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Inhalts-
verzeichnis

Vorwort

Das Doppelleben des Dr. Knie

Auf der Piste: Der Mannschaftsarzt

Am Bildschirm: Der Kniespezialist

Das Knie spüren

Mist, der Meniskus – oder ist das doch schon eine Arthrose?

Ich habe …

Schmerzen an der Innenseite des Knies

Schmerzen an der Außenseite des Knies

Schmerzen vorn am Knie

Schmerzen oder ein Druckgefühl in der Kniekehle

Schmerzen, Bewegungseinschränkungen und komische Geräusche

Schmerzen beim Treppensteigen

Schmerzen in/nach Ruhe/beim Wechsel von Ruhe zu Bewegung oder umgekehrt

Knick, Knack und Knorpel

Was unserem Knie so alles passieren kann

Fast schon ein Langweiler: der Meniskus

Typisch … Meniskus

Und es hat plong gemacht: das Kreuzband

Typisch … Kreuzband

Ganz schön »auf Knirsch«: der Knorpelschaden, beginnende Arthrose

Typisch … Knorpelschaden

Seitenbandverletzung

Typisch … Seitenband

Richtig gereizt: Sehnenprobleme

Typisch … Sehnenprobleme

Nicht nur beim Marathon: Läuferknie (Iliotibialbandsyndrom)

Typisch … Läuferknie

Auf die Knie: die Schleimbeutelentzündung

Typisch … Schleimbeutel

Ein bisschen verklemmt: das Plicasyndrom

Typisch … Plicasyndrom

Drama, Baby: die Kniescheibenverrenkung

Typisch … Kniescheibenverrenkung

Baker-Zyste

Typisch … Baker-Zyste

Arthrose/Gelenkersatz

Typisch … Arthrose

Kraft und Koordination: Physiotherapie

Krücken und Kompression: Hilfsmittel heute

Läuft wie geschmiert: Hyaluronsäure

Eigenbluttherapie: ACP-Injektionen

Von »Knorpeltabletten«, Hagebutten & Co: Pillen und Pulver gegen Arthrose

Antioxidativ und antientzündlich wirkende orale Mittel

Chondroprotektiva

Vitamine und Spurenelemente

Aminosäuren und Fettsäuren

Pflanzenwirkstoffe

Letzte Option: künstliches Kniegelenk

Leben mit der Knieprothese

Super-GAU Kniekeim

Wenn Narben schmerzen: Arthrofibrose

Sport mit Knieprothese

Ab in die Röhre – das Who’s who der bildgebenden Verfahren

Röntgen

Computertomografie (CT)

Kernspintomografie/Magnetresonanztomografie (MRT)

Ultraschall/Sonografie

Szintigrafie

Die Top Five aus der Gattung »selten und rar«

Morbus Ahlbäck

Morbus Osgood-Schlatter

Morbus Sinding-Larsen-Johansson

Knochenmarködem

Knietumor

Einfach Pech gehabt?

Bestimmte Faktoren können eine Arthrose begünstigen. Das sind die wichtigsten:

Gute Gene, schlechte Gene …

O oder X – das ist hier die Frage

Frühere Verletzungen

Vorbeugung ist nicht alles – aber viel

Bewegung

Übergewicht

Ernährung

Die fünf No-Gos bei Arthrose

Die ultimativen Übungen für starke Knie

Knie-Fälle der Geschichte

Literaturverzeichnis

Vorwort

Manuel Köhne kam 2010 als junger Assistenzarzt mit großen Ambitionen und einer Begeisterung für das Knie, das Operieren und den Profisport in meine Knieabteilung. Damals hätte ich nicht gedacht, dass mein Sturz vom Dach 2011 einmal meine Nachfolge als leitender Mannschaftsarzt bei der alpinen Ski-Nationalmannschaft regeln würde.

Denn durch mein gebrochenes Handgelenk schickte ich vertretungsweise Manuel zur Mannschaftsbetreuung unserer besten deutschen Skifahrer zum Weltcup nach Kvitfjell. Seine Akzeptanz war bei allen Trainern und Aktiven von Beginn an außergewöhnlich hoch.

