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Das Buch

Ab in die Berge? Isla kann sich was Besseres vorstellen. Was hat sich ihre Mutter nur dabei gedacht, sie ausgerechnet bei ihrem Großvater zu parken, während sie »ein paar Dinge regelt«? Per Mitfahrzentrale geht es von Berlin nach Süddeutschland. Und plötzlich findet sich Isla in einer vollkommen fremden Welt wieder: Ein Alpendorf, in dem der Hund begraben ist. Eine Holzhütte. Ein fremder alter Mann, der ihr Großvater ist. Und um sie herum nichts als Ziegen, weiter Himmel, rauschende dunkle Tannen. Ihr Großvater redet auch nicht gerade viel und wenn doch, mäkelt er an Isla herum oder schimpft über ihre Mutter. Isla will abhauen, diese Idylle ist nicht auszuhalten! Doch gerade, als sie ihren Plan in die Tat umsetzen will, trifft sie Trinus. Die Begegnung mit dem Jungen aus dem Nachbarort ändert alles. Isla lässt sich ein auf das Abenteuer Bergwelt – und auf das Abenteuer Familie.

Die Autorin

Hennig-LVD.tif

© Marcus Höhn

Alexa Hennig von Lange wurde 1973 geboren und begann bereits mit acht Jahren zu schreiben. 1997 erschien ihr Debütroman Relax, mit dem sie über Nacht zu einer der erfolgreichsten Autorinnen und zur Stimme ihrer Generation wurde. 2002 bekam sie den Deutschen Jugendliteraturpreis. Es folgten zahlreiche Romane für Erwachsene wie für Jugendliche und Kinder, außerdem Erzählungen und Theaterstücke. Alexa Hennig von Lange lebt mit ihrem Mann und ihren Kindern in Berlin.

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Meine Mutter hat etwas Großes vor. Sie will sich ihren Lebenstraum erfüllen. Ihr Lebenstraum ist es, mich heute per Mitfahrzentrale zu meinem Opa in die Alpen zu bringen und mich dort zu lassen. Anschließend will sie weiter zum Flughafen fahren und nach Ibiza fliegen. Meine Mutter hat nämlich vor, mit mir dahin auszuwandern. Und zwar schon bald.Vorher muss sie allerdings noch ein bisschen was auf Ibiza regeln.

Ibiza ist eine Insel. Sie liegt direkt vor Mallorca im Mittelmeer. Auf Ibiza spricht man Katalanisch. »Das klingt so ähnlich wie Spanisch«, meint Mama. »Also alles kein Problem!« Als würde ich Spanisch sprechen!

Bevor ich geboren wurde, war Mama schon mal auf Ibiza und hat da »die Zeit ihres Lebens« verbracht. Mit guten Freunden. Musik. Partys und Lagerfeuer am Strand. Und genau aus diesem Grund will Mama endlich wieder nach Ibiza, um dort noch mal die Zeit ihres Lebens zu erleben. Mama meint: »Ibiza ist einfach der Traum!« Genauer begründet sie das gar nicht. Und dann kriegt sie diesen glückseligen Blick, der ins Leere geht. Mama meint: »Sobald ich für uns auf Ibiza ein Häuschen gefunden habe, komme ich zurück und wir packen unsere sieben Sachen.« Dann wuschelt sie mir durchs Haar und ist in ihrer Fantasie schon wieder auf Ibiza. Ganz ehrlich: Bis jetzt hat mich Mama nicht ein einziges Mal gefragt, ob ich überhaupt nach Ibiza will! Am letzten Wochenende hat sie mir im Internet ein paar Fotos von einsamen Buchten mit weißen Segelschiffen, Cafés mit bunter Leuchtreklame oder kreischende Mädchen in Bikinis auf einem Bananenboot gezeigt und bei jedem Bild gefragt: »Ist das nicht der Hammer?«

Ich habe so ein bisschen genickt und gesagt: »Ja, sieht super aus.« Und: »Ist bestimmt warm da.«

Mama meinte gleich so aufgeregt: »Warm? Machst du Witze?! Da scheint immer die Sonne! Weißer Sandstrand, Palmen, türkisblaues Meer, Muscheln bis zum Abwinken, entspannte Leute, leckeres Essen, keine Sorgen.«

Ehrlich! Seit Mama ihr neues Leben auf Ibiza starten will, mache ich mir Sorgen! Und zwar eine ganze Menge Sorgen! Ihr Plan, nach Ibiza zu fliegen, bedeutet nämlich für mich, dass ich zu meinem Opa in die Berghütte muss, irgendwo in der Schweiz. Eigentlich hätte ich viel lieber solange bei meiner besten Freundin Jana gewohnt, aber Mama will nicht, dass mich fremde Leute durchfüttern, die selbst schon genug um die Ohren haben. Darum fehle ich jetzt zwei Wochen lang in der Schule und verpasse alle Arbeiten, weil Mama keine Lust hat, die Osterferien abzuwarten. Sie will jetzt los! »Ich bin eben eine impulsive Person!«, sagt Mama. Also lügen wir auch noch meine liebe Klassenlehrerin Frau Hase an und behaupten, dass ich wegen einer schweren Mandelentzündung fehle. Überflüssig zu erwähnen, dass ich Jana während dieser Zeit nicht anrufen darf, damit sie nicht erfährt, dass ich mich eigentlich mitten in den Alpen aufhalte. Als würde ich Jana verheimlichen, dass ich in die Schweizer Berge fahre! Hallo!? Sie ist meine beste Freundin! Sie kennt jedes Geheimnis von mir!

