P. G. Wodehouse

Auf geht’s, Jeeves!

Roman

Aus dem Englischen von Thomas Schlachter

Mit einem Nachwort von Denis Scheck

Insel Verlag

1. Kapitel

»Jeeves«, sagte ich, »darf ich ganz offen sein?«

»Aber gewiss, Sir.«

»Was ich zu sagen habe, könnte Sie kränken.«

»Nicht doch, Sir.«

»Nun gut …«

Halt, stopp, Sekunde mal – ich habe mich vergaloppiert.

Ich weiß nicht, ob der geneigte Leser das auch schon erlebt hat, aber wann immer ich eine Geschichte erzähle, sehe ich mich mit der furchtbar kniffligen Frage konfrontiert, wo ich anfangen soll. Man darf dabei nämlich auf keinen Fall patzen: Ein falscher Schritt, und man ist perdu. Kaspert man am Start zu lange herum, indem man sich um Atmosphäre und ähnlichen Schnickschnack bemüht, erlahmt das Interesse der Kundschaft, welche prompt das Weite sucht.

Braust man dagegen wie von der Tarantel gestochen davon, steht das Publikum auf dem Schlauch. Es zieht die Augenbrauen hoch und hat keinen Schimmer, worum es überhaupt geht.

Indem ich meinen Bericht über den hochkomplexen Fall von Gussie Fink-Nottle, Madeline Bassett, Cousine Angela, Tante Dahlia, Onkel Thomas, Tuppy Glossop und Koch Anatole mit obenstehender Dialogpassage eröffnet habe, ist mir der zweite der genannten Schnitzer unterlaufen.

Ich muss also ein Stück zurückrudern. Nimmt man alles in allem und wägt das eine gegen das andere ab, könnte man behaupten, die Initialzündung der ganzen Geschichte – falls Initialzündung wirklich das passende Wort ist – sei während meines Aufenthalts in Cannes erfolgt. Wäre ich nicht nach Cannes gereist, hätte ich weder die Bassett kennengelernt noch das weiße Messejäckchen gekauft. Zudem wäre Angela nie ihrem Hai begegnet, und Tante Dahlia hätte nicht Bakkarat gespielt.

Jawohl, Cannes war eindeutig der point d’appui gewesen.

Also schön, ich rekapituliere.

In den ersten Junitagen begab ich mich nach Cannes, und zwar ohne Jeeves, der mir bedeutet hatte, er wolle das Pferderennen in Ascot nicht verpassen. Begleitet wurde ich von meiner Tante Dahlia und ihrer Tochter Angela. Auch deren Verlobter, Tuppy Glossop, hätte mit von der Partie sein sollen, sah sich aber im letzten Moment verhindert. Onkel Tom, Tante Dahlias Gemahl, blieb zu Hause, weil er Südfrankreich auf den Tod nicht ausstehen kann.

So also präsentierte sich die Ausgangslage: Tante Dahlia, Cousine Angela und meine Wenigkeit in den ersten Junitagen auf dem Weg nach Cannes.

Bis hierher alles klar?

In Cannes verbrachten wir knapp zwei Monate, und wenn man davon absieht, dass Tante Dahlia beim Bakkarat ihr letztes Hemd verspielte und Angela beim Wassersport fast von einem Hai inhaliert wurde, trübte kein Wölkchen unsere Daseinsfreude.

Braungebrannt und topfit bestieg ich am 25. Juli mit Tante und Kind den Zug zurück nach London. Am 26. Juli um sieben Uhr abends trafen wir in der Victoria Station ein, und etwa zwanzig Minuten später verabschiedeten wir uns unter gegenseitigen Respektbezeugungen – die beiden, um in Tante Dahlias Wagen nach Brinkley Court zu kutschieren, ihrem Landsitz in Worcestershire, auf dem ein, zwei Tage später auch Tuppy eintreffen sollte; ich dagegen, um in meiner Wohnung das Gepäck abzustellen, mich frisch zu machen und in den Frack zu werfen, um im Drones Club etwas zu schnabulieren.

Und als ich mir nun zu Hause nach einer dringend benötigten Spülung gerade den Torso abfrottierte und mit Jeeves über Gott und die Welt parlierte – zwecks Wiederaufnahme des Gesprächsfadens sozusagen –, warf mein Diener plötzlich den Namen Gussie Fink-Nottle in die Debatte.

Wenn ich mich recht erinnere, verlief der Dialog wie folgt:

Ich: Tja, Jeeves, da wären wir wieder, was?

Jeeves: Jawohl, Sir.

Ich: Im trauten Heim sozusagen.

Jeeves: Ganz recht, Sir.

Ich: Scheint eine Ewigkeit her zu sein, seit ich abgereist bin.

Jeeves: Jawohl, Sir.

Ich: War’s schön in Ascot?

Jeeves: Sehr angenehm, Sir.

Ich: Ein bisschen was abgesahnt?

Jeeves: Ein respektables Sümmchen, Sir. Danke der Nachfrage.

Ich: Schön. Tja, Jeeves, was gibt es Neues auf dem Rialto? Hat in meiner Abwesenheit irgendwer angerufen oder vorbeigeschaut?

Jeeves: Mr. Fink-Nottle hat regelmäßig seine Aufwartung gemacht, Sir.

Ich starrte ihn an, ja man könnte ohne Übertreibung sagen, dass ich Bauklötze staunte.

»Mr. Fink-Nottle?«

»Jawohl, Sir.«

»Sie meinen doch wohl nicht Mr. Fink-Nottle?«

»O doch, Sir.«

»Aber Mr. Fink-Nottle ist doch nicht in London?«

»Doch, Sir.«

»Mich laust der Affe!«

Und ich will auch gleich verraten, weshalb mich besagter Affe lauste. Es war mir praktisch unmöglich, dieser Behauptung Glauben zu schenken. Man muss wissen, dass der fragliche Fink-Nottle einer jener Sonderlinge ist, die einem auf der Lebensreise zuweilen begegnen und denen London überhaupt nichts sagt. Von Moos überwachsen, vegetierte er jahraus, jahrein in einem gottverlassenen Kaff in Lincolnshire vor sich hin und bequemte sich nicht einmal für das Cricketspiel zwischen Eton und Harrow in die Metropole. Und als ich ihn einmal fragte, ob ihm die Zeit dort draußen nicht etwas lang werde, da verneinte er mit der Begründung, dass es in seinem Garten einen Teich voller Molche gebe, deren Verhalten er studiere.

Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, was den Burschen in die große Stadt geführt hatte, denn ich wäre jede Wette eingegangen, dass ihn nichts aus seinem Dörfchen brachte, solange ihm nur die Molche nicht ausgingen.

»Sind Sie sicher?«

»Jawohl, Sir.«

»Sie haben den Namen korrekt aufgeschnappt? Fink-Nottle?«

»Jawohl, Sir.«

»Nicht zu fassen! Es ist bestimmt fünf Jahre her, seit er zum letzten Mal in London war. Er macht kein Hehl daraus, dass ihm die Stadt auf den Geist geht. Bisher hat er sich auf dem Land eingebunkert, von Molchen umzingelt.«

»Sir?«

»Von Molchen, Jeeves. Mr. Fink-Nottle leidet unter einem markanten Molchkomplex. Sie werden doch schon von Molchen gehört haben – diesen eidechsenartigen Dingerchen, die in Teichen rumflitzen.«

»O ja, Sir. Die aquatischen Mitglieder der Familie Salamandridae aus der Ordnung Schwanzlurche.«

»Ganz genau. Gussie war schon immer ganz verrückt nach ihnen. Bereits als Schüler hielt er welche.«

»Meines Wissens tun dies junge Gentlemen gar nicht so selten, Sir.«

»In seinem Studierzimmer beherbergte er sie in einer Art Glasaquarium, das einen mächtigen Mief verbreitete. Vermutlich hätte man schon damals erkennen können, wo das alles hinführen würde, aber Sie wissen ja, wie Jungs sind. Wir waren achtlos, unbekümmert und nur mit uns selbst beschäftigt, und so verschwendeten wir keinen Gedanken an Gussies Charakterschaden. Vielleicht ließen wir einmal eine Bemerkung dahingehend fallen, dass es in der Welt auch Spinner brauche, doch damit hatte es sich. Sie ahnen bestimmt schon, wie’s weiterging. Das Unheil breitete sich aus.«

»Tatsächlich, Sir?«

»Allerdings, Jeeves. Gussies Verlangen wurde immer stärker. Einzig nach Molchen stand ihm der Sinn. Zum Manne gereift, zog er sich in die tiefste Provinz zurück und widmete den stummen Stoffeln sein ganzes Dasein. Wahrscheinlich sagte er sich am Anfang, dass er die Finger jederzeit davon lassen könne, nur um plötzlich – und viel zu spät – festzustellen, dass ihm dies nicht mehr möglich war.«

»So geht es oft und oft, Sir.«

»Wohl wahr, Jeeves! Jedenfalls hat er die letzten fünf Jahre in seinem Haus in Lincolnshire verbracht, und zwar als der kontaktscheueste Eremit, der je jeden zweiten Tag frisches Wasser in ein Aquarium gefüllt und jeglichen menschlichen Umgang gemieden hat. Genau deshalb war ich so erstaunt, als Sie mir erzählten, er sei jäh auf der Bildfläche erschienen. Ich kann es noch immer nicht glauben und vermute, dass irgendein Missverständnis vorliegt und der Knilch, der hier vorbeigeschaut hat, einer anderen Linie des Stammes Fink-Nottle angehört. Mein Bekannter trägt eine Hornbrille und hat eine Visage wie ein Fisch. Deckt sich das mit Ihren Informationen?«

»Der Gentleman, der hier vorbeikam, trug eine Hornbrille, Sir.«

»Und sah aus wie eine auf Eis drapierte Kreatur?«

»Etwas Fischartiges war ihm nicht abzusprechen, Sir.«

»Dann muss es Gussie gewesen sein. Doch was hat ihn nur nach London verschlagen?«

»Das kann ich erklären, Sir. Mr. Fink-Nottle hat mir das Motiv seines Hauptstadtbesuches anvertraut. Er ist gekommen, weil die junge Dame hier weilt.«

»Die junge Dame?«

»Jawohl, Sir.«

»Jetzt sagen Sie bloß nicht, er ist verliebt.«

»Doch, Sir.«

»Da bin ich aber platt. Da bin ich richtig platt. Da bin ich ja so was von platt, Jeeves.«

Und platt war ich tatsächlich. Ein Scherzchen in Ehren, doch alles hat Grenzen.

Aber dann fiel mir ein weiterer Aspekt dieser kuriosen Geschichte auf. Selbst wenn man gelten ließ, dass sich Gussie Fink-Nottle vollkommen gegen seine Natur verliebt hatte, gab es keinen Grund, ständig meine Residenz aufzusuchen. Selbstverständlich bedarf ein Bursche in einer solchen Situation eines Freundes, doch weshalb seine Wahl auf mich gefallen war, blieb mir ein Rätsel.

Es war ja nicht so, dass wir Busenfreunde gewesen wären. Natürlich hatten wir einst regen Umgang gepflegt, doch in den letzten zwei Jahren war mir von ihm noch nicht einmal eine Postkarte zugegangen.

Davon machte ich nun Jeeves Mitteilung:

»Komisch, dass er zu mir gerannt kommt, aber so scheint es nun mal zu sein. War bestimmt ein übler Schock für den Unglückswurm, dass er mich nicht antraf.«

»Nein, Sir. Mr. Fink-Nottle kam nicht Ihretwegen.«

»Jetzt reißen Sie sich doch am Riemen, Jeeves. Gerade haben Sie mir noch erzählt, er habe dies mit größter Beharrlichkeit getan.«

»Nein, Sir, in Verbindung zu treten wünschte er vielmehr mit mir.«

»Mit Ihnen? Aber ich wusste gar nicht, dass Sie ihm je begegnet sind.«

»Tatsächlich hatte ich dieses Vergnügen erst, als er hier vorbeikam, Sir. Offensichtlich gab Mr. Sipperley, ein einstiger Kommilitone von Mr. Fink-Nottle, diesem den Rat, mich mit seinen Angelegenheiten zu betrauen.«

Das Rätsel war gelöst. Nun blickte ich durch. Wie der Leser wohl weiß, steht Jeeves unter Kennern seit langem im Ruf, ein exzellenter Berater zu sein, und wann immer einer aus meinem kleinen Kreise in ein Schlamassel gerät, rennt er zu Jeeves und legt ihm den Fall vor. Und hat Letzterer A aus der Klemme gezogen, empfiehlt A ihn B weiter. Und wenn er auch B rausgehauen hat, schickt B eben C vorbei. Und so weiter, wenn man weiß, was ich meine, und so fort.

