Cover

Titelseite

Für Bea, Luke und Alice.

Beste. Geschwister. Ever.

14841.jpg

Im blassen Licht des Halbmonds tanzt sie um das Feuer, wiegt ihren pulsierenden Körper im Rhythmus der Trommeln. Wenn sie den Kopf bewegt, peitscht ihr Haar durch die Nachtluft und salziger Schweiß tropft in ihren Mund.

Lass dies die Nacht der Nächte sein, denkt sie, bitte, mach, dass dies die Nacht der Nächte ist.

Dann gibt sie sich wieder dem Rhythmus hin und alle Gedanken verschwimmen. Das Wummern der Trommeln vermischt sich mit ihrem Herzschlag, bis sie nicht mehr weiß, wo sie endet und die Musik beginnt.

Als sie das Gefühl hat, sich gleich in den Himmel hinaufzudrehen, weicht auf einmal sämtliche Bewegung aus ihren Gliedern, als hätte plötzlich die Ebbe eingesetzt. Sie fällt zu Boden, starrt in die Flammen und wartet darauf, dass die Vision Gestalt annimmt.

Als Erstes riecht sie den Rauch, dann hört sie die Schreie der Männer, deren raue Stimmen voller Bitterkeit und Hass sind.

»Verbrenne! Verbrenne! Verbrenne!«

Das Bild von der Wiege, die hin- und herschaukelt, steigt vor ihr auf, eine Silhouette schwarz wie Kohle vor den Flammen.

Doch als sie dieses Mal in die Wiege schaut, winkt er mit seinem molligen Händchen und gluckst.

Dieses Mal, zum allerersten Mal, ist er am Leben.

Die Tränen laufen ihr die Wangen hinunter, vermischen sich mit dem Schweiß auf ihrer Haut. Sie wendet den Blick vom Feuer, sinkt auf die Fersen und schaut gen Himmel. Eine dicke Wolke schiebt sich über den Mond, als wolle sie ihn verschlingen.

Es geht los, denkt sie bei sich, und ihre Lippen umspielt ein wissendes Lächeln.

14845.jpg

Am letzten Abend, den ich in diesem Sommer zu Hause verbringe, erstelle ich zwei Listen. Und zwar während ich das Abendessen koche, denn dabei kann ich am besten denken. Die erste Liste ist für meine Mom, um sie daran zu erinnern, wann sie die Blumen gießen, die Katze füttern und zum Einkaufen gehen soll. Die zweite ist für mich selbst – meine »KOSMISCHE WUNSCHLISTE«. Denn heute Morgen habe ich ein Interview mit der Siegerin aus Vom Nobody zur Teen Queen gelesen. Angeblich verdankt sie ihren »irgendwie total unglaublichen Weg« der Tatsache, dass sie eine kosmische Wunschliste geschrieben hat. Also habe ich mir gedacht, warum nicht selbst auch probieren? Ich meine, wenn so etwas einem Mädchen namens Happymeal Johnson zu Ruhm und Reichtum verhilft, dann ist doch alles möglich. Oder?

Das Erste, was ich auf meine kosmische Wunschliste schreibe, ist: Bitte, lass Mom keinen totalen Nervenzusammenbruch bekommen, während ich weg bin. Bitte lass sie nicht vergessen, wie man den Alltag bewältigt. Mach, dass sie auf keinen Fall meine Pflanzen und meine Katze in Gefahr bringt!

Dann lege ich meinen Stift zur Seite und gehe auf den Balkon, der uns auch als Kräutergarten dient, und pflücke eine Handvoll Basilikum. Heute Abend koche ich Moms Lieblingsessen, Spaghetti Bolognese, als Trost, weil ich sie bald allein lasse. Ich werde zwar nur vier Wochen weg sein, aber ich weiß, dass es für sie so ist, als würde ich sie im Stich lassen. Seit Dad vor einem knappen Jahr bei uns ausgezogen ist, hat sie furchtbare Panik, verlassen zu werden. Sie bekommt sogar Beklemmungen, wenn Constance, unsere Putzfrau, Urlaub macht – als ob Constance uns vom Strand aus anrufen würde, weil sie mit einem Rettungsschwimmer durchbrennen will oder so. Aber ich bin fast siebzehn. Und Mom muss sich langsam mit dem Gedanken anfreunden, dass ich nicht für immer bei ihr bleiben werde.

Als ich gerade wieder reingehen will, höre ich von unten Gelächter. Ich schiebe mich in eine Ecke des Balkons und verstecke mich hinter einem großen Topf Rosmarin. Ein Kräutergarten ist perfekt, um die Nachbarn auszuspionieren. Nicht, dass ich es für gut halte, Nachbarn auszuspionieren, aber ein gesundes Interesse an seinen Mitmenschen ist doch etwas Positives. Es zeigt, dass sie einem nicht egal sind. Das sage ich mir jedenfalls. Ich habe das erste Mal in meinem Leben überhaupt Nachbarn. Dort, wo wir mit Dad gewohnt haben, gab es weit und breit nur Meer und Hügel. In diesem Wohnblock komme ich mir dagegen vor wie am Set einer Fernseh-Soap. Hier laufen so viele Geschichten gleichzeitig ab, dass es richtig schwer ist, nicht süchtig zu werden.

Während ich oscarreif schauspielere, dass ich nach dem passenden Rosmarinzweig suche, spähe ich in den Hof hinunter. Der Mann aus der Erdgeschosswohnung gegenüber steht am Küchenfenster. Er trägt nicht mal ein Unterhemd und unterhält sich mit jemandem, den ich nicht sehe. Das ist ein enormer Fortschritt. In den drei Monaten, die er nun schon hier wohnt, hat er noch nie jemanden mit nach Hause gebracht – schon gar nicht halb nackt. Ich rutsche näher an den Blumentopf und spähe durch den Rosmarin, der in der Hitze der Abendsonne einfach wunderbar riecht. Der Mann lacht wieder und eine Frau taucht hinter ihm auf. Sie legt den Kopf auf seine Schulter und für einen Moment stehen sie einfach nur da und blicken ins Dämmerlicht. Dann beginnen sie sich hemmungslos zu küssen.

Sofort wende ich mich ab. Weil ich Prinzipien habe, würde ich jetzt gern behaupten, weil es beim Stalken der Nachbarn Grenzen gibt. Aber das stimmt nicht. Der Grund ist, dass ich es nicht ertragen kann, jemanden beim Knutschen zuzusehen; ich fühle mich dann tief in mir so schmerzhaft leer. Und das, obwohl ich nicht mal Single bin, denn zum ersten Mal in meinem Leben habe ich einen Freund aus Fleisch und Blut, einen, der nicht nur in meinen Tagträumen existiert. Was das Gefühl der Leere nur noch beängstigender macht.

Ich schleiche in die Küche zurück und schnappe mir sofort meine kosmische Wunschliste.

