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Jules Verne

Das Karpatenschloss

Jules Verne

Das Karpatenschloss

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
Fußnoten und Übersetzung: Jürgen Schulze
Illustrationen: Léon Benett
EV: A. Hartleben, Leipzig, 1893
1. Auflage, ISBN 978-3-962815-19-6

null-papier.de/628

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Inhaltsverzeichnis

Ju­les Ver­ne – Le­ben und Werk

Ers­tes Ka­pi­tel

Zwei­tes Ka­pi­tel

Drit­tes Ka­pi­tel

Vier­tes Ka­pi­tel

Fünf­tes Ka­pi­tel

Sechs­tes Ka­pi­tel

Sieb­tes Ka­pi­tel

Ach­tes Ka­pi­tel

Neun­tes Ka­pi­tel

Zehn­tes Ka­pi­tel

Elf­tes Ka­pi­tel

Zwölf­tes Ka­pi­tel

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel

Sieb­zehn­tes Ka­pi­tel

Acht­zehn­tes Ka­pi­tel

Ein Nach­wort

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie die­ses E-Book aus mei­nem Ver­lag er­wor­ben ha­ben.

Ju­les Ver­ne ge­hört zu den Au­to­ren, die je­der schon ein­mal ge­le­sen hat. Eine Be­haup­tung, die man nicht über vie­le Schrift­stel­ler auf­stel­len kann. Die Ge­schich­ten von Ver­ne sind un­ter­hal­tend, lehr­reich und im­mer sehr at­mo­sphä­risch.

In un­re­gel­mä­ßi­ger Fol­ge wird mein Ver­lag die Wer­ke von Ver­ne ver­öf­fent­li­chen – die be­kann­ten wie die un­be­kann­ten. Im­mer in der über­ar­bei­te­ten Er­st­über­set­zung, um den (sprach­li­chen) Ch­ar­me der Zeit bei­zu­be­hal­ten.

Kor­ri­giert und kom­men­tiert wer­den Orts- und Per­so­nen­na­men oder of­fen­sicht­lich falsche An­ga­ben. Sie fin­den die Er­läu­te­run­gen in Fuß­no­ten.

Ich habe es mir auch nicht neh­men las­sen, die ur­sprüng­li­chen Na­men zu ver­wen­den: Aus dem Jo­hann wird so wie­der der ur­sprüng­li­che Jean, aus Lud­wig wie­der Louis und aus Ma­ri­an­ne wie­der Ma­rie. Ich den­ke, das tut den Ge­schich­ten nur gut.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

 

Ihr
Jür­gen Schul­ze

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Ju­les Ver­ne – Le­ben und Werk

Bei­na­he wäre Klein-Ju­les als Schiffs­jun­ge nach In­di­en ge­fah­ren, hät­te eine Lauf­bahn als See­mann ein­ge­schla­gen und spä­ter un­ter­halt­sa­mes See­manns­garn ge­spon­nen, das ver­mut­lich nie die Drucker­pres­se er­reicht hät­te.

Jules Verne
Ju­les Ver­ne

Ver­liebt in die aben­teu­er­li­che Li­te­ra­tur

Glück­li­cher­wei­se für uns Le­ser hin­dert man ihn dar­an: Der Elf­jäh­ri­ge wird von Bord ge­holt und ver­lebt wei­ter­hin eine be­hü­te­te Kind­heit vor bür­ger­li­chem Hin­ter­grund. Ge­bo­ren am 8. Fe­bru­ar 1828 in Nan­tes, wächst Ju­les-Ga­bri­el Ver­ne in gut si­tu­ier­ten Ver­hält­nis­sen auf. Als äl­tes­ter von fünf Spröss­lin­gen soll er die vä­ter­li­che An­walt­spra­xis über­neh­men, wes­halb er ab 1846 in Pa­ris Jura stu­diert.

Viel span­nen­der fin­det er schon zu die­ser Zeit al­ler­dings die Li­te­ra­tur. Ver­ne freun­det sich so­wohl mit Alex­and­re Du­mas als auch mit sei­nem gleich­na­mi­gen Sohn an. Ge­mein­sam mit Va­ter Du­mas ver­fasst er Opern­li­bret­ti und ers­te dra­ma­ti­sche Wer­ke. Nach dem Ab­schluss sei­nes Stu­di­ums be­schließt er, nicht nach Nan­tes zu­rück­zu­keh­ren, son­dern sich völ­lig der Dra­ma­tik zu wid­men.

Zwar schreibt er nicht ganz er­folg­los – drei sei­ner Er­zäh­lun­gen er­schei­nen in ei­ner li­te­ra­ri­schen Zeit­schrift. Doch zum Le­ben reicht es nicht, wes­halb der jun­ge Au­tor 1852 den Pos­ten ei­nes In­ten­danz-Se­kre­tärs am Théâtre ly­ri­que an­nimmt. Im­mer­hin wird die­se Ar­beit zu­ver­läs­sig ver­gü­tet und Ver­ne darf sich als Dra­ma­ti­ker be­tä­ti­gen. In sei­ner Frei­zeit ver­fasst er wei­ter­hin Er­zäh­lun­gen, wo­bei ihn aben­teu­er­li­che Rei­sen am meis­ten in­ter­es­sie­ren.

Als er 1857 eine Wit­we hei­ra­tet, die zwei Töch­ter in die Ehe mit­bringt, muss sich der Li­te­rat nach ei­ner bes­ser be­zahl­ten Ein­kom­mens­quel­le um­se­hen. Wäh­rend der nächs­ten zwei Jah­re schlägt er sich als Bör­sen­mak­ler durch, wo­bei er ge­nug Zeit fin­det, län­ge­re Schiffs­rei­sen zu un­ter­neh­men, be­vor 1861 sein Sohn Mi­chel ge­bo­ren wird.

Ver­liebt ins li­te­ra­ri­sche Aben­teu­er

Letzt­lich ist es ei­ner be­son­de­ren Be­geg­nung im Jahr 1862 ge­schul­det, dass al­les, was der Au­tor bis­her »geis­tig an­ge­sam­melt« hat, in sei­nen künf­ti­gen Ro­ma­nen kul­mi­nie­ren darf: Der Ju­gend­buch-Ver­le­ger Pier­re-Ju­les Het­zel ver­öf­fent­licht Ver­nes uto­pi­schen Rei­se­ro­man »Fünf Wo­chen im Bal­lon«. Die­ses von ihm oh­ne­hin be­vor­zug­te Su­jet wird den Schrift­stel­ler nie wie­der los­las­sen – die aben­teu­er­li­chen Rei­sen, auf wel­cher Rou­te auch im­mer sie ab­sol­viert wer­den. Het­zel ver­legt Ver­nes noch heu­te be­lieb­tes­te Schrif­ten: 1864 »Rei­se zum Mit­tel­punkt der Erde«, im fol­gen­den Jahr »Von der Erde zum Mond«, 1869 »Rei­se um den Mond« und »Zwan­zig­tau­send Mei­len un­ter dem Meer«. Mit »Rei­se um die Erde in 80 Ta­gen« er­scheint 1872 Ju­les Ver­nes er­folg­reichs­ter Ro­man über­haupt.

