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Kapitel 20 – Der Mord-Prophet


Bis zu diesem Augenblick hatte George Drake noch keine Gefühlsregung wie Zorn oder Verärgerung gezeigt. Nun sah man die Wut in seinen zusammengekniffenen Augen. Und man hörte sie in seiner hohen Stimme.

„Sicher sehe ich das!“, schrie er. „Dieser Mord-­Prophet hätte doppelt profitieren können. Einerseits hätte er Lloyd Ramers Bande helfen können, die Kontrolle über den Sentinel an sich zu reißen. Damit hätte er sich selbst geholfen, trotz des verlorenen Ansehens und des sinkenden Wertes der Aktien. Wenn das nicht funktioniert hätte, dann hätte der Prophet vielleicht in Betracht gezogen, Rowlands Tochter zu heiraten. Aber das stärkste Motiv, wie Sie schon sagten, muss die Nutzung der unerschöpflichen Daten im Archiv gewesen sein, mit dem man berühmte Leute erpressen könnte.“

„Das ist genau die Sicht des echten Propheten“, sagte Tony. In seiner ruhigen, aber schneidenden Stimme lag ein unheilvoller Unterton. „Allerdings ist es ihm nicht gelungen, an Rowlands Schuldschein zu kommen. Außerdem wusste er nicht, dass Jane Longren – und er hatte erfahren, dass sie Rowlands Tochter ist – bereits mit einem jungen Chemiker namens Michael Doran verheiratet ist!“

Tony wandte sich halb um. Seine leeren Augen schienen durch das Fenster zu starren. Er stand mit dem Gesicht zu dem rothaarigen Fotografen, als er plötzlich wieder das Wort ergriff.

„Sie wussten nicht, dass er Janes Ehemann ist, als Sie versuchten, ihn des Mordes an Morden zu bezichtigen, nicht wahr, Owl?“

Die Frage traf den Fotografen mit der Wucht eines körperlichen Schlags. Er fuhr herum und wollte zur Außentür laufen. Tony wandte seinen leeren Blick nicht ab.

Doch nun trat er einen schnellen Schritt nach vorn, streckte einen Fuß aus und brachte Owl Brennan zu Fall, der auf den Knien landete. Dann sprang Silk Kirby herbei und packte den Fotografen mit festem Griff, bevor der wieder auf die Füße kommen konnte.

„Hier ist Ihr Mord-Prophet!“, intonierte Quinn. „Owl Brennan, der wahrscheinlich erste Mörder, der den Wert von Infrarotlicht entdeckt hat, um Fotos zu machen, die andere diskreditieren und ihn selbst freisprechen.“

„Stimmt das, bist du wirklich mit Doran verheiratet?“, wollte Rowland wissen. Sein Gesicht hatte sich vor Missfallen verzogen. Er beachtete das überraschte Keuchen gar nicht, das auf Quinns Anschuldigungen gefolgt war.

„Ja, Dad“, erwiderte das Mädchen mit fester Stimme. Dann warf sie Tony einen verwirrten Blick zu. „Sie haben die ganze Zeit gewusst, dass Michael Doran mein Mann ist?“

„Es gab keinen anderen logischen Grund dafür, dass Sie und Michael beide so stur waren und nicht reden wollten“, erwiderte Tony und lächelte. „Ich bin dem nachgegangen und fand eine Aufzeichnung über Ihre Heirat in einer kleinen Stadt in Connecticut.“

„Es ist wahr“, gestand sie. „Dad wollte nicht, dass ich Michael treffe. Er ...“

„Ich fürchte, ich war ein Narr“, sagte Rowland. Er lächelte nun. „Ich wollte, dass Martha einen reichen Mann aus ihrer eigenen gesellschaftlichen Schicht heiratet. Sie hat sich mir widersetzt, sowohl in dieser Sache als auch indem sie Reporterin wurde. Aber das zählt jetzt nicht mehr, solange sie glücklich ist.“

Owl Brennan widersetzte sich heftig Silk Kirbys Griff. Mit scharfer Stimme schrie er Quinn an.

„Tony, Sie sind komplett verrückt geworden!“, tobte er. „Sagen Sie diesem Irren Kirby, dass er mich loslassen soll.“

Commissioner Warner unterbrach das Gespräch. Er schien verstört.