Bitte mach, dass Todd und ich die Kreuzfahrt überstehen, ohne uns gegenseitig umzubringen, schreibe ich. Dann lege ich seufzend den Stift zur Seite. Wir werden vier Wochen lang auf einem Kreuzfahrtschiff aufeinanderhocken und Abend für Abend auftreten – das ist vermutlich nicht gerade das, was ein Therapeut einem Paar in unserer Situation empfehlen würde. Ich hacke das Basilikum klein und trage es zum Herd. Die Bolognese-Soße blubbert vor sich hin und nimmt ein dunkelgoldenes Rot an, als sich die Tomaten mit dem Fleischsud vermischen. Ich füge das Basilikum hinzu und rühre um. Was wünsche ich mir sonst noch von diesem Sommer? Mit geschlossenen Augen stelle ich mir vor, wie ich tanze. Obwohl wir in den vier Wochen seit dem Casting für die Kreuzfahrt-Show ununterbrochen trainiert haben, stresst mich die Vorstellung, dass ich es vermasseln könnte. Wie die meisten Schüler der L.A. Dance Academy habe zwar auch ich schon in verschiedenen Shows getanzt, aber auf einem Kreuzfahrtschiff ist das etwas anderes. Wenn man dort Mist baut, kann man den Zuschauern nicht entkommen, sie verfolgen einen tagelang – beim Frühstück, beim Abendessen und am Pool.

Ich nehme mir wieder meine kosmische Wunschliste vor und schreibe:

Bitte, lass mich die Schritte nicht vergessen. Vor allem nicht bei der Flamenco-Funk-Fusion.

Unsere Lehrerin, Rainbow, fand es »voll krass«, Tänze aus aller Welt zu präsentieren. Bis sie auf die verrückte Idee kam, dass es noch viel krasser wäre, diese Tänze zu vermischen – »um die Vielfalt der Welt von heute durch Tanzen zu vermitteln«. Aha. Ich weiß nicht, ob die Leute, die ihr Erspartes dafür ausgeben, eingepfercht auf einem Schiff über die Meere zu gondeln, so viel Interesse an der Vielfalt der Welt von heute haben. Aber ich schätze, dass ich das bald herausfinden werde.

»Irgendwas riecht hier gut.«

Als ich Moms Stimme höre, stopfe ich hastig meine Liste in die Tasche und drehe mich um. Sie steht in einem ihrer selbst gebatikten Sommerkleider in der Tür, die Haare zu einem langen lockeren Zopf gebunden. Und lächelt. Das ist gut. Auf dem Arm hat sie Tigger. Tigger ist mein SSH – mein Scheidungs-Schuldgefühl-Haustier. Dad hat ihn mir geschenkt, als er mit seiner Allergologin durchgebrannt ist. Ursprünglich war er zu ihr gegangen, weil er dachte, dass er allergisch gegen Weizen sei. Stattdessen war er lediglich allergisch gegen Mom und mich. Wer konnte das schon ahnen? Das Gute an der Sache war jedenfalls, dass ich Tigger bekam, die verrückteste Katze der Welt.

Mom lässt Tigger hinunter, der sofort zu mir läuft und sich zwischen meine Beine drängt. Ich spüre seinen warmen weichen Körper und füge in Gedanken Bitte mach, dass Tigger mich nicht vergisst, während ich weg bin, zu meiner Wunschliste hinzu.

»Ich habe eine Riesenportion Spaghetti Bolognese gemacht«, sage ich zu Mom und zeige auf den Topf. »Was wir heute Abend nicht aufessen, können wir einfrieren. Für dich, wenn ich, du weißt schon – weg bin.«

Mom lächelt wieder und setzt sich an den Tisch. Der Küchentisch ist eins der wenigen Möbelstücke, das wir aus unserem alten Haus mitgenommen haben, als wir hergezogen sind. Mom hat ihn vor vielen Jahren auf einem Flohmarkt in Venedig entdeckt. Er ist aus verschiedenen Hölzern gearbeitet, die wie ein riesiges Puzzle zusammengesetzt sind. Als ich klein war, hat sie mir Geschichten über die einzelnen Teile erzählt und von all den Orten berichtet, von denen sie stammen. Noch immer sitze ich am liebsten an dem Ende aus Teakholz, das laut Mom die Planke eines Piratenschiffs war.

Als ich noch so lange am Tisch sitzen bleiben musste, bis ich mein Gemüse gegessen hatte, habe ich immer die Augen geschlossen und bin mit den Fingern die unebenen Stellen des Holzes abgefahren. Ich habe mir vorgestellt, ich wäre ein buckliger Pirat und müsste mich nie mit so blöden Dingen wie Karotten abgeben, weil ich immer viel zu sehr mit der Schatzsuche beschäftigt wäre.

»Grace, ich hab mir etwas überlegt«, sagt Mom. »Wenn ihr alle weg seid, könnte ich eigentlich mal an den Lake Tahoe fahren und ein bisschen zeichnen.«

»Wirklich?« Ich bin so geschockt, dass ich beinahe den Löffel fallen lasse.

»Hmm, ja.«

Ich gehe zum Tisch hinüber und setze mich neben sie. »Das ist eine tolle Idee!« Es ist nicht nur eine tolle Idee, es ist die großartigste, beste Idee seit Jahren. Mom ist eine fantastische Künstlerin, hat aber keinen Strich mehr gezeichnet, seit Dad weg ist. Ich denke an die kosmische Liste, die zerknittert in meiner Tasche liegt. Funktioniert sie etwa schon? Dabei habe ich noch nicht einmal das ganze »Vertraue deine Wünsche den Sternen an«-Zeugs gemacht.

»Ich finde, es ist an der Zeit, mein Leben wieder in die Hand zu nehmen. Meinst du nicht?«

Moms Augen schimmern vor Tränen. Ich greife nach ihrer Hand und bemerke, dass sie zum ersten Mal, seit wir allein wohnen, ihren Ehering nicht trägt. Erleichterung sprudelt in mir hoch.

»Vergiss nicht, Sonnencreme einzupacken«, flüstert sie. Und auch wenn sie dabei weint, weiß ich: Es ist ihre Art, mich wissen zu lassen, dass es in Ordnung ist, wenn ich fahre.

Nach dem Essen gehe ich in mein Zimmer um weiterzupacken. Das Erste, was mir ins Auge fällt, ist das blinkende Display an meinem Handy. Ich habe zwei neue Nachrichten – eine ist von meiner besten Freundin Jenna und die andere von Todd. Ich öffne zuerst die von Jenna.

Und, wirst du mit Todd schlafen, wenn wir on tour sind? ;-) J xoxo

Ich seufze. Diese Frage stellt mir Jenna in letzter Zeit so ungefähr jeden Tag. Mein Sexleben lässt sie nicht los. Nicht, dass ich eins hätte, eher ein »Gefummel in Todds Auto, bis ich ihm sage, dass er mich zufrieden lassen soll«-Leben. Jenna hat ihre Jungfräulichkeit mit vierzehn verloren. Aber was sie nicht begreift, ist, dass nicht jeder so wild auf Sex ist wie sie. Für mich ist Sex das Wertvollste, was man mit einem anderen Menschen teilen kann. Man schenkt ihm den intimsten Teil von sich selbst, einen Teil, den man nie wieder zurückholen kann, und das will ich erst, wenn ich hundertprozentig dazu bereit bin. Todd und ich sind erst vier Wochen zusammen, und bisher bin ich absolut noch nicht bereit.

Ich drücke auf Antworten.

Hi! Bin immer noch nicht sicher, ob ich schon so weit bin. Klar, du denkst, er ist perfekt, aber ich weiß nicht, ob er auch für MICH perfekt ist.