Die Zu­sam­men­ar­beit mit Het­zel, der gleich­zei­tig als sein Men­tor fun­giert, sorgt in den spä­ten 1860er Jah­ren da­für, dass der höchst pro­duk­ti­ve Schrift­stel­ler sei­ner Fa­mi­lie ei­ni­gen Wohl­stand bie­ten und sich selbst »ju­gend­traum­haf­te« Rei­se­wün­sche er­fül­len kann. Sein Ver­le­ger stellt ihn nam­haf­ten Wis­sen­schaft­lern vor – in Kom­bi­na­ti­on mit den er­wähn­ten Rei­sen ent­steht auf die­se Wei­se ein un­ge­heu­rer Fun­dus der In­spi­ra­ti­on: Ju­les Ver­nes Zet­tel­kas­ten ent­hält an­geb­lich 25.000 No­ti­zen!

Zwar ist er seit »Rei­se um den Mond« glei­cher­ma­ßen wohl­ha­bend und ge­ach­tet; er en­ga­giert sich seit den spä­ten 1880er Jah­ren so­gar als Stadt­rat in Amiens, wo­hin er 1871 mit sei­ner Fa­mi­lie über­ge­sie­delt war. Der »Rit­ter­schlag« aber bleibt aus: In der Aca­dé­mie françai­se möch­te man den Ju­gend­buch­au­tor nicht ha­ben, er gilt als nicht se­ri­ös ge­nug.

Den Ze­nit sei­nes Schaf­fens hat der Li­te­rat be­reits über­schrit­ten, als er 1888 blei­ben­de Ver­let­zun­gen durch den Schuss­waf­fen-An­griff ei­nes geis­tes­ge­stör­ten Ver­wand­ten da­von­trägt. Den­noch ar­bei­tet der Au­tor un­un­ter­bro­chen wei­ter. Als Ju­les Ver­ne im März 1905 stirbt, hin­ter­lässt er ein ge­wal­ti­ges Ge­samt­werk: 54 zu Leb­zei­ten er­schie­ne­ne Ro­ma­ne, wei­te­re elf Ma­nu­skrip­te be­ar­bei­tet sein Sohn Mi­chel nach dem Tod des Va­ters. Er­gänzt wird Ver­nes Œu­vre durch Er­zäh­lun­gen, Büh­nen­stücke und geo­gra­fi­sche Ver­öf­fent­li­chun­gen.

Ge­liebt und miss­ach­tet

Je­nes zwie­späl­ti­ge Ver­hält­nis, das sich be­reits in der Ab­leh­nung der Aka­de­mie­mit­glie­der äu­ßert, kenn­zeich­net die aka­de­mi­sche Re­zep­ti­on bis heu­te: Ju­les Ver­ne ist eben »nur ein Ju­gend­buch­au­tor«. We­ni­ger be­fan­ge­ne Re­zi­pi­en­ten frei­lich schrei­ben ihm eine ganz an­de­re Be­deu­tung zu, die dem Vi­sio­när und lei­den­schaft­li­chen Er­zäh­ler bes­ser ge­recht wird.

Wenn­gleich der al­tern­de Li­te­rat zum Ende sei­nes Schaf­fens durch­aus nicht mehr in gläu­bi­ger Tech­nik­be­geis­te­rung auf­geht, blei­ben uns doch ge­nau jene Wer­ke in lie­be­vol­ler Erin­ne­rung, in de­nen tech­ni­sche und mensch­li­che Groß­ta­ten die Hand­lung be­stim­men: »Rei­se um die Erde in 80 Ta­gen« oder »Zwan­zig­tau­send Mei­len un­ter dem Meer« bei­spiels­wei­se. Wer als Kind von Nemo und sei­ner Nau­ti­lus liest, wird un­wei­ger­lich ge­fan­gen von die­sem tech­ni­schen Wun­der­werk und des­sen Ka­pi­tän. Ver­nes Ro­ma­ne ge­hö­ren zu je­nen Ju­gend­bü­chern, die man als Er­wach­se­ner ger­ne noch­mals zur Hand nimmt – und man staunt er­neut, er­in­nert sich, lässt sich wie­der­um ein­fan­gen und fragt sich, warum man ei­gent­lich so sel­ten Ver­ne liest…

So wie der Au­tor sich selbst durch Rei­sen und Wis­sen­schaft in­spi­rie­ren lässt, die­nen sei­ne Wer­ke seit je­her der In­spi­ra­ti­on sei­ner Le­ser­schaft. Wie prä­sent die­ser ex­zel­len­te Un­ter­hal­ter in den Köp­fen sei­ner Le­ser bleibt, be­le­gen Be­nen­nun­gen in See- und Raum­fahrt: Das ers­te Atom-U-Boot der Ge­schich­te ist die ame­ri­ka­ni­sche USS Nau­ti­lus. Ein Raum­trans­por­ter der Eu­ro­päi­schen Raum­fahr­t­agen­tur heißt »Ju­les Ver­ne«, ein As­te­ro­id und ein Mond­kra­ter tra­gen eben­falls den Na­men des Schrift­stel­lers. Die »Ju­les Ver­ne Tro­phy« wird seit 1990 für die schnells­te Wel­t­um­se­ge­lung ver­lie­hen, was dem be­geis­ter­ten Jacht­be­sit­zer Ver­ne ge­wiss ge­fal­len hät­te.

Der kom­mer­zi­el­le Li­te­ra­tur­be­trieb so­wie die Film­wirt­schaft be­trach­ten den fran­zö­si­schen Va­ter der Science-Fic­ti­on-Li­te­ra­tur eben­falls mit Wohl­wol­len: Un­zäh­li­ge Neu­auf­la­gen der Ro­man­klas­si­ker, Hör­bü­cher und Ver­fil­mun­gen der ra­san­ten, stets mit­rei­ßen­den Hand­lun­gen spre­chen Bän­de. Mitt­ler­wei­le gel­ten die äl­tes­ten Ver­fil­mun­gen selbst als kul­tu­rel­le Mei­len­stei­ne, die kei­nes­wegs nur ein jun­ges Pub­li­kum er­freu­en.

Ju­les Ver­nes Be­deu­tung für die Li­te­ra­tur

Der Ein­fluss Ver­nes auf nach­fol­gen­de Science-Fic­ti­on-Au­to­ren ist gar nicht hoch ge­nug ein­zu­schät­zen: Aus heu­ti­ger Sicht ist er ei­ner der Vor­rei­ter der uto­pi­schen Li­te­ra­tur Eu­ro­pas, der noch vor H. G. Wells (»Krieg der Wel­ten«) und Kurd Laß­witz (»Auf zwei Pla­ne­ten«) das neue Gen­re be­grün­det. Sein­er­zeit gibt es die­sen Be­griff noch nicht, wes­halb Het­zel die Ro­ma­ne sei­nes Er­folgs­schrift­stel­lers als »Au­ßer­ge­wöhn­li­che Rei­sen« ver­mark­tet

Der Fran­zo­se sieht, an­ders als Wells und ähn­lich wie Laß­witz, im tech­ni­schen Fort­schritt das künf­ti­ge Wohl der Mensch­heit be­grün­det. Trotz­dem ist Ju­les Ver­ne vor al­lem Er­zäh­ler: Er will we­der war­nen wie Wells noch be­leh­ren wie Laß­witz, son­dern in ers­ter Li­nie un­ter­hal­ten. Im Ver­gleich zum sprö­den Rea­lis­mus ei­nes Wells wir­ken sei­ne Ro­ma­ne für mo­der­ne Le­ser aus­ufernd, viel­leicht so­gar ge­schwät­zig. Den­noch sind sie leich­ter zu­gäng­lich als das sti­lis­tisch ähn­li­che Schaf­fen des Deut­schen Laß­witz, weil sie Uto­pie und Tech­nik­be­geis­te­rung nicht zum Zweck ih­res In­halts ma­chen, son­dern le­dig­lich zu des­sen Trä­ger: Schließ­lich ist es ein­fach auf­re­gend, in ei­nem Bal­lon eine Welt­rei­se an­zu­tre­ten oder Ka­pi­tän Nemo in sein ge­hei­mes Reich zu fol­gen.