„Tony, sind Sie sicher, dass Sie sich nicht irren, wenn Sie Owl beschuldigen? Sie haben ihn heute in Ihrem Haus allein gelassen.“

„Ja, ich habe ihn dort allein gelassen, nachdem ich deutlich gemacht habe, dass ich vielleicht Lloyd Ramers Alibi-Party einen Besuch abstatten würde, hinsichtlich des Mordes an Lela Ramer. Owl Brennan hörte, wie Silk mir von einem Anruf berichtete, der im Penthouse von Lloyd Ramer angekommen war. Er hörte auch von einem Anruf, der der Grund dafür war, dass ein Mädchen entführt wurde, als es das Gebäude des Sentinel verließ. Owl hatte veranlasst, dass Ramer mir eine Falle stellte. Aber anscheinend war die Schwarze Fledermaus vorher dort. Owl gab sogar der Polizei einen Tipp. Vermutlich hatte er gehofft, dass es eine Schießerei geben und dass Ramer getötet werden würde. Dann hätte Owl das Steuer bei diesem unseriösen Geschäft übernommen.“

„Das ist doch verrückt“, heulte Owl. „Bis heute Morgen war ich selbst ein Gefangener. Ich wurde mit derselben Quecksilberlampe verbrannt, die auch den Tod von Lela, Mrs. Ramer, zu verantworten hat. Sie können sich mein Gesicht ansehen ...“

„Ich konnte mir auch Ihre Hände ansehen, Owl“, unterbrach Tony. „Um ihr Gesicht so zu verbrennen, wäre mindestens eine halbe Stunde notwendig gewesen. Sie sagten, Ihre Hände seien gefesselt gewesen. Sie haben sorgsam darauf geachtet, Ihr ganzes Gesicht und Ihren Nacken zu verbrennen. Aber Ihre Hände haben sie instinktiv von dem Licht ferngehalten. Außerdem haben Sie behauptet, dass sie geradewegs aus einem Abflussrohr gekommen seien. Und Ihr Gesicht hatten Sie mit einer Salbe eingerieben, um die Schmerzen zu lindern. Als Sie dann heute versuchten, den Verdacht auf Bunt Preddy zu lenken, sprachen Sie von der ermordeten Frau als Lela. Das lässt darauf schließen, dass Sie mehr oder weniger gut mit ihr bekannt waren. Sie sagten, Sie seien durch einen Gully aus einem Abflussrohr im Central Park gestiegen. Im Central Park gibt es solche Abflussrohre mit Gullys nicht.“

„Ich weiß nicht, was das alles zu bedeuten hat. Warum habe ich Sie dann gewarnt, dass Jane Longrens Leben in Gefahr ist?“, tobte Owl Brennan.

„Das ist richtig, das haben Sie“, stimmte Tony zu. „Aber als Jane Longren in der Gewalt Ihrer Männer war und sie leicht hätte getötet werden können, da haben Sie darauf geachtet, dass sie unverletzt wieder freigelassen wurde. Sie dachten immer noch daran, Jane oder ­Martha Rowland zu heiraten, sollten Sie diesen Schuldschein über zwei Millionen Dollar nicht finden und es Ihnen auch anders nicht gelingen, einen Plan auszuarbeiten, um die Kontrolle über den Sentinel zu übernehmen. Sie kennen sich mit Chemikalien aus. Als Michael Doran ein paar neue Farben ausprobierte, haben Sie Gift daruntergemischt, ihn niedergeschlagen und ihn zurückgelassen. Vorher haben Sie etwas von der Farbe auf seinen Händen aufgebracht. Doch das Gift, das Morden umgebracht hat, wurde in seine Blutbahn injiziert. Und es war Zyanid, das in der Fotografie angewandt wird.“

„Captain McGrath!“ Owl Brennan kochte vor Wut und in seinen Augen lag ein verzweifeltes Glitzern. „Ich verlange, dass man mich freilässt. Quinn hier kann nichts von dem beweisen, was er sagt.“

„Kann ich nicht?“, schnappte Tony, noch bevor McGrath antworten konnte. „Sie hatten schon immer eine Schwäche für das Glücksspiel. Und Sie haben sich schon immer mit dubiosen Personen herumgetrieben. Silk Kirby, der Kontakte in die Unterwelt hat, fand heraus, dass Sie wochenlang im Four Owls Club sehr viel gespielt haben. Sie schuldeten Ramer mehr als zehntausend Dollar. Und Jackson, der manches Mal mit ihnen zusammen war, war ebenfalls in den roten Zahlen. Ramer begann, Sie wegen der Kohle unter Druck zu setzen. Das war der Augenblick, als Sie auf die glorreiche Idee gekommen sind, Ramers Interesse daran zu wecken, sich den Sentinel zu schnappen und das Archiv für Erpressungen zu nutzen. So wollten sie Ihre Haut retten.“

Brennan schnaubte und seine Augen huschten umher, bis sie Lloyd Ramer fanden. Der schaute düster und unbehaglich in die entgegengesetzte Ecke des Raumes.