Mitten im Tippen ist es, als würde mich ein Schreibwahn befallen, und ich kann einfach nicht mehr aufhören.

Ehrlich gesagt glaube ich, dass ich eigentlich einen Freund suche, der ein bisschen verrückter drauf ist – einen, der gern Filme mit Untertiteln schaut und im Dunkeln am Strand die Sterne zählt und darüber diskutiert, wer das beste Gitarrenriff aller Zeiten geschrieben hat (natürlich Nirvana bei Smells Like Teen Spirit – aber wenn er was von Tom Morello nennt, würde ich ihm das auch nicht verübeln!!! ;-)). Wenn ich mit Todd rede, ist es manchmal, als würden wir uns von zwei Seiten des Grand Canyon aus anschreien. Ich kann mich noch so anstrengen, er VERSTEHT mich einfach nicht. Macht das irgendeinen Sinn?

Ich höre auf zu tippen und überfliege meinen epischen Text.

Er ist so lang, dass er nicht in eine Nachricht passt. Ich seufze. Wenn ich das an Jenna schicke, hält sie mich für total durchgeknallt. Für sie ist Todd ein absoluter Hauptgewinn. Er sieht süß aus, kann super tanzen und stammt aus einer »Top«-Familie, womit sie meint, dass seiner Familie halb Brentwood gehört. Aber das alles ist für mich nur eine Art Verpackung. Was wirklich zählt, liegt darunter verborgen. Und was das betrifft, bin ich mir nicht so sicher.

Ich lösche alles und tippe einen neuen Text.

Weiß nicht … Vergiss nicht, dein Glätteisen einzupacken! G xoxo

Jeder, der Jenna kennt, weiß, dass eher ein Truthahn ein I-love-Thanksgiving-Shirt tragen würde, als dass sie ohne Glätteisen verreist. Früher habe ich mir gewünscht, so glattes blondes Haar zu haben wie sie, inzwischen weiß ich aber, wie viel Arbeit dahintersteckt: Sie muss jeden Morgen um halb sieben aufstehen, um es bis zur Schule so aalglatt hinzukriegen. Eigentlich bin ich ganz froh, dass ich meine rotbraunen Locken mittlerweile akzeptiert habe.

Mom findet Jenna viel zu überspannt und sagt immer wieder: »Das Mädchen braucht dringend ein Beruhigungsmittel.« Aber Mom versteht das nicht. Jennas makelloses Auftreten ist ihr Schutz vor der Welt. Wir sind beste Freundinnen, seit wir sieben sind, ich weiß also, warum sie so ist, wie sie ist. Manchmal wünschte ich, ich hätte ihr nicht Stillschweigen darüber geschworen, was ihr geschehen ist. Wenn Mom davon wüsste, würde sie erkennen, dass Jenna unter dem Mantel der Perfektion genauso unsicher ist wie wir alle. Sie versteckt es nur besser.

Mein Handy piept. Eine neue Nachricht von Jenna. Ich atme tief durch und wappne mich für einen Vortrag darüber, dass es wirklich höchste Zeit für mich sei, es mit Todd zu tun. Aber überraschenderweise bleibt der Vortrag aus, genau genommen kommentiert sie mein »Weiß nicht« nicht einmal.

FYI: Ich habe ZWEI Glätteisen eingepackt! ;-) Bis morgen xoxo

Jenna hat zurzeit keinen Freund, sondern ist schon seit zwei Wochen Single, eine Ewigkeit für Jenna. Die Wochen, in denen sie Single ist, ziehen sich für sie wie Kaugummi. Aber sie hofft auf ein Ende der männerlosen Zeit während der Kreuzfahrt, wo sie sich ein Mitglied der englischen Adelshäuser angeln möchte. Genau genommen hat sie nur gesagt, dass sie einen reichen Typen an Land ziehen möchte, den Teil mit den Engländern habe ich letztens nach einer Jane-Austen-Session ergänzt.

Ich klicke Todds Nachricht an.

Hey, Babe, freue mich auf die 4 Wochen mit dir ;-)

Warum dieses ;-)? Auf einmal bekommt das zwinkernde Gesicht einen düsteren Beigeschmack:

Hey, Babe, freue mich auf die 4 Wochen mit dir MIT VIEL SEX.

Ich lege das Handy aufs Bett und nehme das Poster von Jimi Hendrix ab, das über meinem Ganzkörper-Spiegel hängt. Seufzend betrachte ich meine Locken. Dann ziehe ich mein Top hoch und seufze gleich zweimal: einmal für jede meiner nicht existierenden Brüste. Früher hat es mir gefallen, so wenig Oberweite zu haben. Und eigentlich finde ich es immer noch praktisch, wenn ich am Strand joggen gehe oder wenn es zu heiß ist, einen BH zu tragen. Aber seit ich einen Freund habe, kommt es mir vor, als würde ein leuchtendes Neonschild auf meiner Brust meine Artverwandtschaft mit einem Pfannkuchen verkünden.

Aber du bist dir doch nicht mal sicher, ob du überhaupt noch mit Todd zusammen sein willst, erinnert mich die Stimme in meinem Kopf. Ich weiß, aber manchmal wäre es schön, sich wie eine Frau zu fühlen statt wie ein Strichmännchen, antworte ich.

Ich lasse mein Top wieder runter und trete ans Fenster. Weil mein Zimmer neben der Küche liegt, ist es ebenfalls zum Hof ausgerichtet. Ich klettere auf die Fensterbank und spähe hinaus. Bei dem Mann unten brennt kein Licht. Ich versuche, nicht daran zu denken, was er und seine neue Freundin dort im Dunkeln wahrscheinlich gerade machen. Der alte Mann in der Wohnung direkt gegenüber schlurft durch die Küche und kocht sich den letzten Kaffee des Tages. Ich brauche ihm nicht weiter zuzuschauen, ich weiß auch so, dass er den Kaffee anschließend mit in sein Schlafzimmer nimmt, wo er ihn im Sessel vor dem Fenster trinkt, während das Mondlicht sein silbergraues Haar aufleuchten lässt. Ich lege den Kopf in den Nacken. Der Himmel über mir ist dunkelblau wie Samt und die ersten Sterne blitzen auf. Sie erinnern mich an meine kosmische Wunschliste. Ich ziehe das verknitterte Blatt aus meiner Tasche und lese es durch. Die Gewinnerin von Vom Nobody zur Teen Queen hat gesagt, das Wichtigste an einer kosmischen Wunschliste – der kosmische Teil – sei, die Wünsche den Sternen anzuvertrauen. Was bedeutet, dass man sie verbrennen soll. Ich springe von der Fensterbank und hole die Streichholzschachtel, mit der ich sonst Kerzen und Räucherstäbchen anzünde. Dann sehe ich mich im Zimmer nach etwas um, in dem ich die Liste gefahrlos in Brand setzen kann, und entscheide mich schließlich für die Keramikschale, die Dad mir vor Kurzem aus dem Urlaub mit der Allergologin mitgebracht hat. Ich kippe den Inhalt der Schale auf mein Bett und lege dafür die gefaltete Liste hinein. Dann trage ich die Schale ans Fenster und stelle sie auf die Fensterbank. Sollte ich ein paar Worte sprechen, wenn ich den Sternen meine Wünsche anvertraue? Oder etwas singen? Die Schale ist alt und verkratzt – »antik«, wie mein Dad sagt, auch wenn ich sie eher als »verwittert« bezeichnen würde –, aber um den Rand herum verbirgt sich über einigen Hieroglyphen eine Inschrift in dunkelroten Buchstaben.