Aber das Besorgniserregendste an Mamas Lebenstraum ist, dass wir im nächsten Schritt unsere Wohnung aufgeben werden und ich auf Ibiza heimisch werden soll, wo ich keine Menschenseele kenne und alle katalanisch sprechen. Aber Mama meint: »Was machst du dir Sorgen, mein Stoppersöckchen? Ich habe dich schließlich nicht umsonst Isla genannt!«

Für alle, die es nicht wissen: Isla heißt Insel. Der Lieblingssong meiner Mutter in jungen Jahren war La Isla Bonita von dieser inzwischen hundertjährigen Sängerin Madonna. La Isla bonita ist Spanisch und heißt übersetzt: Die schöne Insel. Schon mal jemanden getroffen, der »Insel« mit Vornamen heißt? Ich nicht! Jedenfalls ist Mama sicher, dass ich mich auf der Insel Ibiza wohlfühlen werde, weil sie mich ja in weiser Voraussicht Insel getauft hat. Logisch, oder?

Ich hocke in meinem Zimmer auf dem rosa Lillifee-Rollkoffer, den mir gestern unsere Nachbarin Kathrin großzügig vermacht hat. Eigentlich stammt er von ihrer siebzehn Jahre alten Tochter Maja, die ihn vor ungefähr zehn Jahren aussortiert hat. Aber da ich keinen eigenen Koffer besitze und ich meine Klamotten schlecht in einer Papiertüte vom Bioladen mit mir herumschleppen kann, hat mir Kathrin den Koffer aus ihrem Keller geholt. Inklusive Pferdeaufklebern, rosa Duft-Radiergummis, Herzchen-Bleistiften und einer pinkfarbenen Haarbürste, die sich noch in der Innentasche vom Rollkoffer befanden. Obwohl ich für dieses Kleine-Mädchen-Zeug definitiv zu alt bin, habe ich Kathrin dankbar umarmt, weil ich mithilfe des Koffers Ordnung halten kann. Zumindest, was meine Klamotten anbelangt. Das erleichtert mich ziemlich. Ich mag nämlich keine Unordnung. Weswegen mein Zimmer auch der einzige Ort in unserer Wohnung ist, in dem nichts herumliegt.

Ich warte auf meinem Koffer, bis Mama ihren ganzen Kram zusammengesucht hat, den sie für Ibiza braucht. Seit heute Morgen um sieben flitzt sie in der Wohnung hin und her und ruft: »Hast du meinen Reisepass gesehen?« Oder: »Weißt du, wo ich die Sonnencreme hingelegt habe?« Außerdem müsste demnächst der »Student« von der Mitfahrzentrale unten an der Haustür klingeln und uns abholen. Mit dem fahren wir nämlich zusammen in die Alpen, um uns die Kosten für den Sprit zu teilen.

Mama rennt mit dem Handy in mein Zimmer. Sie hat noch ihr Schlaf-T-Shirt an und auch sonst ist sie noch nicht fertig. Sie guckt mich gehetzt an und drückt sich das Telefon an die Brust: »Isla-Schatz, der Student von der Mitfahrzentrale verspätet sich übrigens etwas.«

»Was heißt ›etwas‹?«

Aber da ist Mama auch schon wieder draußen und ich höre, wie sie ins Telefon sagt: »Und vergiss nicht, Papa! Isla ist Nichtschwimmerin. Das musst du der Lehrerin sagen, nicht, dass sie im Schwimmunterricht untergluckert ...«

Offenbar telefoniert Mama gerade mit meinem Opa, ihrem Papa. Den ich bisher nur ein einziges Mal in meinem Leben gesehen habe. Und zwar, als ich drei Monate alt war. Danach nie wieder, weil Mama und er sich bei der Gelegenheit dermaßen in die Haare gekriegt haben, dass danach Funkstille war. Soviel ich weiß, hat Opa noch ein paar Male versucht, Kontakt aufzunehmen, aber Mama fand, dass er jetzt mal alleine klarkommen muss. Von wegen »Ich bin nicht seine Babysitterin!«. Was ich nicht ganz verstanden habe. Schließlich ist Opa Mitte siebzig. Jetzt ist Mama jedenfalls der Ansicht, dass Opa sich mal dringend als mein Babysitter betätigen soll, bis Mama die Dinge auf Ibiza geregelt hat. Juhu! Das wird bestimmt richtig langweilig. Mama meint nämlich: »Dein Opa hat leider keine Ahnung vom Leben.«