Das Karpatenschloss

Das Karpatenschloss

Erstes Kapitel

Die nach­fol­gen­de Er­zäh­lung ist nicht fan­tas­ti­scher, sie ist nur ro­man­ti­scher Art. Es wür­de ein Irr­tum sein, we­gen ih­rer Un­wahr­schein­lich­keit zu glau­ben, dass sie nicht wahr wäre. Wir le­ben in ei­ner Zeit, wo al­les mög­lich … ja man wäre be­rech­tigt zu sa­gen, wo al­les schon vor­ge­kom­men ist. Wenn un­se­re Er­zäh­lung heu­te auch nicht wahr­schein­lich sein soll­te, so ist sie es viel­leicht schon mor­gen, dank der wis­sen­schaft­li­chen Hilfs­mit­tel, die sich der Zu­kunft bie­ten, und dann wür­de es nie­man­dem in den Sinn kom­men, sie als sa­gen­haft zu be­zeich­nen. Heu­te, nahe dem Ab­schluss des so prak­ti­schen, so po­si­ti­ven neun­zehn­ten Jahr­hun­derts, ent­ste­hen üb­ri­gens kei­ne Sa­gen mehr, we­der in der Bre­ta­gne, dem Ge­biet der wil­den Kor­ri­gans, noch in Schott­land, der Hei­mat der Brow­nies (Hein­zel­männ­chen) und der Gno­men; we­der in dem sa­gen­um­wo­be­nen Nor­we­gen, dem Va­ter­land der Asen, El­fen, Syl­phen und Wal­kü­ren, noch auch in Trans­sil­va­ni­en (Sie­ben­bür­gen), wo die mäch­ti­ge Ket­te der Kar­pa­ten für Geis­ter­be­schwö­run­gen und Geis­terer­schei­nun­gen einen so güns­ti­gen Bo­den bie­tet, ob­wohl wir hier­zu die Be­mer­kung nicht un­ter­drücken dür­fen, dass ge­ra­de im trans­sil­va­ni­schen Land der Aber­glau­be frü­he­rer Zei­ten noch in üp­pi­ger Blü­te steht.

Ge­ran­do hat die­ses ent­le­ge­ne Ge­biet Eu­ro­pas be­schrie­ben, Elisée Re­clus hat es be­sucht. Bei­de er­wäh­nen nichts von den Vor­komm­nis­sen, wor­auf un­se­re Er­zäh­lung be­ruht. Vi­el­leicht hat­ten sie da­von Kennt­nis, woll­ten ih­nen aber kei­nen Glau­ben bei­mes­sen. Das ist schon des­halb zu be­dau­ern, weil der eine die­se Er­eig­nis­se mit der Ver­läss­lich­keit des Ge­schichts­schrei­bers wie­der­ge­ge­ben, der an­de­re sie mit dem un­be­wuss­ten poe­ti­schen Schwung ge­schil­dert hät­te, der sei­ne Rei­se­be­rich­te so vor­teil­haft aus­zeich­net.

Da das also bei­de un­ter­las­sen ha­ben, will ich ver­su­chen, es für sie zu tun.

Am 29. Mai ei­nes der letz­ten Jah­re hü­te­te ein Schä­fer sei­ne Her­de am Ran­de ei­nes grü­nen Wie­sen­plans am Fuß des Re­te­zat, der ein mit ge­radäs­ti­gen Bäu­men be­setz­tes und mit rei­chen Acker­fel­dern ge­schmück­tes Tal über­ragt. Über jene of­fe­ne, ganz schutz­lo­se Hoch­flä­che strei­chen zur Win­ters­zeit die Ga­ler­nen, das sind die schar­fen, schnei­den­den Nord­west­win­de, wie das Mes­ser des Bar­biers. Man sagt dann auch dort zu Lan­de, dass die Höhe sich – und zu­wei­len sehr glatt – »ra­siert«.

Je­ner Schä­fer zeig­te in sei­nem Äu­ße­ren nichts Ar­ka­di­sches1 und auch nichts Bu­ko­li­sches2 in sei­ner Hal­tung. Es war kein Daph­nis, Amyn­tas, Ti­ty­ros, Ly­ci­dus oder Me­liböus. Der Li­gnon mur­mel­te nicht zu sei­nen mit plum­pen Holz­schu­hen be­schwer­ten Fü­ßen; die wa­la­chi­sche Sil war es, die mit ih­rem kla­ren, fri­schen Ge­wäs­ser wür­dig ge­we­sen wäre, durch die Win­dun­gen des ma­ze­do­ni­schen Asträ­us zu flie­ßen.

Frik, Frik, aus der Dorf­schaft Werst – so nann­te sich der länd­li­che Hirt – von Per­son eben­so ver­nach­läs­sigt wie sei­ne Tie­re, schi­en wie ge­schaf­fen, mit in dem am Ein­gang des Dor­fes er­rich­te­ten schmut­zi­gen Nest zu woh­nen, in dem auch sei­ne Scha­fe und Schwei­ne in em­pö­ren­dem Schlamm und Un­rat haus­ten, wie das üb­ri­gens für alle Schä­fe­rei­en des Ko­mi­tats3 gleich­mä­ßig zu­trifft.

Das im­ma­num pe­cus4 wei­det also un­ter der Ob­hut des ge­nann­ten Frik … im­ma­ni­or ip­se.5 Auf ei­nem Hau­fen zu­sam­men­ge­tra­ge­nen Gra­ses aus­ge­streckt, schlief er mit dem einen und wach­te mit dem an­de­ren Auge, im­mer die di­cke Ta­baks­pfei­fe im Mund; nur dann und wann rief er sei­ne Hun­de an, wenn sich ein Lamm zu weit von dem Wei­de­platz ver­irr­te, oder ließ er einen schril­len Pfiff er­tö­nen, den das Echo von den Berg­wän­den viel­fach wie­der­hol­te.

Es war jetzt vier Uhr nach­mit­tags. Die Son­ne be­gann zu sin­ken. Ein­zel­ne Fel­sen­gip­fel im Os­ten, de­ren Fuß sich in wal­len­den Dunst­wol­ken ba­de­te, er­glänz­ten schon im Abend­licht. Nach Süd­wes­ten zu lie­ßen zwei Lücken der Berg­ket­te ein schrä­ges Strah­len­bün­del her­ein­fal­len, so wie ein Licht­strei­fen durch we­nig ge­öff­ne­te Tü­ren dringt.

Das Ge­birgs­sys­tem der Ge­gend ge­hör­te zu dem wil­des­ten Teil Trans­sil­va­ni­ens, der im Ko­mi­tat Klau­sen­burg oder Ko­los­var zu su­chen ist.