Genau so wachsen Beratungspraxen wie die von Jeeves. Mir war bekannt, dass die Gefälligkeiten dieses Mannes tiefen Eindruck auf den alten Sippy gemacht hatten, als er sich seinerzeit um eine Verlobung mit Elizabeth Moon bemühte, weshalb es auch nicht erstaunen konnte, dass er Gussie geraten hatte, hier vorzusprechen. Reine Routine, könnte man sagen.

»Dann haben Sie also sein Mandat übernommen?«

»Jawohl, Sir.«

»Jetzt kann ich Ihnen folgen. Jawohl, nun begreife ich. Und wo liegt Gussies Problem?«

»Seltsamerweise genau dort, wo auch dasjenige von Mr. Sipperley lag, als ich ihm behilflich sein durfte. Zweifellos erinnern Sie sich noch an Mr. Sipperleys damalige Bredouille, Sir. Er fühlte sich stark zu Miss Moon hingezogen, litt aber an einer tief verwurzelten Schüchternheit, die ihm das Sprechen unmöglich machte.«

Ich nickte.

»Ja, ich weiß. Ich kann mich noch gut an den Fall Sipperley erinnern. Der Mann kam einfach nicht in die Gänge. Eine merkliche Unterkühltheit der Füße, nicht wahr? Wenn ich mich nicht täusche, sagten Sie damals, bei ihm folge irgendwas auf irgendwas. Wie ging der Spruch noch gleich? Wenn ich mich nicht täusche, kamen Katzen darin vor.«

»Muss dir ›Ich fürchte‹ folgen dem ›Ich möchte‹ …«

»Stimmt, aber was ist denn nun mit den Katzen?«

»… der armen Katz’ im Sprichwort gleich, Sir.«

»Haargenau. Woher Sie immer diese Einfälle haben! Und Gussie befindet sich Ihren Aussagen zufolge in nämlicher Lage?«

»Jawohl, Sir. Wann immer er sich an die Formulierung eines Heiratsantrags macht, verlässt ihn der Mut.«

»Und doch wird er, falls er das Frauenzimmer heimführen will, diesem Wunsch Ausdruck geben müssen, oder? Das verlangt doch schon der Anstand.«

»Ganz recht, Sir.«

Ich sinnierte.

»Tja, das musste wohl so kommen, Jeeves. Ich hätte zwar nicht gedacht, dass dieser Fink-Nottle je in Liebe erglühen würde, doch falls dem so ist, erstaunt es nicht, dass er nun wie der Ochs vorm Berg steht.«

»Jawohl, Sir.«

»In Anbetracht seines bisherigen Lebenswandels.«

»Jawohl, Sir.«

»Er hat wohl seit Jahren kein Mädchen mehr angesprochen, Jeeves. Wir können daraus nur die Lehre ziehen, dass wir uns nicht in Landhäusern verschanzen und in Aquarien glotzen sollten. Mit einem solchen Verhalten qualifiziert man sich nicht zum Alphatier. In diesem Leben stehen einem bloß zwei Wege offen: Entweder man verschanzt sich in einem Landhaus und glotzt ins Aquarium, oder man schwingt sich zum Weiberhelden auf. Beides zusammen geht nicht.«

»Nein, Sir.«

Abermals sinnierte ich. Zwar hatte ich Gussie wie gesagt ein bisschen aus den Augen verloren, doch der arme Kerl rührte mir ans Herz, wie es all meine engen und weniger engen Kumpel tun, denen das Leben eine Bananenschale vor die Füße geworfen hat. Ich hatte den Eindruck, er stecke tief in der Patsche.

Nun rief ich mir unsere letzte Begegnung vor rund zwei Jahren in Erinnerung. Während einer Autofahrt über Land war ich zum Lunch bei ihm eingekehrt, und es verschlug mir sogleich den Appetit, als er ein paar grüne, mit Beinchen versehene Dingerchen auf den Tisch legte und sie wie eine junge Mutter anschmachtete, bis schließlich eines davon im Salat untertauchte. Dieses Bild, das nun vor meinem inneren Auge aufstieg, erschütterte ehrlich gesagt meinen Glauben an die Fähigkeit des armen Tropfs, das Herz einer Dame zu erobern. Und dies umso mehr, als es sich bei der Auserwählten wohl um eines jener modernen Biester handelte, die aus nichts als Lippenstift und kalt, hart und hämisch funkelnden Augen bestehen.

»Sagen Sie mal, Jeeves«, fragte ich im Bemühen, die ungeschminkte Wahrheit zu erfahren, »was ist das für ein Mädchen, das sich Gussie da angelacht hat?«

»Ich bin der jungen Dame noch nie begegnet, Sir. Mr. Fink-Nottle hat aber nur das Beste über ihr Äußeres zu sagen.«

»Sie scheint ihm also zu gefallen, wie?«

»Jawohl, Sir.«

»Hat er ihren Namen erwähnt? Vielleicht kenne ich sie ja.«

»Eine Miss Bassett, Sir. Miss Madeline Bassett.«

»Was!?«

»Jawohl, Sir.«

Ich traute meinen Ohren nicht.