Im Gegensatz zu Mama. Die hat ziemlich viele Erfahrungen in ihrem Leben gesammelt. Nicht nur gute. »Aber jetzt wird es aufwärts gehen!«, meint sie. Ich bin mir da nicht so sicher. Meine Mutter trifft permanent schlechte Entscheidungen. Sie sagt: »Werd erst mal so alt wie ich! Dann wirst du sehen, wie schwierig es ist, richtige Entscheidungen zu treffen.«

Mit dem Handy am Ohr läuft sie wieder an meiner offenen Zimmertür vorbei und sagt: »Keine Ahnung, warum ich meiner Tochter nicht das Schwimmen beigebracht habe? Vielleicht hatte ich einfach keine Zeit? Vielleicht musste ich Geld verdienen, damit der Kühlschrank voll ist? Ist doch toll, wenn Isla jetzt Schwimmunterricht in der Schule bekommt. Dann kann sie das Seepferdchen machen.«

Für alle, die jetzt denken, dass ich fünf Jahre alt bin: Ich bin es nicht. Ich bin elf Jahre alt und erschütternderweise tatsächlich Nichtschwimmerin. Was, wie schon eben mitgehört, daran liegt, dass meine Mutter keine Lust hatte, mit mir zum Schwimmkurs zu gehen oder es mir selber beizubringen. Ich habe ihr das neulich auch schon mal vorgeworfen, als wir mit der Klasse ins Spaßbad wollten und meine Lehrerin Frau Hase mich aus Sicherheitsgründen nicht mitnehmen wollte. Aber Mama meinte nur zu ihrer Verteidigung: »Für ein Mal Spaßbad willst du schwimmen können? Das lohnt doch überhaupt nicht! Oder siehst du hier sonst noch irgendwo Wasser?«

Rund um Ibiza wird es eine ganze Menge Wasser geben. Ich schätze, spätestens da werde ich ein Schwimmabzeichen brauchen. Das scheint Mama auch gerade klar zu werden, denn sie sagt ins Telefon: »Natürlich ist es mir wichtig, dass Isla schwimmen kann. Aber was soll ich machen? Ich bin eine alleinerziehende Mutter, die sich nun mal nicht um alles kümmern kann.«

Das ist Mamas Entschuldigung für alles. »Ich bin eine alleinerziehende Mutter und kann mich nicht um alles kümmern.« Dabei kümmert sich Mama vor allen Dingen um sich selbst. Dauernd geht es um ihre Probleme, ihre Träume und ihre Selbstverwirklichung. So nennt sie es, wenn sie wieder ein ganzes Wochenende niedergeschlagen im Bett liegt und überlegt, wie sie sich selbst verwirklichen soll. Während einer dieser Phasen ist ihr dann auch der Geistesblitz mit Ibiza gekommen. Ohne es vorher mit mir zu besprechen, hat sie einfach ihre Arbeit im Bioladen gekündigt. Um, wie sie sagt, Fakten zu schaffen!

Bevor ich jetzt auf meinem Lillifee-Koffer schon wieder richtig sauer werde, höre ich besser auf, über Mamas doofe Selbstverwirklichung nachzudenken und stelle mir stattdessen vor, wie ich mit meiner neuen Schulklasse, die ich in den Alpen ersatzweise besuchen werde, Schwimmunterricht habe und die Einzige bin, die noch nicht schwimmen kann. Wer mit elf Jahren noch nicht schwimmen kann, hat richtig verloren.

Entschlossen erhebe ich mich von meinem rosa Kinder-Koffer, ziehe den Reißverschluss auf, hole meinen mit Bananen, Smileys und Palmen verzierten Badeanzug raus, den mir Mama gestern extra noch bei H&M gekauft hat, stopfe ihn zurück in meinen Kleiderschrank und mache den Koffer wieder zu. Leider werde ich am Schwimmunterricht nicht teilnehmen können. So was Dummes! Ich finde es sowieso übertrieben, dass ich bei meinem Opa zur Schule gehen muss. Aber das war seine Bedingung, damit ich nicht so viel verpasse und auf keinen Fall denke, dass es normal ist, die Schule zu schwänzen.

Hundert Stunden später klingelt es an der Tür und ich zucke auf meinem Koffer zusammen, weil ich vor lauter Langeweile eingenickt bin. Mama kommt mit einem Haufen blauer IKEA-Taschen ins Zimmer. Inzwischen hat sie ein bodenlanges, regenbogenfarbenes Sommerkleid an, obwohl es draußen noch ziemlich winterlich ist. »Jetzt aber zackig, Stoppersöckchen! Der Typ von der Mitfahrzentrale ist da. Es geht los!«