Ein merk­wür­di­ges Bruch­stück des ös­ter­rei­chi­schen Kai­ser­tums, die­ses Trans­sil­va­ni­en, das »Er­de­ly« in magya­ri­scher Spra­che, d.h. »das Land der Wäl­der«. Nach Nor­den und nach Wes­ten zu wird es von Un­garn be­grenzt; im Sü­den be­rührt es die Walachei und im Os­ten die Moldau. Bei ei­ner Ober­flä­che von sech­zig­tau­send Qua­drat­ki­lo­me­tern oder sechs Mil­lio­nen Hek­t­aren – das ist fast der zehn­te Teil der ös­ter­rei­chisch-un­ga­ri­schen Mon­ar­chie – er­scheint es als eine Art Schweiz, ist aber, ob­wohl um die Hälf­te grö­ßer als der hel­ve­ti­sche Staa­ten­bund, doch nicht volk­rei­cher als jene. Mit sei­nen dem Acker­bau er­schlos­se­nen Ho­chebe­nen, den üp­pi­gen Wei­de­flä­chen, den nach al­len Rich­tun­gen hin strei­chen­den Tä­lern und sei­nen schroff auf­stre­ben­den Fels­rie­sen, wird Trans­sil­va­ni­en, das die vie­len plu­to­ni­schen Hö­hen­zü­ge der Kar­pa­ten fast über­all strei­fig be­de­cken, von zahl­rei­chen Was­ser­läu­fen durch­zo­gen, von Zuf­lüs­sen der Theiß und der stol­zen Do­nau, in der das so­ge­nann­te Ei­ser­ne Tor we­ni­ge geo­gra­fi­sche Mei­len wei­ter im Sü­den den Ab­fall der Bal­kan­ket­te zwi­schen der Gren­ze Un­garns und des os­ma­ni­schen Rei­ches ver­schließt.

So er­scheint das Bild des al­ten Da­ciens, das Tra­jan im ers­ten Jahr­hun­dert der christ­li­chen Zeit­rech­nung er­ober­te. Die Un­ab­hän­gig­keit, de­ren es sich un­ter Jo­hann Za­po­ly und des­sen Nach­fol­gern bis zum Jah­re 1699 er­freu­te, hat­te ein Ende mit Leo­pold I., der das Ge­biet dem der ös­ter­rei­chi­schen Kron­län­der ein­ver­leib­te. Trotz ver­än­der­ter po­li­ti­scher Ver­hält­nis­se ist es aber stets der Wohn­sitz ver­schie­de­ner Ras­sen ge­blie­ben, die hier mit­ein­an­der in Berüh­rung ste­hen, doch nicht ver­schmel­zen, die Hei­mat von Wala­chen oder Ru­mä­nen, von Un­garn, Zi­geu­nern, Sze­klern mol­daui­scher Ab­stam­mung, und auch von Sach­sen, die durch Zeit und Um­stän­de sich zu­guns­ten der trans­sil­va­ni­schen Ein­heit doch schließ­lich »magya­ri­sie­ren« dürf­ten, so hart­nä­ckig sie bis­her auch ihre Stam­mes­ei­gen­tüm­lich­keit be­haup­te­ten.

Wel­chem Ty­pus der Schä­fer Frik an­ge­hör­te und ob er etwa ein ent­ar­te­ter Nach­kom­me der al­ten Da­cier war, das hät­te man an­ge­sichts sei­nes wir­ren Haar­schop­fes, des nicht ge­ra­de sau­be­ren Ant­lit­zes, des strup­pi­gen Bar­tes, der dich­ten, wie aus röt­li­chen Bors­ten ge­bil­de­ten Au­gen­brau­en und der zwi­schen grün und blau schil­lern­den, ste­chen­den, doch am Horn­hau­trand schon den so­ge­nann­ten Grei­sen­bo­gen zei­gen­den Au­gen des Man­nes nur schwer be­stim­men kön­nen. Dass er be­reits fünf­und­sech­zig Jah­re zähl­te, konn­te man schon leich­ter se­hen. Da­bei war er groß, seh­nig und hielt sich straff un­ter dem wei­chen Filz­hut, der frei­lich we­ni­ger Haa­re zeig­te als sei­ne halb ent­blö­ßte Brust – kurz, ein Ma­ler wür­de ihn, wenn er so, auf den lan­gen Stab mit Krä­hen­schna­bel­griff ge­stützt, un­be­weg­lich wie ein Fel­sen da­stand, ge­wiss gern als Mo­dell be­nutzt ha­ben.

Als die Son­nen­strah­len sich durch die Ber­glücke im Wes­ten Bahn bra­chen, dreh­te Frik sich um; dann form­te er aus der halb ein­ge­schla­ge­nen Hand eine Art Fern­rohr – ganz wie er die­se hät­te als Sprach­rohr ver­wen­det, wenn er sich weit­hin ver­nehm­bar ma­chen woll­te – und blick­te auf­merk­sam in je­ner Rich­tung hin­aus. Am hel­len Hin­ter­grund des Ho­ri­zon­tes er­ho­ben sich in der Ent­fer­nung ei­ner Mei­le und des­halb stark ver­klei­nert die Um­ris­se ei­ner Burg. Die­ser al­ter­tüm­li­che Schloss­bau nahm auf ei­nem ein­zeln­ste­hen­den Sei­ten­gip­fel des Ber­ges Vul­kan den mitt­le­ren Teil ei­nes Hoch­pla­te­aus ein, das den Na­men des Pla­te­aus von Or­gall führ­te. Bei dem schim­mern­den Licht ho­ben sich die Um­ris­se des Gan­zen deut­lich und mit der­sel­ben Schär­fe wie ste­reo­sko­pi­sche Bil­der vom Him­mel ab. Nichts­de­sto­we­ni­ger muss­te das Auge des Hir­ten mit sel­te­ner Seh­schär­fe aus­ge­stat­tet sein, um ir­gend­ei­ne Ein­zel­heit der ent­fern­ten Ge­gen­stän­de un­ter­schei­den zu kön­nen.

Plötz­lich rief er, den Kopf in die Höhe wer­fend:

»Al­tes Schloss! … Al­tes Schloss! … Im­mer stüt­ze dich nur auf dei­ne Grund­fes­te! … Noch drei Jah­re, und es ist zu Ende mit dir, denn dei­ne Bu­che hat nur noch drei Äste!«

Die be­tref­fen­de, nahe am Rand ei­ner der Bas­tio­nen der Burg wur­zeln­de Bu­che er­schi­en am Him­mels­grund wie ein fei­ner Pa­pieraus­schnitt, und in die­ser Ent­fer­nung möch­te sie schwer­lich für je­mand an­ders als den Schä­fer Frik sicht­bar ge­we­sen sein. Die Deu­tung je­ner ge­heim­nis­vol­len Wor­te, die mit ei­ner das Berg­schloss be­tref­fen­den Sage in Be­zie­hung stand, wird an pas­sen­der Stel­le nach­fol­gen.

