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Arthur Schnitzler

Therese - Illustrierte Fassung

Chronik eines Frauenlebens

Arthur Schnitzler

Therese - Illustrierte Fassung

Chronik eines Frauenlebens

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
Illustrationen: Christa Unzner
1. Auflage, ISBN 978-3-954189-71-7

null-papier.de/449

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Inhaltsverzeichnis

Vor­wort des Ver­le­gers

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Vorwort des Verlegers

Ne­ben ei­ner be­hut­sa­men Über­tra­gung des Tex­tes in die Neue Deut­sche Recht­schrei­bung habe ich es mir aber er­laubt, ei­ni­ge der ös­ter­rei­chi­schen Ei­gen­hei­ten (bspw. das herz­li­che Ver­nied­li­chen von Na­men und Sub­stan­ti­ven mit der End­sil­be „erl“) zu be­las­sen – es ist im­mer all­zu char­mant, um es an­zu­pas­sen oder zu än­dern. Und wer wäre ich schon, dem Au­tor zu wi­der­schrei­ben?

Ei­ni­ge, der nur im Ös­ter­rei­chi­schen be­kann­ten Wör­ter, fin­det der Le­ser in Fuß­no­ten er­klärt. Oder wuss­ten Sie, was ein In­qui­si­ten­spi­tal ist?

Ich hof­fe sehr, dass Sie auch die Bil­der der be­kann­ten Il­lus­tra­to­rin Chris­ta Unz­ner zu schät­zen wis­sen.

Jür­gen Schul­ze, 2017

1

Zu der Zeit, da der Oberst­leut­nant Hu­bert Fa­bia­ni nach er­folg­ter Pen­sio­nie­rung aus sei­nem letz­ten Stand­ort Wien – nicht wie die meis­ten sei­ner Be­rufs- und Schick­sals­ge­nos­sen nach Graz, son­dern – nach Salz­burg über­sie­del­te, war The­re­se eben sech­zehn Jah­re alt ge­wor­den. Es war im Früh­ling, die Fens­ter des Hau­ses, in dem die Fa­mi­lie Woh­nung nahm, sa­hen über die Dä­cher weg den bay­ri­schen Ber­gen zu; und Tag für Tag, beim Früh­stück schon, pries es der Oberst­leut­nant vor Frau und Kin­dern als einen be­son­de­ren Glücks­fall, dass es ihm in noch rüs­ti­gen Jah­ren, mit kaum sech­zig, ge­gönnt war, er­löst von Dienst­pflich­ten, dem Dunst und der Dumpf­heit der Groß­stadt ent­ron­nen, sich nach Her­zens­lust dem seit Ju­gend­ta­gen er­sehn­ten Ge­nuss der Na­tur hin­ge­ben zu dür­fen. The­re­se und manch­mal auch ih­ren um drei Jah­re äl­te­ren Bru­der Karl nahm er gern auf klei­ne Fuß­wan­de­run­gen mit; die Mut­ter blieb da­heim, mehr noch als frü­her ins Le­sen von Ro­ma­nen ver­lo­ren, um das Haus­we­sen we­nig be­küm­mert, was schon in Ko­morn, Lem­berg und Wien An­lass zu man­chem Ver­druss ge­ge­ben, und hat­te bald wie­der, man wuss­te nicht wie, zur Kaf­fee­stun­de zwei- oder drei­mal die Wo­che einen Kreis von schwat­zen­den Wei­bern um sich ver­sam­melt, Frau­en oder Wit­wen von Of­fi­zie­ren und Be­am­ten, die ihr den Klatsch der klei­nen Stadt über die Schwel­le brach­ten. Der Oberst­leut­nant, wenn er zu­fäl­lig da­heim war, zog sich dann stets in sein Zim­mer zu­rück, und beim Abendes­sen ließ er es an hä­mi­schen Be­mer­kun­gen über die Ge­sell­schaf­ten sei­ner Gat­tin nicht feh­len, die die­se mit un­kla­ren An­spie­lun­gen auf ge­wis­se ge­sel­li­ge Ver­gnü­gun­gen des Gat­ten in frü­he­rer Zeit zu er­wi­dern pfleg­te. Oft ge­sch­ah es dann, dass der Oberst­leut­nant sich stumm er­hob und die Woh­nung ver­ließ, um erst in spä­ter Nacht­stun­de mit dumpf über die Trep­pe hal­len­den Schrit­ten zu­rück­zu­keh­ren. Wenn er ge­gan­gen war, pfleg­te die Mut­ter zu den Kin­dern in dunk­ler Wei­se von den Ent­täu­schun­gen zu re­den, die zwar kei­nem Men­schen er­spart blie­ben, ins­be­son­de­re aber vom Dul­der­los der Frau­en; er­zähl­te wohl auch, bei­spiels­wei­se, man­cher­lei aus den Bü­chern, die sie eben ge­le­sen; doch all das in so ver­wor­re­ner Art, dass man glau­ben konn­te, sie men­ge den In­halt ver­schie­de­ner Ro­ma­ne durch­ein­an­der, – und The­re­se stand nicht an, eine sol­che Ver­mu­tung ge­le­gent­lich scherz­haft aus­zu­spre­chen. Dann schalt die Mut­ter sie vor­laut, wand­te sich ge­kränkt dem Soh­ne zu und strei­chel­te ihm wie zur Be­loh­nung für sein ge­dul­dig-gläu­bi­ges Zu­hö­ren Haar und Wan­gen, ohne zu be­mer­ken, wie er ver­schla­gen zu der in Un­gna­de ge­fal­le­nen Schwes­ter hin­über­b­lin­zel­te. The­re­se aber nahm ihre Hand­ar­beit wie­der vor oder setz­te sich an das im­mer ver­stimm­te Pia­ni­no, um die Stu­di­en wei­ter zu trei­ben, die sie in Lem­berg be­gon­nen und in der Groß­stadt un­ter der Lei­tung ei­ner bil­li­gen Kla­vier­leh­re­rin fort­ge­führt hat­te.

Die Spa­zier­gän­ge mit dem Va­ter nah­men noch vor Ein­bruch des Herbs­tes ein nicht ganz un­er­war­te­tes Ende. Schon ge­rau­me Zeit hin­durch hat­te The­re­se ge­merkt, dass der Va­ter die Wan­de­run­gen ei­gent­lich nur fort­setz­te, um sich und sei­ne Sehn­sucht nicht Lü­gen zu stra­fen. Stumm bei­na­he, je­den­falls ohne die Aus­ru­fe des Ent­zückens, in die die Kin­der frü­her hat­ten ein­stim­men müs­sen, wur­de der vor­ge­setz­te Weg zu­rück­ge­legt, und erst zu Hau­se, im An­ge­sicht der Gat­tin, ver­such­te der Oberst­leut­nant wie in ei­nem Fra­ge- und Ant­wort­spiel den Kin­dern die ein­zel­nen Mo­men­te des eben er­le­dig­ten Spa­zier­gangs mit ver­spä­te­ter Be­geis­te­rung zu­rück­zu­ru­fen. Aber auch das nahm bald ein Ende; der Tou­ris­ten­an­zug, den der Oberst­leut­nant seit sei­ner Pen­sio­nie­rung all­täg­lich ge­tra­gen, wur­de in den Schrank ge­hängt, und ein dunk­ler Stra­ßen­an­zug trat an sei­ne Stel­le.

Ei­nes Mor­gens aber er­schi­en Fa­bia­ni zum Früh­stück plötz­lich wie­der in Uni­form, mit so stren­gem und ab­wei­sen­dem Blick, dass so­gar die Mut­ter jede Be­mer­kung über die­se plötz­li­che Ver­än­de­rung lie­ber un­ter­ließ. We­ni­ge Tage dar­auf lang­te aus Wien eine Bü­cher­sen­dung an die Adres­se des Oberst­leut­nants, eine an­de­re aus Leip­zig folg­te, ein Salz­bur­ger An­ti­quar sand­te gleich­falls ein Pa­ket; und von nun an ver­brach­te der alte Mi­li­tär vie­le Stun­den an sei­nem Schreib­tisch, vor­erst ohne ir­gend­wen in die Na­tur sei­ner Ar­beit ein­zu­wei­hen; – bis er ei­nes Ta­ges mit ge­heim­nis­vol­ler Mie­ne The­re­se in sein Zim­mer rief und ihr aus ei­nem sorg­fäl­tig ge­schrie­be­nen, ge­ra­de­zu kal­li­gra­phier­ten Ma­nu­skript mit ein­tö­ni­ger, hel­ler Kom­man­do­stim­me eine ver­glei­chen­de stra­te­gi­sche Ab­hand­lung über die be­deu­tends­ten Schlach­ten der Neu­zeit vor­zu­le­sen be­gann. The­re­se hat­te Mühe, dem tro­ckenen und er­mü­den­den Vor­trag mit Auf­merk­sam­keit oder auch nur mit Ver­ständ­nis zu fol­gen; doch da ihr der Va­ter seit ei­ni­ger Zeit ein ste­tig wach­sen­des Mit­leid er­reg­te, ver­such­te sie, zu­hö­rend, ih­ren schläf­ri­gen Au­gen einen Schim­mer der Teil­nah­me zu ver­lei­hen, und als der Va­ter end­lich für heu­te un­ter­brach, küss­te sie ihn wie mit ge­rühr­tem Dank auf die Stirn. Noch drei Aben­de in glei­cher Art folg­ten, ehe der Oberst­leut­nant mit sei­ner Vor­le­sung zu Ende war; dann trug er per­sön­lich das Ma­nu­skript auf die Post. Von nun an ver­brach­te er sei­ne Zeit in ver­schie­de­nen Gast- und Kaf­fee­häu­sern. Er hat­te in der Stadt man­cher­lei Be­kannt­schaf­ten an­ge­knüpft, meist mit Män­nern, die die Ar­beit ih­res Le­bens hin­ter sich und ih­ren Be­ruf auf­ge­ge­ben hat­ten: pen­sio­nier­te Be­am­te, ge­we­se­ne Ad­vo­ka­ten, auch ein Schau­spie­ler war dar­un­ter, der an dem Thea­ter der Stadt alt ge­wor­den war und nun De­kla­ma­ti­ons­un­ter­richt er­teil­te, wenn es ihm ge­lang, einen Schü­ler zu fin­den. Aus dem frü­her ziem­lich ver­schlos­se­nen Oberst­leut­nant Fa­bia­ni wur­de in die­sen Wo­chen ein ge­sprä­chi­ger, ja lär­men­der Tisch­ge­nos­se, der über po­li­ti­sche und so­zia­le Zu­stän­de in ei­ner Wei­se her­zog, die man bei ei­nem ehe­ma­li­gen Of­fi­zier im­mer­hin son­der­bar fin­den durf­te. Aber da er dann wie­der ein­zu­len­ken pfleg­te, als wäre ei­gent­lich al­les nur Spaß ge­we­sen, und so­gar ein hö­he­rer Po­li­zei­be­am­ter, der zu­wei­len an der Un­ter­hal­tung teil­nahm, ver­gnügt mit­lach­te, ließ man ihn ge­wäh­ren.