„Das ist eine Lüge!“, schnappte der Fotograf.

„Was sagen Sie, Ramer?“, wollte Tony wissen. „Sie werden für den Mord an Lela Ramer auf dem Elektrischen Stuhl landen. Und weil Sie diese zweite Beleidigungsklage komplett vorbereitet hatten, noch bevor sie starb. Übernehmen Sie die Schuld für all diese Morde, einschließlich dem an Morden?“

„Ich habe Morden nicht umgebracht. Das war ­Brennan!“, schrie Ramer verzweifelt.

„Du dreckiges Schwein ... nachdem ich die ...“ Owl hielt inne und fluchte.

„Du hattest jede Menge Schulden bei mir“, sagte Ramer zu Owl. „Ich habe dir gesagt, ich wollte die Kohle oder was anderes. Dann hast du mir den Vorschlag gemacht, dass wir den Sentinel an uns reißen, Morden umbringen und Doran beschuldigen. Du hast das selbst erledigt. Du warst der, der William Black als unser erstes Erpressungs­opfer ausgesucht hat.“

Owl Brennan sagte nichts mehr, doch sein Gesicht war eine schwarze Woge wahnsinniger Wut.

„Sicher“, sagte Tony. „Und weil Carl Jackson Ihnen auch Geld schuldete, Ramer, hat Owl Jackson auch mit da reingezogen. Jackson hat die eigentliche ­Propheten-Kolumne geschrieben, und zwar nach Owls Anweisungen. Und Jackson war die Kontaktperson, die sich um Black gekümmert hat. Ich habe herausgefunden, dass Jacksons Gehalt mehrere Wochen überfällig war. Dann zeigte eine Überprüfung seines Bankkontos – bei der Bank, bei der die meisten Leute vom Sentinel ihre Ersparnisse haben – zwei Tage nach dem Mord an Morden eine Einlage von tausend Dollar. Eine hübsche Summe dafür, dass er sich um die Sonderausgabe des Sentinel über den Mord an Morden gekümmert hat. Und Jackson hat seinerseits den Redakteur für die Aufmachung bestochen, um dafür zu sorgen, dass die erste Kolumne des Propheten rausgeht. Ich habe den Mann für die Aufmachung überprüft und herausgefunden, dass er die Stadt verlassen hat, ohne eine Adresse anzugeben, an die seine Post weitergeleitet werden soll. Sein geschlossenes Bankkonto zeigte eine Einlage von zweihundert Dollar vom selben Datum, an dem Jackson tausend Dollar eingezahlt hatte.“

Commissioner Warner warf Tony Quinn einen forschenden Blick zu, als der innehielt. Dann stellte er eine unverblümte Frage.

„Wie erklären Sie sich den Tod von Barry Nemoss?“

„Weil Nemoss von der Abmachung zwischen Owl und Ramer erfahren hat, vermute ich. Und er wollte mit­mischen, genauso wie er versuchte, sich in den Red ­Feather einzukaufen“, sagte Tony. „Habe ich recht, Ramer?“

„Ja“, schnappte Ramer. Er hatte sich in sein Schicksal ergeben. „Er hat den Tod geradezu herausgefordert. Lela muss ihm gegenüber geplaudert haben.“

„Und wie hat sie das herausgefunden?“, wollte Captain McGrath plötzlich wissen.

„Von Owl Brennan!“, tobte Ramer. „Dieser verdammte Idiot konnte nie gut mit Schnaps oder Karten umgehen. Eines Nachts war er betrunken und hat es ihr erzählt. Ich weiß es, denn sie hat mich besucht. Und sie hat mir gedroht, den Bullen einen Hinweis zu geben, wenn ich nicht mit einer großen Geldsumme rüberkäme.“

„Also haben Sie und Owl sie umgebracht. Sie haben sie mit einer Quecksilberlampe verbrannt. Und den Mord haben Sie für eine weitere Sensationsmeldung im Sentinel benutzt. Eine Sensationsmeldung, die mit Sicherheit den Ruin für die Zeitung bedeutet hätte“, schloss Tony mit scharfer Stimme.