Nachdem er also seine Herde zusammengerufen …

»Ja!« wie­der­hol­te der Mann, »nur drei Äste! … Ges­tern wa­ren es noch vier; der vier­te ist aber im Lau­fe der letz­ten Nacht ab­ge­fal­len … jetzt steht nur noch ein Stumpf des stol­zen Bau­mes da … Ich zäh­le nur noch drei über dem star­ken Stamm … nur noch drei, alte Burg … nur noch drei le­ben­de Äste!«

Stellt man sich einen Hir­ten von sei­ner idea­len Sei­te vor, so er­scheint er ei­nem ge­wöhn­lich als Den­ker oder Träu­mer; er un­ter­hält sich mit den Pla­ne­ten; er spricht mit den Ster­nen und ver­steht sich dar­auf, die Schrift des Him­mels zu le­sen. In Wirk­lich­keit ist er im All­ge­mei­nen ein un­wis­sen­der, ver­na­gel­ter Bur­sche. Trotz­dem dich­te­te ihm die Leicht­gläu­big­keit so oft über­na­tür­li­che Fä­hig­kei­ten an; er ver­steht sich auf Hexe­rei je nach Lau­ne; er wen­det Ver­zau­be­run­gen durch Be­spre­chen ab oder ver­zau­bert selbst Mensch und Tier – was in die­sem Fall ja fast auf ei­nes hin­aus­kommt; er han­delt mit sym­pa­the­ti­schen Pül­ver­chen; man kauft von ihm Lie­bes­trän­ke und Zau­ber­sprü­che. Ja, es geht so weit, dass er die kei­men­de Frucht der Acker­fur­che tö­tet, in­dem er ver­hex­te Kie­sel­stei­ne hin­ein­wirft, oder dass er die Scha­fe un­frucht­bar macht, in­dem er sie mit dem lin­ken Au­gen an­sieht. Ein der­ar­ti­ger Aber­glau­be fin­det sich in al­len Län­dern und fand sich zu al­len Zei­ten. Selbst in mehr zi­vi­li­sier­ten Län­dern ge­hen gar vie­le Leu­te nicht an ei­nem Schä­fer vor­über, ohne die­sem ein paar freund­li­che Wor­te zu­zu­ru­fen, ohne ihm einen her­ge­brach­ten Gruß zu bie­ten, in­dem er spe­zi­ell »Hirt« ge­nannt wird, wor­auf der Mann be­son­de­ren Wert legt. Ein Ab­neh­men des Hu­tes schützt be­reits ge­gen man­ches Übel, und in Trans­sil­va­ni­en ist man des­halb da­mit nicht spar­sam.

Frik wur­de nun als ein sol­cher He­xen­meis­ter be­trach­tet, der Geis­terer­schei­nun­gen her­vor­zu­zau­bern ver­moch­te. Nach Aus­sa­ge der einen ge­horch­ten ihm die Vam­pi­re und die Stry­ges; nach der an­de­rer konn­te man ihn bei ab­neh­men­dem Mond in halb­fins­te­ren Näch­ten, wie in an­de­ren Ge­gen­den das Ge­s­penst des Gro­ßen Schalt­ta­ges, auf dem Schutz­dach von Mühl­rä­dern rei­ten se­hen, von wo aus er mit den Wöl­fen schwatz­te oder träu­me­risch zu den Ster­nen hin­auf­starr­te.

Frik ließ die Leu­te re­den, denn er stand sich ganz gut da­bei. Er ver­kauf­te Zau­ber­mit­tel eben­so wie Schutz­mit­tel ge­gen sol­che. Doch war er, wohl zu be­mer­ken, nicht we­ni­ger gläu­big als sei­ne Kund­schaft, und wenn er viel­leicht auch an sei­nen ei­ge­nen Zau­ber­kräf­ten zwei­fel­te, so galt ihm doch der In­halt der land­läu­fi­gen Sa­gen als un­be­streit­ba­re Wahr­heit.

Hier­nach kann es nicht Wun­der neh­men, dass er sich jene, das bal­di­ge Ver­schwin­den der Burg be­tref­fen­de Vor­her­sa­ge zu­recht­leg­te – da die Schick­sals­bu­che jetzt bis auf drei Äste zu­sam­men­ge­bro­chen war – und dass er sich be­eil­te, die­se Neu­ig­keit in Werst be­kannt­zu­ge­ben.

Nach­dem er also sei­ne Her­de zu­sam­men­ge­ru­fen, in­dem er mit vol­len Ba­cken eine aus weißem Holz ge­schnitz­te Schä­fer­pfei­fe an­blies, schlug Frik den Heim­weg nach dem Dorf ein. Die Tie­re in Ord­nung hal­tend, folg­ten ihm sei­ne Hun­de – zwei Ter­ri­er-Ba­star­de, bis­si­ge, wil­de Kö­ter, die mehr ge­schaf­fen schie­nen, Läm­mer zu zer­flei­schen als sol­che zu be­schüt­zen. Die Her­de be­stand aus etwa hun­dert Wid­dern und Scha­fen; dar­un­ter etwa ei­nem Dut­zend Läm­mern, sonst aber aus drei- bis vier­jäh­ri­gen Tie­ren mit vier und mit sechs Zäh­nen.

Die­se Her­de ge­hör­te dem Orts­rich­ter von Werst, dem Biró Koltz, der der Ge­mein­de einen tüch­ti­gen Wei­de­pacht be­zahl­te und sei­nen Schä­fer Frik hoch schätz­te, weil er ihn als eben­so brauch­bar bei der Schur, wie er­fah­ren in der Be­hand­lung der Schaf­krank­hei­ten, der Dreh­krank­heit, des Le­ber­wur­mes, der Trom­mel­sucht, der Po­cken, der Un­frucht­bar­keit und an­de­rer ähn­li­cher Stö­run­gen kann­te.

Die Tie­re zo­gen in ge­schlos­se­nem Hau­fen da­hin, vor­an der Leit­ham­mel mit der Glo­cke und ein al­tes Mut­ter­schaf mit Schel­len­hals­band, die bei­de in­mit­ten des Ge­blö­kes »den Ton an­ga­ben«.

Von dem Wei­de­platz aus schlug Frik einen brei­ten, von aus­ge­dehn­ten Fel­dern um­ge­be­nen Fuß­weg ein. Hier wog­ten die präch­ti­gen Hal­me ei­nes Ge­trei­des, das eben­so hoch im Stroh, wie lang in den Ähren war; dort wu­cher­ten üp­pi­ge Kul­tu­ren von »Ku­ku­ruz«, dem Mais des Lan­des. Der Weg führ­te nach dem Saum ei­nes aus Fich­ten und Tan­nen be­ste­hen­den Wal­des, der in sei­nem Schat­ten er­qui­cken­de Küh­le bot. Wei­ter un­ten schlän­gel­te sich das spie­geln­de Band der Sil hin, de­ren Was­ser sich an den Kie­seln des Grun­des klär­te, und auf der Stäm­me und Klöt­ze aus den strom­auf­wärts lie­gen­den Sä­ge­müh­len hin­ab­schwam­men.

Hun­de und Scha­fe mach­ten am rech­ten Ufer des Flus­ses halt und still­ten gie­rig ih­ren Durst am stei­len Rand, des­sen Ro­sen­ge­büsch sie durch­bro­chen hat­ten.