Ich rapple mich wieder auf, ziehe meinen Rollkoffer hinter mir her bis zur Zimmertür und drehe mich um. Andächtig lasse ich meinen Blick durch mein persönliches Reich schweifen. Hinüber zu meinem Bett mit der bunten Patchwork-Decke, die Mama und ich letztes Jahr in den Sommerferien auf dem Balkon gemeinsam genäht haben. Solchen Handarbeitskram kann Mama echt gut. Leider kommen wir nur nicht so oft dazu. Was schade ist, weil Mama dann immer total fröhlich wird und sich mit mir unterhält. Sie fragt dann, wie es in der Schule läuft, was ich später mal werden möchte und wen ich zu meinem Geburtstag einladen will. Worüber Mütter und Töchter sich eben so unterhalten. An der Wand über meinem Bett kleben unzählige Selfies von Jana und mir, die wir mit unseren Handys gemacht und bei Rossmann ausgedruckt haben. Beweise für unsere unzerstörbare Freundschaft. Glücklicherweise haben wir schon einen Plan für die Osterferien. Bevor ich für immer nach Ibiza verschwinde, wollen wir noch mal zusammen zu ihrer Oma auf den Bauernhof fahren, Hühner füttern und auf den Ponys reiten. Ich werde Jana echt vermissen. Jetzt und immer.

Bevor mir die Tränen kommen, mache ich schnell die Tür zu und renne im Schweinsgalopp hinter Mama die Treppen runter, auf die windige Straße, wo Benno, der Student, in Kapuzenpulli und Jeans neben seinem Auto steht und mich mit so einem echt freundlichen Grinsen empfängt. Ich sage es gleich: Ich mag den Typen. Der sieht sportlich aus. Als würde der ständig wandern gehen mit seinen roten Wangen und dem hellblonden Haar. Zuerst reicht er Mama die Hand, dann mir. Er sagt: »Ich bin Benno. Toll, dass ihr bei mir mitfahrt.«

Ich grinse und sage: »Find ich auch toll, dass wir mit dir fahren.«

Ich finde es wirklich toll, weil ich eigentlich einen Studenten erwartet hatte, der die ganze Zeit nur nervös in mathematischen Formeln redet oder über anderen komplizierten Hirni-Kram, den keiner versteht. Außerdem bin ich froh, dass Benno hinterm Steuer sitzt. Denn: Es gibt keinen Menschen auf der ganzen Welt, der schlechter Auto fährt als meine Mutter. Und das meine ich nicht böse. Es ist einfach die niederschmetternde Wahrheit.

Jetzt nimmt Benno meiner Mutter die IKEA-Taschen ab und sagt: »Das ist ja mal eine sommerliche Stimmung.« Damit meint er wohl ihr regenbogenfarbenes Kleid mit den Spaghetti-Trägern, das sie mit Badelatschen kombiniert.

»Ich sage immer: Der Sommer beginnt in unseren Herzen!«, erklärt Mama und öffnet schon mal die Beifahrertür, um eilig einzusteigen. Ihr ist wohl trotz Herzenswärme ein bisschen kalt. Ich nehme meinen Koffer und stelle ihn neben mich auf die Rückbank. Benno verstaut die Taschen im Kofferraum und schon geht es los. Bis zum One-World-Café an der Straßenecke. Da fällt Mama ein: »Mist! Wir müssen umdrehen! Ich habe meinen Reisepass auf dem Küchentisch liegen gelassen.«

Hab ich’s nicht gesagt? Meine Mutter ist mit ihren Gedanken immer woanders.

Also wendet Benno und hält wieder vor unserem Haus. Während Mama oben in unserer Wohnung ist, unterhalten wir uns ein bisschen. Benno dreht sich zu mir um. Er hat echt freundliche Augen. Er grinst breit und fragt: »Warst du schon mal in den Alpen?«

Ich schüttle den Kopf: »Nee, nur mal vor hundert Jahren, als Baby. Ich kann mich aber an nichts mehr erinnern.«

»Du wirst die Berge lieben, die Tannen und die frische Luft und nie wieder weg wollen.«

Ich sage: »Wir werden sehen. Ist ja nur ein Besuch bei meinem Opa. Meine Mutter sagt, er hat richtig viele weiße Ziegen.«

»Cool.«

»Er wohnt in einer Holzhütte.«

»Ein echter Alp-Öhi, was?« Benno zieht die Augenbrauen hoch. »Und wie lange bleibt ihr?!«

»Also, nur ich besuche ihn. Für zwei Wochen. Meine Mama fliegt solange nach Ibiza und sucht uns da eine Finca.«

»Auf Ibiza? Eine Finca? Was wollt ihr denn da?«

»Meine Mutter will da ein neues Leben anfangen und Muschelketten entwerfen.«

»Muschelketten?«

Dieser Benno wiederholt alles, was ich sage. So, als würde ich ihm Unglaubliches erzählen.

»Ja, Muschelketten. Mit Muscheln, die wir am Strand suchen. Die will sie dann im Internet verkaufen und reich werden.«

»Okay, klingt nach einem tollen Plan.« Benno guckt mich zweifelnd an, so als ob ich ihm leidtue. Oder als würde er nicht an Mamas Plan glauben.