»Jetzt schlägt’s dreizehn, Jeeves! Die Welt ist klein, nicht wahr?«

»Sie sind mit der jungen Dame bekannt, Sir?«

»Und wie! Ihre Auskunft beruhigt mich ungemein, Jeeves. Das steigert die Erfolgschancen doch erheblich.«

»Tatsächlich, Sir?«

»Durchaus. Bevor Sie diese Information beigesteuert haben, hatte ich offen gestanden meine Zweifel daran, dass der gute alte Gussie eine x-beliebige holde Maid aus einer x-beliebigen Gemeinde vor den Altar schleppen könnte. Sie werden mit mir einig gehen, dass Gussie nicht nach jedermanns Geschmack ist.«

»Damit dürften Sie nicht ganz unrecht haben, Sir.«

»Cleopatra hätte sich kaum für ihn erwärmt.«

»Wohl eher nicht, Sir.«

»Und ob er bei Tallulah Bankhead einschlagen würde, möchte ich ebenfalls bezweifeln.«

»Jawohl, Sir.«

»Doch seit Sie mir verraten haben, dass das Objekt seiner Begierde Miss Bassett ist, keimt in mir so etwas wie Hoffnung auf. Er ist genau der Typ, den sich eine Frau wie Madeline Bassett voller Begeisterung unter den Nagel reißen würde.«

Diese Bassett war, wie ich wohl erklären sollte, zur gleichen Zeit wie wir in Cannes gewesen, und da sie und Angela in jener überschwänglichen Art Freundschaft geschlossen hatten, wie nur junge Frauen es können, bekam ich sie ziemlich oft zu Gesicht. In manch mürrischem Moment war mit sogar, als könnte ich keinen Schritt tun, ohne mir die Zehe an der Frau anzustoßen.

Richtig quälend und bedrückend daran war, dass mir der Gesprächsstoff mit jeder Begegnung mehr ausging.

Man weiß doch, wie gewisse Frauen sind: Sie saugen einem das letzte Mark aus den Knochen. Irgendetwas an ihrer Persönlichkeit lähmt die Stimmbänder und lässt den Schädelinhalt zu Blumenkohl werden. So jedenfalls verhielt es sich mit dieser Bassett und mir, und zwar in einem Ausmaß, dass man Bertram Wooster minutenlang dabei hätte zuschauen können, wie er an seiner Krawatte herumfingerte, von einem Fuß auf den anderen trat und sich in ihrer Gegenwart ganz generell wie die taubste aller Nüsse verhielt. Als sie schließlich zwei Wochen vor uns die Heimreise antrat, kam dies, wie man sich denken kann, für Bertram Wooster keinen Tag zu früh.

Was mich so lähmte, war wohlgemerkt nicht ihre Schönheit. Zwar war sie auf ihre schlaffe, blonde, großäugige Art durchaus hübsch, aber doch keine dieser atemberaubenden Erscheinungen, die einem den Atem rauben.

Nein, was mein sonst gegenüber dem schwachen Geschlecht recht alertes Plappermaul so ins Stocken brachte, war ihr geistiger Zuschnitt. Ich will ja niemandem zu nahe treten und versteige mich deshalb nicht zur Behauptung, sie habe Gedichte verfasst, doch ihre Meinungsäußerungen ließen das Schlimmste befürchten, denn wenn man von einer jungen Frau aus heiterem Himmel gefragt wird, ob man nicht auch manchmal denke, die Sterne seien Gottes Gänseblümchenkette, dann kommt man schon ins Grübeln.

Von der Verschmelzung unserer Seelen konnte folglich keine Rede sein. Bei Gussie sah das ganz anders aus. Was mir die Flügel gestutzt hatte – nämlich die Tatsache, dass die Frau ganz offensichtlich bis oben voll war mit Idealen, seelischem Empfinden und ähnlichem Kokolores –, war für ihn die natürlichste Sache der Welt.

Gussie war schon immer einer dieser verträumten, gefühlvollen Burschen gewesen – anders kann man sich ja auch nicht auf dem Lande verschanzen und seine ganze Existenz den Molchen widmen –, und ich sah keinen Grund, weshalb er und die Bassett nicht wie Rührei mit Schinken harmonieren sollten, sofern er sich nur dazu bringen ließ, die geforderten glutvollen Worte hinzuhauchen.

»Sie ist genau die Richtige für ihn«, sagte ich.

»Es freut mich, das zu hören, Sir.«

»Und er ist genau der Richtige für sie. Kurzum, die Sache will mit aller Kraft vorangetrieben werden. Lassen Sie nichts unversucht, Jeeves.«

»Sehr wohl, Sir«, antwortete der redliche Geselle. »Ich werde mich sofort darum kümmern.«

Bis hierhin hatte eitel Sonnenschein geherrscht, um es einmal so auszudrücken. Ein gemütlicher Plausch zwischen Herr und Diener, leicht und lieblich im Ton. Doch leider trat in diesem Moment ein Wandel zum Schlechteren ein. Jäh schlug die Stimmung um, dunkle Wolken zogen auf, und ehe wir uns versahen, machte sich ein hässlicher Misston breit. So was ist im Hause Wooster auch früher schon vorgekommen.

Dass sich die Lage zuspitzen könnte, entnahm ich zunächst dem gequälten und missfälligen Hüsteln, das vom Teppich her aufstieg. Ich sollte hierzu wohl erklären, dass ich während des obigen Meinungsaustauschs den abfrottierten Leib gemächlich bekleidet hatte, hier in eine Socke und da in einen Schuh geschlüpft war und auch Unterhemd, Hemd, Krawatte und Frack montiert hatte, derweil Jeeves in den tieferen Regionen meine Effekten auspackte.

Nun erhob er sich, in der Hand ein weißes Objekt, bei dessen Anblick mir klar wurde, dass sich eine unserer innenpolitischen Krisen anbahnte, einer dieser leidigen Zusammenstöße zweier willensstarker Männer, und dass mit Bertram gleich Schlitten gefahren würde, sofern er nicht seiner kriegerischen Ahnen gedachte und sich auf die Hinterbeine stellte.

Ich weiß nicht, ob der geneigte Leser in diesem Sommer auch in Cannes gewesen ist. Sollte dies der Fall sein, wird er sich erinnern, dass jeder Gentleman, der sich als Salonlöwe hervortun wollte, Gelage im Kasino in der üblichen Abendanzughose absolvierte, welche jedoch nordwärts von einem weißen Messejäckchen mit Messingknöpfen gekrönt wurde. Und seit ich in Cannes den »Blue Train« bestiegen hatte, war mir die Frage durch den Kopf gegangen, wie Jeeves wohl auf mein Exemplar reagieren würde.

Es ist nämlich so, dass Jeeves, was die Abendgarderobe angeht, ein bornierter Reaktionär ist. Auch früher schon hat es zwischen uns Spannungen wegen einer ungestärkten Hemdbrust gegeben. Und obschon diese Messejäckchen an der Côte d’Azur der letzte Schrei gewesen waren – tout ce qu’il y a de chic –, hatte ich mich bereits beim Schwof im Palm Beach Casino, wo ich das von mir eilends erstandene gute Stück erstmals trug, keinen Illusionen darüber hingegeben, dass es bei meiner Rückkehr Tumulte auslösen könnte.