2

Am Weih­nachts­abend, wie zum An­ge­bin­de, lag für den Oberst­leut­nant un­ter den an­dern, üb­ri­gens recht be­schei­de­nen Ga­ben, mit de­nen die Fa­mi­li­en­mit­glie­der sich ge­gen­sei­tig be­schenk­ten, ein wohl­ver­schnür­tes Post­pa­ket un­ter dem Baum. Es ent­hielt das Ma­nu­skript mit ei­nem ab­leh­nen­den Schrei­ben der mi­li­tä­ri­schen Zeit­schrift, an die der Ver­fas­ser es ei­ni­ge Wo­chen vor­her ab­ge­sandt hat­te. Fa­bia­ni, zorn­gerötet bis an die Haar­wur­zeln, be­schul­dig­te sei­ne Gat­tin, dass sie eine of­fen­bar schon vor ei­ni­gen Ta­gen ein­ge­lang­te Sen­dung ge­ra­de heu­te ihm wie zum Hohn un­ter den Baum ge­legt, warf ihr die von ihr ge­spen­de­te Zi­gar­ren­ta­sche vor die Füße, schlug die Türe hin­ter sich zu und ver­brach­te die Nacht, wie man spä­ter er­fuhr, in ei­nem der ver­fal­le­nen Häu­ser nahe dem Pe­ters­fried­hof bei ei­ner der Frau­ens­per­so­nen, die dort Kna­ben und Grei­sen ih­ren wel­ken Leib feil­bo­ten. Nach­dem er sich dann für Tage in sein Ka­bi­nett ver­schlos­sen, ohne an ir­gend je­man­den das Wort zu rich­ten, trat er ei­nes Nach­mit­tags ganz un­er­war­tet in Pa­ra­de­uni­form in das Zim­mer sei­ner zu­erst er­schro­cke­nen Frau, bei der eben ihre Kaf­fee­ge­sell­schaft ver­sam­melt war. Doch er über­rasch­te die an­we­sen­den Da­men durch die Lie­bens­wür­dig­keit und den Hu­mor sei­ner Un­ter­hal­tung und hät­te als vollen­de­ter Welt­mann wie in sei­ner bes­ten Zeit er­schei­nen kön­nen, wenn er sich nicht beim Ab­schied, im halb­dunklen Vor­zim­mer, ge­gen ei­ni­ge der Da­men un­be­greif­li­che Zu­dring­lich­kei­ten her­aus­ge­nom­men hät­te.

Er ver­brach­te von nun an noch mehr Zeit au­ßer Hau­se, zeig­te sich aber da­heim um­gäng­lich und harm­los; und man war dar­an, sich in sein so er­freu­lich auf­ge­hei­ter­tes We­sen auf­at­mend zu fin­den, als er ei­nes Abends die Sei­nen mit der Fra­ge über­rasch­te, was sie wohl dazu mei­nen wür­den, wenn man die lang­wei­li­ge Klein­stadt wie­der mit Wien ver­tausch­te, wor­auf er wei­te­re An­deu­tun­gen von ei­ner bald zu er­war­ten­den groß­ar­ti­gen Um­ge­stal­tung ih­rer Le­bens­ver­hält­nis­se ver­neh­men ließ. The­re­sen klopf­te das Herz so hef­tig, dass sie jetzt erst er­kann­te, wie sehr sie sich nach der Stadt zu­rück­sehn­te, in der sie die letz­ten drei Jah­re ver­lebt hat­te; ob­zwar ihr von den An­nehm­lich­kei­ten, die das Da­sein in ei­ner Groß­stadt Be­gü­ter­ten bie­tet, nur we­nig ver­gönnt ge­we­sen war. Und sie wünsch­te sich nichts Bes­se­res, als wie­der ein­mal wie da­mals plan­los in den Stra­ßen um­her­zu­spa­zie­ren und sich wo­mög­lich zu ver­ir­ren, was ihr zwei- oder drei­mal be­geg­net war und sie je­des Mal mit ei­nem be­ben­den, aber köst­li­chen Schau­er er­füllt hat­te. Noch leuch­te­ten ihre Au­gen in der Erin­ne­rung, da sah sie plötz­lich ih­res Bru­ders Blick miss­bil­li­gend von der Sei­te auf sich ge­rich­tet; – ganz mit dem glei­chen Aus­druck wie vor we­ni­gen Ta­gen, da sie zu ihm ins Zim­mer ge­tre­ten war, als er eben mit sei­nem Schul­kol­le­gen Al­fred Nüll­heim die ma­the­ma­ti­schen Auf­ga­ben durch­nahm. Und nun erst ward es ihr be­wusst, dass er im­mer so miss­bil­li­gend drein­blick­te, wenn sie selbst hei­ter schau­te und in ihre Au­gen je­nes freu­di­ge Leuch­ten kam, wie es jetzt eben wie­der ge­sche­hen war. Ihr Herz zog sich zu­sam­men. Frü­her ein­mal, als Kin­der, ja vor ei­nem Jah­re noch, wa­ren sie so vor­treff­lich zu­ein­an­der ge­stan­den, hat­ten zu­sam­men ge­scherzt und ge­lacht; – warum war dies an­ders ge­wor­den? Was hat­te sich denn er­eig­net, dass auch die Mut­ter, der sie frei­lich nie­mals be­son­ders nahe ge­we­sen, sich im­mer ver­dros­se­ner, feind­se­lig bei­na­he von ihr ab­wand­te? Un­will­kür­lich rich­te­te sie nun den Blick auf die Mut­ter hin, und der böse Aus­druck er­schreck­te sie, mit dem jene den Gat­ten an­starr­te, der eben mit dröh­nen­der Stim­me er­klär­te, dass die Tage der Ge­nug­tu­ung nicht fern sei­en und dass ein Tri­umph oh­ne­glei­chen ihm bin­nen kur­z­em be­vor­stün­de. Bö­ser noch und has­s­er­füll­ter als sonst er­schi­en The­re­sen heu­te der Mut­ter Blick, als hät­te sie dem Gat­ten noch im­mer nicht ver­zie­hen, dass er vor der Zeit pen­sio­niert wor­den war – als könn­te sie es noch im­mer nicht ver­ges­sen, dass sie vor vie­len Jah­ren auf dem el­ter­li­chen Gut in Sla­vo­ni­en als klei­ne Baro­nes­se in ei­nem ur­wald­dich­ten ei­ge­nen Park auf feu­ri­gem Pony um­her­ge­sprengt war.

Plötz­lich sah der Va­ter auf die Uhr, er­hob sich vom Tisch, sprach von ei­ner wich­ti­gen Verab­re­dung und eil­te da­von.

Er kam nicht wie­der heim in die­ser Nacht. Aus dem Wirts­haus, wo er teils un­ver­ständ­li­che, teils un­flä­ti­ge Re­den ge­gen das Kriegs­mi­nis­te­ri­um und das Kaiser­haus ge­führt hat­te, wur­de er auf die Wach­stu­be und am Mor­gen, nach ärzt­li­cher Un­ter­su­chung, in die Ir­ren­an­stalt ge­bracht. Spä­ter wur­de be­kannt, dass er kürz­lich an das Mi­nis­te­ri­um ein Ge­such um Wie­der­ein­stel­lung in den Dienst mit gleich­zei­ti­ger Er­nen­nung zum Ge­ne­ral ge­rich­tet hat­te. Da­rauf­hin war von Wien aus der Auf­trag er­gan­gen, ihn un­auf­fäl­lig be­ob­ach­ten zu las­sen, und es hät­te kaum mehr des pein­li­chen Auf­trit­tes im Wirts­haus be­durft, um sei­ne Ein­lie­fe­rung in eine An­stalt zu recht­fer­ti­gen.