Ich lächle freundlich und gucke aus dem Fenster, hinter dem meine Mutter aus dem Haus gerannt kommt und zurückzu uns ins Auto springt. »Okay, Leute. Ich hab alles. Wir können los.«

Benno dreht wieder und dann fahren wir noch einmal die Straße mit den winterlich kahlen Bäumen hinunter und plötzlich habe ich das Gefühl, dass ich ewig nicht wiederkommen werde. Dass ich unsere Straße, das Café, den Bäcker und den Spielplatz für lange Zeit zum letzten Mal sehe. Was ja Quatsch ist. In zwei Wochen bin ich wieder da. Zur Sicherheit flüstere ich: »Auf Wiedersehen. Bis ganz bald!« In meinem Hals brennt es trotzdem, als müsste ich vor lauter Heimweh doch gleich losweinen.

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»Und? Warst du schon mal auf Ibiza?« Meine Mutter bindet sich ihr langes blondes Haar zu einem Pferdeschwanz und sieht Benno interessiert von der Seite an, der jetzt mit uns über die Autobahn brettert. Über der Landschaft hängt ein grauer nebliger Schleier, als würde es gleich mächtig losregnen. Als meine Mutter mit ihrem Zopf fertig ist, legt sie ihre nackten Füße aufs Armaturenbrett. So, als sei das ihr Auto.

»Leider nicht.« Benno schüttelt seinen Kopf und überholt ein weißes Auto. Er fährt ziemlich schnell. Aber nicht unvorsichtig. Trotzdem habe ich mich erst einmal angeschnallt.

Meine Mutter hält mir eine Tupperdose mit Apfelspalten nach hinten. »Hier, Isla, was zu knabbern.«

Ich nehme mir ein Stück Apfel und dann kriegt Benno die Dose hingehalten. Er guckt in den Rückspiegel. »Du heißt wirklich Isla?«

»Jep.« Ich lächle freundlich. Wetten, er fängt gleich an zu singen? Jeder fängt an zu singen, wenn er meinen Namen hört.

»Wie La Isla Bonita von Madonna?«

Und hab ich’s nicht gesagt?

Benno singt sofort los und macht so kreisende Bewegungen mit seiner Hand, als würde er einen spanischen Kastagnetten-Tanz aufführen. Ich rolle genervt mit den Augen und überlege, ob ich bei voller Fahrt aus dem Auto springen sollte. Vor allen Dingen weil meine Mutter jetzt auch noch übertrieben laut mitsingt und sich begeistert zu mir umdreht. »Sag ich’s nicht? Jeder liebt den Song!«

Ich murmle: »Kein Mensch liebt den Song.« Jedenfalls niemand in meinem Alter. Der ist mindestens achtzig Jahre alt und super peinlich.

Benno guckt fröhlich in den Rückspiegel und sagt: »Hey, zu dem Song habe ich mal auf einer Schulparty getanzt! Das weiß ich noch genau, weil ich so was von verliebt in ein Mädchen aus meiner Klasse war, das sich aber geweigert hat, mit mir zu tanzen! Alina hieß sie! Witzigerweise erinnerst du mich irgendwie an sie.«

Das wird ja immer toller. Ich grinse gequält und meine Mutter meint: »Ich hab einfach gespürt, dass Isla der richtige Name für mein Baby ist. Ich meine, alle haben mich komisch angeguckt und gefragt: ›Leonie, bist du dir sicher? Isla heißt kein Mensch!‹ Aber ich habe gesagt: ›Genau das ist der Grund, warum ich mein Baby Isla nenne. Weil es eben auch ein ganz besonderes Baby ist.‹«

Ich will nicht übertreiben, aber diese Geschichte habe ich in meinem Leben bestimmt schon dreihundert Mal gehört und jedes Mal begeistert sie meine Mutter aufs Neue. Wenn ich wirklich so ein besonderes Baby war, frage ich mich, warum meine Mutter trotzdem ständig das Gefühl hat, dass ihrem Leben noch etwas fehlt und wir nach Ibiza auswandern müssen? Aber es bringt nichts, sich das zu fragen, weil die Antwort auf der Hand liegt: Ich bin nicht die Erfüllung. Ich bin ein Hindernis auf dem Weg zur Erfüllung. Und weil das so ist, werde ich jetzt zu meinem Großvater in die Holzhütte abgeschoben. Anschließend darf ich dann meiner Mutter auf Ibiza dabei zusehen, wie sie mit jeder Muschelkette ihrem Lebenstraum näher kommt.

Benno räuspert sich und blickt plötzlich ernst in den Rückspiegel. Er hat wohl gemerkt, dass sich hier gerade auf meine Kosten amüsiert wurde. Denn er meint total ruhig: »Ich finde deinen Namen toll! Er passt zu dir.«

Ich sage: »Danke.«

»Nee, wirklich! Du hast irgendwie so etwas Unabhängiges an dir.«

»Etwas Unabhängiges?«, frage ich und weiß echt nicht, was Benno meint.