Wenn man 35 Jahre lang und bei 8 olympischen Winterspielen die deutschen Skiasse engagiert betreut hat, vertraut man dieses Lebenswerk nicht irgendjemandem an.

Inzwischen hat Manuel durch seine frühe Spezialisierung auf das Knie einen enormen Erfahrungsschatz und ist bestens geeignet, über typische »Knie-Fälle« zu berichten.

Bereits in den 80er-Jahren habe ich mich nach mehreren Aufenthalten in den USA auf das Kniegelenk spezialisiert. Dadurch hatte ich überwiegend Patienten mit Problemen des Kniegelenks. Von der Wachstumsstörung über komplexe Bandrupturen bis hin zur Arthrose war fast das gesamte Spektrum der Kniegelenkverletzungen und -erkrankungen vertreten.

Überrascht war ich oft, wie wenig die Patienten über die Anatomie und Funktion des Knies wussten. Begriffe wie Meniskus, Knorpel und Bänder waren zwar durchaus geläufig, aber von Aussehen und Bedeutung dieser Strukturen hatten die meisten keine genaue Kenntnis. Dabei ist es für jeden Patienten durchaus hilfreich, wenn er ein bestimmtes Grundwissen zu seiner Gesundheitsstörung mitbringt. Je besser das Wissen eines Patienten zu seiner Erkrankung oder Verletzung ist, umso effizienter kann in aller Regel die Therapie durchgeführt werden und umso besser sind erfahrungsgemäß auch die Behandlungsergebnisse.

Schon damals dachte ich, dass man doch ein Buch über das Knie schreiben sollte, in dem das Grundwissen zum Kniegelenk leicht verständlich vermittelt wird. Ein solches Buch wird nun von dem renommierten Kniespezialisten Dr. Manuel Köhne veröffentlicht, der sich mit diesem so unscheinbar wirkenden Gelenk bestens auskennt.

Neben einer anatomischen Übersicht findet man darin viele durchaus typische Fallbeispiele, in denen mancher Leser sein eigenes Knieproblem wiedererkennen wird. Manuel erklärt die verschiedenen Behandlungsoptionen, einschließlich operativer Eingriffe, und die damit verbundenen Risiken und Erfolgsaussichten. Die Illustrationen veranschaulichen die Struktur und Funktionsweisen des Kniegelenks und dessen mögliche gesundheitliche Probleme auch dem medizinischen Laien.

Außerdem zeigt Manuel einfache und teilweise überraschende Maßnahmen und Trainingsformen, die gut für das Knie sind. Zum Beispiel kann die Knie-Gesundheit mit der richtigen Ernährung gefördert werden. Auch wird vor typischen Fehlbelastungen gewarnt, die zu Kniebeschwerden und -verletzungen führen.

Natürlich kann dieses Buch den Arzt und Kniespezialisten nicht ersetzen, bietet aber eine sehr gute Orientierung und Hilfestellung im Dschungel der medizinischen Feinheiten.

Dr. Ernst-Otto Münch

Das Doppel-
leben des
Dr. Knie

Auf der Piste: Der Mannschaftsarzt

Samstag, 12. Januar 2019, Skiweltcup im Slalom und Riesenslalom in Adelboden, Schweiz: Der deutsche Skirennfahrer Stefan Luitz liegt 0,22 Sekunden im Rückstand zu seinem führenden Konkurrenten Henrik Kristoffersen aus Norwegen. Im Finale an diesem Tag fährt er »voll auf Angriff«. Das geht gründlich schief. Schon wenige Sekunden nach dem Start rutscht Luitz auf dem vereisten Chuenisbärgli weg und bleibt mit dem linken Arm auf der Piste hängen. Ein Helikopter bringt den 26-jährigen Sportler ins Krankenhaus. Diagnose: eine ausgekugelte Schulter. Fünfhundert Kilometer weiter sitzt in München der Mann, der die medizinische Versorgung koordiniert: Manuel Köhne alias »Dr. Knie«. Köhne ist Orthopäde und leitender Mannschaftsarzt der deutschen Ski-Nationalmannschaft Alpin. Bei diesem Rennen hat er keinen Dienst vor Ort, hält deshalb jetzt per Telefon und Skype den Kontakt zu seinen Kollegen auf der Piste und den Ärzten in der Schweizer Klinik. Rasch stellt sich heraus, dass der Sturz relativ glimpflich ausgegangen ist. Am Montag ist Luitz bereits bei Köhne in der OCM-Klinik. Weitere Untersuchungen wie eine Magnetresonanztomografie (MRT) sollen Aufschluss über mögliche Verletzungen nach dem Sturz geben. Hier kann Köhne grünes Licht geben – Luitz ist wieder voll einsatzfähig.