Ich wollte standhaft bleiben.

»Ja, Jeeves?«, fragte ich. Und obwohl meine Stimme ganz sanft blieb, wäre einem aufmerksamen Beobachter, der mir hätte in die Augen sehen können, das stählerne Glitzern darin aufgefallen. Niemand weiß Jeeves’ Geisteskraft mehr zu schätzen als ich, doch seinem unguten Hang, auf dem ihn nährenden Busen herumzutrampeln, musste dringend Einhalt geboten werden. Ich hatte dieses Messejäckchen ins Herz geschlossen und gedachte mit dem gleichen Eifer dafür zu kämpfen, mit dem der großmächtige Sieur de Wooster in die Schlacht von Azincourt gezogen war.

»Ja, Jeeves?«, wiederholte ich. »Stimmt etwas nicht, Jeeves?«

»Ich fürchte, Sir, dass Sie bei Ihrer Abreise aus Cannes versehentlich die Jacke eines anderen Gentleman eingepackt haben.«

Ich intensivierte den stählernen Blick.

»Nein, Jeeves«, sagte ich ganz ruhig, »das fragliche Objekt gehört mir. Ich habe es dortselbst käuflich erworben.«

»Und getragen, Sir?«

»Abend für Abend.«

»Aber in England wollen Sie dies doch nicht tun, Sir?«

Ich erkannte, dass wir zu des Pudels Kern vorgestoßen waren.

»Doch, Jeeves.«

»Aber, Sir …«

»Ja, Jeeves?«

»Es ist ganz unpassend, Sir.«

»Das sehe ich anders, Jeeves. Ich rechne damit, dass dieses Jäckchen wie eine Bombe einschlagen wird. Morgen will ich mich darin auf Pongo Twistletons Geburtstagsparty präsentieren, und ich erwarte, dass mir Begeisterungsstürme entgegenbranden werden. Und jetzt Schluss damit, Jeeves, kein weiteres Wort. Welche verstiegenen Vorbehalte Sie auch haben mögen – ich trage dieses Jäckchen!«

»Sehr wohl, Sir.«

Er machte sich wieder ans Auspacken. Das Thema war für mich erledigt. Ich hatte den Sieg davongetragen, und wir Woosters triumphieren nicht, wenn der Gegner am Boden liegt. Kurz darauf – ich hatte meine Toilette abgeschlossen – verabschiedete ich mich gutgelaunt und bot dem Mann großzügig an, er solle angesichts meiner Abwesenheit doch den Abend frei nehmen und sich irgendeinen erbaulichen Film anschauen. Eine Art Ölzweig, wenn der Leser versteht, was ich meine.

Er hielt offenbar wenig von meinem Vorschlag.

»Vielen Dank, Sir, aber ich bleibe lieber zu Hause.«

Ich nahm ihn scharf ins Visier.

»Rieche ich da eine beleidigte Leberwurst, Jeeves?«

»Nein, Sir. Ich muss die Stellung halten, da Mr. Fink-Nottle seinen Besuch angekündigt hat.«

»Ach, Gussie schaut also vorbei? Dann grüßen Sie ihn von mir.«

»Sehr wohl, Sir.«

»Und kredenzen Sie ihm einen Whisky Soda.«

»Sehr wohl, Sir.«

»Alles klar, Jeeves.«

Nun machte ich mich zum Drones Club auf.

Dort traf ich Pongo Twistleton, der sich so wortreich über seinen bevorstehenden bunten Abend verbreitete – den mir schon meine Gewährsleute in den leuchtendsten Farben angekündigt hatten –, dass es bei meiner Heimkehr bereits auf elf zuging.

Kaum öffnete ich die Tür, vernahm ich Stimmen aus dem Wohnzimmer, und kaum betrat ich dieses, stellte ich fest, dass besagte Stimmen Jeeves sowie einem Wesen gehörten, das wie der Leibhaftige aussah.

Eine genauere Prüfung ergab, dass es sich um Gussie Fink-Nottle handelte, der in einem Mephistokostüm steckte.

2. Kapitel

»Hallihallo, Gussie«, rief ich.

Auch wenn ich mir nichts anmerken ließ, war ich doch ziemlich verstört. Das Schauspiel, das sich mir bot, hätte aber auch jeden verstört. Soweit ich mich erinnerte, war dieser Fink-Nottle einer jener angstschlotternden Hasenfüße, die wohl schon bei einer Einladung zum samstäglichen Kaffeekränzchen im Pfarrhaus wie Espenlaub erzittert wären. Und falls ich meinen Sinnen trauen durfte, stand er nun im Begriff, auf einen Maskenball zu gehen – eine Lustbarkeit also, die noch dem Tollkühnsten alles abverlangt hätte.

Und jenen Maskenball wollte er zu allem Überfluss nicht etwa – wie es jeder andere Engländer aus gutem Hause getan hätte – als Pierrot beehren, sondern als Mephisto, zu welchem, wie ich kaum ausführen muss, neben einem scharlachroten Trikot ein ziemlich furchterregender falscher Bart gehört.

Seltsam, keine Frage. Doch man verbirgt seine Gefühle. Ich zeigte kein ungehobeltes Erstaunen, sondern hallihallote, wie bereits erwähnt, mit höflicher Nonchalance.

Er grinste durchs Gestrüpp – und zwar reichlich belämmert, wie ich fand.

»Ach, grüß dich, Bertie.«

»Schon lange nicht mehr gesehen. Ein Tröpfchen gefällig?«

»Nein, danke, ich muss gleich los. Ich wollte nur kurz vorbeischauen, um Jeeves zu fragen, wie ich aussehe. Sag mal, Bertie, wie sehe ich aus?«

Die einzig korrekte Antwort hätte natürlich »unter aller Kritik« gelautet, doch wir Woosters besitzen Takt und kennen unsere Gastgeberpflichten. Wir sagen alten Freunden, die unter unserem Dach weilen, nicht, dass ihr Anblick das Auge beleidigt, und so wich ich der Frage aus.

»Wie ich höre, bist du in London«, sagte ich leichthin.