Vivre éternellement dans l’obscurité de la lune.

Das ist vermutlich Französisch, auch wenn ich nicht die geringste Ahnung habe, was es bedeutet. Aber weil es cool klingt, zünde ich ein Streichholz an, halte es an den Blattrand und lese die Inschrift mit melodramatisch-französischem Akzent vor: »Vivre éternellement dans l’obscurité de la lune.«

Eine Ecke des Papiers beginnt rot zu glühen und sich nach oben zu biegen, bevor eine Flamme hervorschießt. Ich halte die Schale vor das Fenster und bete, dass keiner der Nachbarn mich hinter einem Kräutertopf beobachtet. Nach und nach lösen sich kleine Papierfetzen und treiben durch die Luft wie leuchtende Glühwürmchen. Der Anblick, wie sie fast schwerelos davonfliegen, löst in mir plötzliche Vorfreude aus. Alles wird gut. Mom fängt wieder an zu malen, Todd und ich kommen miteinander klar, ich habe alle Tanzschritte im Kopf und Tigger wird mich noch lieben, wenn ich zurückkomme.

Schließlich erlöschen die Flammen und der letzte meiner Wünsche schwebt davon. Ich trage die Schale in mein Zimmer zurück und reibe sie mit einem Taschentuch aus, wische alles Schwarze ab. Aber während ich mit dem Tuch über die Schale fahre, fällt mir ein winziger Papierfetzen in der Mitte ins Auge. Ich nehme ihn hoch und halte ihn gegen das Licht. Und was ich da sehe, erschreckt mich so, dass ich beinahe die Schale fallen lasse. Mitten auf dem Papierfetzen steht in meiner eigenen Handschrift das Wort Gefahr.

14864.jpg

Es ist fünf Uhr früh und ich bin hellwach. Das ist nicht gut. Gar nicht gut. Schließlich bin ich erst gegen zwei Uhr eingedämmert, und zwar in einen Schlaf, nach dem man müder ist als vorher. Und dass ich den schlimmsten Traum aller Zeiten hatte, hat auch nicht wirklich geholfen. Überraschenderweise habe ich darin weder meine Schritte vergessen noch versucht, Todds Avancen abzuwehren (meine häufigsten Albträume der letzten Wochen), sondern ich war in einem brennenden Haus gefangen. Es war ein wirklich altes Haus, mit unebenen Fußböden und schäbigen Möbeln, und in einem der Zimmer schrie ein Baby. In meinem Traum versuchte ich verzweifelt, zu dem Baby zu gelangen, schaffte es aber nicht. Der Rauch im Flur war so dicht, als ob die Luft selbst zu Asche geworden wäre, und die Hitze der Flammen war unerträglich.

Mit rasendem Herzen schalte ich meine Nachttischlampe ein. Die Schale steht da, wo ich sie hingestellt habe: neben dem Bett auf dem Boden, der Papierfetzen liegt noch immer darin. Ich schätze, es braucht keinen Traumdeuter, um zu verstehen, warum ich von einem Hausbrand geträumt habe. Denn was habe ich mir bloß dabei gedacht, in meinem Zimmer Feuer zu machen? Ich hätte die ganze Wohnung abfackeln können.

Mir ist erst nach einer ganzen Weile aufgegangen, woher das Wort »Gefahr« stammt. Und dann hab ich mich richtig gegruselt. Wieso hat von »in Gefahr bringt« ausgerechnet das Wort »Gefahr« das Feuer überstanden? Ich weiß, dass ich gerade chronisch übermüdet bin, aber dies war das erste und letzte Mal, dass ich eine kosmische Wunschliste geschrieben habe.

Als mir klar wird, dass ich sowieso nicht mehr einschlafen werde, schalte ich meinen Laptop an und gehe auf Facebook. Sieben Leute haben in meiner Chronik gepostet, dass sie mir alles Gute wünschen – alles Leute von der Dance Academy, die nicht mit auf die Kreuzfahrt kommen. Das ist wirklich süß, denn schließlich haben sie sich auch für den Job beworben. Aus Gewohnheit klicke ich Todds Profil an. Sein unterbelichteter Freund JP hat das Foto von irgendeiner nackten Tussi im Bikini gepostet. Unter dem Bild steht: »Kumpel, und wie ich es tun würde!« Was für ein Depp.

Dann sehe ich, dass Todd neu mit jemandem befreundet ist, der Marley-May McKenzie heißt. Ich starre auf den Laptop. Was ist das denn für ein Name? Wird sie vom Buchstaben M gesponsert? Ich klicke auf das Foto von Marley-May und vergrößere es. Sie sieht aus wie der Prototyp eines Cheerleaders. Perfekte Zähne, so strahlend weiß, als könnten sie im Dunkeln leuchten. Glänzendes, seidenes Haar. Und Brüste wie Cupcakes. Die Kehrseite, wenn man nicht mit seinem Freund schläft, ist, dass man alle Mädchen, die er kennt, verdächtigt, sofort mit ihm ins Bett springen zu wollen.

Aber wieso interessiert dich das so sehr, wenn du dir seinetwegen sowieso so unsicher bist?, fragt die Stimme in meinem Kopf hinterhältig. Ich seufze. Ja, warum interessiert es mich? Vielleicht, weil ich tief in meinem Inneren noch immer hoffe, dass ich mich irre und Todd und ich doch füreinander bestimmt sind? Wie auch immer, jetzt ist nicht der richtige Moment, sich einer Foltersession by Facebook hinzugeben. Ich gehe zurück auf meine Startseite und beschließe, meinen Status zu ändern. Ich klicke in das entsprechende Feld und beginne zu schreiben.

Grace Delaney kann es nicht erwarten, auf Kreuzfahrt im Südpazifik zu gehen.

Ich stöhne auf und lösche das Ganze wieder. Ich schaffe es einfach nicht, in meiner Chronik zu lügen. Warum, weiß ich nicht, schließlich machen das alle, ständig. Ich schätze, ich habe Angst, dass mir das ein schlechtes Karma einbringt oder so. Zweiter Versuch.

Grace Delaney kann nicht schlafen.

Hilfe! Irgendwie kann ich nicht anders, ich poste ständig so langweiliges Zeug. Also wieder löschen. Wie es wohl den anderen geht, die mit mir auf die Kreuzfahrt gehen? Ob sie auch nicht schlafen können? Ein Klick auf Jennas Profil zeigt mir, dass sie um Mitternacht das letzte Mal etwas gepostet hat.

Jenna Wade tanzt bald auf einem Kreuzfahrtschiff! Super aufgeregt.

Von Jenna klicke ich weiter auf Ron. Ron und Jenna sind seit dem Kindergarten befreundet. Ihre Mütter spielen zusammen Golf und gehen zum selben Schönheitschirurgen. Für Jenna ist Ron eine Art Ersatzbruder. Ich bin mir nicht sicher, ob Ron das genauso empfindet, wenn ich an die Blicke denke, die er ihr zuwirft. So sieht man seine Schwester nicht an – Ersatz oder nicht. Andererseits schenken die meisten Jungs Jenna solche Blicke, also ist es vielleicht nur eine biologische Zwangshandlung, über die er keine Kontrolle hat. Ich lese Rons neuesten Post:

Ron Little kann es kaum erwarten, mit Jenna Wade und den anderen in der »Dance of the Worlds«-Show zu tanzen. Morgen setzen wir die Segel!

Cariss Swayne hat darunter einen Kommentar geschrieben: Geht mir genauso! Ich klicke auf ihr Profil. Cariss ist die Tochter von Isaac Swayne, einem der begehrtesten afro-amerikanischen Schauspieler Hollywoods, spezialisiert auf Rollen wie »Polizist mit dunklem Geheimnis« oder »drogensüchtiger Topsportler«. Jenna kann Cariss gut leiden, aber ich weiß nicht so recht. Cariss gehört zu den Mädchen, die durch das Leben tänzeln, als würden sie stets im Rampenlicht stehen, was manchmal ziemlich anstrengend sein kann. Vor allem, wenn man versucht, als Team zusammenzutanzen. Ich checke ihren Status:

Cariss Swayne kann kaum glauben, dass ihr Daddy ihr ein brandneues iPhone mit einem Herz aus Diamanten geschenkt hat – supersüß!

Ich betrachte Cariss’ Profilfoto. Sie trägt einen knappen pinkfarbenen Bikini und lehnt über der Motorhaube ihres Mercedes. Auch ein Geschenk von Daddy. Mein Blick gleitet über ihren perfekten Körper. Er ist geschmeidig und glänzend wie eine Kakaobohne. Ich wette, sie hätte andauernd Sex mit ihrem Freund. Wenn sie einen hätte. Cariss gefällt es besser, wenn ihr ein Heer männlicher Bewunderer folgt wie ein Rudel Welpen. Der einzige Junge, der nicht bei jedem Befehl springt, ist Dan Charles. Dan stammt aus einem üblen Viertel in L.A. City und ist vermutlich der beste Streetdancer der Academy. Er hat ein Stipendium und es kursieren Gerüchte, dass sein älterer Bruder Mitglied der berüchtigten Bloods Gang war und bei einer Schießerei ums Leben gekommen ist. Aber keiner von uns kennt Dan gut genug, um zu fragen, ob das stimmt. Er bleibt ziemlich für sich. Er ist nicht mal auf Facebook. Vermutlich werden wir ihn auf dem Schiff besser kennenlernen. Ich scrolle abwesend Cariss’ Freundesliste durch. Die anderen beiden Tänzer, die mitkommen, sind Belle Sanchez und Jimmy Patterson, auch Floh genannt. Nicht, weil er Flöhe hat oder so, sondern weil er so klein ist und höher und schneller springen kann als alle Tänzer, die ich je gesehen habe. Belle und Jimmy gehören nicht so richtig zu unserer Clique und ich kann auch nicht sehen, was sie bei Facebook geschrieben haben. Was wahrscheinlich ganz gut ist, weil ich inzwischen so fertig bin, dass ich gleich durchdrehe. Als ich kurz davor bin, sämtliche Freundinnen von Todd anzuklicken, um mir zu überlegen, welche von ihnen wohl mit ihm Sex haben möchte, tappt dankenswerterweise Tigger ins Zimmer und lässt sich lautlos auf meinem Bett nieder. Ich kuschle mich neben ihn, bis mich sein melodisches Schnurren wieder einschlummern lässt.

Kein Wunder, dass ich mich ziemlich bescheiden fühle, als zwei Stunden später mein Dad auftaucht, um mich zum Flughafen zu bringen. Und als wäre das noch nicht schlimm genug, besteht er auch noch darauf, nach oben in die Wohnung zu kommen, statt mich über die Sprechanlage runterzurufen wie sonst.

»Ich dachte, du brauchst vielleicht Hilfe mit deinem Gepäck«, ist seine lahme Erklärung, als ich ihn reinlasse. Wie wir so dastehen – Dad in seinen Midlife-Crisis-Chucks, Mom in ihrem Hello-Kitty-Schlafanzug und dem Make-up von gestern und ich – sind wir das Paradebeispiel einer Chaosfamilie. Chaos im Sinne von absoluter Katastrophe.

»Okay, lass uns gehen«, murmle ich und nehme mein Portemonnaie vom Wohnzimmertisch. Während ich Mom zum Abschied umarme, atme ich tief den Duft ihres Patschuli-Öls ein, als könnte ich damit einen Teil von ihr mitnehmen.

»Es ist schon ziemlich viel Verkehr«, sagt Dad.

»Ist ja gut, Peter. Ich verabschiede mich nur noch von meiner Tochter«, faucht Mom.

Seufzend löse ich mich aus ihrer Umarmung. »Viel Spaß beim Malen«, flüstere ich.

Sie lächelt mich an, aber ich sehe, wie schwer es ihr fällt, nicht loszuheulen. »Viel Spaß beim Tanzen, meine Süße«, flüstert sie zurück. »Ruf mich an, wenn du angekommen bist.«

Ich schaffe es, Dad und mich ohne irgendwelche Streitereien aus der Wohnung zu bekommen, und bald schon rasen wir den Highway hinunter, während 50 Cent aus der Anlage dröhnt. Ja, der 50 Cent, der über Sex »in da club« rappt, läuft bei meinem Vater im Auto.

»Seit wann stehst du auf Rap?«, frage ich und kontrolliere rasch, ob alle Fenster geschlossen sind.

»Ach, Kimberley gefällt das, also …«

Kimberley ist der andere Name für Die Allergologin. Dad hustet und dreht die Musik leiser. Seufzend schaue ich aus dem Fenster. Der Himmel hat die Farbe von Kornblumen, unterbrochen von kleinen kreideweißen Wolken. Wie wir so weiterrasen, kommt es mir vor, als wären die Palmen, die die Straße säumen, in Reih und Glied zu meinem Abschied angetreten. Und da erst kapiere ich es so richtig. Das alles geschieht wirklich. Ich fahre wirklich weg. Und zum ersten Mal seit dem Vortanzen verspüre ich echte Erleichterung. Ein ganzes Jahr lang hat die Trennung meiner Eltern mein Leben überschattet. Und das nach Jahren im Minenfeld, in denen ich die Erwachsene spielen musste, weil sie sich wie Kinder aufgeführt haben. Noch nie war ich so lange getrennt von meinen Eltern wie jetzt. Noch nie habe ich mich so lange nur um mich selbst kümmern müssen. Mein Handy vibriert in meiner Tasche und ich ziehe es heraus. Eine Nachricht von Todd.

Bin am Terminal. Bis gleich x

»Todd schreibt gerade«, sage ich zu Dad. »Er ist schon da.«

Dad räuspert sich nur. Er hat Todd vor einer Woche kennengelernt, im Red Lobster, beim Abendessen. Genau genommen waren es drei Gänge Peinlichkeit und eine tiefgefrorene Demütigung zum Nachtisch. Ich wusste gleich, dass Dad Todd nicht besonders mochte. Nicht, dass er unfreundlich zu ihm gewesen wäre, ganz im Gegenteil, er war sehr höflich. Viel zu höflich. Als ich ihn hinterher gefragt habe, was er von Todd hält, sagte er nur: »Hm, ganz okay, schätze ich.« Aber nach allem, was er Mom und mir angetan hat, hat er eigentlich kein Recht darauf, an meiner Wahl herumzukritisieren, oder? Wut steigt in mir auf, heiße Wut.