Freitag, 30. November 2018: Luitz’ Kollege, der 25-jährige Thomas Dreßen, geht beim Skiweltcup im amerikanischen Beaver Creek an den Start. Auf dem Weg zur neuen Bestzeit verkantet sich Deutschlands bester Speedfahrer nach 44 Sekunden mit seinen Skiern auf der legendären Weltcupstrecke »Birds of Prey« – und landet mit 125 Stundenkilometern im Fangzaun. Bilder, die schon beim Zusehen wehtun. Zu Hause in München verfolgt Manuel Köhne mit acht Stunden Zeitverschiebung das Rennen am späten Abend vor dem Fernseher. Er ahnt sofort: Da kommt Arbeit auf ihn zu. Dreßen wird mit einem Rettungsschlitten abtransportiert und in die Steadman-Klinik nach Vail gebracht.

Das hässliche Souvenir für den Topathleten aus Mittenwald: eine ausgekugelte Schulter – und ein Riss des vorderen Kreuzbandes im rechten Knie. Das bedeutet das sofortige Saisonaus für den 25-Jährigen. Der Sportdirektor der Ski-Nationalmannschaft telefoniert noch in der Nacht mit Köhne und kündigt Dreßen als Patienten an. Da der Sportler transportfähig und seine Erkrankung nicht lebensbedrohlich ist, fliegt er am nächsten Tag mit einer ganz normalen Linienmaschine nach Deutschland – in der Businessclass und mit hochgelagertem Bein. In München angekommen, fährt er direkt zu Köhne in die OCM-Klinik, wird gründlich untersucht und bereits am nächsten Tag mit einer neuen, innovativen Technik operiert. Dreßen wird die Quadrizepssehne aus dem Oberschenkel entnommen und als Kreuzbandersatz eingesetzt. Bereits nach zwei Tagen beginnen die ersten physiotherapeutischen Maßnahmen wie Aufstehen, Gangschulung sowie Lymphdrainage in der Klinik. Nach dem Abschwellen des Knies geht es für Dreßen in eine Rehaklinik in München. Im August 2019 kann der Topathlet schließlich wieder zum Training auf Schnee gehen.

Für Köhne ist eine Diagnose auch immer eine emotionale Gratwanderung und erfordert sehr viel Fingerspitzengefühl in der Kommunikation: Da sind auf der einen Seite Fans, Zuschauer, aber auch Sponsoren, die aus unterschiedlichen Gründen schnellstmöglich Bescheid wissen wollen, die Presse ist hungrig auf jedes Detail; und auf der anderen Seite stehen ein Athlet, der um eine mögliche Ausfallzeit zittert, und natürlich auch Angehörige, die sich zu Hause große Sorgen machen. Umso glücklicher ist er deshalb auch, wenn ein Patient mit von ihm operierten Kreuzband »einen Sieg erringt«. So geschehen bei der 30-jährigen Skicrosserin Heidi Zacher, die ein Jahr nach einem Kreuzbandriss auf der gleichen Strecke in Idre Fjäll in Schweden eine Goldmedaille holte. Da saß Köhne mit seiner Familie vor dem Fernseher, drückte Heidi Zacher (und ihrem operierten Kreuzband) kräftig die Daumen und schickte sofort nach ihrem Sieg sehr erleichtert eine SMS an die blonde Athletin.