»O ja.«

»Ist bestimmt Jahre her, seit du das letzte Mal hier warst.«

»O ja.«

»Und nun stürzt du dich also ins nächtliche Vergnügen.«

Ein Schauer durchfuhr ihn. Mir entging nicht, dass er gehetzt wirkte.

»Vergnügen!«

»Ja, freust du dich denn nicht auf diese Feier oder Fete?«

»Tja, wird schon schiefgehen«, antwortete er mit tonloser Stimme. »Aber ich muss jetzt los. Der Ball beginnt um elf. Ich habe das Taxi unten warten lassen … Ach, Jeeves, schauen Sie doch bitte nach, ob es noch da steht.«

»Sehr wohl, Sir.«

Nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, entstand eine kurze Pause. Betretenes Schweigen. Ich mixte mir einen Cocktail, während sich Gussie, ganz Masochist, im Spiegel betrachtete. Schließlich befand ich es für das Beste, ihn wissen zu lassen, dass ich über seine Liebesdinge im Bilde sei. Vielleicht würde es ihn ja erleichtern, wenn er sich einem ebenso wohlwollenden wie welterfahrenen Manne anvertrauen konnte. Ich habe oft festgestellt, dass liebeskranke Menschen nichts sehnlicher begehren als ein offenes Ohr.

»Tja, Gussie, alter Schwede«, sagte ich, »was höre ich da für Sachen?«

»Hm?«

»Na, über deine Liebeswirren. Jeeves hat mir alles haarklein erzählt.«

Seine Begeisterung hielt sich in Grenzen. Wenn ein Bursche hinter einem Mephistobart in Deckung geht, lässt sich das natürlich nicht so leicht sagen, aber ich glaube, er errötete.

»Ich wäre Jeeves wirklich verbunden, wenn er solche Dinge nicht an die große Glocke hängen würde. Das war doch streng vertraulich.«

Dies konnte ich nicht durchgehen lassen.

»Vor dem jungen Herrn dreckige Wäsche zu waschen und etwas an die große Glocke zu hängen, ist ja wohl nicht dasselbe«, sagte ich leicht tadelnd. »Doch wie dem auch sei: Ich weiß Bescheid. Als Erstes will ich dir versichern«, sagte ich unter Verheimlichung meiner persönlichen Ansicht, dass es sich beim fraglichen Frauenzimmer um eine gefühlsduselige Pestbeule handelte, schließlich wollte ich ihn nach Kräften aufmöbeln, »dass Madeline Bassett ein liebreizendes Geschöpf ist. Ein Volltreffer und genau die Richtige für dich.«

»Du kennst sie doch nicht etwa?«

»Und ob ich sie kenne! Mir will bloß nicht in den Kopf, was euch zusammengebracht hat. Wo habt ihr euch denn kennengelernt?«

»Sie war vorletzte Woche in Lincolnshire zu Gast bei Leuten, die ganz in meiner Nähe wohnen.«

»Verstehe, aber mir war gar nicht bewusst, dass du bei den Nachbarn Visite machst.«

»Mach’ ich ja auch nicht. Ich traf sie draußen mit ihrem Hund an. Dieser hatte sich einen Dorn in die Pfote getreten, und als sie ihn herausziehen wollte, schnappte das Tier nach ihr. Da eilte ich ihr natürlich zu Hilfe.«

»Du hast den Dorn herausgezogen?«

»Ja.«

»Und dich auf den ersten Blick in sie verliebt?«

»Ja.«

»Also ehrlich, warum hast du nach einem solchen Traumstart nicht zugeschlagen?«

»Mir fehlte der Mumm.«

»Und wie ging’s weiter?«

»Wir plauderten ein Weilchen.«

»Worüber?«

»Über Vögel.«

»Vögel? Über was für Vögel denn?«

»Na, über die Vögel, die gerade herumflatterten. Und über die Landschaft und Ähnliches. Schließlich meinte sie, sie fahre bald nach London und ich solle doch vorbeischauen, falls ich in der Stadt sei.«

»Und du hast ihr nicht mal das Händchen getätschelt?«

»Wo denkst du hin!«

Was sollte man da noch sagen? Wenn ein Mann ein solcher Angsthase ist, dass er nicht einmal einen Stier, der ihm auf dem Silbertablett serviert wird, bei den Hörnern packt, besteht zu Hoffnung wenig Anlass. Gleichwohl rief ich mir in Erinnerung, dass ich mit diesem Rohrkrepierer einst die Schulbank gedrückt hatte. Für einen alten Schulfreund darf man sich schon ein bisschen ins Zeug legen.

»Na schön«, sagte ich, »mal schauen, was sich da tun lässt. Vielleicht bessert sich ja die Lage. Jedenfalls wirst du mit Freude vernehmen, dass ich voll hinter dir stehe, Gussie. Bertram Wooster leistet dir Schützenhilfe.«

»Danke, altes Haus. Und Jeeves tut es natürlich auch, und das ist ja die Hauptsache.«

Ich will nicht verschweigen, dass ich zusammenzuckte. Wahrscheinlich meinte er es gar nicht böse, doch seine taktlosen Worte gingen mir empfindlich gegen den Strich. Ständig triezen mich die Leute, indem sie mir zu verstehen geben, dass Bertram Wooster in ihren Augen eine quantité négligeable und Jeeves das einzige Haushaltsmitglied ist, das über Grips und Geistesgegenwart verfügt.

So was fuchst mich.

Und an diesem Abend fuchste es mich umso mehr, als Jeeves mir wegen des Messejäckchens bis hierhin stand. Zwar hatte ich ihn Kraft meiner Persönlichkeit von seinem hohen Ross geholt und in die Schranken gewiesen, doch ich war weiterhin sauer auf ihn, weil er die Sache überhaupt aufs Tapet gebracht hatte. Wonach es Jeeves meines Erachtens verlangte, war die eiserne Hand.

»Und wie sieht sein Vorgehen aus?«, erkundigte ich mich kühl.

»Er hat sich die Sache gründlich durch den Kopf gehen lassen.«

»Was du nicht sagst!«

»Es war seine Idee, dass ich auf den Ball gehe.«

»Und wozu?«

»Weil sie ebenfalls dort sein wird. Die Einladungskarte ist mir von ihr persönlich zugegangen. Und Jeeves hat sich nun überlegt …«

»Und warum nicht als Pierrot?«, wollte ich wissen. Damit legte ich den Finger just auf den Punkt, an dem ich vorher schon Anstoß genommen hatte. »Wieso dieser Bruch mit einer guten alten Tradition?«

»Er wollte ausdrücklich, dass ich als Mephisto gehe.«

Ich schreckte auf.