3

Sei­ne Gat­tin be­such­te ihn dort vor­erst alle acht Tage. The­re­se er­hielt erst nach ei­ni­gen Wo­chen die Er­laub­nis, ihn zu se­hen. In ei­nem weit­läu­fi­gen, von ei­ner ho­hen Mau­er um­ge­be­nen Gar­ten, durch eine von ho­hen Kas­ta­ni­en be­schat­te­te Al­lee, in ei­nem ver­wit­ter­ten Of­fi­ziers­man­tel, eine Mi­li­tär­müt­ze auf dem Kopf, kam ihr ein al­ter Mann ent­ge­gen mit fast weißem, kur­z­em Voll­bart, am Arm ei­nes kä­se­blei­chen, in einen schmut­zig­gel­ben Lei­nen­an­zug ge­klei­de­ten Wär­ters. »Va­ter«, rief sie tief be­wegt und doch be­glückt, ihn end­lich wie­der­zu­se­hen. Er ging an ihr vor­bei, an­schei­nend ohne sie zu ken­nen, und mur­mel­te un­ver­ständ­li­che Wor­te vor sich hin. The­re­se blieb fas­sungs­los ste­hen, dann merk­te sie, dass der Wär­ter ih­rem Va­ter ir­gend et­was klarzu­ma­chen ver­such­te, wor­auf die­ser zu­erst den Kopf schüt­tel­te, dann aber sich um­wand­te, den Arm des Wär­ters losließ und auf sei­ne Toch­ter zu­eil­te. Er nahm sie in die Arme, hob sie vom Bo­den auf, als wäre sie noch ein klei­nes Kind, starr­te sie an, be­gann bit­ter­lich zu wei­nen, ließ sie wie­der los; end­lich, wie in bren­nen­der Scham, ver­barg er das Ge­sicht in den Hän­den und eil­te da­von, dem düs­ter-grau­en Ge­bäu­de zu, das durch die Bäu­me her­schim­mer­te. Der Wär­ter folg­te ihm lang­sam. Die Mut­ter hat­te dem gan­zen Vor­gang von ei­ner Bank aus teil­nahms­los zu­ge­se­hen. Als The­re­se wie­der auf sie zu­kam, er­hob sie sich ge­lang­weilt, wie wenn sie hier eben nur auf die Toch­ter ge­war­tet hät­te, und ver­ließ mit ihr den Park.

Sie stan­den auf der brei­ten, wei­ßen Land­stra­ße im grel­len Son­nen­schein. Vor ih­nen, an den Fel­sen mit der Fes­te Ho­hen­salz­burg ge­lehnt, in ei­ner Vier­tel­stun­de zu er­rei­chen und doch un­end­lich weit, lag die Stadt. Die Ber­ge rag­ten in den Mit­tags­dunst, ein Lei­ter­wa­gen mit schla­fen­dem Kut­scher knarr­te vor­bei, aus ei­nem Bau­ern­hof jen­seits der Fel­der sand­te ein Hund sein Ge­bell in die stum­me Welt. The­re­se wim­mer­te: »Mein Va­ter.« Die Mut­ter sah sie böse an. »Was willst du? Er selbst ist schuld dar­an.« Und schwei­gend gin­gen sie die be­sonn­te Stra­ße wei­ter, der Stadt ent­ge­gen.

Bei Tisch be­merk­te Karl: »Al­fred Nüll­heim sagt, dass sol­che Krank­hei­ten vie­le Jah­re dau­ern kön­nen. Acht, zehn, zwölf.« The­re­se riss ent­setzt die Au­gen auf, Karl ver­zog die Lip­pen und sah von ihr fort an die Wand.

4

Seit dem Herbst be­such­te The­re­se die vor­letz­te Ly­ze­al­klas­se. Sie fass­te rasch auf, Fleiß und Auf­merk­sam­keit lie­ßen zu wün­schen üb­rig. Die Ober­leh­re­rin brach­te ihr ein ge­wis­ses Miss­trau­en ent­ge­gen; ob­wohl sie in der Re­li­gi­ons­leh­re nicht schlech­ter be­schla­gen war als ihre Mit­schü­le­rin­nen und alle re­li­gi­ösen Übun­gen in Kir­che und Schu­le nach Vor­schrift mit­mach­te, stand sie im Ver­dacht, der wah­ren Fröm­mig­keit zu er­man­geln. Und als sie ei­nes Abends in Ge­sell­schaft des jun­gen Nüll­heim, dem sie zu­fäl­lig be­geg­net war, von der Leh­re­rin ge­se­hen wur­de, be­nütz­te die­se die Ge­le­gen­heit zu bos­haf­ten An­spie­lun­gen auf ge­wis­se groß­städ­ti­sche An­ge­wohn­hei­ten und Sit­ten, die sich nun auch in der Pro­vinz ein­zu­bür­gern schie­nen, wo­bei sie einen nicht miss­zu­ver­ste­hen­den Blick auf The­re­se warf. The­re­se emp­fand dies um so un­ge­rech­ter, als man von viel schlim­me­ren Din­gen, die man­cher Schul­ka­me­ra­din nach­ge­sagt wur­den, kei­ner­lei Auf­he­bens mach­te.

Der jun­ge Nüll­heim kam in­des öf­ter in das Haus Fa­bia­ni, als es für das ge­mein­sa­me Stu­di­um mit Karl not­wen­dig ge­we­sen wäre, ja, ein oder das an­de­re Mal auch, wenn Karl nicht da­heim war. Dann saß er bei The­re­sen im Zim­mer und be­wun­der­te ihre ge­schick­ten Hän­de, die far­bi­ge Blu­men auf einen grau­li­la Ka­ne­vas stick­ten, oder hör­te ihr zu, wenn sie auf dem ver­stimm­ten Pia­ni­no schlecht und recht ein Cho­pin­sches Noc­tur­no spiel­te. Ein­mal frag­te er sie, ob sie im­mer noch, wie sie ge­le­gent­lich ge­äu­ßert, Leh­re­rin zu wer­den be­ab­sich­ti­ge. Sie wuss­te nicht recht dar­auf zu ant­wor­ten. Ei­nes nur war ge­wiss, dass sie hier in die­sen Räu­men, in die­ser Stadt kei­nes­wegs mehr lan­ge woh­nen wür­de; so­bald als mög­lich woll­te, viel­mehr muss­te sie einen Be­ruf er­grei­fen; lie­ber an­ders­wo als hier. Die häus­li­chen Um­stän­de be­gan­nen sich zu­se­hends zu ver­schlech­tern, das konn­te auch für Al­fred kein Ge­heim­nis sein; doch nach wie vor – da­von sprach sie nicht – emp­fing die Mut­ter ihre Freun­din­nen oder die sie so nann­te, ein oder das an­de­re Mal fan­den sich auch Her­ren ein, und zu­wei­len dehn­ten sich die Ge­sell­schaf­ten bis in den spä­ten Abend aus. The­re­se küm­mer­te sich wohl we­nig dar­um; doch ent­frem­de­te sie sich ih­rer Mut­ter im­mer mehr. Der Bru­der aber zog sich so­wohl von ihr als auch von der Mut­ter völ­lig zu­rück; bei den Mahl­zei­ten wur­den nur die un­um­gäng­lichs­ten Wor­te ge­wech­selt, und manch­mal war es The­re­sen, als wür­de sie, ge­ra­de sie, ohne dass sie sich ei­ner Schuld be­wusst ge­we­sen wäre, in un­fass­ba­rer Wei­se für den Nie­der­gang des Hau­ses ver­ant­wort­lich ge­macht.

5

Der nächs­te Be­such in der An­stalt, vor dem The­re­se sich bei­na­he ge­fürch­tet hat­te, ließ sich an­fangs tröst­lich, ja be­ru­hi­gend für sie an. Der Va­ter plau­der­te mit ihr wie in frü­he­ren Zei­ten, harm­los, bei­na­he hei­ter, führ­te sie in den weit­läu­fi­gen Al­leen des An­staltspar­kes hin und her wie einen will­kom­me­nen Gast; und erst beim Ab­schied mach­te er alle Hoff­nun­gen The­re­sens wie­der zu­nich­te durch die Äu­ße­rung, dass er sie bei ih­rem nächs­ten Be­such vor­aus­sicht­lich schon in Ge­ne­rals­uni­form wer­de emp­fan­gen dür­fen.

Als sie tags dar­auf Al­fred Nüll­heim von ih­rem Be­such in der An­stalt be­rich­te­te, er­bot er sich, sie bei nächs­ter Ge­le­gen­heit zu dem Kran­ken zu be­glei­ten. Er be­ab­sich­tig­te, was The­re­sen be­kannt war, Me­di­zin zu stu­die­ren und sich zum Ner­ven­arzt und Psych­ia­ter aus­zu­bil­den. So tra­fen sie ein­an­der ein paar Tage spä­ter, wie zu ei­nem ge­hei­men Stell­dich­ein, au­ßer­halb der Stadt und nah­men ge­mein­sam den Weg nach der An­stalt, wo der Oberst­leut­nant Al­fred wie einen er­wünsch­ten, ja er­war­te­ten Be­such be­grüß­te. Er er­zähl­te heu­te von den Gar­ni­son­sor­ten sei­ner Ju­gend­zeit, auch von dem kroa­ti­schen Gut, wo er sei­ne Frau ken­nen­ge­lernt hat­te, von die­ser selbst aber in ei­ner Art, als wenn sie längst nicht mehr am Le­ben wäre; und dass er einen Sohn hat­te, schi­en ihm über­haupt völ­lig ent­fal­len zu sein. Al­fred wur­de auch dem or­di­nie­ren­den Arz­te vor­ge­stellt, der ihn sehr lie­bens­wür­dig, fast wie einen jun­gen Kol­le­gen be­han­del­te. Es be­rühr­te The­re­se son­der­bar, fast schmerz­lich, dass Al­fred auf dem Heim­weg von dem er­le­dig­ten Be­such ohne jede Trau­rig­keit, eher in an­ge­nehm er­reg­ter Wei­se, wie von ei­nem merk­wür­di­gen, für ihn ge­wis­ser­ma­ßen be­deu­tungs­vol­len Er­leb­nis sprach und die Trä­nen nicht merk­te, die ihr über die Wan­gen ran­nen.