»Du brauchst keinen Parkplatz zu suchen«, sage ich, als Dad die Ausfahrt zum Flughafen nimmt. »Lass mich einfach am Terminal aussteigen.«

Dad sieht mich fragend an. »Ich weiß nicht, Grace. Sollte ich nicht lieber mit reinkommen?«

Ich schüttle den Kopf. Das einzig Gute an einem Elternteil voller Schuldgefühle ist, dass er so gut wie alles macht, was man will. »Das ist absolut nicht nötig. Meine Lehrerin wird da sein. Und alle meine Freunde. Alles cool, wir kommen schon klar.«

In Wirklichkeit sind meine Freunde alles andere als cool, als ich sie endlich an dem überfüllten Terminal entdecke. Jenna sehe ich als Erste. Sie trägt einen schneeweißen Trainingsanzug, durch den ihre bronzefarbene Haut glänzt wie Sirup. Sie hat einen düsteren Gesichtsausdruck aufgesetzt.

»Irgendeine blöde Tussi ist gerade auf mein Beautycase getreten und hat es ruiniert«, sprudelt sie hervor, als sie mich sieht.

Ich mustere den makellosen weißen Lederkoffer und brauche einen Moment, bis ich die winzige Spur entdecke, die man vielleicht als Fußabdruck beschreiben könnte. Als Fußabdruck eines sehr bleichen Gespensts. Aber wenn sich Jenna erst einmal in etwas hineingesteigert hat, ist es am sichersten, einfach mitzuspielen. Also schüttle ich mitfühlend den Kopf und seufze.

»Und meine Mom hat einen halben Herzinfarkt bekommen, als ich ihr erzählt habe, dass wir in der Show kein Ballet tanzen«, fügt Jenna hinzu.

»Das hast du ihr verraten?«, frage ich geschockt. Jennas Mom war früher Profi-Ballerina und verbringt jetzt ihre gesamte Zeit damit, ihre Tochter auf Schritt und Tritt zu kontrollieren – und sicherzustellen, dass auch sie ihr Leben dem Ballett widmet. Jennas Mom ist sehr ängstlich, und gewöhnlich tut Jenna nichts, um sie absichtlich zu beunruhigen.

»Ja, ich hatte einfach genug davon, wie sie mich herumkommandiert.« Jenna stellt ihr Beautycase auf ihr restliches Gepäck und wirft sich das platinblonde Haar über die Schulter. Ich kann die knisternde Anspannung um sie herum beinahe sehen. »Sie soll ruhig wissen, dass ich in den nächsten vier Wochen nur mache, wozu ich Lust habe, und dass sie nichts, aber auch gar nichts dagegen tun kann.«

Ich überlege, ob dies der richtige Zeitpunkt ist, ihr zu erzählen, dass mein Dad neuerdings Rap hört. Eher nicht, schätze ich.

Jenna gegenüber ragt Cariss so aufrecht wie ein Supermodel aus einem Meer aus Louis-Vuitton-Koffern heraus. Sie trägt eine blassrosa Jeans, die so eng ist, als wäre sie aufgesprüht, und schimpft in ihr neues, farblich passendes iPhone, wobei sie trotz allem immer noch Gelassenheit ausstrahlt. Das ist eine ziemlich bemerkenswerte Leistung.

»Ich kann einfach nicht glauben, dass du über Weihnachten drehst«, kreischt sie ins Telefon. »Es ist mir egal, ob er der Regisseur ist. Ich bin deine Tochter!«

Hmm, ganz offensichtlich leidet mehr als eine von uns an elternbedingter Anspannung. Ich lasse den Blick über den Terminal schweifen und entdecke Todd und Ron am Schalter von Air Hawaii, wo sie sich mit Rainbow, unserer Lehrerin, unterhalten. Rainbow kommt nicht mit, sie ist nur hier, um sicherzugehen, dass wir alle wohlbehalten an Bord kommen. Todd trägt eine neue Baggy Jeans und ein Shirt von Abercrombie. Sein strubbeliges braunes Haar ist an den Spitzen sonnengebleicht. Er sieht aus wie die Hauptfigur aus einer Soap. Sollte mein Herz also nicht Purzelbäume schlagen oder so? Doch obwohl dieser sonnengebräunte Adonis mein Freund ist, spüre ich nichts als Leere in mir. Ich versuche, ihm per Gedankenübertragung eine Nachricht zu schicken.

Wenn du der Richtige für mich bist, dann drehe dich jetzt um.

Aber er unterhält sich weiter mit Ron. Dann lacht er sein lautes Lachen, das den Lärm am Flughafen übertönt wie ein Trompetenstoß.

»Oh Gott!«

»Was ist?« Ich folge Jennas Blick. Sie starrt auf den Terminaleingang, die hellblauen Augen voller Abscheu geweitet. Mitten im Weg steht Belle Sanchez. Sie trägt einen grell orangefarbenen Trainingsanzug und hat ihr schwarzes Haar zu einem hohen Pferdeschwanz zusammengebunden. Wie gewöhnlich sind ihre Ohren mit goldenen Creolen behängt. Aber ich glaube nicht, dass es der Look ist, der Jenna so sehr entsetzt. Sondern eher, dass Belle sich an ihre Mom klammert und ungehemmt heult.

»Wir sind doch nur für vier Wochen weg«, zischt mir Jenna ins Ohr. »Was ist ihr Problem?«

Ich zucke mit den Schultern. Belle scheint die Einzige von uns zu sein, die sich nicht so schnell wie möglich von ihren Eltern trennen möchte.

Eine Familie mit vier kleinen Kindern betritt den Terminal, aber Belle und ihre Mom weichen keinen Schritt zur Seite. Sie umklammern sich, als ob das Ende der Welt kurz bevorstünde.

»Hi, Grace!«, höre ich Todd hinter mir rufen.

»Hallo.« Ich drehe mich zu ihm um und lächle ihn an.

»Bist du schon lange da?«, fragt er und springt mit Ron zu uns herüber. »Hättest mir ruhig eine Nachricht schicken können.«

»Ich bin gerade erst gekommen«, sage ich. »Hallo, Ron.«

Ron lächelt, sieht aber Jenna an. »Hallo, Grace. Was ist denn, Jen?«

Jenna schaut immer noch finster in Richtung Belle. »Was ist bloß mit diesem Mädchen los?«, fragt sie. »Warum hat sie überhaupt vorgetanzt, wenn sie gar nicht mitwill?«

Jetzt blicken alle zu Belle und ihrer Mom hinüber. Ihre ineinander verschlungenen Körper zittern vor Schluchzen.

Todd legt mir von hinten den Arm um die Taille. Ich lehne mich an ihn und versuche, mich zu entspannen.

»Sie sind Latinos«, sagt Ron. »Die sind immer so dramatisch, auch bei den unwichtigsten Dingen.«

»Ich finde das eher pathetisch«, sagt Jenna, und Ron nickt zustimmend. Mit seinem runden Gesicht und dem dichten schwarzen Haar erinnert er mich immer an ein Lego-Männchen. Irgendwie finde ich das beinahe gruselig.

»Und, wie läuft’s? Alle an Bord?«, fragt Rainbow, die sich mit ihrem Clipboard zu uns gesellt. »Habt ihr Dan und Jimmy irgendwo gesehen?«

Wir schütteln den Kopf.

»Ich schlage vor, ihr stellt euch schon mal in die Schlange für den Check-in und ich versuche, die anderen zu finden.«

»Vermutlich brauchen Sie eine Brechzange, um Belle von ihrer Mutter zu trennen«, sagt Jenna. »Ron, sei so lieb und nimm meinen Koffer.«

Ron nickt eifrig mit seinem Lego-Kopf, obwohl er selbst schon mit einem riesigen Rucksack beladen ist.

Rainbow sieht zu Belle und ihrer Mom hinüber. »Verstehe. Aber gut, ihr geht schon mal vor und ich kümmere mich um Belle.«

Doch bevor sie sich in Bewegung setzen kann, öffnet sich die Tür und Jimmy – Floh – stolpert herein. Er trägt ein Hawaiihemd mit passender Kette, eine Nadelstreifenhose und einen Männerhut. Irgendwie sieht dieser Look bei ihm sogar richtig cool aus.

»Um Himmels willen, was hat der denn an?«, fragt Jenna. »Der Typ ist echt ein Idiot.«

Ich starre Jenna an. Warum ist sie bloß so gemein? Der Streit mit ihrer Mutter muss sie ziemlich mitgenommen haben.

Hinter Floh taucht Dan Charles auf. Wie gewöhnlich trägt er ein Tanktop und eine Trainingshose und hat sich eine riesige Sporttasche über die muskulöse braune Schulter geworfen.

»Belle, Darling«, ruft Floh mit gespieltem britischen Akzent. Er kommt zwar aus New York, gibt sich aber gern wie ein Mitglied der Royal-Family. Eigentlich ist er eine Art sehr verrückter Prinz William.

Belle löst sich von ihrer Mutter und wirft sich sofort in Flohs Arme. Dan schlendert zu uns herüber.

»Was geht, Alter?«, fragt Todd.

Ich stöhne innerlich auf. Todd hat die Angewohnheit, in eine Art Hip-Hop-Slang zu verfallen, sobald Dan in der Nähe ist.

»Alles top«, antwortet Dan und nickt uns lässig zu.

»Also, Leute, dann stellt euch jetzt an. Ich hole Belle und Floh«, sagt Rainbow. »Cariss, gehst du bitte mit den anderen mit?«

Cariss wirft erst Rainbow, dann ihren Koffern einen Blick zu. »Und wer nimmt mein Gepäck?«, fragt sie.

»Ich fürchte, du musst deine Taschen selbst tragen«, antwortet Rainbow, während sie zu Belle hinübergeht.

Cariss sieht ihr entsetzt nach, als hätte Rainbow gerade verkündet, dass sie den ganzen Weg bis Honolulu laufen müsste. Dan spaziert feixend an ihr vorbei.

»Floh und Belle sind total peinlich«, sagt Jenna und gibt Ron ein Zeichen, ihr Gepäck zu nehmen. »Um nichts in der Welt setze ich mich im Flugzeug in ihre Nähe.«

Todd und Ron nicken zustimmend, ich seufze auf. Eigentlich dachte ich, ich würde dem Kriegsgebiet für ein paar Wochen entfliehen und nicht direkt in das nächste fliegen.

14886.jpg

In meinem Leben VT (Vor Todd) hatte ich einen Fantasiefreund namens Ashton. Ashton war genau so, wie ich mir meinen Freund wünschen würde – lustig, klug, Fan französischer Filme (also die Krönung der Kultiviertheit) und natürlich total süß. Allerdings irgendwie piratenartig süß, mit strubbeligem Haar und klarem Blick. Jede Nacht habe ich mir im Bett einen Arm um die Hüfte gelegt und so getan, als würde er Ashton gehören. »Keine Sorge«, hat er mir zugeflüstert, wenn meine Eltern unten gestritten haben, »ich liebe dich.« Dann habe ich die Augen geschlossen und von Treffen an megaromantischen Orten geträumt: in einem französischen Café zum Beispiel oder einem Second-Hand-Buchladen in Brooklyn, und habe Ashtons Kissengesicht umklammert, bis ich in einen glückseligen Schlaf gefallen bin.

Als ich jetzt im Flugzeug nach Hawaii sitze und über den Gang hinweg Todd beobachte, der versucht, Ron eine Kotztüte auf den Kopf zu setzen, frage ich mich, ob dieser Fantasiefreund vielleicht schuld daran ist, dass wegen meines echten Freundes solche Zweifel an mir nagen. Vielleicht war Ashton einfach zu perfekt? Vielleicht ist es unmöglich, es mit ihm aufzunehmen? Aber warum sollte ich einem Fantasiefreund auch Charakterschwächen andichten?

Neben mir stecken Jenna und Cariss die Köpfe über Cariss’ neuem Handy zusammen. Durch die Lücke zwischen den Sitzen vor uns sehe ich Belle und Floh dicht zusammen ins Gespräch vertieft. Und obwohl ich Dan auf Flohs anderer Seite nicht richtig sehen kann, stelle ich mir vor, dass er wie gewöhnlich seinen iPod eingestöpselt hat und im Takt der Musik mit dem Kopf nickt.

Eine Stewardess schiebt einen Wagen voller Getränke durch den Gang. Ich liebe Stewardessen. Sie haben so viel Glamour und wirken so selbstsicher, obwohl sie eigentlich einen der jämmerlichsten Jobs der Welt haben. Im Chronicle habe ich mal gelesen, dass viele Stewardessen unfruchtbar sind, weil ihr Zyklus durch den ständigen Wechsel der Zeitzonen völlig durcheinandergerät. Außerdem leiden sie an trockener Haut, brüchigen Nägeln und Gedächtnisstörungen durch Schlafmangel. Im Prinzip sind sie also hinter der ganzen Schminke quasi lebendige Tote. Was man nie denken würde, wenn man diese Stewardess sieht. Ihr Haar ist platinblond und ihre Lippen sind rot und glänzend wie Schneewittchens Apfel. »Möchten Sie etwas trinken? Kaffee, Wasser, Limo?«, wiederholt sie immer wieder, während sie sich den Weg durch das Flugzeug bahnt, und zwar stets so engagiert, als wäre es das erste Mal. Als sie in der Reihe vor uns anhält, fragt Belle nach einer Packung Schokonüsse. Jenna neben mir seufzt auf. Ihre Mutter hält sie auf einer megastrengen Diät: Sie muss Tonnen von Rohkost essen und ständig etwas trinken, das auf Gras basiert und aussieht wie grüne Wandfarbe. Ich persönlich bin froh, dass Belle Appetit hat. Das bedeutet hoffentlich, dass sie über den Schmerz, ihre Mutter verlassen zu müssen, hinweg ist.