Einen Augenblick herrschte in dem Raum angespannte Stille. Nur Owls unruhiges Atmen durchbrach das Schweigen. Dann ergriff Police Commissioner Warner das Wort.

„Tony, bei all diesem Gerede über einen Schuldschein über zwei Millionen Dollar. Was ist daraus geworden? Sie sagten, zwei Männer hätten versucht, ihn zu finden, als Mordens Atelier brannte?“

Tony nahm eine alte Fotografie aus seiner Tasche. Sie war in Seide eingewickelt. Das Gesicht sah dem von Jane Longren zum Verwechseln ähnlich.

„Meine Frau!“, rief Arthur Rowland. „Das wurde an unserem Hochzeitstag gemacht!“

Tony rieb mit dem Daumen über das dicke Papier der Fotografie. Es löste sich in zwei Blätter auf. Zwischen den Seiten befand sich ein dünnes Papier. Darauf stand eine hastig hingekritzelte Nachricht.

Im Gedenken an die, die ich liebte, und an eine lebenslange Freundschaft, widerrufe ich hiermit alle Verpflichtungen, die Arthur K. Rowland mir gegenüber, meinen Erben und meinen Rechtsnachfolgern, hat.

Ich hatte ein gutes Leben und es gibt nur einen Menschen, dem gegenüber ich mich schuldig fühle. Daher hinterlasse ich die Hälfte meines Vermögens Michael Doran, Ehemann von Martha Rowland. Curt Grannan, meinem Stiefsohn, hinterlasse ich den Rest meines Vermögens.

Das kurze Testament war von Clifford Morden unterzeichnet worden. Es war formlos, doch es war rechtmäßig von zwei Zeugen bestätigt worden und trug das Siegel eines Notars.

„Was ist mit dem Tod von Margaret Ripple und den Anschlägen auf das Leben von Jane Longren?“, fragte Baldy Compton.

„Margaret Ripple wurde irrtümlich getötet. Die Mörder hatten sie für Jane gehalten“, informierte Tony ihn. „Das war Ramers eigenes Werk. Offensichtlich vertraute er Owls Worten nicht, wenn sie erst einmal ordentlich geschmiert waren. Er hatte Angst, dass das Mädchen wissen könnte, was vorgeht. Vor allem, nachdem sie mit ­William Black gesehen worden war. Selbstverständlich sorgte Owl für ihre Freilassung, als er von Janes ­Gefangennahme hörte. Dieser Angriff auf ihn selbst, sein Verschwinden und der Sonnenbrand, das war alles Teil eines sorgfältig ausgearbeiteten Alibis. Und Lark wurde umgebracht, damit er seine Verdächtigungen über den Job bezüglich Morden nicht preisgibt. Old Mac wurde zweifellos von Ramers Bande umgebracht, die Jane aus dem Archiv entführt hat.“

Captain McGrath knurrte. Er war froh, dass dieser rätselhafte Fall gelöst war. Doch die Tatsache, dass die Schwarze Fledermaus seinem Zugriff wieder einmal entkommen war, erfüllte ihn mit Verdruss.

„Ich schätze, alles, was ich tun kann, ist Michael Doran freizulassen“, sagte er. „Ich wüsste nur allzu gern, wo die Schwarze Fledermaus hingegangen ist, nachdem er aus Ramers Penthouse-Appartement geflohen ist.“

Martha Rowlands blaue Augen leuchteten plötzlich auf. Die Tür wurde geöffnet und da stand der große, dunkelhaarige Michael Doran.

„Vielleicht ist die Schwarze Fledermaus beim Hauptquartier vorbeigegangen und hat Doran freigelassen“, sagte Silk Kirby mit einem schelmischen und amüsierten Grinsen.

„Nein, Silk, Sie irren sich“, sagte der Commissioner. „Ich habe nur auf Tonys Rat hin die Anweisung gegeben, dass Doran hergebracht werden soll. Ich hatte keine Ahnung, dass Tonys Enthüllungen darauf hinauslaufen würden, dass Doran ungeschoren davonkommt. Denn das wird er.“

Silk grinste und wandte sich zu Tony um. Langsam führte er seinen Arbeitgeber zur Tür des Redaktionsraumes.