6

In die­sen Ta­gen fiel es The­re­sen auf, dass ihre Mit­schü­le­rin­nen ihr ge­gen­über ein ver­än­der­tes Be­neh­men zur Schau tru­gen. Man zi­schel­te, man brach plötz­lich ein Ge­spräch ab, wenn sie in die Nähe kam, und die Leh­re­rin rich­te­te über­haupt kein Wort und kei­ne Fra­ge mehr an sie. Auf dem Nach­hau­se­we­ge von der Schu­le schloss sich kei­nes der Mäd­chen ihr an, und in den Au­gen von Kla­ra Traun­furt, der ein­zi­gen, der sie ein we­nig nä­her­ge­kom­men war, glaub­te sie et­was wie Mit­leid schim­mern zu se­hen. Durch sie er­fuhr The­re­se auch end­lich von dem Gerücht, dass die Abend­ge­sell­schaf­ten bei der Mut­ter in der letz­ten Zeit nicht mehr ganz harm­lo­ser Na­tur wä­ren, ja, es wur­de so­gar be­haup­tet, dass Frau Fa­bia­ni neu­lich zur Po­li­zei vor­ge­la­den und dort ver­warnt wor­den sei, und nun fiel es The­re­sen auch auf, dass in der Tat seit zwei oder drei Wo­chen jene Abend­ge­sell­schaf­ten zu Hau­se ein Ende ge­nom­men hat­ten.

Als sie heu­te nach Klar­as Auf­schlüs­sen mit Mut­ter und Bru­der beim Es­sen saß, merk­te sie, dass Karl sich kein ein­zi­ges Mal mit ei­ner Fra­ge oder Ant­wort an die Mut­ter wand­te; und nun ward ihr auch be­wusst, dass es schon min­des­tens eine Wo­che her nicht an­ders war. Sie at­me­te er­löst auf, als Karl sich er­hob und gleich dar­auf die Mut­ter sich in ihr Zim­mer zu­rück­zog, doch als sie nun plötz­lich al­lein an dem noch nicht ab­ge­deck­ten Ti­sche saß, auf den durchs of­fe­ne Fens­ter die Früh­lings­son­ne fiel, saß sie eine Wei­le er­starrt wie in ei­nem bö­sen Traum.

In der­sel­ben Nacht noch ge­sch­ah es ihr, dass sie durch ein Geräusch im Vor­zim­mer plötz­lich er­wach­te. Sie hör­te, wie die Türe vor­sich­tig ge­öff­net und wie­der ver­schlos­sen wur­de; und nach­her lei­se Schrit­te auf der Trep­pe. Sie er­hob sich aus dem Bett, ging zum Fens­ter und sah hin­ab. Nach we­ni­gen Mi­nu­ten wur­de das Hau­stor ge­öff­net, sie sah ein Paar her­austre­ten, einen Herrn in Uni­form mit auf­ge­stell­tem Kra­gen und eine ver­hüll­te Frau­en­ge­stalt, die bei­de rasch um die Ecke ver­schwan­den. The­re­se nahm sich vor, von ih­rer Mut­ter Auf­klä­rung zu ver­lan­gen. Aber als die Ge­le­gen­heit dazu er­schi­en, fehl­te ihr der Mut. Sie fühl­te wie­der, wie un­zu­gäng­lich und fremd ihr die Mut­ter ge­wor­den war; ja, es schi­en in der letz­ten Zeit, als wenn die al­tern­de Frau ihr schrul­len­haf­tes We­sen wie mit Ab­sicht ins Un­heim­li­che stei­ger­te; sie hat­te sich einen son­der­bar schlür­fen­den Gang an­ge­wöhnt, ru­mor­te sinn­los in der Woh­nung um­her, mur­mel­te un­ver­ständ­li­che Wor­te und sperr­te sich gleich nach dem Es­sen für Stun­den in ihr Zim­mer ein, wo sie auf große Bo­gen Pa­pier mit krat­zen­der Fe­der zu schrei­ben an­fing. The­re­se nahm zu­erst an, dass ihre Mut­ter mit dem Ent­wurf ei­ner auf jene po­li­zei­li­che Vor­la­dung be­züg­li­chen Ver­tei­di­gungs- oder An­kla­ge­schrift be­schäf­tigt sei, dann dach­te sie, ob die Mut­ter nicht viel­leicht ihre Le­bens­er­in­ne­run­gen auf­zeich­ne, von wel­cher Ab­sicht sie frü­her manch­mal ge­spro­chen hat­te; doch bald stell­te sich her­aus – Frau Fa­bia­ni er­wähn­te es ein­mal bei Ti­sche wie eine be­kann­te und ei­gent­lich selbst­ver­ständ­li­che Tat­sa­che –, dass sie dar­an sei, einen Ro­man zu ver­fas­sen. The­re­se warf un­will­kür­lich einen ver­wun­der­ten Blick zu ih­rem Bru­der hin; der sah an ihr vor­bei auf die Son­nen­krin­gel an der Wand.

7

An­fang Juli leg­ten Karl Fa­bia­ni und Al­fred Nüll­heim ihre Ma­tu­ri­täts­prü­fung1 ab. Al­fred be­stand sie als Bes­ter un­ter sei­nen Kol­le­gen, Karl mit eben ge­nü­gen­dem Er­fol­ge. Tags dar­auf trat er eine Fuß­rei­se an, nach­dem er von Mut­ter und Schwes­ter so kühl und flüch­tig Ab­schied ge­nom­men, als wenn er abends wie­der zu Hau­se sein woll­te. Al­fred, der ei­nem frü­he­ren Plan nach ihn auf der Wan­de­rung hät­te be­glei­ten sol­len, nahm eine leich­te Er­kran­kung sei­ner Mut­ter zum Vor­wand, um vor­läu­fig in der Stadt zu blei­ben. Er kam auch wei­ter­hin fast täg­lich in das Haus Fa­bia­ni, zu­erst um Bü­cher und Hef­te ab­zu­ho­len, ein nächs­tes Mal, um Er­kun­di­gun­gen über Karl ein­zu­zie­hen; und es füg­te sich, dass sich an die­se Nach­mit­tags­be­su­che an den schö­nen Som­mer­aben­den Spa­zier­gän­ge mit The­re­se an­schlos­sen, die sich im­mer län­ger aus­dehn­ten.

Ei­nes Abends auf ei­ner Bank in den An­la­gen des Mönchs­bergs sprach er wie­der ein­mal da­von, dass er im Herbst die Wie­ner Uni­ver­si­tät be­zie­hen wer­de, um Me­di­zin zu stu­die­ren, was The­re­sen frei­lich wie das meis­te, was er ihr sag­te, nicht neu war, und ge­stand ihr, was sie auch nicht über­rasch­te, dass er nur des­halb auf eine Fe­ri­al­rei­se2 ver­zich­tet habe, um die­se paar letz­ten Mo­na­te in ih­rer Nähe zu ver­brin­gen. Sie blieb un­ge­rührt, ja wur­de eher är­ger­lich, denn ihr war nicht an­ders, als ob die­ser jun­ge Mensch, die­ser Kna­be in all sei­ner Be­schei­den­heit ihr eine Art von Schuld­schein vor­zu­wei­sen sich un­ter­fing, den ein­zu­lö­sen sie we­nig Lust ver­spür­te.

Zwei Of­fi­zie­re gin­gen vor­bei, der eine war The­re­sen vom Se­hen längst be­kannt, wie die meis­ten Her­ren von den hier gar­ni­so­nie­ren­den Re­gi­men­tern; die Er­schei­nung des an­dern aber war ihr neu; es war ein glat­tra­sier­ter, dun­kel­haa­ri­ger, schlan­ker Mensch, der, was ihr be­son­ders auf­fiel, die Kap­pe in der Hand hielt.

Sei­ne Au­gen streif­ten The­re­se ganz flüch­tig, aber als Nüll­heim und der an­de­re Of­fi­zier ein­an­der grüß­ten, grüß­te auch er, und zwar, da er bar­haupt war, nur durch ein leb­haf­tes Nei­gen sei­nes Kop­fes, und rich­te­te einen leb­haf­ten, bei­na­he la­chen­den Blick auf The­re­se. Doch er wand­te sich nicht nach ihr um, wie sie ei­gent­lich er­war­tet hät­te, und ver­schwand mit sei­nem Beglei­ter bald in ei­ner Bie­gung der Al­lee. Die Un­ter­hal­tung zwi­schen The­re­se und Al­fred woll­te nicht wie­der in Fluss ge­ra­ten, bei­de er­ho­ben sich und gin­gen lang­sam in der Däm­me­rung nach ab­wärts.