Mama guckt ihn auch gleich ganz interessiert von der Seite an. »Was meinst du damit?«

»Na, wie eine stolze Insel. Unerschütterlich. Umgeben von tosendem Meer.«

Mama kratzt sich am Kopf. »Aha? Interessanter Gedanke.«

Im Stillen flüstere ich »Isla«. Und dann noch mal. »Isla.« Und zum ersten Mal in meinem Leben klingt mein Name nicht idiotisch, sondern richtig feierlich. Ich mag diesen Mitfahrzentrale-Studenten, weil er, im Gegensatz zu meiner Mutter, merkt, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, sich mal ganz kurz zu konzentrieren und schlaue Dinge zu sagen.

Wir schweigen alle und sehen raus in die neblige Landschaft. Obwohl ich es nicht soll, schreibe ich ein paar WhatsApp-Nachrichten an Jana, die momentan im Matheunterricht sitzt und sich ohne mich extrem langweilt. Sie machen gerade Bruchrechnung. Ich schreibe: »Ich kann die Osterferien kaum erwarten!!!!« Sie tippt zurück: »Und ich erst! Dann gehen wir jeden Tag mit Omas Hund raus.« Wir tippen hin und her. »Ja! Und dann machen wir mit den Ponys einen Ausritt mit Picknick!« Bis unser Mathelehrer Herr Hänsel offenbar Jana bei unserem Urlaubs-Chat erwischt und ihr Handy einkassiert. Denn plötzlich kommen keine Nachrichten mehr von Jana. So ein Mist. Jetzt bin ich total allein und kann die Zeit hervorragend nutzen, mir auszumalen, wie ich bei meinem Großvater in der Holzhütte hocken und Däumchen drehen werde. Es ist ja wohl klar, dass er keinen Fernseher haben wird und auch kein Internet. Und zum Telefonieren steigt er jedes Mal ins Dorf runter. Weswegen Mama das meiste per Brief mit ihm klären musste. Überflüssig zu erwähnen, dass das mehrere Wochen gedauert hat. Mein Opa lebt wie die Leute zu Heidis Zeiten. Der hat nicht mal einen Wasserhahn. Zumindest behauptet Mama das. Ich kann mir das nicht so richtig vorstellen. Aber Mama meint: »Ihr holt euch eben frisches Wasser aus dem Bach.« So, als sei es das Normalste von der Welt. Für sie vielleicht, aber ich bin ein Großstadtkind!

Ich wünschte, ich hätte einen Papa, für den ich das Wichtigste in seinem Leben bin und der jetzt verhindert, dass ich diesen bekloppten Ausflug unternehmen muss. Aber leider habe ich keinen Papa. Mama ist mit mir damals auf Ibiza schwanger geworden und sie kann sich nicht mehr genau an alle Einzelheiten erinnern. Ich behalte diese Geschichte normalerweise für mich, weil sie ein echt seltsames Licht auf meine Mutter wirft. Andererseits kann ich ja nichts dafür, dass es ist, wie es ist. Meine Mutter war eben jung und unkonzentriert.

Ich ziehe mir meine Strickjacke an, die Mama für mich zu Weihnachten gestrickt hat. Langsam wird mir richtig kalt. Draußen sieht noch alles nach Matsch aus. Obwohl schon Mitte März ist. Kahle Bäume säumen die braunen Äcker. Ich befürchte, ich habe die falschen Klamotten eingepackt. Ich habe nur diese Strickjacke und eine Regenjacke dabei, weil ich dachte, es wird ja bald Frühling. Na ja. Ich lass mich überraschen. Jetzt fängt es auch noch an zu regnen. Die Scheibenwischer fliegen über die Windschutzscheibe und Benno fragt meine Mutter: »Und du willst also nach Ibiza auswandern und Muschelketten verkaufen?«

Meine Mutter lacht und sieht über die Schulter zu mir nach hinten: »Hat Isla das erzählt?«

Wer sonst? In der Zeitung stand es jedenfalls nicht.

Bevor Benno antworten kann, redet meine Mutter gleich weiter: »Ganz ehrlich. Ich hab die Nase voll von diesem grauen Winter hier in Deutschland. Ich will in die Sonne. Barfuß herumlaufen. Die Seele baumeln lassen. Nicht alles so ernst nehmen. Verstehst du?«

Benno guckt mich schon wieder im Rückspiegel an. Ich lächle.

Mama sagt: »Ich meine, dieses Wetter macht einem echt richtig miese Stimmung. Ständig dieser Regen. Keine Sonne. Wir Menschen brauchen Sonne.«

»Und Regen, sonst gäbe es überall nur Wüste!«, gibt Benno zu bedenken.

Aber Mama meint: »Kann schon sein. Ich will trotzdem lieber auf Ibiza leben. Weg von diesen ganzen Spießern. Ich muss einfach nur noch eine bezahlbare kleine Finca für Isla und mich finden. Kann ja nicht so schwer sein.«

»Sprichst du denn Katalanisch?«, fragt Benno und sieht mich schon wieder so komisch im Rückspiegel an, als wollte er sehen, wie ich zu dem Plan meiner Mutter stehe. Aber wie soll ich dazu stehen? Mir bleibt ja nichts anderes übrig, als mitzumachen.