Dort klapperten Schreibmaschinen und die hochgewachsene Gestalt von Baldy Compton rauschte an ihnen vorbei.

Die Stimme des Lokalredakteurs donnerte durch den Raum.

„Kommt schon, Jungs! Wir haben eine Neuauflage vor uns! Holt euch Martha Rowlands eigene Story. Denkt ihr, wir wollen uns schlagen lassen, wenn es um unsere eigene Mordstory geht?“


DIE SCHWARZE FLEDERMAUS
Band 22


In dieser Reihe bisher erschienen:

6001 – Der Anschlag von G. W. Jones

6002 – Der Sarg von G. W. Jones

6003 – Angriff der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6004 – Ein harmloser Fall von Angelika Schröder

6005 – Tote schweigen nicht von Margret Schwekendiek

6006 – Liga der Verdammten von G. W. Jones

6007 – Die Spione von G. W. Jones

6008 – Der Kreuzzug von G. W. Jones

6009 – Der Flammenpfad von G. W. Jones

6010 – Der Sieg der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6011 – Das Trojanische Pferd von G. W. Jones

6012 – Die Spur des Drachen von G. W. Jones

6013 – Das Gesetz der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6014 – Das nasse Grab von G. W. Jones

6015 – Stadt in Angst von G. W. Jones

6016 – Der unsichtbare Tod von G. W. Jones

6017 – Die Stimme der Gerechtigkeit von G. W. Jones

6018 – Die Augen des Blinden von G. W. Jones

6019 – Die Todesmaschine von G. W. Jones

6020 – Schatten des Bösen von G. W. Jones

6021 – Teufel ohne Gesicht von G. W. Jones

6022 – Prophet des Todes von G. W. Jones




G. W. Jones


Prophet des Todes



Aus dem Amerikanischen
von Swantje Baumgart





G. Wayman Jones – hinter diesem Pseudonym verbirgt sich meistens der amerikanische Autor Norman A. Daniels.

Nicht so beim vorliegenden Roman, der von Laurence Donovan (1885-1948) geschrieben wurde. Donovan arbeitete als Journalist für den San Francisco Call-Bulletin, die Vancouver Sun und als Lokal­redakteur für den Spokane Chronicle. In den späten 1920ern begann er, nach einem Abstecher nach Hollywood, Heftromane diverser ­Genres zu verfassen, darunter neun Romane für die beliebte Abenteuer-­Reihe Doc Savage.

Das Abenteuer Prophet des Todes erschien im September 1942 unter dem Titel The Murder Prophet in dem amerikanischen Magazin Black Book Detective.


Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!
Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung
ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.
Infos unter: 
www.BLITZ-Verlag.de

© 2019 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 Windeck
Redaktion: Harald Gehlen
Fachberatung: Dr. Nicolaus Mathies
Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati
Umschlaggestaltung: Mario Heyer
Logogestaltung: Mark Freier
Illustration: Dorothea Mathies
Satz: Harald Gehlen
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-95719-022-2

Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!



Kapitel 1 – Ein Mörder im Verzug


Die aufsehenerregende Nachricht wurde in schwarzer Fraktur in Schriftgröße 72 als Schlagzeile ausgerufen: MILLIONÄR MORDEN ERMORDET. Das fett gedruckte Wort EXTRA stand ebenfalls oben auf der ersten Seite der Abendausgabe des Sentinel.

Ein Extrablatt herauszubringen war eine radikale Abkehr von der konservativen Politik des Sentinel, ebenso wie die Entscheidung für die schwarze Fraktur in Schriftgröße 72. Denn mehr als eine Million ernsthafter Bürger betrachteten das siebzig Jahre alte Nachrichtenblatt als Symbol für Sitte und Anstand.

Als nun dieser Vertreter von drei Generationen älterer Leser verkündete, dass der Millionär Morden ermordet worden sei, zweifelte niemand daran, dass dies die Wahrheit war und eine Sensation, die ein Extrablatt rechtfertigen würde.

Und doch hatte Mrs. Harrington, die etwas dickliche Haushälterin der Bewohner der vierten Etage des Greenwich Village-Ateliergebäudes, mehr als nur Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieser seriösen alten Zeitung.