  1. Rei­fe­prü­fung nach ei­ner hö­he­ren Schul­aus­bil­dung  <<<

  2. Fe­ri­en­rei­se  <<<

8

Karls Heim­kehr wur­de für An­fang Au­gust er­war­tet; statt sei­ner aber kam ein Brief, dass er nach Salz­burg nicht mehr zu­rück­zu­keh­ren ge­den­ke und den ihm mo­nat­lich zu­ge­si­cher­ten klei­nen Be­trag von jetzt an nach Wien zu sen­den bit­te, wo es ihm be­reits ge­lun­gen sei, sich durch ein Zei­tungs­in­se­rat eine Lek­ti­on bei ei­nem Mit­tel­schü­ler zu ver­schaf­fen. Eine bei­läu­fi­ge Fra­ge nach dem Be­fin­den des Va­ters und Grü­ße an Mut­ter und Schwes­ter be­schlos­sen den Brief, in dem nicht das lei­ses­te Be­dau­ern über eine doch wahr­schein­lich end­gül­ti­ge Tren­nung mit­zu­zit­tern schi­en. Der Mut­ter mach­te In­halt und Ton des Briefs kei­nen son­der­li­chen Ein­druck; The­re­se aber, so kühl auch ihre Be­zie­hun­gen zu dem Bru­der sich all­mäh­lich ge­stal­tet hat­ten, kam sich nun zu ih­rer ei­ge­nen Ver­wun­de­rung völ­lig ver­las­sen vor. Sie nahm es Al­fred übel, dass er nicht der Mensch war, ihr über die­ses Ge­fühl des Al­lein­seins weg­zu­hel­fen, und sei­ne Schüch­tern­heit be­gann ihr et­was lä­cher­lich zu er­schei­nen. Als er aber ein­mal auf ei­nem Spa­zier­gang au­ßer­halb der Stadt ih­ren Arm nahm und ihn lei­se drück­te, mach­te sie sich mit über­trie­be­ner Hef­tig­keit von ihm los und ver­hielt sich noch beim Ab­schied­neh­men am Hau­stor kalt und ab­wei­send ge­gen ihn.

Ei­nes Ta­ges mach­te die Mut­ter ihr den Vor­wurf, dass sie sich über­haupt nicht mehr um sie be­küm­me­re und nur mehr für Herrn Al­fred Nüll­heim Zeit zu ha­ben schei­ne. In der­sel­ben Stun­de noch schloss sich The­re­se ih­rer Mut­ter zu ei­nem Spa­zier­gang durch die Stadt an, bei wel­cher Ge­le­gen­heit sie mer­ken konn­te, dass Frau Fa­bia­ni von zwei Da­men, die frü­her im Hau­se ver­kehrt hat­ten, nicht ge­grüßt wur­de. Eine Pro­me­na­de tags dar­auf führ­te sie wei­ter hin­aus bis au­ßer­halb der Stadt; jen­seits des Fel­sen­tors kam ih­nen ein äl­te­rer Herr mit grau­em Schnurr­bart ent­ge­gen, der an­schei­nend an ih­nen vor­bei­ge­hen woll­te; plötz­lich aber blieb er ste­hen und be­merk­te in ei­ner et­was af­fek­tiert klin­gen­den Spra­che: »Frau Oberst­leut­nant Fa­bia­ni, wenn ich nicht irre?« – Frau Fa­bia­ni sprach ihn als Graf an, stell­te ihm ihre Toch­ter vor; er er­kun­dig­te sich nach dem Be­fin­den des Herrn Oberst­leut­nants und er­zähl­te un­ge­fragt von sei­nen bei­den Söh­nen, die, nach dem kürz­lich er­folg­ten Tod sei­ner Frau, in ei­nem fran­zö­si­schen Kon­vikt er­zo­gen wur­den. Als er sich ver­ab­schie­det hat­te, be­merk­te Frau Fa­bia­ni: »Graf Benk­heim, der frü­he­re Be­zirks­haupt­mann.1 Hast du ihn denn nicht er­kannt?« The­re­se wand­te sich un­will­kür­lich nach ihm um. Sei­ne Ha­ger­keit fiel ihr auf, der ele­gan­te, et­was zu hel­le An­zug, den er trug, so­wie der ju­gend­lich ra­sche, ab­sicht­lich fe­dern­de Schritt, mit dem er sich ra­scher ent­fern­te, als er her­an­ge­kom­men war.


  1. obers­te Ver­wal­tungs­be­am­te ei­ner Be­zirks­haupt­mann­schaft  <<<

9

Am Tag nach die­ser Be­geg­nung er­war­te­te The­re­se da­heim Al­fred Nüll­heim, der ihr Bü­cher brin­gen und sie zu ei­nem Spa­zier­gang ab­ho­len soll­te. Es war ihr ei­gent­lich läs­tig; lie­ber wäre sie al­lein spa­zie­ren ge­gan­gen, trotz­dem sie in der letz­ten Zeit öf­ters von Her­ren ver­folgt und et­li­che Male auch schon an­ge­spro­chen wor­den war. Wie im­mer zu die­ser Jah­res­zeit, gab es vie­le Frem­de in der Stadt. The­re­se hat­te seit je­her einen of­fe­nen, neu­gie­ri­gen Blick für al­les, was nach Vor­nehm­heit und Ele­ganz aus­sah; als Zwölf­jäh­ri­ge schon in Lem­berg hat­te sie für einen hüb­schen jun­gen Erz­her­zog ge­schwärmt, der im Re­gi­ment des Va­ters als Leut­nant diente, und sie be­dau­er­te manch­mal, dass Al­fred, der doch aus wohl­ha­ben­dem Hau­se war, trotz sei­ner gu­ten Fi­gur und sei­nes fei­nen Ge­sichts sich gar nicht nach der Mode, ja ge­ra­de­zu klein­städ­tisch zu klei­den pfleg­te. Die Mut­ter trat ins Zim­mer, äu­ßer­te ihre Ver­wun­de­rung, dass The­re­se bei dem schö­nen Wet­ter noch zu Hau­se sei, und fing wie bei­läu­fig vom Gra­fen Benk­heim zu spre­chen an, den sie heu­te zu­fäl­lig wie­der ge­trof­fen hat­te. Er in­ter­es­sie­re sich für die kriegs­wis­sen­schaft­li­che Biblio­thek des Va­ters, die er ge­le­gent­lich be­sich­ti­gen wol­le, um sie viel­leicht käuf­lich zu er­wer­ben. »Das ist nicht wahr«, sag­te The­re­se, und ohne Gruß ver­ließ sie das Zim­mer. Sie nahm Hut und Ja­cke, lief die Trep­pe hin­ab. Im Haus­flur be­geg­ne­te ihr Al­fred. »End­lich«, rief sie. Er ent­schul­dig­te sich; er war zu Hau­se auf­ge­hal­ten wor­den. Schon däm­mer­te es. Was ihr denn wäre, frag­te Al­fred, sie sehe so er­regt aus. »Nichts«, er­wi­der­te sie. Üb­ri­gens habe sie ihm einen ko­mi­schen Ein­fall an­zu­ver­trau­en. Wie wär’s, wenn sie heu­te zu­sam­men in ei­nem der großen, schö­nen Ho­tel­gär­ten zu Abend es­sen wür­den? Er und sie ganz al­lein un­ter lau­ter frem­den Leu­ten? Er er­rö­te­te. Oh, wie gern, wie gern; aber – lei­der – ge­ra­de heu­te sei es voll­kom­men un­mög­lich. Er habe näm­lich kein Geld bei sich; je­den­falls zu we­nig für ein ge­mein­sa­mes Sou­per in ei­nem der vor­neh­men Ho­tels, an die sie den­ke. Sie lä­chel­te, sie sah ihn an. Er war noch tiefer er­rö­tet und rühr­te sie ein we­nig. – »Das nächs­te Mal«, be­merk­te er schüch­tern. Sie nick­te. Dann gin­gen sie wei­ter durch die Stra­ßen, bald wa­ren sie au­ßer­halb der Stadt und nah­men ih­ren Lieb­lings­weg durch die Fel­der. Der Abend war schwül, die Stadt wich im­mer wei­ter hin­ter ih­nen zu­rück, ster­nen­los hing über ih­nen der däm­mern­de Him­mel. Sie wan­del­ten zwi­schen hoch­ste­hen­den Ähren; Al­fred hielt The­re­sens Hand ge­fasst und frag­te nach Karl. Sie zuck­te die Ach­seln. »Er schreibt bei­na­he nie«, er­wi­der­te sie. »Ich habe über­haupt noch nichts von ihm ge­hört«, sag­te Al­fred, »seit er fort ist.« Dann kam er wie­der auf sei­ne ei­ge­ne, bald be­vor­ste­hen­de Abrei­se zu re­den. The­re­se schwieg und sah an ihm vor­bei. Ob sie ihm we­nigs­tens nach Wien schrei­ben wer­de?