»Dies ist das erste und letzte Mal, dass ich Economy fliege«, zischt Cariss. »Jeder Spind hat mehr Fußraum! Ganz bestimmt verstößt dieses Flugzeug gegen die Genfer Konvention oder so was in der Art!«

Ich wage es nicht, ihr zu sagen, dass sich die Genfer Konvention mit dem Schutz von Kriegsgefangenen beschäftigt und daher vermutlich keine Paragrafen über die erlaubte Fußraumgröße von Tanzschülern enthält. Stattdessen werfe ich einen Seitenblick auf Jenna, um mit ihr ein wissendes Grinsen zu wechseln, aber sie sieht nur Cariss an und drückt ihr den Arm.

»Ich weiß, Süße«, murmelt Jenna. »Es ist grausam.«

Ich spüre ein leichtes Ziehen im Magen. In der Schule hängt Cariss gewöhnlich mit Liberty Jackson ab, der Tochter von Rocksänger Kyle Jackson. Liberty hat sich nicht um den Job auf dem Kreuzfahrtschiff beworben, weil ihre Mutter und sie ihren Vater den ganzen Sommer auf seiner Europatour begleiten. Jenna war schon immer latent fasziniert von der Promi-Aura, die Cariss umgibt. Jetzt, ohne Liberty, sieht sie vermutlich eine Chance, ihr näherzukommen. Und ich bin nicht sicher, was das für mich bedeutet. Ich seufze innerlich auf. Warum muss ich mir nur über alles so viele Gedanken machen? Jenna und ich sind seit Ewigkeiten befreundet. Das Band, das uns verbindet, zerreißt nicht einfach so über Nacht.

Cariss und Jenna kichern. Jenna stupst mich an und schiebt mir Cariss’ iPhone zu. Cariss hat bei Facebook ein Foto von Belle gepostet, wie sie heulend am Flughafen steht. Der Untertitel dazu lautet: Belle, die Heulsuse. Obwohl Jenna und Cariss darauf warten, dass ich mit ihnen darüber lache, kann ich es einfach nicht und gebe das iPhone schweigend zurück. Das Diamantenherz auf der Rückseite fällt mir ins Auge. Welche Ironie, wenn man bedenkt, wie gemein Cariss sein kann.

»Möchten Sie etwas?«, fragt die Stewardess Todd. Sie ist jetzt so nah, dass ich ihr Parfum riechen kann, frisch und zitronig. Es erinnert mich an den Terrakottatopf mit Limonengras in meinem Kräutergarten und mich übermannt ein Gefühl, das Heimweh gefährlich nah ist.

»Kommt drauf an, was Sie anzubieten haben«, sagt Todd.

Ich stöhne auf, während Ron losprustet.

»Kaffee, Wasser, Limo, Milch?«, fragt die Stewardess mit ausdruckslosem Gesicht.

Todd läuft sofort knallrot an. »Cola, bitte«, murmelt er.

Jenna und Cariss bestellen Diät-Limo. Ich nehme einen Kaffee und lächle der Stewardess besonders freundlich zu, um mich für meinen idiotischen Freund zu entschuldigen. Während ich einen Schluck nehme, denke ich an den Sommer zurück, in dem ich zwölf war und mit meinen Eltern nach Frankreich geflogen bin. Eines Abends saßen wir in einem Restaurant in Paris beim Essen, als mein Vater unverblümt mit der Bedienung zu flirten begann. Mom und ich konnten nicht verstehen, was er sagte, weil er Französisch mit ihr sprach, aber so leise und sanft, wie er redete, und die Art, wie die Bedienung kicherte und mit ihrem Haar spielte, zeigte deutlich, dass er sie anbaggerte. Ich erinnere mich daran, dass Mom so tat, als würde sie intensiv die Speisekarte studieren, aber ich konnte sehen, dass ihr die Tränen kamen. Typen, die mit anderen Frauen flirten, während ihre Freundinnen danebensitzen, sind die totalen Loser. Ashton hatte in all unseren Fantasiedates nur Blicke für mich.

Ich schließe die Augen und versuche die Panik zu bekämpfen, die in mir hochsteigt. Bald bin ich für vier Wochen mit meinem Freund auf einem Kreuzfahrtschiff gefangen, und das, obwohl ich immer mehr zu der Überzeugung komme, dass er doch ein Loser ist. Das verheißt auf jeden Fall gar nichts Gutes!

Nach den längsten fünf Stunden und vierzig Minuten der Geschichte landen wir in Honolulu. Am Gepäckband kommt es zu einem kleinen Drama, als Cariss einen ihrer hundert Koffer nicht findet. Aber trotzdem schaffen wir es irgendwann in die Ankunftshalle. Dort erwartet uns ein Vertreter von Oceana Ventura, der Reederei, zu der unser Schiff gehört. Sein Name ist Andreas Moon, was entspannt und zen-mäßig klingt. Stattdessen aber ist er knallrot im Gesicht und megagestresst – ganz offensichtlich hat Cariss’ Gepäckkrise den Zeitplan komplett durcheinandergeworfen. Andreas hastet zum Parkplatz, wo ein Minibus auf uns wartet, der uns zum Hafen bringen soll. Nach der eisigen Klimaanlage des Flughafens fühlt sich die Luft draußen heiß und stickig an.

»Komm, wir setzen uns zusammen, Grace«, sagt Todd, als wir einsteigen.

Ich lasse mich neben ihm nieder und schnalle mich an. Als das Schloss klickt, legt Todd seine Hand auf meine und lächelt. Ich lächle zurück. Und ich meine es ernst. So mag ich Todd am liebsten: wenn er kein Theater vor seinen Freunden oder sonst einem Publikum macht. Wenn ich das Gefühl habe, wirklich ihn zu sehen. Als der Bus vom Flughafenparkplatz rollt, beugt sich Todd vor und küsst mich auf die Nasenspitze. Erleichterung durchzuckt mich. Vielleicht ist diese Reise doch genau das, was wir brauchen, um uns näherzukommen.

»Darf ich dich was fragen?«, flüstere ich.

»Klar.« Er lächelt mich an.

»Wünschst du dir auch manchmal, wir würden nicht so unter Druck stehen und immer nur funktionieren müssen?«

Todd runzelt die Stirn. »Was meinst du?«

Sofort werde ich rot. »Na ja, in unserem Alter scheint es so wichtig zu sein, wie man redet und wie man sich gibt. Immer muss man cool tun.«

Oh Gott, du klingst wie eine Sozialpädagogin, lästert meine innere Stimme.

Todd schüttelt lachend den Kopf. »Du bist echt schräg drauf, Grace.«

»Aber denkst du denn nie …«

In diesem Moment kommt im Radio ein Lied von Jay Z und Todd beginnt, laut zu rappen. Gleichzeitig lässt er den Blick über den Minibus streifen, um zu sehen, ob er Publikum hat.

Ich wende mich ab und lehne den Kopf gegen das Fenster. Bei meinen Fantasiedates mit Ashton konnte ich immer sagen, was in mir vorging, und nie hat er mich ausgelacht oder »schräg drauf« genannt.

Weil er nur eine Erfindung war, du Blödi, meldet sich wieder die Stimme in meinem Kopf. Ein Produkt deiner gestörten Fantasie!

Ich seufze und lasse Hawaii vor dem Fenster an mir vorbeiziehen, die grünen Palmen, die weißen Häuser und den blauen Himmel. Bis mir ein Schild auf einer Baustelle ins Auge fällt. GEFAHR, steht in großen roten Buchstaben darauf. Schon wieder dieses Wort. Ich umklammere meine Tasche und schließe die Augen.