Sie schluckte, als sie die schreiende schwarze Schlagzeile entdeckte. Dann holte sie tief Luft und lehnte sich Halt suchend an die Wand des Flurs. Noch einmal warf sie einen Blick auf den riesigen Schriftzug, der die Vorderseite einer Ausgabe des Sentinel bedeckte, die ausgebreitet vor der halb geöffneten Tür von Atelier B-9 lag.

Ihre Augen wurden größer und größer, als sie aufschaute und in das Appartement spähte. Es gab nur einen Millionär Morden, der einen solchen Ausbruch seitens dieser konservativen Zeitung wert gewesen wäre. Und das war Clifford Morden, der langjährige Mieter von Atelier B-9.

Und Clifford Morden, schlank und athletisch für einen Mann Ende fünfzig, saß vor seiner Staffelei. Durch die halb geöffnete Tür konnte Mrs. Harrington ihn deutlich sehen.

Außerdem war Clifford Morden quicklebendig. Mit einem spachtelartigen Werkzeug, das er in der rechten Hand hielt, mischte er gerade Farben auf der Palette, die er in der linken Hand hielt.

Sein gepflegtes Profil war in dem kräftigen weißen Licht, das auf die Staffelei fiel, deutlich zu erkennen. Sein Modell, das außerhalb von Mrs. Harringtons Blickfeld hinter einer Trennwand positioniert war, wurde von dem Licht vermutlich ebenso hell erleuchtet.

Die plumpe Mrs. Harrington hatte sich nur teilweise wieder unter Kontrolle, als sie das Extrablatt des Sentinel mit zitternden Händen aufhob. Sie war Irin und neigte zu simplem Aberglauben, doch an Visionen und Geister glaubte Mrs. Harrington nicht.

Und überhaupt, ein Geist würde keinen Laut von sich geben. Mr. Morden klatschte die Farben jedoch so lebhaft auf die Palette, dass er dabei leise Geräusche verursachte. Außerdem hustete er ein wenig und rieb sich dann mit dem Rücken seiner rechten Hand über das Kinn, eine Angewohnheit, die er schon ewig pflegte.

Mrs. Harrington sah, dass Mr. Mordens Kinn wie gewöhnlich mit einer Mischung aus verschiedenen Farben verschmiert war. Das war der Beweis.

„Mr. Morden wurde nicht ermordet“, flüsterte Mrs. Harrington und atmete erleichtert auf. „Aber es ist meine Pflicht, ihm zu sagen, dass er völlig falsch dargestellt wird.“

Sie trat durch die Tür, die Zeitung vor sich, als könnte diese unglaubliche Lüge beißen. Dann hustete sie leicht.

„Ich bitte um Entschuldigung, Mr. Morden ...“

Augenblicklich wandte Mr. Morden sich stirnrunzelnd um.

„Was gibt es denn, Mrs. Harrington?“

Der Millionär, dessen einziges Hobby die Malerei war, wurde nur ungern gestört. Mrs. Harrington bemerkte außerdem, dass er einen Blick zu seinem Modell warf, das Mrs. Harrington nicht sehen konnte, so als sei er äußerst nervös.

Mrs. Harrington drehte die Zeitung herum, sodass Mr. Morden die verblüffende Schlagzeile lesen konnte. Einen kurzen Augenblick lang sah sie eine schattenhafte Bewegung an dem offenen Fenster, das auf die Feuertreppe hinausführte. Dann verloschen die Lichter des Ateliers und eine dunkle Gestalt huschte auf sie zu.

Nur Mrs. Harringtons altmodische wulstartige Frisur bewahrte sie davor, dass ihr der Schädel eingeschlagen wurde, als ihr Angreifer zuschlug. Die verhinderte auch, dass sie vollkommen das Bewusstsein verlor, als sie fiel, wie gelähmt und zu keiner Bewegung fähig.

Undeutliche Geräusche drangen durch den dünnen Schleier ihres Bewusstseins. Sie hörte ein unterdrücktes Stöhnen und das Klappern von Mr. Mordens Farbpalette auf dem Boden. Dann fiel die Staffelei um.

Sie hörte nicht, wie Mr. Mordens Körper zu Boden fiel. Doch vielleicht hatten ihre weiblichen Instinkte, die sie für diese Dinge empfänglich machten, dafür gesorgt, dass sie die Bewegung kleiner Füße bemerkte, und ebenso das kurze Aufblitzen eines kleinen Lichtscheines wie von einem Feuerzeug.

