Tatkammers Sündenfall

 

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Band 61

 

Tatkammers Sündenfall

 

von Michael Marcus Thurner und Logan Dee

nach einem Exposé von Uwe Voehl

 

 

© Zaubermond Verlag 2020

© "Das Haus Zamis – Dämonenkiller"

by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

 

Titelbild: Mark Freier

E-Book-Erstellung: Die eBook-Manufaktur

 

www.Zaubermond.de

 

Alle Rechte vorbehalten

 

 

Was bisher geschah:

 

Die junge Hexe Coco Zamis ist das weiße Schaf ihrer Familie. Die grausamen Rituale der Dämonen verabscheuend, versucht sie den Menschen, die in die Fänge der Schwarzen Familie geraten, zu helfen. Auf einem Sabbat soll Coco endlich zur echten Hexe geweiht werden. Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie der Dämonen, hält um Cocos Hand an. Doch sie lehnt ab. Asmodi kocht vor Wut – umso mehr, da Cocos Vater Michael Zamis ohnehin mehr oder minder unverhohlen Ansprüche auf den Thron der Schwarzen Familie erhebt.

Nach jahrelangen Scharmützeln scheint endlich wieder Ruhe einzukehren: Michael Zamis und seine Familie festigen ihre Stellung als stärkste Familie in Wien, und auch Asmodi findet sich mit den Gegebenheiten ab. Coco Zamis indes hat sich von ihrer Familie offiziell emanzipiert. Das geheimnisvolle »Café Zamis«, dessen wahrer Ursprung in der Vergangenheit begründet liegt und innerhalb dessen Mauern allein Cocos Magie wirkt, ist zu einem neutralen Ort innerhalb Wiens geworden. Menschen wie Dämonen treffen sich dort – und manchmal auch Kreaturen, die alles andere als erwünscht sind.

Die intriganten Spiele, auch innerhalb der Zamis-Sippe, gehen unvermindert weiter. Dabei erfährt Coco Zamis einen ganz besonderen Exorzismus: Ihre böse Seite gewinnt die Oberhand. Mit wessen Hilfe Michael Zamis das geschafft hat, bleibt erstmal sein Geheimnis.

Coco wird unterdessen aufgewiegelt, dass ihre Halbschwester Juna ihr das Café streitig machen wolle. Kurzerhand versetzt Coco sie mithilfe des Zwerges Ficzkó in die Vergangenheit – in die Dienste der berüchtigten Blutgräfin.

Doch Juna taucht in der Gegenwart wieder auf – als Puppe. Georg Zamis, der inzwischen seine Gefühle für Juna entdeckt hat, entführt sie kurzerhand und versteckt sich mit ihr im Haus der Callas. Coco findet es heraus und zwingt Ficzkó, Juna erneut auf magische Weise in die Vergangenheit zu entführen. Sie bringt Ficzkó einen Zauber bei, den dieser anwenden soll, sobald er Junas habhaft wird. Von Georg verfolgt, flüchtet Ficzkó in einen Schrank und versetzt sich und Juna in die Vergangenheit. In letzter Sekunde springt Georg hinzu. Alle drei werden von dem Sog erfasst und gelten seitdem als verschollen.

Doch etwas ging schief: Fortan ist ein Durchgang zu anderen – höllischen – Dimensionen entstanden. Ein neuer Dämon taucht so in Wien auf: Monsignore Tatkammer. Niemand weiß, woher er stammt, doch er sät Böses, wo immer er ist. Noch ist die Schwarze Familie nicht auf ihn aufmerksam geworden, sodass er ungehindert wirken kann.

Unterdessen wird der verschwundene Schiedsrichter der Schwarzen Familie, Skarabäus Toth, in Wien gesichtet. Michael Zamis hatte ihn, um ihn loszuwerden, in ein Chamäleon verwandelt. Offensichtlich aber hat Toth eine Möglichkeit gefunden, zumindest als Geistererscheinung auf seine verzweifelte Lage aufmerksam zu machen. Michael Zamis will ihn daher endgültig loswerden und beauftragt dafür Coco.

Sie macht sich widerwillig auf die Reise und lässt den Sarg mit Toth über dem Ätna abwerfen.

Auftrag erledigt, doch sie zieht es nicht sofort nach Wien zurück, denn dort warten weitere Probleme auf sie. Nicht zuletzt ein Dämon namens Youssef, dem sie ihr Café »verkauft« hat.

In Italien lernt sie Alessandro Wolkow kennen. Als Sohn einer weißen Hexe und eines schwarzblütigen Dämons ist er eine zwiegespaltene Persönlichkeit. Die beiden verlieben sich ineinander, auch wenn Coco bewusst ist, dass sie ihre magischen Fähigkeiten dadurch zum großen Teil verliert. Dafür erkennt sie, warum sie sich so sehr verändert hat: Ihr Vater hat die Neiddämonin Invidia auf sie angesetzt. Doch gegen die Liebe ist auch die Neiddämonin machtlos – und verschwindet. Coco hofft, sie für immer los zu sein, und flüchtet mit Alessandro nach Frankreich.