Februar 2018: Bei den Olympischen Winterspielen im südkoreanischen Pyeongchang ist Thomas Dreßen, kurz nach dem legendären Kitzbühel „Streif“-Sieg im Januar, auf dem ersten Höhepunkt seiner Karriere. Zusammen mit ihm und dessen Kollegen der Speedmannschaft wie Joseph Ferstl und Andreas Sander landet Manuel Köhne nach einem anstrengenden Elfstundenflug an dem Ort, der für die nächsten zehn Tage seine mobile Praxis sein wird. Außerdem dabei sind die Physiotherapeutin der Mannschaft, die Trainer, Skiserviceleute und Techniker – und jede Menge Equipment. Jeder der Topathleten reist mit einem ganzen Arsenal von Skiern an, mehrfache tägliche Wechsel der Bretter sind in dieser Liga keine Seltenheit. Übergepäck verursacht auch die Kleidung der Sportler. Neben den Trainingsanzügen für die Rennen sind feste Outfits für jeglichen Auftritt während der Spiele von den Ausrüstersponsoren vorgegeben. Bereits einige Tage vor der Olympiade waren alle Teilnehmer und Betreuer zum großen Fitting in München eingeladen. Nach der Ankunft am Flughafen werden die Massen an Gepäck mit einem Lkw ins rund vier Stunden von Seoul entfernte Mannschaftshotel gebracht, Crew und Betreuer reisen mit dem Bus weiter.

Gegen Mittag trifft das gesamte Team im Mannschaftshotel direkt an den Wettkampfstätten in Jeongseon ein: Begrüßt werden sie von eisiger Kälte und Windböen mit bis zu 100 Stundenkilometern. Heimeliger ist es dagegen im schicken, unmittelbar vor Beginn der Spiele eröffneten Hotel mit hypermodernem Fitnessraum und einem Healthy-Food-Restaurant. Doch zum Ausruhen bleibt den Athleten wenig Zeit. Noch vor der offiziellen Eröffnung der Olympiade finden die ersten Trainings statt. Köhne trifft viele seiner Kollegen aus aller Welt, die er teilweise schon seit Jahren kennt. Zu Großereignissen wie diesen reisen in der Regel immer dieselben Mediziner an. Jede Nation, die mehrere Teilnehmer bei der WM hat, schickt auch ihre eigenen Teamärzte mit.

Für das deutsche Team sind neben Köhne noch vierzehn weitere Kollegen der olympischen Wintersportverbände vor Ort. Im Gepäck haben sie für den Notfall auch starke Schmerzmittel sowie Narkosemedikamente. Jeder Teamarzt wohnt unmittelbar in der Nähe seines zu betreuenden Teams, aufgeteilt auf die verschiedenen Wettkampfstätten im Land mit teilweise mehr als sechzig Minuten Distanz zueinander. Jeder Arzt hat mit anderen Herausforderungen und sportarttypischen Unfallgefahren zu kämpfen. Und könnte teilweise auch selbst zum Unfallopfer werden, gerade bei Abfahrtsläufen. Bei einem Sturz muss Köhne beispielsweise in Windeseile mit einem Rucksack voller Medikamente die teilweise extrem steile und vollständig vereiste Piste herunterfahren. Deshalb gehört zu den Einstellungskriterien neben den medizinischen Skills auch immer eine mehrjährige Ski-Erfahrung.

Beim ersten »Doctors Meeting« der Skifahrer trifft man die offiziellen Rennärzte, die aus der Region kommen und guten Kontakt zum Rettungsdienst sowie den örtlichen und überregionalen Kliniken haben. Die Strecke wird genau erklärt, jede Kurve benannt und besprochen. Wichtig vor allem: Wo sind die Rettungswege und wie wird der Patient befördert? Meist kommt gerade in den steilen Passagen ein Hubschrauber zum Einsatz, teils auch mit Seilwinde, da hier ein Akia (Wannenschlitten) nur schwer beladen werden kann. Alle wichtigen Telefonnummern werden ausgetauscht und die Abläufe des Notfalls genau besprochen, zum Beispiel:

Wann darf der Teamarzt auf die Strecke? Welche Medikamente werden bei bestimmten Verletzungen verabreicht? Kann der Teamarzt im Hubschrauber mitfliegen? Wo ist die beste Versorgung für die jeweiligen Verletzungsmuster? Wo können die Leichtverletzten untersucht werden? 

