kamen manchmal ganz schön schnell daher. So waren Kinder und ältere Leute, die auch oft schon schlechter hörten und die zu Fuß unterwegs waren, in Gefahr. Für die Pferde gab’s verschiedene Geläute, zum Beispiel Schellen, dann das sogenannte Engelsgeläute – auf einen Metallbogen waren kleine flache Glöckchen befestigt, je eines mit drei kugeligen Bimmelchen. Diese waren für bessere Ausfahrten bestimmt, für Sonntage, zum in die Stadt fahren und natürlich für Hochzeiten. Zu Hochzeiten wurde in unserer Gegend zu jener Zeit nur mit Pferden gefahren, da ja auf den Berg in unsere Gemeinde keine Straße heraufführte. Zum Holzfuhrwerken gab’s auf einen breiten Lederriemen zwei Metallglocken, die auf den Ton abgestimmt und auf dem Riemen befestigt waren. Natürlich brauchte man ein Geläut nur im Winter bei Schlittenfahrt, nicht aber im Sommer.

Onkel Franzl hatte für uns drei einen stabilen Schlitten angefertigt, mit dem wir alle drei in die Schule fahren konnten. Heimwärts war er halt zum Ziehen. Schlittschuhe hatte nur ein Bub meines Alters, das war ein Sohn vom Wirt, der hatte die Schlittschuhe von Gästen bekommen. Ein Sohn hatte Schlittschuhe bekommen. Söhne waren in dieser Familie fünf. Die anderen vier hatten das Nachsehen. Aber das war halt einmal so. Verzichten lernten wir schon vom Kleinkindalter an. Da denke ich an die Farbstifte. Wie sehr sehnte ich mich nach einer Schachtel mit zwölf Farbstiften und später nach Wasserfarben, wie sie andere Kinder hatten. Ich bekam in meiner ganzen Schulzeit nie mehr als die sechs Hauptfarben, weder bei den Stift-, noch bei den Wasserfarben. Für Bücher und Hefte, die vorgeschrieben waren, bekamen wir von daheim anstandslos das Geld dafür. „Nur nichts Unnötiges“, hat es immer geheißen. Mutter fragte sogar den Lehrer, ob mehr Farben notwendig wären. Dieser bestätigte, dass die vorhandenen reichen würden. Eigentlich war ich im späteren Leben für diese sparsame Erziehung sehr dankbar. Ich beneidete Menschen, die mehr hatten nie, ich freute mich immer über jeden Erfolg, auch über den kleinsten.

Es war im Juni 1943 bei der Heumahd. Mein Vater mähte voraus, dann mein Bruder Michael, hintendrein mähte Großvater, so wurde es meistens eingeteilt. Ich streute das Futter auseinander. Ich weiß heute die Stelle noch genau. Großvater rief nach mir und sagte: „Nimm du die Sense und mäh weiter, ich kann nimmer.“ Er ging weg und weinte. Er kämpfte mit der Luft beim Mähen. Er ging dann hauswärts und legte sich ein wenig hin. Von da an war ich auch zum Mähen eingeteilt, meine Schwester zum Anstreuen. Mit Großvaters Sense habe ich einige Sommer gemäht, solange sie brauchbar war.

Großvater bat nun meinen Vater, er möge ihm in der angrenzenden Kuhweide einige Erlen umschneiden, er tät ein wenig Erlenstreu hacken, dies würde leichter gehen als das schwere Futtermähen. Vater erfüllte ihm den Wunsch, schnitt einige Erlen nieder und richtete einen Hackbaum zurecht, auf dem Großvater die Erlenäste klein hackte zur Einstreu. Ein paar Wochen fühlte er sich glücklich bei dieser Arbeit. Weil aber Großvater beim Bergaufgehen immer öfter stehen bleiben musste, ließ Mutter den Arzt kommen. Als der Arzt mit der Untersuchung fertig war, zog er die Mutter vom Bett weg zur Seite und sagte ihr heimlich: „In der Brust hat sich Wasser angesammelt. Wenn er das Wasser im Bauch oder in den Füßen hätte, könnte ich ihm helfen, aber von der Brust krieg ich es nicht weg. Über kurz oder lang müsst ihr mit dem Schlimmsten rechnen.“ In den Vierziger- und auch in den Fünfzigerjahren gab es bei der Brustwassersucht noch keine Hilfe. Großvaters Zustand verschlechterte sich täglich, er kam nimmer aus dem Bett und starb dann schon im August 1943. Um Großvater trauerten wir alle sehr. Er war ein strenger, aber auch sehr gutmütiger Mann, der trotz seines Aufgelegtseins zu Späßen uns Kinder immer sehr ernst nahm.

Mein Geburtshaus

Bis zum Herbst 1945 hatten wir bei meinem Heimathaus eine Rauchkuchl. Zum Kochen auf der offenen Flamme waren nur Eisenpfannen und Eisenhäfen geeignet, unter Umständen auch ein kräftiger Email-Topf. Der offene Herd war seitlich aufgemauert, drüber befand sich die Heizstelle, die im Allgemeinen aus einer Stahl- oder einer geschliffenen Steinplatte bestand. Unterhalb in der Mitte war ein Hohlraum, wo das Holz griffbereit zum Nachheizen gelagert wurde. Weil bei meinem Heimathaus die Küche kein gemauertes Gewölbe hatte, war über dem Herd ein kunstvolles Mauerwerk angebracht, „Kogl“ wurde dieses genannt. Mir wurde erklärt, dass es so sehr mit Eisen verspreizt worden war, damit es nicht herunter brach. So ein Mauerwerk war notwendig wegen der Feuergefahr. Es sprangen ja doch oft Funken in die Höhe.