»Was soll­te ich Ih­nen schrei­ben?«, er­wi­der­te sie un­ge­dul­dig. »Was gibt es von hier zu er­zäh­len? Ein Tag wird sein wie der an­de­re.« – »Auch jetzt ist ein Tag wie der an­de­re«, er­wi­der­te er, »und man hat sich doch im­mer was zu er­zäh­len. Aber ich will auch zu­frie­den sein, wenn Sie mir nur manch­mal einen Gruß sen­den.«

Aus dem wo­gen­den Feld wa­ren sie wie­der auf die Stra­ße hin­aus­ge­tre­ten. Die Pap­peln rag­ten hoch; als dunkle Wand in scharf ge­zo­ge­nen Li­ni­en schloss der Nonn­berg mit sei­nen düs­te­ren Fes­tungs­mau­ern das Bild ab. »Sie wer­den Heim­weh ha­ben«, sag­te The­re­se plötz­lich mild. – »Nur nach dir«, ant­wor­te­te er. Es war das ers­te Du, das er an sie rich­te­te, und sie war ihm dank­bar da­für. »Wa­rum ei­gent­lich bleibst du mit der Mut­ter in Salz­burg? Was hält euch hier?« – »Was zieht uns an­ders­wo hin?« – »Es wäre am Ende auch mög­lich, dei­nen Va­ter in eine an­de­re An­stalt zu über­füh­ren – in der Nähe von Wien.« – »Nein, nein«, ent­geg­ne­te sie hef­tig. – »Du hat­test ja die Ab­sicht – du sprachst von ei­nem Be­ruf, ei­ner Stel­lung –« – »Das geht nicht so rasch. Ich habe noch eine Ly­ze­al­klas­se vor mir, auch müss­te ich wohl eine Leh­re­rin­nen­prü­fung ma­chen.« Sie schüt­tel­te hef­tig den Kopf, denn es war ihr, als sei sie an den Ort, an die Ge­gend ge­heim­nis­voll ge­fes­selt. Und ru­hi­ger füg­te sie hin­zu: »Du bist doch zu Weih­nach­ten je­den­falls wie­der hier, schon we­gen dei­ner Fa­mi­lie?« – »Bis da­hin ist es lang, The­re­se.« – »Du wirst gar kei­ne Zeit ha­ben, an mich zu den­ken. Du hast ja zu stu­die­ren. Du wirst neue Men­schen ken­nen­ler­nen, auch Frau­en, Mäd­chen.« Sie lä­chel­te, sie fühl­te kei­ne Ei­fer­sucht, sie fühl­te nichts.

Plötz­lich sag­te er: »In we­ni­ger als sechs Jah­ren bin ich Dok­tor. Willst du so lan­ge auf mich war­ten?« – Sie sah ihn an. Sie ver­stand ihn an­fangs nicht, dann aber muss­te sie wie­der lä­cheln, dies­mal ge­rührt. Um wie viel äl­ter er­schi­en sie sich doch als er. Sie wuss­te schon in die­sem Au­gen­blick, dass sie bei­de nur Kin­de­rei­en re­de­ten und dass aus der Sa­che nie­mals et­was wer­den könn­te. Aber sie nahm sei­ne Hand und strei­chel­te sie zärt­lich. Als sie spä­ter vor ih­rem Hau­stor von ihm Ab­schied nahm, im Dun­kel, er­wi­der­te sie lan­ge, lei­den­schaft­lich bei­na­he, mit ge­schlos­se­nen Au­gen sei­nen Kuss.

10

Abend für Abend wan­del­ten sie nun drau­ßen vor der Stadt auf we­nig be­gan­ge­nen Feld­we­gen und plau­der­ten von ei­ner Zu­kunft, an die The­re­se nicht glaub­te. Tags­über da­heim stick­te sie, bil­de­te sich wei­ter im Fran­zö­si­schen aus, übte Kla­vier, las in dem und je­nem Buch, die meis­ten Stun­den aber ver­brach­te sie träg, bei­na­he ge­dan­ken­los, und sah zum Fens­ter hin­aus. So sehn­süch­tig sie den Abend und Al­freds Er­schei­nen er­war­te­te: – meist schon nach der ers­ten Vier­tel­stun­de ih­res Bei­sam­men­seins ver­spür­te sie Re­gun­gen der Lan­ge­wei­le. Und als er wie­der ein­mal auf ei­nem Spa­zier­gang von sei­ner im­mer nä­her her­an­rücken­den Abrei­se sprach, merk­te sie mit lei­sem Schreck, dass sie die­sen Tag eher her­bei­wünsch­te. Er fühl­te, dass der Ge­dan­ke ei­ner bal­di­gen Tren­nung sie nicht be­son­ders schmerz­lich be­rühr­te, gab ihr sei­ne Emp­fin­dung zu ver­ste­hen, sie er­wi­der­te aus­wei­chend, un­ge­dul­dig; der ers­te klei­ne Streit hob zwi­schen ih­nen an, stumm schrit­ten sie auf dem Heim­weg ne­ben­ein­an­der her und schie­den ohne Kuss.

In ih­rem Zim­mer war ihr öd und schwer ums Herz. Sie saß im Dun­kel auf ih­rem Bett und sah durchs of­fe­ne Fens­ter in die schwü­le, schwar­ze Nacht hin­aus. Dort drü­ben, nicht weit, un­ter dem glei­chen Him­mel, wuss­te sie das trau­ri­ge Ge­bäu­de, wo ihr wahn­sin­ni­ger Va­ter sei­nem viel­leicht noch fer­nen Ende ent­ge­gen­siech­te. Im Ne­ben­zim­mer, ihr frem­der von Tag zu Tag, mit ru­he­lo­ser Fe­der, auch ei­nem Wahn an­heim­ge­fal­len, wach­te die Mut­ter in den grau­en Mor­gen. Kei­ne Freun­din such­te The­re­se auf, auch Kla­ra längst nicht mehr; und Al­fred war ihr nichts, we­ni­ger als nichts, denn er wuss­te nichts von ihr. Er war edel, er war rein, und sie spür­te dun­kel, dass sie es nicht war, nicht ein­mal sein woll­te. Sie ver­spot­te­te ihn in­ner­lich, dass er sich ihr ge­gen­über nicht ge­wand­ter und ver­we­ge­ner an­stell­te, und wuss­te doch, dass sie sich kei­nen Ver­such sol­cher Art hät­te ge­fal­len las­sen. Sie dach­te an­de­rer jun­ger Leu­te, die ihr flüch­tig oder gar nur vom Se­hen be­kannt wa­ren, und ge­stand sich ein, dass ihr man­cher von die­sen bes­ser ge­fiel als Al­fred, ja, dass sie sich son­der­ba­rer­wei­se man­chem so­gar ver­trau­ter, nä­her, ver­wand­ter fühl­te als ihm; und so ward sie sich be­wusst, dass zu­wei­len ein Blick, rasch auf der Stra­ße ge­wech­selt, zwei Men­schen ver­schie­de­nen Ge­schlechts en­ger an­ein­an­der zu knüp­fen ver­moch­te als ein stun­den­lan­ges, in­ni­ges, von Zu­kunfts­ge­dan­ken durch­web­tes Zu­sam­men­sein. Mit ei­nem an­ge­neh­men Schau­er er­in­ner­te sie sich des jun­gen Of­fi­ziers, der an ei­nem Som­mer­abend in den An­la­gen des Mönchs­bergs mit ei­nem Ka­me­ra­den, die Kap­pe in der Hand, an ihr vor­bei­ge­gan­gen war. Sei­ne Au­gen wa­ren den ih­ren be­geg­net und hat­ten auf­ge­glüht, er war wei­ter­ge­gan­gen und hat­te sich nicht ein­mal nach ihr um­ge­wandt; – und doch war ihr in die­sem Au­gen­blick, als wüss­te der mehr, viel mehr von ihr, als Al­fred wuss­te, der sich mit ihr ver­lobt glaub­te, sie vie­le Male ge­küsst hat­te und mit gan­zer See­le an ihr hing. Hier war ir­gend et­was nicht in Ord­nung, das fühl­te sie. Aber ihre Schuld war es nicht.

11

Am nächs­ten Mor­gen kam ein Brief von Al­fred. Er habe die Nacht über kein Auge zu­ge­tan; sie möge ihm ver­zei­hen, wenn er sie ges­tern ge­kränkt, eine Wol­ke auf ih­rer Stirn ver­düs­te­re ihm den hei­ters­ten Tag. Vier Sei­ten lang ging es in die­sem Tone fort. Sie lä­chel­te, war et­was ge­rührt, drück­te den Brief wie me­cha­nisch an die Lip­pen, ließ ihn dann halb ab­sicht­lich, halb zu­fäl­lig aus der Hand auf ihr Näh­tisch­chen glei­ten. Sie war froh, dass sie nicht ver­pflich­tet war, ihn zu be­ant­wor­ten; – heu­te abend traf man ein­an­der ja oh­ne­hin am ge­wohn­ten Orte des Stell­dich­eins.

Ge­gen Mit­tag trat ihre Mut­ter zu ihr ins Zim­mer mit süß­li­chem Lä­cheln: der Graf Benk­heim sei hier und habe eben die Biblio­thek des Va­ters zum zwei­ten Mal – von ei­nem ers­ten Be­such hat­te die Mut­ter nichts er­wähnt – ein­ge­hen­der Be­sich­ti­gung un­ter­zo­gen. Er sei be­reit, sie zu ei­nem sehr an­stän­di­gen Preis zu er­wer­ben, und habe sich herz­lich nach dem Be­fin­den des Va­ters, üb­ri­gens auch nach The­re­sen er­kun­digt. Als The­re­se mit ge­press­ten Lip­pen stumm sit­zen blieb und wei­ter­stick­te, trat die Mut­ter nä­her an sie her­an und flüs­ter­te: »Komm – wir sind ihm Dank schul­dig, auch du. Es wäre eine Un­höf­lich­keit. Ich ver­lan­ge es von dir.« The­re­se er­hob sich und trat mit ih­rer Mut­ter ins Ne­ben­zim­mer, wo der Graf eben im Be­grif­fe war, einen großen il­lus­trier­ten Ok­tav­band, der ne­ben an­de­ren auf dem Ti­sche lag, zu durch­blät­tern. Er er­hob sich so­fort und äu­ßer­te sei­ne Freu­de, The­re­se wie­der ein­mal gu­ten Tag sa­gen zu dür­fen. Im Lau­fe ei­ner höf­li­chen und durch­aus un­ver­fäng­li­chen Un­ter­hal­tung frag­te er die Da­men, ob sie nicht viel­leicht ge­le­gent­lich sei­nen Wa­gen zu ei­nem Be­such in der An­stalt beim Herrn Oberst­leut­nant be­nüt­zen woll­ten; auch zu ei­ner Spa­zier­fahrt nach Hell­brunn oder wo im­mer hin stel­le er ihn ger­ne zur Ver­fü­gung; doch schweif­te er gleich wie­der ab, als er in The­re­sens Mie­nen Be­frem­den und Wi­der­stand ge­wahr­te, und ent­fern­te sich bald mit der Be­mer­kung, dass er nach ei­ner kur­z­en, aber un­auf­schieb­ba­ren Rei­se gleich wie­der sei­ne Auf­war­tung ma­chen wer­de, um die Biblio­theksan­ge­le­gen­heit in Ord­nung zu brin­gen. Zum Ab­schied küss­te er so­wohl der Mut­ter als der Toch­ter die Hand.