Ärztemeetings finden an jedem Tag statt, an dem offizielle Trainings oder Rennen anstehen. Danach begleitet Köhne seine Mannschaft weiter durch den Tag. Mittagessen, kurze Pause, Konditionstraining auf dem Ergometer oder mit dem Ball. Für den Münchner Orthopäden ist Pyeongchang eine ruhige Olympiade. Schwere Verletzungen gibt es nicht zu versorgen. Das liegt unter anderem daran, dass die Strecke als nicht besonders anspruchsvoll gilt. Erkältungen sind dagegen bei Temperaturen von minus 10 bis minus 20 Grad an der Tagesordnung und fordern das Immunsystem von Athleten und Betreuern.

Am Bildschirm: Der Kniespezialist

München, 11. Januar 2019: Auf dem Bildschirm wiegen sich feinste roséfarbene »Seeanemonen« im Wasser, unglaublich fein und filigran scheinen sie fast zu schweben. Was für den Laien wie ein wunderschönes Naturschauspiel aussieht, ist für Manuel Köhne ein ganz alltägliches Bild. Diese zarten »Pflanzen« sind zerfledderte Meniskusfasern und sie sorgen im Knie der 65-jährigen Edith Huber1 nach einem Sturz mit dem Fahrrad für ordentlich Aufruhr und Schmerzen. Die Münchner Rentnerin liegt bereits in Vollnarkose, das eingespielte OP-Team versteht sich nahezu wortlos, im Hintergrund singt Coldplay sein »Viva la Vida«. Kollegen nennen Köhne auch gern liebevoll »das One-Trick-Pony«. Seine Manege ist der OP – und sein Zucker der Erfolg. Der »Trick«, den Manuel Köhne richtig gut beherrscht, ist die Behandlung von Knien. Rund tausend operiert er jedes Jahr. Andere Kunststücke wie Schulter, Wirbelsäule und Hüfte überlässt er den anderen Ärzten der OCM-Klinik, die sich ebenfalls alle auf ein Fachgebiet spezialisiert haben. Köhne operiert, wie bei eigentlich allen Meniskuseingriffen, arthroskopisch, also minimalinvasiv. Über zwei winzige, gerade mal fünf Millimeter große Schnitte am Knie führt er seine Arbeitsgeräte ein: ein Endoskop, also ein dünnes, etwa bleistiftdickes Rohr, das mit Videokamera, Licht und einer Spül- und Absaugvorrichtung ausgestattet ist, und eine Minizange oder -fräse muss durch den schmalen Schlitz. Auf dem Bildschirm kontrolliert er seine Arbeit. Zwar wird vor jedem Eingriff ein MRT angefertigt, doch Köhne kann erst während der OP selbst beim »Blick« ins Innere des Knies mittels eines Tasthakens beurteilen, wie der Meniskus von Edith Huber beschaffen ist. Erst dann entscheidet er sich für die maßgeschneiderte Behandlung. Mit einer Art Minischere schneidet Köhne die schwebenden Meniskusfasern weg, glättet das Ganze schließlich mit einer Fräse.

Nach zwanzig Minuten ein kurzer Blick zum Anästhesisten, der stoppt das Narkosemittel – innerhalb weniger Minuten ist Edith Huber bereits wieder wach. Nach einer halben Stunde im Aufwachraum lässt sie sich schon eine Brezel schmecken und freut sich über den ersten Kaffee des Tages. Schmerzen hat sie keine.