Werst lag nur we­ni­ge Flin­ten­schuss weit von hier ent­fernt, und zwar jen­seits ei­nes dich­ten, halb­ho­hen Wei­de­bu­sches mit na­tür­lich ent­wi­ckel­ten Bäu­men, nicht sol­chen ver­krüp­pel­ten Kopf­wei­den,6 de­ren Zweigru­ten nur we­ni­ge Fuß über der Wur­zel aus­strah­len. Die­ses Wei­den­ge­büsch er­streck­te sich bis zu den Ab­hän­gen des Vul­kan, auf dem das gleich­na­mi­ge Dorf den Vor­berg ei­nes nach Sü­den ver­lau­fen­den Zwei­ges des Pleša­ge­bir­ges7 ein­nimmt.

Die Land­schaft war jetzt men­schen­leer. Die Feld­ar­bei­ter kehr­ten erst mit ein­bre­chen­der Dun­kel­heit nach ih­rem häus­li­chen Herd zu­rück, und Frik hät­te jetzt wohl kaum Ge­le­gen­heit ge­fun­den, den alt­her­ge­brach­ten Gu­ten Tag! mit ihm be­geg­nen­den Leu­ten zu wech­seln. Nach­dem sei­ne Tie­re sich ge­sät­tigt, woll­te er eben nach ei­nem ver­schlun­ge­nen Tal­weg ein­bie­gen, als ihm, etwa fünf­zig Schrit­te strom­ab­wärts der Sil, ein dort auf­tau­chen­der Mann in die Au­gen fiel.

»He! Gu­ter Freund!« rief die­ser dem Hir­ten zu.

Es war ei­ner je­ner frem­den Händ­ler, die alle Märk­te des Ko­mi­tats be­su­chen und die man da­zwi­schen in Städ­ten, Fle­cken und selbst in den ge­rings­ten Dör­fern an­trifft. Sich den Leu­ten ver­ständ­lich zu ma­chen, ist ih­nen eine Klei­nig­keit, sie spre­chen eben alle Mund­ar­ten. Nie­mand hät­te sa­gen kön­nen, ob der hier Er­schie­ne­ne ein Ita­lie­ner, Sach­se oder Wala­che sei; man er­kann­te aber leicht, dass er Jude, pol­ni­scher Jude war, an sei­ner lan­gen ha­ge­ren Ge­stalt, der ge­bo­ge­nen Nase, dem spitz aus­lau­fen­den Voll­bart, wie an der vor­sprin­gen­den Stirn und den leb­haf­ten Au­gen dar­un­ter.

Die­ser Hau­sie­rer han­del­te mit Bril­len, klei­nen op­ti­schen In­stru­men­ten, Ther­mo­me­tern, Baro­me­tern, ge­ring­wer­ti­gen Wand­uh­ren u. dgl.

Was nicht in sei­nem, an star­ken Ach­sel­gur­ten hän­gen­den Wa­ren­kas­ten un­ter­ge­bracht war, das hing ihm am Hals und am Leib­gür­tel – ein rich­ti­ger wan­deln­der Kram­la­den.

Wahr­schein­lich heg­te auch die­ser Jude die Ach­tung, viel­leicht die stil­le Scheu, die nun ein­mal alle Schä­fer an­de­ren Leu­ten ein­flö­ßen. So be­grüß­te er denn Frik zu­nächst mit ei­ner Hand­be­we­gung. Dann be­gann er in ru­mä­ni­scher Spra­che, die­sem Ge­men­ge aus La­tein und Sla­visch, mit frem­dem Ton­fall:

»Es geht Euch doch nach Wunsch, gu­ter Freund?«

»Ja­wohl … je nach der Wit­te­rung«, ant­wor­te­te Frik.

»Dann geht’s Euch heu­te also gut, denn es ist schö­nes Wet­ter.«

»Und mor­gen de­sto schlech­ter, denn da wird’s reg­nen.«

»Reg­nen …?« rief der Händ­ler. »Reg­net’s in Eu­rem Land auch ohne Wol­ken?«

»Nun, Wol­ken wer­den die­se Nacht schon kom­men … und zwar von da drau­ßen … von der schlim­men Sei­te des Ber­ges.«

»Woran er­kennt Ihr das?«

»An der Wol­le mei­ner Scha­fe, die starr und tro­cken wie ge­gerb­te Haut ist.«

»Das ist frei­lich eine schlim­me Aus­sicht für die, die drau­ßen im Frei­en ihre Ar­beit ha­ben.«

»Und de­sto an­ge­neh­mer für die, die in ih­rem Haus un­ter Dach blei­ben kön­nen.«

»Ge­wiss, Schä­fer; doch dazu muss man auch ein Haus be­sit­zen.«

»Habt Ihr Kin­der?« frag­te Frik wei­ter.

»Nein.«

»Seid Ihr ver­hei­ra­tet?«

»Nein.«

Die Fra­gen stell­te Frik, weil sie hier lan­des­üb­li­cher­wei­se an je­den ge­rich­tet wer­den, dem man auf der Land­stra­ße be­geg­net.

Dann fuhr er fort:

»Wo­her kommt Ihr, Hau­sie­rer?«

»Von Her­mann­stadt.«

Her­mann­stadt ist eine der be­deu­tends­ten Städ­te Sie­ben­bür­gens. Von die­ser aus ge­langt man in das bis nach Pe­tro­se­ny her­ab­rei­chen­de Tal der un­ga­ri­schen Sil.

»Und Ihr geht …?«

»Nach Ko­los­var.«

Um nach Ko­los­var (Klau­sen­burg) zu kom­men, hat man sich wei­ter­hin im Tal des Ma­ros zu hal­ten und er­reicht dann über Karls­burg, längs der ers­ten Aus­läu­fer der Bil­ar­ber­ge hin­ge­hend, die Haupt­stadt des Ko­mi­tats. Die Weg­stre­cke be­trägt etwa zwan­zig Mei­len (150 Ki­lo­me­ter).

Die­se Händ­ler mit Ther­mo­me­tern, Baro­me­tern und al­ler­hand Klein­kram er­schei­nen im­mer wie Ge­stal­ten be­son­de­rer – nur nicht hof­män­ni­scher – Art. Das liegt in ih­rem Ge­schäft. Sie ver­kau­fen Zeit und Wet­ter, in je­der Form, die Zeit, wie sie ver­fließt, das Wet­ter, wie es eben ist und wie es sein wird, wie an­de­re »zwei­bei­ni­ge Bal­len­tie­re« Kör­be, Strick- und Baum­woll­wa­ren ver­han­deln. Man wäre ver­sucht, sie Rei­sen­de des Hau­ses Sa­turn & Cie. – mit dem »Gol­de­nen Stun­den­glas« als Wa­ren­schutz­mar­ke – zu nen­nen. Zwei­felsoh­ne mach­te der Han­dels­ju­de die­se Wir­kung auf den bie­de­ren Frik, der ver­wun­dert die­se Men­ge von Ge­gen­stän­den be­trach­te­te, die ihm so gut wie ganz neu wa­ren und de­ren Be­stim­mung er nicht kann­te.