Als sich die Türe hin­ter ihm ge­schlos­sen hat­te, war zu­erst ein dump­fes Schwei­gen; The­re­se schick­te sich an, wort­los das Zim­mer zu ver­las­sen, da hör­te sie die Stim­me ih­rer Mut­ter hin­ter sich: »Du hät­test wohl et­was freund­li­cher sein kön­nen.« The­re­se wand­te sich von der Türe her um: »Ich war es viel zu sehr«, und woll­te ge­hen. Nun be­gann die Mut­ter ganz un­ver­mit­telt, als hät­te sich seit Ta­gen oder Wo­chen der Groll in ihr ge­staut, mit bö­sen Wor­ten The­re­se we­gen ih­res un­ma­nier­li­chen, ja fre­chen Be­neh­mens mit Vor­wür­fen zu über­häu­fen. Ob der Graf nicht min­des­tens ein so fei­ner Herr sei wie der jun­ge Nüll­heim, mit dem das Fräu­lein Toch­ter über­all in Stadt und Um­ge­bung und zu je­der Ta­ges- und Nacht­zeit zu se­hen sei? Ob es nicht hun­dert­mal an­stän­di­ger sei, sich ei­nem so­li­den, ge­setz­ten, vor­neh­men Herrn ge­gen­über mit ei­ni­ger Zu­vor­kom­men­heit zu be­neh­men, als sich ei­nem Stu­dio­sus an den Hals zu wer­fen, der mit ihr doch nur sei­nen Spaß trei­be? Und im­mer un­zwei­deu­ti­ger, mit scho­nungs­lo­sen Wor­ten, gab sie der Toch­ter zu ver­ste­hen, wel­ches Wan­dels sie sie schon längst ver­däch­ti­ge, und ohne Scham sprach sie aus, was sie dar­um um so mehr von ihr zu er­war­ten und zu for­dern sich für be­rech­tigt hal­te. »Denkst du, es geht so fort? Wir hun­gern, The­re­se. Bist du so ver­liebt, dass du es nicht merkst? Und der Graf wür­de für dich sor­gen, – für uns alle, für den Va­ter auch. Und nie­mand müss­te es wis­sen, nicht ein­mal dein jun­ger Herr Nüll­heim.« Sie hat­te sich nä­her an die Toch­ter ge­drängt, The­re­se spür­te ih­ren Atem im Ge­sicht, mach­te sich los, eil­te zur Türe. Die Mut­ter rief ihr nach: »Blei­be, das Es­sen ist fer­tig.« »Ich brau­che kei­nes, da wir doch hun­gern«, höhn­te The­re­se und ver­ließ das Haus.

Es war Mit­tags­zeit, die Stra­ßen fast men­schen­leer. Wo­hin? frag­te sich The­re­se. Zu Al­fred, der im Hau­se sei­ner El­tern wohn­te? Ach, der war nicht Manns ge­nug, sich ih­rer an­zu­neh­men, sie zu be­schüt­zen vor Ge­fahr und Schan­de. Und die Mut­ter, die sich ein­bil­de­te, er sei ihr Ge­lieb­ter! Es war zum La­chen, wahr­haf­tig. Wo­hin also? Hät­te sie nur Geld ge­nug ge­habt, sie wäre ein­fach zum Bahn­hof ge­lau­fen, da­von­ge­reist wo im­mer hin, am liebs­ten gleich nach Wien. Dort gab es Ge­le­gen­heit ge­nug, sich auf an­stän­di­ge Wei­se durch­zu­brin­gen, auch wenn man nicht die letz­te Ly­ze­al­klas­se ge­macht hat. Die Schwes­ter ei­ner Schul­ka­me­ra­din zum Bei­spiel war neu­lich sech­zehn­jäh­rig als Kin­der­fräu­lein bei ei­nem Hof- und Ge­richts­ad­vo­ka­ten in Wien in Stel­lung ge­tre­ten, und es ging ihr vor­treff­lich. Man müss­te sich die Sa­che nur an­ge­le­gen sein las­sen. War es denn nicht längst ihr Plan ge­we­sen? Un­ver­züg­lich kauf­te sie eine Wie­ner Zei­tung, ließ sich auf ei­ner be­schat­te­ten Bank des Mi­ra­bell­gar­tens nie­der und las die klei­nen An­zei­gen. Sie fand man­che An­ge­bo­te, die für ihre Zwe­cke in Be­tracht ka­men. Je­mand such­te eine Bon­ne zu ei­nem fünf­jäh­ri­gen Mäd­chen, ein an­de­rer eine zu zwei Kna­ben, ein drit­ter zu ei­nem geis­tig et­was zu­rück­ge­blie­be­nen Mäd­chen, in dem einen Hau­se wur­de et­was Kennt­nis des Fran­zö­si­schen, in ei­nem an­de­ren Fer­tig­keit in Hand­ar­bei­ten, in ei­nem drit­ten An­fangs­grün­de des Kla­vier­spiels ge­wünscht. Mit all dem konn­te sie die­nen. Man war nicht ver­lo­ren, Gott sei Dank, und bei der nächs­ten Ge­le­gen­heit wür­de sie ein­fach ihre Sa­chen pa­cken und da­von­fah­ren. Vi­el­leicht lie­ße es sich so­gar so ein­rich­ten, dass sie zu­gleich mit Al­fred nach Wien reis­te. Sie lä­chel­te vor sich hin. Ihm vor­her gar nichts sa­gen und ein­fach in den glei­chen Zug ein­stei­gen – ins sel­be Coupé, wäre das nicht lus­tig?! Aber da er­tapp­te sie sich auch schon bei dem Ge­dan­ken, dass sie ei­gent­lich lie­ber al­lein, ja, lie­ber so­gar mit ir­gend­wem an­dern die­se Rei­se un­ter­neh­men wür­de, mit ei­nem Un­be­kann­ten, mit dem ele­gan­ten Frem­den zum Bei­spiel – es war wohl ein Ita­lie­ner oder Fran­zo­se – der ihr frü­her auf der Salzach­brücke so un­ver­schämt ins Ge­sicht ge­st­arrt hat­te. Und, zer­streut wei­ter­blät­ternd, las sie in der Zei­tung von ei­nem Feu­er­werk im Pra­ter, von ei­nem Ei­sen­bahn­zu­sam­men­stoß, von ei­nem Un­fall in den Ber­gen, und plötz­lich kam sie auf eine Über­schrift, die sie fes­sel­te: Mord­ver­such am Ge­lieb­ten. Da war die Ge­schich­te von ei­ner le­di­gen Mut­ter er­zählt, die den treu­lo­sen Ge­lieb­ten an­ge­schos­sen und schwer ver­letzt hat­te. Ma­ria Meit­ner, so hieß das arme Ge­schöpf. Ja, auch der­glei­chen konn­te ei­nem pas­sie­ren … Nein, ihr nicht. Kei­ner, die klug war. Man muss­te kei­nen Lieb­ha­ber neh­men, man muss­te kein Kind ha­ben, man muss­te über­haupt nicht leicht­sin­nig sein und vor al­lem: man durf­te kei­nem Man­ne trau­en.

12

Lang­sam ging sie nach Hau­se, sie war ru­hig, und in ih­rem Her­zen kein Zorn ge­gen die Mut­ter mehr. Das kar­ge Mit­ta­ges­sen war warm ge­hal­ten wor­den, die Mut­ter stell­te es ihr wort­los auf den Tisch und lang­te nach der Zei­tung, die The­re­se auf den Tisch ge­legt hat­te. Sie such­te nach der Ro­man­fort­set­zung und las mit gie­ri­gen Au­gen. The­re­se nahm nach dem Es­sen ihre Sti­cke­rei zur Hand, setz­te sich ans Fens­ter und dach­te an das Fräu­lein Ma­ria Meit­ner, das nun im Ge­fäng­nis saß. Ob sie wohl El­tern ge­habt hat­te? Ob sie eine Ver­sto­ße­ne war? Ob sie am Ende auch an­de­re Män­ner in der Tie­fe ih­res Her­zens lie­ber ge­habt hat­te als ih­ren Ge­lieb­ten? Und warum hat­te sie ein Kind be­kom­men? Es gab ja so vie­le Frau­en, die ihr Le­ben ge­nos­sen und kei­ne Kin­der be­ka­men. Al­ler­lei fiel ihr ein, was sie im Lauf der letz­ten zwei oder drei Jah­re in der Re­si­denz und hier von Schul­kol­le­gin­nen er­fah­ren hat­te. Der In­halt so man­chen un­an­stän­di­gen Ge­sprächs, wie sie der­glei­chen Un­ter­hal­tun­gen zu nen­nen pfleg­ten, wur­de in ihr le­ben­dig, und ein plötz­li­cher Wi­der­wil­le stieg in ihr auf ge­gen al­les, was mit der­glei­chen Din­gen zu­sam­men­hing. Sie er­in­ner­te sich, dass sie schon vor zwei oder drei Jah­ren, zu ei­ner Zeit also, da sie fast noch ein Kind ge­we­sen, mit zwei Freun­din­nen zu­sam­men be­schlos­sen hat­te, ins Klos­ter zu ge­hen, und in die­sem Au­gen­blick war ihr, als reg­te sich in ihr eine ganz ähn­li­che Sehn­sucht wie da­mals. Nur dass die­se Sehn­sucht heu­te et­was an­de­res und mehr be­deu­te­te: Un­ru­he, Angst – als gäbe es nir­gend­wo als hin­ter Klos­ter­mau­ern Si­cher­heit vor all den Ge­fah­ren, die das Le­ben in der Welt mit sich brach­te.