Abhängig davon, was gekocht wurde, wurde etwa eine Pfanne mit drei Füßen und langem Stiel über das Feuer drübergestellt. Hauptsächlich geschah das zum Milch- und Schmarrenkochen oder auch zum Butter- und Schweineschmalzauslassen. Da musste beim Heizen schon ganz gut aufgepasst werden, dass kein Brand entstand. Eine Person musste dabei beim Herde stehen bleiben. Zum Kochen von Fleisch, Erdäpfel, Kraut oder rote Rüben wurden die Häfen rundherum seitlich zum Feuer gestellt.

In der gegenüberliegenden Ecke vom offenen Herd befand sich der Kamin mit sehr weitem Rauchabzug. Wenn man abends durch den Kamin in die Höhe schaute, konnte man die Sterne sehen. Zum Rußkehren wurde kein Rauchfangkehrer benötigt. Diese Arbeit wurde von den hauseigenen Personen getätigt. Dazu wurde ein Fichtenbäumchen, welches in der Mitte eines langen Stricks befestigt wurde, von 2 Personen durch den Kamin auf- und abgezogen. Eine Person musste dazu über das Dach mittels einer Leiter auf den Kamin steigen und den Strick samt Bäumchen durch den Kamin hinuntergleiten lassen. Das Bäumchen wurde in einer Größe gewählt, dass es ein wenig schwer zum Durchziehen ging, damit es den Ruß restlos wegnahm. Oder es stieg eine Person über eine Leiter durch den Kamin und kehrte den Ruß mit einem steifen Besen herunter. Kamine waren seinerzeit mit so weiten Rauchabzügen gemauert, dass ein Einsteigen mittels einer Leiter in den Kamin möglich war. Was mich wieder an mein erstes Lesebuch aus meiner Volksschulzeit erinnert, wo der Rauchfangkehrer als schwarzrußiger Mann mit Besen und einer Leiter dargestellt war. Auch von den Innenwänden in der Küche wurde der Ruß von Zeit zu Zeit sowie beim Oster- und Weihnachtsputz mit einem steifen Birkenbesen heruntergekehrt.

An der Decke befand sich ein großes Gerüst zum Fleischaufhängen fürs Selchen. Dieses Selchen ging sehr langsam, weil nur ganz wenig kalter Rauch ganz langsam durchzog. Das Geselchte war aber sehr gut zum Essen. So war die Küche auch noch zugleich Selchkammer.

Bei Hochdruckwetter war es zum Aushalten, aber wenn die Luft niederdrückte, war es ganz schlimm, wenn es den Rauch durch den Kamin nicht in die Höhe ließ. Da mussten wir, wenn der Rauch bis zum Boden stand, die Türen öffnen, auch jene, die ins Freie ging, egal ob Sommer oder Winter. Überhaupt war die Tür ins Freie nur eine einfache und auch gar nicht dicht und noch dazu nördlich. Wenn es im Winter arg wehte, wehte es bei der Kluft unterhalb der Tür in die Küche herein. Beim Kochen ging’s ja so halbwegs, weil man ein bissel Bewegung hatte. Es stand aber auch ein Schnapsbrennofen in der Küche und wie es damals so war, war das Schnapsbrennen aus steuerlichen Gründen durchgehend Tag und Nacht vorgeschrieben.

Weil es beim Brennen nicht so stark zum Heizen war und die Nächte kälter waren als die Tage, haben die Menschen beim Schnapsbrennen in der Nacht Filzpatschen und einen dicken Mantel angezogen. Der Plafond und die Wände bis zur Hälfte herunter waren mit einer schwarzen, harten, glänzenden Rußschicht überzogen. Um ein bisschen Licht in den Raum zu bringen, haben wir die untere Hälfte der Wände, besser gesagt die Mauer, ab und zu mit einer Kalkbrühe angeweißt. In der Küche wurde nur gekocht. Gegessen und gewohnt haben wir in der großen Wohnstube. Diese war über einen Kachelofen, welcher von der Küche aus heizbar war und auch zum Brotbacken diente, gut und wohlig zu beheizen. Der Kachelofen war so angebracht, dass er durch die Mauer ins „Stübl“, wie wir sagten, durchreichte und dieses auch zugleich erwärmte. In diesem Stüberl schliefen meine Großeltern und wir Mädchen. Bruder Michael schlief bei der Mutter, im Winter in der Wohnstube und im Sommer in der Kachelstube, wie sie hieß. Es stand wohl ein Kachelofen drin, er war aber unbrauchbar.

Weil diese Stube steingemauerte Wände hatte und nicht heizbar war, wäre dort im Winter ein Schlafen unmöglich gewesen. Onkel Franzl schlief oberhalb der Wohnstube in der Kammer, die auch nicht heizbar war. Sie hatte aber Holzwände und über dem Kachelofen war ein viereckiges Loch mit ungefähr achtzehn mal achtzehn Zentimeter. Diese Kammer wurde vom Kachelofen durch das Loch erwärmt. Das war zum Schlafen angenehm warm. Wenn die Wärme vom Ofen nicht notwendig war, konnte das Loch mit einem Holzbeil verschlossen werden.

Die Tür nördlich von der Küche, welche ins Freie führte, wurde wegen dem Zugang zum Stall viel mehr benützt als die südliche. Auch das Klo war an der Außenseite vom Haus. Ein zweites Klo im Obergeschoß war am Ende vom Balkon angebracht und über diesen zugänglich. Im Hausinneren gab’s kein Klo. Ob Sommer oder Winter, zum Klogehen musste man an die frische Luft.