»He, Hau­sie­rer«, frag­te er, den Arm vor­stre­ckend, »wozu dient das Ding da, das wie die Zäh­ne ei­nes al­ten Ge­henk­ten an Eu­rem Gür­tel klap­pert?«

»Oh, das sind lau­ter wert­vol­le Sa­chen«, er­wi­der­te der Frem­de, »lau­ter Din­ge, die all’ und je­dem nütz­lich sind.«

»All’ und je­dem«, ent­geg­ne­te Frik mit den Au­gen zwin­kernd … »auch für einen Schä­fer?«

»Auch je­dem Schä­fer und Hir­ten.«

»Und das lan­ge glän­zen­de Ding da …?«

»Dies In­stru­ment«, be­lehr­te ihn der Jude, in­dem er ein Ther­mo­me­ter in der Hand auf und ab glei­ten ließ, »sagt Euch, ob es warm oder kalt ist.«

»Aber, gu­ter Freund, das weiß ich doch al­lein, wenn ich un­ter der dün­nen Ja­cke schwit­ze oder un­ter dem di­cken Flaus­rock frie­re.«

Of­fen­bar ge­nüg­ten sol­che Wahr­neh­mun­gen ei­nem Schä­fer, der sich um das Wa­rum? da­bei nicht küm­mer­te.

»Und die alte di­cke Uhr dort mit dem einen Zei­ger dran?« er­kun­dig­te er sich wei­ter, auf ein Aneroïd­ba­ro­me­ter8 wei­send.

»Das ist kei­ne alte Uhr, son­dern ein In­stru­ment, das Euch vor­her­sagt, ob’s mor­gen schön sein oder reg­nen wird …«

»Ist das wahr …?«

»Ge­wiss, dar­auf könnt Ihr Euch ver­las­sen.«

»Na, ’s mag ja sein; ich möch­te das Ding aber doch nicht, und wenn’s nicht mehr als einen Kreu­zer kos­te­te. Ich brau­che ja nur nach­zu­se­hen, wie die Wol­ken durch die Ber­ge zie­hen oder ob sie hoch über de­ren Gip­feln hin­ge­hen, da weiß ich das Wet­ter auch für vier­und­zwan­zig Stun­den im vor­aus. Da drau­ßen, Ihr seht wohl den Ne­bel, der fast auf der Erde hin­schleicht? … Na, wie ich Euch sage, das be­deu­tet für mor­gen Was­ser.«

Der Schä­fer Frik, ein lang­ge­schul­ter Wet­ter­be­ob­ach­ter, konn­te in der Tat je­des Baro­me­ter ent­beh­ren.

»Da ist wohl die Fra­ge über­flüs­sig, ob Ihr viel­leicht eine Uhr braucht?« nahm der Han­dels­ju­de wie­der das Wort.

»Eine Uhr? … Ach, ich habe eine, die geht ganz al­lein und hängt mir, wo ich gehe und ste­he, über dem Kopf – das ist die Son­ne da oben. Seht Ihr, Freund­chen, wenn die sich über die Spit­ze des Ro­duk da drü­ben stellt, dann ist es Mit­tag, und wenn sie durch das Loch des Egelt guckt, ist es sechs Uhr abends. Das wis­sen mei­ne Scha­fe eben­so gut wie ich; die Scha­fe und die Hun­de erst recht. Da be­hal­tet nur Eu­ren Kram.«

»Frei­lich«, be­merk­te der Händ­ler, »wenn ich nur Schä­fer zu Kun­den hät­te, da würd’ es mir schwer wer­den, et­was zu ver­die­nen. Ihr braucht also gar nichts von mei­nen Wa­ren?«

»Nicht das Ge­rings­te!«

Die bil­li­gen Ramsch­wa­ren des Ju­den wa­ren üb­ri­gens auch wirk­lich nicht viel wert; die Baro­me­ter zeig­ten ge­ra­de dann nicht auf Schön Wet­ter oder Verän­der­lich, wenn es ihre Pf­licht ge­we­sen wäre, und die Uhr­wei­ser be­zeich­ne­ten die Stun­den zu lang oder die Mi­nu­ten zu kurz – mit ei­nem Wort, der Jude trug den rei­nen Aus­schuss trö­deln. Den Schä­fer moch­te auch ein ge­wis­ses Miss­trau­en be­schlei­chen, denn er mach­te gar kei­ne Mie­ne, den Beu­tel zu zie­hen. Da, als er schon den lan­gen Stab zum Wei­ter­ge­hen be­weg­te, tipp­te er noch auf eine Art Röh­re, die am Trag­gurt des Hau­sie­rers hing, und sag­te:

»Wozu dient denn die klei­ne Röh­re hier?«

»Die­se Röh­re ist kei­ne sim­ple Röh­re.«

»Na, ’s ist doch auch kein Ofen­rohr?«

Der Schä­fer ver­stand dar­un­ter eine Art alt­mo­di­scher Pis­to­le mit er­wei­ter­ter Mün­dung.

»Nein«, er­klär­te der Jude, »das ist ein Fern­rohr«.

Es war in der Tat ei­nes je­ner Jahr­markt-In­stru­men­te, die die be­trach­te­ten Ge­gen­stän­de fünf- bis sechs­mal ver­grö­ßern oder sie um eben­so­viel nä­her zu brin­gen schei­nen, was ja in der Wir­kung auf das­sel­be hin­aus­kommt.

Frik hat­te das Fern­rohr los­ge­bun­den; er be­sah es sich ge­nau, dreh­te und wen­de­te es nach al­len Sei­ten und ver­schob die Ein­zel­zy­lin­der über­ein­an­der.

Dann rich­te­te er wie un­gläu­big den Kopf hoch auf.

»Ein Fern­rohr?« frag­te er.

»Ja, Schä­fers­mann, und zwar ein ganz vor­züg­li­ches, das Euch be­fä­higt, viel wei­ter als ge­wöhn­lich zu se­hen.«

»Oho, ich habe sehr gute Au­gen, Freund­chen. Bei kla­rer Luft er­ken­ne ich die ent­le­gens­ten Fel­sen bis zur Spit­ze des Re­te­zat9 und die letz­ten Bäu­me im Grun­de des Tal­we­ges des Vul­kans.«

»Ohne die Au­gen halb zu schlie­ßen?«

»Ohne sol­che Kunst­stück­chen. Das ver­dank’ ich dem heil­sa­men Tau, wenn ich vom Abend bis zum Mor­gen un­ter frei­em Him­mel schla­fe. Glaubt nur, das wäscht die Pu­pil­le rein.«

»Was … der Tau?« er­wi­der­te der Hau­sie­rer. »Der macht ja die Leu­te weit eher blind …«

»Nur die Schä­fer nicht!«

»Mag sein! Doch wenn Ihr auch gute Au­gen habt, so sind mei­ne doch noch bes­ser, so­bald ich sie ans Ende mei­nes Fern­roh­res brin­ge.«

»Das müsst’ ich erst se­hen.«

»Werft doch ein­mal selbst einen Blick, durch das Fern­rohr.«

»Ich?«

»Ver­sucht’s nur.«

»Und das kos­tet nichts?« frag­te Frik, der von Na­tur et­was miss­trau­isch vor­sich­tig war.

»Nichts … gar nichts, we­nigs­tens wenn Ihr das Fern­rohr nicht kauft.«

In die­ser Hin­sicht be­ru­higt, nahm Frik das In­stru­ment, das der Hau­sie­rer für ihn pas­send ein­stell­te. Nach­dem er dann das lin­ke Auge ge­schlos­sen, brach­te er das rech­te nahe an das Ocu­lar.

Erst blick­te er in der Rich­tung des Vul­kans und auf­wärts nach der Pleša hin­aus. Nach­her senk­te er das In­stru­ment und rich­te­te es nach dem Dorf Werst hin­ab.