Doch wie nun die Schwü­le all­mäh­lich wich und über die Häu­ser­wän­de bis in den vier­ten Stock hin­auf die Abend­schat­ten zo­gen, da schwand ihre Angst und ihre Trau­rig­keit, und sie freu­te sich dem Zu­sam­men­sein mit Al­fred ent­ge­gen wie noch nie.

Sie traf ihn drau­ßen vor der Stadt wie ge­wöhn­lich. Sei­ne Au­gen glänz­ten mild, und ein sol­cher Adel schi­en von sei­ner Stirn zu strah­len, dass ihr ganz weh ums Herz wur­de. Sie fühl­te sich ihm in schmerz­li­cher Wei­se über­le­gen, weil sie um so­viel mehr vom Le­ben wuss­te oder ahn­te als er; und zu­gleich sei­ner nicht ganz wür­dig, weil er aus so viel rei­ne­ren Lüf­ten kam als sie. In Ge­stalt und Hal­tung glich er sei­nem Va­ter, dem sie oft ge­nug in den Stra­ßen der klei­nen Stadt be­geg­net war, ohne dass er ih­rer ge­ach­tet oder auch nur ge­wusst hät­te, wer sie war. Auch Al­freds Mut­ter, die große blon­de Frau, und sei­ne bei­den Schwes­tern kann­te sie von An­ge­sicht; die moch­ten wohl et­was ver­mu­ten; denn neu­lich ein­mal, bei ei­ner zu­fäl­li­gen Be­geg­nung, hat­ten sie sich bei­de zu­gleich neu­gie­rig nach ihr um­ge­wandt. Sie wa­ren zwan­zig und neun­zehn und wür­den wohl bald bei­de hei­ra­ten. Die Fa­mi­lie war wohl­ha­bend und hoch­ge­ach­tet. Ja, die hat­ten es leicht. Und dass der Dr. Se­bas­ti­an Nüll­heim, Arzt in den bes­ten Fa­mi­li­en der Stadt, je ins Nar­ren­haus kom­men könn­te, das war ein völ­lig un­fass­ba­rer Ge­dan­ke. – Al­fred merk­te, dass The­re­se mit ih­ren Ge­dan­ken wo an­ders war, er frag­te sie, was ihr sei, sie schüt­tel­te nur den Kopf und drück­te in­nig Al­freds Hand. Die Tage wa­ren schon kurz, es be­gann zu dun­keln. Al­fred und The­re­se sa­ßen auf ei­ner Bank im Grü­nen; weit dehn­te sich die Ebe­ne, die Ber­ge wa­ren fern, ein dump­fes Rau­schen klang aus der Stadt her­bei, der Pfiff ei­ner Lo­ko­mo­ti­ve hall­te lang und lei­se, jen­seits der Wie­se, über die Land­stra­ße, roll­te ab und zu ein Wa­gen, Fuß­gän­ger schat­te­ten vor­über. Al­fred und The­re­se hiel­ten ein­an­der um­schlun­gen, The­re­sens Herz schwoll vor Zärt­lich­keit; und wenn sie spä­ter die­ser ers­ten Lie­be dach­te, war es im­mer wie­der die­se Abend­stun­de, die in ih­rem Ge­dächt­nis auf­schweb­te: sie und er auf ei­ner Bank zwi­schen Fel­dern und Wie­sen, auf weit­hin­ge­dehn­ter Ebe­ne, dar­über die Nacht, die sich von Berg zu Berg spann­te, ver­klin­gen­de Pfif­fe aus der Fer­ne und von ei­nem un­sicht­ba­ren Teich her Fröschequa­ken.

13

Manch­mal spra­chen sie von der Zu­kunft. Al­fred nann­te The­re­se sei­ne Liebs­te, sei­ne Braut. Sie müs­se auf ihn war­ten, in sechs Jah­ren spä­tes­tens sei er Dok­tor, und dann wür­de sie sein Weib. Und als wäre nun ein ge­heim­nis­vol­ler Schutz um sie, wie ein Hei­li­gen­schein um die Stirn – in die­sen Ta­gen be­kam sie von der Mut­ter kein bö­ses Wort zu hö­ren, ja, die­se ver­hielt sich ge­ra­de­zu lie­be­voll zu ihr.

Ei­nes Mor­gens trat sie zu The­re­sen ans Bett mit flim­mern­den Au­gen, reich­te ihr ein Zei­tungs­blatt hin; da war auf dem für der­glei­chen vor­be­hal­te­nen Raum der Be­ginn ei­nes Ro­mans ab­ge­druckt: »Der Fluch des Ma­gna­ten, von Ju­lie Fa­bia­ni-Hal­mos«. Und sie setz­te sich auf den Bett­rand, wäh­rend The­re­se für sich zu le­sen be­gann. Die Ge­schich­te fing an wie hun­dert an­de­re, und je­der Satz er­schi­en The­re­sen, als hät­te sie ihn schon hun­dert­mal ge­le­sen. Als sie fer­tig war und der Mut­ter wie in Be­wun­de­rung, doch wort­los, zu­nick­te, nahm die­se die Zei­tung zur Hand und las nun das Gan­ze laut, wich­tig und er­grif­fen vor. Dann sag­te sie: »Drei Mo­na­te lang wird der Ro­man lau­fen. Die Hälf­te habe ich schon be­zahlt be­kom­men – fast so viel wie eine halb­jäh­ri­ge Oberst­leut­nant­s­pen­si­on.«

Als The­re­se am Abend die­ses Ta­ges mit Al­fred zu­sam­men­traf, war er zu ih­rer an­ge­neh­men Über­ra­schung sorg­fäl­ti­ger, ge­ra­de­zu ele­gant ge­klei­det, ja, man hät­te ihn für einen der vor­neh­men Rei­sen­den neh­men kön­nen, wie zu die­ser Zeit so vie­le in der Stadt zu se­hen wa­ren. Al­fred freu­te sich der Be­frie­di­gung, die er in The­re­sens Au­gen las, und er­öff­ne­te ihr mit scherz­haf­ter Förm­lich­keit, dass er sich die Ehre gebe, sie für heu­te zu ei­nem Abendes­sen im Ho­tel Eu­ro­pe ein­zu­la­den. Ver­gnügt nahm sie an, und bald sa­ßen sie bei­de in dem hell er­leuch­te­ten, park­ar­ti­gen Gar­ten an ei­nem köst­lich ge­deck­ten Tisch, für sich al­lein, un­ter vie­len un­be­kann­ten Men­schen, wie ein vor­neh­mes Paar auf der Hoch­zeits­rei­se. Der Kell­ner nahm et­was her­ab­las­send Al­freds Be­stel­lung ent­ge­gen; ein vor­treff­li­ches Mahl wur­de auf­ge­tra­gen, und an ih­rem Ap­pe­tit merk­te The­re­se, dass sie sich tat­säch­lich seit län­ge­rer Zeit nicht so ei­gent­lich satt ge­ges­sen hat­te. Auch der mil­de, süße Wein schmeck­te aus­ge­zeich­net, und wäh­rend sie an­fangs et­was ein­ge­schüch­tert sich kaum recht um­zu­se­hen ge­wagt hat­te, ließ sie nun die Au­gen im­mer leb­haf­ter und un­be­fan­ge­ner im Krei­se ge­hen. Von da und dort rich­te­ten sich Bli­cke auf sie, nicht nur von jün­ge­ren und äl­te­ren Her­ren, auch von Da­men, Bli­cke des Wohl­ge­fal­lens, ja der Be­wun­de­rung. Al­fred war sehr auf­ge­räumt, re­de­te al­ler­lei ga­lan­tes, ziem­lich tö­rich­tes Zeug, wie es sonst sei­ne Art gar nicht war, und The­re­se lach­te manch­mal in ei­ner un­na­tür­lich grel­len Wei­se dazu auf. Als Al­fred sie zum drit­ten- oder vier­ten Mal im Flüs­ter­ton frag­te – er hat­te eben kei­nen Über­fluss an lus­ti­gen Ein­fäl­len –, wo­für man sie bei­de wohl hal­ten möch­te: für ein durch­ge­gan­ge­nes Lie­bespär­chen auf der Flucht oder für ein jun­ges Ehe­paar aus Frank­reich auf der Hoch­zeits­rei­se –, gin­gen ei­ni­ge Of­fi­zie­re am Tisch vor­bei, un­ter de­nen The­re­se so­fort je­nen schwarz­haa­ri­gen mit den gel­ben Auf­schlä­gen er­kann­te, des­sen sie in den letz­ten Wo­chen all­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­