»Ach, wollte er das? Er hat dieses Kostüm explizit empfohlen?«

»Ja.«

»Ha!«

»Wie bitte?«

»Nichts. Nur ›Ha!‹.«

Und ich will den Grund für mein »Ha!« auch gleich verraten. Da machte Jeeves einerseits ein Riesentamtam, weil ich ein stinknormales weißes Messejäckchen tragen wollte – ein Kleidungsstück wohlgemerkt, das nicht nur tout ce qu’il y a de chic, sondern schlechterdings de rigueur war –, nur um im gleichen Atemzug Gussie Fink-Nottle anzustacheln, in London als scharlachrot trikotierter Schandfleck in Erscheinung zu treten. Ganz schön paradox, wie? Über so viel Hü und Hott muss man doch einfach die Nase rümpfen.

»Und was hat er gegen Pierrots?«

»Ich glaube nicht, dass er Pierrots per se ablehnt. In meinem Fall fand er einen Pierrot einfach nicht zweckmäßig.«

»Das ist mir jetzt zu hoch.«

»Er hat gesagt, ein Pierrot möge zwar dem Auge schmeicheln, ermangele aber der Autorität eines Mephisto.«

»Ich verstehe noch immer nicht.«

»Eine Frage der Psychologie, hat er gemeint.«

Es gab Zeiten, da wäre eine solche Bemerkung glatt über meinen Horizont gegangen. Doch der langjährige Umgang mit Jeeves hat den Wooster’schen Wortschatz entscheidend erweitert. Jeeves ist schon immer ein großer Freund der Individualpsychologie gewesen, und inzwischen folge ich ihm wie ein Bluthund, wenn er diese aus der Tasche zieht.

»Ach, Psychologie?«

»Ja. Jeeves glaubt felsenfest an die moralische Wirkung von Kleidern. Seiner Meinung nach wird mir ein solch frappantes Kostüm Mut einflößen. Einen Piratenkapitän fände er genauso gut. Sein erster Vorschlag ging sogar in diese Richtung, doch ich legte Einspruch gegen die Matrosenstiefel ein.«

Das konnte ich gut verstehen. Das Leben ist schon traurig genug, da muss nicht auch noch ein gestiefelter Gussie Fink-Nottle durch die Gegend spazieren.

»Und, ist der Mut eingeflossen?«

»Um ganz ehrlich zu sein, Bertie, altes Haus – nein.«

Eine Woge des Mitgefühls durchflutete mich, denn auch wenn wir uns in den letzten Jahren etwas aus den Augen verloren hatten, gab es nichts daran zu deuteln, dass dieser Mann und ich einst Tintenpfeile aufeinander abgefeuert hatten.

»Gussie«, sagte ich, »hör auf den Rat eines alten Freundes und mach einen großen Bogen um diese Sause.«

»Aber das ist meine letzte Chance, sie zu sehen. Sie reist morgen zu Freunden aufs Land. Und woher willst du das überhaupt wissen?«

»Was denn?«

»Dass Jeeves’ Idee nicht hinhaut. Stimmt, im Moment komme ich mir wie der letzte Trottel vor, aber wahrscheinlich wird sich das legen, sobald ich mich unter das gleichermaßen kostümierte Volk mische. Als Kind habe ich auf einer Weihnachtsfeier ganz Ähnliches erlebt. Ich wurde als Häschen eingekleidet und schämte mich in Grund und Boden. Doch kaum traf ich auf der Fete ein und mischte mich unter all die anderen Kinder, deren Kostüme oft noch schauderhafter waren als das meine, lebte ich regelrecht auf, haute auf den Putz und schlug beim Abendessen dermaßen zu, dass ich mich auf der Heimfahrt im Taxi zweimal übergeben musste. Kurzum, jede vorschnelle Prognose verbietet sich.«

Ich zog das Argument in Erwägung, so fadenscheinig es war.

»Und du kannst auch nicht bestreiten, dass Jeeves’ Idee im Kern überzeugt. In einem frappanten Kostüm wie diesem Mephisto dürfte ich ganz schön Eindruck machen. Farben geben oft den Ausschlag. Molche sind das beste Beispiel dafür. Während der Paarungszeit leuchtet das Männlein kunterbunt, was ihm zum Vorteil gereicht.«

»Aber du bist doch kein Molchmännchen.«

»Ach, wäre ich nur eins! Weißt du, wie ein Molchmännchen um sein Weibchen wirbt, Bertie? Es stellt sich einfach vor dieses, vibriert mit dem Schwanz und verformt den Körper zu einem Halbkreis. So was könnte ich mit links. Nein, dir bliebe mein Gejammer erspart, wenn ich ein Molchmännchen wäre.«

»Aber wärst du ein Molchmännchen, würde dich Madeline Bassett keines Blickes würdigen. Jedenfalls keines zärtlichen Blickes.«

»O doch, falls sie ein Molchweibchen wäre.«

»Aber sie ist kein Molchweibchen.«

»Nein, aber nehmen wir es einfach mal an.«

»Aber wäre sie eines, dann wärst du nicht in sie verliebt.«

»Doch, falls ich ein Molchmännchen wäre.«

Ein leichtes Pochen in der Schläfengegend zeigte mir an, dass diese Diskussion ihren Sättigungsgrad erreicht hatte.

»Wenden wir uns lieber den harten Fakten zu, Gussie, und legen wir all die Fantastereien über vibrierende Schwänze und Artverwandtes ad acta. Entscheidend ist einzig, dass du auf einem Maskenball erwartet wirst. Und ich sage dir aufgrund meiner größeren Lebenserfahrung, dass du dich auf einem solchen Ball nicht amüsieren wirst.«

»Von ›amüsieren‹ rede ich doch gar nicht.«

»Ich würde nicht hingehen.«

»Ich muss aber. Ich habe dir doch gesagt, dass sie morgen aufs Land fährt.«

Ich gab auf.