Unterdessen finden sich Georg Zamis, Juna und Ficzkó im Jahr 1888 in Paris wieder. Sie sind getrennt worden, und Georg macht sich auf die verzweifelte Suche nach Juna. Dort treffen sie auf den damals noch jungen Michael Zamis, mit dessen unfreiwilliger Hilfe sie wieder in die Gegenwart gelangen – genau in die Arme einer Pariser SEK, die von der Existenz des Übersinnlichen – und vor allem von den Mächten und Machenschaften der Schwarzen Familie – weiß. Beide, Georg und Juna, werden seitdem verhört und in Gefangenschaft gehalten, haben jedoch ihr Gedächtnis verloren.

Währenddessen verbringt Coco mit ihrem Liebhaber Alessandro entspannende Wochen an der Côte d’Azur. Nach Wien zieht es sie nicht mehr. Sie ahnt nicht, dass die Zeit des Friedens bald vorbei sein wird. Jemand hat einen dämonischen Kopfgeldjäger auf sie angesetzt: den berüchtigten Charles Axman und seine Rocker-Crew! Cocos Liebhaber stirbt, als er in die Fänge eines fluchbeladenen Hauses gerät und dieses ihn verschlingt. Coco selbst entkommt dem Inferno und erblickt erneut Invidia – als habe die Neiddämonin nur auf den passenden Moment gewartet, sich Coco erneut zu nähern …

 

 

Erstes Buch: Abraxas

 

Abraxas

 

von Michael Marcus Thurner

nach einem Exposé von Uwe Voehl

 

 

Kapitel 1

 

Wodka Rot war alles, was ihm an Tagen wie diesen half. Der Alkohol berauschte, während das damit vermengte Blut die Zweifel beiseitespülte und zugleich seine Wut anfachte.

»Sie haben mich alle verlassen«, sagte Michael Zamis und ließ sich schwer auf die Lederbank im Wohnzimmer fallen. »Nur du bist mir geblieben, Oskar.« Er lachte. »Ein unsichtbarer Hüter, der mir sklavisch ergeben ist und der zu allem, was ich sage, Ja und Nema sagen muss.«

»Ja, Herr«, kam eine kaum verständliche Stimme.

»Bring mir mehr Wodka!« Er schleuderte die halb volle Flasche gegen die Wand, sie zersplitterte und beschmutzte mehrere Bilder. Die darin porträtierten Figuren zogen hässliche Grimassen und verfluchten Michael. Die Ölgemälde zeigten Opfer seiner jugendlichen Sturm- und Drangzeit. Nur wenige davon hatten die vielen Jahrzehnte seines Lebens überlebt und hingen nun, ein wenig angestaubt, im Wohnzimmer der Villa Zamis.

Oskars Präsenz wurde weniger. Der Hüter verschwand, kehrte aber rasch wieder zurück. Eine Flasche schwebte unmittelbar vor Michael Zamis.

Der tat einen Wink mit seiner Rechten. Ein Teil des fürchterlich entstellten Hüters wurde sichtbar. Sein Leib war einstmals in Salzsäure aufgelöst worden. Was übriggeblieben war – Hautfetzen, verätzte Knochen, Nervenbahnen, blutige Innereien, zerstörte Sehnen sowie Venen, durch die fast schwarzes Blut pochte, – erschien als ineinander verdrehtes Irgendetwas.

Michael erinnerte sich und musste lachen. Er hatte sich aus einer Laune heraus einmal den Spaß gemacht, Oskars körperliche Reste neu zu gruppieren, neu zusammenzusetzen. Herausgekommen war ein bizarres, in sich selbst verknotetes Etwas. Ein blutiges Auge baumelte an einem dünnen Bändchen aus der Leibesmitte, die faltige Darmöffnung hing, beständig gelben Eiter ausstoßend, aus dem Rest eines kaum erkennbaren Gesichts. Offene Nervenbahnen schickten mit jedem Schritt Schmerzimpulse durch Füße und Beine, und die Bandscheiben Oskars hatte Michael Zamis durch Knochensplitter ersetzt.

Er griff nach der Flasche, öffnete sie, setzte sie am Mund an und tat einen tiefen Schluck.

Er meinte, die alte Heimat zu schmecken. Die weiten Ebenen, die klirrend kalten und klaren Nächte, die Angst der Bauern vor ihm.

»Eine von nur noch fünfzehn Flaschen«, sagte er und betrachtete das vergilbte Etikett. »Abgefüllt im Jahr achtzehnachtzig, noch unter Pjotr Arsenjevitch Smirnov, dem Gründer der Moskauer Destillerie. Lange Zeit, bevor sein Sohn aus der geliebten Heimat flüchten musste und den Familiennamen in Smirnoff änderte.«

Er war rührselig, und Rührseligkeit bekämpfte man am besten mit noch mehr Wodka. Also nahm Michael erneut einen tiefen Schluck.

»Alle haben sie mich verlassen«, sagte er düster und stellte die Flasche vor sich ab. »Lydia ist nach London zurückgekehrt, um sich ihren perversen Gelüsten hinzugeben. Wieder einmal. Wenn sie bloß ihren Einfallsreichtum beim Töten der Opfer ihrer Lüsternheit ein einziges Mal in den Dienst der Familie stellen würde … Was meinst du, Oskar?«

»Sie haben recht, Herr. Sie ist ein billiges Flittchen.«

»Adalmar. Dieser Narr, der sich immer wieder in seinen Experimenten verliert und am liebsten die schwarze Magie neu erfinden würde. Er sollte hier sein und mir helfen! Stattdessen ist er im Streit davongezogen.«

»Er nutzt Sie aus, Herr. Sie brauchen ihn nicht.«

»Georg. Georg!« Michael brauchte noch mehr Wodka, um seinen Ärger runterzuspülen, also leerte er die Flasche in einem Zug zur Hälfte. »Ich hatte große Hoffnungen in ihn. Aber er war zu gut. Zu weich. Von seiner Schwester Coco beeinflusst. Und er lief seiner Halbschwester Juna nach wie ein geiler Straßenkater.«

»Er und Juna sind verschwunden, Herr. Sie sind kein großer Verlust für Sie.«

»Und dann noch Coco. Hat es denn jemals eine schlechtere, unwürdigere Tochter gegeben als sie? Das weiße Schaf einer altehrwürdigen Familie, das Schande über uns gebracht hat. Das sich gegen uns gestellt hat, das uns mehr als einmal Schwierigkeiten eingebracht hat. Und kaum schien sie sich ihrer Wurzeln zu besinnen, verschwand sie.«

»Sie ist ein undankbares Miststück, Herr. Sie sollten sie töten, wenn Sie sie jemals wiedersehen.«

War noch ein Kind übrig auf seiner Liste? Michael Zamis’ Gedanken und Erinnerungen verschwammen. Da waren noch andere Namen. Vera. Volkart. Demian.

Geschöpfe, die er gezeugt und die er durchaus geliebt hatte, auf seine durch und durch dämonische Weise. Sie waren auf der Strecke geblieben, weil sie schwach gewesen und im Wettstreit gegen die Mitglieder anderer dämonischer Sippen gescheitert waren.

Michael leerte die Flasche mit einem Zug. Der Wodka trank sich leicht wie Wasser.

»Thekla«, sagte er leise. »Mein Weib. Das großartigste Geschöpf, das die Schwarze Familie jemals hervorgebracht hat. Die Seele dieses Hauses. Ein Biest im Bett. An Bösartigkeit und Grausamkeit kaum zu überbieten, wenn es gegen Feinde der Zamis ging.«

Thekla hatte ihn geformt. Sie hatte ihn zu jenem erfolgreichen Dämon gemacht, der seit Jahrzehnten über die Wiener Sippen herrschte. Sie hatte ihn unerbittlich an seine Pflichten erinnert, ihn gefordert und gefördert.

Ihre Willenskraft war sein Motor gewesen. Nun, da sie weg war, fehlte ihm jeglicher Antrieb.

»Thekla ist keinen weiteren Gedanken wert, Herr!«, sagte Oskar. »Sie ist ein Flittchen, wie Sie es an jeder Straßenecke finden.«

Michael Zamis tat einige Fingerbewegungen. Oskars Körper wandelte sich erneut um. Der Hüter des Hauses begann zu schreien und zu kreischen, so laut, dass die Fensterscheiben in ihren Fassungen zitterten.

Der Blinddarm Oskars wanderte durch die eitrige Harnröhre in die Galle, die Nieren wurden mit Gallenbitter geflutet, die Reste von Oskars Fingern verstopften die Speise- und die Luftröhre. Und den Zwölffingerdarm ließ er von rasch herbeigeholten Maden anknabbern.

»Ich erlaube niemandem, ein böses Wort über Thekla zu verlieren«, sagte Michael Zamis leise. »Sie mag mich für den Tod ihres Liebhabers verantwortlich machen, und ich hasse sie abgrundtief dafür, dass sie mich mit diesem Kerl betrogen hat. Aber sie ist immer noch meine Gefährtin. Mein Halt. Meine Lebensdämonin.«

Er schleuderte Oskar in eine Ecke des Wohnzimmers und ließ ihn erneut unsichtbar werden. Er wollte sich nicht länger mit dieser miserablen Gestalt abgeben.

Das Gejammer des Hüters allerdings, es half ihm dabei, ein wenig Ruhe zu finden. Benebelt vom Alkohol und voll sehnsüchtiger Gedanken an Thekla rollte er sich auf der Ledercouch zusammen und dämmerte weg.

 

Michael Zamis erwachte mit schrecklichen Kopfschmerzen, die einen intensiven Zauber erforderten, um wieder klar denken zu können.

Er dauerte eine Weile, bis er sich an die Geschehnisse des letzten Abends erinnern konnte.

Die leeren Flaschen waren weggeräumt, die Wände gesäubert. Jene Gestalten, die in den Bilderrahmen die Qual eines quasi-ewigen Lebens erdulden mussten, waren wieder erstarrt.

Und in einem Stuhl, ihm gegenüber, saß ein Mann. Altmodisch gekleidet, mit Rüschenhemd und hervorquellendem Brusthaar, mächtigem Schnauzer und schulterlangem Haar. Die Rechte hielt er zwischen die Beine geklemmt. Er wirkte unendlich alt – und dennoch kräftig.

»Du siehst schlecht aus«, sagte der Mann und lächelte.

»Basilius«, sagte Michael Zamis. Er fasste sich rasch. »Basilius Kupferhand. Mein treu ergebener Sklave.«

Der andere verzog das Gesicht. »Ich bin nicht dein Sklave. Ich mag derzeit in deinem Namen handeln – aber ich bin mir sicher, dass unsere … Geschäftsbeziehung rasch zu einem Ende kommt.«

»Ich habe dir nicht erlaubt, in die Villa Zamis zurückzukehren«, sagte Michael. »Erst dann, wenn du Thekla gefunden hast.«

»Und wenn ich sie entdeckt hätte? Würdest du mich dann aus deinen Diensten entlassen?«

»Ich kenne dich, Basilius. Du warst ein Verräter, du wirst immer einer sein. Einem wie dir kann man nicht vertrauen.«

Der uralte Dämon zeigte die bislang versteckt gehaltene Hand und gestikulierte unruhig damit. Sie war aus Kupfer gefertigt und namensgebend für den uralten Dämon. »Ich schwöre, dass ich dein Weib gefunden habe. Ich kann dich jederzeit zu ihr bringen.«

»Erzähl mehr! Wo hast du sie gefunden? Wie geht es ihr?«

»Ich will, dass du mich aus deinem Bann entlässt. Jetzt gleich! Anschließend beantworte ich alle deine Fragen.«

»Warum machst du es uns beiden so schwer, Basilius?« Michael Zamis seufzte, konzentrierte sich und griff auf die magisch imprägnierte Kupferhand zu. Sie bewegte sich nach seinem Willen, flog hoch zur Decke – und riss den Dämonen mit sich. Basilius schrie, gleichermaßen aus Schmerz und aus Wut. Er klebte mit seiner Rechten an der Decke, die Beine zappelten wie wild.

»Sag mir gefälligst, wo du Thekla gefunden hast. Dann erspare ich uns beiden weitere Peinlichkeiten. Ein ehemaliger König, der an der Decke eines Hauses klebt, wirkt nicht sonderlich ehrfurchtgebietend.«

Michael erinnerte sich an die Vorgeschichte des Dämons. Basilius Kupferhand1 war im zehnten Jahrhundert einem Ritual gefolgt und hatte sich dämonische Gaben angeeignet, um sein Ziel, die Herrschaft über das byzantinische Reich und dessen Kaiser Romanos I., zu erreichen. Er war gescheitert, weil er die schwarze Magie unterschätzt hatte. Er war von Romanos’ dämonischen Lakaien zum Sklaven seiner eigenen künstlichen Hand gemacht worden.

Aus unerfindlichen Gründen hatte er die Jahrhunderte in einem Tiefschlaf überdauert, in irgendeiner Basilika in Istanbul, um vor wenigen Jahren von einem Sippenmitglied der Schwarzen Familie entdeckt und wiederbelebt zu werden.

Michael Zamis hatte Basilius Kupferhand erworben, ihn irgendwo in den Gängen unterhalb der Villa Zamis abgelegt und vergessen. Bis er vor zehn Tagen unruhig durch die labyrinthischen Bereiche des Kellers gewandert war und ihn gefunden hatte.

Wo war er bloß mit seinen Gedanken? Basilius hing immer noch an der Decke und jammerte.

Michael machte dem Treiben ein Ende und ließ den Dämon herunterfallen. Er stürzte auf seinen Stuhl zurück – und packte sich selbst mit der Kupferhand an der Gurgel.

»Ich finde dich ja recht amüsant, Basilius. Aber wir beide sind keine Partner. Du bist mein Eigentum, solange ich es möchte. Es gibt für dich keinerlei Aussicht auf Freiheit. Haben wir uns verstanden? Ja? – Dann sag mir endlich, wo du Thekla gefunden hast.«

»Sie … plant eine Reise!«, ächzte Basilius kaum verständlich, während sich sein Gesicht allmählich rot färbte.

»Ist sie alleine oder in Begleitung?«

»All…eine.«

»Wie erfreulich. Und wo, bitteschön, ist der Ausgangspunkt ihrer Reise?«

»Sie fährt mit einem Schiff. Von … Casablanca aus.«

»Mit welchem Ziel?«

»Valencia. Sie wird an Bord der Abraxas eine Luxusreise antreten.«

Michael lockerte den Griff der Kupferhand, Basilius atmete tief durch und hustete schwer.

»Eine Schiffsreise. Zur Entspannung. Will sie sich etwa an anderen Gästen delektieren? – Ich kenne ihre Art. Wenn sie möchte, kann sie derart viel Unfrieden stiften, dass eine Hundertschaft an Menschen übereinander herfällt und sich gegenseitig zerfleischt. Bei Asmodi! Was ist das bloß für ein tolles Weib.«

»Es ist … nicht ganz so«, krächzte Basilius. »Thekla nimmt an einer Kreuzfahrt teil, die von dämonischen Gästen und Menschen gleichermaßen gebucht wurde.«

»Um sich einen neuen Liebhaber zu angeln!« Michael sprang hoch, ging unruhig auf und ab und zwang währenddessen Basilius dazu, sich selbst kräftige Fausthiebe zu verpassen. »Sie hat mich völlig vergessen oder verdrängt.«

Er fand seine Fassung, setzte sich und erlöste Basilius. Beide Augen des Dämons waren gerötet, die Wangen von den Schlägen mit der metallenen Hand aufgeschlitzt. Er blutete stark und erinnerte Michael Zamis daran, dass er noch nicht gefrühstückt hatte.

»Ich will selbst das geringste Detail über diese Reise wissen, Basilius. Sag mir alles, was du weißt. Ohne weitere Umschweife. Benimm dich gut, dann behandle ich dich gut.« Er lachte kurz auf. »Na schön, vielleicht auch nicht.«

 

 

Kapitel 2

 

Von überall her erklangen die Rufe der Muezzin. Es war die Zeit für das erste Fard2-Gebet des Tages, zwischen Morgengrauen und Sonnenaufgang. Michael Zamis hatte einen Nachtflieger genommen und dabei die Business Class für sich alleine gehabt. Die anderen Flugpassagiere hatten sich auf seinen Wunsch hin im Economy-Bereich zusammengedrängt.

Der morgendliche Spaziergang tat ihm gut. Noch war es kühl zwischen den Lehmhäusern, verfallenden Resten der Stadtmauer und einigen moderneren Gebäuden, die den Medina-Basar charakterisierten. Überall hingen rostige Satellitenschüsseln.

Bärtige Männer erhoben sich vom Boden und rollten ihre Gebetsteppiche ein, sobald die Muezzin schwiegen. Stumm machten sie sich wieder an die Arbeit. Sie zogen ihre voll beladenen Handkarren ins Innere des Basars. Michael Zamis sah Gewürze, die in fein verzierten Tonbehältnissen transportiert wurden; bunte Stoffe mit fantasievollen Mustern; Lederwaren; handgetriebene Kupfer- und Zinnarbeiten. Shishapfeifen, billigen Plastiktand, schlecht gemalte Bilder, antike Münzen, Süßwaren, Fladenbrot, Metallfigurinen.

Herrenlose Hunde tollten zwischen den Beinen der Männer umher. Ab und zu bekamen sie einen Tritt ab, wenn sie nach den fleischlichen Köstlichkeiten schnappten, die sich auf einigen wenigen der rumpelnden Wagen türmten. Halbwüchsige Burschen unterhielten sich angeregt auf ihrem Weg zur Schule. Sie trieben einen selbstgenähten Fußball vor sich her. Sie stritten, sie lachten, und sie prahlten damit, wem sie letztens unter den Rock gegriffen hatten.

Sie sind so simpel gestrickt, diese Menschen. So leicht zu täuschen. Die meisten von ihnen leben in bitterer Armut. Es reicht, ihnen ab und zu jenes Gefühl zu geben, das sie Glückseligkeit nennen. Dann funktionieren sie wieder in ihrem Herdendrang. Dann gehorchen sie den wenigen Reichen – und uns Dämonen, die wir still und leise über sie herrschen.

Michael Zamis erblickte in einem der niedrigen Hauseingänge einen Mann mit finsterem Gesicht. In seinen Augen leuchtete ein besonderes Feuer. Er konnte die dämonische Ausstrahlung des Kerls riechen und schmecken.

Der Mann zog sich zurück. Gewiss würde binnen weniger Minuten die dämonische Gemeinschaft in der Alten Medina, der Innenstadt Casablancas, wissen, dass ein Fremder angekommen war. Einer, der hier nichts zu suchen hatte.

Basilius, der ihm einige Schritte hinterherschlich, rief ihm auf Deutsch zu: »Sie werden dich an deinen Testikeln durch den Sand schleifen lassen! Und dann bin ich frei.«

Michael reagierte nicht auf seinen Begleiter. Er beobachtete stattdessen seine Umgebung. Er achtete auf Symbole, Gesten, Zinken, Schriften und Geflüster, das von den niedrigen Wänden der Häuser widerhallte.

Sie waren rings um ihn, und sie wurden immer mehr. Sie verfolgten jeden seiner Schritte, während er tiefer ins Labyrinth der Alten Medina vordrang.

»Du gehst vor!«, befahl Michael und blieb stehen. Er tat so, als würde er eine arabische Schrifttafel betrachten. »Ich sage dir den Weg an, den du nehmen musst.«

»Aber …«

»Glaubtest du etwa, ich würde mein Leben aufs Spiel setzen? – Nein, Basilius! Wenn es einen von uns beiden erwischt, dann dich. Sie wissen, dass du ebenfalls Mitglied der Schwarzen Familie bist.«

Michael zupfte gedanklich an Basilius’ Kupferhand. Sie zog den alten Dämon vorwärts, vorbei an ihm.

»Wenn ich freikomme, wirst du das alles bitter bereuen«, sagte sein unfreiwilliger Begleiter und schickte einen schrecklichen Fluch hinterher.

»Du solltest keine großen Töne spucken, sondern betteln und flehen, dass ich dich jemals wieder aus meinen Diensten entlasse. – Du gehst an der nächsten Ecke links, dann geradeaus.«

Michael folgte seinem Begleiter und ließ ihn dabei niemals aus den Augen. Basilius war ein Großmaul, aber auch heimtückisch. Er würde die erstbeste Gelegenheit nützen, um ihn zu verraten.

Immer wieder bekam er Einblick in andere, parallel laufende Straßen. Er sah Männer, die mit gleichem Tempo wie er die labyrinthischen Wege entlanggingen und ihm heimtückische Blicke zuwarfen. Auf einigen Dächern standen Vermummte. Jugendliche, die an Michael vorbeieilten, sahen ihn böse an und wichen ihm aus, als hätte er die Pest. Zwei Männer, die an einem wackeligen Tisch unmittelbar neben einer Shisha-Bar Backgammon spielten, zischten ihm einige Worte in einer altarabischen Dämonensprache zu.

Man wusste, dass er kam, und man bereitete sich auf ihn vor.

Die grob gepflasterten Wege wurden enger, das Licht über Michael Zamis immer weniger. Obststände reichten weit in die Straßen hinein, ebenso Stände mit bunten Tüchern und Kleidern. Da und dort priesen die Händler ihre Waren mit müde klingenden Stimmen an. Das Stimmenwirrwarr würde lauter und intensiver werden, je länger der Vormittag andauerte.

Basilius erreichte einen kleinen Platz, dessen Mitte von einem steinernen Brunnen beherrscht wurde. Ratlos blieb er stehen und wartete auf weitere Anweisungen seines Herrn.

Michael Zamis sah sich um. Aus drei Fischköpfen sprudelte Wasser und platschte in das Rund des schlecht gefüllten Beckens. Das Plätschern hallte von den Wänden der Häuser wider, was ihm mehr Tiefe, mehr Volumen verlieh. Ringsum standen mannsgroße Palmpflanzen in breiten Töpfen, die Lehmgebäude waren in bunten Farben angemalt.

 

Ein Schatten huschte quer über die Straße, kaum erkennbar. Dann noch einer und noch einer. Sie versprühten tiefschwarze Magie. Michael Zamis wusste, dass es so weit war. Seine Verfolger wollten ihn testen.

Er hörte einen Schmerzensschrei; Basilius wandte sich ihm zu. Er trug eine blutende Wunde quer über den Oberarm. Einer der drei Assassinen hatte ihn gestreift und ihm auf spielerische Art und Weise eine stark blutende Wunde zugefügt. Dunkles, fast schwarzes Blut quoll daraus hervor.

»Nur die Ruhe«, sagte Michael Zamis. »Sie wollen dich und mich testen. Stille die Blutung und hör auf zu greinen. Du wirst ja wohl mit einer einfachen Fleischwunde zurechtkommen.«

Er kümmerte sich nicht weiter um Basilius. Er verharrte, konzentrierte sich und glitt in den rascheren Zeitablauf.

Augenblicklich änderte sich alles ringsum. Die wenigen Menschen erstarrten, das Wasser quoll nur noch im Zeitlupentempo aus den Fischköpfen. Basilius riss sich eben ein Stück Tuch aus seiner weit gefassten Hose. Er wollte einen Teil davon gegen die Wunde drücken und aus dem Rest des Stoffs einen improvisierten Pressverband fertigen.

Nicht einmal einen Heilzauber kannte der alte Dämon! Kein Wunder, dass er beim Kampf um die Herrschaft über Konstantinopel gescheitert war.

Michael Zamis bewegte sich nicht. Er stand einfach nur da und beobachtete. Wartete. Lauerte.

Da! Ein Assassine kam herbeigerannt. Er war in schwarzes Tuch gehüllt, das Gesicht war unter einer Maske verborgen. In der Hand hielt er einen handlangen Krummdolch. Er bewegte sich schnell, aber immer noch langsam genug, um Michael Zamis Gelegenheit zu geben, auf den Attentäter zu reagieren.

Ein kurzer Impuls, auf Basilius gerichtet, genügte. Als der Assassine auf den alten Dämon einstechen wollte, wirkte Michael Zamis, dass der seine Kupferhand hochriss, den Attentäter blitzschnell abwehrte und mit einer weiteren Bewegung seinem Gegner in den Magen schlug. Der klappte im Zeitlupentempo zusammen und schlug ebenso langsam auf dem gepflasterten Boden auf.

Drei weitere Vermummte kamen zwischen den Häusern hervorgerannt. Einer von ihnen eilte auf Michael Zamis zu, die beiden anderen stürzten sich auf Basilius.

Er hielt nicht viel von roher Gewalt. Natürlich machte es gehörig Spaß, einem Gegner den Darm meterweise aus dem Hintern zu ziehen, ihm das gute Ding in den Mund zu stopfen und ihn zu zwingen, es stückweise zu verschlingen. Noch interessanter allerdings fand Michael Zamis es, die Geschmacksnerven seines Opfers zu verbessern und ihn umso deutlicher spüren zu lassen, was er da eigentlich tat. Es war der Geist eines Opfers, den er liebend gerne quälte.

In diesem Fall würde er allerdings auf physische Gewalt ausweichen. Er bereitete sich konzentriert auf den herananstürmenden Assassinen vor. Der kleine, drahtige Mann bewegte sich etwa mit der Hälfte seines eigenen Tempos.

Mit einer eleganten Körperdrehung wich Michael dem Anstürmenden aus, trat ihm von hinten kräftig in die Kniekehle, sodass er zu Boden stürzte und sich mehrmals überschlagend über dem Pflaster dahinrollte.

Er wandte sich den Geschehnissen rings um Basilius zu, der etwa ein Dutzend Meter von ihm entfernt angegriffen wurde. Der alte Dämon hatte eine weitere Schnittwunde abbekommen, quer über die Stirn, und einen Stich in den rechten Oberschenkel.

Michael Zamis fühlte kalten Zorn. Basilius war sein Eigentum! Spielzeug, mit dem niemand anderer als er selbst schlecht umgehen durfte.

Also tastete er erneut nach Basilius’ Kupferhand und steuerte sie, als die beiden Assassinen einen zweiten Angriff lancierten. Dem einen stach er mit den gestreckten Fingern die Augen aus. Dem anderen Attentäter hieb er mit derartiger Wucht auf die linke Schulter, dass es ihn den Arm fast zur Gänze abriss. Der Oberarmknochen war mit einem Mal zu sehen, lose daran hängende Sehnen, zähe Muskelsubstanz. Blut spritzte aus dem Körper, so langsam, wie das Wasser aus den Fischköpfen quoll.

Michael Zamis wandte sich wieder seinem eigenen Gegner zu. Der versuchte mittlerweile auf die Beine zu kommen – beziehungsweise auf das eine Bein. Das andere war nicht mehr zu gebrauchen.

Mehrere laute Töne erkannte er als Schmerzensschreie. Der eine langgezogen, der andere abgehackt und im Rhythmus rasch gehenden Atems, der dritte voll Panik.

Michael trat seinem Feind gegen das zweite Knie und drückte es nach hinten durch. Der Mann kippte haltlos nach hinten und schrie noch lauter, noch intensiver.

Er wechselte zurück in den normalen Zeitablauf und rief: »Genug gespielt, Karim Bey! Oder willst du noch mehr Verletzte sehen? Möchtest du, dass ich deine ganze Bande dämonischer Assassinen auslösche?«

Ein Lachen erklang, laut und dröhnend. Aus der Tür eines Hauses quetschte sich ein unglaublich fetter Kerl hervor. Er watschelte auf Michael zu, ächzend und stöhnend, als bedeute jeder Schritt eine Qual für ihn.

»Mein lieber alter Freund Michael Zamis! Du bist es also wirklich. Was für eine Freude, dich nach so langer Zeit wiederzusehen.«

 

Karim Bey war das Erzeugnis eines Ghouls, der sich mit einer menschlichen Nekrophilistin eingelassen hatte. Michael hatte den nordafrikanischen Dämon vor langer, langer Zeit kennen- und hassen gelernt. Aber der riesige Fettklops hatte sich in Marokko eine beeindruckende Machtbasis aufgebaut. Man sagte, dass in dem Land am Atlas-Gebirge nichts ohne seine Zustimmung geschah.

»… das waren halt Zeiten!«, rief Karim Bey. »Was waren wir doch für Kerle in unserer Jugend!« Er lachte, hieb sich auf den fetten Schenkel und ließ sich von einer Dienerin eine weitere Portion Fleisch bringen. Die verängstigte junge Frau hatte große Mühe, das Tablett zu tragen und vor ihnen auf dem niedrigen Tisch abzuladen.

Michael lehnte ab, als ihm der Araber anbot zuzugreifen. Sein Teller blieb leer. Er aß Menschenfleisch nicht sonderlich gerne. Außerdem mochte er es nicht, von seinem Essen angeblickt zu werden. Der abgetrennte Kopf jenes Assassinen, dem er beide Kniescheiben zertrümmert hatte, lag zwischen den Resten anderer Untergebener Karim Beys.

Der arabische Dämon griff eifrig zu. Sein Maul war riesig. Er schob sich einen stattlichen Unterarm tief hinein, biss ihn am Handgelenk ab und zermahlte mit seinem gewaltigen Gebiss die Knochen, bevor er mit einem hässlichen Würgen alles hinabschluckte. Zum Nachspülen trank er getrübtes Wasser.

»Friedhofswasser«, vertraute er Michael Zamis an. »In Marokko wird viel und eifrig gestorben, also sind die Friedhöfe gut gefüllt. Ich habe mir einige Grabreihen reservieren und das Gebiet überschwemmen lassen, sodass es den Geschmack und den Odem der Toten aufnehmen konnte. Das Erbe meines Vaters lässt sich nun mal nicht verleugnen.«

»Du lässt es dir gut gehen«, sagte Michael und blickte sich zum wiederholten Male um. »Gold, Edelsteine, schöne Frauen …«

»Das Geschäft läuft bestens, Michael. Wann immer jemand einen Mord beauftragt, sind ich und meine exzellent ausgebildeten Leute am Zug.«

»Und dennoch gibst du dich mit – verzeih mir – menschlichem Tand ab. Du stellst deinen Reichtum zur Schau, als wärst du einer von ihnen.«

»Ich bin nun mal zur Hälfte Mensch. Mutter hat mich stets gelehrt, der Dekadenz auch nach irdischer Art zu frönen.«

»Deine Mutter lebt noch?«

Karim Bey griff nach einem neuen Stück Fleisch. Es stammte von der Schulter und war zart angebraten.

»Ich sorge dafür, dass sie nicht so rasch stirbt«, sagte er, bevor er seine Zahnreihen darin vergrub. »Ich verdanke ihr viel, also erweise ich ihr meine Ehre.« Laut schmatzend würgte der marokkanische Dämon den Happen hinunter. »Leider war sie in meiner Jugend nicht sonderlich nett zu mir, also muss ich sie ab und zu bestrafen.« Er lachte brüllend drauf los und benötigte eine Weile, bis er sich wieder erholt hatte. »Ich koste dann und wann von ihr und warte darauf, dass sie ausblutet. Nachdem sie gestorben ist, ficke ich ihren welken Leichnam – und erwecke sie anschließend wieder zum Leben. Ist das nicht witzig? Los, sag schon!«

»Ja. Das ist überaus amüsant.« Michael Zamis verzog keine Miene.

»Aber lassen wir den Smalltalk. Reden wir darüber, was du in meiner wunderschönen Stadt zu suchen hast. Du wirst ja kaum gekommen sein, um mir einen Höflichkeitsbesuch abzustatten. Und noch dazu ohne Vorankündigung.« Karim Bey erhob wie mahnend einen seiner Zeigefinger. »Ich mag das ganz und gar nicht, von einem Vertreter der Schwarzen Familie besucht zu werden, ohne dass man mich um Erlaubnis fragt. Du lebst bloß deshalb noch, weil du ein Freund und Verbündeter bist.«

»Ich musste so schnell wie möglich aus Wien abreisen und hatte keine Zeit mehr, dich um Erlaubnis zu bitten.«

»Hast du Geschäfte in Casablanca zu erledigen?« Ein tiefrotes Feuer glühte mit einem Mal in Karim Beys Augen. »Du weißt, dass ich es nicht dulde, wenn sich jemand in meine Angelegenheiten einmischt. Diese Stadt gehört mir. Mir ganz alleine!«

Die Stimme des arabischen Dämons wurde lauter, drängender, intensiver. Aus seinem Maul troff Speichel, begleitet von dem einen oder anderen Stück unverdauten Fleischs.

Michael Zamis wusste, dass er mit Karim Bey jemanden vor sich hatte, der ihm kräftemäßig nichts entgegenzusetzen hatte. Aber er umgab sich mit Günstlingen, die die Drecksarbeit für ihn erledigten.

Er hat sich durch pure Rücksichtslosigkeit seinen Weg an die Spitze der dämonischen Nahrungskette gebahnt. Irgendwann einmal wird ihm einer seiner Untergebenen oder ein Rivale das in Weihwasser getränkte Messer in den Rücken stoßen und Karim Beys Platz einnehmen.

»Keine Sorge«, sagte Michael, »ich habe keinerlei Interesse daran, deine Umtriebe zu stören. Ich bin auf der Suche nach meiner Frau.«

»Nach der schrecklichen Thekla? – Ist sie deinen Fängen etwa entkommen?«

»Ich habe Thekla niemals besessen«, erwiderte Michael mit angemessener Schärfe in der Stimme. »Sie ist eine eigenständige Person und Persönlichkeit, die ganz alleine über ihr Schicksal bestimmt.«

»Erzähl mir doch nichts, Michael! Sie ist vor dir davongelaufen und hat deinen Stolz verletzt. Du willst sie zwingen, zu dir zurückzukehren.«

»Ich will sie davon überzeugen.«

»Ach, ihr Europäer mit euren Spitzfindigkeiten! – Na schön. Thekla hält sich in Casablanca auf. Wenn du willst, lasse ich nach ihr suchen und lege sie dir zu Füßen. Entweder im Ganzen oder zerstückelt. Wie auch immer es dir beliebt. Im Gegenzug schuldest du mir einen Gefallen.«

Es war ein plumper Versuch eines plumpen Kerls. Karim Bey sah eine willkommene Chance, ihn in eine Verpflichtung zu zwingen und in seine Ränkespiele mit einzubeziehen.

»Du vergisst, dass du mir einen Gefallen schuldest«, sagte Michael Zamis. »Oder muss ich dich an diese leidliche Angelegenheit in Kuala Lumpur erinnern, als du …?«

»Pscht! Die Wände haben Ohren.« Der marokkanische Dämon hielt im Essen inne und tupfte sich die Mundwinkel mit einem tuchartigen Etwas ab, das vermutlich aus Menschenhaut bestand. »Diese Angelegenheit, wie du sie nennst, ist nie geschehen. Wir waren uns darüber einig, nicht wahr?«

»Selbstverständlich. Sofern du mir diesen kleinen Gefallen erweist …«

»Du hast ein Gedächtnis wie ein Elefant«, sagte Karim Bey und wirkte mit einem Mal verdrossen.