Die Liebe und der Suff,
Das reibt den Menschen uff.

Personen

Inhaltsverzeichnis

Handelnde Menschen

Dr. med. August Krawutschke, dirigierender Arzt der Irrenstation der Charité, 36 J. alt

Lude, Millionärssohn, 28 J.

Bulle, Schlächtergeselle, 34 1/2 J.

Angler, Annoncensammler, 31 J.

Mieze, genannt Fuselsusel, 46 J., Deliranten

Abramsen, Hauptmann der Deliranten, 35 J.

Morphy, ein verrückt gewordener Student, 23 J.

Lehmann, Krankenhausaufseher, 50 J.

Helene, seine Tochter, 17 J. Die Familienähnlichkeit beider ist eine frappante.

Henriette Marschall, Aufseherin, 40 J.


Der Schauplatz ist die Irrenstation der Charité.
Die Zeit nach Begründung der »Freien Bühne«.


Der Schauplatz

aller beiden Vorgänge ist ein Vorgang – der einzige im Stück –, ein Vorgang in demjenigen Flügel der Charité, welcher die Irrenstation enthält. Dieser Vorgang, eingeschlossen von weiß getünchten kahlen Ziegelwänden, nimmt das vordere Drittel der Bühne ein und verengen sich zu dem eigentlichen Gange, indem die Wände im stumpfen Winkel herumspringen. Hinten wird der Schauplatz ebenfalls durch eine kahle, weiß getünchte Ziegelwand geschlossen. Eine Tür ganz vorn links führt, wie eine große Aufschrift in schwarzen Buchstaben darüber zeigt, zum Ärztezimmer. Über der Tür ganz vorn rechts steht in ebensolchen Buchstaben Ausgang nach dem Garten. Weiter zurück führt rechts und links je eine Tür durch die stumpfwinklig vorspringende Wand. Über der Tür links steht Männliche Deliranten. Es muß streng darauf geachtet werden, daß diese Buchstaben genau einen halben Zentimeter höher sind als die obigen. Über der Tür rechts steht in ebenso großen Buchstaben Weibliche Deliranten. Bei dem ›r‹ ist dem Maler das Lineal ausgeglitten, ein feiner schwarzer Klecks zieht sich von dem Grundstrich nach unten. Die Mitteltür hinten führt die Aufschrift Gebärsaal. An einzelnen Stellen der Wände ist der Kalkverputz von den Ziegeln gefallen, an der linken Querwand ist in groben Strichen mit Kohle ein Phallus gezeichnet, daneben ebenso, doch von anderer Hand, eine Schnapspulle, aber fast leer. An der rechten Ziegelwand steht mit dünnen, zittrigen Kohlenstrichen in ungeübter Hand unorthographisch geschrieben Die Fuselsusel is en altes Fergel. In der Mitte der Bühne hängt von der Decke herab ein Gasarm, je einer ist ebenfalls an der rechten und linken Vorderquerwand angebracht, der rechts ist etwas verbogen. Der Boden besteht aus Dielen, die von vorn nach hinten laufen, zwei Schritte rechts vom Souffleurkasten ist ein kleines Mauseloch im Fußboden, links ist eine neue Diele eingelegt. Die Schwelle des Gebärsaals ist abgetretener als die andern. Der Anstrich der Türen ist von unbestimmbarer, gelbbrauner Farbe. Rechts vorn ist ein Tisch aus Fichtenholz mit einem Bein, von dem drei Füße ausgehen. Derselbe hat eine Schublade, die aber wohl verschlossen ist. Zwei Schritte vom Tische, halb dem Publikum zugekehrt, steht ein einfacher Stuhl, aber nicht aus Fichten-, sondern aus Tannenholz, der linke Hinterfuß ist etwas wacklig.


Alle diese Anmerkungen sind bei der Aufführung genau zu beachten, da sonst das Stück absolut unverständlich bleibt.

Erster Vorgang

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Sowie der Vorhang aufgerollt wird, verbreitet sich ein scharfer Spiritusduft über den Zuschauerraum, man riecht genau, daß es neunziggrädiger ist. Die Bühne bleibt anderthalb Minuten leer, darauf hört man hinter der Szene links eine sonore Männerstimme in singendem Sächseln: Lehmann, Se sein ä Rindvieh. Eine Tür wird heftig zugeschlagen. Nach einer halben Sekunde tritt Krawutschke aus dem Ärztezimmer heraus. Er ist ein kleiner Mann mit semmelblondem Haar und Spitzbart. Ansatz zum Höcker. Er trägt auf der Spitze seiner Höckernase einen neusilbernen Kneif über den er hinwegschielt. Seine hellblauen Augen sind wässerig. Er spricht sehr schnell in hastigen Stößen mit auffallend sächsischem Anklang: er ist in der Schäffelgasse zu Dresden geboren. Er hat in Heidelberg studiert und von dort sehr burschikose Manieren mit heimgebracht. Er wiederholt häufig Worte und halbe Sätze und schiebt ganz unmotiviert ein »nu äben« oder ein »i nu heeren Se mal« ein. Sonst ist er jovial und munter, und immer vergnügt. Er trägt langgestreifte Hosen, ein kariertes Jackett und schmutzige Wäsche, da er sie immer erst wechselt, wenn er von der Ronde nach Hause kommt. Der linke Absatz ist unmerklich schief getreten. Er verbreitet einen eigentümlichen unbestimmbaren Geruch, halb Alkohol, halb Jodoform.