Neben ihr im Aufwachraum liegt der 24-jährige Marcel Naumann. Der Informatikstudent wurde vor drei Stunden ebenfalls am Meniskus operiert und leidet deutlich mehr als Edith Huber. An seiner Seite sitzt Freundin Marlene, die ihn tröstet und ihm seine Teetasse reicht. Für Köhne sind Naumanns Schmerzen kein Grund zur Beunruhigung. Da der Meniskus des jungen Mannes noch elastisch war, der Riss sich nicht komplett durchzog und zudem ganz frisch nach einem Fußballfehltritt entstand, entschied sich Köhne hier zu einer sogenannten Meniskusrefixation. Dabei wird abgerissenes Gewebe wieder an die nicht betroffenen Teile des Meniskus und der Kniegelenkkapsel angenäht, im Falle von Naumann mit resorbierbaren Pfeilen, sogenannten Arrows. Dieser Eingriff ist aufwendiger, man hat hinterher mehr Schmerzen und die Heilungsphase ist auch länger als bei dem Eingriff von Edith Huber. Dafür ist der Meniskus nach einigen Wochen aber auch wieder fast wie neu.

Nach den OPs des Tages beginnt für Köhne am Nachmittag die Sprechstunde der Praxisklinik. Er pendelt im Zehnminutentakt zwischen zwei Sprechzimmern, stellt nach den vorhandenen Bildern, einer Tastuntersuchung und zahlreichen Fragen an die Patienten routiniert Diagnosen, zeigt das Für und Wider zahlreicher Behandlungsmöglichkeiten auf. Für die 56-jährige Anwältin Vera Hartkämper beispielsweise ist klar, dass sie ihren Kreuzbandriss so schnell wie möglich operieren lassen will. Sie ist sehr sportlich, spielt leidenschaftlich Golf und Tennis und will die Einschränkungen ihrer Lebensqualität durch das lädierte Kreuzband einfach nicht länger hinnehmen.

Peter Bauer, 47, entscheidet sich dagegen erst mal für eine konservative Behandlung seines Meniskusrisses. Er ist stark übergewichtig, eher unsportlich und möchte es zunächst mit einer Kombi aus Abspecken, Physiotherapie und einer Bandage versuchen.

Nach der Sprechstunde eilt Köhne noch kurz rüber in die Sana-Klinik, wo er Belegbetten hat. Hier liegen Patienten, die aufwendigere Operationen wie etwa das Einsetzen eines neuen Kniegelenks hinter sich haben und einige Tage stationär verbringen müssen. Gegen 20 Uhr geht das Licht im Behandlungszimmer aus. Eine Dreiviertelstunde später ist er zu Hause im Süden von München. Ein Kuss für die kleine Tochter, die schon längst schlummert. Ein Glas Wein noch mit seiner Frau, ein kurzes Zappen in die Tagesthemen für die wichtigsten Ereignisse des Tages im Überblick, dann Licht aus, meist lange vor Mitternacht, denn morgen früh um 8 Uhr wartet schon das nächste Knie …


1 Die Namen aller Patienten in den Fallbeispielen sind geändert.

Das Knie
spüren

Viele Menschen leiden unter »Rücken« und fast jeder hat ihn, oft sogar bereits in ganz jungen Jahren, schon einmal zu spüren bekommen. Häufig im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule. Viele kennen auch die lästigen Verspannungen im Nacken- und Schulterbereich nach einem langen Tag am Computer. Die allermeisten wissen zudem um die Funktion der Wirbelsäule und der Bandscheiben, die mit zunehmendem Alter einer Degeneration unterworfen sind, sich buchstäblich dünne machen und dann Schmerzen bereiten. Das Knie dagegen ist für Menschen, die dort bisher keine Probleme hatten, eher dieser wenig beachtete »komische Knubbel« in der Mitte des Beines. Meist als nicht sonderlich attraktiv empfunden und selten befühlt – Frauen sehen in ihm oft sogar einen optischen Makel, der das Bein irgendwie »hässlich« macht. Und am liebsten ist es uns, wenn dieser Knubbel beim Laufen und Gehen, Stehen und Sitzen brav vor sich hin arbeitet und möglichst wenig muckt. Bevor wir das Knie irgendwann mal unangenehm spüren, sollten wir es einfach mal kurz in seiner Gänze er-spüren. Um zu erfahren, welch kleines Wunderwerk dieses größte Gelenk unseres Körpers eigentlich ist.

Setzen Sie sich dafür ganz bequem auf einen Stuhl und stellen Sie Ihr linkes Bein im Neunziggradwinkel auf. Legen Sie dann Ihre linke Hand vorn auf das linke Knie. Was man da vorn als harten »Teller« spürt, ist die Kniescheibe. Sie ist bei jedem Menschen unterschiedlich groß und rund zwei bis zweieinhalb Zentimeter dick. Sie liegt vorn auf dem Knie auf, umfahren Sie sie einfach mal mit dem Finger. Fahren Sie dann mit zwei Fingern am unteren Rand der Kniescheibe nach unten, dort spüren Sie die sogenannte Patellasehne, das ist eine bandförmige Verbindung zwischen der Kniescheibe und dem Unterschenkel. Weiter unten sitzt die Schienbeinbeule, im Fachjargon Tuberositas tibiae genannt, die man als kleines rundes Höckerchen gut tasten kann. Sie mündet in das obere Schienbein.

Geht man mit den Fingern wieder nach oben über die Kniescheibe hinaus, kommt man auf die Oberschenkelsehne. Umfahren Sie die Kniescheibe nach rechts in Richtung der Körpermitte nach innen. Für Ihren nächsten Arztbesuch noch eine kleine Hilfestellung, mit der Sie ein bisschen den »Insider« rauskehren können: Im Medizinerjargon bedeutet »medial« innen und »lateral« heißt seitlich-außen. Auf der Mitte der Kniescheibe stoppen Sie und gehen mit den Fingern den Oberschenkel entlang in Richtung Kniekehle. Auf halbem Weg zur Kniekehle, zwischen dem Oberschenkel und dem Unterschenkel, spüren Sie eine Vertiefung. Das ist der innere, mediale Gelenkspalt. Wenn Sie diese Linie jetzt weiterverfolgen, befindet sich an der Stelle, wo der Oberschenkel in seiner Rundung schon wieder Richtung Kniekehle geht, den Innenmeniskus. Tasten kann man den Meniskus eigentlich nicht direkt, da er in der Tiefe sitzt. Aber an der Stelle treten bei einer Fehlfunktion des Meniskus Schmerzen auf. Das Gleiche kann man natürlich auch lateral machen, also an der äußeren Seite der Kniescheibe. Dort sitzt auf gleicher Höhe wie sein Kollege innen der äußere Gelenkspalt und beim weiteren Entlangfahren in der Tiefe der Außenmeniskus. Und wenn Sie dann auf der Außenseite mit den Fingern nach unten Richtung Fuß gehen, kommen sie zum sogenannten Wadenbeinköpfchen. Klingt putzig – man kann es übrigens an der Außenseite des Beines unterhalb des Kniegelenks sehr gut tasten. Zu guter Letzt langen Sie noch mal beherzt in die Kniekehle. Wenn Sie über sechzig sind und an abnutzungsbedingten Knieproblemen wie einer Kniegelenkarthrose leiden, ist die Wahrscheinlichkeit nicht gering, dass Sie dort eine Beule tasten. Manchmal sogar hühnereigroß. Am besten fühlt man sie bei gestrecktem Bein. Keine Sorge, das ist kein bösartiger Tumor, sondern eine sogenannte Baker-Zyste, ein harmloser, mit Flüssigkeit gefüllter Hohlraum. Rund 20 Prozent aller Menschen mit altersbedingten Knieproblemen entwickeln so einen Kniekehlenerguss. Er entsteht, wenn die Gelenkschleimhaut als Reaktion auf die abgeschilferten Knorpelteilchen vermehrt Gelenkflüssigkeit produziert – eine Art von lokaler Entzündung also (siehe auch Seite 118).

Das Gelenk funkt quasi SOS und signalisiert uns damit: »Achtung, mir geht es gerade nicht gut.« Kurioserweise kommt die Baker-Zyste aber auch bei völlig gesunden Kindern vor, Jungen leiden doppelt so häufig wie Mädchen darunter. Die Gründe hierfür liegen bisher weitgehend im Dunkeln, wachstumsbedingte temporäre Beinachsenfehlstellungen könnten eine mögliche Ursache sein.