»Na schön«, sagte ich. »Ganz wie du willst … Ja, Jeeves?«

»Mr. Fink-Nottles Taxi, Sir.«

»Ach? Das Taxi, wie? … Dein Taxi, Gussie.«

»Oh, das Taxi? Ja, klar. Natürlich, ja, durchaus … Danke, Jeeves … Also, tschüs, Bertie.«

Und indem er mich mit einem müden Lächeln bedachte, wie es einst die römischen Gladiatoren vor dem Gang in die Arena dem Kaiser zugeworfen hatten, verfügte sich Gussie. Ich wandte mich Jeeves zu. Es war an der Zeit, ihn in den Senkel zu stellen, und genau danach stand mir der Sinn.

Es war gar nicht so einfach, den richtigen Einstieg zu finden. So entschlossen ich war, ihm den Marsch zu blasen, so wenig lag mir daran, ihn allzu tief in seinen Gefühlen zu verletzen. Selbst wenn wir Woosters mit eiserner Hand herrschen, bleibt uns an einer gewissen Kumpelhaftigkeit gelegen.

Doch bei genauerer Betrachtung wurde mir klar, dass ein behutsames Herantasten wenig brachte. Es ist niemandem gedient, wenn man lange um den heißen B. herumredet.

»Jeeves«, sagte ich, »darf ich ganz offen sein?«

»Aber gewiss, Sir.«

»Was ich zu sagen habe, könnte Sie kränken.«

»Nicht doch, Sir.«

»Nun gut, ich habe gerade mit Mr. Fink-Nottle geplaudert, und er hat mir alles über Ihren Mephistoplan erzählt.«

»Ja, Sir?«

»Damit wir uns richtig verstehen: Falls ich Ihren Überlegungen folgen kann, glauben Sie, ein scharlachrot trikotierter Mr. Fink-Nottle werde bei der Begegnung mit dem Objekt seiner Begierde mit dem Schwanz vibrieren und in die Vollen gehen.«

»Ich bin der Ansicht, dass er seine angestammte Schüchternheit zu großen Teilen abschütteln wird, Sir.«

»Dem kann ich mich nicht anschließen, Jeeves.«

»Nein, Sir?«

»Nein. Oder um es pointierter auszudrücken: Unter allen hirnverbrannten Schnapsideen, die mir je zu Ohren gekommen sind, ist dies die mit Abstand beschnapsteste und hirnrissigste. Das wird schlicht nicht hinhauen. Nie und nimmer! Sie erreichen damit nichts weiter, als dass sich Mr. Fink-Nottle den namenlosen Schrecken eines Maskenballs aussetzen muss. Und so was unterläuft Ihnen nicht zum ersten Mal. Um ganz ehrlich zu sein, Jeeves, nehme ich an Ihnen eine Tendenz oder auch Neigung wahr … na, wie lautet der Ausdruck noch mal?«

»Da bin ich leider überfragt, Sir.«

»Eloquent? Nein, nicht eloquent. Elegisch? Nein, auch nicht elegisch. Das Wort liegt mir auf der Zunge. Fängt ebenfalls mit ›e‹ an und heißt so viel wie ›ausgeklügelt‹.«

»Elaboriert, Sir?«

»Jawohl, genau danach habe ich gesucht, Jeeves. Sie haben eine Schwäche für allzu elaborierte Pläne. Ihre Methoden sind nicht schlicht, nicht geradlinig. Sie verunklaren das Ganze mit allerlei Firlefanz, der nichts zur Sache tut. Was Gussie braucht, ist der Rat eines älteren Bruders, eines Mannes von Welt. Und deshalb schlage ich vor, dass Sie den Fall ab sofort mir überlassen.«

»Sehr wohl, Sir.«

»Sie lassen die Finger davon und widmen sich Ihren häuslichen Obliegenheiten.«

»Sehr wohl, Sir.«

»Bestimmt fällt mir in Kürze etwas Schlichtes, Geradliniges und doch Wirkungsvolles ein. Ich werde morgen auf jeden Fall mit Gussie reden.«

»Sehr wohl, Sir.«

»Alles klar, Jeeves.«

Doch am nächsten Tag trudelten all die Telegramme ein, und ich kann nicht verhehlen, dass ich in den folgenden vierundzwanzig Stunden keinen Gedanken mehr an den armen Tropf verschwendete, da ich selbst genug Probleme am Hals hatte.

3. Kapitel

Das erste Telegramm traf kurz nach zwölf ein und wurde mir von Jeeves zusammen mit dem Aperitif gereicht. Absenderin war meine Tante Dahlia, die es in Market Snodsbury aufgegeben hatte, einem unweit ihres Landsitzes gelegenen Dörfchen.

Der Inhalt lautete wie folgt:

Komm sofort. Travers.

Wollte ich behaupten, ich hätte nur Bahnhof verstanden, so wäre das noch untertrieben. Eine mysteriösere Depesche war wohl noch nie durch einen Telegrafendraht gejagt worden. Gut und gerne zwei trockene Martinis lang nahm ich das Ding unter die Lupe. Ich las es rückwärts. Ich las es vorwärts. Und wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, schnupperte ich sogar daran, doch es blieb mir schleierhaft.

Man halte sich die Fakten vor Augen. Erst vor wenigen Stunden hatten diese Tante und ich Abschied voneinander genommen, nach fast zwei Monaten unausgesetzten Beisammenseins. Und nun verlangte es sie – deren Wange, wenn man so will, noch von meinem Abschiedskuss brannte – nach einem Wiedersehen. Bertram Wooster ist es nicht gewohnt, dass man seine Gesellschaft mit solchem Heißhunger begehrt. Man kann unter meinen Bekannten fragen, wen man will: Jeder wird bestätigen, dass der Durchschnittsmensch nach zwei Monaten Umgang mit mir findet, nun reiche es fürs Erste. Ich habe Leute erlebt, die hatten die Faxen schon nach wenigen Tagen dicke.

Bevor ich mich also zum Schmause setzte, schickte ich diese Entgegnung los:

Ratlos. Erklär dich. Bertie.

Die Antwort traf während meines Mittagsschläfchens ein:

Was gibt es da ratlos zu sein, Armleuchter? Komm sofort. Travers.

Nach drei Zigaretten und ein paar durchs Zimmer gedrehten Runden hatte ich meine Antwort parat:

Was meinst du mit »Komm sofort«? Grüße. Bertie.

Die Reaktion folgte auf dem Fuß: