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11.


Mein Kopf sank nach vorn auf die Brust. Ich konnte meine Augen nicht mehr offenhalten. Die steife Haltung, die Erschöpfung und die Hitze, die von den grauen Felsen gespeichert und ausgestrahlt wurde wie von Herdplatten, ließen die Müdigkeit immer stärker in mir werden.

Plötzlich hörte ich, halb im Unterbewusstsein, ein schleifendes Geräusch. Ich riss den Kopf hoch und die Augen auf.

Skinyea hatte seine Deckung verlassen. Er schlich auf mich zu.

Das Gewehr war tonnenschwer, aber irgendwie brachte ich es hoch und feuerte.

Die Kugel schleuderte direkt vor Skinyeas Füßen eine Staubfontäne in die Luft. Sofort warf sich der Krieger zurück.

„Wie lange schaffst du es noch?“, rief er. „Gleich habe ich dich, kleines Gelbhaar, gib dir keine Mühe.“

Ich schluckte einen Fluch hinunter und repetierte den Spencer durch.

In diesem Moment klang Hufschlag auf. Leise erst, dann immer stärker werdend. Ich richtete mich auf, lehnte mich an den Felsen und lauschte. Als ich eine Staubwolke sah, die sich stetig näherte, ließ ich das Gewehr fallen.

Die Spannung in mir löste sich unvermittelt. Egal, wer dort heranritt, ich war am Ende. Wenn es eine Armeepatrouille war, die sich näherte, hatte jeder Kampf keinen Sinn mehr, kamen wider Erwarten Indianer, war ich gerettet und brauchte nicht mehr zu kämpfen.

Langsam rutschte ich an dem Felsblock, an dem ich stand, hinunter. Ich gab mir nicht die geringste Mühe, mich aufrecht zu halten. Mir schwanden die Sinne. Ich wehrte mich nicht mehr dagegen.


*


Wasser benetzte mein Gesicht, meinen Oberkörper. Wasser floss mit in den Mund, in den Hals. Ich hustete, bäumte mich auf, hustete immer heftiger und meinte, zu ersticken.

Kräftige Arme hielten mich fest. Jemand wischte mir das Gesicht trocken. Ich schlug die Augen auf. Verschwommen sah ich die Gesichter über mir. Langsam wurde mein Blick klarer. Ich glaubte zu träumen. Little Friend stand vor mir.

Ich sagte gar nichts, konnte nicht reden. Meine Zunge war wie gelähmt.

Sein Gesicht war ernst, verschlossen, düster fast. Tiefe Falten hatten sich um seine Mundwinkel gekerbt. Ich glaubte, Erbitterung, leise schwelenden Hass in seinen Augen zu entdecken. Ich holte tief Atem.

„Skinyea ...“, stammelte ich leise, fragend, anklagend.

Little Friend bückte sich, fasste unter meine Achseln und half mir hoch. Wortlos zeigte er nach Süden.

Ich sah einen Reiter. Ein Mann floh. Mehrere andere folgten ihm und holten ihn ein. Dann kehrten sie zurück. Wenige Minuten nur vergingen. Dann stand Skinyea vor mir, eingerahmt von Apachen, deren Mienen hart wie Stein wirkten.

Schwer lag die Rechte von Little Friend plötzlich auf meiner Schulter.

„Sprich“, sagte er, ohne zu sagen, was er meinte. Ich wusste es auch so.

„Sprich“, wiederholte er. „Sag alles.“

„Lass mich los“, sagte Skinyea. Er starrte an Little Friend vorbei. „Warum haltet ihr mich fest?“

„Schweig“, sagte Little Friend. Und Skinyea schwieg.

„Es kamen Soldaten“, sagte ich. „Am Abend des Tages, an dem ihr aufgebrochen seid. Sie schienen zu wissen, dass keine Krieger im Lager waren. Sie griffen uns an und metzelten alles nieder. Dann erschien er.“

Ich zeigte auf Skinyea.

„Er sprach mit den Offizieren der Langmesser. Es ging um die weißen Gefangenen. Ich war mit meinem Pferd am Wasserloch und habe deshalb alles heil überstanden. Er hat mich gejagt, Tag und Nacht, bis vorhin.“

„Enju.“ Little Friend trat an mir vorbei. Er hatte die Arme über der Brust verschränkt. Ich konnte mir vorstellen, was in ihm vorging. Er hatte Sandblume, sein Weib, mit gespaltenem Schädel gefunden.

„Er lügt“, sagte Skinyea. „Er spricht mit gespaltener Zunge.“

„Er sagt die Wahrheit.“ Little Friends Stimme klang dumpf. „Du hast uns alle belogen. Seit Jahren schon. Du hast geglaubt, dass niemand von uns übrig bleibt. Aber das war ein Irrtum. Als wir nach Fort Clark kamen, warteten fast dreihundert Langmesser auf uns. Mit Kanonen. Das Fort war gut bewacht. Keine schwache Wache, wie du gesagt hast. Aber der Große Geist hat uns beigestanden. Die Weißaugen haben uns geschlagen, aber nicht vernichtet. Viele Krieger sind gestorben und verletzt. Wir haben viele Pferde verloren. Und in unserer Abwesenheit hast du auch unsere Frauen töten lassen.“

„Das Fort war ...“ Skinyea wirkte wirklich überrascht. „Die Verstärkung kann erst gekommen sein, nachdem ich weggeritten war“, sagte er.

„Genauso, wie die Gefangenen weg waren, als du mit den Soldaten auftauchtest, nicht wahr?“ Little Friend lächelte, und wer sein Lächeln sah, dem lief es kalt über den Rücken. „Einmal musste dein Doppelspiel schiefgehen, Skinyea. Du hast Pech gehabt.“

Skinyea hob den schmalen Kopf. „Vielleicht“, sagte er. „Ja, es ist, wie du sagst, wie das kleine Gelbhaar es erzählt hat. Aber ihr seid Narren. Ihr träumt davon, den weißen Mann zu besiegen. Das werdet ihr nie schaffen. Ich will nicht siegen, sondern leben. Und leben kann man nur, wenn man sich mit dem Stärkeren verbündet.“

„Du bist ein gemeiner Mörder an deinen Brüdern und Schwestern, Skinyea“, sagte Little Friend. „Dafür wirst du sterben.“

Skinyea lachte auf. Mit einem Satz war er den Kriegern, die rechts und links neben ihm standen, entwischt. Mit einer blitzschnellen Bewegung riss er sein Messer aus dem Gürtel und sprang auf Little Friend zu.

Little Friend wich aus und stieß mich dabei zu Boden. Im selben Augenblick zog er sein Messer.

Sein Gesicht, bemalt mit den Kriegsfarben, war starr wie eine Maske. Er hatte seine Gefühle meisterhaft unter Kontrolle. Geschmeidig konterte er den heftigen Angriff Skinyeas und stieß dann selbst nach vorn. Er fintete und wehrte einen kraftvollen Stich Skinyeas ab. Sein rechter Fuß flog hoch und traf Skinyea in den Leib.

Skinyea krümmte sich keuchend zusammen. Little Friend sprang auf ihn zu und stach zu, als Skinyea sein Messer hochriss. Die Klinge von Little Friend bohrte sich in das rechte Handgelenk Skinyeas. Dem entfiel das Messer. Er presste den rechten Arm an den Leib. Ein Fausthieb warf ihn zu Boden. Dann kniete Little Friend schon über ihm.

Ringsum standen reglos die Krieger. Keiner mischte sich ein.

Little Friend blickte einen Moment in die glühenden Augen Skinyeas, der einen Fluch murmelte. Da senkte Little Friend sein Messer.


*


„Wir haben geglaubt, du seist tot“, sagte Little Friend.

Er saß neben mir im Gras, während die anderen Krieger die restlichen Toten des Massakers zusammentrugen und unter Steinen und Ästen begruben.

„Wir kamen gestern Morgen hier an und sahen, was die Weißaugen angerichtet hatten.“ Er sprach mit einer fast unpersönlich klingenden Stimme. Doch ich wusste, dass er an Sandblume dachte und sich beherrschen musste.

„Wir sind heute zurückgekehrt, um die restlichen Toten zu bestatten.“

Ich sprach nicht. Ich wusste nicht, was ich hätte sagen sollen.

Es wurde Abend, bis wir aufbrachen. Die Leiche von Skinyea nahmen wir mit.

Ich saß wieder im Sattel meines Braunen. Müde, aber froh.

Gegen Mitternacht erreichten wir das neue Lager der Apachen. Hier sah ich, wie viele Opfer der Angriff auf Fort Clark gekostet hatte. Viele bekannte Gesichter fehlten unter den Kriegern. Auch Stirbtjung war gefallen. Schnelltöter war verletzt, Cochise ebenso. Überall roch es nach Blut und Eiter.

Während Little Friend mit Cochise sprach, schlief ich todmüde ein. Am nächsten Morgen erst sah ich, wo wir uns befanden. Wir lagerten in einem Tal am Fuße der Kinney-Berge. Hier sah ich auch die weißen Gefangenen wieder.

Als die Sonne aufging, näherte sich ein kleiner Wagenzug unserem Lager. Indianerhändler kamen. An der Spitze ritt ein beleibter Mann mit einem dicken Verband um den rechten Oberschenkel.

Ich erkannte ihn sofort. Er war der Indianerhändler, dessen Haus wir überfallen hatten, den ich selbst angeschossen hatte.

Er gab sich ziemlich kleinlaut. Über eine Stunde dauerte das Feilschen um die Gefangenen. Dann erhielten wir für die weißen Frauen und Kinder eine Wagenladung Gewehre sowie Pulver und Blei.

Als die Händler wieder abziehen wollten, sichtlich froh, ungeschoren davonzukommen, führte Little Friend ein Pferd zu ihnen hinüber. Darauf lag die Leiche ­Skinyeas.

„Nehmt ihn mit“, sagte Little Friend. „Wir schenken ihn euch.“

„Warum? Ich kenne den Mann nicht“, sagte der Händler und blickte sich unsicher um. Er schien zu ahnen, dass es eine Menge Krieger gab, die ihn lieber bei lebendigem Leib geröstet hätten, als ihn wieder fortzulassen.

„Du wirst ihn den Blauröcken übergeben“, erwiderte Little Friend. „Untersteh dich, ihn unterwegs liegen zu lassen. Bring ihn zu den Langmessern in Fort Clark. Die kennen ihn.“

Der Händler verstand kein Wort. Aber er gehorchte.

Ich schaute den Männern nach. Die weißen Gefangenen, die nun frei waren, weinten vor Freude. Ich verstand sie nicht. Ich hätte ihnen gern die Gräber neben den Fingern Mayochinas gezeigt. Aber ich war nicht einmal sicher, ob sie es begriffen hätten.

Little Friend ging an mir vorbei. Er sah krank aus, und ich wunderte mich nicht darüber.

„Was – was wird nun?“, fragte ich.

Er blieb stehen. „Was meinst du?“

„Gehen wir zurück nach Mexiko?“

Er schüttelte den Kopf. „Wir kämpfen weiter“, sagte er. Dann ging er.

Ich schaute schweigend über das Lager. Ich hatte nichts anderes erwartet.

Rauch von vielen Feuern stieg in den Morgenhimmel, und die Verletzten kochten bereits wieder Kriegsfarben aus Pflanzenwurzeln. Über den Kuppen der Kinney-Berge stand die Sonne. Ich hob den Kopf und schaute hinein, bis mir schwarz vor Augen wurde. Dort, wo ich stand, ließ ich mich zu Boden fallen und presste die Fäuste auf die schmerzenden Augen.

Vielleicht, dachte ich, sollte man blind sein, um das Schlimme nicht zu sehen, das auf der Welt geschieht.

Doch das war keine Lösung. Krieg aber auch nicht ...


RONCO


In dieser Reihe bisher erschienen

2701 Dietmar Kuegler Ich werde gejagt

2702 Dietmar Kuegler Der weiße Apache

2703 Dietmar Kuegler Tausend Gräber

2704 Dietmar Kuegler Apachenkrieg

2705 Dietmar Kuegler Das große Sterben

2706 Dietmar Kuegler Todesserenade


Dietmar Kuegler



Apachenkrieg





Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!
Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung
ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.
Infos unter: 
www.BLITZ-Verlag.de

© 2019 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 Windeck
Redaktion: Jörg Kaegelmann
Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati
Umschlaggestaltung: Mario Heyer
Logo: Mark Freier
Satz: Harald Gehlen
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-95719-153-3

Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!



Roter Bruder, toter Bruder


2. November 1878.

Ich befinde mich wieder einmal in Gefangenschaft. Diesmal nicht in einem schmutzigen Gefängnis, sondern in einem Kriegslager der Apachen. Ich habe die Freiheit, mich im Camp zu bewegen, solange ich keinen Fluchtversuch unternehme. So kann ich ungehindert weiter an meinem Tagebuch schreiben.

Wenn ich mich umschaue, fühle ich mich in meine Kinderzeit und frühe Jugend zurückversetzt.

Bei den Apachen hat sich nicht viel verändert. Noch immer sind sie Verbannte, noch immer müssen sie kämpfen, um zu leben.

Aus der Wüste streicht ein heißer Wind heran. Hier und da flackern Kochfeuer. Ich denke an die Zeit, als ich bei den Indianern lebte, als ich selbst ein Apache war, ein weißer Apache ...



1.


Die dünne Rauchsäule war in der hitzeflimmernden Luft kaum wahrzunehmen. Es herrschte fast völlige Windstille. Unter den Hufen unserer Pferde hob sich der feinkörnige Sand der Wüste bei jeder Bewegung. Er ballte sich zu feinen gelben Wölkchen, die fast steigbügelhoch über dem Boden schwebten und sich nur zögernd wieder senkten.

Wir waren sieben. Alles Apachen. Dass meine Haut heller war als die der anderen, hatte ich längst vergessen.

Schnelltöter führte uns an. Er war noch jung, aber seine Erfahrungen waren groß. Als er jetzt den Kopf wandte und uns anschaute, schimmerte die gezackte Narbe auf seiner linken Wange im grellen Sonnenlicht fast schwarz. Er redete nie mehr als unbedingt nötig. Auch diesmal sagte er kein Wort, wir wussten auch so, was wir zu tun hatten.

Ich zog mein Pferd herum. Es war ein narbiges, hageres Armeepferd, das ich ritt, seit ich Shita im Kampf verloren hatte. Ich hatte dem braunen Hengst nicht zu viel zugetraut, hatte jedoch inzwischen feststellen können, dass er an Zähigkeit den kleinen, stämmigen Apachenponys nicht nachstand und sich gut mit dem Wüstenklima abgefunden hatte. Außerdem war er willig und bereitete mir keine Schwierigkeiten. Ich war zufrieden mit ihm und begann, mich mit ihm anzufreunden, obwohl mir noch kein Name für ihn eingefallen war.

Ich ritt eine flache Düne hinauf, während auch die anderen Krieger ausschwärmten. Vor mir hatte ich quer über den Knien meinen kurzen Spencer-Karabiner liegen. Die Metallteile mit der fleckigen Brünierung waren heiß von der Sonnenbestrahlung. Der zerkratzte Holzschaft aus dunklem Nussbaum mit dem Armeestempel schimmerte matt.

Ich nahm das Gewehr fest in die Rechte. Mit der linken Hand hielt ich den Zügel und dirigierte den Hengst.

Auf meiner rechten Schulter drückte der schwere Patronen­gurt, den ich schräg um den Oberkörper geschnallt hatte. Schweiß rann mir über das Gesicht und über meine Brust und wurde vom Stoff meines ­Kalikohemdes aufgesogen.

Wir folgten der Spur des Rauches. Als vor uns eine breite Furche auftauchte, konnten wir den Rauch riechen. Dann fanden wir das Camp.

Es lag tief in der Bodenfurche, im Schatten einer überhängenden Sandsteinklippe. Wäre das Feuer nicht gewesen, hätten wir es gar nicht entdeckt.

Das Feuer war aus vertrockneten Zweigen abgestorbener Yuccapflanzen angefacht worden, die fast rauchlos abbrannten. Ein verbeulter, rußiger Kessel hing an einem Dreibein über den Flammen.

Ein Stück abseits standen die Pferde, und am Feuer saßen vier weiße Männer.

Sie fühlten sich sehr sicher. Sie sprachen, lachten ab und zu und tranken Kaffee aus Blechbechern. Sie redeten von Whisky aus Kentucky, von feinem Tabak aus ­Tennessee und von Frauen aus Texas, die Pfeffer im Hintern hätten und einige andere Vorzüge.

Ich betrachtete ihre Pferde und wusste, was für Männer wir vor uns hatten.

An den Sätteln hingen lange Skalpzöpfe, und an einigen Hautfetzen war das Blut noch nicht einmal eingetrocknet.

Auf der gegenüberliegenden Seite der Bodenfurche sah ich Schnelltöter auftauchen. Er hielt seinen Bogen in der Rechten und legte einen Pfeil auf die Sehne.

Ich glitt aus dem Sattel und lief geduckt den Hang hinauf. Auf der Klippe über der Bodenfurche blieb ich stehen, den durchgeladenen Karabiner in den Fäusten.

Da sah ich auch die anderen Krieger. Wir hatten das Lager umzingelt – lautlos und schnell. Die weißen ­Männer hatten nichts bemerkt, und sie hatten keine Chance mehr.

Sie hatten Apachen der Skalpprämien wegen getötet. Das Risiko eines solchen Jobs war groß. Das wussten sie selbst. Wir hatten keinen Grund, gnädig mit ihnen zu verfahren.

Schnelltöter hob den Bogen. Da wusste ich, dass es nun so weit war. Ich fühlte eine leichte Nervenanspannung – wie immer vor einem Kampf.

Aber ich war nicht sonderlich beunruhigt. Angst kannte ich in solchen Situationen nicht.

In diesem Moment schnellte der Pfeil von Schnelltöters Bogen. Er bohrte sich in den Rücken eines der Männer. Der Kerl zuckte hoch, verharrte in halb aufgerichteter Stellung und kippte gurgelnd nach vorn. Er fiel mit dem Gesicht ins Feuer.

Die Flammen schlugen sofort hoch. Das halblange, dunkelbraune Haar des Mannes brannte ab. Binnen weniger Sekunden war sein ganzer Schädel schwarz. Das war das Letzte, was ich in diesem Moment von ihm wahrnahm, dann hob ich mein Gewehr an die Schulter.

Die drei Kumpane des Toten sprangen vom Feuer auf und rissen ihre Revolver aus den Holstern.

Ich feuerte, ohne lange nachzudenken, instinktiv, fast automatisch. Ich wusste, was ich zu tun hatte. Die Männer unter mir hatten Apachen abgeschlachtet. Männer, Frauen und Kinder. Ich war ein Apache, und die Killer waren meine Feinde.

Ich traf den Mörder rechts von dem Toten in die Seite.

Der Mann brüllte laut und taumelte. Sein Hemd färbte sich dunkel, und Blut rann ihm über den Hosengurt an den Beinen hinunter. Er sank in die Knie und feuerte auf die Krieger, die in die Senke sprengten.

Seine beiden unverletzten Kumpane warfen sich verzweifelt hinter einigen Steinbrocken in Deckung.

Der Verletzte kroch auf allen vieren durch den Sand und schrie dabei wie irre. Schnelltöter ritt direkt auf ihn zu und schwang seinen Schädelbrecher. Der Verwundete schoss und tötete Schnelltöters Pferd. Schnelltöter wurde zu Boden geschleudert, richtete sich benommen auf und blickte direkt in die Mündung des Revolvers, den der verletzte Killer auf ihn richtete. Doch als er abdrückte, klickte es nur. Die Waffe war leergeschossen, und Schnelltöter schleuderte seinen Schädelbrecher nach vorn.

Ich zwang mich, den Blick abzuwenden, um nicht sehen zu müssen, wie der Mann starb.

Die anderen Mörder feuerten nun auch. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass Sandbiber, ein dreißigjähriger Krieger, vom Rücken seines Pferdes gerissen wurde. Sein Oberkörper war nackt, und das Blut strömte aus einer großen Wunde in der Brust wie aus einem Schlauch. Er war tot, noch bevor er hart im Sand aufschlug. Da feuerte ich zum zweiten Mal.

Mit hässlichem Laut schrammte meine Kugel über einen Stein, hinterließ eine tiefe Furche und streifte einen der Skalpjäger seitlich am Schädel. Der Mann sackte flach in den Sand und bewegte sich nur noch schwach.

Ich ließ meinen Spencer sinken. Es war vorbei.

Der letzte Mann warf seine Waffe weg und wich vor der Lanze Tulanas bis an einen hohen Felsquader zurück. Hier blieb er stehen, am ganzen Körper zitternd.

Die Hitze schien sich in diesem Moment noch zu verstärken. Dichte Pulverdampfschwaden hingen über der Bodenfalte. Es stank nach verbranntem ­Menschenfleisch und Blut, das in der Hitze rasch zu einer Kruste gerann.

Der Bandit, der als Erster gestorben war, brannte wie eine Fackel. Seine Kleidung hatte Feuer gefangen. Niemand kümmerte sich um ihn, niemand bemühte sich, die Flammen zu löschen.

Die Pferde scheuten vor dem Gestank, der sich in der glühenden Luft noch verstärkte. Ich ritt hinunter in die Bodenfalte, als Chikula den Mann hochriss, den meine Kugel am Kopf verletzt hatte.

Er taumelte benommen und wimmerte leise. Seine linke Kopfseite war voller Blut.

Schnelltöter trat auf die beiden Weißen zu. Er war fast einen Kopf kleiner als sie, aber ihre Gesichter verzerrten sich, als sie in seine Augen schauten. Sie hatten Angst.

Schnelltöter zeigt auf die Pferde der Killer und auf die Skalps, die an den Sätteln baumelten.

„Wir haben doch die Skalpprämien nicht erfunden!“, schrie einer der Männer. „Wir haben die Gesetze nicht gemacht. Wir halten uns nur daran.“

Schnelltöter lachte. Er drehte sich zu uns um.

„Bringt sie weg“, sagte er in der kehlig klingenden Apachensprache.

Ich zog mein Pferd herum, während Tulana und Chikula die beiden weißen Killer aus der Bodenfalte trieben. Sie stolperten durch den knöcheltiefen Sand und stürzten häufig. Sie taumelten vor den Kriegern her und hielten nicht an. Sie rannten, als hofften sie, auf diese Weise ihr Leben zu retten.

„Ronco!“

Ich hörte Schnelltöters Stimme und wandte mich um.

„Nimm die Pferde“, sagte er. „Und die Waffen.“ Er lächelte etwas. „Gute Beute“, sagte er.

Ich nickte und stieg ab. Schnelltöter schwang sich auf das Pony des getöteten Sandbiber und ritt hinter den anderen Kriegern her, die die beiden Gefangenen auf eine Gruppe Saguaro-Kakteen zu jagten.

Ich nahm ein geflochtenes Lederlasso, ging zu den Pferden der Skalpjäger und befestigte ihre Zügel daran. Sie sträubten sich erst, mir zu folgen, aber ich zwang sie, stieg wieder in den Sattel meines Braunen und zerrte sie hinter mir her.

Wind kam auf, als ich aus der Bodenfalte ritt. Er war glühend und schien aus einem Backofen zu wehen, aber er vertrieb den Gestank von verbranntem Menschenfleisch. Feiner Sand wirbelte mir entgegen und setzte sich in dem dünnen Schweißfilm auf meinem Gesicht fest.

Als ich die Kakteengruppe erreichte, waren die beiden Skalpjäger nackt. Sie schrien und schlugen um sich.

Ich zügelte die Pferde und stieg ab. Da riss sich einer der beiden Männer los. Er rannte direkt auf mich zu und brüllte dabei. In seinem Gesicht war nichts Menschliches mehr zu entdecken.

Ich erschrak nicht einmal. Einen Sekundenbruchteil lang dachte ich daran, zur Seite zu treten, um ihn vorbeilaufen zu lassen. Dann aber dachte ich an die Apachen, die er ermordet hatte, deren Skalps am Sattel seines Pferdes hingen. Ich dachte daran, was mit mir geschehen würde: Ich wäre bei den Apachen erledigt gewesen, und der Mann hätte doch nichts davon gehabt. Er wäre ohnedies nicht weit gekommen.

Das alles schoss mir durch den Kopf, während er auf mich zuraste, ohne mich wirklich zu sehen.

Als er heran war, hob ich meinen Spencer-Karabiner und schlug zu. Ich war groß für mein Alter und sehr ­kräftig. Ich war zwölf Jahre alt, doch ich sah aus wie fünfzehn. Mein Schlag traf den Mörder in den Leib. Er schwankte, krümmte sich zusammen und kreischte, während seine Augen fast aus den Höhlen quollen. Ich presste die Lippen fest zusammen und schlug noch einmal zu.

Da stürzte er vor meinen Füßen in den Sand und wand sich wie ein Fisch. Büffelmann, mein erster Pflegevater bei den Chiricahuas, war ihm gefolgt. Er bückte sich, packte den Mann an den Schultern und riss ihn hoch. Er schleifte ihn zurück zu dem anderen, der apathisch dastand und nicht mehr wahrzunehmen schien, was mit ihm und um ihn herum geschah.

Schnelltöter hob die Rechte. „Zas-tee, Pinda-lick-o-yi“, sagte er. „Tötet die Weißaugen.“

Die Krieger trieben die Killer auf zwei einzeln stehende Saguaros zu. Der eine Mann wehrte sich noch immer. Lanzenspitzen schlitzten seine Haut auf, Stöße mit wuchtigen Schädelbrechern ließen ihn vorwärts taumeln. Der andere begann erst wieder zu schreien, als er an einen Saguaro-­Kaktus gefesselt und sein Leib fest an den Kaktusstamm gepresst wurde. Die dolchspitzen Stacheln gruben sich in seinen Körper, und binnen weniger Sekunden bedeckte Blut seine helle Haut und benetzte den Kaktus.

Der zweite Mann schrie jetzt noch mehr und wehrte sich mit der Kraft der Verzweiflung. Er riss sich noch einmal los und wollte fliehen. Tulana stieß seine Lanze nach ihm. Sie bohrte sich tief in seine linke Kniekehle und zerschnitt seine Sehnen. Er brach aufheulend zusammen und versuchte, auf dem Bauch liegend weiterzukriechen.

Tränen strömten aus seinen Augen, und er schluchzte wild, als er zu dem Kaktus zurückgeschleift wurde. „Ihr Teufel!“, schrie er. „Ihr dreckigen roten Schweine ...“

Dann bohrten sich die fingerlangen Stacheln auch in seinen Rücken, in seine Beine, in sein Genick, in seine Arme. Was er rief, war nicht mehr zu verstehen. Sein Körper bäumte sich heftig auf, immer und immer wieder, bis Blut auf seinen Mundwinkeln floss. Sein Kumpan hatte das Bewusstsein verloren. Der Kopf war ihm auf die Brust gesunken.

Ich wandte mich schnell ab. An solche Szenen hatte ich mich noch immer nicht gewöhnt und würde ich mich auch nie gewöhnen.

Es war fast ein Wunder, dass die Mörder noch lebten, als wir wegritten. Wir hörten ihre Schreie noch, als wir sie längst nicht mehr sehen konnten.