Die kleinen Füße bewegten sich eilig fort. Eine Tür wurde geöffnet und wieder geschlossen. Es konnte nur eine Tür gewesen sein und die führte zu der Küche des Ateliers. Eine Außentür der Küche führte zu einem Hausflur in der Nähe der hinteren Treppe.

Kalte Angst umklammerte Mrs. Harringtons Herz. Sie konnte sich nicht bewegen, doch ihr Verstand wurde klarer. Sie erinnerte sich an den Schatten am offenen Fenster, doch sie hörte keinerlei Bewegung aus der Richtung der Feuertreppe.

Plötzlich öffnete und schloss sich die innere Küchentür. Ein metallisches Klicken durchschnitt scharf die darauf­folgende Stille. Schwere Schritte schlurften kurz darauf umher. Dann folgte eine knallende Explosion, die sehr nach dem Knacken einer Kappe auf einer Spielzeugpistole klang.

Als die Haushälterin sich rührte und aufzustehen versuchte, wurde erneut eine Tür zugeschlagen. Von der Straße vier Etagen weiter unten ertönte das plötzliche hohe Heulen der Sirene eines Polizeiautos.

Wegen ihrer nackten Angst funktionierte Mrs. Harringtons Gedächtnis weiterhin hervorragend. Sie erinnerte sich an einen jungen Mann, der ihr auf dem Flur begegnet war, bevor sie das Extrablatt über den Mord auf Mr. Mordens Türschwelle gesehen hatte.

Es war ein großer, dunkelhaariger, gut aussehender junger Mann gewesen. Sie hatte ihn bei zwei weiteren Gelegenheiten in Mr. Mordens Atelier gesehen. Einmal war er gemeinsam mit Mr. Morden angekommen und die Haushälterin hatte gehört, wie sie über Farben gesprochen hatten. Zuerst hatte sie ihn für einen Verkäufer gehalten, einen Hausierer für Farben. Doch als sie ihn erst vor wenigen Minuten gesehen hatte, hatte er keinen Hut getragen. Er hatte einen ungepflegten Eindruck erweckt und ausgesehen, als habe er getrunken.

Ob er aus Mr. Mordens Atelier gekommen war, wusste sie nicht.

Bis zu diesem Augenblick hatte die schwarze Schlagzeile diese Angelegenheit aus ihren Gedanken verbannt.


*


Schwerfällig kam Mrs. Harrington auf die Füße, als sie stampfende Schritte den Flur hinunterkommen hörte.

„Komm her, du!“ Der schroffe Befehl klang streng und voller Autorität. „Wir werden schon sehen, wo du hergekommen bist. Vielleicht malst du Bilder mit deinen Fingern oder du bist irgendwo in einen Farbtopf gefallen!“

„Hier ist es, Sergeant! Atelier B-9! Machen Sie Licht!“

Der Lichtschalter in dem Atelier klickte. Gnadenloses weißes Licht durchflutete das Appartement. Es zeigte die dickliche Mrs. Harrington, die benommen dastand und die Zeitung noch immer umklammert hielt.

Auf dem Boden zusammengesackt, das Gesicht mit lebhaften Farben verschmiert, eine Hand ausgestreckt auf einer Leinwand, so als wolle er die teilweise gezeichneten Umrisse eines Frauenkopfes verbergen, lag ­Clifford Morden, der berühmte Millionär.

Millionär Morden war ermordet worden! Genau, wie es der konservative Sentinel in seiner Story behauptete. Es gab keinerlei Anzeichen von Gewalt.

Morden war an einem flüchtigen Gift gestorben, das man später als das tödliche und schnell wirkende ­Strophanthus identifizieren würde. Es war in der Farbe gewesen, die er auf seinem Kinn und seinen Lippen verschmiert hatte.

Der althergebrachte Ruf des Sentinel, nichts als die Wahrheit zu berichten, war bestätigt worden, sogar hinsichtlich der Todesursache.

Der Captain vom Morddezernat, dessen Gesicht so rot war, als würde er gleich explodieren, war ein gewisser Captain McGrath.

„Er ist tatsächlich tot!“, knurrte er. „Sieht nach Gift aus, ganz wie es das Extrablatt vom Sentinel berichtet! Nur dass wir gerade erst gekommen sind!“

Er rieb sich mit seinen plumpen Fingern über seine schwitzende, gerötete Stirn.