»Na ja, das Nötigste.« Mama wiegt den Kopf. »Aber das kann Isla ja schnell lernen. Ist sowieso gut, eine Fremdsprache fließend zu beherrschen. Wir sind eine Welt, verstehst du? Nieder mit den Grenzen! Es ist wichtig, sich überall auf dem Globus bewegen zu können, den Horizont zu erweitern, sich anzugucken, wie andere Völker leben und keine Angst vor dem Fremden zu haben.«

Benno nickt, aber er klingt nicht restlos überzeugt, als er »Okay« sagt.

Irgendwie habe ich das Gefühl, dass er meine Mutter etwas schräg findet. Da ist er nicht der Erste.

Sie sagt: »Man muss seine Träume leben. Koste es, was es wolle.«

Benno guckt wieder in den Rückspiegel und fragt ganz plötzlich: »Und was ist dein Traum, Isla?«

Ich bin so überrascht, dass mich jemand fragt, was mein Traum ist, dass ich vergesse zu atmen. Es ist ganz still im Auto. So, als hätten wir einen Unfall gebaut und ständen alle unter Schock. Soll ich wirklich sagen, was mein Traum ist? Was soll das bringen? Dass meine Mutter meinen Traum lebt? Hahaha! Der wäre: Zu Hause in unserer Wohnung zu bleiben, sie auszumisten, ein paar Wände zu streichen, jeden Tag etwas Vernünftiges zu kochen, mich mit meiner Mutter zu unterhalten. Und während sie nachmittags im Bioladen arbeitet, treffe ich mich, wie gehabt, mit Jana, mache mit ihr Hausaufgaben, gehe zum Sport oder in den Chor. Außerdem findet Mama raus, wer mein Papa ist und dann schreibe ich ihm einen Brief und sage, dass ich ihn gerne kennenlernen möchte. Wenn er vernünftig ist, frage ich ihn, ob er es noch einmal mit Mama versuchen möchte, weil ich davon träume, eine richtige Familie zu haben. Und wenn das alles geklärt ist, hätte ich gerne ein Meerschweinchen. Oder eine Katze. Oder eine kleine Schwester.

Meine Mutter dreht sich zu mir um und guckt mich abwartend an. Damit ich endlich sage, dass ihr Traum auch mein Traum ist. Sie sieht etwas verunsichert aus, weil ich sie auch nur angucke und nichts sage. Niemals kann ich ihr meinen wirklichen Traum verraten. Der würde sie ganz schön aus der Bahn werfen. Zumindest, wenn sie ihn erfüllen wollen würde. Denn dann könnte Mama ihren Ibiza-Traum direkt zu den Akten legen. Wir würden an der nächsten Tankstelle aussteigen, uns bei Benno bedanken und versuchen, irgendwie wieder nach Hause zu kommen. So, wie ich Mama kenne, würde sie einen Lastwagenfahrer ansprechen und fragen, ob er uns mitnimmt. Schon allein wegen dieser Aktion halte ich lieber den Mund. Ich will definitiv in keinem Lastwagen mitfahren. Was Mama wiederum nicht verstehen würde. Sie würde sagen: »Sei doch nicht so spießig! Ist doch witzig!« Mama findet eine ganze Menge Sachen witzig, die ich überhaupt nicht witzig finde. Sie meint: »Das liegt vermutlich an deinem Vater. Wahrscheinlich war der auch richtig spießig!«

Ich räuspere mich und sage eilig: »Ich finde die Idee mit Ibiza toll! Sonne! Juhu!«

Danach habe ich keine Kraft mehr. Ich fühle mich wie ein labberiger Luftballon, aus dem die Luft rausgelassen wurde. Mama dreht sich zufrieden wieder um, stupst Benno an und fragt: »Und was ist dein Traum?«

»Meine Freundin zu heiraten.«

»Echt?« Mama guckt Benno von der Seite an, als hätte er gesagt, dass er vom Hochhaus springen will. »Hast du dir das gut überlegt? Die Ehe ist ein Gefängnis!«

Benno überholt einen Wagen und meint ganz entspannt: »Nicht, wenn man sich liebt! Sobald ich wieder zu Hause bin, mache ich ihr einen Heiratsantrag.«

Ich schnalle mich ab und rutsche nach vorne, zwischen die Vordersitze. »Mit einem echten Ring?«

»Mit einem echten Ring. Hab ich extra in Berlin gekauft!«

Mama fragt: »Und willst du auch Kinder haben?«

»Na klar! Mindestens drei!«

»Weiß deine Freundin schon davon?« Mama guckt Benno immer noch fassungslos an, als sei er wirklich dumm. »Woher wollt ihr denn wissen, ob ihr euch ein Leben lang lieben werdet?«

Benno gibt ein bisschen Gas und meint jetzt so richtig, richtig entspannt: »Eine Familie zu haben ist unser gemeinsamer Traum!«

Und dann wird es draußen auch schon langsam dunkel.

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»Seid ihr sicher, dass ihr den Weg findet?« Benno sieht meine Mutter zweifelnd an, als er die blauen IKEA-Taschen aus dem Kofferraum holt.

»Klar. Wieso nicht? Gibt ja nur diesen einen Fußweg den Berg rauf.« Mama zieht ihren Mantel fest vor der Brust zusammen. Ihre Zähne klappern, was sie mit aller Kraft zu unterdrücken versucht. Ich hole meinen Rollkoffer von der Rückbank und gleich wird mir kalt.

Es ist noch ziemlich früh am Morgen, die Sonne kommt gerade erst hinter den Berggipfeln hervor und überzieht die weiße Winterlandschaft mit goldenem Licht. Die Berge sehen wie seltene Wesen aus. Wie große, geheimnisvolle Kristalle. Unten im Tal erkenne ich ein paar Häuser und einen Kirchturm. Und über uns ist einfach nur sehr viel Himmel. Ich wusste gar nicht, dass es so viel Himmel gibt. Mit ein paar zarten Wolkenfedern durchzogen, auf denen gleißend das Licht reflektiert. Um uns herum liegt eine Menge weißer, unberührter Schnee. Dann stehen da noch hohe, schwarze Tannen die gewaltigen Felshänge hinauf und dazwischen fädelt sich der schmale, freigeschaufelte Pfad, den Mama und ich gleich gemeinsam hinaufsteigen werden. Ich in meinen Turnschuhen und Mama in ihren Stiefeletten, die sie inzwischen statt ihrer Badelatschen trägt.

Benno nickt und zwingt sich ein Lächeln ab. »Na, dann!« Er reicht mir die Hand und hält meine kurz fest. Er sieht mir direkt in die Augen: »Es war mir eine Ehre, dich in die Alpen fahren zu dürfen, La Isla Bonita. Pass gut auf dich auf.«

»Danke, dass du keinen Unfall gebaut hast«, sage ich und drücke Bennos Hand. »Und viel Glück für die Hochzeit.«

»Danke.« Benno grinst und dann reicht er Mama auch noch die Hand. »Alles Gute für Ibiza.«

»Gràcies.«

Benno steigt wieder in sein Auto ein, Mama schultert ihre vollgestopften IKEA-Taschen und ich schleife meinen Rollkoffer hinter mir her durch den Schnee. Die Sohlen meiner Schuhe sind viel zu glatt. Bei jedem Schritt rutsche ich weg und die Rollen vom Lillifee-Koffer verkeilen sich ständig auf dem holprigen, vereisten Pfad, der jetzt immer mehr ansteigt.

Mama geht vor mir. Immer wieder muss sie sich an den tief hängenden Tannenzweigen festhalten, um in ihren Stiefeletten nicht wegzurutschen. Was nicht leicht ist mit den drei IKEA-Taschen über den Schultern. Mama flucht ununterbrochen. Ich will die Worte im Einzelnen nicht wiederholen. Aber es kommt ziemlich häufig »Verdammte Scheiße!«, »Ich hasse es!« oder »Wie kann man so bekloppt sein, auf einem Berg zu wohnen?« Und: »Genau darum bin ich von hier weg!«

Auf meine Frage, wie weit es noch ist, antwortet Mama nur: »Wenn ich das wüsste. Von dieser Seite bin ich noch nie aufgestiegen.«

Die Auskunft ist nicht gerade beruhigend. Mama ist zuzutrauen, dass sie nur so eine ungefähre Ahnung hat, auf welchem Berg Opas Hütte steht. Ich will hier auf keinen Fall den ganzen Tag in meinen Turnschuhen und dem Rollkoffer herumkraxeln und womöglich noch in freier Natur unter einer Tanne übernachten und erfrieren. Um keine Panik zu kriegen, konzentriere ich mich voll darauf, ruhig zu atmen und kleine überlegte Schritte zu machen. Es ist still – mal abgesehen von Mamas Fluchen. Manchmal hören wir einen Vogelruf, der im Tal widerhallt. Oder der Schnee knirscht. Aber ansonsten ist es still.

Die letzte Nacht haben wir im Auto verbracht. Eigentlich hatte Benno vor, von Berlin bis in die Alpen durchzufahren. Aber unterwegs gab es einen riesigen Stau, weswegen Benno irgendwann meinte: »Tut mir leid. Ich kann nicht mehr. Ich muss schlafen, sonst baue ich einen Unfall.«

Mama hat sofort angeboten: »Ich kann doch fahren!« Aber als Benno seinen prüfenden Blick in den Rückspiegel geworfen hat und ich ihm mit so einem entsetzten Blick geantwortet habe, hat er gemeint: »Lasst uns besser auf einem Parkplatz übernachten. Mitten in der Nacht könnt ihr sowieso nicht zur Hütte hinaufsteigen.« Und damit war die Sache entschieden.