»Wahr­lich«, rief er, »’s doch rich­tig! Das trägt wei­ter als mei­ne Au­gen … Da die Land­stra­ße … ich er­ken­ne dar­auf die Leu­te! … Rich­tig, Nic Deck, der Forst­wäch­ter, der, die Flin­te auf dem Rücken, vom Rund­gang heim­kehrt, mit …«

»Wie ich’s Euch sag­te!« un­ter­brach ihn der Hau­sie­rer.

»Ja … rich­tig … das ist Nic!« fuhr der Schä­fer fort. »Und wer ist das Mäd­chen im ro­ten Rock und schwar­zen Leib­chen, das aus dem Haus des Meis­ters Koltz tritt, wie um je­nem ent­ge­gen­zu­ge­hen?«

»Seht nur or­dent­lich hin, Schä­fer, und Ihr wer­det das Mäd­chen eben­so gut er­ken­nen, wie den jun­gen Mann …«

»Ja … wirk­lich … das ist Mi­rio­ta … die schö­ne Mi­rio­ta! – Oh, die­se ver­lieb­ten Leu­te! Jetzt mö­gen sie aber auf ih­rer Hut sein, denn ich habe sie hier deut­lich am Ende des Fern­roh­res, und es ent­geht mir kei­ne Zärt­lich­keit.«

»Sieht aus wie Rauch.«

»Nun, was sagt Ihr jetzt von dem In­stru­ment?«

»Was soll ich sa­gen? – Dass man da­mit wei­ter se­hen kann als sonst.«

Wenn Frik in sei­nem Le­ben noch nie­mals durch ein Fern­rohr ge­blickt hat­te, muss­te das Dorf Werst doch wohl zu den Ort­schaf­ten des Ko­mi­tats Klau­sen­burg ge­hö­ren, die am wei­tes­ten hin­ter der Zeit zu­rück­ge­blie­ben wa­ren. Und dass es an dem war, wird der Le­ser bald selbst er­ken­nen.

»Jetzt, Schä­fer«, fuhr der Frem­de fort, »schaut noch ein­mal hin­durch, aber wei­ter­hin als nach Werst. Das Dorf liegt viel zu nahe. Sehr dar­über hin­aus, weit, weit hin­aus!«

»Und das kos­tet auch nicht mehr?«

»Kei­nen Hel­ler mehr.«

»Gut. Ich will mich ein­mal in der Ge­gend der un­ga­ri­schen Sil um­se­hen. Aha … da ist der Kirch­turm von Livad­zel! Den er­kenn’ ich an dem Kreuz, wor­an der eine Arm fehlt. Da … und wei­ter drau­ßen seh’ ich den Turm von Pe­tro­se­ny, auch sei­nen Weiß­blech-Wet­ter­hahn mit ge­öff­ne­tem Schna­bel, so als woll­te er sei­ne Glu­cken ru­fen! … Und ganz un­ten … das muss der Turm von Pe­tril­la sein … Doch, nicht wahr, Hau­sie­rer, Ihr sag­tet, das kos­tet des­halb im­mer nicht mehr …«

»Das Hin­durch­se­hen kos­tet nichts, Schä­fer.«

Frik wen­de­te sich jetzt nach dem Pla­teau von Or­gall hin; dann folg­te er mit dem Fern­rohr den Wald­mas­sen im Schat­ten der Ab­hän­ge der Pleša, und schließ­lich trat die Burg in das Ge­sichts­feld des Gla­ses.

»Rich­tig!« rief er. »Der vier­te Ast liegt zu Bo­den … ich hat­te doch recht ge­se­hen! Na, den wird auch kei­ner auf­he­ben, um ihn am Jo­han­nis­fest als hüb­sche Fa­ckel zu ge­brau­chen … Nein, kei­ner … nicht ein­mal ich selbst! Das hie­ße ja Leib und See­le der Höl­le ver­schrei­ben! Doch kei­ne Sor­ge; einen gib­t’s doch, der ihn noch die­se Nacht in sei­ner Höl­len­kü­che ver­bren­nen wird … das ist der Chort!«

Der Chort – so heißt der Teu­fel, wenn er hier im Land ge­sprächs­wei­se er­wähnt wird.

Der Jude hät­te viel­leicht nach ei­ner Er­klä­rung die­ser Wor­te ge­fragt, die für je­den un­ver­ständ­lich sein muss­ten, der nicht aus Werst oder des­sen Nach­bar­schaft her­stamm­te, doch schon rief Frik wie­der mit ei­ner aus Schre­cken und Er­stau­nen ge­misch­ten Stim­me:

»Da … was ist denn das? … Ein Dunst, der über dem al­ten di­cken Turm schwebt? … Ist’s denn wirk­lich nur Dunst? … Nein, das könn­te man für Rauch­wol­ken hal­ten! … Un­mög­lich! Seit lan­gen, lan­gen Jah­ren ha­ben die Schorn­stei­ne der Burg nicht mehr ge­raucht!«

»Wenn Ihr da drau­ßen Rauch seht, Schä­fer, so wird’s schon Rauch sein.«

»Nein, Hau­sie­rer … nein! Wahr­schein­lich ist nur das Glas Eu­res In­stru­men­tes an­ge­lau­fen.«

»So wischt es doch ab.«

»Und wenn ich das täte.«

Frik dreh­te das Fern­rohr um und setz­te es, nach­dem er die Glä­ser mit dem Är­mel ab­ge­rie­ben hat­te, wie­der vor das Auge.

Es war tat­säch­lich eine Rauch­säu­le, die dort aus dem Wart­turm auf­wir­bel­te. Bei der ganz stil­len Luft stieg sie ker­zen­ge­ra­de em­por und ver­schwamm schließ­lich im Dunst der Höhe.

Frik stand wie ver­stei­nert und sprach kein Wort. Sei­ne gan­ze Auf­merk­sam­keit wand­te er der Burg zu, nach der schon der Schat­ten der Tä­ler un­ter dem Pla­teau von Or­gall lang­sam em­por­sch­lich.

Plötz­lich ließ er das Fern­rohr her­ab­sin­ken, griff nach dem klei­nen Qu­er­sack, der un­ter sei­ner Ja­cke hing und frag­te:

»Was soll Euer Rohr kos­ten?«

»An­dert­halb Gul­den«, ant­wor­te­te der Händ­ler.

Er hät­te das Fern­rohr auch schon für einen Gul­den weg­ge­ge­ben, wenn Frik sonst Lust zum Kauf ge­zeigt hät­te. Der Schä­fer feilsch­te aber nicht. Of­fen­bar un­ter dem Druck ei­ner eben­so plötz­li­chen wie un­er­klär­li­chen Ver­blüf­fung, senk­te er die Hand in den Qu­er­sack und brach­te das ver­lang­te Geld her­vor.

»Kauft Ihr das Fern­rohr für Euch selbst?« frag­te der Hau­sie­rer.

»Nein … für mei­nen Herrn, den Orts­rich­ter Koltz.«

»Dann gibt er Euch zu­rück, was …«

»Ja­wohl, die zwei Gul­den, die es mich ge­kos­tet hat.«

»Wie … die zwei Gul­den, sagt Ihr?«

»Na­tür­lich … Nun üb­ri­gens Gute Nacht, Freund­chen.«

»Gute Nacht, Schä­fers­mann!«

Frik pfiff die Hun­de her­an, ließ die­se die Her­de zu­sam­men­­­­