Lehmann, Se kennen mersch glooben, Se sein werklich ä Rindsvieh!


Hinter Krawutschke tritt Lehmann auf. Er ist genau einen Kopf größer als der Doktor, ein spindeldürrer Mann mit einer roten Nase, die er sich aber, wie er sagt, in Rußland erfroren. Er war aber nie da. Jeder seiner absichtlich und darum ungeschickt gemessenen Bewegungen sieht man an, daß er gern häufig einen nehmen möchte, es aber im Dienst nicht wagt. Er trägt schmutzige graue Hosen und einen dunklen Dienstrock voll Fettflecken. Seine Hand zittert ein wenig. Er hat die Angewohnheit nach jedem dritten Wort zu spucken, aber immer nur nach links. Er spricht schlesisch, den Dialekt der Gegend um Salzbrunn. Seine Haare sind weiß und spärlich, er trägt einen grauen Schnauzer, in den noch einzelne blonde Haare verstreut sind. In seiner Jugend muß er hübsch gewesen sein. Wenn er im stillen an dieselbe denkt, namentlich an seine Dienstzeit bei den Elfern, so richtet sich der etwas zusammengefallene Körper instinktiv wieder auf und er fährt sich mit der Linken über den Bart. Sonst ist seine Lieblingsbewegung, die leichtgeballte rechte Faust an den Mund zu führen, und gleichzeitig fliegt für eine Sekunde, von Zungenschnalzen begleitet, ein verklärender Schimmer über sein Gesicht.


Nee, 's wull nich Ihr Ärnst, Härr Dukter?

KRAWUTSCHKE. Follgommen, mei Gudester! Räuspert sich. Ähhmmm!

LEHMANN. Hoaben Se woas gesoagt, Härr Dukter?

KRAWUTSCHKE. Ich?

LEHMANN. Joa – Chchfftt! Spuckt.

KRAWUTSCHKE. Nee, mei Dierchen.

LEHMANN. Eich doachte ock. – Chfft!

KRAWUTSCHKE. Supolderne, mei liepstes Dierchen, hon Se gor nicht zu denken, wissen Se – äähhmm! ... das is Se nämlich widersch Reechlement – Er spricht alle Fremdworte deutsch aus. – hihi, joa sehn Se, nu äben, mei Liepster, des dürfen Se neemlich eechentlich goar nich – nee ... äähhm! ...

LEHMANN. Na, eich meente ock blußig! ... Pause. Soogen Se, Härr Dukter, glooben Se, doß die Hundelerge nu tot is? ... Chchfftt? ...

KRAWUTSCHKE. Äähhmm! ... die Hundelerche? ...

LEHMANN. Joa ... chchfft ... die Hundelerge! ...

KRAWUTSCHKE. Nu nadierlich, mei Gudster, die is se nämlich ganz mausetot, nadierlich, joa, ... welche Hundelerche meenen Se denn? ...

LEHMANN. Na, das Oas drieben, doas tobsichtige, das mit'n Kopp ... chchfft ... gägen de Woand gerennt is! Akkerat bluß um Sie zu ärgern, Herr Dukter! ...

KRAWUTSCHKE. Nu nadierlich mei Gudster, die is se rattefallenmausedod ... die hot sich ja die Gorder in dausend Splitter gehauen, hihi, joa nadierlich, die steht se nich mehr wieder uf, nee, mei Dierchen – ähhm – heite rot, morgen tot ... joa – so is es ... äähm! ...

LEHMANN. Na joa, ich hoa mersch glei gedoacht ... Na 's is o gutt, daß dos verfluchchte Oas krepiert is – hammer eene winger! ... Chchfft ... Meenen Se nich? ... Wos ...

KRAWUTSCHKE. Ähhmm! ...

LEHMANN. Ich weeß gor nich, wozu 's so vill Verrickte uff der Wält gibbt. Die sein doch zu gor nischt gutt! Woas? Su ä Schwindsichtiger, doas luß ich mer noch gefalln – ober su ä Verrickter ... doas is do gor kee Mensch nich! ... Chchfft ...

KRAWUTSCHKE. I nu heeren Se mal, nu sein Se so gut, nu halten Se oaber gleich de Luft on, joa? Ähhmm!

LEHMANN. Nu – wozu sein se denn gutt, Härr Dukter ... de Verrickten ... Chchfft! ... woas? ...

KRAWUTSCHKE. Nu warten Se eenen Oogenblick, dann wär ich Se das gleich ganz genau saachen, mei Lieber, ähhmm! ... Das is se nämlich e ganz e seere wichtige Soache, joa, hihi! ... Er geht in das Ärztezimmer hinein, schließt die Tür, bleibt etwa eine halbe Minute dort und kommt dann wieder zurück.

LEHMANN. Noa, da bin ich oaber verfluchtig neigierich.